AKTUELLES & HISTORISCHES:
NS-Verfahren und Nazi-Prozesse
nach 1945
bis ins 21. Jahrhundert
Zuletzt AKTUALISIERT am 26.01.2025 !
FRAGESTELLUNG
ZUR ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ
IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG
KRITISCHE THEMATISIERUNG
einer nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen
Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen
durch die deutsche Justiz
in den öffentlichen Medien, in der Fachliteratur und im Fachdiskurs
sowie zur Notwendigkeit der NS-Prozesse des 21. Jahrhunderts
BUNDESPRÄSIDENT STEINMEIER bekennt sich am 19.04.2023 zur deutschen Verantwortung für die NS–Verbrechen zum 80. Jahrestag des Gedenkens an den Warschauer Aufstand: „Für uns Deutsche kennt die Verantwortung vor unserer Geschichte keinen Schlussstrich. Sie bleibt uns Mahnung und Auftrag in der Gegenwart und in der Zukunft. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass viel zu wenige andere Täter sich verantworten mussten nach dem Krieg.“
Der Themenkomplex der NS-Prozesse und Verfahren steht im engen Zusammenhang u.a. NS-Tätern und NS-Täterinnen als NS-Belastete, mit der sogenannten Täterforschung, mit der NS-Vergangenheitsbewältigung einerseits und der Kontinuität von NS-Funktionseliten andererseits seit 1945 sowie mit der sogenannten Nazi-Jagd in ihren jeweiligen unterschiedlichen Ausprägungen und Umsetzungen.
Die NS-Prozesse sind als ein Teil der Nazi-Jagd nach 1945 zu sehen. Einerseits zählen dazu, die in der Nachkriegszeit verkündeten Todesurteile mit Hinrichtungen von NS-Täter*innen, die Analyse der stattgefundenen NS-Prozesse mit der Kritik an Freisprüchen oder zu milden Urteilen, aber auch die Diskussion über viel zu spät eingeleitete oder aber überhaupt nicht stattgefundene NS-Prozesse.
NS-Prozesse
Als NS-Prozesse bezeichnet man in einer verbreiteten Kurzform die Strafprozesse zu Verbrechen des Nationalsozialismus. Im Fachdiskurs ist für Verfahren zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen die Kurzform NSG-Verfahren verbreitet.[1] Einen Teil davon bezeichnet vor allem der Alltagsdiskurs auch als Kriegsverbrecherprozesse.
https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Prozesse
ZENTRALE STELLE DER LANDESJUSTIZVERWALTUNGEN
ZUR AUFKLÄRUNG NATIONALSOZIALISTISCHER VERBRECHEN
Stellenausschreibungen
Wir suchen ab 1. Januar 2023 sowie ab 1. Juni 2023 jeweils (m/w/d)
eine Staatsanwältin / einen Staatsanwalt,
eine Richterin / einen Richter oder
eine Polizeibeamtin / einen Polizeibeamten (gehobener Dienst)
als Dezernentin / Dezernenten bei der Zentralen Stelle.
Unsere Aufgabe besteht darin, das gesamt erreichbare Material über nationalsozialistische Verbrechen im In- und Ausland zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Hauptziel ist es, nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herauszuarbeiten und festzustellen, welche daran beteiligten Personen noch strafrechtlich verfolgt werden können. Zur Bewältigung unserer Aufgabe ordnen die Länder Richterinnen / Richter und Staatsanwältinnen / Staatsanwälte für zumeist zwei Jahre nach Ludwigsburg ab. Für die Stelle kommt gleichermaßen eine Polizeibeamtin / ein Polizeibeamter des gehobenen Dienstes in Betracht.
Ihre Fragen beantworten wir gerne unter (07141) 49 87 70. Die Interessenbekundung und Bewerbung hat dann auf dem Dienstweg zu erfolgen. Wir freuen uns auf das Telefonat mit Ihnen!
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/pb/
Juristische Aufarbeitung nach 1949
In der 1949 gegründeten Bundesrepublik fand eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zunächst nur sehr begrenzt statt. Die Gerichte reagierten auf die Versuche der Aufklärung von NS-Verbrechen mit zahllosen Verfahrenseinstellungen, Freisprüchen und einer milden Urteilspraxis. Daran konnte auch das Bemühen einzelner Strafermittler, Staatsanwaltschaften und Gerichte um eine konsequente Strafverfolgung nichts ändern. Das Erbe der Nürnberger Prozesse wurde zum Teil schroff abgelehnt.
Einen Wendepunkt leitete der Ulmer Einsatzgruppenprozess im Jahr 1958 ein, der auf ein größeres öffentliches Interesse stieß und noch im selben Jahr zur Einrichtung der "Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" führte. Damit wurde erstmals die Voraussetzung für eine systematische Strafverfolgung von NS-Tätern in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen.
Der 1961 in Israel geführte Prozess gegen Adolf Eichmann, der im Reichssicherheitshauptamt als zentrale Figur die Judendeportationen gesteuert hatte, erregte auch in Deutschland Aufsehen. Aber erst der Frankfurter Auschwitzprozess, maßgeblich vorangetrieben durch den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, konfrontierte zwischen 1963 und 1965 die Öffentlichkeit konkret mit dem nationalsozialistischen Judenmord. Dennoch bot der Prozess, der lediglich zur Verurteilung von 17 SS-Angehörigen führte, keine moralisch befriedigende Antwort auf Auschwitz.
Gleiches galt für den aufwendigsten deutschen NS-Strafprozess, der zwischen 1975 und 1981 in Düsseldorf zum Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek stattfand. Über 30 Jahre nach den Verbrechen war ein Tathergang im Einzelfall kaum noch rekonstruierbar. Der eigentliche Wert dieser großen NS-Strafprozesse lag somit nicht in der Verurteilung von Tätern, sondern sie zwangen die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu einer Auseinandersetzung mit ihrer verdrängten Vergangenheit.
https://museen.nuernberg.de/
»Verbrechen ohne Namen«
Ringen um ein neues Rechtsbewusstsein im Umfeld des Zweiten Weltkrieges
Friedrich Huneke
Redaktion und Lektorat: Nadine Docktor, Dr. des. Andrea Kirchner
ISBN 978-3-932883-40-8
Frankfurt am Main 2021, 84 Seiten
Unterrichtsmodul 04
https://www.fritz-bauer-institut.de/
Publikation als Download (PDF) >>>
Ingolf Seidel
Fritz Bauer und das Recht auf Widerstand
Konzeption und Redaktion: Gottfried Kößler, Sophie Schmidt, Martin Liepach, Nadine Docktor
ISBN 978-3-932883-38-5
Frankfurt am Main 2020, 24 Seiten
Unterrichtsmodul 02
https://www.fritz-bauer-institut.de/
Publikation als Download (PDF) >>>
25 Jahre Fritz Bauer Institut
Zur Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen
Sybille Steinbacher (Hrsg.)
Das Fritz Bauer Institut wurde 1995 mit dem Auftrag gegründet, »im Land der Täter« die nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere den Holocaust zu erforschen und das Wissen darüber der Öffentlichkeit zu vermitteln. Im Januar 2020 feierte das Institut sein 25-jähriges Bestehen. Bei dem zu diesem Anlass veranstalteten Festakt, der in diesem Band dokumentiert ist, wurde der Blick zum einen auf die Entstehungszeit und ihre Akteure, auf die Ideen von damals und die politischen Kontexte der Gründung gerichtet. Zum anderen ging es um die Frage, was die Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen heute bedeutet - unter veränderten Rahmenbedingungen sowohl in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik als auch in der zeithistorischen Forschung wie der Vermittlungsarbeit.
Prof. Dr. Sybille Steinbacher
Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Mittelalterlichen Geschichte und Politischen Wissenschaft, Promotion in Bochum, Habilitation in Jena. Seit 2017 Direktorin des Fritz Bauer Instituts und Inhaberin des Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Kleine Reihe zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Band 2
Göttingen: Wallstein Verlag, 2022
82 Seiten, 12 Abb., Klappenbroschur
ISBN 978-3-8353-5077-9
Preis: 14.9 Euro
https://www.fritz-bauer-institut.de/
... zur strafrechtlichen Verfolgung der nationalsozialistischen Verbrechen
Interview mit Andreas Brendel, Oberstaatsanwalt Dortmund
von: Andreas Brendel
Die juristische Ahndung von Tätern und Täterinnen nationalsozialistischer Verbrechen ist nachwievor nicht abgeschlossen. Wie diese, fast 75 Jahre nach den Taten, abläuft, erklärt Andreas Brendel.
Inhalt
Neben der sogenannten Zentralen Stelle in Ludwigsburg, die als Vorermittlungsbehörde Staatsanwaltschaften bei der Ermittlung gegen NS-Täter und -Täterinnen zuarbeitet, wurde in NRW eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Dortmund gegründet. Für diese ist Oberstaatsanwalt Andreas Brendel tätig. Er erklärt, dass neben der moralischen Pflicht, nationalsozialistische Verbrechen auch heute noch zu verfolgen, auch das Prinzip gelte, dass Mord nicht verjährt.
Mehr Informationen
Film, Schnitt und Postproduktion: cine plus Production Service GmbH
Produktion: Bundeszentrale für politische Bildung
Spieldauer: 6 Min.
hrsg. von: Bundeszentrale für politische Bildung
https://www.bpb.de/
Siehe Inhalt dieser Kategorie "NS-Verfahren und Prozesse" :
- NS-Verfahren nach 1945 >>>
- NS-Prozesse in Mosbach und Baden >>>
- Nazi-KZ Auschwitz-Verfahren und Prozesse >>>
- Nazi-KZ Buchenwald-Verfahren und Prozesse >>>
- KZ Bergen-Belsen-Verfahren und Prozesse >>>
- KZ Dachau-Verfahren und Prozesse >>>
- Nazi-KZ Mauthausen-Verfahren und -Prozesse >>>
- KZ Neuengamme-Verfahren und Prozesse >>>
- Rastatter Prozesse zu NS-Verbrechen >>>
- KZ Ravensbrück-Verfahren und Prozesse >>>
- Nazi-KZ Sachsenhausen-Verfahren und -Prozesse >>>
- Nazi-KZ Stutthof-Verfahren und -Prozesse >>>
- Nazi-Ärzte und Mediziner-Prozesse >>>
- Nazi-Juristen Prozesse und Verfahren >>>
- Nürnberger-NS-Kriegsverbrecher-Prozesse >>>
Seiteninhalt:
- NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
- YouTube-Videos zu NS-Verfahren und Prozessen
- Podcasts zu NS-Verfahren und Prozessen
- Statistiken und Online-Artikel zu NS-Verfahren und Prozessen
4.1 Statistiken zu NS-Verfahren und Prozessen
4.2 Online-Artikel zu NS-Verfahren und Prozessen - Stellungnahme der vom Amtsgericht Mosbach beauftragten forensischen Sachverständigen aus Kitzingen zu NS-Verfahren und Kriegsverbrecher-Prozessen
5.1 Beantragte Stellungnahmen bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zu den historischen sowie zu den aktuellen NS-Prozessen des 21. Jahrhunderts, an denen sich auch der zu begutachtende Antragssteller von NS-Verfahren beteiligt
5.1.1 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zur erinnerungspolitischen Debatte in der Öffentlichkeit sowie im Fachdiskurs um Versäumnis, Versagen, Zurückhaltung, Vernachlässigung, Verzögerung, Untätigkeit, Strafvereitelung im Amt seitens der BRD-Justiz im Umgang mit NS-Verbrechen
5.1.2 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zu Aktuellen Stellenausschreibungen in der Kontinuität und zum Ausblick in der Nazi-Jagd für die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen
5.1.4 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zur Debatte um den Konkreten "Einzeltatnachweis" als Verurteilungsgrundlage in der Beihilfe zum Mord bei NS- und Kriegsverbrechen
5.1.5 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zur Debatte um den angeblichen "Befehlsnotstand" als Legitimationsversuch von NS- und Kriegsverbrechen
Tatort Sachsenhausen: Strafverfolgung von KZ-Verbrechen in der Bundesrepublik Deutschland (Reihe Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) Taschenbuch – 1. März 2019
Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurden in den Konzentrationslagern zahllose staatlich legitimierte Gewaltverbrechen an Menschen verübt. Allein im KZ Sachsenhausen kamen mehrere Zehntausend ums Leben. Die Studie beleuchtet am Beispiel des Tatorts Sachsenhausen die strafrechtliche Verfolgung von KZ-Verbrechen in den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1946 und 1996. Sie befasst sich mit den Beschuldigten, Tatvorwürfen und Einstellungsgründen und gibt detaillierte Einblicke in die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaften und die Urteilspraxis der Gerichte. Dabei werden gesellschaftliche, politische und rechtliche Faktoren aufgezeigt, die die Strafverfolgung hemmten und beförderten.
1. NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
Amtsgericht Mosbach | NS- und Rechtsextremismus-Verfahren bei der Mosbacher Justiz: |
Das Amtsgericht Mosbach hat jedoch seit dem 03.06.2022 eine gemäß § 158 StPO ordnungsgemäße Eingangsbestätigung mit den Benennungen der Konkreten Eingabedaten, der Konkreten Sachverhaltsbenennungen mit einer kurzen Zusammenfassung der Angaben zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat bisher ausdrücklich und explizit versagt und NICHT ausgestellt. Auch für die beim Amtsgericht Mosbach beantragten Wiederaufnahmeverfahren und gerichtlichen Prüfungen in NS- und Rechtsextremismus-Angelegenheiten verweigert das Amtsgericht Mosbach ordnungsgemäße Eingangs- und Weiterbearbeitungsbestätigungen mit konkreten Sachverhaltsbenennungen. Siehe dazu auch Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS- und Rechtsextremismusverfahren >>>
"Aktion 1005" - Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942 - 1945: Eine "geheime Reichssache" im Spannungsfeld von Kriegswende und Propaganda
Die Rekonstruktion einer gigantischen Vertuschungsaktion. Hinter der Tarnbezeichnung "Aktion 1005" verbirgt sich einer der ungeheuerlichsten und geheimsten Vorgänge des "Dritten Reichs": Im Jahr 1942 gab die oberste Führung an das "Reichssicherheitshauptamt" die Order aus, sämtliche Massengräber im deutsch besetzten Europa unkenntlich zu machen. Der Auftrag lautete, die Mordstätten zu finden, die Leichen auszugraben, zu verbrennen und das Gelände zu tarnen. Die eigentliche Arbeit wurde Juden aus den Ghettos, Kriegsgefangenen und Gefängnisinsassen aufgezwungen. Ebenso wurde versucht, alle verfänglichen Schriftunterlagen und sonstigen Informationen zu vernichten, die den Völkermord an den europäischen Juden, die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen, die Vernichtung der Roma und die Hinrichtungen polnischer Nationalisten dokumentiert hätten. Als Ergebnis jahrelanger Forschung ist es Andrej Angrick gelungen, den Umfang der Vertuschungsaktionen so weit wie möglich zu rekonstruieren sowie Täter und beteiligte Einheiten zu benennen. Nicht zuletzt macht sich der Autor dabei zum Ziel, den wenigen überlebenden Zeugen Gehör zu verschaffen. Ihre Aussagen und Memoiren standen und stehen den Verdrängungs- und Vertuschungsbestrebungen der Täter und späterer Holocaustleugner gegenüber.
1.1 Gerichtlich verfügte Beauftragung der forensischen Sachverständigen aus Kitzingen durch das Amtsgericht Mosbach bezüglich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anti-Nazi-Aktivitäten des Antragstellers
In der Verfügung des Amtsgerichts Mosbach unter 6F 9/22 vom 17.08.2022, teilt das Amtsgericht Mosbach die Rechtsauffassung mit, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten, was SOWOHL entgegen der Rechtsaufassung des baden-württembergischen Justizministeriums unter JUMRIX-E-1402-41/878/4 vom 20.06.2022, dass heute und noch künftig NS-Verbrechen von der Justiz verfolgt würden, ALS AUCH entgegen der Rechtsauffassung u.a. des Urteils vom 28.06.2022 beim Landgericht Neuruppin mit der Verurteilung eines 101-jährigen KZ-Wachmannes wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 3.500 Fällen steht.
Das Amtsgericht Mosbach erklärt, die vom Antragsteller initiierten Verfahren zur Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen nicht bearbeiten, sondern laut Verfügungs-Mitteilung vom 17.08.2022 unter 6F 9/22 getrennt von der Akte lediglich in einem Sonderband anlegen zu wollen.
Das AG MOS äußert sich weiterhin auch in 6F 2/22 in und nach der Verhandlung vom 22.11.22 NICHT zu den beim AG MOS erhobenen konkreten Dienstaufsichtsbeschwerden und Anhörungsrügen u.a. gegen wiederholt nicht-ordnungsgemäße Bearbeitungen von konkreten Eingaben des Antragstellers zur Aufklärung und Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und von Nationalsozialistischen Verbrechen seitens des Amtsgericht Mosbach unter 6F 9/22 entgegen der geltenden Strafprozessordnung § 158 StPO. Siehe dazu auch u.a. KV-RA-Eingabe vom 22.06.22 unter 6F 2/22.
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die Anti-Nazi-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU DEN NAZI-VERBRECHER-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach in 2022 mit seinen fast zwanzig Jahre langen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU DEN JURISTISCHEN NS-VERFAHREN ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG INKLUSIVE DER ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ, d.h. sowohl zu den seit 1945 bis heute im 21. Jahrhundert geführten NS-Prozessen als auch zu den in 2022 noch laufenden NS-Prozessen und zu den künftigen NS-Prozessen, an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU sogenannten NAZI-JÄGER-AKTIVITÄTEN MIT NS-PROZESSEN, VERURTEILUNGEN VON NS-TÄTER*INNEN, auch zu NS-Prozessen im 21. Jahrhundert, d.h. auch in 2022 laufenden und noch künftigen NS-Prozessen, etc. IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu auch Kapitel 5 auf dieser Seite.
Zum Tode verurteilte NS-Kriegsverbrecher und ihre Gnadengesuche im Wortlaut: Dokumentation - Band 1
Zum Tode verurteilte NS-Kriegsverbrecher und ihre GNADENGESUCHE im Wortlaut. Die Gnadengesuche der Gnadenlosen: Nach Verkündung ihrer Todesurteile reichten zahlreiche NS-Kriegsverbrecher eines ein und hofften so, dem Strang doch noch entgehen zu können. Eigenhändig verfasst, oder von Familienmitgliedern oder ihren Verteidigern formuliert und eingereicht - manche sind im Wortlaut bereits dokumentiert, viele bislang noch in den Archiven in Vergessenheit geraten oder verschollen. Im Rahmen dieser Dokumentation erfolgt die systematische, und noch lange nicht abgeschlossene Recherche nach diesen Dokumenten. Band 1 startet mit einer Reihe von ausgewählten Gnadengesuchen der bekanntesten NS-Kriegsverbrecher. Erfahren Sie außerdem alles über die Spurensuche nach den verschollenen Gnadengesuchen aus dem ersten Bergen-Belsen-Prozess von 1945, und lesen Sie die vor Gericht vorgetragenen Milderungsgründe im Wortlaut für die zum Tode verurteilte "Belsen-Gang."
Siehe dazu:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS-Verfahren >>>
- Petition beim Landtag von Baden-Württemberg zur Aufarbeitung von NS-Unrecht >>>
- Frühere außergerichtliche NS-Aufarbeitungen des Antragstellers 2005 bis 2011 sowie seit 2022 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen des Antragstellers 2004 bis 2010 sowie seit 2022 >>>
- Nazi-Jäger und ihre Aktivitäten >>>
- Sachverständige und Gutacher aus Kitzingen im Verhältnis zum Nationalsozialismus >>>
Justiz und Judenverfolgung / NS-Verbrechen vor Gericht 1945-1955 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen)
2. YouTube-Videos zu NS-Verfahren und Prozessen
50 Jahre keine Strafverfolgung zu Auschwitz - warum erst jetzt wieder ?
UniversitaetzuKoeln
Der Vortrag wird gehalten von Prof. Dr. Cornelius Nestler, der sich sowohl als Nebenklägervertreter als auch wissenschaftlich seit Jahren mit der Verfolgung von NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz befasst. Er stellt dabei eine neue, differenziertere Sichtweise vor.
TOPOGRAPHY OF TERROR
Fritz Bauer und der Umgang mit der NS-Vergangenheit
Topographie des Terrors
Dienstag, 13. Juli 2021 19:00 Uhr
Fritz Bauer und der Umgang mit der NS-Vergangenheit
Vorträge: Prof. Dr. Lena Foljanty, Wien, und Dr. David Johst, Halle
Lesung: Daria Lik und Marlon Frank, Schauspielstudierende an der Universität der Künste Berlin
Moderation: Dr. Stephanie Bohra, Berlin
11.06.2021 - Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht. Ein Ausstellungsrundgang
Topographie des Terrors
Eine Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt, präsentiert im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors (Berlin).
Ein filmischer Rundgang durch die Ausstellung mit einer Kommentierung durch die Kuratorin Dr. Monika Boll.
Juristische Aufarbeitung der NS -Verbrechen in der Bundesrepublik
Justiz NRW
Ein Beitrag von Karl-Heinz Keldungs, VorsRiOLG a.D. im Rahmen des Symposiums "Justiz und Nationalsozialismus".
Diener des Rechts und der Vernichtung. Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz von 1941
Topographie des Terrors
Dienstag, 31. August 2021 19:00 Uhr
Diener des Rechts und der Vernichtung. Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz von 1941, oder: Die Justiz gegen Fritz Bauer
Vortrag: Christoph Schneider, Frankfurt/M.
Moderation: PD Dr. Tobias Freimüller, Frankfurt/M.
Uralte SS-Massenmörder vor Gericht – 3 Fälle
Lars Eric Paulsen
Der 93 Jahre alte Oskar Gröning steht vor Gericht. Es geht um Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen. Ich stelle euch heute zwei weitere greise Naziverbrecher der SS vor, die sich Jahrzehnte nach Kriegsende behaupten mussten. Mit teils tödlichem Ausgang. SRSLY abonnieren: http://bit.ly/1hLoZ5D
Doku - KZ SS-Wachmänner - Hitlers letzte Mordgehilfen
05.09.2018, 20:15 Uhr
Die späte Suche nach KZ-Tätern | 3sat
Nur wenige, die in den KZ Aufseher waren, sind heute noch am Leben und können vor Gericht gebracht werden. Der Film zeigt Staatsanwälte und Kriminalbeamte bei Ermittlungen mit Hochdruck. Sie erzählen, wie sie vorgehen und was sie motiviert, heute in Archiven und an historischen Tatorten auf Tätersuche zu gehen. Auch geben sie Einblick in die kriminalistischen Methoden, mit denen die Täter der Beteiligung am hundertfachen Mord überführt werden sollen.
Es ist ihre letzte Chance, NS-Verbrecher hinter Gitter zu bringen: Bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg und bei der Staatsanwaltschaft Dortmund laufen die Ermittlungen gegen die letzten lebenden Nazi-Verbrecher auf Hochtouren. Nur noch wenige, die in den KZ Aufseher waren, sind heute noch am Leben und können vor Gericht gebracht werden.
Angeschoben wurde der Endspurt der Ermittler durch einen historischen Wendepunkt in der deutschen Rechtsprechung: In den Verfahren gegen Iwan Demjanjuk und Oskar Gröning (2011 und 2016) wurden zum ersten Mal in der jüngeren Rechtsgeschichte SS-Wachmänner verurteilt, obwohl sie selbst nicht gemordet hatten. Durch ihren Wachdienst waren sie jedoch Teil des Vernichtungssystems und hatten somit das massenhafte Töten von KZ-Häftlingen ermöglicht.
Deshalb nehmen sich jetzt die Ermittler ein Konzentrationslager nach dem anderen vor. Und tatsächlich machen sie immer noch KZ-Wachmänner ausfindig, nach denen vor der neuen Rechtsprechung schlicht nicht gesucht wurde. Über all die Jahrzehnte lebten diese unbehelligt in Deutschland - bis jetzt.
Im Mittelpunkt des Films stehen die Ermittler: Staatsanwälte und Kriminalbeamte erzählen ganz persönlich, wie sie vorgehen und was sie motiviert, heute in Archiven und an historischen Tatorten auf Tätersuche zu gehen. Sie nehmen die Autoren mit auf ihre Spurensuche und geben ihnen Einblick in die kriminalistischen Methoden, mit denen die Täter der Beteiligung am hundertfachen Mord überführt werden sollen.
Die Filmemacher begleiten die Staatsanwälte und Kriminalbeamten bei ihren aktuellen Ermittlungen gegen zwei ehemalige SS-Wachmänner des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig und auf ihrer Suche nach weiteren Tätern. Gerade weil die Taten mehr als 70 Jahren zurückliegen, ist das für die Ermittler ein ständiger Wettlauf gegen die Zeit - die verbleibende Lebenszeit der mutmaßlichen Täter.
Doch es geht auch um die Überlebenden des Holocaust und die Angehörigen der Ermordeten. In Israel begleitet der Film einen deutschen Rechtsanwalt, der für die anstehenden Stutthof-Verfahren in sehr persönlichen Gesprächen Überlebende des KZ als Nebenkläger gewinnt. Ihre Sicht ist wichtig und auch die des deutschen Anwalts: Jahrelang hat er selbst als Staatsanwalt in der Zentralen Stelle in Ludwigsburg gearbeitet und dabei auch die Schwächen und Fehler der bisherigen deutschen NS-Strafverfolgung kennengelernt.
Film von Christian H. Schulz und Jana Lange
https://programm.ard.de/
20.03.2021 - Former Nazi interpreter living in Canada tries to stop deportation proceedings
CBC News: The National
Jewish residents of Rostov-on-Don in southern Russia are outraged that the former Nazi interpreter whose unit almost wiped out their community is 'living a quiet life' in Canada. WARNING: Some of the images in this story may be disturbing to some viewers.
https://www.youtube.com/watch?v=BCclaNM3EM4
19.03.2021 - Ex-Nazi interpreter fights deportation
CBC News
Helmut Oberlander was a translator for a Nazi death squad in the Second World War. His lawyer has filed a motion to permanently stop hearings into his deportation from Canada.
https://www.youtube.com/watch?v=qn94SEeVQbM
21.08.2018 - Trump deports last Nazi war criminal in US back to Germany
ABC News
Authorities say the 95-year-old who came to America in 1949 hid his past as an armed guard in a brutal Nazi prison camp and was stripped of his citizenship years ago.^
https://www.youtube.com/watch?v=nW8sC9JA2Is
06.12.2018 - Rudolf Hess: The Last Prisoner of Spandau
Mark Felton Productions
Rudolf Hess, the last prisoner in Spandau, Berlin, died in 1987. He had been confined inside since 1947 with six other Nuremberg defendants, but by 1966 he was the last one left in a prison designed for 600. Find out how he ended up in Spandau, how he was guarded by the armed forces of four nations, how he lived and his ultimate fate, along with the fate of the building itself.
https://www.youtube.com/watch?v=t9lM-aaCHJU
21.08.2018 - Ehemaliger KZ-Wächter nach Deutschland abgeschoben
BILD
Muss er sich jetzt doch für seine Verbrechen verantworten?
Die USA haben nach BILD-Informationen den ehemaligen KZ-Wächter Jakiv Palij (95) nach Deutschland abgeschoben. Das Flugzeug war am Montagabend um 22.13 Uhr (Ortszeit) vom Flughafen Teterboro (New Jersey) gestartet.
Über Gander – der Flughafen auf der kanadischen Insel Neufundland wird häufig zum Auftanken genutzt – flog die Maschine vom Typ Gulfstream III nach Düsseldorf, wo sie am Dienstagmorgen landete.
https://www.youtube.com/watch?v=7IBfNgIQo-Y
21.07.2015 - Former SS officer sentenced in World War II massacre case
AP Archive
Ending one of Germany's last trials for Nazi crimes, former SS officer Friedrich Engel was convicted on Friday of 59 counts of murder for a "cruel and illegal" World War II massacre of Italian prisoners, and sentenced to seven years in prison.
But the court said he won't have to serve out his sentence due to his age.
Engel, 93, denied the charges and blamed Nazi naval officers for carrying out the shootings in May 1944 at a mountain pass outside Genoa, Italy.
Prosecutors sought life in prison but the Hamburg state court issued a lesser sentence, given "exceptional circumstances" created by the long interval since the crimes.
The court rejected Engel's argument that naval personnel who guarded the transport from Genoa's Marassi jail bore the main responsibility, noting that Engel was the highest-ranking officer present.
The court based its findings on witness accounts, including those of several former German military officers, and historical records presented during the trial, which opened on 7 May 2002.
The shootings at the Turchino Pass were in retaliation for an attack on a movie theatre that killed five German soldiers during Italian partisans' fight to drive Nazi occupying forces out of the country.
Prosecutors described the killings as particularly cruel, saying the Italian captives were bound in pairs and forced to walk onto a plank over an open grave where they were shot.
At the time, Engel headed the Genoa branch of an SS intelligence unit charged with tracking enemies of the Nazis.
He testified he approved the list of prisoners from Genoa's Marassi jail to be shot and was present during the killings, but did not order the massacre or shoot anyone himself.
That argument, however, also was rejected.
https://www.youtube.com/watch?v=qPpyiMDuN7k
19.02.2019 - SS-Mann Karl M. – Soll man ihn in Ruhe lassen?
STRG_F
Update 30.09.2019:
Hallo, hier ein kurzes Update zu dem Thema:
Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat Anfang Juli 2019 Anklage gegen Karl M. erhoben, wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Volksverhetzung.
Kurz bevor das Landgericht Hildesheim über die Zulassung der Anklage entscheiden wollte, also über die Frage, ob es zu einem Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann kommen soll, ist Karl M. verstorben. Am 20. September 2019 berichteten zunächst einige rechtsextremistische Seiten über den Tod des 96-Jährigen. Tags darauf bestätigte die Staatsanwaltschaft Hildesheim den Tod von Karl M..
Ein Sprecher des Landgerichts Hildesheim teilte mit, dass das Verfahren gegen M. nun eingestellt werde. Mehr als ein Dutzend Nebenkläger, insbesondere Hinterbliebene der Opfer des Massakers von Ascq aus Frankreich, hatten angekündigt, zu einem Prozess anreisen zu wollen.
https://www.youtube.com/watch?v=TLYAZJfhFFE
10.07.2016 - Vor 20 Jahren: Erich Priebke vor Gericht | SPIEGEL TV
DER SPIEGEL
Kurz vor seiner Auslieferung nach Italien erklärte der ehemalige SS-Mann Erich Priebke, die italienische Justiz sei viel zu wirr, um ein ordentliches Verfahren einzuleiten. Ein Irrtum, den er nach fünf Wochen Prozessdauer in Rom eingesehen hat. An anderen Fehleinschätzungen hielt er auch 51 Jahre nach Kriegsende weiter fest. 1996 war er noch immer der Meinung, dass die Erschießung von 335 Menschen ein - wie er sagte - legitimer Akt gewesen sei und dass ihn als Befehlsempfänger daran keine Schuld träfe.
https://www.youtube.com/watch?v=6DuXUbNnKAE
05.06.2012 - Der Charkow-Prozeß (3/3) - Deutsche vor einem sowjetischen Militärgericht
CHRONOS-MEDIA History
Dokumentation über einen russischen Prozeß gegen deutsche Kriegsverbrecher in Charkow. In der Sowjetunion wurden seit 1941 Rechtsgrundlagen zur Strafverfolgung von NS-Tätern geschaffen. Am 2. November 1942 wurde dazu die Außerordentliche Staatskommission zur Untersuchung der Verbrechen der deutsch-faschistischen Besatzer gegründet. NS-Prozesse wurden in der SU nach dem Militärstrafrecht der Einzelrepubliken durchgeführt. Der Kriegsverbrecher-Erlass vom 19. April 1943 definierte dazu die Strafmaße genauer. Im Juli 1943 fand in Krasnodar auf dieser Basis der erste NS-Prozess überhaupt statt.
Im Dezember 1943 fand in Charkow ein Prozess gegen drei deutsche und einen sowjetischen Angeklagten. Fast alle Angeklagten beider propagandistisch begleiteten Prozesse wurden zum Tod verurteilt.
Erschießungen von Frauen, Wilhelm Langheld, drakonische Maßnahmen, Ortskommandantur, Partisanen, Schauprozess, deutsche Verbrechen, Jürgen Röhle, Gefangenschaft, Katyn, Kriegsverbrecher, Präparierung, erzwungene Aussagen, Geständnisse, Okkupation, faschistisch, Befreiung, Kollaborateure, Verwüstung, verbrannte Erde, Raubzug, Heinisch, Gestapo, SD, Liquidation, Dunajew, Verhaftungen, Kolonisierung, Folterungen, Tod durch Erhängen, öffentliche Hinrichtung, Todesstrafe, Urteilsverkündung, Todesurteile, Abrechnung, Galgen, Jost von Morr, Cella Girardet,
https://www.youtube.com/watch?v=ysL-t9IfngE
31.03.2021 - Kurz vor der Befreiung. Die Massenerschießungen in Dortmund 1945
Im März und April 1945 - kurz vor der Befreiung - erschoss die Dortmunder Gestapo in der Bittermark und im Rombergpark über 200 Menschen. Die meisten von ihnen waren Zwangsarbeiter*innen aus Osteuropa. Die Massenmorde stellten das schwerste lokale NS-Verbrechen dar. Die Beschäftigung damit und die Erinnerung daran gilt es auch in Zukunft fortzuführen.
https://www.youtube.com/watch?v=8Kb03HkAYgM
25.08.2021 - Nazi-Ministerialbeamte vor Gericht - Das Schlimmste verhindern? Dokumentarfilm, 1982
Deutsche Fernsehgeschichte
Dem Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher folgte eine Reihe wichtiger Nachfolgeprozesse der Alliierten gegen Personen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, die das nationalsozialistische Regime unterstützt haben oder unterstützt haben sollen. Die Ministerialbeamten der Wilhelmstraße verteidigten sich damit, dass ihre Dienstanweisungen dazu dienen sollten, das Schlimmste zu verhindern. Im Gefängnistrakt in Nürnberg warteten auf ihren Prozess Ernst von Weizsaecker, Steengracht von Moyland, Ernst-Wilhelm Bohle, Otto Meisner, Hans-Heinrich Lammers, Richard W. Darré, Graf Schwerin von Krosigk, Otto Dietrich, Gottlieb Berger und Walter Schellenberg. Darüber spricht Carl Friedrich von Weizsäcker in diesem Film.
Wir zeigen den Film mit freundlicher Genehmigung von Chronos Media: https://www.youtube.com/user/chronosh...
Originaltitel: Ministerialbeamte im Dritten Reich - Das Schlimmste verhindern?
© 1982, Lizenz Chronos Media
https://www.youtube.com/watch?v=B3qkAPhIb_A
Siegerjustiz: Die KZ-Prozesse der alliierten Besatzungsmächte 1945-50 Taschenbuch
Der Autor analysiert die britischen, sowjetischen, französischen und US-Prozesse um deutsche Konzentrationslager. Sein Resümee: Niemand brauche sich heute über Abu Ghraib und Guantanamo zu wundern, denn 1945 begann eine Form von Regierungskriminalität, die in den folgenden Jahrzehnten immer neue Facetten annahm.
3. Podcasts zu NS-Verfahren und Prozessen
SWR-PODCAST
Mit 100 vor Gericht - Naziverbrechen verjähren nicht
Die Justizreporter*innen · 07.10.2021 · 44 Min.
Beihilfe zum Mord in über 3.000 Fällen - so lautet der Vorwurf gegen einen über 100-jährigen ehemaligen KZ-Wachmann. Gerade erst war Prozessauftakt in Neuruppin. Auch der Prozess gegen eine 96-jährige Schreibkraft im damaligen KZ Stutthoff wird Mitte Oktober fortgeführt und damit fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Warum werden NS-Verbrecher*innen teilweise erst jetzt zur Verantwortung gezogen? Wie kann man den Beschuldigten heute noch die Beihilfe zu tausenden von Morden nachweisen? Und wie hoch sind die Hürden für eine Verurteilung? Darüber sprechen die Justizreporter Michael-Matthias Nordhardt und Frank Bräutigam mit Thomas Will. Er leitet die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Neben den beiden Angeklagten hat die Zentrale Stelle acht Verfahren mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher an die Staatsanwaltschaften abgegeben. In sieben weiteren Fällen wird noch ermittelt.
https://www.ardaudiothek.de/
rbbKultur
Die "Wannsee-Konferenz" - 80 Jahre später (3/3): Die letzten NS-Prozesse
Der Zweite Gedanke · 27.01.2022 · 72 Min.
Die Debatte mit Natascha Freundel, Ronen Steinke und Thomas Walther
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"Die Mühlen der Justiz mahlten Jahrzehnte in die verkehrte Richtung oder unter Umständen gar nicht." Thomas Walther
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Noch können sie juristisch befragt und mit den Erinnerungen der Überlebenden und Opferfamilien konfrontiert werden: etwa die 96-jährige Irmgard F., die Sekretärin des Kommandanten im KZ Stutthof war und nun in Itzehoe vor Gericht steht, oder der 101-jährige Josef S., der Wachmann im KZ Sachsenhausen war und sich derzeit vor dem Landgericht Neuruppin verantworten muss. Wofür stehen diese absehbar letzten Verfahren gegen NS-Täter? Versucht die deutsche Justiz, jahrzehntelange Versäumnisse wettzumachen? Welche neuen Erkenntnisse gewinnen wir aus diesen Gerichtsprozessen, und müssen die ganz Alten nachsichtiger behandelt werden?
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Im zweiten Teil unserer Reihe sprechen die Juristen Thomas Walther und Ronen Steinke über die aktuellen Prozesse und die jahrelange, auch juristische Vertuschung und Verdrängung der nationalsozialistischen Massenmorde. Die wichtigsten Etappen der juristischen Aufarbeitung sind ebenso Thema wie das "Feigenblatt" (Thomas Walther) der "Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen" in Ludwigsburg.
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Ronen Steinke, 1983 in Bayern geboren, ist promovierter Jurist, Autor und Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“. Von ihm stammt die Biografie "Fritz Bauer, oder: Auschwitz vor Gericht" (Piper, 2013) über die Geschichte des jüdischen Generalstaatsanwalts, der in den 1960er-Jahren den großen Frankfurter Auschwitz-Prozess initiierte. 2020 erschien seine Streitschrift "Terror gegen Juden: Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt", in der Ronen Steinke auch sein eigenes Aufwachsen in der jüdischen Gemeinde hinter hohen Zäunen und Wachleuten thematisiert.
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Thomas Walther, Jahrgang1943, ist Rechtsanwalt. Er war Richter und Staatsanwalt in Bayern. 2006 wechselte er zur "Zentralen Stelle" in Ludwigsburg, wo er maßgeblich am Erfolg des Strafverfahrens gegen John Demjanjuk von 2009 bis 2011 in München beigetragen hat. Auch nach seiner Pensionierung setzt Walther seinen Einsatz auf der Suche nach später Gerechtigkeit für die Opfer und für die Bestrafung noch lebender NS-Täter fort: als Anwalt von Opferfamilien sowie mit Recherchen zu möglichen Zeugen der Mordaktionen in den Konzentrationslagern.
Siehe auch : Nazi-Jäger und ihre Aktivitäten >>>
In den Prozessen gegen die früheren SS-Männer Oskar Gröning am Landgericht Lüneburg 2015 und Reinhold Hanning 2016 in Detmold vertrat er jeweils mehr als 30 Nebenkläger. Derzeit vertritt er zahlreiche Nebenkläger in einem Verfahren gegen Imgard F., die Chefsekretärin des Lagerkommandanten des KZ Stutthof, und in einem weiteren Prozess gegen Josef S., einen Wachmann der SS im KZ Sachsenhausen bei Berlin.
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Schreiben Sie uns Ihre Gedanken, Anregungen, Kritik direkt an: derzweitegedanke@rbbkultur.de
KZ-Verbrechen vor deutschen Gerichten. [Bd. 1]. Dokumente aus den Prozessen gegen Sommer (KZ Buchenwald), Sorge, Schubert (KZ Sachsenhausen), Unkelbach (Ghetto in Czenstochau)
Die letzten NS-Prozesse in Deutschland
Von später Aufarbeitung und schlafender Justiz
In Brandenburg läuft ein Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen. Die Nebenkläger wollen keine Rache, wichtig sind ihnen Aufarbeitung und ein Urteil. Durch frühere Strafverfolgung hätte die deutsche Justiz ein stärkeres Zeichen setzen können.
Von Christoph Richter | 06.01.2022
https://www.deutschlandfunk.de/
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Das Erbe von Fritz Bauer: Öffentliche Wahrnehmung justizieller „Vergangenheitsbewältigung“ (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Geschichtswissenschaft) Taschenbuch – 29. April 2022
Fritz Bauer setzte sich besonders in den 1950er und 1960er Jahren gegen die anhaltenden Verdrängungsmechanismen und Amnestiebestrebungen der deutschen Gesellschaft ein. Dass Bauer in den letzten Jahren zu einer regelrechten Kultfigur geworden ist, wäre ihm selbst wohl kaum eingefallen. Auch wäre dies dem Juristen und Strafverfolger wohl nur in dem Sinne recht gewesen, als es seinem intensiven persönlichen Engagement für eine juristische Aufarbeitung wie öffentliche Aufklärung der NS-Vergangenheit gedient hätte. In der vorliegenden Arbeit sollen die zeitgenössischen Debatten, die heutige Rezeption Bauers sowie sein Wirken untersucht werden, um den mittlerweile gebildeten „Fritz Bauer-Boom“ sukzessive zu begreifen und zu dekonstruieren.
4.1 Statistiken und Online-Artikel zu NS-Verfahren und Prozessen
4.1 Statistiken zu NS-Verfahren und Prozessen
Anzahl der Personen, die zwischen 1945 und 2007 wegen NS-Verbrechen durch deutsche Gerichte¹ verurteilt wurden
Veröffentlicht von Statista Research Department, 01.04.2015
Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen begann bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Zwischen 1945 und 1949 wurden in den westlichen Besatzungszonen 4.419 Personen verurteilt. Bis jetzt ist die Aufarbeitung noch nicht vollends abgeschlossen, noch heute werden vereinzelt ehemalige NS-Verbrecher zur Rechenschaft gezogen.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1140427/umfrage/verurteilte-ns-verbrecher/
»Statistik über NS-Prozesse«
geschrieben von Thomas Willms und Paul Zimansky
21. November 2013
Die Geschichte einer Hintergrund-Publikation der VVN
Es wirkt zunächst wie eine persönliche Notiz. Ein weißes Blatt Papier beschrieben mit einem blauen Stift; die Überschrift: »Statistik über NS-Prozesse 1965«. Ein paar Blätter, auf denen handschriftlich Orte, Namen, Daten und Ergänzungen notiert wurden, befinden sich, geklammert und chronologisch geordnet, hinter dem weißen Deckblatt.
Ausgabe 1/1970
Ausgabe 1/1970
Ein Schema ist bereits zu erkennen: Links stehen die Prozessorte, in der Mitte die Namen der Angeklagten und rechts Notizen zur verbrecherischen Tätigkeit bzw. einem markanten Ort des Verbrechens oder eine Gruppenzugehörigkeit. »Sobibor«, »Gestapo« – Schlüsselbegriffe mit denen man sofort etwas verbinden kann. An den Blättern wurde immer wieder gearbeitet, denn man kann sehen, dass Ergänzungen sowie Datierungen mit Rot nachgetragen wurden.
»Statistik über NS-Prozesse 1967« lautet die nächste Überschrift. Es ist eine Auflistung von NS-Prozessen in der Bundesrepublik Deutschland aus den Jahren 1966 und 1967. Ein ähnliches Schema: Auf der linken Seite stehen die Prozessorte, gefolgt von detaillierten Datierungen, daneben markante Orte und Begriffe der Verbrechen und auf der rechten Seite die Anzahl der Beschuldigten. Es sind bereits Monatsberichte mit Tabellen, in denen fortlaufend Ergänzungen vorgenommen worden sind.
Ab November 1967 kam eine Schreibmaschine zum Einsatz. Ergänzungen wurden weiter per Hand eingetragen. Unterschiedliche Schriften und Schreib-utensilien lassen darauf schließen, dass mehrere beteiligt gewesen sein müssen.
1968 nahmen die Angaben zu. Beginnend mit dem Januar wurde ein Großteil der Fälle vom letzten Stand (Dezember 1967) übernommen. Von Monat zu Monat wurden per Hand Fälle hinzu gefügt, die im Nachhinein bekannt wurden. Einige wurden durchgestrichen und/oder abgehakt. Wichtig hierbei: ist ein Prozess beendet, wurde er im nächsten Monat nicht mehr aufgeschrieben.
Es wurde begonnen, die Beschuldigten aller immer noch laufenden Prozesse eines Monats zu zählen. Auffallend ist die Verwendung unterschiedlichsten Papiers.
Ab dem Monatsbericht Oktober 1968 werden die Angaben konkreter, wie beispielsweise: »Tötung v. 1400 Geisteskrank. aus den Heilanst. Stralsund, Trptow, Uckermünde u. Lauenburg, Kurt Eimann«
Man fragt sich mittlerweile: Wer waren eigentlich die Beschuldigten? Welche Funktionen hatten sie inne? Welche genauen Tatvorwürfe wurden ihnen gemacht?
In einem sechsblättrigen Dokument wird zum ersten Mal jeder noch offene Prozess mit zahlreichen Informationen versehen. Man findet im Wesentlichen folgende Punkte: Tatvorwürfe, ehemalige Funktionen/Positionen der Angeklagten, Tatzeitraum, Vorsitzende des Verfahrens und die Anklagevertreter.
Der Bericht für April’69 enthält mehrere Ausführungen der neuen und alten, noch nicht abgeschlossenen Prozesse. Es folgt das vorherige, ausführliche Dokument über die einzelnen, noch laufenden Prozesse (diesmal auf weißem Papier). Es werden dort Ergänzungen in roter Farbe vorgenommen. Vermehrt liest man »Freispruch« oder »Urteil am…«
Beispiele: »Zwei der vier Beschuldigten (Essig und Scheufele) sind am 21.05.1969 freigesprochen worden. Das Verfahren gegen Balhorn wurde bereits vor längerer Zeit wegen ›gesundheitlichen Gründen‹ vom Gericht abgetrennt. Das Verfahren gegen den Hauptschuldigen Wollschläger läuft noch.« Darunter steht: »Bochum: Das Verfahren endete am 8.5.1969 mit einem Freispruch für den Angeklagten Hauptmann der Wehrmacht, Helmut Streubel.«. »Berlin(W): Gegen 7 von insgesamt 9 Angeklagten im RSHA-Prozeß in Westberlin hat das Gericht wegen bereits eingetretener Verjährung, (§50, Abs. 2) das Verfahren eingestellt. (…)«
Bei einem weiteren Prozess in Hagen (Zweiter Revisionsprozess wegen Tötung von poln. Intell.) heisst es u.a.: »(…)Verfahren gegen den Angeklagten Franz Lampe »vorerst ausgesetzt.« (…)Auch dieses Gericht bezieht sich auf den Verjährungs-§ 50, Abs. 2.«
Eine letzte Information auf dem zweiten Blatt: »Zahl der anstelligen Verfahren im Monat Mai: 14«. »Zahl der Beschuldigten: 38«
Auf dem dritten Blatt stehen drei neue Fälle niedergeschrieben und eine interessante Information, die etwas über den Verteiler verrät. Die Statistik ging demnach an die Redaktionen der Wochenzeitung »die tat« (Frankfurt/M.), des »Widerstandskämpfers« (Wien), die »Stimme des Widerstands« (Frankfurt/M.), die Hlas Revoluce (Prag) und die Organisation ZBOWID (Warschau).
»Statistik über NS-Prozesse Juli 1969« – Dieser Bericht ist anders als alle vorherigen! Beginnend mit einem Inhaltsverzeichnis und einem Zwischenbericht über die Verurteilungen im Monat Juli: »Im Monat Juli waren 14 NS-Prozesse anhängig mit insgesamt 41 Angeklagten. 5 NS-Prozesse mit 12 Beschuldigten gingen im gleichen Monat zu Ende. Von den 12 Beschuldigten wurden verurteilt: 4 zu lebenslänglich, 3 zu Zuchthaus, 2 mit Freispruch, 1 wegen Erkrankung abgetrennt, 1 wegen Verjährung eingestellt und 1 Beschuldigter verstarb während des Prozesses«. Die Urheberschaft wird erstmals deutlich gemacht: Zusammengestellt: »Präsidium der VVN –Referat NS-Verbrechen« heißt es auf dem Deckblatt.
Verstörende Details werden genannt, so zum »Revisionsprozess KZ-Dautmergen, Beschuldigte: Beginn 25. Februar 1969 in Ulm«. Dort heisst es u.a.: »In einem Fall wurde mit einem Neugeborenen experimentiert, um herauszubekommen, wie lange ein Säugling ohne Nahrung am Leben bleibt.«
Verantwortlicher Redakteur Karl Sauer
Eine Zeugin erklärte auf die Frage, ob sie nach Deutschland fahren wolle um auszusagen: »Wenn, dann nur mit einer Atombombe. So, wie die Juden mit Stumpf und Stiel ausgerottet wurden, müssen auch die Deutschen ausgerottet werden.«
Ab August’69 wird unterschieden nach Revisionsverhandlungen, neuen Verfahren bis Ende 1969, voraussichtlichen Verfahren 1970 und eingestellten Verfahren – Anlagen kommen hinzu. Zahlreiche Eindrücke von den Prozessen, Schilderungen von Zeugen und Berichte über die zahlreichen Beschuldigten schlagen dem Leser auf den Magen.
Endlich, im Januar 1970, kommt ein Deckblatt hinzu. Oben links das Logo der VVN und die große Überschrift »Statistik über NS-Prozesse«, eingeschlossen von zwei großen braunen Balken. Als Herausgeber wird das Präsidium genannt und auch der Name des Verantwortlichen Karl Sauer.
Damit war eine Publikation entstanden, die sich ausschließlich der Beobachtung von NS-Prozessen in der Bundesrepublik Deutschland widmete. Sie erbrachte folgende Leistungen:
– eine umfangreiche Berichterstattung über laufende sowie neue Verfahren gegen ehemalige NS-Verbrecher
– Herstellung eines Überblick
– Verdeutlichung, teils bis ins Detail, welche Verbrechen begangen worden sind
Doch ist die »Statistik« überhaupt eine Zeitschrift gewesen? Sie hatte keinen Verkaufspreis und es gibt keine Abo-Informationen und erst ab 1982 eine ISSN-Nummer. Der Rechenschaftsbericht zum Bundeskongress 1975 weist auf die Intentionen der Herausgeber hin. 160 Exemplare würden monatlich versandt, so an Verfolgtenverbände im In- und Ausland sowie nahe stehende Zeitungen und Jugendorganisationen, Lagergemeinschaften, Institutionen, Archive und Bibliotheken sowie Fachschaften an Universitäten, Historiker aus Haifa und Warschau, Kriegsverbrecherkommissionen in Osteuropa und Juristen. Auffallend ist der internationale Zuschnitt. Ein großer Teil ging in 14 andere Staaten.
Dass es die »Statistik« gegeben hat, ist heute weitgehend unbekannt. Trotzdem findet man sie in wichtigen Bibliotheken der Welt.
Ausgabe 10-12/1984
Für diese wenigen Exemplare wurde ein unerhörter Rechercheaufwand betrieben, der umso höher zu bewerten ist, wenn man bedenkt, dass es weder Computer noch Internet gab. Was trieb die Autoren an? Man darf annehmen, dass die Statistik im Wesentlichen von Karl Sauer erstellt wurde. Sauer beschrieb sich selbst in einem Lebenslauf (Archiv der VVN-BdA Baden-Württemberg) als in Österreich geborenes Arbeiterkind. Er wuchs in der Tschechoslowakei auf und wurde früh in sozialdemokratischen Organisationen aktiv. 1937 trat er mit 21 Jahren in die Internationalen Brigaden ein, in denen er bis zum Ende des Bürgerkriegs kämpfte. Mit deren Auflösung begann sein langer Leidensweg durch französische Internierungslager und das KZ Sachsenhausen. Befreit wurde er auf dem Todesmarsch am 3. Mai bei Schwerin. Sauer schrieb in seinem Lebenslauf weniger über das KZ als über die – glückliche – Zeit in der SP-Kinderorganisation. Und doch kann man die Akribie seiner Arbeit, von der heute noch mehrere hundert Ordner zeugen, die die Grundlage für die »Statistik« boten, vor diesem Hintergrund besser verstehen. Die Täter kamen, selbst wenn sie vor Gericht kamen, weitgehend davon. Wenigstens das sollte dokumentiert werden. Wenigstens davon sollte berichtet werden und sei es nur im Ausland.
Verschiedene Zitate auf dem Deckblatt machen es deutlich. 1984 wurde Jean Améry zitiert: »Unversöhnlichkeit mit den Mördern, die vielleicht noch unter uns sind, und den anderen, die nur noch als scheußliche Erinnerungsbilder gespenstisch vor uns stehen, ist das höchste moralische Gebot, die einzig zulässige geschichtliche Meisterung dessen, was da der Wider-Mensch veranstaltete.«
Sauer erlebte im Januar 1977 noch das Erschienen seiner umfassende Dokumentation »Die Verbrechen der Waffen-SS«. Diese fand große Beachtung bei engagierten Rundfunk-, Presse und Fernsehjournalisten. Unter ihnen befanden sich z.B. Journalisten von BBC-London, dem Rundfunk der DDR aber auch von »Spiegel« und »Stern.«
Sauer starb 1977 und fortan zeichnete der Generalsekretär Hans Jennes verantwortlich. Die konkrete Arbeit wird vor allem von Helmut Stein fortgesetzt worden sein.
Die Statistik wurde mit gleicher Struktur von 1970 bis 1984 herausgegeben. Der Ausgabezyklus verlängert sich im Jahr 1984, am Ende des Jahres wurde sie kommentarlos eingestellt. In der eigenen Zählung war dies der 19. Jahrgang, die handschriftlichen Statistiken wurden also mitgezählt.
Gab es nichts mehr zu berichten? Spielten finanzielle und organisatorische Fragen eine Rolle?
Was bleibt, ist eine beachtliche Fülle von (Hinter-grund)Informationen, Dokumenten und Schilderungen der Verhandlungen und statistische Angaben. Wie weit dieser Hintergrunddienst die Justiz, Medienberichte und politisch Prozesse beeinflusst hat, muss die Wissenschaft noch erforschen. Das Bundesarchiv der VVN-BdA kann dafür genutzt werden.
https://antifa.vvn-bda.de/
4.2 Online-Artikel zu NS-Verfahren und Prozessen
Politik
Versagen Deutschlands kritisiert
Bundesregierung zahlt noch Opferrenten an Nazi-Täter
23.01.2025, 08:06 Uhr
Allein im Holocaust haben Deutsche rund sechs Millionen Juden getötet.
(Foto: IMAGO/Depositphotos)
1998 verabschiedet der Bundestag ein Gesetz: Wer Verbrechen gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" begangen hatte, dem soll die Rente verwehrt werden. Allerdings gibt es nach wie vor Nazitäter, für die das offenbar nicht gilt.
Die Bundesrepublik Deutschland zahlt 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Nazi-Tätern noch Kriegsopferrenten und andere Altersbezüge aus, obwohl ein Gesetz das eigentlich verhindern soll. Zu den Begünstigten zählen auch ehemalige SS-Männer, wie der "Stern" und die Internetplattform "Frag den Staat" berichten.
29.04.20
"Ich habe in die Hölle gesehen"
Die Todeslager der Nazis
Im Dezember 2023 erhielten demnach 7648 Beschädigte im Inland und 657 Beschädigte im Ausland eine Kriegsopferrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Sie kostet den deutschen Staat rund fünf Millionen Euro jährlich. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor, die dem "Stern" und "Frag den Staat" vorliegt. Nach Einschätzung von Experten wie dem Historiker und NS-Experten Stefan Klemp handelt es sich bei rund fünf Prozent aller Empfänger von Opferrenten um Kriegsverbrecher.
Dabei bekommen selbst ehemalige Soldaten der Waffen-SS im Ausland eine Kriegsopferrente. Der "Stern" erfuhr von mindestens vier eindeutig nachweisbaren Fällen. Die für die Kriegsopferrenten zuständigen Versorgungsämter bestätigten die Zahlungen.
Verbrechern sollte die Rente verwehrt werden
Der Bundestag hatte 1998 beschlossen, dass alle Rentenempfänger überprüft werden sollten. Wer Verbrechen gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" begangen hatte, dem sollte die Rente verwehrt werden. Klemp kritisierte das Gesetz als "Feigenblatt", da es in der Praxis nicht angewandt werde. Auch der frühere Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, sieht in den Renten an Nazi-Täter ein Versagen Deutschlands. "Niemand hat sich ernsthaft dafür interessiert, das zu beenden", kritisiert Beck im "Stern".
zdj157_CMYK.jpg Vertreibung der Juden aus Auschwitz, März/April 1941,
Panorama
19.01.25
"Hüter der Erinnerung"
Szymon Kluger - der letzte Jude in Auschwitz
Die Bundesregierung wollte die Ausgaben für diese Renten nicht beziffern. Ihr lägen keine Informationen hinsichtlich der Empfänger von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor, antwortet sie auf die Kleine Anfrage der Linken.
Der Linke-Bundestagsabgeordnete Jan Korte spricht von einer "faulen Ausrede". Dem "Stern" sagte er, "allen Bundesregierungen, egal welcher Couleur, fehlt - trotz Sonntagsreden und der ständigen Wiederholung der Lüge von der ach so großartiger Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus - seit Jahrzehnten komplett der politische Wille dagegen ernsthaft etwas zu unternehmen."
Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 80. Mal.
Quelle: ntv.de, ghö
https://www.n-tv.de/
Kategorie:Angeklagter in NS-Prozessen
Diese Kategorie listet die Angeklagten in NS-Prozessen auf, die an NS-Verbrechen beteiligt waren. Neben den Angeklagten in alliierten Kriegsverbrecherprozessen ab 1943 werden hier auch Angeklagte in nationalen Einzelprozessen ab 1945 aufgeführt. Wurde die Person verurteilt, sind sie anstatt hier in der entsprechenden Unterkategorie einzuordnen.
https://de.wikipedia.org/
Kategorie:Verurteilte Person (NS-Täter)
Kategorie:Verurteilte Person (NS-Kriegsverbrechen)
Diese Kategorie enthält Staatsangehörige des Deutschen Reiches, die wegen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg rechtskräftig verurteilt worden sind.
https://de.wikipedia.org/
Kategorie:Zum Tode verurteilte Person (NS-Täter)
Kategorie:Hingerichtete Person (NS-Täter)
In dieser Kategorie werden Personen gelistet, die als NS-Täter zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.
https://de.wikipedia.org/
Schreibtischtäter vor Gericht. Das Verfahren vor dem Münchner Landgericht wegen der Deportationen der niederländischen Juden (1959-1967): Das ... der niederländischen Juden (1959 - 1967) Gebundene Ausgabe – 23. Mai 2012
Im Zentrum der Untersuchung steht das Gerichtsverfahren gegen Wilhelm Harster vor dem Münchener Landgericht wegen Beihilfe zum Mord in 82.854 Fällen.Als Befehlshaber der Sicherheitspolizei in Den Haag war er maßgeblich mitverantwortlich für die Deportation eines Großteils der niederländischen Juden. Mitangeklagt waren Wilhelm Zoepf, der Leiter des Haager »Judenreferates«, sowie die dort angestellte Gertrud Slottke. Die Darstellung setzt die Biographien der Beschuldigten in den Zusammenhang von Gene-ration und Weltanschauung und fragt nach ihrer Verantwortung für die Deportationen. Dabei wird die zeitgenössische Forschungsperspektive der 1960er Jahre auch mit dem aktuellen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnishorizont abgeglichen. Resümierend stellt der Autor dieses erste Verfahren gegen einen sogenannten Schreibtischtäter in den Kontext der »Bewältigungsgeschichte« der jungen Bundesrepublik Deutschland
NS-Gewaltverbrechen, Täter und Strafverfolgung
Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg
1. Die Zentrale Stelle und ihre Aufgaben
2. Der Quellenwert für die NS-Forschung
3. Der Quellenwert für die Geschichte der NS-Prozesse
Zeithistorische Forschungen
Studies in Contemporary History
Archiv Heft 1-2/2007 Quellen
https://zeithistorische-forschungen.de/
NS-Gewaltverbrechen, Täter und Strafverfolgung
Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg
1. Die Zentrale Stelle und ihre Aufgaben
2. Der Quellenwert für die NS-Forschung
3. Der Quellenwert für die Geschichte der NS-Prozesse
Anmerkungen
1. Die Zentrale Stelle und ihre Aufgaben
Die Zentrale Stelle und die Bundesarchiv-Außenstelle sind in einem Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Gefängnisgebäude untergebracht. Das nebenstehende arkadengesäumte Gebäude von 1760 beherbergt eine ständige Ausstellung des Bundesarchivs über die Zentrale Stelle. (Foto: Bundesarchiv)
Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des „Dritten Reichs“ fahndet die deutsche Justiz noch immer nach einzelnen NS-Tätern. Für Hinweise zur Ergreifung des heute 93-jährigen Dr. Aribert Heim, der als SS-Lagerarzt im Konzentrationslager Mauthausen Häftlinge durch Herzinjektionen tötete, ist eine Belohnung von 130.000 Euro ausgesetzt.1 Dennoch wirft Efraim Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Center in Jerusalem und Initiator der „Operation Last Chance“, den deutschen Justizbehörden zögerliche Ermittlungen vor, „als wollten sie die hundertsten Geburtstage [der Täter] abwarten“.2 Über die Aussichten, einen NS-Täter verurteilen zu können, zeigten sich allerdings selbst engagierte Juristen vor dem Hintergrund der sich auftürmenden Beweisschwierigkeiten und der altersbedingten Verhandlungsunfähigkeit vieler Angeklagter schon Ende der 1970er-Jahre pessimistisch.3 So können die von großer medialer Aufmerksamkeit begleiteten Versuche, die Täter zur Verantwor-tung zu ziehen, nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen in wenigen Jahren unwiderruflich enden wird.
Der umfangreichste Archivbestand mit Unterlagen zur Strafverfolgung der NS-Täter, dem aufwändigsten Kapitel der jüngeren deutschen Rechtsgeschichte, ist in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg entstanden. Die etwa 70.000 Aktenbände werden seit dem Jahr 2000 durch eine Außenstelle des Bundesarchivs im Gebäude der Zentralen Stelle dauerhaft gesichert, archivisch erschlossen und Benutzern zugänglich gemacht. Der Beitrag stellt das Überlieferungsprofil dieses besonderen Archivbestandes vor. Das Material enthält ein doppeltes Erkenntnis- und Forschungspotenzial: erstens zu den Verbrechen während des „Dritten Reichs“, zweitens zu deren Strafverfolgung als wesentlicher Agenda des Umgangs der westdeutschen Nachkriegsdemokratie mit dem Nationalsozialismus.
Die Einrichtung der Zentralen Stelle als Sonderbehörde erfolgte aufgrund einer gemeinsamen Entschließung der Justizminister und -senatoren der Länder im Dezember 1958. Vorangegangen war eine Phase des weitgehenden Stillstandes der justiziellen Aufarbeitung der NS-Herrschaft. Doch seit Mitte der 1950er-Jahre sahen sich die bundesdeutschen Entscheidungsträger innen- wie außenpolitisch unter Druck gesetzt - durch Propagandakampagnen der DDR gegen das westdeutsche Rechtssystem und durch kritische internationale Medienberichte. Die Zentrale Stelle erhielt den Auftrag, nationalsozialistische Gewaltverbrechen (NSG)4 nach Ort, Zeit und mutmaßlichem Täterkreis vor allem dort aufzuklären, wo die örtlichen Zuständigkeitsregelungen des Strafprozessrechts die Möglichkeiten der Staatsanwaltschaften einengten. Zunächst auf solche Verbrechen beschränkt, die im Ausland an der Zivilbevölkerung und außerhalb von Kriegshandlungen begangen worden waren, wurden die Befugnisse der Zentralen Stelle schrittweise erweitert, bis die noch bestehenden Zuständigkeitsbeschränkungen im Jahr 1965 faktisch aufgehoben wurden.5 Die Ludwigsburger Behörde erhielt keine Exekutivbefugnisse, sondern sollte den Staatsanwaltschaften durch die Recherche und Auswertung insbesondere im Ausland verwahrter einschlägiger Informationsquellen zuarbeiten und laufende NSG-Verfahren durch den Austausch von Informationen koordinieren.
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Die Gründung der Zentralen Stelle bedeutete eine Zäsur; ihre Vorermittlungen leiteten über zu einer aktiv und systematisch betriebenen Strafverfolgung. Durch den permanenten Austausch zwischen Zentraler Stelle und regulären Strafverfolgungsbehörden erwuchs ein Unterlagenbestand, der die über 20.000 bundesdeutschen NSG-Verfahren seit dem Jahr 1958 gegen mehr als 100.000 Beschuldigte nahezu vollständig dokumentiert. Tatkomplexe wie „Euthanasie“, „Röhm-Revolte“, „Reichskristallnacht“ oder die so genannten Endphasen-Verbrechen waren auf der Grundlage des alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 10 bereits in den frühen 1950er-Jahren verfolgt worden. Dagegen richtete sich der Blick ab 1958 schwerpunktmäßig auf die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den vom NS-Staat besetzten Gebieten. Neben den Massenmorden durch die Einsatzgruppen und in den Vernichtungslagern wurden systematisch auch die bekannten Konzentrationslager und ihre Nebenlager, Zwangsarbeitslager, Arbeitserziehungslager oder andere Haftstätten auf Tötungsverbrechen an Häftlingen überprüft. Nachdem die größeren Verbrechenskomplexe im Laufe der 1960er-Jahre aufgearbeitet worden waren und die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren dadurch signifikant anstieg, unterstützte die Zentrale Stelle die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen - etwa durch zeitgeschichtliches und juristisches Spezialwissen, beispielsweise zur Verschmelzung von Partisanenbekämpfung und Judenvernichtung oder zur strafrechtlichen Würdigung des von Beschuldigten gebetsmühlenartig vorgebrachten Arguments eines Befehlsnotstands.
2. Der Quellenwert für die NS-Forschung
Wie bedeutsam die Unterlagen der Zentralen Stelle für die Historiographie sind, veranschaulichte bereits vor zwei Jahrzehnten die Quellenedition „‚Schöne Zeiten‘. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer“. Die darin veröffentlichten Text- und Fotodokumente präsentierten die nationalsozialistische Barbarei in einer bis dato ungewohnt drastischen Weise.6 Infolge der alltags-, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Blickerweiterung der Geschichtswissenschaft sind NS-Verfahrensakten längst eine unverzichtbare Quellengrundlage für die Erforschung von Verfolgung und Terror unter dem Nationalsozialismus. Dadurch, dass die Zentrale Stelle flächendeckend ermittelte, eignen sich die hier entstandenen Unterlagen in besonderem Maße für Forschungen, die den Einzelfall in größere institutionelle, räumliche, zeitliche oder gruppenbiographische Zusammenhänge stellen und deshalb vergleichend angelegt sind.
Detaillierte personen-, orts- und einheitenbezogene Findhilfsmittel ermöglichen verfahrensübergreifende Recherchen in den Unterlagen. (Foto: Bundesarchiv)
Eine weitere Besonderheit der Zentralen Stelle sind ihre detaillierten Findhilfsmittel, die im Vergleich zur übrigen Justizaktenüberlieferung einzigartige Recherchemöglichkeiten bieten. Eine Personenkartei enthält fast 700.000 Namenseinträge mit biographischen Angaben und Hinweisen zu Ämtern und Funktionen sowie Fundstellen, welche Dokumente sich beispielsweise auf einen Beschuldigten beziehen oder an welcher Stelle dieser selbst etwas zu Protokoll gegeben hat. Eine Ortskartei zu mehr als 26.000 Orten und sonstigen geographischen Begriffen ermöglicht die zielgerichtete Recherche in den Verfahrensakten. Diese Kartei kann mit einem detailliert gearbeiteten Kataster für NS-Verbrechen verglichen werden, das vom Polarkreis bis nach Nordafrika, von den Pyrenäen bis in die Täler des Kaukasus reicht. Eine Einheitenkartei enthält Verweise auf mehr als 4.200 politische, parteiamtliche, sicherheitspolizeiliche, militärische und andere Institutionen und Einheiten des NS-Staats, die in den Unterlagen der Zentralen Stelle vorkommen. Schließlich weist eine datenbankgestützte Verfahrensübersicht die wichtigsten inhaltlichen und strafprozessualen Informationen zu allen der Zentralen Stelle bekannt gewordenen westdeutschen NSG-Verfahren aus.7
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Die Ermittlungen der Zentralen Stelle richteten sich gegen noch verfolgbare Verbrechen. Aufgrund von Verjährung sind dies nach dem Strafrecht als Mord oder Totschlag (bis 1960) zu qualifizierende Verbrechen, wortwörtlich also der tödliche Endpunkt der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik. Zielgerichtet wurden dazu erhalten gebliebene Unterlagen des NS-Staates recherchiert und ausgewertet,8 Hunderttausende von Vernehmungsniederschriften und Erklärungen von Personen gesammelt - sowohl von Täter- als auch von Opferseite -, die Ermittlungsergebnisse in Schlussvermerken und Sachverhaltsdarstellungen verdichtet und schließlich in Einstellungsverfügungen, Anklagen und Urteilen juristisch bewertet. Die Mehrzahl der Schwurgerichtsurteile, die westdeutsche Gerichte seit 1945 gegen über 6.000 Personen verhängten, liegt in Ludwigsburg vor. Die Faktenfülle und differenzierte Darstellung der Unterlagen darf bei der Benutzung nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie unter einem dezidiert juristischem Blickwinkel erstellt wurden, der sich allenfalls partiell mit den möglichen Betrachtungsweisen des Historikers deckt.9 Eine besondere Quellengattung sind schließlich etwa 4.000 Fotos, die einzeln oder als Lichtbildmappen in den Unterlagen enthalten sind.10
In einem Waldstück bei Ponary (Paneriai) nahe der litauischen Hauptstadt Vilnius wurden in der zweiten Jahreshälfte 1941 schätzungsweise 25.000 Menschen erschossen. Bei den Ermittlungen gegen Angehörige des Einsatzkommandos 3 bzw. der späteren Organisation des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD für den Generalbezirk Litauen wurden auch Soldaten einer Kraftwagenkolonne der 96. Infanteriedivision vernommen. Diese waren im Juli 1941 zufällig Zeugen dortiger Erschießungen geworden und hatten Fotos vom Geschehen gemacht. Ein Zeuge äußerte am Ende seiner Vernehmung: „Erwähnen möchte ich noch, daß wir uns alle gesagt haben, was denn wohl werde, falls wir den Krieg verlieren und dies alles einmal büßen müßten. Uns war allen klar, daß diese Vorgänge [...] Verbrechen darstellen würden.“ (Aussage von Fritz H. am 5.6.1959, in: Bundesarchiv, B 162/2502, Bl. 1273; Foto: Bundesarchiv, B 162 Bild/85)
Die Kombination von Ablichtungen zeitgenössischer Dokumente des NS-Staates und Nachkriegsaussagen macht die Ermittlungsakten zur wichtigen Grundlage für die faktographische Rekonstruktion der Verbrechen nach Ort, Zeit, beteiligten Einheiten und Personen sowie der Herkunft der Opfer. Sie sind ein Ersatz für eine von Verlusten durch Kriegsereignisse und von gezielten Aktenvernichtungen geprägte originäre Aktenüberlieferung, sofern bestimmte Sachverhalte überhaupt je verschriftlicht wurden.11 Das Projekt „La Shoah par balles“ ist ein Beispiel, wie die intensive Auswertung der Ludwigsburger Unterlagen in diesem Fall dazu beiträgt, vergessene Gräber der Massenerschießungen jüdischer Menschen in der Ukraine aufzuspüren, den Opfern einen kleinen Teil ihrer Würde zurückzugeben und die vor Ort (er)lebenden Menschen, die nicht in das dichotome Täter-Opfer-Schema passen, über ihre Erlebnisse berichten zu lassen.12
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Ein anderes Beispiel: Große öffentliche Aufmerksamkeit löste im Spätsommer 2005 die Entdeckung eines Massengrabes am Rande des Stuttgarter Flughafens aus, wo 1944/45 Häftlinge des Nebenlagers Leinfelden-Echterdingen verscharrt worden waren.13 Nennenswerte Unterlagen, etwa aus der Provenienz des Stammlagers Natzweiler oder des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, sind praktisch nicht erhalten. In diesem Fall dokumentiert ein unscheinbarer, in den 1960er-Jahren angelegter Überprüfungsvorgang der Zentralen Stelle mit einzelnen Aussagen überlebender Häftlinge zumindest rudimentäre Daten der Lagergeschichte.14
In den Ermittlungsakten dominiert die Perspektive der Täter. Im Vordergrund stehen die Direkttäter nationalsozialistischer Gewaltverbrechen aus SS, Polizei, Zivilverwaltung oder Wehrmacht. Ab 1960 musste den Beschuldigten die Beteiligung an einem Mord nachgewiesen werden. Die Art der Tötung (absichtsvoll, planmäßig, heimtückisch, grausam, Einsatz gemeingefährlicher Mitteln) oder so genannte niedere Beweggründe (Antisemitismus, Rassismus etc.) des Täters qualifizieren ein Verbrechen als Mord. In der Folgezeit wurde der Nachweis eines persönlichen Interesses an der Tat die zwingende Voraussetzung auch für die Bestrafung von Gehilfen.15 Die Beweisführung konnte sich nur in Ausnahmefällen auf schriftliche Dokumente stützen; in der Regel musste der Beweis durch Zeugenaussagen erbracht werden. Daraus ist im Verlauf mehrerer Jahrzehnte eine spezifische Form der Zeitzeugenüberlieferung entstanden - ein Quellenkorpus, das die Geschichtswissenschaft in diesem Umfang und in dieser Beschaffenheit niemals selbst hätte hervorbringen können. Die justizielle Suche nach der Motivation und Geisteshaltung der Täter brachte Sachverhalte zur Sprache, zu denen sonst nur äußerst selten Ego-Zeugnisse vorliegen. Das Mittel des rechtlichen Zwanges trug dazu bei, eine fast unüberwindbare Kommunikationsbarriere zu durchbrechen. Denn über den inhaltlichen Kern der NSG-Verfahren - massive Gewalt gegen wehrlose Menschen - kann in einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft, die Gewalt moralisch ächtet und juristisch sanktioniert, höchstens indirekt kommuniziert werden. Allerdings sind selbstkritische Reflexionen und erst recht Schuldeingeständnisse der Täter selten. Leugnen, Abwiegeln und die verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Opfer belegen ein mangelndes Unrechtsbewusstsein sehr vieler Täterzeugen, Verdrängung oder die Sorge, selbst zum Beschuldigten zu werden.
Die Kritik an den Thesen Daniel Jonah Goldhagens, dessen Studie „Hitlers willige Vollstrecker“ sich maßgeblich auf Unterlagen der Zentralen Stelle stützte, gibt auch ein Jahrzehnt später beredtes Zeugnis von den methodischen Herausforderungen im Umgang mit NSG-Justizakten.16 Für eine angemessene Kontextualisierung von Aussagen, die im weitesten Sinne der Täterseite zuzuordnen sind, können insbesondere die verfahrensübergreifenden Recherchemöglichkeiten dienen. Zur Verdeutlichung: Das Aussageverhalten einer Person hängt von diversen Rahmenbedingungen ab - etwa von der hierarchischen Stellung und Funktion eines Akteurs zur Tatzeit, von der institutionellen Beständigkeit und sozialen Geschlossenheit im Umfeld des Tatgeschehens sowie von der Rolle eines Zeugen zum Zeitpunkt seiner Aussage vor einem Polizeibeamten, Staatsanwalt oder Richter.
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Die Ludwigsburger Unterlagen geben Blicke auf biographische und subjektive Dimensionen frei. Sie belegen, wo sich innerhalb eines objektiven Rahmens Spielräume für individuelle Sinngebung, Handlung, Entscheidung und Verantwortung eröffneten. Sie bieten damit eine empirische Grundlage für die Annäherung an die psychischen und psychosozialen Dispositionen der Täter. Kurze Beispiele mögen einen Eindruck vom komplexen Ursachen- und Faktorenbündel vermitteln, das sich bei der Lektüre der Ermittlungsakten entfaltet. So berichtete der Angeklagte Erich Bauer, der die Motoren für die Gaskammer in Sobibór bedient hatte und in seiner Vernehmung die Zahl der dort getöteten Menschen auf 350.000 bezifferte, was er von einem Gespräch der Lagerführung in der SS-Kantine erfahren habe: „Sie sprachen [dort] über die Zahl der Opfer in den Vernichtungslagern Bełżec, Treblinka sowie Sobibór und äußerten aus Konkurrenzgründen ihr Bedauern, daß Sobibór ‚an letzter Stelle rangierte‘.“17 Ein früherer SS-Scharführer und Kriminalassistent des Grenzpolizeikommissariats Kolomea im Distrikt Galizien des Generalgouvernements antwortete auf die Frage, warum er sich der Teilnahme an Vernichtungsaktionen nicht entzogen habe: „Ich mußte befürchten, daß ich in den Augen von L. und anderen als Schlappschwanz angesehen wurde. Ich hatte Bedenken, daß es mir in der Zukunft irgendwie schaden könnte, wenn ich mich als zu weich hinstellen würde. Ich wollte nicht haben, daß L. oder andere den Eindruck hätten, ich sei nicht so hart, wie ein SS-Mann hätte sein müssen.“18 Ein anderer Beschuldigter, früherer Angehöriger des Grenzpolizeikommissariats Neu-Sandez im Distrikt Krakau, gab zu Protokoll: „Ich betone nochmals, daß man sich ein falsches Bild macht, wenn man glaubt, die Judenaktionen wurden widerwillig durchgeführt. Der Haß gegen die Juden war groß, es war Rache, und man wollte Geld und Gold. Wir wollen uns doch nichts vormachen, bei den Judenaktionen gab es etwas zu holen.“19 Die Ermittlungsakten machen die Verbrechen als soziale Prozesse kenntlich, in die die Akteure mit spezifischen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern eintraten und deren Interpretation sie zu Handlungen veranlasste, die ihnen als sinnvoll erschienen.20
Die Unterlagen der Zentralen Stelle werden vom Bundesarchiv dauerhaft gesichert und langfristig durch ein Findbuch erschlossen. Der Benutzersaal hat zehn Arbeitsplätze für Archivbenutzer. (Foto: Bundesarchiv)
Obgleich die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit den Tätern der nationalsozialistischen Verbrechen eine kaum mehr überschaubare Fülle von Ergebnissen hervorgebracht hat, sind keineswegs alle Forschungsfragen beantwortet - zumal sich diese Fragen ja wandeln und deshalb Relektüren auch des bekannten Materials erfordern. Zu Recht werden monokausale oder mit Absolutheitsanspruch versehene Erklärungs- und Deutungsansätze inzwischen verworfen; stattdessen richtet sich der Blick auf das Spektrum struktureller, kultureller, kognitiver und situativer Faktoren, welche die Bereitschaft zum Töten förderten.21 Die Möglichkeiten eines zielgerichteten personen-, institutions- und tatbezogenen Zugangs machen das in Ludwigsburg vorhandene Archivmaterial auch zukünftig attraktiv für die ereignis-, organisations-, struktur-, alltags-, mentalitäts- oder kulturgeschichtliche Erforschung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Als eine wichtige empirische Basis für die Erforschung so genannter Makrokriminalität als Erscheinungsform kollektiver Gewalt, die vom Staat ausgelöst und damit zum Ausdruck von Konformität wird,22 erstreckt sich die Relevanz des Ludwigsburger Archivbestandes auch auf die Erforschung des größeren Rahmens von Ursachen, Strukturen und Abläufen genozidaler Gewalt insgesamt.23
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3. Der Quellenwert für die Geschichte der NS-Prozesse
Die Erforschung von Massenverbrechen und Völkermord ist eng verbunden mit der Frage nach der Strafverfolgung der Täter. Auch wenn sich die junge westdeutsche Nachkriegsdemokratie von Beginn an normativ vom Nationalsozialismus abgrenzte, begünstigte eine im Zeichen von Amnestie und Integration stehende Politik der Adenauer-Zeit eine Schlussstrich-Mentalität in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Die zögerliche strafrechtliche Aufarbeitung der individuellen Verantwortung für die NS-Verbrechen und das Problem personeller Kontinuitäten im westdeutschen Justizapparat waren wichtige Elemente jener Krise am Ende der 1950er-Jahre, die schließlich den politischen Anstoß zur Gründung der Zentralen Stelle gab.24 Der Anteil der bundesrepublikanischen Justiz an der Vergangenheitspolitik ist Gegenstand mehrerer neuerer Monographien und Sammelbände, die auch die Zusammenhänge des Ost-West-Konflikts thematisieren oder denen ein länderübergreifender vergleichender Ansatz zugrundeliegt.25
Bislang richtete sich der Blick vor allem auf die politischen Entscheidungsprozesse und grundlegenden Weichenstellungen bei der Entwicklung rechtlicher Normen, insbesondere im Fall der Verjährung und der Anwendung der Beihilfebestimmungen des Strafrechts.26 Die Diskrepanz zwischen der Mon-strosität der nationalsozialistischen Verbrechen sowie den im Vergleich als zu wenig und überdies zu milde erscheinenden Urteilen durch bundesdeutsche Gerichte hat die Diskussion um die justizielle Aufarbeitung bestimmt. Indes liegen nur wenige Untersuchungen dazu vor, wie sich innerhalb der gut erforschten Rahmenbedingungen die Aufklärung der Verbrechen und die Verfolgung ihrer Täter konkret vollzogen.27
Die Kernproblematik der Strafverfolgung der NS-Verbrechen, aus der alle weiterführenden historisch-inhaltlichen, strafprozessualen, rechtsdogmatischen und rechtsphilosophischen Fragen resultieren, besteht in der Würdigung individueller Verantwortung für Verbrechen, die in einer Diktatur auf staatliches Geheiß begangen wurden. Die komplexen Überlegungen zum Strafmaß für individuell zu bemessende Schuld spiegelt beispielsweise ein Urteil gegen Angehörige des Reservepolizeibataillons 101 aus dem Jahr 1968 wider. Den Angeklagten wurde die Tötung von weit über 1.000 Menschen im Sommer 1942 zur Last gelegt. Das Schwurgericht Hamburg betonte, dass dem Aspekt der persönlichen Abschreckung der Anklagten mangels Wiederholungsgefahr keine Bedeutung zukomme, dass gleichzeitig aber die Notwendigkeit der Generalprävention bestehe, also „der Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, daß die ganze strafrechtliche Verantwortlichkeit auch denjenigen trifft, der in strafrechtlich zurechenbarer Weise die verbrecherischen Mordbefehle einer Staatsführung ausführt“. Im Vordergrund der Strafzumessung stehe zweifellos die Sühne für begangenes Unrecht. Den Angeklagten müsse jedoch „zugute gehalten werden, daß sie nicht aus eigenem Antrieb gehandelt haben, sondern in den Dienst einer Aktion gestellt worden sind, die von der Staatsführung befohlen und vorbereitet worden ist. Die Angeklagten haben die Situation, in der sie zu Mordgehilfen wurden, nicht herbeigeführt und auch nicht vorhergesehen. Diese Situation war für sie außergewöhnlich. [...] Diese Erwägung verbietet es trotz des ungeheuerlichen Tatgeschehens, die Angeklagten bei der Strafzumessung in gleicher Weise zu behandeln wie einen Täter, der aus einer vergleichsweise normalen und vorhersehbaren Lebenssituation heraus aus freiem Entschluß und eigenem Antrieb strafbare Handlungen begeht.“ Das Gericht hob aber ausdrücklich hervor, dass sich keiner der Angeklagten strafmildernd oder gar -ausschließend darauf berufen könne, „die Verbrechen [...] hätten auch ohne seine Mitwirkung ihren Fortgang genommen“. Schließlich wertete das Gericht bei der Strafzumessung zugunsten der Angeklagten, „daß die Freiheitsstrafe sie besonders schwer trifft, weil sie sozial eingeordnet sind, ihre bürgerliche Existenz gefährdet und ihre berufliche Stellung [...] vernichtet wird“. Das vom Gericht gegen 3 der insgesamt 11 Angeklagten verhängte höchste Strafmaß betrug acht Jahre Zuchthaus.28
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Die justizgeschichtliche Forschung wird in Zukunft stärker am konkreten Beispiel untersuchen müssen, wie die geltenden Rechtsnormen interpretiert und umgesetzt wurden. Zu den Veränderungen infolge generationeller Umbrüche in der Justizelite gibt es bislang nur wenige Erkenntnisse.29 Die Unterlagen der Zentralen Stelle eignen sich diesbezüglich für vergleichende Betrachtungen. Die Akten der Vorermittlungsbehörde dokumentieren Hindernisse, Mühen und den erforderlichen Ressourceneinsatz, Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse in justitiabler Form, d.h. beweiskräftig, zu erforschen.30 Sie geben Auskunft über die vielschichtigen Wechselbeziehungen innerhalb des aus Zentraler Stelle, Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften, aufsichtsführenden Landesjustizverwaltungen und Rechtsprechungsorganen bestehenden bundesdeutschen Justizsystems. Gesicherte Erkenntnisse zu den Auswirkungen personeller Kontinuitäten, mentaler Erblasten, ablehnender öffentlicher Meinungsmuster, von Sympathie mit den Beschuldigten oder justiziellem Korpsgeist liegen bisher kaum vor.31 Mit Herbert Jäger hinterfragte in den 1960er-Jahren bemerkenswerterweise ein Jurist die damals übliche „Dämonisierung des Täters“ und die „Depersonalisation, die den Funktionär zum unselbständigen und gleichsam antriebslos agierenden Partikel einer ferngesteuerten Terrormaschinerie werden ließ“.32 Weite Teile der Geschichtswissenschaft hingegen blieben noch ein gutes Vierteljahrhundert lang einer anonymisierenden Betrachtung verhaftet.
Die Unterlagen der Zentralen Stelle sind ein reichhaltiger Quellenfundus für die alltags-, mentalitäts- und strukturgeschichtliche Erforschung der bundesdeutschen Strafverfolgung der NS-Täter. Innerhalb des Justizapparats eine herausgehobene Funktion einnehmend, war die Zentrale Stelle stets eine Projektionsfläche des öffentlichen Diskurses, was sich neben der Medienpräsenz der Behörde auch in einer großen Zahl von Anfragen, Anzeigen oder kritischen und abwertenden Zuschriften aus der Öffentlichkeit niederschlug. Eine wissenschaftliche Befragung von Mitarbeitern der Zentralen Stelle gibt Auskunft über das Selbstverständnis einer Gruppe der dort tätigen Polizei- und Justizbeamten, Staatsanwälte und Richter.33 Die Ergebnisse dieser Interviews schärfen den Blick dafür, wie die Beteiligten die manchmal jahrelange tägliche Konfrontation mit Grausamkeit und Leid durch Aktenstudium und Zeugenvernehmungen verarbeiteten. Auch dies gehört zur Geschichte der Institution, die im Dezember 2008 auf ihr 50-jähriges Bestehen zurückblicken wird.
Anmerkungen:
1 ... (Anm. der Red.: Link nicht mehr verfügbar)
2 Die Jagd nach den letzten Kriegsverbrechern, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.7.2007, S. 33 (Interview von Johanna Adorján mit Efraim Zuroff).
3 Adalbert Rückerl, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen 1945-1978. Eine Dokumentation, Heidelberg 1979, S. 103.
4 Eine allgemein akzeptierte Kategorisierung nationalsozialistischer Straftaten erfolgte durch die von C.F. Rüter und D.W. de Mildt am Institut für Strafrecht der Universität von Amsterdam seit 1968 erstellte Edition „Justiz und NS-Verbrechen. Die deutschen Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen“ (https://www.junsv.nl).
5 Vgl. Rüdiger Fleiter, Die Ludwigsburger Zentrale Stelle - eine Strafverfolgungsbehörde als Legitimationsinstrument? Gründung und Zuständigkeit 1958 bis 1965, in: Kritische Justiz 35 (2002), S. 253-272.
6 Ernst Klee/Willi Dreßen/Volker Rieß, „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt a.M. 1988.
7 Der Datenbestand dieser Verfahrensübersicht bildet das Fundament des von Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte erstellten Inventars der westdeutschen Justizverfahren zu NS-Verbrechen. Der überarbeitete und erweiterte Datenbestand wird nach dem Abschluss des Projekts auch dem Bundesarchiv zur Verfügung gestellt werden.
8 Von den über mehrere Jahrzehnte insbesondere in osteuropäischen Archiven recherchierten Unterlagen wurden Kopien in einem Gesamtumfang von etwa einer halben Million Blatt in einer so genannten Dokumentensammlung abgelegt. Drei Viertel der Dokumente können mit Hilfe eines mehrere Tausend Seiten umfassenden Inventars per Volltextsuche recherchiert werden.
9 Michael Wildt, Differierende Wahrheiten. Historiker und Staatsanwälte als Ermittler von NS-Verbrechen, in: Norbert Frei/Dirk van Laak/Michael Stolleis (Hg.), Geschichte vor Gericht. Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit, München 2000, S. 46-59.
10 Dabei handelt es sich zumeist um Reproduktionen von Fotomaterial, das von Zeugen überlassen oder bei Beschuldigten sichergestellt wurde. Tatfotos sind eine seltene Ausnahme. Der überwiegende Teil sind Personenaufnahmen. Zu den Erkenntnismöglichkeiten dieser Quellen vgl. Karsten Wilke, Momentaufnahmen des Angeklagten Lothar Heimbach. Fotografische Quellen zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik aus dem „Bezirk Białystok“, in: Freia Anders/Hauke-Hendrik Kutscher/Katrin Stoll (Hg.), Białystok in Bielefeld. Nationalsozialistische Verbrechen vor dem Landgericht Bielefeld 1958 bis 1967, Bielefeld 2003, S. 144-160.
11 Vgl. Peter Longerich, Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur „Endlösung“, München 2001.
12 Die Ergebnisse dieses Projekts werden in einer Ausstellung gezeigt, die zunächst von Juni 2007 bis Januar 2008 im Mémorial de la Shoah in Paris zu sehen war: http://www.memorialdelashoah.org/upload/minisites/ukraine/index.htm.
13 Vgl. ... (Anm. der Red.: Link nicht mehr verfügbar)
14 Bundesarchiv (BArch), B 162/3955.
15 Vgl. Michael Greve, Amnestierung von NS-Gehilfen - eine Panne? Die Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB und dessen Auswirkungen auf die NS-Strafverfolgung, in: Kritische Justiz 33 (2000), S. 402-414.
16 Vgl. Ruth Bettina Birn/Volker Rieß, Revising the Holocaust, in: Historical Journal 40 (1997), S. 195-215; Dieter Pohl, Die Holocaust-Forschung und Goldhagens Thesen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45 (1997), S. 1-48.
17 Aussage von Erich Bauer am 20.11.1962, in: BArch, B 162/4432, Bl. 1595.
18 Aussage von Werner Schw. am 20.4.1964, in: BArch, B 162/2229, Bl. 2920.
19 Aussage von Johann B. am 10.9.1963, in: BArch, B 162/1378, Bl. 2388f.
20 Harald Welzer, Täter. Wie aus normalen Menschen Massenmörder werden, 2. Aufl. Frankfurt a.M. 2005, S. 256ff.
21 Vgl. Gerhard Paul, Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und „ganz gewöhnlichen“ Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung, in: ders. (Hg.), Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, 2. Aufl. Göttingen 2003, S. 13-90, insbes. S. 66f.; Peter Longerich, Tendenzen und Perspektiven der Täterforschung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 57 (2007) H. 14, S. 3-7.
22 Herbert Jäger, Makrokriminalität. Studien zur Kriminologie kollektiver Gewalt, Frankfurt a.M. 1989.
23 Vgl. Boris Barth, Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien und Kontroversen, München 2006.
24 Vgl. Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2005.
25 Vgl. insbes. Michael Greve, Der justitielle und rechtspolitische Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen in den sechziger Jahren, Frankfurt a.M. 2001; Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigung 1949-1969 oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn 2002; Fritz Bauer Institut/Irmtrud Wojak/Susanne Meinl (Hg.), Im Labyrinth der Schuld. Täter - Opfer - Ankläger, Frankfurt a.M. 2003; Marc von Miquel, Ahnden oder amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren, Göttingen 2004; Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006.
26 Vgl. dazu auch Barbara Just-Dahlmann/Helmut Just, Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945, Frankfurt a.M. 1988; Anica Sambale, Die Verjährungsdiskussion im Deutschen Bundestag. Ein Beitrag zur juristischen Vergangenheitsbewältigung, Hamburg 2002.
27 Vgl. Heiner Lichtenstein, Majdanek. Reportage eines Prozesses, Frankfurt a.M. 1979; Anders/Kutscher/Stoll, Biaystok in Bielefeld (Anm. 10); Bernhard Brunner, Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik, Göttingen 2004; Rebecca Wittmann, Beyond Justice. The Auschwitz Trial, Cambridge 2005; Devin O. Pendas, The Frankfurt Auschwitz Trial, 1963-1965. Genocide, History, and the Limits of the Law, Cambridge 2006.
28 Urteil LG Hamburg 50 Ks 20/66 gegen Hoffmann und andere vom 8.4.1968, S. 267ff. (BArch, B 162/14281).
29 Thomas Horstmann/Heike Litzinger (Hg.), An den Grenzen des Rechts. Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von NS-Verbrechen, Frankfurt a.M. 2006.
30 Vgl. z.B. Kurt Schrimm, Betrachtungen zum Verfahren gegen Josef Schwammberger, in: Alfred Gottwaldt/Norbert Kampe/Peter Klein (Hg.), NS-Gewaltherrschaft. Beiträge zur juristischen Aufarbeitung, Berlin 2005, S. 420-434.
31 Vgl. dazu den instruktiven Beitrag des Rechtssoziologen Hubert Rottleuthner, Krähenjustiz, in: Dick de Mildt (Hg.), Staatsverbrechen vor Gericht. Festschrift für Christiaan Frederik Rüter zum 65. Geburtstag, Amsterdam 2003, S. 158-172.
32 Herbert Jäger, Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität, Olten 1967, Neuaufl. Frankfurt a.M. 1982, S. 13.
33 Abschlussbericht und Dokumentation eines von Marc von Miquel durchgeführten wissenschaftlichen Zeitzeugenprojekts (BArch, B 162/61).
Zitation
Andreas Kunz, NS-Gewaltverbrechen, Täter und Strafverfolgung. Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 4 (2007), H. 1-2,
URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2-2007/4574,
DOI: https://doi.org/10.14765/zzf.dok-1908,
Druckausgabe: S. 233-245.
https://zeithistorische-forschungen.de/
Ludwigsburg (Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen)
Seit 2000 ist eine Außenstelle der Abteilung B des Bundesarchivs in Ludwigsburg tätig und stellt dort die Unterlagen der "Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" zur Nutzung bereit.
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Der Dokumentarfilm "Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht"
Stand: 24.01.2023, 14:48 Uhr
Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden derzeit die wahrscheinlich letzten Gerichtsverfahren gegen NS-Verbrecher statt. Wie kam es dazu, dass ehemalige SS-Wachleute, KZ-Sekretärinnen und -Buchhalter so viele Jahre unbehelligt blieben?
Lange hatte die deutsche Justiz den sogenannten "Einzeltatnachweis" verlangt, der gerade bei den Tausenden Mittätern schwer zu erbringen ist. Dabei hatte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer schon im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 gezeigt, dass es möglich ist, auch die kleineren Rädchen im Getriebe der Mordmaschinerie vor Gericht zu bringen. Der Dokumentarfilm "Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht" zeigt anhand der jüngsten Prozesse zum "KZ Stutthof", wie sich diese Rechtsauffassung in den letzten Jahren etablieren konnte. Bewegende Zeitzeugenberichte von Überlebenden verdeutlichen, dass die Gerichtsverfahren nicht nur eine späte Genugtuung für die Opfer, sondern auch eine Mahnung für die Zukunft sind.
"Fritz Bauers Erbe" ist im Rahmen des "Stranger than Fiction"-Festivals am 27. Januar in Duisburg, am 28. Januar in Köln, am 30. Januar und 05. Februar in Dortmund, am 31 Januar. in Brühl und Bochum am 05. und 07. Februar in Essen zu sehen. Der Kinostart ist am 02. Februar.
Autor des TV-Beitrages: Rayk Wieland
https://www1.wdr.de/fernsehen/west-art/sendungen/film-fritz-bauers-erbe-100.html
Fritz Bauers Erbe - Gerechtigkeit verjährt nicht
Ein Film von Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof
Der systematische Massenmord in den Konzentrationslagern des NS-Regimes fand nicht durch einzelne, wenige Täter statt, sondern nur durch die Unterstützung von tausenden Mittätern. Lange konnte die deutsche Justiz dieser historischen Tatsache nicht gerecht werden. Durch Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wurden bei den Frankfurter Auschwitz Prozessen 1963 zum ersten Mal Angeklagte für Beihilfe zum Mord vor ein deutsches Gericht gebracht. Doch schon damals kam es, trotz umfassender Erkenntnisse, nicht zu einer Prozessflut – im Gegenteil: die Strafverfolgung von NS-Verbrechern nahm sogar ab. Rund 60 Jahre später findet Fritz Bauers Erbe nun Anwendung.
Der Dokumentarfilm FRITZ BAUERS ERBE – GERECHTIGKEIT VERJÄHRT NICHT zeigt anhand der jüngsten NS-Prozesse wie sich Fritz Bauers Ansatz als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland etablieren konnte. Mit bewegenden und aufrüttelnden Zeitzeugenberichten von Überlebenden, entfaltet der Film eine faszinierende Geschichte darüber, wie die Gerechtigkeit ihren Weg in die deutschen Gerichte fand. Außerdem veranschaulicht er die wegbereitende Bedeutung der heutigen Urteile als Mahnung für die Zukunft.
https://www.realfictionfilme.de/
Preview „Fritz Bauers Erbe - Gerechtigkeit verjährt nicht“, 30.01.2023
22.01.2023
Am 27.01.2023 jährt sich zum 78. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz
Der 27. Januar ist der gesetzliche Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Seit einigen Jahren erinnert die Evangelische Kirchen in Solingen zu diesem Anlass gemeinsam mit dem Verein „Bildungs- und Gedenkstätte Max-Leven-Zentrum Solingen e.V.“ an das Leiden der Opfer. In diesem Jahr wird darum am Montag, 30. Januar 2023 im Kulturzentrum Cobra, Merscheider Str. 77-79, 42699 Solingen, der Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ gezeigt. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr. Im Anschluss sprechen Regisseurin Isabel Gathof, Oberstaatsanwalt Andreas Brendel, die Vorsitzende des Solinger Max-Leven-Zentrums Daniela Tobias und Superintendentin Dr. Ilka Werner über die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen.
Lange kaum Strafverfolgung von NS-Mittätern
Der Dokumentarfilm zeigt den schwierigen Weg der rechtlichen Aufarbeitung des systematischen Massenmords in den Konzentrationslagern des NS-Regimes bis heute. 1963 war der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer der erste Jurist, der auch die Menschen, die in den Verwaltungen und Institutionen am Massenmord der Shoah mitgewirkt hatten, wegen Beihilfe zum Mord vor einem deutschen Gericht anklagte. Doch trotz umfassender Erkenntnisse kam es damals nicht zu vielen weiteren Prozessen. Im Gegenteil: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechern nahm in den Folgejahren sogar ab. Rund 60 Jahre später findet Fritz Bauers Erbe nun Anwendung.
Der Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ zeigt anhand der jüngsten NS-Prozesse wie sich Fritz Bauers Ansatz doch noch als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland etablieren konnte. Mit bewegenden Zeitzeugenberichten von Überlebenden entfaltet der Film eine faszinierende Geschichte darüber, wie die Gerechtigkeit ihren Weg in die deutschen Gerichte fand. Außerdem veranschaulicht er die Bedeutung der heutigen Urteile als Mahnung für die Zukunft.
Herzliche Einladung
Montag, 30. Januar 2023, Beginn: 19.00 Uhr
„Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“
Film und Podiumsgespräch
Kulturzentrum Cobra, Merscheider Str. 77-79, 42699 Solingen
Eintritt frei.
Eine gemeinsame Veranstaltung des Evangelischen Kirchenkreises Solingen mit dem Max-Leven-Zentrum Solingen e.V. und dem Kulturzentrum Cobra.
Podiumsgespräch im Anschluss
Im Podiumsgespräch im Anschluss wird es dann auch über die juristische Aufarbeitung von Verbrechen gehen, die in Solingen geschahen.
Der Film „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ kommt im Februar bundesweit in ausgewählte Kinos und wird in der Cobra vorab gezeigt. Mehr zum Film gibt es hier.
Die Veranstaltung wird durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
https://rupelrath.de/
Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht
Deutschland 2021 · 98 Minuten · FSK: ab 12
Regie: Sabine Lamby, Cornelia Partmann, Jens Schanze
Drehbuch: Isabel Gathof, Cornelia Partmann, Sabine Lamby
Kamera: Nicolas Mussell
Schnitt: Martin Hofmann
»Im November 2018 steht der 95-jährige Johann R. wegen Beihilfe zum Mord in Hunderten Fällen vor Gericht. Im Konzentrationslager Stutthof soll er als SS-Mann Teil der Lageraufsicht gewesen sein. Wieso sind so viele Jahre bis zum Prozessbeginn verstrichen? Was bedeutet der Prozess für Überlebende der Shoah, für die deutsche Rechtsprechung und die Aufarbeitung der deutschen Geschichte? Der Dokumentarfilm Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht beleuchtet den Prozess aus der Perspektive der Frankfurter Ausschwitzprozesse, die 1963 – vor fast 60 Jahren – nach maßgeblichem Einsatz des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer begannen.« (15. LICHTER Filmfest Frankfurt International)
https://www.artechock.de/
Zu viele Nazis ruhen in Frieden
Die KZ-Sekretärin Irmgard F. muss nicht in Haft. Ihr Prozess war sehr wahrscheinlich der letzte gegen Täter aus der NS-Zeit. Dabei wären Tausende weitere möglich gewesen.
Ein Kommentar von Manuel Bogner
20. Dezember 2022, 11:33 Uhr
So endet es also. Zwei Jahre Haft auf Bewährung: Das ist das Urteil, welches das Landgericht Itzehoe im Fall der 97-jährigen Irmgard F. gefällt hat. F. arbeitete bis 1945 als Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof und hat sich nach Ansicht des Gerichts der Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht. Ein historisches Urteil. Denn es ist vermutlich das letzte gegen Täterinnen und Täter aus der NS-Zeit. Die Bundesrepublik hat jahrzehntelang die Chance verpasst, Tausende noch zu Lebzeiten vor Gericht zu bringen....
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-12/
Warum dürfen mutmaßliche NS-Täter ihr Gesicht verstecken?
Veröffentlicht am 23.01.2022 | Lesedauer: 7 Minuten
Von David Schönberg, Efraim Zuroff
Josef S. soll als Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen Beihilfe am Mord in 3518 Fällen geleistet haben. Verteidiger Stefan Waterkamp verdeckte im Prozess sein Gesicht.
Josef S. soll als Wachmann im KZ Sachsenhausen Beihilfe am Mord in 3518 Fällen geleistet haben
Quelle: AFP
Allzu spät hat Deutschland damit angefangen, die letzten noch lebenden Täter des NS-Apparates vor Gericht zu stellen. Doch die Strafen fallen meist milde aus, und den Angeklagten wird nicht einmal zugemutet, ihr Gesicht öffentlich zu zeigen. Dabei darf es nicht bleiben.
Strafverfahren erregen immer das Interesse der Öffentlichkeit; dies gilt insbesondere, wenn es um Nazi-Täter geht.
In den USA, in Großbritannien und Israel ist es bei Strafsachen, sobald Anklage erhoben worden ist, generell üblich, dass der volle Name des Beschuldigten und die Anklageschrift zugänglich sind. Sofern kein gegenteiliger begründeter Antrag der Verteidigung eingereicht worden ist, ist außerdem die Veröffentlichung von Foto und Namen des Angeklagten bei Eröffnung eines Verfahrens üblich...
https://www.welt.de/
Die letzten NS-Prozesse in Deutschland
Von später Aufarbeitung und schlafender Justiz
In Brandenburg läuft ein Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen. Die Nebenkläger wollen keine Rache, wichtig sind ihnen Aufarbeitung und ein Urteil. Durch frühere Strafverfolgung hätte die deutsche Justiz ein stärkeres Zeichen setzen können.
Von Christoph Richter | 06.01.2022
„Ich will versuchen, von ihm die Wahrheit zu bekommen, er soll die Wahrheit sagen.“
Zur Verlesung der Anklage Anfang Oktober ist auch der 100-Jährige Leon Schwarzbaum nach Brandenburg an der Havel gekommen. Er hat die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Sachsenhausen und den Todesmarsch überlebt. In der Nähe von Schwerin wurde er von den Amerikanern befreit.
Er sitzt im Rollstuhl, verfolgt genau jede Regung des mittlerweile 101-jährigen Angeklagten Josef S. Ihm wird Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen zwischen Januar 1942 und Februar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen vorgeworfen. Erst als SS-Wachmann, später als SS-Rottenführer im Hauptlager des KZ Sachsenhausen, so die Anklage. Josef S. bestreitet die Vorwürfe. Wegen des internationalen Interesses und wegen des hohen Alters des Angeklagten findet das Verfahren des Landgerichts Neuruppin am Wohnort von Josef S., in einer Sporthalle in Brandenburg an der Havel statt. Ursprünglich sollte Anfang Januar das Urteil gefällt werden. Doch das verschiebt sich, wegen der Anhörung weiterer Gutachter und Experten.
Mehr zum Thema:
- Historiker Frei: „Bereitschaft, Ausreden hinzunehmen, hat es jahrzehntelang gegeben“
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Einer der Nebenkläger im Prozess gegen den mutmaßlichen früheren SS-Wachmann Josef S. ist der 84-Jährige Christoffel Heijer aus dem niederländischen Leidschendam. Sein Vater wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen umgebracht.
„Ich bin der Sohn von Johan Hedrik Heijer. Für mich ist er ein Held“
Wenn Chris Heijer von seinem Vater erzählt – einem holländischen Sozialdemokraten und Widerstandskämpfer – hat er Tränen in den Augen.
„Das letzte Mal habe ich meinen Vater mit sechs Jahren lebend gesehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ihn nie wiedersehen werde. Der Schock über den Verlust, an dem leide ich heute immer noch.“
Den Abschiedsbrief des Vaters zitternd in den Händen
Nachdem die Deutschen im Mai 1940 Holland überfallen und besetzt hatten, gab Heijers Vater Nachrichten an die Engländer weiter. Bis er denunziert und verhaftet wurde. Die Nazis deportierten ihn über die Stationen Scheveningen und Amersfoort ins KZ Sachsenhausen. Kurz vor seiner Hinrichtung am 1. Mai 1942 durfte Johan Hendrik Heijer noch einen Abschiedsbrief an seine Frau schreiben, den sein Sohn beim Prozess in Neuruppin zitternd in den Händen hält.
Die Nachfahren der Ermordeten wollen erfahren, was damals genau passiert ist. So geht es auch dem 80-jährigen französischen Architekten Antoine Grumbach, dessen Vater Jean die Nazis im Konzentrationslager Sachsenhausen getötet haben.
„Selbstverständlich muss ich von diesem Soldaten sprechen, der natürlich stellvertretend für alle SS-Wachmänner und für die Mordmaschine im Konzentrationslager Sachsenhausen steht.“
Der Angeklagte Josef S. stammt aus dem Kreis Mariampol in Litauen. Unter dem NS-Regime galt er als sogenannter „Volksdeutscher“. Er spricht in einem eigentümlichen deutschen Sing-Sang mit Anklängen an den Dialekt wie er etwa in Ostpreußen gesprochen wurde. Wenn Josef S. vor Gericht befragt wird, verzettelt er sich oft in seinen Antworten, springt gedanklich zwischen Ereignissen und Jahren hin und her, sodass auch der Richter ihm schwer folgen kann.
Kein Wort über das KZ Sachsenhausen
Seit nun mehr als einem Dutzend Prozesstagen läuft die Hauptverhandlung. Anfang Dezember gibt der Angeklagte in einer lange erwarteten Erklärung an, dass er Landarbeiter auf einem Hof bei Pasewalk im damaligen Vorpommern gewesen sei. Über das Konzentrationslager Sachsenhausen hören die Prozessbeobachter keine einzige Silbe. Bis heute leugne Josef S. die Fakten, sagt Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther. Obwohl dem Gericht etliche Dokumente vorlägen, aus denen die Dienstzeit von Josef S. im Konzentrationslager Sachsenhausen und seine Tätigkeit als SS-Wachmann hervorgehe. Der Angeklagte flüchte sich in seine eigene Welt, um nicht mehr mit der realen Welt in Berührung zu kommen, vermutet Walther.
„Ich bin zwar wirklich kein gelernter Psychologe. Aber das Vergessen, Verdrängen von insgesamt nahezu vier Jahren und das gleichzeitige Ersetzen des Vergessens durch eine mühsam zusammengebastelte Story, das halte ich nicht für denkbar. Deswegen denke ich, dass viel dafür spricht, dass er durchaus weiß, wo er gewesen ist, dass er weiß, was da geschehen ist und er sich einfach das Gelübde abgelegt hat, nichts zu sagen.“
Tatsächlich wirkt Josef S. insgesamt wach und fit, auch wenn er mit Rollator in den Gerichtssaal kommt. Der Vater zweier Töchter verfolgt die Hauptverhandlung mit Kopfhörern. Lamentiert. Bedauert sich selbst, dass er vor Gericht sitzen muss. Und reagiert schon mal mit Zwischenrufen. „Ich stehe hier allein“, ruft er, und: er sei gar „nicht drin gewesen“ und sei „gar nicht schuldig“.
Kritik an verspäteter juristischer Aufarbeitung
„Kurz gesagt: ich glaub ihm das nicht.“
Der Kölner Anwalt Mehmet Daimagüler vertritt eine Sinti-Familie, deren Angehörige im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet wurden.
„Ich habe ja schon eine Vielzahl von KZ-Verfahren gemacht. Letztes Jahr hatten wir ein Verfahren in Hamburg. Auch ein SS-Mann, der Dienst getan hat, der das auch zugab. Im KZ-Stutthof. Und der aber dann sagte, von den Vergasungen habe er nichts mitbekommen. Das sind natürlich Einlassungen, die nicht plausibel sind, die man widerlegt, die man nicht glaubt. Insofern ist das hier eine ähnliche Kategorie.“
Nebenkläger-Anwalt Mehmet Daimagüler kritisiert die verspätete juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Die deutsche Justiz habe in der gesamten Nachkriegszeit an der Verfolgung der Verbrechen der Nazi-Täter und ihrer Helfershelfer kaum Interesse gezeigt.
„Es geht darum, nochmal Zeugnis abzulegen. Und wenn ich hier ältere Menschen habe und die dann erzählen, dass sie das erste Mal vor einem deutschen Gericht befragt werden, dann ist das schon erschütternd. Und das führt dann zu dem anderen, dem entscheidenden Thema: Warum wurden die Leute nicht angeklagt in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren? Die waren ja namentlich bekannt. Und da stellt sich die Frage nach der Rolle des Staates hüben wie drüben. Im Westen wurden massenhaft Täter, Beihelfer nicht verfolgt. Im Osten genauso. Und was wir erlebt haben, ist so eine gesamtdeutsche Einigkeit, Strafvereitelung im Amt im großem Stil.“
Der Fall John Demjanjuk und seine Wirkung
Dass es nun zu Prozessen gegen mutmaßliche SS-Wachleute kommt, hat mit dem Urteil im Fall John Demjanjuk aus dem Jahr 2011 vor dem Landgericht München zu tun.
Damals kam das Gericht zu dem Schluss, dass auch einfache Gehilfen bei Tötungsaktionen mitschuldig sein können. In der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte eine Kehrtwende. Denn bis dahin konnten nur Ermittlungen eingeleitet werden, wenn Täterinnen oder Tätern die konkrete und unmittelbare Mordbeteiligung nachgewiesen werden konnte.
„Die deutsche Justiz hat viele Jahre weggeschaut. Jetzt schaut sie wieder hin. Das ist gut so. Dadurch wird das Versäumte in den vergangenen Jahrzehnten nicht reingewaschen. Das ist ein grauer Schatten auf all diesen Verfahren, dass eben Jahrzehnte nichts oder fast nichts gemacht worden ist in diesem Bereich“, sagt der frühere Ermittler der „Ludwigsburger Zentralstelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen“, Thomas Walther.
Durch ihn – jetzt auch Vertreter von elf Nebenklägern im Verfahren gegen Josef S. – kamen die Verfahren gegen den Wächter des Vernichtungslagers von Sobibor, John Demjanjuk, und den SS-Mann Oskar Gröning, maßgeblich zustande. Gröning war im KZ Auschwitz an der sogenannten „Rampe“ tätig, wo die deportierten Menschen in Gruppen aufgeteilt wurden, je nachdem, ob sie als „arbeitsfähig“ oder „nicht arbeitsfähig“ beurteilt wurden. Eine Einteilung, die maßgeblich dafür war, wer zur Zwangsarbeit herangezogen und wer sofort ermordet wurde. Indem Gröning das Gepäck der ankommenden Deportierten von der sogenannten „Rampe“ bewachen und abtransportieren ließ und auch am Raub von Wertgegenständen beteiligt gewesen sei, habe er Anteil an der Tötung der Menschen gehabt, unterstreicht Anwalt Thomas Walther.
„Derjenige, der wirklich weiß, worum es geht in diesem Arbeitsprozess, an dem ich beteiligt bin, nämlich um das Endprodukt der – ich sag mal – menschlichen Asche. Wenn ich das weiß und ich tue meinen notwendigen Job innerhalb des ganzen Apparates, mit Bürokratie, mit Reinigen der Waffen und Ausrichten von Kimme und Korn als Waffenwart oder so, dann bin ich halt an diesem Produkt mitbeteiligt.“
Für Walther ist klar: Jeder SS-Angehörige hat sich an den Morden des NS-Regimes mitschuldig gemacht.
Ein Standpunkt, den auch Historikerinnen und Historikern vertreten. Wachleute seien nicht irgendwelche Mitläufer, sondern wichtige und willige Mittäter gewesen, sagt etwa Andrea Riedle, Direktorin der Berliner Stiftung „Topographie des Terrors“. Sie hat Geschichte und Politik an der Universität Tübingen und Exeter studiert. Und sie ist die Autorin einer Studie über die Werdegänge von SS-Männern des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Die SS-Wachleute waren an Exekutionen, an Massenerschießungen, an Massenmordaktionen beteiligt, unterstreicht Riedle.
„Die haben nicht nur das Konzentrationslager von außen bewacht, sondern auch die Außenkommandos. Und da kam es auch zu diesen sogenannten Erschießungen auf der Flucht. Das waren fingierte Erschießungen. Das heißt: Beispielsweise hat ein Blockführer die Mütze über die Postenkette geschmissen und dem Insassen befohlen, die Mütze zu holen. Wenn er das nicht gemacht hat, ist er wegen Befehlsverweigerung erschossen worden. Wenn er es gemacht hat, ist er vom Wachposten erschossen worden. Also, natürlich hat ein Kommandant oder ein Schutzhaftlagerführer sicherlich mehr Verantwortung, als ein Wachposten. Das ist gar keine Frage. Trotzdem waren es wichtige Mittäter. Das muss man ganz deutlich sagen.“
Der Fall Irmgard F.
Zu den Mittätern zählen nach Einschätzung von Riedle auch Frauen wie Irmgard F. Die heute 96-Jährige arbeitete als Stenotypistin und Schreibkraft von Juni 1943 bis April 1945 in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig. Denn hinter Massenmord und anderen Verbrechen, so Historikerin Riedle, habe immer auch eine Bürokratie gestanden, in der es beispielsweise um Transportlisten oder Totenscheine ging.
„Der Tod von einem Häftling musste von einem Lagerarzt beurkundet werden. Es gab eine Meldung an das Standesamt. Und es wurden die Angehörigen auch kontaktiert. Und die Effekten zurückgegeben. Das wurde dann aufgeweicht in den 40er-Jahren. Aber es stand schon eine Verwaltung dahinter, eine Bürokratie. Und es gab natürlich auch Meldungen an die Zentrale – an das Reichsicherheitshauptamt. Und dieser ganze Betrieb musste aufrecht erhalten werden. Und da hat auch eine Schreibkraft ihren Anteil daran gehabt. Denn ohne eine Schreibkraft wäre das nicht möglich gewesen.“
Irmgard F. habe im KZ Stutthof sämtliche Schreiben des damaligen Lagerkommandanten erfasst, sortiert oder abgefasst, so steht es in der Anklageschrift. Dadurch habe sie von allen Geschehnissen im Lager gewusst.
Die Staatsanwaltschaft Itzehoe wirft Irmgard F. Beihilfe zum Mord an mehr als 11.000 Menschen vor. Einer der Zeugen ist der 83-Jährige Wiener Josef Salomonovic. Als Sechsjähriger hat er das Konzentrationslager Stutthof überlebt. Sein Vater wurde mit einer Benzol-Spritze getötet.
„Ich erwarte nicht, dass sie etwas zugeben wird, ich glaube nicht. Ich bin kein Idealist. Ich glaube, sie bleibt bei ihrer Unschuld – kann man da nicht sagen. Aber die junge Frau, 18, 19 Jahre alt, sie hat das so damals geglaubt und sie bleibt dabei.“
Etwa 65.000 Menschen wurden nach Angaben der Gedenkstätte zwischen September 1939 und Mai 1945 im Konzentrationslager Stutthof ermordet.
Für das Konzentrationslager Sachsenhausen lässt sich aufgrund der schlechten Quellenlage keine genaue Zahl der Ermordeten beziffern. Es ist die Rede von mehreren zehntausend Toten. Schätzungen der Gedenkstätte Sachsenhausen zufolge waren im Zeitraum zwischen 1936 und 1945 im KZ Sachsenhausen insgesamt etwa 20.000 SS-Angehörige tätig. Historikerin Stephanie Bohra hat in ihrer Publikation „Tatort Sachsenhausen“ dokumentiert, dass die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden zwischen 1945 und 2005 257 Strafverfahren eingeleitet haben, die sich gegen 340 Menschen richteten, die mehrheitlich dem Kommandanturstab des KZ Sachsenhausen zuzuordnen waren.
„Lediglich 15 Prozent der Beschuldigten mussten sich im Rahmen einer gerichtlichen Hauptverhandlung verantworten: Zwölf Prozent wurden hiernach rechtskräftig zu Haftstrafen verurteilt. Überwiegend endeten die strafrechtlichen Ermittlungen mit einer Verfahrenseinstellung aus Mangel an Beweisen.“
In der DDR kam es zu vier Prozessen gegen Sachsenhausen-Täter, ist bei Bohra nachzulesen. Kein einziger SS-Wachposten im Konzentrationslager Sachsenhausen wurde bisher zur Verantwortung gezogen. Der Fall Josef S. am Landgericht Neuruppin, der derzeit in Brandenburg an der Havel verhandelt wird, ist also der erste seiner Art.
Die Aufarbeitung käme zu spät, moniert Historiker Axel Drecoll. Seit 2018 ist er Direktor der Stiftung „Brandenburgische Gedenkstätten“ und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen. Mit den Verfahren in Itzehoe und Brandenburg könne der deutsche Rechtsstaat dennoch ein wichtiges Signal setzen, dass man zumindest jetzt versuche etwas nachzuholen, was in der Vergangenheit versäumt worden sei. Und weil Mord nicht verjährt, Alter nicht vor Strafe schützt, könne man sich auch im hohen Alter seiner Verantwortung nicht einfach so entledigen.
„Es ist eben auch für uns wichtig, zu signalisieren: Nein, das ist nicht abgeschlossen. Auch die juristische Aufarbeitung ist nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil: Die hat in der Vergangenheit kaum funktioniert. Also machen wir wenigstens jetzt einen späten, aber sehr entscheidenden Schritt, um das irgendwie noch nachholen zu können.“
Der Verteidiger von Josef S. ist Stefan Waterkamp. Er betont, dass es ein „absolutes Armutszeugnis sei“, dass die Prozesse erst jetzt stattfinden. Allerdings: Einen einzelnen SS-Wachmann anzuklagen, würde die fehlende juristische Aufarbeitung nicht wiedergutmachen, sagt der Hamburger Jurist. Ganz im Gegenteil: Weil die Justiz versagt habe, suche man nun nach sogenannten kleinen Mitläufern.
„Momentan wird ja tatsächlich KZ-Personal gesucht. Das kann man ja mal so sagen. Also die Zentralstelle in Ludwigsburg geht Archive durch und guckt dann, wer lebt noch und wer steht auf den Listen als KZ Personal. Und das ist in der Tat, meine ich, verkürzt. Wenn man jetzt den Holocaust tatsächlich insgesamt als Verbrechen, als Haupttat, zu der Beihilfe geleistet wurde, nimmt, dann muss man tatsächlich auch gucken, wer lebt denn noch von den Verantwortlichen in den Firmen, die sich an dem KZ-System beteiligt haben, die Verträge mit der SS gemacht haben, um billige Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter aus den Konzentrationslagern zu beziehen? Wer lebt noch von denen, die privat profitiert haben, von Denunziationen? Und das kann man – meine ich – jetzt nicht auf Wachpersonal oder KZ-Personal beschränken.“
Nebenkläger-Anwalt: Ob eine Strafe vollstreckt werden kann oder nicht, sei nicht entscheidend
Die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg wurde 1958 gegründet. Seitdem gab es nach Angaben der Behörde knapp 19.000 Verfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen.
Derzeit seien bundesweit acht weitere Verfahren anhängig, die an verschiedene Staatsanwaltschaften übergeben wurden. Wann es allerdings zu den Hauptverhandlungen komme, könne man derzeit nicht sagen. Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther mahnt wegen des hohen Alters der Nachfahren von Opfern zur Eile. Es gehe nicht um Rache und Vergeltung, sondern um die Aufarbeitung deutscher Verbrechen an der Menschlichkeit.
„Die Frage, ob dann ein Schuldspruch mit einem Strafmaß von drei, vier, fünf oder sechs Jahren befasst ist, das ist absolut sekundär. Und ob dann eine Strafe auch vollstreckt werden kann – aufgrund von Haftfähigkeit – ist auch nicht die entscheidende Frage. Wichtig ist, dass das Schicksal der eigenen Angehörigen, der eigenen Eltern, Familie, vom Gericht aufgenommen wird und aufmerksam diese Dinge wahrgenommen werden. Das ist wichtig.“
Zum Prozessauftakt gegen Josef S. Anfang Oktober ist auch José Trauffler anwesend. Die Tochter eines luxemburgischen – mittlerweile verstorbenen – Überlebenden des KZ Sachsenhausen, eines Widerstandskämpfers. Sie will an die Freunde ihres Vaters erinnern, eine Gruppe von 19 Luxemburgern, die – kurz vor Kriegsende – am 2. Februar 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen hingerichtet wurden. Zu der Zeit, als – laut Staatsanwaltschaft – auch der Angeklagte als SS-Wachmann tätig war.
„Ja, es ist schon sehr erdrückend zu sehen, wenn so ein Mensch vor einem steht. Und was der alles gemacht hat in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Und ich finde es sehr gut, dass jetzt ein Prozess stattfindet. Das ist sehr wichtig für mich.“
https://www.deutschlandfunk.de/
Holocaust-Gedenktag: Zentralrat der Juden dringt auf weitere juristische Aufarbeitung
26.01.2022 – 08:00
Neue Osnabrücker Zeitung
Osnabrück (ots)
Aktuell sechs Verfahren bei Staatsanwaltschaften - Zentralstelle mit weiteren Vorermittlungen
Osnabrück. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, dringt auf eine unverminderte juristische Verfolgung von Verbrechen der Nazi-Zeit. In einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) sagte Schuster aus Anlass des zentralen Holocaust-Gedenktages an diesem Donnerstag, Gerichtsverhandlungen seien auch nach langer Zeit nicht nur für die Opfer und deren Nachkommen von Bedeutung. "Unserer Gesellschaft führen solche Prozesse noch einmal vor Augen, zu was Menschen fähig sind. Sie zeigen, wohin Hetze gegen Minderheiten führen kann", sagte Schuster.
Derzeit laufen nach Recherchen der NOZ bundesweit zwei Gerichtsverfahren gegen ehemalige Beschäftigte von Konzentrationslagern an den Landgerichten Itzehoe und Brandenburg. Sechs weitere Verfahren liegen bei den Staatsanwaltschaften vor, ohne dass es bisher zu einer Anklage gekommen ist. Zuvor hatte die NOZ berichtet, dass ein siebtes Verfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle nach dem Tod des Verdächtigen im Alter von 96 Jahren eingestellt worden ist. Der Mann soll zwischen 1943 und Kriegsende als Wachmann im Kriegsgefangenenlager Bathorn (Niedersachsen) Dienst geleistet haben. Die Zentralstelle der Justiz zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg führt nach Angaben von Leiter Thomas Will darüber hinaus in sechs Verdachtsfällen von Verbrechen in Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern Vorermittlungen durch.
Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
Telefon: +49(0)541/310 207
https://www.presseportal.de/pm/58964/5130532
NS-Verbrechen
Warum Urteile noch heute möglich sind
Stand: 19.10.2021 03:49 Uhr
Zum Auftakt war die einstige KZ-Sekretärin noch vorübergehend geflüchtet. Heute steht der nächste Prozesstag gegen die 96-Jährige an. Warum die Aufarbeitung erst jetzt erfolgt - und dennoch so wichtig ist.
Von Michael-Matthias Nordhardt und Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion
Worum geht es in dem Prozess?
Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, Beihilfe zu mehr als 11.000 Morden geleistet zu haben - im NS-Konzentrationslager Stutthof östlich von Danzig. In sieben weiteren Fällen soll sie beim versuchten Mord assistiert haben. Zwischen Juni 1943 und April 1945 sei die Frau Stenotypistin und Schreibkraft des Lagerkommandanten gewesen. In dieser Funktion habe sie das Quälen, Erniedrigen und Morden im Lager mit organisiert. Wichtig ist: Ihr wird nicht vorgeworfen, dass sie selbst gemordet habe - nicht, dass sie etwa selbst auf Menschen geschossen oder die Gaskammer im Lager bedient habe. Aber: Sie soll zu den Schreckenstaten im KZ Hilfe geleistet haben. Vereinfacht könnte man sagen: weil sie "über ihren Schreibtisch" gegangen seien.
Was ist mit einer Verjährung?
Für viele Straftaten, die die Menschen in den Lagern erlitten haben, kann heute niemand mehr strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Hunderttausende Freiheitsberaubungen etwa, zahllose Misshandlungen aller Art, Raubtaten - all das ist schon seit Jahrzehnten verjährt. Aber: Mord verjährt nicht. Und auch Beihilfe zum Mord verjährt nicht. Deshalb sind Verurteilungen auch heute, mehr als 75 Jahre später, noch möglich. Warum ist eine Verurteilung 75 Jahre später wichtig?"Mord verjährt nicht" - damit wird deutlich: Einen Schlussstrich sieht unser Rechtssystem für solche Fälle nicht vor. Diese Grundentscheidung sei gerade vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen getroffen worden, erklärt Thomas Will im Podcast "Die Justizreporter*innen" der ARD-Rechtsredaktion. Der Jurist leitet die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Die Ludwigsburger Behörde sorgt mit ihren Ermittlungen dafür, dass die Akteure von damals auch heute noch vor Gericht gestellt werden. Im Strafrecht geht es auch darum, Rechtsfrieden wiederherzustellen. Dafür können solche Prozesse wichtige Beiträge leisten. Das bestätigen auch Hinterbliebene der Ermordeten immer wieder, wenn sie heute an Verfahren gegen die Helfer von damals teilnehmen. Warum gab es direkt nach dem Krieg kaum solche Verfahren? In den Jahren nach 1945 herrschte in der BRD eine Art "Schlussstrichmentalität", eine Tendenz, eher vergessen als aufarbeiten zu wollen. Ein wichtiger Schritt hin zu mehr Aufarbeitung waren die Auschwitz-Prozesse am Landgericht Frankfurt ab 1963 - initiiert vom Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ein generelles Umdenken war damit aber nicht verbunden.Später in den 1960er-Jahren entschied der Bundesgerichtshof in Bezug auf Auschwitz: Um das Lagerpersonal von damals wegen Beihilfe zu bestrafen, müsse man den Männern und Frauen konkret nachweisen, welche Morde sie gefördert hätten. Im Kontext der Massenmorde in den Konzentrationslagern eine quasi unlösbare Aufgabe. Deshalb wurden in den folgenden Jahrzehnten viele Verfahren gegen die "kleineren Rädchen" in der Nazi-Tötungsmaschinerie von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Warum sind heute diese Verfahren und Urteile möglich? Eine Art Wende brachte erst das Urteil gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011. Das Landgericht München entschied: Allein die Anwesenheit des Lageraufsehers Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor und seine Kenntnis von den Morden reichen aus, um ihn wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen. Demjanjuk starb allerdings, bevor sich der Bundesgerichtshof (BGH) als oberstes Strafgericht mit der neuen Linie befassen konnte. 2016 bestätigten die Karlsruher Richterinnen und Richter sie aber im Fall von Oskar Gröning, dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz - und zwar nicht nur für reine Vernichtungslager, sondern auch für Konzentrationslager.
Wie hat der BGH den wichtigen Gröning-Beschluss begründet?
Die zentrale Aussage lautet: Auch die "kleineren Rädchen" haben eine zentrale Rolle beim Völkermord an den Juden gespielt. Für die Nazis sei ein "organisierter Tötungsapparat" mit eingespielten Abläufen Voraussetzung gewesen, um in kürzester Zeit Tausende Morde zu begehen. Wörtlich heißt es im BGH-Beschluss: "Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte 'industrielle Tötungsmaschine' mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber in der Lage, die 'Ungarn-Aktion' anzuordnen." Im Rahmen der "Ungarn-Aktion" wurden ungarische Juden massenhaft vor allem nach Auschwitz deportiert. Die rechtliche Bewertung aus dem Gröning-Beschluss dürfte auch im aktuellen Verfahren in Itzehoe eine wichtige Rolle spielen. Ob es zu einer Verurteilung kommt, muss der Prozess zeigen.
Wie viele andere Verfahren laufen noch?
Seit der Entscheidung gibt es immer wieder Prozesse und Urteile gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter und KZ-Mitarbeiterinnen: 2016 etwa gegen den Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning oder 2020 gegen Bruno Dey, einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof. Die Ermittlungen der "Zentralen Stelle" in Ludwigsburg laufen weiter. Auch vor dem Landgericht Neuruppin läuft derzeit ein Verfahren gegen einen ehemaligen KZ-Wachmann. Allerdings werden die Ermittlungen wegen des hohen Alters der möglichen Täterinnen und Täter immer mehr zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Nach Informationen von Behördenleiter Thomas Will liegen derzeit noch acht Fälle bei verschiedenen Staatsanwaltschaften in Deutschland. Daneben gebe es sieben weitere Personen, die die "Zentrale Stelle" derzeit prüfe.
Wie lief die Aufarbeitung in der DDR?
Nach dem Krieg wurde die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR zunächst besonders rigoros betrieben - was Polizei, Justiz und innere Verwaltung anging. Der Antifaschismus galt als eine der Hauptsäulen der DDR-Staatsideologie. Er wurde nach innen und außen propagiert - auch, um sich als den besseren der beiden deutschen Staaten zu präsentieren. Heute ist allerdings bekannt: DDR-Bürgern soll pauschal Absolution erteilt worden sein, wenn sie sich im Gegenzug dem Sozialismus zuwendeten. Ebenso wurden in der DDR lebende NS-Täter wohl nicht konsequent vor Gericht gebracht.
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NACHKRIEGSPROZESSE
19.05.2021
Nach dem Zweiten Weltkrieg führten internationale, nationale und militärische Gerichte Prozesse gegen Zehntausende angeklagter Kriegsverbrecher. Die Bemühungen, die Täter der NS‑Ära zur Rechenschaft zu ziehen, dauern bis weit in das 21. Jahrhundert an. Leider sind die meisten Täter nie vor Gericht gestellt oder bestraft worden. Dennoch haben die Nachkriegsprozesse wichtige juristische Präzedenzfälle geschaffen. Heute versuchen internationale und nationale Gerichtshöfe, das Prinzip aufrechtzuerhalten, dass diejenigen, die Kriegsverbrechen begangen haben, vor Gericht gestellt werden.
WICHTIGE FAKTEN
1
Zwischen 1945 und 1949 stellten Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion und vor allem die Vereinigten Staaten die diplomatische, wirtschaftliche, politische und militärische Führung der Nationalsozialisten vor den Internationalen Militärgerichtshof (IMG) in Nürnberg. Die Nürnberger Prozesse sind die bekanntesten Nachkriegsprozesse.
2
In der Nachkriegszeit wurden Zehntausende von deutschen Tätern und ihre nichtdeutschen Kollaborateure von Gerichten in Deutschland oder in den Ländern, die Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzt hatte oder die mit den Deutschen bei der Verfolgung der Zivilbevölkerung kollaborierten, verurteilt. Die Bemühungen, die NS‑Verbrecher vor Gericht zu bringen, dauerten bis weit in das 21. Jahrhundert an.
3
Die Prozesse gegen die Verantwortlichen von NS‑Verbrechen schufen juristische Präzedenzfälle und trugen dazu bei, den heute weithin akzeptierten Grundsatz zu etablieren, dass Verbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht ungestraft bleiben dürfen.
Hintergrund
Many of the early concentration camps were improvised. [LCID: 61931]
Frühes Konzentrationslager
Viele der frühen Konzentrationslager waren improvisiert. Appell politischer Gefangener an Bord eines Schiffes, das als schwimmendes Konzentrationslager diente. Lager Ochstumsand bei Bremen, vermutlich 1933 oder 1934.
Staatsarchiv Bremen
Vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Gerichtsprozesse bei den Bemühungen, den Frieden nach internationalen Konflikten wiederherzustellen, nie eine große Rolle gespielt. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die siegreichen Alliierten Deutschland Gebietsabtretungen und hohe Reparationszahlungen als Strafe für die Führung eines Angriffskrieges auferlegt. Doch während des Zweiten Weltkriegs, in dessen Verlauf das NS-Regime und seine Verbündeten der Achsenmächte massenhaft Gräueltaten begingen, wurde es zu einem der Kriegsziele der alliierten Mächte, die Verantwortlichen für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen.
Im Oktober 1943 unterzeichneten US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Premier Josef Stalin die Moskauer Deklaration zu den deutschen Gräueltaten. Die Erklärung sah vor, dass Deutsche, die für Gräueltaten verantwortlich gemacht wurden, bei einem Waffenstillstand in die Länder zurückgebracht werden sollten, in denen die Verbrechen begangen worden waren, und nach den dort geltenden Gesetzen verurteilt und bestraft werden sollten. Hauptkriegsverbrecher, deren Verbrechen keinem bestimmten geographischen Ort zugeordnet werden konnten, sollten durch gemeinsamen Beschluss der alliierten Regierungen bestraft werden.
Internationaler Militärgerichtshof in Nürnberg
Im August 1945 unterzeichneten Großbritannien, Frankreich, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten das Londoner Abkommen und die Charta (auch Nürnberger Charta genannt). Die Charta schaffte die Rechtsgrundlagen für die Einrichtung eines internationalen Militärgerichtshofs (IMG) in Nürnberg, um die Hauptkriegsverbrecher vor Gericht zu stellen. Sie wies dem IMG die Zuständigkeit für Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu. Dazu gehörten unter anderem Verbrechen wie „Mord, Vernichtung, Versklavung, Deportation ... oder die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen”.
Der bekannteste nach dem Krieg abgehaltene Kriegsverbrecherprozess ist der Prozess gegen 22 führende NS‑Amtsinhaber vor dem Tribunal in Nürnberg. Dieser Prozess begann am 20. November 1945. Der IMG kam am 1. Oktober 1946 zu seinem Urteil und verurteilte 19 der Angeklagten, 3 wurden freigesprochen. Von den Verurteilten wurden 12 zum Tode verurteilt, darunter Reichsmarschall Hermann Göring, Hans Frank, Alfred Rosenberg und Julius Streicher. Das Gericht verurteilte 3 Angeklagte zu lebenslanger Haft und 4 zu Haftstrafen zwischen 10 und 20 Jahren.
Neben dem Nürnberger Militärgerichtshof richteten die alliierten Mächte 1946 in Tokio das Internationale Militärtribunal für den Fernen Osten ein, das führende japanische Beamte vor Gericht stellte.
Spätere Nürnberger Prozesse
Map titled "Jewish Executions Carried Out by Einsatzgruppen A" [LCID: 200509wu]
Karte: „Von der Einsatzgruppe A durchgeführte Judenexekutionen“
Diese Karte war Bestandteil eines geheimen, nicht datierten Berichts, den die Nationalsozialisten über den Massenmord an Juden durch die Einsatzgruppe A angefertigt hatten. Die Karte wurde dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg sowohl von der amerikanischen als auch von der britischen Staatsanwaltschaft als Beweis vorgelegt. Das Dokument trägt den Titel „Von der Einsatzgruppe A durchgeführte Judenexekutionen“ sowie einen Stempel mit der Aufschrift „Geheime Reichssache“. Die Karte gibt Aufschluss über die Anzahl der in den baltischen Staaten und Weißrussland bis Ende 1941 hingerichteten Juden (dargestellt durch einen Sarg). Gemäß dem Verweis unten auf der Karte betrug „die geschätzte Zahl der noch
National Archives and Records Administration, College Park, MD
Unter Federführung des Nürnberger IMG führten US-Militärtribunale 12 weitere Prozesse durch. Diese Prozesse werden auch als Nürnberger Nachfolgeverfahren bezeichnet.
Zwischen Dezember 1946 und April 1949 stellten die US-Staatsanwälte 177 Personen vor Gericht und erreichten die Verurteilung von 97 Angeklagten. Zu den Gruppen, die sich vor Gericht verantworten mussten, gehörten führende Ärzte, Einsatzgruppenmitglieder, Mitglieder der deutschen Justizverwaltung und des Auswärtigen Amtes, Mitglieder des deutschen Oberkommandos und führende deutsche Industrielle.
Sonstige Prozesse in den alliierten Besatzungszonen
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren stellte jede der vier alliierten Besatzungsmächte Deutschlands und Österreichs – Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten – eine ganze Reihe von Tätern für Kriegsverbrechen vor Gericht, die in ihrer Besatzungszone begangen worden waren. Die überwältigende Mehrheit dieser Kriegsverbrecherprozesse nach 1945 betraf untergeordnete NS-Funktionäre. Ein Großteil unseres frühen Wissens über das deutsche Konzentrationslagersystem stammt aus den Beweisen und Augenzeugenberichten bei einigen dieser Prozesse.
Die alliierten Besatzungsbehörden sahen den Wiederaufbau des deutschen Gerichtswesens als wesentlichen Schritt zur Entnazifizierung Deutschlands. Das von den Alliierten erlassene Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom Dezember 1945 ermächtigte deutsche Gerichte, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, die während der Kriegsjahre von deutschen Staatsangehörigen an anderen deutschen Staatsangehörigen oder an Staatenlosen in Deutschland begangen wurden. Infolgedessen wurden NS-Verbrechen wie die Ermordung von Menschen mit Behinderungen (von den Nazis als „Euthanasie” bezeichnet), bei denen sowohl die Opfer als auch die Täter überwiegend deutsche Staatsangehörige waren, vor neu zusammengesetzten deutschen Gerichten verhandelt.
Nachkriegsprozesse in Deutschland
1949 wurde Deutschland formell in zwei getrennte Länder unterteilt. Die Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland) wurde in den von Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten besetzten Zonen gegründet und war mit diesen Ländern verbündet. Die Deutsche Demokratische Republik (Ostdeutschland) wurde in der sowjetischen Besatzungszone gegründet und war mit der Sowjetunion verbündet. Beide Länder führten in den folgenden Jahrzehnten weiterhin Prozesse gegen als NS-Täter Angeklagte durch.
Seit 1949 wurden in der Bundesrepublik Deutschland (d. h. im damaligen Westdeutschland sowie im wiedervereinigten Deutschland nach dem Mauerfall 1990) über 900 Verfahren gegen Angeklagte geführt, denen NS-Verbrechen zur Last gelegt wurden. Diese Verfahren wurden kritisiert, weil die meisten Angeklagten freigesprochen wurden oder nur milde Strafen erhielten. Darüber hinaus wurden Tausende von NS-Funktionären und NS-Verbrechern nie vor Gericht gestellt. Viele kehrten in die Berufe zurück, die sie im Dritten Reich ausgeübt hatten. So stellten etwa ehemalige NS-Beamte über mehrere Jahrzehnte nach dem Krieg die Mehrheit der Richter in Westdeutschland.
Sonstige Nachkriegsprozesse
Leo Schneidermann beschreibt die Ankunft in Auschwitz, die Selektion und die Trennung von seiner Familie
Die Deutschen griffen Polen im September 1939 an. Leo und seine Familie wurden im Ghetto Lodz eingesperrt. In einer Uniformfabrik musste Leo als Schneider arbeiten. Nach der Liquidierung des Ghettos 1944 wurde Leo nach Auschwitz deportiert. Später kam er in das Lager Groß-Rosen, wo er zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde. Als die sowjetische Armee vorrückte, wurden die Gefangenen in das österreichische Lager Ebensee umgesiedelt. Das Lager Ebensee wurde 1945 befreit.
US Holocaust Memorial Museum Collection
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Viele Nationen, die während des Zweiten Weltkriegs von Deutschland besetzt waren oder die mit den Deutschen bei der Verfolgung der Zivilbevölkerung, einschließlich der Juden, kollaborierten, stellten sowohl deutsche Täter als auch ihre eigenen Bürger, die während des Krieges Verbrechen begangen hatten, vor Gericht. Unter anderem in der Tschechoslowakei, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien und der Sowjetunion wurden Tausende von Angeklagten vor Gericht gestellt. Die Sowjetunion führte ihren ersten Prozess, den Krasnodar‑Prozess, gegen lokale Kollaborateure im Jahr 1943 durch, lange vor Ende des Zweiten Weltkriegs.
In Polen stellte das Oberste Polnische Nationaltribunal 49 NS‑Funktionäre vor Gericht, die während der Besetzung Polens Verbrechen begangen hatten. Unter ihnen war Rudolf Höß, dienstältester Kommandant von Auschwitz. Er wurde zum Tode verurteilt und im April 1947 im Hinrichtungsblock in Auschwitz erhängt. Das Oberste Nationaltribunal verurteilte in der Folge noch weitere Aufseher aus dem Lagerkomplex Auschwitz zum Tode, darunter den ehemaligen Kommandanten Arthur Liebehenschel sowie Amon Göth, der das KZ Plaszow kommandierte.
Um 1950 verdrängte die internationale Sorge um den Kalten Krieg das Interesse, Gerechtigkeit für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu erreichen. Die Prozesse außerhalb Deutschlands wurden weitgehend eingestellt, und die meisten der verurteilten Täter, die nicht hingerichtet wurden, kamen in den 1950er Jahren wieder frei.
Der Eichmann-Prozess
Außerhalb Polens standen die Verbrechen an den Juden nicht im Mittelpunkt der meisten Nachkriegsprozesse. In der unmittelbaren Nachkriegszeit bestand wenig internationales Bewusstsein oder Verständnis für den Holocaust. Das änderte sich 1961 mit dem Prozess gegen Adolf Eichmann, den Chefverwalter der Deportation der europäischen Juden, vor einem israelischen Gericht. Der Eichmann-Prozess machte auch auf die Präsenz von angeklagten NS‑Tätern in einer Reihe von Ländern außerhalb Europas aufmerksam, denn Eichmann hatte sich nach dem Krieg in Argentinien niedergelassen.
1979 richtete das Justizministerium der Vereinigten Staaten das Office of Special Investigations ein, das sich der Verfolgung von in den Vereinigten Staaten lebenden NS-Verbrechern annahm. Ein Jahrzehnt später unternahmen auch Australien, Großbritannien und Kanada Anstrengungen, die innerhalb ihres Landes lebenden NS‑Täter strafrechtlich zu verfolgen. Die Jagd nach deutschen und verbündeten Kriegsverbrechern dauert bis in das 21. Jahrhundert an.
Vermächtnisse
Durch die Nachkriegsverfolgung von NS-Verbrechen wurden wichtige juristische Präzedenzfälle etabliert.
1946 erkannten die Vereinten Nationen einstimmig das Verbrechen der Aggression, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als völkerrechtliche Delikte an. Die UNO erkannte daraufhin Ergänzungen des Völkerstrafrechts an, die darauf ausgerichtet waren, Zivilisten vor Gräueltaten zu schützen. So verabschiedete die UNO 1948 die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben eine Reihe von Sondertribunalen über internationale Verbrechen geurteilt, die in bestimmten Ländern begangen wurden, wie z. B. der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994. Im Jahr 2002 nahm ein neuer, ständiger Internationaler Strafgerichtshof seine Arbeit auf. Zudem verfolgen die staatlichen Gerichte in einigen Ländern auch Täter von internationalen Verbrechen. Obwohl eine derartige strafrechtliche Verfolgung nach wie vor selten ist, besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass Staaten die Pflicht haben, Zivilisten vor Gräueltaten zu schützen und diejenigen zu bestrafen, die sie begehen.
Zuletzt bearbeitet: May 19, 2021
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AUFARBEITUNG NATIONALSOZIALISTISCHER VERBRECHEN
NS-Verbrechen: Die USA weisen aus - und was macht Deutschland?
Der Fall des ehemaligen KZ-Wächters Friedrich Karl B. unterstreicht, wie unterschiedlich die USA und Deutschland mit Holocaust-Tätern umgehen. Der 95-Jährige wird seinen Lebensabend in Deutschland verbringen.
Datum 08.04.2021
Autorin/Autor Ben Knight
Der 95-jährige Friedrich Karl B. muss keinen Prozess in Deutschland fürchten. Am 20. Februar dieses Jahres war der ehemalige Wächter in einem Konzentrationslager vom US-Bundesstaat Tennessee nach Frankfurt am Main ausgeliefert worden, nachdem ein US-Gericht ihn für schuldig befunden hatte, ein Holocaust-Täter zu sein.
B. hatte gestanden, als KZ-Wächter gedient zu haben, sagte allerdings einer US-Einwanderungsbehörde, er habe weder die Misshandlung von Gefangenen miterlebt, von Todesfällen gewusst, noch die Märsche zur Evakuierung des Lagers bewacht. In Deutschland angekommen gab B. bekannt, dass er nicht gewillt sei, noch einmal auszusagen.
Da es keine überlebenden ehemaligen Häftlinge mehr gibt, die als Zeugen gehört werden könnten, stellte die Generalstaatsanwaltschaft Celle am 31. März das Verfahren ein: Es gebe keine Beweise, damit war der Fall erledigt. B., der seit 1959 in den USA gelebt hatte, wird nun vermutlich den Rest seines Lebens in Deutschland verbringen.
Christoph Heubner, geschäftsführender Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees in Berlin, findet es "seltsam", dass die US-amerikanische und deutsche Justiz zu so unterschiedlichen Bewertungen des Falls kommen: "Wenn die Amerikaner Leute zurückschicken, ist es die Pflicht der deutschen Staatsanwaltschaften, das aufzuklären", sagt er der DW.
Zwei Sichtweisen auf Schuld und Beweise
Doch die Zurückhaltung der deutschen Behörden, den Fall anzugehen, ist nicht unüblich: In den vergangenen vier Jahrzehnten wurden 70 alternde Nazi-Täter aus den USA nach Deutschland überführt - die überwältigende Mehrheit hat niemals ein deutsches Gericht zu Gesicht bekommen.
Viele verbringen ihren Lebensabend auf Kosten der Steuerzahler im Altenheim wie Jakiw Palij - der 95-jährige SS-Kollaborateur wurde 2018 nach langen diplomatischen Querelen von seiner Heimat New York nach Deutschland gebracht.
Das Gesetz, das in den USA zur Anwendung kommt, geht zurück auf eine Novelle des Einwanderungsgesetzes im Jahr 1978. Demnach können die USA jeden ausweisen, der sich nachweislich an NS-Verbrechen beteiligt hat - wobei dies nur gilt, wenn es ein Land gibt, das sich bereit erklärt, den Täter aufzunehmen.
In Deutschland hingegen gibt es kein Gesetz, das sich explizit mit Holocaust-Verbrechen befasst. Auch Jahrzehnte nach dem Krieg können ehemalige Nationalsozialisten nur wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord verurteilt werden. Alle anderen Verbrechen - Vergewaltigung, Entführungen, Folter oder Totschlag - sind inzwischen verjährt. Und es ist schwierig, konkrete Verbrechen nachzuweisen.
Thomas Walther weiß das sehr genau. Der 77-jährige Anwalt und ehemalige Richter hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, in den vergangenen 20 Jahren ehemalige Nazis in Deutschland aufzuspüren und zu verurteilen. Häufig hatte Walther damit zu kämpfen, die Unwägbarkeiten der deutschen Gesetzgebung den Holocaust-Überlebenden zu erklären, die er vertreten hat.
"In einer US-Einwanderungsbehörde reicht es aus, zu dem Schluss zu kommen, dass der Angeklagte lügt", sagt er der DW: "Dass er seine Nazi-Vergangenheit geheim gehalten hat und in irgendeinem Konzentrationslager gedient hat, welches auch immer dieses gewesen sein mag und was auch immer dort tatsächlich passiert ist."
In Deutschland hingegen brauchen Staatsanwälte Beweise für ein bestimmtes Verbrechen, um überhaupt Hoffnung auf Erfolg zu haben. Und dafür muss ein Tatort ausgemacht werden. "Man muss beweisen, dass er [ein Wächter] in Lager X war und nicht in Lager Y", sagt Walther: "Nur, wenn ich einen Tatort habe, kann ich auch den Haupttatbestand bestimmen - den Mord an bestimmten Menschen zum Beispiel. Und dann muss man die Frage beantworten: Auf welche Art und Weise hat der Beschuldigte Beihilfe zum Mord geleistet?"
Der Fall des KZ-Wächters Friedrich Karl B.
Das macht es für die Ermittler und Staatsanwälte sehr schwierig, besonders, wenn es - wie im Fall Friedrich Karl B.s - darum geht, Ereignisse aufzuklären, die sich in den Wirren Norddeutschlands am Ende des Krieges abspielten.
Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat dabei eine entscheidende Rolle gespielt, insbesondere der dortige Chefhistoriker Reimer Möller. Er war es, der der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg eine Liste schickte. Sie beinhaltet B.s Namen und wurde bei der Bergung eines im Mai 1945 von der Royal Air Force versenkten Schiffes gefunden.
Mit diesem Beweismittel konnte Möller das zusammenfügen, was über B.s Geschichte bekannt ist: Im Januar 1945 wurde B. demnach als 19-jähriger Marinesoldat von der SS als Wachmann in zwei Meppener Konzentrationslager geschickt, die Teil des "Systems" Neuengamme waren, das sich über mehr als 80 Lager von Hamburg bis an die Nordseeküste erstreckte.
B. bewachte Häftlinge auf der Insel Langeoog, einem der vielen Orte, an denen Juden, Dänen, Polen, Russen, Italiener und andere Zwangsarbeiter gezwungen waren, riesige Verteidigungsanlagen entlang der deutschen Grenze im Norden zu errichten. Nach Erkenntnissen der Gedenkstätte Neuengamme starben Hunderte Menschen, weil ihnen ausreichend Nahrung, Kleidung und Schutz fehlten.
Ein vorsitzender US-Richter befand außerdem, dass die Gefangenen der Meppener Lager unter "grauenhaften" Bedingungen festgehalten wurden und "bis zur Erschöpfung und zum Tod" arbeiten mussten. Allerdings ist sich niemand sicher, wo B. genau eingesetzt war. Die Lager wurden im März 1945 evakuiert. Es ist bekannt, dass mindestens 70 Menschen auf den folgenden sogenannten Todesmärschen starben. Doch Friedrich Karl B. bestreitet, diese Märsche bewacht zu haben und Möller kann nicht mit Sicherheit sagen, dass B. einer der Marinesoldaten war, die die Gefangenen auf den Märschen bewachten.
Mangelnder Wille in Deutschland
Das ist ein Problem, das Eli Rosenbaum bekannt vorkommt. Rosenbaum ist womöglich der zentrale Ermittler beim Aufspüren von Holocaust-Tätern in den USA. Seit drei Jahrzehnten "jagt" Rosenbaum Nazis - auch, wenn er den Begriff "Nazi-Jäger" selbst nicht gerne gebraucht. Zuerst war er Direktor der Justiz-Behörde "Office of Special Investigations". Seit elf Jahren leitet er die im Justizministerium angesiedelte Abteilung für "Human Rights Enforcement Strategy and Policy".
Rosenbaum sagt, der Mangel an politischem Willen in Deutschland habe zu erheblicher Frustration geführt. "Das größere Problem mit der deutschen Regierung über die Jahrzehnte hinweg war, dass sie sich häufig geweigert haben, Menschen aufzunehmen, die wir auf Grund ihrer Beteiligung an Nazi-Verbrechen abschieben wollten", sagt er der DW.
"Sie sagen uns dann normalerweise: Tut mir leid, aber diesen Fall können wir nicht verfolgen - unsere Vorgehensweise ist es, nur Menschen aufzunehmen, die wir auch strafrechtlich verfolgen können", berichtet Rosenbaum: "Das führte dazu, dass eine ganze Reihe Nazi-Verbrecher in den USA gestorben sind, obwohl wir die Fälle vor Gericht gewonnen haben und bewiesen haben, dass sie sich an Nazi-Verbrechen beteiligt haben. Aber Deutschland war nicht willens, sie aufzunehmen."
Die Botschaft der Verfolgung
Viele der über 100 NS-Verbrecher, die seine Organisation aufspürte, hat Rosenbaum selbst interviewt. "Je später die Fälle vor Gericht gebracht werden, umso stärker ist die Botschaft", sagt er: "Wenn du es wagst, solche Verbrechen zu begehen, besteht die sehr reelle Chance, dass dich die Überreste der zivilisierten Welt, solange es nötig ist, deshalb verfolgen werden."
Für Rosenbaum gibt es keinen Grund, warum 90-Jährige nicht vor Gericht gebracht werden sollten, unabhängig davon, wie klein ihre Rolle im Holocaust gewesen sein mag. "Ich habe nicht die Angewohnheit, sie einzustufen", sagt er: "Für das einzelne Opfer war dies der wichtigste Täter. Alle diese Fälle senden eine entscheidende Botschaft."
Diese Botschaft sei simpel, erläutert er. Sie richte sich an potenzielle Beteiligte zukünftiger Gräueltaten: Diese Taten werden nicht vergessen werden.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.
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NS-Prozesse
„Bereitschaft, Ausreden hinzunehmen, hat es jahrzehntelang gegeben“
Das Internationale Auschwitz Komitee wirft der deutschen Justiz jahrzehntelange Versäumnisse in der Verfolgung von NS-Verbrechern vor. Der Historiker Norbert Frei stimmt nur teilweise zu. Es habe Versäumnisse gegeben, aber von Versagen könne man nicht sprechen, sagte er im Dlf.
Norbert Frei im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 16.02.2021
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Zwei mögliche Prozesse gegen ehemalige Mitarbeiter in deutschen Konzentrationslagern werden zur Zeit geprüft: Beim Landgericht Itzehoe gegen eine 95-jährige ehemalige Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof, beim Landgericht Neuruppin gegen einen 100-jährigen ehemaligen SS-Wachmann des Lagers Sachsenhausen. Der geschäftsführende Vizepräsident des Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, wirft der deutschen Justiz nun „Versagen“ vor, weil beide Verfahren erst jetzt vor die Gerichte kämen. Es habe jahrzehntelange Versäumnisse gegeben, dabei habe sich mit dem Fall John Demjanjuk, einstiger Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, in der deutschen Rechtsprechung die Auffassung durchgesetzt, dass, wer im Dienst des NS-Systems war, auch von der Massenvernichtung gewusst haben muss.
Komplizierte und schwierige Aufarbeitung
„In der Tat ist die Geschichte des Umgangs, des justiziellen Umgangs mit den nationalsozialistischen Verbrechen eine komplizierte, schwierige und eine, die von vielen Versäumnissen geprägt ist. Diese Versäumnisse liegen eigentlich vor allem in den mittleren Jahren der alten Bundesrepublik“, so der Historiker Norbert Frei, der sich in mehreren Publikationen mit der Aufarbeitung dieser Verbrechen beschäftigt hat. „Aber richtig ist auch, dass es insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit sehr wohl eine Fülle von Verfahren und Prozessen gegeben hat, und dass man nicht so ganz einfach sagen kann, es sei alles nur ein Versagen gewesen.“
Ausreden wurden bereitwillig akzeptiert
Es habe nach 1945 lange gedauert, die Argumentation der Täter, sie selbst seien bei Befehlsverweigerung der Lebensgefahr ausgesetzt gewesen, als falsch zu entlarven. „Das ist eine Ausrede gewesen, die erst durch die Geschichtsschreibung, durch die Historiker in einem mühseligen Prozess dann auch nicht mehr länger gegolten hat. Die Bereitschaft, solche Ausreden hinzunehmen, die hat es jahrzehntelang gegeben“, erklärt Frei. Deswegen habe es auch lange gedauert, bis in der Justiz ein Perspektivwechsel stattgefunden habe.
Kaum noch Zeitzeugen
Solange es noch letzte Zeitzeugen gebe, dürfe die Aufarbeitung vor den Gerichten nicht aufhören, meint der Historiker. „Sie sind aus meiner Sicht ein wichtiges Signal, auch in einer Zeit, in der die Bedrohung von rechts außen zunimmt und in der Rassismus und Antisemitismus grassieren. Die Prozesse zeigen den sehr alt gewordenen Überlebenden, wie unsere Gesellschaft insgesamt in dieser späten Stunde eben auch vor Gericht durch Aufklärung den Verbrechen und dem Unrecht der NS-Zeit immer noch begegnen kann. Und muss.“
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NS-Prozesse – jetzt sind die Hundertjährigen dran
FEBRUAR 17, 2021
Von Peter Haisenko
DAS PORTAL DES ANDERWELT VERLAGS FÜR KRITISCHEN JOURNALISMUS UND MEINUNGSBILDUNG
Es darf kein Ende haben, mit dem Schuldkult. Jetzt steht der erste Hundertjährige vor Gericht für etwas, was er vielleicht vor 76 Jahren falsch gemacht haben könnte. Hat das noch etwas mit „Gerechtigkeit“ zu tun oder ist das nur noch die Verewigung der „deutschen Erbschuld“?
Wegen Corona etwas unbemerkt finden gerade wieder zwei Prozesse statt wegen Beihilfe zum Mord vor 76 Jahren. Eine Frau, die damals als Sekretärin im Lager Stutthof (Ostpreußen) war und heute 95 Jahre alt ist wird beschuldigt, durch ihre Arbeit als KZ-Sekretärin Beihilfe zu tausendfachem Mord geleistet zu haben. Pikant daran ist, dass diese Frau bereits 1954 dazu befragt wurde und umfangreich ausgesagt hatte. Im damaligen Verfahren kam es zu keiner Verurteilung. Die jetzt zuständige Jugendkammer Itzehoe führt nicht an, dass es neue Erkenntnisse gäbe, die dieses Verfahren zwingend machen könnten. Die Jugendkammer ist zuständig, weil die Frau damals noch minderjährig war. Erst im vergangenen Sommer hatte das Landgericht Hamburg einen ehemaligen SS-Wachmann des KZ Stutthof der jetzt 94 Jahre alt ist, zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Was also soll bei einer Sekretärin gleichen Alters herauskommen? Ist es nicht nur noch absurd, 100-Jährige zu Jugendstrafen auf Bewährung verurteilen zu wollen?
Eine Strafverfolgung von NS-Verbrechen ist nur wegen Mordes oder Beihilfe möglich
Der zweite Fall wird von der Staatsanwaltschaft Neuruppin in Brandenburg betrieben. Dem heute 100-Jährigen wird vorgeworfen, als ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen geleistet zu haben. Warum geht es in beiden und vergangenen Prozessen um Beihilfe zum Mord? Ganz einfach: Eine Strafverfolgung von NS-Verbrechen ist in Deutschland nur noch wegen Mordes oder Beihilfe dazu möglich, andere denkbare Vorwürfe wie Freiheitsberaubung oder Körperverletzung sind verjährt. Der Wachdienst in einem NS-Konzentrationslager allein reicht nicht aus. Nur bei Todes- und Vernichtungslagern, deren Zweck die systematische Tötung sämtlicher Gefangener war, gilt nach deutscher Rechtsprechung bereits die Zugehörigkeit zur Wachmannschaft auch ohne konkretere Tatnachweise der Mordbeihilfe.
Entlang dieser Linie fällten deutsche Gerichte zuletzt mehrere Urteile gegen frühere SS-Wachmänner, der Bundesgerichtshof bestätigte diese Praxis höchstrichterlich. Die Urteile betrafen aber Einsätze in den Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau und Stutthof. Im Fall Sachsenhausen liegt der Fall anders. Wie die Gedenkstätte bekannt gibt, waren dort zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende Häftlinge kamen dort durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche und Misshandlungen um. Allerdings hat die Leitung der Gedenkstätte ein Hintertürchen eingebaut mit dem Zusatz „oder wurden Opfer systematischer Vernichtungsaktionen“. Das aber reicht nicht aus, denn damit ist die Voraussetzung nicht erfüllt: „,deren Zweck die systematische Tötung sämtlicher Gefangener war“. Sachsenhausen war also kein Todes- oder Vernichtungslager, auch wenn der Nachsatz dem angesagten Trend folgend etwas anderes suggerieren will. So widerspricht die Anklageerhebung gegen den 100-Jährigen schon im Ansatz geltender Rechtsprechung: „Der Wachdienst in einem NS-Konzentrationslager allein reicht nicht aus.“
Auch ohne diese Betrachtungen muss sich die Frage stellen, welchen Sinn solche Prozesse haben können, wenn sie „nur“ zu (Jugend-)Strafen auf Bewährung führen. Das weiß der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Er sagte über die Anklage des ehemaligen KZ-Wachmannes: "Für die hochbetagten Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager ist auch dieser Prozess ein wichtiges Beispiel dafür, dass die Gerechtigkeit kein Verfallsdatum kennt und die Verfolgung der SS-Täter auch im hohen Alter kein Ende finden darf." In Deutschland gilt diese zweifellos hochanständige Haltung nicht für deutsche Opfer. Immerhin sind in den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Kriegsende, von 1945 bis 1949, mehr als sechs Millionen Deutsche ermordet worden, teilweise unendlich grausam. Da sind die Millionen noch nicht enthalten, die zum Beispiel auf den Rheinwiesen durch amerikanische Hand elendiglich zu Tode gekommen sind. Und wie sieht es aus mit den deutschen Zivilisten, die im industriellen Maßstab in den Städten durch den alliierten Bombenhagel umgekommen sind? Ach nein, die waren ja selbst schuld – weil sie Deutsche waren.
Nationalmasochismus – eine Spezialität der Deutschen
In meinem Werk „England, die Deutschen, die Juden und das 20. Jahrhundert“ habe ich ein Kapitel überschrieben: „Vom Nationalsozialismus direkt zum Nationalmasochismus“. Kann man es anders nennen, wenn nach 76 Jahren 100-Jährige vor Gericht gestellt werden, mit krampfhaft konstruierten Anklagen? Anklagen, die wie im Fall der Sekretärin schon vor 65 Jahren abgehandelt worden sind, ohne eine direkte Schuld festzustellen. Hätte dieser masochistische Wahnsinn nicht Methode, müsste man einfach nur lachen. Ich denke, genau das tut man im Ausland und in London lacht man sich ins Fäustchen, ob dieser deutschen Demontage der eigenen Identität. Mehr kann ein Sieger nicht erreichen, als dass der Feind sich auf ewig selbst beschuldigt und nicht ansatzweise fragt, in welchem Ausmaß der Sieger auch Schuld auf sich geladen hat. Und zwar nach bereits damals anerkanntem Kriegs- und Völkerrecht.
In diesem Sinn sind die Zahlen über Tote des Bombenterrors kontinuierlich herunter gelogen worden. In Dresden zum Beispiel sind aus mindestens 250.000 Toten mittlerweile 18.000 gemacht worden, obwohl das Internationale Rote Kreuz im Frühjahr 1945 sogar mindestens 300.000 angegeben hat. (siehe hier) Der Nationalmasochismus geht weiter. In Namibia werden die Zahlen über tote Hereros einem dauernden Wachstum unterworfen. Von der realistischen Zahl 5.000, über 30.000, musste ich neulich in einer „Doku“ die Zahl 100.000 hören. Nichts hört man aber von den zehn Millionen, die zur selben Zeit im Kongo vom belgischen Königshaus ermordet wurden. Und nein, das waren keine Aufständischen wie in Namibia, angestachelt von den Briten. Vielmehr ging es darum, Minderleistungen der Sklaven in der Kolonie zu bestrafen.
Folgt man in diesem Sinn dem amerikanischen Reverend Ludwig A. Fritsch, Ph. D., D. D. emer., müssten die Deutschen Engel oder Heilige sein, wie sie sich nach dem Krieg bis heute verhalten. Er sagte 1948 in Chicago: "Die Deutschen müssten Engel oder Heilige sein, um zu vergessen und zu vergeben, was sie an Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten zweimal in einer Generation zu erleiden hatten, ohne dass sie ihrerseits die Alliierten herausgefordert hätten. Wären wir Amerikaner so behandelt worden, unsere Racheakte für unser Leiden würden keine Grenzen kennen." Was aber haben die Deutschen getan? Sie haben Churchill 1955 den Karlspreis der Stadt Aachen verliehen mit dieser Laudatio: „1955 Karlspreis der Stadt Aachen für Winston Churchill – Hüter menschlicher Freiheit – Mahner der europäischen Jugend“. Nur Psychopathen können diesen Schlächter so ehren, der 1.042 deutsche Städte bombardieren und dem Erdboden gleichmachen ließ. Kein Politiker eines anderen Landes würde sich so würdelos den Opfern des eigenen Volkes gegenüber verhalten.
Bewährungsstrafe für einen „Täter“, der sich nicht mehr bewähren kann
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im deutschen Grundgesetz. Wie aber kann es mit „Würde“ vereinbar sein, einen 100-Jährigen nach 76 Jahren vor Gericht zu stellen für ein Verhalten, dem er sich damals kaum entziehen konnte, ohne sein eigenes Leben zu gefährden? Der dann ein Leben geführt hat, ohne mit Gesetzen in Konflikt zu geraten. Dem dann eine „Bewährungsstrafe“ auferlegt wird, obwohl er bereits 76 Jahre „Bewährung“ hinter sich hat. Glaubt man denn, dass der 100-Jährige noch einmal Aufseher in einem KZ werden könnte, das es nicht gibt? Aber genau das ist doch der Sinn von Bewährungsstrafen, eine Wiederholung der Straftat zu vermeiden. Was also kann der Sinn solcher Prozesse sein?
Was hier gemacht wird, kann ich nur mit den Schauprozessen der Sowjetunion vergleichen. Es ist eine rein politische Agenda mit dem Ziel, die ewige deutsche Erbschuld immer wieder zu bestätigen. Das Problem dabei ist aber, dass es eine Erbschuld gar nicht geben darf, folgt man den Grundsätzen der Demokratie und Menschenrechte. Mit der aktuellen Politik der Merkelbande braucht man keine Erbschuld. Die deutsche Regierung lädt gerade neue Schuld auf sich, indem sie alles tut, den Frieden mit Russland zu zerstören. Da wäre es mehr als angebracht, die Akteure jetzt vor Gericht zu stellen, und zwar dieses Mal bevor das Unheil angerichtet ist.
Der Jude Gerhard Löwenthal hat das deutsche Verhalten ein „zerstörerisches Schuldbewusstsein“ genannt. Ich ergänze: Zerstörerisch, auch weil es von aktuellen Fehlleistungen ablenkt. Man bedenke: Ein 100-Jähriger wird kein Unheil mehr anrichten, eine 66-jährige ist dazu sehr wohl fähig, insbesondere wenn sie amtierende Kanzlerin ist. Also beendet den Schuldkult mit den sinnlosen Propagandaprozessen über eine mögliche Schuld vor 76 Jahren! Sorgt lieber dafür, dass Deutschland jetzt und für die Zukunft keine neue Schuld auf sich lädt! Das nämlich wird böse ausgehen, und zwar für ungefähr 80* Millionen Deutsche, die keinerlei Schuld auf sich geladen haben, aber Merkels Politik hilflos ausgeliefert sind.
*: Nur 80 Millionen, weil es immer einen Anteil an Übeltätern in jeder Nation und jeder Ethnie gibt.
https://www.anderweltonline.com/index.php?id=1330
Hier finden Sie Details zu diesen Prozessen:
https://www.n-tv.de/panorama/100-jaehriger-Ex-KZ-Wachmann-angeklagt-article22347787.html
https://www.n-tv.de/panorama/Ex-KZ-Sekretaerin-aus-Pinneberg-angeklagt-article22341793.html
Vor 55 Jahren: Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess
14.08.2020
Am 19. und 20. August 1965 wurden die Urteile im Frankfurter Auschwitz-Prozess verkündet. Es war das Ende des bis dahin wichtigsten Verfahrens gegen NS-Verbrecher vor einem deutschen Gericht. Der Prozess prägte die Debatte um die deutsche Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit nachhaltig.
In den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren es die Alliierten, die die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes strafrechtlich verfolgten. Vor dem Internationalen Militärgerichtshof fanden von 1945 bis 1949 die Interner Link:Nürnberger Prozesse statt, die den Interner Link:Auftakt eines langen Weges der Aufarbeitung bildeten. Ab 1950 erlaubte das Gesetz Nummer 13 des Rats der Alliierten Hohen Kommission auch deutschen Gerichten eine uneingeschränkte Strafverfolgung von nationalsozialistischen Gewalttaten. Erst im Jahr 1963 begann das Strafverfahren über Verbrechen, die im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz begangen wurden: der Frankfurter Auschwitz-Prozess.
Periode des Schweigens
Bis 1958 wurde jedoch nur gegen wenige Täter ermittelt. Ein Grund dafür war das gesamtgesellschaftliche Klima in den frühen Jahren der Bundesrepublik: Durch Entnazifizierungsverfahren sollten zwar alle ehemaligen Nazis aus Positionen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft entfernt werden. Diese Verfahren blieben jedoch oft oberflächlich. Ab 1951 wurden viele Staatsbedienstete aus der NS-Zeit Externer Link:wieder eingegliedert. Auch einige Verurteilte aus den Interner Link:Hauptkriegsverbrecherprozessen wurden in den 1950er-Jahren begnadigt. Bundeskanzler Konrad Adenauer forderte gar eine Interner Link:generelle Amnestie für Strafen, die von Gerichten der Alliierten verhängt wurden. Der weit verbreitete Wunsch nach einem "Schlussstrich" unter die Nazi-Verbrechen sowie der anlaufende Wiederaufbau des Landes trugen in der Adenauer-Ära zu einer "Periode des Schweigens" über die NS-Gräuel bei. Die meisten Deutschen fühlten sich damals als Kriegsopfer.
Ulmer Prozess 1958
Das änderte sich erst mit dem Externer Link:Ulmer Prozess von 1958. Hauptangeklagter war Bernhard Fischer-Schweder, der Kommandeur des Einsatzkommandos Tilsit, das 1941 im litauischen Memel (heute: Klaipėda) mehrere tausend Jüdinnen und Juden ermordet hatte. Dem Gericht gelang es, ihm und neun weiteren Angeklagten die Beteiligung an insgesamt 5.502 Morden nachzuweisen. Es war der erste Prozess vor einem deutschen Gericht, in dem Massenmorde verhandelt wurden. Er machte öffentlichkeitswirksam deutlich, dass NS-Verbrecher unbestraft in Deutschland lebten und arbeiteten.
Zwei Monate nach dem Urteil, im November 1958, gründeten die Justizminister der Bundesländer die Externer Link:Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Ihre Aufgabe ist es bis heute, auf der Grundlage systematischer Quellenauswertung Vorermittlungen zu führen, die sie an die zuständigen Staatsanwaltschaften übergibt.
Hermann Langbein und Fritz Bauer
Mord oder "Befehlsnotstand"?
Ein Problem bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen war die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß des organisierten Massenmordes an europäischen Juden und einem Mordparagrafen, der für eine Verurteilung individuelle Tatnachweise voraussetzt. Das bedeutet: Täter konnten nur dann verurteilt werden, wenn ihnen eine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, was einschließt, dass die Tat ohne Befehl und aus niederen Motiven wie zum Beispiel Rassenhass begangen wurde. Dem stand entgegen, dass sich Täter oft auf den so genannten "Befehlsnotstand" beriefen und bekundeten, dass ihnen bei Unterlassung ihrer Taten Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte. Als besonders schwierig erwies sich, in dem quasi-industriell aufgebauten Mordkomplex des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz einer einzelnen Person die Hauptverantwortung für eine einzelne Tat nachzuweisen.
Auschwitz – Symbol für den Holocaust
Die Anhörungen
Der Frankfurter Auschwitz-Prozess begann am 20. Dezember 1963. Externer Link:Insgesamt sollten 24 Männer wegen NS-Verbrechen im Kontext des Konzentrationslagers Auschwitz angeklagt werden. Richard Baer, der letzte Kommandant von Auschwitz, starb ein halbes Jahr vor Prozessbeginn, ein weiterer Mann schied krankheitsbedingt aus dem Verfahren aus. Hauptangeklagter war Robert Mulka, der Adjutant des früheren Lagerkommandanten Rudolf Höß. Der Prozess hieß offiziell "Strafsache gegen Mulka u.a.". Neben Mulka standen unter anderem drei Lagerärzte und Mitglieder der SS-Wachmannschaften vor Gericht.
Angehört wurden insgesamt 359 Zeugen aus 19 Ländern. Etwa zwei Drittel von ihnen waren ehemalige Interner Link:KZ-Häftlinge. Für sie waren die Aussagen oft besonders belastend – nicht nur, weil sie traumatische Erlebnisse schildern mussten, sondern auch, weil ihre Erinnerungen zum Teil von den Verteidigern und Richtern infrage gestellt wurden. Sie berichteten von Foltermethoden, "Selektionen", Tötungen und Misshandlungen durch Ärzte. Diese Aussagen sorgten auch international für großes Aufsehen.
Die Angeklagten ihrerseits leugneten die Existenz der Verbrechen in Auschwitz oft nicht. Sie gaben jedoch häufig an, Erinnerungslücken zu haben, oder bestritten, persönlich an diesen Taten beteiligt gewesen zu sein. Außerdem beteuerten sie, auf Befehl gehandelt zu haben. Interner Link:Scham oder Reue für die Taten zeigten sie nicht.
Urteile lösen Debatte aus
Am 19. und 20. August 1965 wurden Externer Link:die Urteile verkündet. Sechs Angeklagte wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt, darunter Josef Klehr, der Leiter des SS-Desinfektionskommandos in Auschwitz, dem 475 Morde und gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens sechs Fällen zur Last gelegt wurden. Auch Emil Bednarek, der als sogenannter Funktionshäftling von der SS in Auschwitz eingesetzt worden war und dem 14 Morde nachgewiesen werden konnten, erhielt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Er wurde jedoch 1975 begnadigt. Robert Mulka selbst bekam wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens vier Fällen und an mindestens je 750 Menschen eine 14-jährige Freiheitsstrafe, die er jedoch nie antrat: Ihm wurde noch vor Rechtskraft des Urteils im Jahr 1968 Haftverschonung gewährt. Mulka starb 1969. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen.
Insgesamt wurden die Urteile oft als zu milde empfunden. Auch Interner Link:Fritz Bauer zeigte sich enttäuscht. Die Prozesse halfen jedoch, Debatten in Gang zu bringen, die den Umgang mit NS-Verbrechen in den folgenden Jahren und Jahrzehnten bestimmten. Mehr Menschen wurde bewusst, Interner Link:dass es keinen "Schlussstrich" unter nationalsozialistische Verbrechen geben konnte. Parallel zum Prozess debattierte der Bundestag darüber, Interner Link:die Verjährungsfrist von Mord aufzuheben, was 1979 beschlossen wurde – auch, weil dadurch Nazi-Verbrechen weiterverfolgt werden konnten.
Wende durch den Demjanjuk-Prozess 2011
Die Rechtsauffassung, dass nur jene Nazi-Täter zur Verantwortung gezogen werden können, denen eine persönliche Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, änderte sich dagegen nur allmählich. Beihilfe zum Mord und Mord sind die einzigen Verbrechen aus der Nazi-Zeit, die noch nicht verjährt sind. Gleichzeitig galten aber beispielsweise SS-Wachen, die mit ihren Taten einen Anteil daran hatten, dass Morde geschehen konnten, im juristischen Sinne nicht als Beihelfer.
Das änderte sich mit dem Prozess gegen den in der Ukraine geborenen SS-Wachmann John Demjanjuk, der 2011 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 28.060 Fällen im Interner Link:Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Demjanjuk starb 2012, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Ab 2011 wurde es möglich, auch jene Mittäter zur Verantwortung zu ziehen, die ihren Anteil daran hatten, dass die Mordmaschine der Nationalsozialisten funktionieren konnte. Deswegen gibt es auch immer noch Prozesse gegen NS-Täter: Ein 93-jähriger ehemaliger SS-Wachmann im KZ Stutthof wurde beispielsweise Ende Juli 2020 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.
https://www.bpb.de/
Aufklärung der NS-Morde
„Das deutsche Strafrecht war für Massenverbrechen nicht geeignet“
Nach Ansicht von Jens Rommel, Leiter der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, hat es in der deutschen Justiz lange große Zurückhaltung gegeben, alle NS-Verbrecher angemessen zu verurteilen. Der Fall Demjanjuk 2011 sei nochmal ein Startschuss gewesen, sagte Rommel im Dlf.
Jens Rommel im Gespräch mit Silvia Engels | 27.01.2020
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09:06
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Heute vor 75 Jahren wurden die Überlebenden im KZ Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Der Tag gehört deshalb dem Gedenken an die Opfer und die Überlebenden der NS-Verfolgung. Zugleich bietet er Anlass, darüber nachzudenken, wie in den vergangenen 75 Jahren die NS-Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Einen Überblick hat Jens Rommel. Er leitet seit 2015 die zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Seit 1958 hat sie die Aufgabe, Vorermittlungen gegen NS-Verbrecher zu betreiben und zu bündeln.
Silvia Engels: Beginnen wir mit dem Blick zurück. Erst 1958 begann Ihre Stelle zu arbeiten. War das nicht viel zu spät, weil viele NS-Täter bis dahin längst ihre Spuren verwischt haben?
Jens Rommel: Tatsächlich hatten unmittelbar nach dem Krieg die Alliierten, ausländische Staaten, aber auch die deutschen Gerichte in den Besatzungszonen sehr engagiert begonnen, Strafverfahren wegen der Verbrechen in Diktatur und Weltkrieg zu führen. Nach Gründung der beiden deutschen Staaten Anfang der 50er-Jahre bricht das dann nahezu völlig zusammen. Es herrscht ein ganz anderes Klima in den 50er-Jahren. Es geht darum, einen Schlussstrich zu ziehen und nach vorne zu schauen. Dann wird 1958 durch einen zufällig zustande gekommenen Prozess in Ulm klar: Es ist noch längst nicht alles aufgearbeitet und wir brauchen eine Stelle, die die Ermittlungen vorantreibt, unabhängig davon, wo die Taten begangen worden sind, und unabhängig vom Wohnort des Beschuldigten. Aus heutiger Sicht war man noch sehr dicht dran an den Verbrechen und es waren tatsächlich auch noch viele Hauptbelastete am Leben.
Die mittleren 50er-Jahre waren verlorene Jahre
Engels: Ist das rückblickend aber doch das größte generelle Defizit bei der Aufklärung und Ahndung der NS-Verbrechen, der verspätete oder verschleppte Start und die lange Zeit ja dann sehr große Milde bei der Verurteilung von Tätern oder gar Freisprüchen mutmaßlicher Täter?
Rommel: Ich denke, dass man wirklich nur die mittleren Jahre der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts als verlorene Jahre bezeichnen kann. Die zweite Hälfte der 40er-Jahre ist genutzt worden und nach Gründung der zentrale Stelle 1958, nach Verschiebung der Verjährung von Mord 1965 werden sehr viele Ermittlungen angestoßen. In dieser Zeit bemüht sich die Justiz wirklich darum, die noch lebenden Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Leider bricht das dann Ende der 60er-Jahre, Anfang der 70er-Jahre wieder in sich zusammen.
Engels: Sie haben es angesprochen. Die meisten Vorermittlungsverfahren Ihrer Stelle erfolgten zwischen 1967 und ‚71. Welches waren denn damals die häufigsten Vergehen? Wie sahen die meisten Urteile aus?
Rommel: Hintergrund dieser zahlreichen Verfahren ist, dass der Bundestag die Verjährung von Mord hinausgeschoben hatte und die Bundesregierung die Staaten der Welt aufgefordert hatte, Belastungsmaterial an die Bundesrepublik zu liefern. Gleichzeitig hat man die zentrale Stelle in Ludwigsburg erheblich verstärkt. Wir waren dann fast 50 Staatsanwälte, die hier ermittelt haben, und das hat zu einer Vielzahl von Vorermittlungsverfahren geführt. Der Schwerpunkt lag Mitte der 60er-Jahre bei Konzentrationslagern und bei den Verbrechen der Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten. Da sind viele Ermittlungen bei den Staatsanwaltschaften angestoßen worden. Es kam auch zu Anklagen und zu Verurteilungen. Leider hat dieser Trend dann nicht lange angehalten, sondern um die Wende 1969/1970 müssen wir Rückschläge einstecken.
Gesetzgeberische Fehlleistung
Engels: Warum brach das dann wieder weg?
Rommel: Ich habe zwei Rückschläge, die ich benennen kann. Zum einen ist es so, dass man 1968 eine versteckte Verjährung für Mordgehilfen eingefädelt hat, und zwar war die Beihilfe zum Mord dann verjährt, wenn der Unterstützer selbst nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat, wenn man ihm keinen Rassenhass oder Antisemitismus nachweisen konnte. Damit sind insbesondere Ermittlungen gegen die Schreibtisch-Beteiligten in Berlin, beispielsweise im Reichssicherheitshauptamt zum Erliegen gekommen – eine gesetzgeberische Fehlleistung.
Dann gibt es eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 1969 zum Konzentrationslager Auschwitz, in der der Bundesgerichtshof folgendes sagt: Nicht jeder, der irgendwie an diesen Verbrechen der Vernichtungsmaschinerie beteiligt war, sei für alles verantwortlich, denn sonst würde man jemanden bestrafen, dessen Verhalten die Taten nicht konkret gefördert hat. Aus diesen Formulierungen haben dann die Staatsanwaltschaften gefolgert, sie müssten im Einzelfall immer nachweisen, durch welches Verhalten an einem bestimmten Tag jemand einen einzelnen Mord unterstützt hat, und das war natürlich dann Jahrzehnte nach den Taten kaum mehr möglich. Daher sind leider sehr viele Verfahren Anfang der 70er-Jahre beendet worden.
Engels: Dann machen wir einen Sprung ins Jahr 2011. Da gab es noch mal eine Veränderung, nämlich die Verurteilung von John Demjanjuk, ukrainischer Wachmann im NS-Vernichtungslager Sobibor. Er wurde damals zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum nationalsozialistischen Völkermord verurteilt. Und seitdem standen auch KZ-Wärter vermehrt vor Gericht, die man früher kaum herangezogen hatte. Die Zahl der Prozesse stieg noch einmal an. Ein wichtiger Schritt?
Rommel: Der Fall Demjanjuk ist deswegen so bedeutsam, weil man sich auf einen alten Gedanken besonnen hat. Bei den reinen Vernichtungslagern, in denen es darum ging, wirklich jeden zu töten, der dort ankam, kann es ja nicht darauf ankommen, was jemand an einem einzelnen Tag gemacht hat. Wenn der einzige Zweck des Lagers ist, alle Häftlinge zu töten, so trägt auch jede Tätigkeit in diesem Lager zu diesem Zweck bei. Deswegen ist Ywan Demjanjuk verurteilt worden, obwohl man gar nicht wusste, was er an einzelnen Tagen gemacht hat, sondern allein für seinen Dienst in dem Lager hat man ihm die Morde zugerechnet. Diesen Gedanken hat dann die zentrale Stelle auch auf andere Lager wie Auschwitz, Majdanek, aber in der Folge auch auf Konzentrationslager wie Stutthof, Buchenwald oder Sachsenhausen übertragen. Es ist tatsächlich noch mal ein Startschuss für diese jetzt späte Verfolgung der letzten Beteiligten an den NS-Morden.
Ein Versuch, den Verbrechen gerecht zu werden
Engels: Welche Bilanz ziehen Sie für die Arbeit Ihrer Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen über diese ganzen, von uns nun kurz abgearbeiteten Jahrzehnte?
Rommel: Die zentrale Stelle soll ja strafrechtliche Ermittlungen vorbereiten, Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften oder Strafverfahren vor Gericht. Das heißt, ein Verhalten muss sich juristisch als Mord oder Beihilfe zum Mord darstellen, und wir müssen genügend Beweismittel finden. Es ist leider so, dass das deutsche Strafrecht, das hier zur Anwendung kam, für diese Massenverbrechen, die ein Staat organisiert, nicht geeignet war und sich sehr viele Schwierigkeiten in juristischer Hinsicht aufgetan haben. Die Beweislage war extrem schwierig, aber es gab auch große Zurückhaltung in der Justiz, hier alle angemessen zur Verantwortung zu ziehen. Da ist die zentrale Stelle ein Teil davon. Wir haben uns bemüht, möglichst viele Verfahren anzustoßen. Ein Vorgänger von mir hat mal gesagt, was die zentrale Stelle hier leistet, sei nur ein Versuch, den Verbrechen gerecht zu werden, aber immerhin ein Versuch. Ich denke, das fasst das ganz gut zusammen.
Engels: Wir leben in Zeiten, in denen antisemitische Straftaten in Deutschland wieder zunehmen. Gibt es Lehren, die Sie aus Ihrer Arbeit den Juristen der Gegenwart auf den Weg geben wollen?
Rommel: Ich glaube, jede Generation von Juristen, aber der Gesellschaft insgesamt muss eigene Antworten finden, wie es zu diesen Massenverbrechen kommen konnte und wie dann die Nachkriegsgesellschaft oder die Gesellschaft nach so einer Diktatur damit umgeht. Diese mühsame Aufarbeitung mahnt aber aus meiner Sicht wenigstens dazu, auch im demokratischen Rechtsstaat wachsam zu bleiben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
https://www.deutschlandfunk.de/
FRÜHERER SS-WACHMANN ANGEKLAGT : Der Preis der späten Gerechtigkeit
EIN KOMMENTAR VON ALEXANDER HANEKE-AKTUALISIERT AM 19.11.2018-21:45
Vor Jahrzehnten hätte die Justiz Recht sprechen sollen zum Vernichtungssystem der Konzentrationslager. Sie hat es nicht ausreichend getan. Nun steht wieder ein Greis vor Gericht, der als junger Mann SS-Wachmann war. Ist das gerecht? Ein Kommentar.
Ein Greis, fast nur noch die Hülle eines langen Lebens, wird in Münster dieser Tage in den Gerichtssaal gerollt. Die Zuschauerreihen sind gut gefüllt, es ist der größte Saal, den das Gericht zu bieten hat. Der Mann war 18 Jahre alt, als er in seiner Heimat Siebenbürgen von der SS eingezogen wurde. Er kam nach Stutthof, ein kleines Konzentrationslager nahe Danzig, wo er in der Wachmannschaft Dienst tat. Er war der Jüngste dort.
https://www.faz.net/
"Panorama": Verurteilter Kriegsverbrecher rechtfertigt Massaker der SS an Zivilisten
29.11.2018 – 11:18
NDR / Das Erste
Hamburg (ots)
Ein ehemaliger SS-Mann, der 1944 an einem Kriegsverbrechen in Frankreich beteiligt war, rechtfertigt die Ermordung von Zivilisten. Im Interview mit dem ARD-Politikmagazin "Panorama" (Donnerstag, 21.45 Uhr, Das Erste) leugnet Karl M. außerdem die Kriegsschuld Deutschlands und dass Millionen Menschen im Holocaust umgebracht worden sind. Der heute 96-Jährige trat kürzlich vor Neonazi-Publikum als "Zeitzeuge" auf und wird in der rechten Szene als Vorbild verehrt. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hatte Ende März die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
Karl M. aus der Nähe von Hildesheim gehörte als Unterscharführer der 12. SS-Panzerdivision an, die in der Nacht vom 1. auf den 2. April 1944 im nordfranzösischen Ascq (bei Lille) ein Massaker unter der Zivilbevölkerung verübte. Als Reaktion auf einen Sabotageakt gegen einen deutschen Zug hatte die SS die Männer des Ortes nachts aus ihren Häusern geholt und zum Bahnhof getrieben. Insgesamt 86 Menschen wurden ermordet.
Im Interview mit "Panorama" behauptet Karl M., dass er selbst niemanden erschossen habe. Er sei nur für die Festnahme der Franzosen zuständig gewesen. Die Erschießungen betrachtet er allerdings als rechtens und begründet dies mit einem angeblichen Fluchtversuch: "Wenn ich die Männer arrestiere, dann habe ich die Verantwortung für sie. Und wenn sie weglaufen, habe ich das Recht auf sie zu schießen."
Die deutschen Behörden hatten seit 2015 gegen Karl M. ermittelt, wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle stellte das Verfahren im März 2018 jedoch ein. Laut der Staatsanwaltschaft dürfe "niemand wegen derselben Tat zweimal bestraft werden". Dieser Grundsatz gelte im Schengen-Raum der EU auch dann, "wenn ein Beschuldigter in Frankreich verurteilt worden ist und dieses Urteil nach dem Recht des Urteilsstaates, also dem französischen Recht, nicht mehr vollstreckt werden kann".
Karl M. war 1949 wegen seiner Beteiligung an dem so genannten Massaker von Ascq wegen 86-fachen Mordes in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Die Strafe wurde jedoch nie vollstreckt und ist in Frankreich mittlerweile verjährt. Damit kann M. laut der Behörde auch in Deutschland nicht erneut angeklagt werden. Karl M. saß wegen des Massakers keinen Tag im Gefängnis.
Der 96-jährige M. strickt dagegen weiter an der Legende, die die SS schon unmittelbar nach dem Massaker verbreitete: Er und seine Kameraden hätten sich korrekt verhalten. Die ermordeten Zivilisten seien selbst Schuld gewesen: "Wenn sie ein reines Gewissen gehabt hätten, warum liefen sie dann weg?"
Historiker, französische Zeitzeugen und die Justiz sind dagegen sicher: Es handelte sich um eine der verbrecherischen Vergeltungsaktionen, für die diese Einheit der Waffen-SS berüchtigt war. Bis Kriegsende verübte sie in Nordfrankreich zahlreiche weitere Gräueltaten.
Sein Weltbild von damals scheint sich M., der freiwillig zur Waffen-SS gegangen war, bewahrt zu haben: Bis heute glaubt er nicht daran, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hat und leugnet NS-Verbrechen. Den Holocaust habe es aus seiner Sicht so nicht gegeben. Auf die Millionen ermordeter Juden angesprochen, sagt M.: "So viele Juden hat's damals gar nicht gegeben bei uns. Das hat man jetzt schon widerlegt. Ich habe letztens irgendwo gelesen, dass diese Zahl gar nicht stimmt, die da rausgegeben wird. Ich glaub' das alles nicht mehr."
In Deutschland hat wohl die Berichterstattung über die Ermittlungen dazu geführt, dass Neonazis auf den SS-Mann aufmerksam geworden sind. Nach "Panorama"-Recherchen trat Karl M. Anfang November bei NPD-Bundesvize Thorsten Heise im thüringischen Freterrode auf, bei einem "Zeitzeugenvortrag". Vor rund 100 Rechtsextremisten sprach M. über seine Erlebnisse bei der Waffen-SS. Dutzende Fotos von sich habe er dort für die Zuhörer signieren müssen, erzählt der 96-Jährige im "Panorama"-Interview. Für die rechte Szene ist M. ein Held. Nahezu täglich bekomme er nun Post mit Autogrammwünschen.
Die Angehörigen der Mordopfer von Ascq sind darüber schockiert, dass Karl M. in Deutschland von Rechtsextremisten verehrt wird. Rolande Bonte, die Tochter eines von der SS erschossenen Bahnarbeiters aus Ascq, sagt im Gespräch mit den "Panorama"-Reportern: "Ich verstehe nicht, dass man solche Leute gut finden oder verteidigen kann." Bonte erinnert sich noch wie heute an jene Nacht im April 1944, als die SS-Männer ihren Vater aus dem Haus holten. Sie habe nur einen Wunsch: "Der SS-Mann wird sich nicht mehr ändern. Aber man muss dafür sorgen, dass er keine anderen mit seinen Ideen ansteckt. Damit sich so etwas nie mehr wiederholt."
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Ralf Pleßmann
r.plessmann@ndr.de
http://www.ndr.de
https://twitter.com/NDRpresse
https://www.presseportal.de/pm/69086/4129311
Justiz und NS-Verbrechen
Justiz und NS-Verbrechen ist eine in gebundenen Bänden veröffentlichte Sammlung von Urteilen deutscher Gerichte zu Verbrechen des Nationalsozialismus mit Tötungsdelikten, begangen während des Zweiten Weltkriegs in der Zeit vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945, und umfasst sowohl Verfahren wegen Endphaseverbrechen als auch Verbrechen im Holocaust.
https://de.wikipedia.org/wiki/Justiz_und_NS-Verbrechen
Justiz und NS-Verbrechen
Die deutschen Strafverfahren wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen seit 1945
Verfahrensübersichten
WESTDEUTSCHE VERFAHREN
Die westdeutschen Verfahren wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen
1945 - 2021
TATKOMPLEX
In einem Tatkomplex werden NS-Tötungsverbrechen zusammengefasst, die untereinander - z.B. in dem Ziel, das mit der Tat verfolgt wurde, oder in den Umständen, unter denen sie begangen wurden - eine grosse Ähnlichkeit aufweisen.
Ein Verfahren kann unter mehrere Tatkomplexe fallen. So können z.B. gegen Ende des Krieges begangene 'Justizverbrechen' oder 'Kriegsverbrechen', desöfteren auch als 'Verbrechen der Endphase' betrachtet werden. Deshalb sind Verfahren erforderlichenfalls bei mehreren Tatkomplexen registriert worden.
(Siehe auch die Übersicht 'Besondere Deliktsgruppen')
DENUNZIATION
Verrat an Behörden des Dritten Reiches oder an Parteidienststellen, soweit dieser Verrat zum Tode des Denunzierten geführt hat
EUTHANASIE
die im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms begangenen Tötungsverbrechen
JUSTIZVERBRECHEN
die im Rahmen der Rechtspflege von Richtern, Staatsanwälten oder anderen Justizbeamten begangenen Tötungsverbrechen
KRIEGSVERBRECHEN
Tötungsverbrechen unter Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Kriegsvölkerrechts (ohne Massenvernichtungsverbrechen)
MASSENVERNICHTUNGSVERBRECHEN DURCH EINSATZGRUPPEN
durch Einsatzgruppen verübte Verbrechen des Völkermords
MASSENVERNICHTUNGSVERBRECHEN IN LAGERN
in (Vernichtungs)Lagern verübte Verbrechen des Völkermords
ANDERE MASSENVERNICHTUNGSVERBRECHEN
sonstige Völkermordverbrechen
NS-GEWALTVERBRECHEN IN HAFTSTÄTTEN
Tötungsverbrechen begangen in Haftstätten aller Art (KL, Gefängnis, ZAL, AEL, Kriegsgefangenenlager usw.), soweit sie keine Massenvernichtungsverbrechen sind
SCHREIBTISCHVERBRECHEN
die verwaltungsmässige Vorbereitung und Organisation von NS-Tötungsverbrechen mit Ausnahme der Euthanasie
VERBRECHEN DER ENDPHASE
die bei dem Zusammenbruch des Dritten Reiches begangenen NS-Tötungsverbrechen
ANDERE NS-VERBRECHEN
die NS-Tötungsverbrechen, die nicht einer der vorstehend genannten Tatkomplexe zugeordnet werden konnten
UNBEKANNT
OSTDEUTSCHE VERFAHREN
https://junsv.nl/junsv-01/junsv/inhvzbrdddr.htm
75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung
Die Justiz schonte oft die Täter
04:36 Minuten
Ein Hinweis von Matthias Buth · 27.01.2020
Nur wenige Täter wurden für den Massenmord in Auschwitz zur Verantwortung gezogen. Zahlreiche Mithelfer kamen glimpflich oder mit Freispruch davon. Politik und Justiz haben versagt, meint der Jurist und Lyriker Matthias Buth.
Heute am 27. Januar 2020 – im Beethoven- und Hölderlin-Jahr – sprechen sie wieder zu uns: alle sechs Millionen, die aufgegangen sind im Rauch der Verbrennungsöfen von Auschwitz und in den anderen KZs in Europa. Alle Ermordeten sind aufgebrannt in die Gedächtnishaut der Deutschen, jetzt und immer.
Die Fahnen klirren im Wind. Welche umarmenden Gedichte und welch zärtliche Musik sind nie geschrieben und komponiert worden! Wie sehr würden sich Beethoven und Hölderlin schämen, wüssten sie, was unsere Väter und Großväter, die Mütter und Großmütter taten und was sie unterließen und wie viele Enkel und Urenkel immer noch wegsehen, nicht wahrhaben wollen, verschweigen und verdrehen, was in den meisten Familien bleiben wird: das Singen und Klagen, das Bitten und Flehen unserer Brüder und Schwestern, die nicht sterben wollen, die immer noch nicht sterben wollen, die bei uns bleiben.
Sie hören uns zu.
Geprägt von Schlussstrichmentalität
Über 20.000 Personen der SS waren in den KZs als Wachpersonal eingesetzt. Und es gab in Europa mit allen Außenlagern 1634 KZs. Eine unvorstellbare Anzahl. Seit den Nürnberger Prozessen vor Gründung der Bundesrepublik in den Jahren 1946 bis 1949, wo die „Hauptkriegsverbrecher“ vor Gericht standen, prägte uns Deutsche die Schlussstrichmentalität.
Die Rechtsprechung und Strafrechtskommentarwerke halfen mit. Der Bundesgerichtshof vertrat nämlich bis vor fünf Jahren die sogenannte Animus-Theorie, wonach Täter der Massenmorde nur diejenigen sein konnten, welche die Tat als eigene gewollt hätten. Damit konnten sich die meisten freistellen und die eigene Tat dem höher gestellten in der SS-Hierarchie überantworten. Man war dann allenfalls Gehilfe der Mordtaten.
So blieb es sieben Jahrzehnte.
Die dunkle Bilanz der Justiz
Dieses Verhalten der Strafrechtspflege macht das Desaster bei der „Aufarbeitung“ der NS-Morde deutlich. Nachdem nun fast alle Täter verstorben sind, und die allerletzten Prozesse gegen KZ-Wächter geführt wurden und werden, hatte der Bundesgerichtshof ein Einsehen und hat die Animus-Theorie aufgegeben und erkennt zurecht, dass maßgeblich für den Mittäter in den Todesfabriken das Erkennen und Handeln im Rahmen des staatlichen Gesamtauftrages der KZs war, nämlich die planmäßige Ermordung von Millionen Menschen. War dies gegeben, war der Tatbeitrag Mord.
Die Prozesse „Demjanjuk“ und „Gröning“ gaben die Wende. Zu spät. Viel zu spät.
Die „kalte Amnesie“ der Politik
Diese Bilanz der Justiz wird noch dunkler mit Blick auf den ehemaligen NS-Staatsanwalt Eduard Dreher, der es als leitender Beamter im Bundesjustizministerium schaffte, eine Vielzahl der Gehilfen an den Massenmorden straffrei zu bekommen – durch das Verfahrenshindernis der Verjährung, das er 1964 geschickt in das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz einbaute.
Nicht verständlich bleibt jedoch, dass der Deutsche Bundestag das mit sich hat machen lassen und auch zu einem späteren Zeitpunkt diesen Skandal der „kalten Amnestie“ nicht abgestellt hat.
Die Toten mahnen
Und was bleibt nun nach allem? Verzweiflung und Abscheu?
Nein. Deutschland ist ein Bürgerland, eines, das auch Geist, Kraft und Mut hat. Staatsbürger sind wir alle. Die Millionen von Auschwitz bleiben uns nahe, wie alle, die in Rauch aufgegangen sind, und die zu uns sprechen wollen. Hören wir ihnen endlich zu!
Matthias Buth wurde 1951 in Wuppertal geboren. Er ist Lyriker und Publizist und veröffentlichte zahlreiche Prosa- und Gedichtbände, 2019 die Sammlung mit neuer Lyrik „Weiß ist das Leopardenfell des Himmels“, der sich im Frühjahr das Rumänien-Buch „Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer“ anschließen wird. Der promovierte Jurist war bis Ende 2016 Justiziar im Kanzleramt bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und ist nunmehr Rechtsanwalt.
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https://www.deutschlandfunkkultur.de/
Martin Weiss (SS-Mitglied)
Martin Weiss (* 21. Februar 1903 in Karlsruhe; † 30. September 1984 ebenda), Schreibweise auch Martin Weiß, war ein deutscher SS-Hauptscharführer. Er war Angehöriger des Einsatzkommandos 3, danach beim Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Litauen, Außenstelle Wilna. Er wurde am 3. Februar 1950 in Würzburg wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 30.000 Juden sowie mehrfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Am 3. November 1949 erhob die Staatsanwaltschaft Würzburg Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 30.000 Fällen und Mordes in 21 Fällen gegen Weiss sowie wegen Beihilfe zum Mord in 4000 Fällen gegen Hering. In der siebentägigen Hauptverhandlung wurden 32 Belastungszeugen gehört und die schriftlichen Aussagen weiterer 22 Zeugen verlesen. Auch eine Aussage von Oskar Schönbrunner, einem Oberzahlmeister der Wehrmacht, der Juden aus dem Lukiškės-Gefängnis vor der Ermordung in Ponary gerettet hatte, soll zur Verurteilung beigetragen haben.[12] Einige Vorwürfe gegen Weiss als Einzeltäter in Mordfällen wurden eingestellt, da die Zeugen bereits ausgewandert und nicht mehr erreichbar waren. Es verblieben schließlich bei Weiss sieben Fälle von Mord sowie 30.000 Fälle von Beihilfe zum Mord. Das Schwurgericht beim Landgericht Würzburg verurteilte ihn aufgrund dieser Taten am 3. Februar 1950 zu lebenslänglicher Haft. Hering wurde wegen Beihilfe, in seinem Fall zum Totschlag, sowie eines Falls von Mord, der in einer Nachtragsanklage hinzugekommen war, ebenfalls zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.[13]
Im österreichischen Strafprozess gegen Franz Murer 1963 wurde Weiss als Entlastungszeuge benannt und aus der Haft in der Straubinger Strafanstalt vorgeführt.[14] Im Prozess behauptete er, Murer habe im Ghetto von Vilnius nur die Lebensmittelverteilung überwacht.[15] Im Zuge dieses Prozesses (der mit einem Freispruch für Murer endete) war Murer in einer beeideten Zeugenaussage eines der Morde beschuldigt worden, für die Weiss verurteilt worden war. 1966 ließ das Landgericht Würzburg daher einen Wiederaufnahmeantrag von Weiss bezüglich dieses Mordvorwurfs zu. Am 21. Februar 1967 sprach das Landgericht Weiss von diesem Mordvorwurf frei, da eine Reihe von Beweismitteln darauf hindeutete, dass Murer in diesem Fall der Mörder gewesen sei, jedenfalls aber Weiss’ Täterschaft nicht erwiesen werden könne. Dies führte jedoch nicht zu einer Änderung des Strafausspruchs, da das Urteil wegen der anderen sechs Mordfälle sowie der 30.000 Fälle von Beihilfe zum Mord davon unberührt blieb.[16]
Auf eine Entschließung des bayerischen Justizministeriums hin wurde die Reststrafe von Weiss am 25. Januar 1971 zur Bewährung ausgesetzt und schließlich 1977 auf dem Gnadenwege ganz erlassen.[17]
Der Prozess gegen Weiss und Hering war das erste Verfahren eines deutschen Gerichts gegen Einsatzgruppentäter, neun Jahre vor dem Ulmer Einsatzgruppen-Prozess. Er weist einige Besonderheiten auf: Zunächst wurden die Angeklagten nicht nur als Gehilfen, sondern auch als Täter, nämlich Mörder verurteilt. Wie Falko Kruse in einer vergleichenden Analyse von NS-Prozessen konstatierte, war das Gericht 1950 offenbar noch nicht zu der später verbreiteten Vorstellung gelangt, dass „das deutsche Volk nur aus einem Täter und 60 Millionen Gehilfen besteht“.[18]
Vor allem aber sah das Gericht von der später üblichen Ermäßigung der Strafe für Mordgehilfen ab und erachtete auch für die Beihilfeverbrechen allein die Höchststrafe, also die lebenslange Freiheitsstrafe als angemessen. Dies begründete es mit dem unfassbaren Umfang der Straftaten und der „unvorstellbaren Grausigkeit und Unmenschlichkeit der Massenhinschlachtungen“.[19] An sich galt für Gehilfen gemäß der Rechtslage vor 1933, dass diese milder bestraft werden mussten als Täter, doch waren Ausnahmen zulässig bei krimineller Vergangenheit der Angeklagten oder besonderer Häufigkeit der Straftaten. Auf eine solche Ausnahme berief sich das Gericht explizit.[20]
Der Historiker Christoph Dieckmann schrieb in einem mit Rūta Vanagaitė veröffentlichten Interviewband, das Urteil gegen Weiss sei eines derjenigen, „deren wir Deutsche uns nicht schämen müssen“.[21]
https://de.wikipedia.org/
Celle April 1945 revisited: Ein amerikanischer Bombenangriff, deutsche Massaker an KZ-Häftlingen und ein britisches Gerichtsverfahren (Celler Beiträge zur Landes- und Kulturgeschichte)
Im April 1945, kurz vor dem Einmarsch britischer Truppen, geriet in Celle ein Zug mit KZ-Häftlingen in einen amerikanischen Bombenangriff. Viele Häftlinge kamen dabei ums Leben, weitere wurden später im Verlauf von Hetzjagden und Massakern ermordet. 1947 machten die Briten einigen Direkttätern aus Celle den Prozess. Auf breiter Quellengrundlage untersucht Bernhard Strebel die dramatischen Ereignisse erstmals systematisch und nimmt dabei auch die Vor- und Nachgeschichten in den Blick. Bisherige Darstellungen korrigiert er in zentralen Punkten und zum Teil grundlegend. Die Studie wirft neues Licht auf das dunkelste Kapitel der Celler Stadtgeschichte und liefert einen Beitrag zur Erforschung der NS-Verbrechen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges.
NS-Verbrechen
Warum Urteile heute noch sinnvoll sind
Stand: 28.06.2022 04:29 Uhr
Vor dem Landgericht Neuruppin wurde das Urteil gegen einen mutmaßlichen einstigen KZ-Wachmann verkündet. Warum die juristische Aufarbeitung so spät kommt - und dennoch wichtig ist.
Von Michael-Matthias Nordhardt und Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion
Worum geht es in dem Prozess?Der Angeklagte ist 101 Jahre alt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Beihilfe zu mehr als 3500 Morden geleistet zu haben - als SS-Wachmann im NS-Konzentrationslager Sachsenhausen. Laut Anklage geht es um die Erschießung von Häftlingen und sowjetischen Kriegsgefangenen sowie um die Ermordung von Häftlingen durch Giftgas. Darüber hinaus befasst sich das Gericht mit der Tötung von Häftlingen dadurch, dass im KZ Sachsenhausen lebensfeindliche Bedingungen geschaffen und aufrechterhalten wurden.
Wichtig ist: Dem Angeklagten wird nicht vorgeworfen, dass er selbst gemordet habe - nicht, dass er etwa selbst auf Menschen geschossen oder die Gaskammer im Lager bedient habe. Aber: Er soll zu den Schreckenstaten im KZ Hilfe geleistet haben. Vereinfacht könnte man sagen: weil er durch seine Tätigkeit im Lager einen Beitrag dazu geleistet hat, sie möglich zu machen.
Im Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Wachmann Josef S. sind die Plädoyers gehalten worden.
Was ist mit Verjährung? Für viele Straftaten, die die Menschen in den Lagern erlitten haben, kann heute niemand mehr strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Hunderttausende Freiheitsberaubungen etwa, zahllose Misshandlungen aller Art, Raubtaten - all das ist schon seit Jahrzehnten verjährt. Aber: Mord verjährt nicht. Und auch Beihilfe zum Mord verjährt nicht. Deshalb sind Verurteilungen auch heute noch möglich - mehr als 75 Jahre später.
Warum ist eine Verurteilung 75 Jahre später wichtig?
" Mord verjährt nicht" - damit wird deutlich: Einen Schlussstrich sieht unser Rechtssystem für solche Fälle nicht vor. Diese Grundentscheidung sei gerade vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen getroffen worden, erklärt Thomas Will mit Blick auf Fälle wie den jetzigen im Podcast Die Justizreporter*innen der ARD-Rechtsredaktion. Der Jurist leitet die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Die Ludwigsburger Behörde sorgt mit ihren Ermittlungen dafür, dass die Akteure von damals auch heute noch vor Gericht gestellt werden. Im Strafrecht geht es auch darum, Rechtsfrieden wiederherzustellen. Dafür können solche Prozesse wichtige Beiträge leisten. Das bestätigen auch Hinterbliebene der Ermordeten immer wieder, wenn sie heute an Verfahren gegen die Helfer von damals teilnehmen.
Warum gab es direkt nach dem Krieg kaum solche Verfahren?
In den Jahren nach 1945 herrschte in der BRD eine Art "Schlussstrichmentalität", eine Tendenz, eher vergessen als aufarbeiten zu wollen. Ein wichtiger Schritt hin zu mehr Aufarbeitung waren die Auschwitz-Prozesse am Landgericht Frankfurt ab 1963 - initiiert vom Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ein generelles Umdenken war damit aber nicht verbunden. Später in den 1960er-Jahren entschied der Bundesgerichtshof in Bezug auf Auschwitz: Um das Lagerpersonal von damals wegen Beihilfe zu bestrafen, müsse man den Männern und Frauen konkret nachweisen, welche Morde sie gefördert hätten. Im Kontext der Massenmorde in den Konzentrationslagern eine quasi unlösbare Aufgabe. Deshalb wurden in den folgenden Jahrzehnten viele Verfahren gegen die "kleineren Rädchen" in der Nazi-Tötungsmaschinerie von den Staatsanwaltschaften eingestellt.
Warum sind heute diese Verfahren und Urteile möglich?
Eine Art Wende brachte erst das Urteil gegen John Demjanjuk aus dem Jahr 2011. Das Landgericht München entschied: Allein die Anwesenheit des Lageraufsehers Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor und seine Kenntnis von den Morden reichen aus, um ihn wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen. Demjanjuk starb allerdings, bevor sich der Bundesgerichtshof (BGH) als oberstes Strafgericht mit der neuen Linie befassen konnte. 2016 bestätigten die Karlsruher Richterinnen und Richter sie aber im Fall von Oskar Gröning, dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz - und zwar nicht nur für reine Vernichtungslager, sondern auch für Konzentrationslager.
BGH zum Fall Gröning
Was ist das Besondere am Gröning-Beschluss?
Der BGH hat das Urteil gegen den SS-Mann Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen bestätigt.
Wie hat der BGH den Gröning-Beschluss begründet? Die zentrale Aussage lautet: Auch die "kleineren Rädchen" haben eine zentrale Rolle beim Völkermord an den Juden gespielt. Für die Nazis sei ein "organisierter Tötungsapparat" mit eingespielten Abläufen Voraussetzung gewesen, um in kürzester Zeit Tausende Morde zu begehen. Wörtlich heißt es im BGH-Beschluss: "Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte 'industrielle Tötungsmaschine' mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber in der Lage, die 'Ungarn-Aktion' anzuordnen." Im Rahmen der "Ungarn-Aktion" wurden ungarische Juden massenhaft vor allem nach Auschwitz deportiert. Die rechtliche Bewertung aus dem Gröning-Beschluss dürfte auch jetzt im Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin eine wichtige Rolle spielen.
Wie viele andere Verfahren laufen noch?
Seit der Entscheidung gibt es immer wieder Prozesse und Urteile gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter und KZ-Mitarbeiterinnen: 2016 etwa gegen den Auschwitz-Wachmann Reinhold Hanning oder 2020 gegen Bruno Dey, einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof. Die Ermittlungen der "Zentralen Stelle" in Ludwigsburg laufen weiter. Auch vor dem Landgericht Itzehoe läuft derzeit ein Verfahren gegen eine ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof bei Danzig. Allerdings werden die Ermittlungen wegen des hohen Alters der möglichen Täterinnen und Täter immer mehr zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Nach Informationen von Behördenleiter Thomas Will liegen derzeit noch sechs Fälle bei verschiedenen Staatsanwaltschaften in Deutschland. Daneben gebe es drei weitere Personen "mit jeweils schwieriger Beweislage", die die "Zentrale Stelle" derzeit prüfe.
Wie lief die Aufarbeitung in der DDR?
Nach dem Krieg wurde die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR zunächst besonders rigoros betrieben - was Polizei, Justiz und Innere Verwaltung anging. Der Antifaschismus galt als eine der Hauptsäulen der DDR-Staatsideologie wurde nach innen und außen propagiert - auch, um sich als den besseren der beiden deutschen Staaten zu präsentieren. Heute ist allerdings bekannt: DDR-Bürgern soll pauschal Absolution erteilt worden sein, wenn sie sich im Gegenzug dem Sozialismus zuwendeten. Ebenso wurden in der DDR lebende NS-Täter wohl nicht konsequent vor Gericht gebracht.
Über dieses Thema berichtete rbb24 am 27. Juni 2022 um 12:00 Uhr.
https://www.tagesschau.de/
Die NS-Täter sind viel zu lange davongekommen
Veröffentlicht am 07.10.2021 |
Von Frederik Schindler
Politikredakteur
„Von 6500 in Auschwitz tätigen SS-Schergen wurden weniger als 50 von deutschen Gerichten belangt“, schreibt Frederik Schindler Die meisten nationalsozialistischen Verbrecher mussten niemals für ihre Taten büßen. Diesen Fehler darf man heute nicht wiederholen. Die aktuellen KZ-Prozesse in Neuruppin und Itzehoe kommen viel zu spät – und sind trotzdem richtig.
Seit Donnerstag muss sich ein 100-jähriger früherer Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen vor dem Landgericht Neuruppin verantworten. Bereits seit der vergangenen Woche steht eine 96-jährige frühere Sekretärin des Konzentrationslagers Stutthof in Itzehoe vor Gericht. Im erstgenannten Fall geht es um Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen, im zweiten Fall um Beihilfe zum Mord in 11.370 vollendeten Fällen und sieben versuchten Fällen.
Dass die beiden Prozesse erst im Jahr 2021 stattfinden, ist eine Schande für Deutschland. Und zwar nicht, weil den beiden Angeklagten nun noch in einem sehr hohen Alter ein Verfahren zugemutet wird. Sondern weil sie ihr Leben lang in Freiheit leben konnten, obwohl sie Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie waren.
In Sachsenhausen und Stutthof haben sie an der Vernichtung der europäischen Juden mitgewirkt. Doch weil das Nachkriegs-Deutschland viel zu lange wegschaute und kein Interesse daran hatte, die Täter zu ermitteln und zu verurteilen, konnten diese unbehelligt ihr Leben fortsetzen.
Blicken wir auf den Prozess gegen den Wachmann Josef S. Als junger Mann bewarb er sich freiwillig bei der Waffen-SS, diente zwischen 1941 und 1945 in verschiedenen Kompanien des SS-Wachbataillons im Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Anklage wirft ihm vor, wissentlich und willentlich Hilfe zur grausamen und heimtückischen Ermordung von Lagerinsassen geleistet haben. Der Wachdienst habe sich nahtlos in das Tötungssystem eingefügt. Heute lebt der Angeklagte am Rande von Brandenburg/Havel.
Was auf den Türmen und im Außenbereich des Lagers genau geschah, soll nun im Verfahren gegen S. aufgearbeitet werden. Da Mord nicht verjährt, ist es richtig, dass die Verbrechen aufgeklärt werden sollen. Dieses Rechtsprinzip war 1979 nach einer fast zwanzigjährigen Debatte um die Verfolgung von NS-Tätern eingeführt worden.
Dadurch wird verhindert, dass ein jahrzehntelanges Sich-Verborgen halten belohnt wird. Selbstverständlich gilt dabei weiterhin die Voraussetzung der Verhandlungsfähigkeit. Auch in den aktuellen Verfahren stehen keine Schwerstkranken vor Gericht. Es wurde festgestellt, dass die Angeklagten kognitiv dazu in der Lage sind, ihre Interessen wahrzunehmen.
Durch einen solchen Prozess wird außerdem Überlebenden und ihren Angehörigen die Möglichkeit gegeben, über das erlebte Grauen zu sprechen. 16 solcher Nebenkläger werden in dem Verfahren aussagen. Darunter sind vier jüdische Männer, die in Sachsenhausen im Kindes- und Jugendalter Opfer von Menschenversuchen wurden.
Aus Auschwitz waren sie in ein abgesondertes Krankenrevier des KZ Sachsenhausen gebracht worden. Dort wurden Hepatitis-Erreger in ihren Darmtrakt injiziert. Über ein Jahr lang mussten die Jungen solche Experimente über sich ergehen lassen. Kurz vor Kriegsende wurden sie auf einen Todesmarsch geschickt und Anfang Mai 1945 von der britischen Armee gerettet.
Verantwortlich für die Versuche war der Arzt Arnold Dohmen, der nach Kriegsende in der Bundesrepublik als niedergelassener Internist in Detmold praktizierte und später zum Chefarzt des Universitätsklinikums Münster aufstieg. Weil seine Behauptung, dass er die Menschenexperimente nur zum Schein durchgeführt habe, nicht widerlegt werden konnte, wurde ein Ermittlungsverfahren im Jahr 1975 eingestellt.
Nun war der in Neuruppin angeklagte Wachmann nicht an diesen Versuchen beteiligt. Doch selbstverständlich konnte das NS-Terrorregime nur aufgrund seiner Abertausenden Helfer bestehen. Wachmänner wie Josef S. sorgten dafür, dass niemand dem Lager entkommen konnte.
Seitdem John Demjanjuk, ein früherer Wächter des Vernichtungslagers Sobibor, 2011 in einem historischen Urteil ohne konkreten Tatnachweis für Beihilfe zum Mord verurteilt wurde, reicht es für eine solche Verurteilung aus, an der Aufrechterhaltung der Vernichtungsmaschinerie beteiligt gewesen zu sein.
Das Konzentrationslager ist die Tat. Wer dort Dienst hatte, machte sich schuldig. In das KZ Sachsenhausen wurden rund 200.000 Häftlinge deportiert, Zehntausende starben an Hunger, Krankheiten und Folgen der Zwangsarbeit. Über 13.000 sowjetische Kriegsgefangene wurden in einer von den Nationalsozialisten erdachten Genickschussanlage systematisch exekutiert. Es gab Experimente in Gaskammern und Vernichtungsaktionen der SS.
Der Historiker Moishe Postone warf der deutschen Linken 1979 in seinem theoretischen Aufsatz „Nationalsozialismus und Antisemitismus“ vor, Antisemitismus lediglich als Randerscheinung des Nationalsozialismus zu behandeln. Das Ergebnis sei, „dass die Vernichtungslager entweder als bloße Beispiele imperialistischer (oder totalitärer) Massenmorde erscheinen oder unerklärbar bleiben“, so Postone.
Gescheiterte Flucht – 96-Jährige gefasst
Die zwischenzeitlich geflohene 96-jährige Angeklagte im Prozess um NS-Verbrechen im Konzentrationslager Stutthof ist gefasst worden. Ihr wird Beihilfe zum Mord in über 11.000 Fällen vorgeworfen.
In seinem Text schreibt er treffend, dass die Ausrottung der Juden kein Mittel zu einem anderen Zweck war: „Die Ausrottung der Juden musste nicht nur total sein, sondern war sich selbst Zweck - Ausrottung um der Ausrottung willen - ein Zweck, der absolute Priorität beanspruchte.“ Es sollte selbstverständlich sein, dass Menschen, die Beihilfe zu dieser Ausrottung leisteten, vor ein Gericht gestellt werden und für ihre Taten verurteilt werden.
Die Prozesse haben jedoch einen Makel. So mussten die allermeisten nationalsozialistischen Mörder niemals für ihre Taten büßen. Von 6500 in Auschwitz tätigen SS-Schergen wurden weniger als 50 von deutschen Gerichten belangt
Für die Unrechtsurteile der NS-Justiz wurde sogar kein einziger Richter und kein einziger Staatsanwalt rechtskräftig verurteilt. Der Publizist Ralph Giordano sprach angesichts des Unwillens, die Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus zu verfolgen, zu Recht von einer „zweiten Schuld“.
Bis heute hält sich zudem die Legende einer „sauberen Polizei“, obwohl diese maßgeblich an der Vernichtung der Juden beteiligt war. Nur ein Beispiel: Unter der Führung von Hans Hösl, einst Lehrer an der Polizeischule, exekutierte das SS-Polizei-Gebirgsjägerregiment Partisanen, trieb im Frühjahr 1944 rund 1700 Juden in Athen zusammen und deportierte sie nach Auschwitz.
Im Jahr 1959 wurde Hösl pensioniert – und war zu dem Zeitpunkt stellvertretender Leiter der Polizeischule. Selbst im Staatsdienst wurden Karrieren durch NS-Täterschaft also nicht beschädigt. Für seine Taten wurde Hösl nie bestraft.
Weil das der Normalfall ist, kann es tatsächlich unverhältnismäßig wirken, Jahrzehnte später vor allem die „Rädchen im System“ zu verfolgen. Doch nur weil es viel zu lange Praxis der Strafverfolgung war, NS-Täter ungeschoren davonkommen zu lassen, darf man diese Fehler heute nicht wiederholen.
Dass „Schlimmere“ laufen gelassen wurden, darf nicht auch noch zum Vorteil derjenigen werden, die ebenfalls einen Anteil an der Tötungsmaschinerie hatten. Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen hat das mittlerweile zum Glück erkannt.
https://www.welt.de/
NS-Prozesse und Restauration: Zur justitiellen Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen in der Bundesrepublik
JOURNAL ARTICLE
Falko Kruse
Kritische Justiz
Vol. 11, No. 2 (1978), pp. 109-134 (26 pages)
Published By: Nomos Verlagsgesellschaft mbH
Journal Information
Die Kritische Justiz analysiert das Recht und seine praktische Anwendung vor seinem gesellschaftlichen Hintergrund und durchbricht die übliche, von ihrem ökonomischen und politischen Kontext losgelöste Behandlung von Rechtsfragen. Die Kritische Justiz veröffentlicht Aufsätze, Berichte, Kommentare und Dokumentationen zu allen wichtigen juristischen Gebieten und druckt für soziale Auseinandersetzungen bedeutsame Entscheidungen ab. Die Zeitschrift "Kritische Justiz" wendet sich an JuristInnen, Jura-StudentInnen, ReferendarInnen, Rechts- und SozialwissenschaftlerInnen, GewerkschaftssekretärInnen, SozialarbeiterInnen, PädagogInnen, ÖkonomInnen, UmweltwissenschaftlerInnen.
https://www.jstor.org/stable/23990013
NS-GEWALTVERBRECHEN, TÄTER UND STRAFVERFOLGUNG
Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg
ZEITHISTORISCHE FORSCHUNGENSTUDIES IN CONTEMPORARY HISTORY
Archiv Heft 1-2/2007 Quellen
1. Die Zentrale Stelle und ihre Aufgaben
2. Der Quellenwert für die NS-Forschung
3. Der Quellenwert für die Geschichte der NS-Prozesse
Zitation
Andreas Kunz, NS-Gewaltverbrechen, Täter und Strafverfolgung. Die Unterlagen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 4 (2007), H. 1-2,
URL: https://zeithistorische-forschungen.de/1-2-2007/4574,
https://zeithistorische-forschungen.de/
Kriegsverbrechen, Schuld und Sühne - oder auch nicht
Wolfgang Sachsenröder 29.03.2022 Gesellschaft & Kultur, Medien
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird wieder intensiver über Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher gesprochen, vermutlich weil Tod und Zerstörung plötzlich wieder so nah an Deutschland herangerückt sind. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag will so schnell wie möglich Untersuchungen einleiten, inwieweit durch Angriffe auf zivile Ziele Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden sind.
Kriegsverbrechen
Kriegsverbrechen des zweiten Weltkriegs: Nicht alle Kriegsverbrecher wurden bestraft. Wiederholt sich die Geschichte bald? (Foto: Shutterstock)
Von Dr. Wolfgang Sachsenröder
In den Medien wird der russische Präsident bereits als Kriegsverbrecher Nummer eins gehandelt, aber einfach wird die juristische Aufarbeitung sicher nicht werden, denn Russland erkennt das Gericht ohnehin nicht an und die Ukraine ist kein Vertragsstaat, hat allerdings seit November 2013 dessen Zuständigkeit akzeptiert. Solange selbst so große Auseinandersetzungen wie im Irak, in Syrien und Afghanistan oder die unzähligen kleineren in Afrika und Lateinamerika weit genug entfernt waren, haben wir uns kaum aus der Ruhe bringen lassen und außer nach dem Bosnienkrieg auch wenig über Kriegsverbrechen nachgedacht. Selbst einer der letzten Prozesse zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit gegen die KZ-Sekretärin Irmgard F. am Landgericht Itzehoe, fast 77 Jahre nach Kriegsende, hat die deutsche Öffentlichkeit nicht gerade aufgerüttelt.
Wird Präsident Putin irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden? Vieles ist in dieser Krise möglich geworden, etwa der überraschende Politikwechsel zur Stärkung der Bundeswehr, aber dass Putin ähnlich wie Hitler oder Mussolini enden könnte scheint jetzt noch ziemlich unvorstellbar. Nach einem politischen Umsturz in Russland sieht es ebenfalls noch nicht aus, obwohl ein solcher viele internationale und regionale Probleme auflösen könnte, wenn es mit Putins Nachfolgern nicht womöglich noch unberechenbarer und schlimmer wird.
Was passiert mit Tätern und Mitläufern?
Europas Nachkriegsgeschichte mag in Erinnerung rufen, was mit Tätern und Mitläufern passieren kann und wie groß oder gering die Bereitschaft und der Wille zur moralischen und juristischen Aufarbeitung im Einzelfall sind. Thornton Wilders Erfolgsstück „The Skin of Our Teeth”, 1942 uraufgeführt und ein Jahr später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, wurde nach dem Krieg auch in zahlreichen deutschen Theatern gespielt. Sein Thema, das prekäre Überleben der Menschheit, und der geniale deutsche Titel „Wir sind noch einmal davongekommen“ traf offenbar die Stimmungslage der Generation, die den Krieg und die Niederlage überlebt hatte und die schrecklichen Seiten des Dritten Reichs nur zu gern verdrängte.
Daraus ergab sich allerdings nicht nur die von Alexander und Margarethe Mitscherlich 1967 diagnostizierte „Unfähigkeit zu trauern“, sondern auch eine äußerst schleppende gerichtliche Verfolgung von Kriegsverbrechern und am Holokaust beteiligten KZ-Mannschaften. Am Entnazifizierungsprogramm der Amerikaner beteiligte Offiziere stellten resignierend fest, dass die von ihnen verhörten Deutschen fast alle leugneten, Nazis gewesen zu sein. Allerdings schauten Amerikaner und Russen selbst nicht mehr so genau hin, wenn sie Ingenieure, Wissenschaftler und Experten aus kriegswichtigen Bereichen für ihre eigenen Entwicklungsprogramme übernehmen konnten, darunter den Raketenexperten Wernher von Braun als einen der bekanntesten. Reinhard Gehlen, eine weitere prominente Übernahme, wurde in der Wehrmacht als Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost zum Experten für die Sowjetunion.
Weil er den kommenden Kalten Krieg richtig vorausgesehen und schon vor Kriegsende eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern vorbereitet hatte, entging er Gefangenschaft und Entnazifizierung. Seine „Organisation Gehlen“ wurde 1949 von der CIA übernommen und ging dann Anfang der 1950er Jahre in den Bundesnachrichtendienst über, seit 1956 unter dem Präsidenten Reinhard Gehlen. Seine Hilfestellung für die vielfältigen Seilschaften alter Nazis wurde sowohl von den Amerikanern als auch von der jungen Bundesrepublik ignoriert, da der Kampf gegen den sowjetischen Kommunismus inzwischen wichtiger geworden war als die Nazi-Vergangenheit. Aber Tausenden von Schuldigen war bereits die Flucht nach Lateinamerika gelungen, meistens über Wien und Rom, wo der österreichische Bischof Alois Hudal, ein Antisemit und antikommunistischer Verehrer Hitlers, seine Hand über die Weiterreise hielt. Je nach der politischen Sichtweise sprach man von „Rattenlinie“ oder „Reichsfluchtstrecke“.
Der Fall Barbie war besonders grotesk
Unter den prominentesten Nazi-Schergen, denen so die Flucht gelang, waren Adolf Eichmann, Josef Mengele, Franz Stangl, Alois Brunner, Walter Rauff und Klaus Barbie. Der Fall Klaus Barbie war besonders grotesk, weil der „Schlächter von Lyon“ vom amerikanischen Counter Intelligence Corps nach Bolivien gebracht wurde, um dort das Militärregime in der Bekämpfung mutmaßlicher Kommunisten zu beraten. Erst durch die beharrlichen Recherchen des Holokaust-Überlebenden Simon Wiesenthal und eine Reihe jüdischer Organisationen konnten die Entkommenen nach vielen unbehelligten Jahren in Argentinien, Brasilien oder Chile doch noch zur Rechenschaft gezogen werden.
In Deutschland wurde 1968 durch die spektakuläre öffentliche Ohrfeige, die Beate Klarsfeld dem Bundeskanzler Kiesinger versetzte, eine neue Welle der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit ausgelöst, die auch eins der Grundthemen der Achtundsechziger-Bewegung wurde. Aber erst nach 2011 begann die deutsche Justiz, auch mittlere und kleinere „Rädchen“ im Holokaust-Betrieb zu verurteilen, angefangen mit dem Ukrainer Demjanjuk, der 2011 zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde aber vor Antritt der Strafe verstarb, oder Oskar Gröning, der in Auschwitz als Buchhalter tätig war und 2018 im Alter von 96 Jahren ebenfalls vor Antritt der Haft verstarb. Möglich geworden sind diese Verurteilungen durch eine 2016 vom Bundesgerichtshof bestätigte erweiterte Tatbestandsdefinition der Beihilfe zum Mord in den Konzentrationslagern. Wer demnach hätte erkennen müssen, dass dort systematische Tötungen stattfanden, machte sich mitschuldig, auch wenn er oder sie nicht unmittelbar beteiligt war.
Zurzeit läuft am Landgericht Itzehoe der Prozess gegen die ebenfalls 96-jährige Irmgard F., die von 1943 bis 1945 im KZ Stutthof als Sekretärin des Lagerkommandanten gearbeitet hatte, bei Kriegsende 19 Jahre alt, damals also auch noch minderjährig. Ob die Leiden der 11.000 Opfer, zu deren Ermordung ihr Beihilfe vorgeworfen wird, durch eine Verurteilung der Greisin gesühnt werden können bleibt eine offene Frage. Jüdische Überlebende von Stutthof sind geteilter Meinung, ob diese Prozesse richtig und nur zu spät oder überhaupt zu spät und deshalb nicht mehr richtig seien.
Steile Karrieren nach Kriegsende
Neben den prominenteren Fällen, den nach den Nürnberger Prozessen hingerichteten Hauptverantwortlichen und den nach Lateinamerika Entkommenden, gab es allzu viele unbemerkt Untergetauchte und auch zu viele, die schnell wieder Karriere machen konnten. Kurt Waldheim brachte es zum Generalsekretär der Vereinten Nationen und Präsidenten Österreichs, obwohl seine Rolle als Wehrmachtsoffizier auf dem Balkan für erhebliche Kontroversen sorgte, oder Hans Filbinger, der 1978 als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten musste, weil seine NSDAP-Mitgliedschaft und vier Todesurteile kurz vor Kriegsende in seiner Zeit als Marinerichter bekannt wurden und ihn politisch untragbar werden ließen.
Ein in ganz anderer Weise prominentes Opfer seiner Vergangenheit im Nazi-Regime war Karl Eduard, der letzte regierende Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, ein Enkel von Queen Victoria. Aufgewachsen und erzogen als „Prince of the United Kingdom“ wurde er mit 15 Jahren nach Deutschland geschickt, wo er 1900 die Coburger Herzogswürde und die deutsche Staatsbürgerschaft übernahm. Nach seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg wurden ihm 1919 alle englischen Adelstitel und der Sitz im Oberhaus aberkannt, aber auch der Herzogstitel in Deutschland. Zunächst enteignet, wurde er später mit 37 Millionen Reichsmark abgefunden, was ihm die Unterstützung konservativer nationaler Organisationen ermöglichte. Mit dem Eintritt in die NSDAP am 1.Mai 1933 übernahm er eine Reihe von Ämtern, u.a. in der SA, dem NSKK, der DLRG und als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes.
Als „Lieblings-Royal“ Hitlers nahm er 1936 am Begräbnis von König George V in London teil, in Wehrmachts-Uniform und mit Stahlhelm (!), was ihn in seiner alten Heimat zum „Nazi-Royal“ machte. Im Juni 1945 von den Amerikanern interniert, wurden ihm in mehreren Verfahren Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, aber 1950 kam er als Mitläufer und Minderbelasteter mit einer Geldstrafe von 5000 DM davon und starb vier Jahre später in Coburg. Von einer Beteiligung an Kriegsverbrechen war in den Prozessen und mehreren Revisionen nicht die Rede, aber mit seiner gesellschaftlichen Stellung und dem damit verbundenen Prestige hatte er zur Stabilisierung des NS-Regimes beigetragen. Hitler, der bekanntlich England bewunderte, hatte möglicherweise gehofft, dass Karl Eduard helfen könnte, einen Separatfrieden mit dem Vereinigten Königreich zu erreichen. Die Idee klingt heute völlig irreal und abwegig, aber neben der 1940 aufgelösten „British Union of Fascist“ von Oswald Mosley gab es damals im britischen Hochadel durchaus einflussreiche Persönlichkeiten mit mehr als Sympathie für Nazi-Deutschland.
Der prominenteste dieser Royals war der schwerreiche Lebemann Hugh Richard Arthur Grosvenor, Duke of Westminster, ein stockkonservativer Antisemit und Deutschland-Sympathisant. Über zehn Jahre lang hatte er eine Liaison mit der Modeschöpferin Coco Chanel, die durch ihn auch eine Freundschaft mit Winston Churchill anknüpfen konnte. Zusammen mit ihrem deutschen Geliebten, dem für die Abwehr in Paris arbeitenden Baron von Dinklage, wurde sie Ende 1943 beauftragt, über Churchill die Chancen für einen Separatfrieden mit England zu sondieren. Die sogenannte „Aktion Modellhut“ scheiterte am absoluten Desinteresse des britischen Premierministers.
Nach Kriegsende war Chanels Verbleib in Frankreich als Kollaborateurin unmöglich geworden, deshalb zog sie mit ihrem Baron von Dinklage in die Schweiz. Nachdem General De Gaulle sozusagen entschieden hatte, dass alle Franzosen in der Resistance gewesen waren, konnte Coco Chanel als nationale Mode-Ikone 1954 nach Paris zurückkehren und ihr erfolgreiches Geschäft weiter ausbauen. Chanel und von Dinklage sind nur zwei Beispiele für eine lange Reihe von prominenten, besonders geschickten, gut vernetzten oder einfach mit viel Glück davongekommenen Mittätern, Mitläufern oder Kollaborateuren, die den Krieg und die Nachkriegsjahre erstaunlich gut überstanden haben. Pensionsberechtigungen blieben bestehen und wurden ausgezahlt. Wie persönliche Schuld verdrängt oder verarbeitet werden konnte wissen nur die Beteiligten selbst. Und um eine Definition der Täterschaft kümmern sich Spezialgerichte mit den ihnen zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln und Methoden. Von Sühne kann dabei nicht immer die Rede sein.
https://www.theeuropean.de/
Endphaseverbrechen
Als Endphaseverbrechen oder Verbrechen der Endphase werden nationalsozialistische Verbrechen bezeichnet, die in den letzten Wochen und Monaten des Zweiten Weltkrieges begangen wurden; meist wird die Endphase dabei als der Zeitraum zwischen Januar 1945 und dem örtlich unterschiedlichen Ende der Kriegshandlungen verstanden.[1] Der Begriff wurde im Umfeld der Strafverfolgung dieser Verbrechen in Deutschland und Österreich nach 1945 geprägt. In der Gerichtsurteilssammlung Justiz und NS-Verbrechen werden 410 Urteile zum Tatkomplex „Verbrechen der Endphase“ dargestellt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Endphaseverbrechen
Jetzt beginnt die rechtliche Aufarbeitung des Massenmords an Rotarmisten
Veröffentlicht am 22.02.2021 |
Von Per Hinrichs
Chefreporter WELT AM SONNTAG
Ein neues Kapitel der NS-Aufarbeitung beginnt. Juristen prüfen, ob sieben frühere Wehrmachtssoldaten Beihilfe zum Mord geleistet haben. Sie bewachten sowjetische Kriegsgefangene.
Als der sowjetische Soldat M.A. Krischnow im Sommer 1941 in Stukenbrock bei Paderborn eintraf, war das Lager schon vorbereitet: Am Rande eines Truppenübungsplatzes wurde eine 400 mal 1000 Meter große Fläche mit Stacheldraht eingezäunt, die von Wachtürmen umstellt war. Es gab weder Baracken noch andere Unterkünfte, zu essen erhielten die Männer eine dünne Suppe und Brot aus Holzresten. Mit Löffeln gruben die Soldaten Erdhöhlen, in denen sie fortan hausten.
Bald starben die Ersten an Unterernährung und Krankheiten, die sich rasend schnell ausbreiteten. „Es gab Fälle, in denen die Gefangenen in diesen Erdlöchern lebendig begraben wurden, wenn während des Regens die Erde rutschte“, gab Krischnow nach dem Krieg an. Sein Kamerad P. T. Jankowski berichtete von schwarzem Rauch, der neben dem Lager aufstieg, und einem beißenden Geruch, den er wahrnahm. „Sie verbrennen unsere Genossen“, schoss es ihm durch den Kopf.
Der Massenmord an den Rotarmisten hat nun, fast 76 Jahre nach Kriegsende, ein juristisches Nachspiel, wie WELT AM SONNTAG erfuhr. Die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen für die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg, die seit 1958 die Ermittlungen in NS-Fällen koordiniert, hat sieben Vorermittlungsverfahren gegen ehemalige Wehrmachtssoldaten eingeleitet, die solche Lager bewacht haben....
https://www.welt.de/politik/
1.000 NS-Verfahren, 20 Schuldsprüche
Seit 1955 sind mehr als 1.000 Verfahren gegen NS-Täter eingestellt worden. Schuldsprüche gab es in nur 20 Fällen, Freisprüche in 23. Das ist das Fazit eines Forschungsprojekts am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW).
Was die juristische Verfolgung von NS-Tätern und NS-Täterinnen betrifft, stellt der aktuelle Jahresreport des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem Österreich ein beschämendes Zeugnis aus. Seit mehreren Jahrzehnten wurde hier kein NS-Verbrecher und keine NS-Verbrecherin mehr verurteilt, heißt es darin. Wohl ein Grund, warum dessen Leiter, Efraim Zuroff, Österreich einst als „Paradies für NS-Täter“ bezeichnet hat.
Das mehrjährige Forschungsprojekt der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz am DÖW, finanziert vom Zukunftsfonds der Republik Österreich, dem US-Holocaust-Museum und der israelischen Holocaust-Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem, untermauert diesen Befund nun mit Zahlen.
Fälle bis 2008 untersucht
Seit 1955 wurden mehr als 1.000 Verfahren wegen NS-Verbrechen eingestellt. Schuldsprüche gegen NS-Täter gab es in nur 20 Fällen, Freisprüche in 23. „Ermittelt wurde aufgrund verschiedener Delikte, darunter Tötungsdelikte, Körperverletzung, Amtsmissbrauch und Sprengstoffvergehen“, sagt der Politologe Siegfried Sanwald vom DÖW. Er hat die Akten diverser Gerichte durchforstet, die mittlerweile in den Landesarchiven lagern.
Ö1-Sendungshinweis
Über das Thema berichtete auch das Ö1-Journal, 4.5., 12.00 Uhr.
Für die Forscher waren – aus rechtlichen Gründen - die Fälle bis ins Jahr 2008 zugänglich. Projektleiter Winfried Garscha, Historiker am DÖW, ergänzt: „Der Output an Verurteilungen ist wirklich beschämend niedrig. Es gibt einige Probleme in den 1960er Jahren, die mit der allgemeinen Verfasstheit der österreichischen Gesellschaft zu tun hatten. Österreichische Geschworene waren nicht bereit, Schuldsprüche wegen NS-Verbrechen zu fällen.“
Der letzte Schuldspruch datiert vom April 1972. Damals wurde Franz Novak als Angehöriger des Reichssicherheitshauptamtes bzw. des „Sondereinsatzkommandos Eichmann“ wegen Mitwirkung an Massenmorden im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu sieben Jahren Haft verurteilt.
„Mangelnder politischer Wille“
Für die hohe Zahl an eingestellten Verfahren gibt es verschiedene Gründe: beispielsweise den Tod des Angeklagten oder Schwierigkeiten bei der zweifelsfreien Identifizierung von Beschuldigten zwanzig, dreißig oder noch mehr Jahre nach der Tat.
Garscha nennt noch einen weiteren Grund: „Die Polizei hat wirklich recherchiert und ermittelt, die Staatsanwälte haben Verfahren vorbereitet, aber letztendlich hat es dann oft nicht gereicht. Denn dazu gehört auch der politische Wille.“ Im Klartext: Die Staatsanwaltschaft bekam für die komplexen Ermittlungen nicht genug Personal und Budget zur Verfügung gestellt. Die Folge: „Überlastung“, sagt Sanwald: „Um das zu verdeutlichen: Der Grazer Staatsanwalt untersuchte den Komplex Lublin-Majdanek und gleichzeitig ein riesengroßes Verfahren gegen Hunderte Beschuldigte wegen Verbrechen im besetzen Polen.“
„Österreich braucht andere Rechtspraxis“
Anders als Österreich hat Deutschland zuletzt seine Rechtspraxis korrigiert. 2011 und 2016 wurden mit John Demjanjuk und Oskar Gröning erstmals SS-Wachmänner wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, obwohl sie nicht selbst gemordet hatten. Im Justizjargon heißt das: Im Fall von NS-Verbrechen bedarf es in Deutschland keines Einzeltatnachweises mehr.
„Das hat die Strafverfolgung bzw. Verurteilung von NS-Verbrechern erleichtert“, so Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem. Er sieht Österreich am Zug und fordert, es Deutschland gleichzutun: „Dann würde es uns leichter fallen, zu glauben, dass hier die Nazi-Vergangenheit abgelehnt wird.“
Die beiden Forscher Sanwald und Garscha vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes geben dem grundsätzlich recht, weisen aber auf ein weiteres Problem hin: Die wenigen Täter, die heute noch am Leben sind bzw. sein könnten, dürften zum Zeitpunkt der NS-Verbrechen noch nicht volljährig gewesen sein - was eine Anklage verunmöglicht. In Deutschland prüft bzw. untersucht die Staatsanwaltschaft derzeit mehrere Fälle von NS-Verbrechen. In weiteren vier ist, soweit öffentlich bekannt, Anklage erhoben worden.
Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft
https://science.orf.at/
phoenix premiere: Eine Frage des Gewissens. Von Sternstunden und Fraktionszwang - Donnerstag, 16. Mai 2019, 20.15 Uhr
13.05.2019 – 10:56
PHOENIX
Bonn (ots)
Die phoenix-Dokumentation erzählt die 70-jährige Geschichte des Bundestages - anhand von kontroversen Debatten, bei denen leidenschaftliche Überzeugungskämpfe im Mittelpunkt standen. Beispielhaft sind die Entscheidungen zur Verjährung von NS-Verbrechen, zum Abtreibungsrecht, zum Einsatz in Konfliktgebieten, zur Hauptstadt-Wahl oder zur "Ehe für alle".
Klaus Kastenholz und Bernd Reufels werfen einen Blick hinter die Kulissen von Parlamentsdebatten, die zu Sternstunden deutscher Demokratie wurden. Im Fokus steht die Frage: Wie ist das Spannungsfeld zwischen der Gewissensfreiheit eines Abgeordneten und den Erwartungen von Fraktion, Regierung und Parteien wirklich? Führende Politiker von heute und aus früheren Zeiten des Bundestages, wie etwa Wolfgang Schäuble, Norbert Blüm, Hans-Christian Ströbele, Rudolf Scharping und Katrin Göring-Eckardt schildern ihre Einschätzung der demokratischen Debatten-Kultur in Deutschland. Neben Experten wie der Historikerin Prof. Marie-Luise Recker und dem Politologen Prof. Andreas Rödder kommen auch "Abweichler" zu Wort, die nicht den üblichen Fraktionszwängen gehorchten, sondern ihrem Gewissen folgten, wie etwa Frank Schäffler, Marco Bülow, Klaus-Peter Willsch und Sigrid Skarpelis-Sperk. Auch langjährige Journalisten von phoenix, ARD und ZDF berichten, wie sie diese dramatischen Debatten in Bonn und Berlin hautnah miterlebten, darunter Klaus Prömpers, Wolfgang Herles, Ulrich Deppendorf und Erhard Scherfer.
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Das Ende der "Verjährungsdebatte" – Warum Mord nicht verjährt
01.07.2019 / 4 Minuten zu lesen
Am 3. Juli 1979 beschloss der Bundestag, dass Mord künftig nicht mehr verjähren sollte. Es war der Schlusspunkt unter einer fast 20-jährigen Debatte um die Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen.
Traditionelle Ehrung der Opfer des NS-Regimes vom Karfreitag 1945 im Rombergpark am 13.04.1979 in Dortmund. Dass Mord nicht verjährt, ist in Deutschland heute eine Selbstverständlichkeit. Wer einen Menschen vorsätzlich und aus niederen Motiven umbringt, muss auch nach Jahrzehnten noch mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Das war jedoch nicht immer so. Die so genannte "Verjährungsdebatte" begleitete die Rechtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland fast zwei Jahrzehnte lang. Geführt wurde sie vor dem Hintergrund der Strafverfolgung der Verbrechen der Nationalsozialisten.
"Verjährungshemmung" in den Besatzungszonen
Nach dem zweiten Weltkrieg hatten die Besatzungsmächte festgelegt, dass die Verjährung der Verbrechen des Nationalsozialismus, die von der NS-Justiz nicht verfolgt wurden, in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai (britische und französische Besatzungszone) bzw. bis zum 1. Juli 1945 (US-amerikanische Besatzungszone) ruhen sollte. Ob ein Verbrechen bereits verjährt war oder noch strafrechtlich verfolgt werden konnte, wurde daher nicht anhand des Datums der Tat, sondern dieser Stichtage überprüft.
Die Fristen regelte das Strafgesetzbuch und sah vor, dass Straftaten, "wenn sie mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht sind, in zwanzig Jahren" verjähren. Für Verbrechen, für die mehr als zehn Jahre Freiheitsstrafe vorgesehen waren, galt eine Verjährungsfrist von 15 Jahren. Deswegen drohten viele schwere Verbrechen, darunter auch Totschlagsdelikte und Beihilfe zum Mord, bereits 1960 zu verjähren.
Die SPD-Bundestagsfraktion schlug daher bereits im Jahr 1960 eine Ausweitung des Beginns der Verjährungsfrist auf den 16. September 1949 vor – also auf den Tag nach der Wahl von Interner Link:Konrad Adenauer (CDU) zum ersten Bundeskanzler, da die Rechtspflege vorher aufgrund der Besatzung stillgestanden hätte. Der Gesetzentwurf wurde jedoch vom Rechtsausschuss abgelehnt .
Leidenschaftliche Debatte im Bundestag
Fünf Jahre später drohten die bisher ungestraften Morddelikte der NS-Zeit zu verjähren. Die DDR-Führung hatte bereits 1964 die Verjährung von Kriegs- und nationalsozialistischen Verbrechen ausgeschlossen.
Im Bundestag wurde deswegen am 10. März 1965 abermals über eine Verlängerung der Verjährungshemmung für NS-Verbrechen und eine Abschaffung der Verjährungsfrist für Mord diskutiert. Die Sitzung gilt als "Sternstunde des Parlamentarismus". Ohne Fraktionszwang diskutierten die Abgeordneten über das Für und Wider einer solchen Regelung. Mittelbar ging es dabei auch um die Frage, wann bzw. ob ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit gezogen werden dürfe: Sollte 20 Jahre nach Ende der NS-Herrschaft um der gesellschaftlichen Befriedung willen die Strafverfolgung von nationalsozialistischen Verbrechen ein Ende finden? Oder wog die Verantwortung gegenüber den Opfern und ihren Nachkommen schwerer, so wie die Befürworter des Gesetzes einwandten? Der CDU-Abgeordnete Ernst Benda trat für eine Neuregelung ein und begründete das mit dem "Druck der eigenen Überzeugung". Der SPD-Abgeordnete Martin Hirsch pflichtete ihm bei.
Grundsatzfragen des Rechtsstaats
Gegner der Fristverlängerung vertraten die Ansicht, dass die Geltendmachung eines formal bereits erloschenen Rechtsanspruchs gegen die Prinzipien des Rechtsstaats verstoße, der als Gegenentwurf zum Unrecht des Naziregimes verstanden wurde. Bundesjustizminister Ewald Bucher (FDP) warf die Frage auf, ob man dem "Ruf nach lückenloser Sühne" folgen solle oder dem "rechtsstaatlichen Satz treu bleiben wolle, dass jedes rückwirkende Gesetz im Strafrecht von Übel" sei.
Die gesamte Debatte steht unter Externer Link:Bundestag.de zur Verfügung.
Am Ende stand ein vorläufiger Kompromiss, den der Bundestag am 23. Mai 1965 beschloss: Der Beginn der Verjährungsfrist für Verbrechen mit lebenslanger Haftstrafe wurde auf den 1. Januar 1950 festgesetzt. Gelöst war die Frage nach dem Umgang mit den NS-Verbrechen damit noch nicht, der Stichtag war nur auf das Ende der 1960er Jahre verschoben worden. Währenddessen hatten am 26. November 1968 die Vereinten Nationen in einer Resolution der Generalversammlung festgestellt, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Die Rechtslage in der Bundesrepublik blieb jedoch vorerst eine andere.
1969: Ein weiterer Kompromiss
Gegner eines neuen Gesetzes wandten ein, dass die deutsche Justiz mit den bereits laufenden Verfahren – es waren damals etwa 10.000 – noch gut ein Jahrzehnt beschäftigt wäre. Die früher bereits vorgebrachten rechtsstaatlichen Argumente gegen eine Fristverlängerung für die Verfolgung von NS-Verbrechen hatte das Bundesverfassungsgericht im April 1969 zerstreut: Es erklärte das 1965 vom Bundestag beschlossene Gesetz für konform mit dem Grundgesetz.
Schließlich hob der Deutsche Bundestag nach erneuter Debatte am 26. Juni 1969 die Verjährung für Völkermord auf. Für Mord wurde die Frist auf 30 Jahre erhöht. Damit war die Debatte um jene Verbrechen, die sich nicht der Definition von "Völkermord" zurechnen ließen, abermals aufgeschoben worden.
Politischer Wandel bis 1979
Ein letztes Mal wurde im Jahr 1979 über die Verjährung von nationalsozialistischen Verbrechen diskutiert. In Bonn regierte zu diesem Zeitpunkt bereits fast zehn Jahre lang eine sozialliberale Koalition aus SPD und FDP. Politisch hatte sich das Land gewandelt: Die Studentenproteste führten seit Ende der 1960er-Jahre zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der deutschen Schuldfrage.
Außerdem hatte in der deutschen Öffentlichkeit Anfang 1979 der amerikanische TV-Mehrteiler "Holocaust" eine neue Debatte um NS-Verbrechen ausgelöst. Der Historiker Frank Bösch etwa glaubt, dass die Serie "Deutungsmuster etabliert" habe, die Auswirkungen auf die Gesetzgebung hatten. Zudem hatte sich das Europaparlament in einer Entschließung ebenfalls gegen die Verjährung von Mord ausgesprochen.
Nach der fast elfstündigen, mit großem Ernst geführten Debatte stimmten 255 Abgeordnete für die Aufhebung der Verjährung von Mord, 222 Abgeordnete stimmten dagegen. Neu entdeckte Mordverbrechen aus der Nazizeit konnten nach der Aufhebung der Verjährungsfrist ohne Blick auf Verjährungsfristen verfolgt werden.
Das Ende dieser knapp dreißigjährigen Debatte ebnete den Weg für weitere Verfahren. So wurde 1981 das Urteil gegen SS-Aufseher aus dem Vernichtungslager Majdanek verkündet. Über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde 2011 der ehemalige KZ-Wachmann Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.
https://www.bpb.de/
Mehr zum Thema:
Das junge Politik-Lexikon: Verjährung >>>
Jörg Echternkamp: Die Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen (Dossier "Der Zweite Weltkrieg") >>>
Nazi-Verbrechen: Noch 29 Verfahren gegen mutmaßliche NS-Täter. Anklagen werden wegen hohen Alters immer unwahrscheinlicher
24.09.2019 – 06:00
NDR / Das Erste
Hamburg (ots)
In Deutschland laufen noch 29 Strafverfahren gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher. Das haben Recherchen des NDR Politikmagazins Panorama 3 ergeben. Vor allem ehemalige Wachleute in Konzentrationslagern sind in den Fokus der Ermittlungen geraten. Die Angehörigen der Wachmannschaften sollen als Teil der Mordmaschinerie das systematische Töten von Menschen ermöglicht haben. Gegen einen KZ-Aufseher beginnt im Oktober der Prozess in Hamburg. Es könnte einer der letzten sein. Denn wegen des hohen Alters der Beschuldigten werden weitere Prozesse immer unwahrscheinlicher.
Die 29 Strafverfahren laufen bei Staatsanwaltschaften über ganz Deutschland verteilt, wie eine Umfrage des NDR Magazins Panorama 3 unter allen deutschen Strafverfolgungsbehörden ergeben hat. Insgesamt richten sich die Ermittlungen gegen rund 50 namentlich bekannte Beschuldigte, darunter sind auch Frauen. In einigen Fällen ist unklar, ob die Tatverdächtigen noch leben. Den Beschuldigten wird Mord oder Beihilfe zum Mord, teilweise in tausenden Fällen, vorgeworfen. Gegen weitere Verdächtige laufen sogenannte Vorermittlungen - hier wird noch geprüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.
Zwei der Verfahren führten zu Anklagen gegen Wachleute aus dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Sie sollen durch ihren Dienst das Morden ermöglicht haben. Am Landgericht Hamburg beginnt nun Mitte Oktober der Prozess gegen den 93 Jahre alten Bruno D. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Hamburg Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen im KZ Stutthof vor. Gegenüber Panorama 3 wollte Bruno D. sich nicht äußern. In dem zweiten Fall gegen einen 94-Jährigen am Landgericht Wuppertal ist noch offen, ob es einen Prozess geben wird. Wie ein Gerichtssprecher auf Anfrage des NDR mitteilte, war es "wegen der anhaltend hohen Belastung der Kammer mit vorrangig zu bearbeitenden Haftsachen" noch nicht möglich, über eine Übernahme des Verfahrens zu entscheiden.
Die meisten der 29 Strafverfahren gegen mutmaßliche Mordhelfer in der NS-Zeit laufen bei den Staatsanwaltschaften in Neuruppin und Erfurt. Die Strafverfolger im brandenburgischen Neuruppin sind für Taten in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück zuständig. Zwölf Verfahren gegen KZ-Aufseherinnen und -Aufseher sind hier anhängig. In die Zuständigkeit der Erfurter Ermittler fällt das KZ Buchenwald, gegen sechs mutmaßliche Angehörige der dortigen Wachmannschaften wird noch ermittelt. Einzelne Verfahren gegen mutmaßliche NS-Täter sind noch in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern anhängig. Bei einigen Verfahren geht es um Massaker von SS-Einheiten in Frankreich und durch Mitglieder von "Sicherheitspolizei" und "Sicherheitsdienst" in der heutigen Ukraine. In Schleswig-Holstein laufen in Itzehoe und Lübeck Strafverfahren gegen zwei Frauen, die im KZ Stutthof tätig gewesen sein sollen. In Hamburg wird noch gegen eine jetzt 97-jährige ehemalige Aufseherin in dem KZ Bergen-Belsen, ermittelt, da sie 1945 an einem Todesmarsch von KZ-Häftlingen beteiligt gewesen sein soll, bei dem 1400 Frauen ums Leben kamen.
Die meisten Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher gehen auf Vorermittlungen bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart zurück. Hier versuchen die Ermittler herauszufinden, welche mutmaßlichen Täter noch leben und inwiefern diese für ihre Taten noch belangt werden können. Derzeit stehen noch vier Konzentrationslager im Fokus der Ludwigsburger Ermittler. Da die Zentrale Stelle selbst keine Ermittlungsmaßnahmen durchführen darf, gibt die Behörde die Verfahren nach den Vorermittlungen an die zuständigen Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland ab. Für den Leiter der Zentralen Stelle Jens Rommel ist auch über 74 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Strafverfolgung von mutmaßlichen Tätern noch wichtig. Die heutige Aufklärung von NS-Verbrechen könne dazu beitragen, "festzustellen, was geschehen ist, und die persönliche Verantwortung des Einzelnen in dem verbrecherischen System zu bestimmen", sagt Rommel im NDR Interview. So könnten die Geschehnisse "auch heute noch als Unrecht" bewertet werden. Auch für die vielen Opfer des NS-Regimes seien diese Verfahren von großer Bedeutung.
Mehr zu dem Prozess gegen ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. in Hamburg bei Panorama 3, Dienstag, 24.09.2019, 21.15 Uhr im NDR Fernsehen.
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Norddeutscher Rundfunk
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Frank Jahn / Iris Ockenfels
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Bericht: 29 Verfahren gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher
Die meisten Nazi-Verbrecher von einst sind längst tot. Deutschlandweit laufen derzeit jedoch noch 29 Verfahren gegen mutmaßliche Beteiligte an den Verbrechen der Nationalsozialisten. Deren hohes Alter und die Überarbeitung der Gerichte könnten dazu führen, dass einige von ihnen nicht mehr verurteilt werden.
24.09.2019, 11:15 Uhr
Hamburg. In Deutschland laufen einem Bericht zufolge noch 29 Strafverfahren gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher. Vor allem ehemalige Wachleute in Konzentrationslagern seien in den Fokus der Ermittlungen gerückt, teilte der Norddeutsche Rundfunk unter Berufung auf Recherchen des NDR-Politikmagazins "Panorama 3" mit. Insgesamt richteten sich die Ermittlungen gegen rund 50 namentlich bekannte Beschuldigte, unter ihnen auch Frauen. In einigen Fällen sei unklar, ob die Tatverdächtigen noch leben. In einem Fall gegen einen 94-Jährigen am Landgericht Wuppertal ist noch offen, ob es einen Prozess geben wird.
Die 29 Strafverfahren laufen bei Staatsanwaltschaften über ganz Deutschland verteilt, wie eine Umfrage von "Panorama 3" unter allen deutschen Strafverfolgungsbehörden ergab. Den Beschuldigten würden Mord oder Beihilfe zum Mord vorgeworfen, teilweise in Tausenden Fällen. Gegen weitere Verdächtige liefen sogenannte Vorermittlungen - hier werde noch geprüft, ob ein Anfangsverdacht vorliegt.
Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen
Gegen einen KZ-Aufseher, den 93 Jahre alten Bruno D., beginnt Mitte Oktober der Prozess in Hamburg, wie es weiter hieß. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Hamburg Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen im KZ Stutthof vor. Der Prozess könnte einer der letzten sein. Denn wegen des hohen Alters der Beschuldigten werden weitere Prozesse immer unwahrscheinlicher. Die meisten der 29 Strafverfahren gegen mutmaßliche Mordhelfer in der NS-Zeit laufen laut NDR bei den Staatsanwaltschaften in Neuruppin und Erfurt, in deren Zuständigkeiten Taten in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Ravensbrück und Buchenwald fallen.
In einem Fall gegen einen 94-Jährigen am Landgericht Wuppertal ist dem Bericht zufolge noch offen, ob es einen Prozess geben wird. Der NDR verweist auf einen Gerichtssprecher, demzufolge "wegen der anhaltend hohen Belastung der Kammer mit vorrangig zu bearbeitenden Haftsachen" es dem Landgericht noch nicht möglich gewesen sei, über eine Übernahme des Verfahrens zu entscheiden.
Kritik vom Internationalen Auschwitz Komitee
Das Internationale Auschwitz Komitee bewertete die Aussage des Wuppertaler Gerichts angesichts des hohen Alters der Holocaust-Überlebenden "nur noch als zynisch und abwertend". Die in Deutschland noch anhängigen 29 Verfahren leisteten zwar einen wichtigen Beitrag dazu, Überlebenden und ihren Angehörigen wenigstens in Teilen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, erklärte Exekutiv Vizepräsident Christoph Heubner am Dienstag in Berlin. Doch bleibe für Überlebende des Holocaust die "in Deutschland weitgehend bewusst versäumte juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen ein fortwährender Skandal und ein Schmerz". Die allerwenigsten der NS-Täter in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern hätten jemals einen deutschen Gerichtssaal von innen gesehen.
Die Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher gehen den Angaben zufolge zumeist auf Vorermittlungen bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart zurück. Hier versuchten die Ermittler herauszufinden, welche mutmaßlichen Täter noch leben und inwiefern diese für ihre Taten noch belangt werden können.
RND/epd
https://www.rnd.de/
Trawniki im 2. WeltkriegKZ-Wächter Palij ausgeliefert: Das war seine Rolle als SS-Helfer beim Genozid
FOCUS-online-Autor Armin Fuhrer
Mittwoch, 22.08.2018, 21:03
Der Fall des von den USA nach Deutschland abgeschobenen ehemaligen KZ-Wächters Jakiv Palij wirft ein Schlaglicht auf die Rolle der sogenannten Trawniki bei der Judenvernichtung während des Zweiten Weltkrieges. Wer waren diese Männer und welche Rolle spielten sie?
Der Fall soll für Donald Trump von besonderem Interesse gewesen sein, und so habe der US-Präsident sich auch ganz persönlich dafür eingesetzt, dass Jakiv Palij nach Deutschland abgeschoben werde, betonte der US-amerikanische Botschafter Richard Grenell. Nachdem sich frühere Bundesregierungen seit 15 Jahren geweigert hatten, den heute 95-jährigen gebürtigen Polen, der inzwischen staatenlos ist, aufzunehmen, schlug Berlin nun ein und erlaubte Palijs Einreise.
Laut Außenminister Heiko Maas (SPD) stehe Deutschland damit zu seiner „moralischen Verpflichtung gegenüber den Opfern und nachfolgenden Generationen“. Rechtlich verpflichtet gewesen wäre Berlin zu diesem Schritt nicht, denn Palij ist kein deutscher Staatsbürger und ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes gegen ihn wurden vor wenigen Jahren erfolglos eingestellt.
Palij steht in Verdacht, als sogenannter Trawniki aktiv an der massenhaften Ermordung an Juden in den Vernichtungslagern beteiligt gewesen zu sein, die die Deutschen 1941/42 auf polnischem Boden errichtet hatten: Trebilinka, Sobibor und Belzec. In diesen Lagern waren zwischen 1,5 und zwei Millionen Juden ermordet worden, wobei Treblinka mit mindestens 900.000 Getöteten das größte dieser Vernichtungslager war. Viele der etwa 5000 Trawniki wurden nach Erkenntnissen von Historikern in diesen Lagern als Hilfskräfte der SS eingesetzt. Historiker bezeichnen sie als „Fußvolk des Genozids“.
Viele Trawniki wurden zwangsrekrutiert
Doch wer waren diese Trawniki überhaupt? Bei ihnen handelte es sich um meist sehr junge, zwischen 18 und 22 Jahre alte Männer. Sie waren keine Deutschen, sondern stammten zum größten Teil aus Weißrussland, der Ukraine oder dem Baltikum. Später wurden auch Polen von den Deutschen zwangsweise rekrutiert. Die allermeisten dieser jungen Männer waren den Deutschen als Kriegsgefangene ins Netz gegangen.
Sie wurden zum Teil zwangsrekrutiert, zum Teil meldeten sie sich „freiwillig“ zum Dienst. Diese „Freiwilligkeit“ rührte aus der Hoffnung, das eigene Schicksal zu verbessern. Denn die Kriegsgefangenenlager waren eine Hölle auf Erden, in der viele Insassen qualvoll durch Hunger, Entkräftung oder Krankheit umkamen. Wer sich für den Dienst in einem Vernichtungslager „freiwillig“ meldete, entging dem möglichen Tod dadurch, dass er sich am Mord an anderen Menschen beteiligte. Nach Angaben der Historikerin Angelika Benz war ein Hass auf Juden, wie er bei den deutschen SS-Leuten vorherrschte, kein hauptsächlicher Grund. Wenn die Belohnung stimmte, sollen Trawniki auch Juden das Leben gerettet haben.
Ihren Namen Trawniki bekamen diese jungen Männer, weil sie zunächst zu Ausbildungszwecken im Lager Trawniki, rund 40 Kilometer südöstlich der polnischen Stadt Lublin, eingesetzt wurden. Bei Trawniki handelte es sich um ein Zwangsarbeiterlager, in dem viele Juden inhaftiert waren. Es war im Herbst 1941 errichtet worden. Der Charakter als Zwangsarbeiterlager brachte gute Bedingungen für Trainingszwecke für zukünftige Lager-Aufseher mit sich. Hier wurden die jungen Männer daher zunächst für einige Monate als Aufseher eingesetzt – und zu Brutalität und Rücksichtslosigkeit erzogen. Aufgrund dieses Einsatzes wurden sie von den Insassen bald Trawniki genannt.
Trawniki konnten noch brutaler sein als die SS
In den Lagern galten viele Trawniki-Männer als genauso brutal wie die deutschen SS-Männer. „Die Ukrainer waren im allgemeinen übereifrige und fanatische Bewacher. Sie machten von ihren Peitschen und Gewehrkolben Gebrauch, ohne weitere Befehle abzuwarten, um so die nackten Juden vom Entkleidungsplatz in die Gaskammern zu jagen. In den Augen der Arbeitshäftlinge, die sie mit Herr Posten ansprechen mussten, waren sie gefährlicher als die SS“, berichtete Jules Schelvis, ein Sobibor-Überlebender. Im Lager Treblinka brachte es ein Trawniki zu trauriger Berühmtheit. Er ging so brutal und rücksichtslos vor, dass er „Iwan der Schreckliche“ genannt wurde. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Zahl der Trawniki-Männer unter den Deserteuren überdurchschnittlich hoch war.
Die Trawniki wurden allerdings nicht nur in den Vernichtungslagern eingesetzt. Die SS litt dauerhaft unter Personalmangel und so zog sie die „fremdvölkischen“ Helfer, wie sie sie nannte, auch an anderen Orten hinzu. Zum Beispiel waren Trawniki an der äußerst brutalen Niederschlagung des Warschauer Ghetto-Aufstandes im Jahr 1943 beteiligt. Ebenso wirkten sie an der Verfolgung von Partisanen im Raum Lublin mit. Im Herbst 1943 wurde das Lager Trawniki schließlich dem Konzentrationslager Majdanek unterstellt.
Die Rolle Palijs ist unklar
Weder den US-Behörden noch den deutschen Ermittlern gelang es, Palij einen Einsatz in einem der Vernichtungslager nachzuweisen. Dass er dort tätig war, ist zwar naheliegend, schließlich wurde er genau für einen solchen Einsatz ja ausgebildet. Aber eine Vermutung ist kein juristisch verwertbarer Beweis. Sehr wahrscheinlich aber ist, dass Palij im November 1943 während der Erschießung von 6000 Juden anwesend war, die direkt im Lager Trawniki umgebracht wurden. Den Befehl zu dieser Aktion hatte SS-Chef Heinrich Himmler persönlich gegeben. „Wir wissen, dass er zu dieser Zeit dort war“, sagte jetzt US-Botschafter Richard Grenell. Aber auch hier ist die entscheidende Frage ungeklärt – nämlich die, ob Palij an der Aktion beteiligt war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchten viele Trawniki als Displaced Persons unter und gelangten vor allem in die USA. Andere gingen freiwillig in die Sowjetunion zurück, wo sie in vielen Fällen hingerichtet wurden. Jakiv Palij nahm den Weg nach Amerika. 1957 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft. Seine Vergangenheit als Trawniki-Mann verschwieg er. Er siedelte sich im New Yorker Stadtteil Queens an – genau dort, wo US-Präsident Donald Trump geboren wurde, was diesen besonders belastet haben soll. Doch als Jahrzehnte später durch gezielte behördliche Nachforschungen seine Vergangenheit ans Licht kam, wurde sie ihm wieder entzogen. Seit 2004 ist er staatenlos. Weder Polen, auf dessen Gebiet er 1923 geboren wurde, noch die Ukraine, zu deren Staatsgebiet heute sein Heimatort gehört, wollten ihn aufnehmen. Nun machte Deutschland diesen Schritt, um zu dokumentieren, dass es zu seiner historischen Schuld stehe – schließlich habe Palij ja im Namen der damaligen deutschen Regierung gehandelt.
Lebensabend im Seniorenheim
Dass er doch noch vor Gericht gestellt werden wird, erscheint äußerst unwahrscheinlich. Dafür müssten eindeutige Hinweise für eine Beteiligung am Massenmord an den Juden gefunden werden. Jakiv Pavlij wird in einem Seniorenheim im nordrhein-westfälischen Ahlen untergebracht, wo er vermutlich in Ruhe seinen Lebensabend verbringen kann.
https://www.focus.de/
AUFKLÄRUNG VON NAZI-VERBRECHEN
NS-Chefaufklärer Rommel: Schuld von KZ-Schergen schwer nachweisbar
Die Abschiebung des früheren KZ-Aufsehers Palij nach Deutschland rückt die Verfolgung von SS-Verbrechern in den Fokus. Doch Chefaufklärer Jens Rommel spricht im DW-Interview von einer schwierigen Beweislage.
Datum 22.08.2018
Autorin/Autor Ralf Bosen
Die USA haben den ehemaligen KZ-Wächter Jakiv Palij (95) am Dienstag nach Deutschland abgeschoben. Er wurde mit einem Krankentransport in eine Altenpflegeeinrichtung im Münsterland gebracht. Palij wurde 1923 in Pjadyky geboren. Der Ort gehörte damals zum Staatsgebiet von Polen, liegt heute jedoch in der Ukraine. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Palij polnischer Staatsbürger, heute ist er staatenlos.
Er war 1941 im Zwangsarbeiter- und Ausbildungslager Trawniki in der Nähe von Lublin im Osten Polens zum Helfershelfer der SS ausgebildet worden. Er soll in am Massenmord an 6000 Juden beteiligt gewesen sein. Nach dem Krieg wanderte Palij in die USA aus und gab bei der Einreise an, ein einfacher Bauer gewesen zu sein.
Als Jahrzehnte später seine SS-Mitgliedschaft ans Licht kam, entzogen ihm die USA die Staatsbürgerschaft. Seit 2005 versuchten sie, ihn abzuschieben. Deutschland hatte sich jahrelang geweigert ihn aufzunehmen, weil Palij kein deutscher Staatsbürger ist. Er selbst behauptet, dass er zum Dienst in den SS-Hilfstruppen gezwungen worden sei. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte dazu: "Wir stellen uns der moralischen Verpflichtung Deutschlands, in dessen Namen unter den Nazis schlimmstes Unrecht getan wurde."
Über den Fall Palij und die allgemeinen Ermittlungen sprach die DW mit dem Leiter der Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen, Jens Rommel.
DW: Herr Rommel, seit 2005 hatten die US-Behörden versucht, Palij abzuschieben. Doch Berlin wies 14 Jahre lang jedes Gesuch aus Washington ab, weil er kein deutscher Staatsbürger ist. Warum der Gesinnungswandel, warum erst jetzt?
Rommel:Dazu kann ich von strafrechtlicher Seite nur sagen, dass die Überstellung nicht auf Wunsch der deutschen Justiz erfolgt. Es gab also keinen deutschen Haftbefehl mit dem Wunsch nach Auslieferung, sondern das war ein Wunsch der US-Regierung, dem nun die Bundesregierung nachgekommen ist.
SS Lager-Aufseher Jakiv Palij
Vor seiner Abschiebung lebte Jakov Palij in New York. Das Foto ist von 2013
Die Bundesregierung will mit der Aufnahme Palijs ein klares Zeichen setzen und spricht von der moralischen Verantwortung Deutschlands. Wird dieser Verantwortung im Falle Palijs tatsächlich entsprochen?
Für uns als zentrale Stelle geht es um die juristische Verantwortung. Das heißt, unser Maßstab ist das Strafgesetzbuch und wir müssen nachweisen, dass eine Person eigenhändig einen Mord begangen hat oder durch seine Handlungen, durch seinen Dienst die Morde der Nationalsozialisten unterstützt hat. Und das ist eben der Maßstab, an dem wir auch diesen Fall zu messen haben.
Und genau das scheint sehr schwierig zu sein. Denn ob es in diesem Fall zu einer Anklage kommt, scheint derzeit fraglich zu sein. Die Staatsanwaltschaft Würzburg hatte 2015 Ermittlungen gegen ihn mangels Beweisen eingestellt und bisher sind keinerlei Unterlagen gefunden worden, die seine Beteiligung an der Shoa nachweisen. Was kann man also von diesem Fall erwarten? Was ist Ihre Einschätzung?
Derzeit laufen in Deutschland keine Ermittlungen gegen ihn. Es gibt also auch keinen Haftbefehl. Und allein die Überstellung aus den USA ändert nichts an der Beweislage und an der Verdachtslage in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft Würzburg könnte ihr Verfahren theoretisch wieder aufnehmen, wenn sie zu einer anderen Bewertung kommt. Aber dafür wären insbesondere Beweismittel notwendig, die die Person mit den einzelnen Verbrechen in Verbindung bringen. Und daran hat es bislang gefehlt.
Warum ist es so schwer, Beweise zu finden, die Palij und anderen Nazi-Helfern Beihilfe zum Mord nachweisen?
Jens Rommel
Chefaufklärer Jens Rommel
Die Schwierigkeit besteht weniger darin, die Morde, die einzelnen Massaker, die Tätigkeiten in einem Lager an sich zu beschreiben, sondern die Verantwortung des Einzelnen zu bestimmen: Durch welche Handlung, durch welche Dienst-Ausübung, durch welche Funktion hat der Einzelne diese Morde erleichtert? Das ist das, was wir beweisen müssen. Und das ist bei mobilen Einheiten, in denen zum Teil diese Trawniki-Männer waren, äußerst schwierig. Wir wissen nicht genau, in welcher Einheit der Betroffene nach seiner Ausbildung im Lager eingesetzt war.
Welche Rolle spielen KZ-Wächter wie Palij und andere Mitglieder von Hilfstruppen wie die Trawniki-Männer in der SS und KZ-Maschinerie?
Trawniki war zunächst ein Lager für die Ausbildung dieser Hilfsmannschaften. Daneben war ein Zwangs-Arbeitslager und von dort wurden die Trawniki-Männer eingesetzt. Zum Teil in den Vernichtungslagern wie Treblinka oder Sobibor. Da kennen wir den Fall Demjanjuk*, der dort als Wachmann eingesetzt war. Da ist die Beweislage relativ klar, denn in diesem festen Lager, wo jeder angekommene Häftling sofort getötet werden sollte, hat jede Funktion diese Morde unterstützt.
Dementsprechend ist Demjanjuk auch verurteilt worden. Aber bei anderen Einheiten, die an verschiedenen Orten mit verschiedenen Aufgaben betraut waren, ist das deutlich schwieriger. Zum Teil haben die Trawniki-Männer auch nur Zwangsarbeiter bewacht und das allein ist noch keine Beihilfe zu einem Mord.
Es heißt, mutmaßlich sei mit Palij der letzte noch in den USA lebende SS-Scherge nach Deutschland abgeschoben worden. Wie schätzen Sie das weltweit ein? Weiß man von weiteren Nazis oder Helfern des Unrechtsregimes, die ihren Lebensabend bisher unbehelligt verbringen können?
Auch da müssen wir unsere Maßstäbe beachten. Solange wir keinen Verdacht oder gar dringenden Verdacht haben, dass jemand an einem Mord beteiligt war, bemüht sich Deutschland auch nicht um die Auslieferung der Personen. Deswegen ist es schwer zu sagen, ob es noch andere gibt, die wie jetzt im aktuellen Fall in anderen Staaten ausgebürgert wurden, aber möglicherweise doch nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.
Herr Rommel, Sie beschäftigen sich als Leiter der Zentralen Stelle seit Jahren mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Was haben Sie empfunden, als Sie von Abschiebung erfuhren?
Mir war der Zwiespalt sofort bewusst, dass es für die US-Regierung andere Maßstäbe gibt, als für die Strafverfolgung in Deutschland. Für die Amerikaner reicht es, dass er in der Einbürgerung gelogen hat, nämlich über seine Mitgliedschaft in der SS, seine Unterstützung der SS. Dass das aber für uns für ein Strafverfahren wegen Mordes nicht ausreichend sein wird. Das ist natürlich eine missliche Lage.
Früherer SS-Mann Jakiw Palij nach Deutschland abgeschoben
Gefangene im früheren Konzentrationslager Trawniki im besetzten Polen. Hier war Palij Aufseher
Was könnte passieren, wenn Palij keine Schuld nachweisbar wäre?
Dann passiert strafrechtlich gar nichts. Es gibt im Strafrecht den Grundsatz, dass jemand persönlich verantwortlich sein muss und nur dann kann er eben auch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Das müssen wir aushalten, dass es verschiedene Maßstäbe gibt: einmal das Aufenthalts-Verfahren in den USA und dann die hohen Anforderungen an eine Verurteilung wegen Mordes.
Dann würde Palij in Deutschland bleiben?
Die Ausländer-rechtlichen Fragen kann ich von Strafrechts-Seite nicht zuverlässig beantworten. Aber ich würde mich wundern, wenn ihn die USA zurück nähmen. Das wahrscheinlichste wäre - sollte es je zu einer Verurteilung kommen - dass er die Strafe in Deutschland zu verbüßen hätte.
Sollte es zu einer Verurteilung kommen - was könnte ihm dann als Höchststrafe drohen? Der Mann ist mittlerweile 95 Jahre alt.
Man muss noch mal sagen, es gibt derzeit keine Ermittlungen. Deswegen ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es zu einer Verurteilung kommt. Der Strafrahmen für die Beihilfe zum Mord beginnt bei drei Jahren Freiheitsstrafe und reicht bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe.
Das Interview führte Ralf Bosen.
Oberstaatsanwalt Jens Rommel (geboren 13. September 1972) leitet die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg seit Oktober 2015.
(* John Demjanjuk war ein ehemaliger KZ-Wächter und verurteilter NS-Kriegsverbrecher. Er war 2011 wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Juden zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig: Demjanjuk starb im Alter von 91 Jahren in einem oberbayerischen Pflegeheim, bevor über die von ihm und von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil eingelegte Revision entschieden war. Mit der gegen Demjanjuk verhängten Haftstrafe hatte das Landgericht München dennoch Justizgeschichte geschrieben. Denn erstmals wurde ein nichtdeutscher Wachmann eines NS-Todeslagers verurteilt - ohne konkreten Tatnachweis.)
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AUDIO UND VIDEO ZUM THEMA
Demjanjuk: schuldig, aber auf freiem Fuss >>>
Prozesse-Chronologie: NS-Verbrechen vor Gericht
dpa
Der wegen NS-Kriegsverbrechen angeklagte Heinrich Boere im Saal des Landgerichts Aachen.
Mittwoch, 09.09.2015, 23:52
Mehrere NS-Verbrecher mussten sich – wie jetzt der Beschuldigte John Demjanjuk in München – erst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg vor Gericht verantworten. Einige Fälle der vergangenen Jahre:
28. Oktober 2009: Vor dem Aachener Landgericht beginnt der Prozess gegen Heinrich Boere. Die Dortmunder Staatsanwaltschaft hat den heute 88-Jährigen wegen Mordes angeklagt. Er soll 1944 als Mitglied des SS-Killerkommandos „Feldmeijer“ drei Niederländer erschossen haben. Er war in den Niederlanden in Abwesenheit bereits 1949 verurteilt worden, die lebenslange Freiheitsstrafe wurde aber nie vollstreckt.
11. August 2009: Die Münchner Schwurgerichtskammer verurteilt den fast 91-jährigen Josef Scheungraber wegen zehnfachen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe. Der damalige Wehrmachtsoffizier hatte 1944 den Befehl zur Sprengung eines Hauses in der Toskana gegeben, in dem zuvor elf Menschen zusammengetrieben worden waren. Er war deswegen bereits 2006 von einem italienischen Gericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
November 2006: Ein Militärgericht in Italien verurteilt den Ex-Wehrmachtsoffizier Heinrich Nordhorn in Abwesenheit zu lebenslanger Haft. Der während des Prozesses 87-jährige Mann war dem Gericht zufolge 1944 an der Tötung von Zivilisten beteiligt.
Dezember 2005: Nach mehr als einjähriger Verhandlung endet der Prozess gegen Ladislav Niznansky in München mit einem Freispruch. Gegen ihn wurde wegen Mordes in 20 Fällen verhandelt. Im Prozess ging es um Massaker in der Slowakei im Januar und Februar 1945.
Juli 2002: Das Hamburger Landgericht verurteilt den früheren Chef des SS-Sicherheitsdienstes in Genua, Friedrich Engel, zu sieben Jahren Haft. Der „Henker von Genua“ war laut Gericht für die Erschießung von 59 italienischen Geiseln verantwortlich. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil 2004 wegen ungenauer Beweislage auf. Engel starb 2006 als freier Mann.
Mai 2001: Das Landgericht München I verhängt gegen den NS- Verbrecher Anton Malloth eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Er war von 1940 bis 1945 Aufseher in einem Gestapo-Gefängnis im heutigen Tschechien. Im Oktober 2002 starb Malloth mit 90 Jahren in Straubing.
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"Der Staat gegen Fritz Bauer" im Kino
Ein Lehrstück über altes Nazi-Denken in der jungen Bundesrepublik und den Kampf eines Unbeugsamen für Gerechtigkeit. "Der Staat gegen Fritz Bauer" läuft jetzt in den Kinos - und ist Thema in KINO.
30.09.2015
"Ich wollte diese Rolle des Fritz Bauer unbedingt spielen", sagt Burkhart Klaussner. "Unbedingt, unbedingt. Weil ich immer mal einen Helden spielen wollte, einen gebrochenen Helden. Von solchen Leuten gibt es in Deutschland nicht allzu viele."
Fritz Bauer (1903-1968) war Jurist. Und Jude. Und homosexuell. In der Bundesrepublik war er als Generalstaatsanwalt - gegen alle Widerstände - die treibende Kraft zur juristischen Aufarbeitung von Verbrechen der Nationalsozialisten.
Der gebürtige Stuttgarter Bauer, der als Sozialist das Dritte Reich nach wenigen Monaten Lagerhaft im Exil überlebt hatte, arbeitete in einem - oft einsamen - Kampf daran, die NS-Verbrecher in ihrem eigenen Land vor Gericht zu stellen. Dabei wollte dieses Wirtschaftswunder-Deutschland der späten 1950er und frühen 1960er Jahre diese Zeit einfach nur hinter sich lassen. Zum einen aus politischen Gründen: Kanzler Konrad Adenauer hatte Deutschland ins West-Bündnis integriert und arbeitete an einer Aussöhnung mit dem jungen Staat Israel; zum anderen vielfach aus biographischen Gründen, waren doch viele Deutsche linientreue Nazis gewesen.
"Meine eigene Behörde ist Feindesland"
In der jungen Bundesrepublik hatten sich alte Nationalsozialisten schnell im neuen System eingerichtet, ihre Seilschaften funktionierten noch. Im Justizwesen, bei den Geheimdiensten, in der Wirtschaft, auch in der Politik. Ihnen allen war Bauer, gelinde gesagt, lästig. Und so gab Regisseur Lars Kraume dem Film sehr passend den Titel "Der Staat gegen Fritz Bauer" und nicht etwa "Fritz Bauer gegen den Staat".
Der Jurist leistet seine aufklärerische Arbeit und spürt den Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten nach; der Staat, die vielen im Staat, suchen das zu verhindern und alte Kameraden zu schützen. "Die Frage ist doch, ob und wie lange wir uns noch einen solchen Generalstaatsanwalt leisten können", sagt gleich zu Beginn des Films ein führender Nachrichtendienstler. Bald folgt ein oft schon kolportiertes Bauer-Wort: "Meine eigene Behörde ist Feindesland."
Der Jurist arbeitete daran, den in Argentinien untergetauchten Adolf Eichmann ausfindig zu machen und vor Gericht zu bringen, jenen SS-Obersturmbandführer, der die Deportation von Millionen Juden in den Tod organisierte. Und weil Bauer seinem Land nicht trauen konnte, setzte er Israel auf die Spur an. Dort wurde Eichmann 1962 hingerichtet.
All das ist für den Zuschauer erschütternd. Erschütternd auch, weil dieser große aufklärerische Jurist, dem es um Recht ging, im vereinten Deutschland kaum mehr bekannt ist. Selbst viele Juristen kennen ihn erst, seitdem Bauers Rolle im Rahmen der sogenannten Auschwitz-Prozesse ab 1963 zum Thema wurde. Der Kinofilm "Im Labyrinth des Schweigens" von 2014 erinnert an dieses spektakuläre Verfahren, das geradezu symbolhaft im Umbruchjahr 1968 endete. Erschütternd auch, weil es diese Verstrickung von Macht und Justiz, von Schuld und Verantwortungslosigkeit bis heute immer wieder gibt. In Südamerika, im arabischen Raum, auch andernorts, wo das Recht allein den Herrschenden recht sein soll. Ein Ende scheint nicht in Sicht.
Bleierne Zeiten
Regisseur Lars Kraume, 42 Jahre alt und bereits wiederholt mit dem renommierten Grimme-Preis geehrt, spricht von den "verkrusteten Jahren" der frühen Bundesrepublik, einer "dunklen Zeit". Die Generation der Zeitzeugen sterbe aus, deshalb nun der neue Blick in Büchern, in Filmen. Kraumes Werk prägt die Wahl der Schauspieler. Da sind vor allem Hauptdarsteller Burkhart Klaußner (65), der im grandios ernsten Spiel den Fritz Bauer gibt, und der erst 38-jährige Ronald Zehrfeld, der als junger Staatsanwalt Karl Angermann überzeugt.
Der Staat gegen Fritz Bauer" ist ein Film mit so präziser wie zurückgenommener Kameraarbeit, mit hervorragender Detailarbeit an der Ausstattung. Ein Werk für die große Leinwand braucht Aktion, braucht hier Szenen in Argentinien und Israel. Aber in seiner Existenzialität, seiner Dramatik wirkt der Film wie ein Theaterstück. Und Klaußner, der vielleicht größte deutsche Schauspieler seiner Generation fürs Ernste, sorgt dafür, dass dies gelingt. Schon in den ersten Bildern ist Fritz Bauer wieder allgegenwärtig.
Landesverrat als Schlüsselbegriff
Und dann hat dieser Film noch seine eigene Pointe für den Sommer 2015, die auch noch tragen wird, wenn das Werk am 1. Oktober in die deutschen Kinos kommt. Seit Ende Juli erlebt Deutschland eine politische Affäre um die mehr oder weniger brisante mediale Veröffentlichung von Geheimdienstwissen, da vertrauliche Informationen aus der Politik immer wieder durch Online-Veröffentlichungen publik werden. Ende offen - aber von "Landesverrat" ist die Rede. "Landesverrat" - der Vorwurf wird zu einem Schlüsselbegriff im Fritz-Bauer-Film. Der Generalstaatsanwalt weiß um das Risiko, im Streben nach einer Durchsetzung des Rechts wider staatliches Interesse zu handeln. Seine altbraunen Gegenspieler wissen, dass sie ihn mit dem Vorwurf des Landesverrats stürzen könnten - wenn schon nicht der Hinweis "Der Jude ist schwul" reicht.
Regisseur und Drehbuch-Mitautor Kraume sagt, er halte Fritz Bauer "auch für einen modernen Helden". Ein Mann, "der gegen den Zeitgeist seine Meinung äußerte, um jeden Preis". Von diesen "wahren Helden" gebe es heute eben wenige, vielleicht ja ein Edward Snowden.
Kraumes Arbeit ist eine Hommage an den deutschen Juristen Fritz Bauer, ein Thriller und ein zeitgemäßer Film. 2014 stiftete Bundesjustizminister Heiko Maas, der sich der Erinnerung an den wichtigsten Ankläger der Nazi-Verbrechen verpflichtet fühlt, übrigens den "Fritz Bauer Studienpreis für Menschenrechte und juristische Zeitgeschichte".
Der Film feierte bei den diesjährigen Filmfestspielen im Schweizer Locarno Weltpremiere und erhielt den Publikumspreis.
In KINO ist "Der Staat gegen Fritz Bauer" das Thema der Sendung. Außerdem in der am Wochenende startenden neuen wöchentlichen DW-Sendung KINO: ein Blick auf den anderen Fritz Bauer-Film "Das Labyrinth des Schweigens" sowie Kurzbeiträge über den Publikumserfolg "Fack Ju Göhte 2", die Dokumentation "Landraub" sowie Wolfgang Beckers "Ich und Kaminski".
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Politik
„Operation Last Chance” – Die letzten lebenden NS-Täter zur Verantwortung ziehen
30. April 2015 | Gastautor Daniel Schwerd, MdL, Piraten-NRW
Der deutschen Ostfront im zweiten Weltkrieg folgte eine etwa 3000 Mann starke Tötungsbrigade, die sogenannten Einsatzgruppen. Sie wurden aus Polizisten, SD, Gestapo und Waffen-SS zusammengesetzt. Aufgeteilt in vier Gruppen bezeichnet mit A, B, C und D waren sie seit Juni 1941 in Osteuropa im Einsatz. Sie sollte in den eroberten Gebieten Führungspersonal, Beamte, Intellektuelle, Kranke und Behinderte, mutmaßliche Partisanen, vor allen Dingen aber: Juden töten. Unser Gastautor Daniel Schwerd ist Landtagsabgeordneter der Piraten in Nordrhein-Westfalen.
Man umstellte die Opfer – Männer, Frauen und Kinder – und brachte sie außerhalb der Ortschaften. Dort wurden die Menschen erschossen und in Panzergräben, Steinbrüchen, Kiesgruben oder Schluchten verscharrt. Mindestens eine Millionen Mal legten diese Einsatzgruppen das Gewehr an und erschossen einen Menschen. Das Unterkommando 4a der Einsatzgruppe C etwa tötete allein am 29. und 30. September 1941 in Zusammenarbeit mit Wehrmacht und Polizei in Kiew 33.771 Juden und verscharrten sie in der Schlucht von Babyn Jar. Später kamen mobile Gaswagen zum Einsatz, damit die Massentötungen die Einheiten nicht zu sehr seelisch belasten. Darin wurden die Opfer mit den Motorabgasen ermordet.
In den NS-Archiven liegen insgesamt 195 sog. Ereignismeldungen vor, insgesamt mehr als 4000 Seiten Papier. In ihnen ist, mit Datum, Ort und konkreten Umständen, der Mord an mindestens 535.000 Menschen dokumentiert.
Im sogenannten Einsatzgruppenprozess 1947 und 48 sollten diese Taten verfolgt werden. Insgesamt 24 Kommandeure standen vor Gericht – weil der Gerichtssaal über 24 Sitze für Angeklagte verfügte. Die meisten anderen Mitglieder der Einsatzgruppen blieben trotz der klaren Quellenlage unbehelligt. Das gleiche gilt für zahlreiche Täter in Konzentrationslagern, die sich später auf Befehlsnotstand beriefen.
Tradition des Wegschauens
Leider hat unser Land eine lange Tradition, solche Täter weder gerichtlich zu belangen, noch sie dorthin auszuliefern, wo ihnen der Prozess gemacht wurde. Auch innerhalb NRWs gibt es unrühmliche Beispiele wie den SS-General Heinz Lammerding, der die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ gegen Partisanen kommandierte. Er wurde wegen des Massakers von Ordadour in Frankreich zum Tode verurteilt. Unbesorgt vor einer möglichen Auslieferung oder Verurteilung im Inland war Lammerding nach dem Krieg als Bauunternehmer im Düsseldorfer Norden tätig, und genoss anschließend seinen Lebensabend am Tegernsee.
2013 startete das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Deutschland die Kampagne „Operation Last Chance“, mit deren Hilfe die letzten noch lebenden Kriegsverbrecher in Deutschland aufgespürt werden sollen. Zunächst wurden in Berlin, Hamburg und Köln insgesamt 2.000 Plakate mit dem Motto „Spät, aber nicht zu spät!“ aufgehängt. Auf den schwarz-roten Plakaten war das Tor zum KZ Auschwitz abgebildet.
Am 1. Oktober 2014 übergab das Simon-Wiesenthal-Zentrum dem Bundesinnen-ministerium eine Liste mit den Namen von achtzig möglicherweise noch lebenden Mitgliedern der Einsatzgruppen. Der Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, wies darauf hin, dass es sich bei den auf der Liste aufgeführten Personen um die jüngsten Mitglieder der mobilen Einsatzgruppen handele, die zwischen 1920 und 1924 geboren wurden. Aufgrund dessen gehe man davon aus, dass einige davon möglicherweise noch am Leben und gesund genug seien, um angeklagt zu werden.
Liste liegt dem Bundesinnenministerium vor
Die Bundesregierung hat die Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg übermittelt. Aufgabe der Zentralen Stelle in Ludwigsburg ist es, das gesamte erreichbare ermittlungsrelevante Material über nationalsozialistische Verbrechen weltweit zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Hauptziel ist es dabei, nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herauszuarbeiten, um noch lebende und verfolgbare Beschuldigte festzustellen. Ist dies so weit wie möglich gelungen, schließt die Zentrale Stelle – die keine Anklagebehörde ist – ihre Vorermittlungen ab und leitet den Vorgang der zuständigen Staatsanwaltschaft zu.
Seit 1961 ist im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund die „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen“ eingerichtet worden. Falls es zu Anklagen kommen sollte, findet der Prozess vor dem örtlich zuständigen Gericht statt.
Keine Maßnahmen der Regierung NRW
Der Justizminister des Landes NRW bekräftigte zwar auf meine Kleine Anfrage 2754 mit Schreiben vom 31. Oktober 2014, dass die Verfolgung nationalsozialistischer Massenverbrechen der Landesregierung ein zentrales Anliegen sei, antwortete aber auch, dem Justizministerium des Landes sowie der “Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen” läge die Liste gegenwärtig nicht vor. Aktive Maßnahmen seitens der Strafverfolgungsbehörden des Landes, diese Liste zu erlangen nannte der Minister nicht.
Das ist mir deutlich zu wenig. Ich erwarte, dass sich die Justizbehörden des Landes NRW sich mit allen dafür in Frage kommenden Stellen im In- und Ausland in Verbindung setzen, diese Liste besorgen und sie auswerten. Die Landesregierung sollte sich dafür verantwortlich fühlen, die dazu notwendigen Daten zu beschaffen und weiterzuleiten. Daher habe ich einen entsprechenden Antrag geschrieben.
Da sich dieses Thema allerdings nicht für parteipolitische Spielchen eignet, habe ich mich um einen gemeinsamen Beschlusstext aller Fraktionen bemüht. Ich freue mich, dass sich alle Fraktionen diesem Antrag anschließen konnten, und wir im Parlament damit ein gemeinsames, starkes Zeichen setzen konnten, gerade auch angesichts wiederaufflackernder antisemitischer Taten in Deutschland und Europa.
Gemeinsamer Antrag im NRW-Parlament
Die Holschuld des Justizministeriums aus meinem ursprünglichen Antrag wurde leider in der späteren Beratung zu einer Bringschuld aller anderen Stellen abgeschwächt – das finde ich sehr schade. Ich erwarte, dass das Justizministerium sich auch ohne eine expliziten Beschluss dafür verantwortlich fühlt, alle relevanten Informationen zur Verfolgung der letzten lebenden NS-Täter aktiv beim Bundesinnenministerium, bei den Bundesjustizbehörden und beim Simon-Wiesenthal-Center abzuholen. Der vereinbarten Berichterstattung durch die Landesregierung bis zum Ende des Jahres sehen wir gespannt entgegen.
In einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung sagen 81 Prozent der Deutschen, dass sie die Geschichte der Judenverfolgung gerne „hinter sich lassen“ würden. Und 58 Prozent der Befragten wollen einen regelrechten Schlussstrich unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte ziehen.
https://www.ruhrbarone.de/
Mord-Prozess gegen früheren SS-Mann eingestellt
Die Anklage lautete auf Mord. Der ehemalige SS-Mann Siert Bruins wurde beschuldigt, 1944 in den Niederlanden einen Häftling erschossen zu haben. Das Landgericht Hagen stellte das Verfahren gegen den 92-Jährigen ein.
Datum 08.01.2014
Einer der wohl letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse ist ohne Urteilsspruch zu Ende gegangen. Das Landgericht Hagen stellte das Verfahren gegen den früheren SS-Mann Siert Bruins ein. Richterin Heike Hartmann-Garschagen begründete dies mit dem großen zeitlichen Abstand zum Geschehen, das bei der Würdigung der Beweise eine besondere Vorsicht erfordere. In der langen Zeit seit dem Todesfall seien Beweise verloren gegangen, hieß es weiter. Zeugen zu befragen und zu hinterfragen sei weitgehend nicht mehr möglich gewesen.
Dem heute 92-Jährigen war die Ermordung des niederländischen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema zur Last gelegt worden. Bruins soll im September 1944 zusammen mit einem Vorgesetzten des Grenz- und Sicherheitspostens Delfzijl den Gefangenen hinterrücks erschossen haben. Die Verteidigung forderte einen Freispruch, weil Bruins von dem Vorhaben der Vorgesetzten nichts gewusst und auch nicht selbst geschossen habe. Bruins bestritt die Tat.
Staatsanwälte: Merkmale der Heimtücke
Noch im Dezember hatte die Staatsanwaltschaft Hagen in dem Verfahren wegen Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt. Aufgrund der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass sich der Angeklagte des Mordes an dem Widerstandskämpfer schuldig gemacht habe. Der Angeklagte, der im Krieg dem Sicherheitsdienst der Nazis im niederländischen Delfzijl angehörte, habe zumindest die Erschießung mit ermöglicht und sich damit zum Mittäter eines Mordes gemacht. Zudem weise die Tat Merkmale der Heimtücke auf, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Frühere Ermittlungen gegen Bruins wegen Totschlags waren 1978 wegen Verjährung eingestellt worden. Bereits 1949 war Bruins von einem niederländischen Sondergerichtshof wegen drei Erschießungen in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Später wurde das Urteil in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt.
Von Wiesenthal aufgespürt
Nachdem Bruins jahrzehntelang unbehelligt am südöstlichen Rand des Ruhrgebiets gelebt hatte, spürte ihn der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal dort 1978 in der sauerländischen Kleinstadt Breckerfeld auf. Seinen Namen hatte er geändert. Das Oberlandesgericht Hamm lehnte seine Auslieferung an die Niederlande seinerzeit ab, weil er seit 1943 Deutscher sei. Grundlage für den Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft während der deutschen Besatzung der Niederlande war ein Erlass Adolf Hitlers.
Das Landgericht Hagen verurteilte Bruins jedoch 1980 wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen Brüdern im April 1945 - ebenfalls in Delfzijl - zu sieben Jahren Gefängnis, von denen er fünf verbüßte.
Anklage wegen Oradour
Derweil hob die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen einen 88 Jahre alten Kölner, der im Juni 1944 in Frankreich an der Ermordung von 624 Einwohnern des Ortes Oradour-sur-Glane beteiligt gewesen sein soll. Dem Mann wird gemeinschaftlich begangener Mord an 25 Menschen und Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen vorgeworfen. Wie das Landgericht Köln mitteilte, soll der Rentner einem SS-Panzergrenadier-Regiments angehört haben. Weil der Mann zur Tatzeit erst 19 Jahre alt war, muss eine Strafkammer des Landgerichts nun als Jugendkammer darüber entscheiden, ob das Hauptverfahren eröffnet wird.
kle/sc (epd, dpa)
Datum 08.01.2014
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NS-VERBRECHEN
Massenmörder bekamen von der Justiz Mengenrabatt
Veröffentlicht am 11.06.2013 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Henryk M. Broder
Auch die Justiz muss sich den Fehlern im Umgang mit den Verbrechen des Dritten Reiches stellen. Allerdings werden die juristischen Schandtaten folgenlos bleiben: Die Verantwortlichen sind längst tot.
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Eines der schönsten geflügelten Worte aller Zeiten hat der 1999 verstorbene christlich-konservative Journalist Johannes Gross geprägt: „Je länger das Dritte Reich tot ist, umso stärker wird der Widerstand gegen Hitler und die Seinen.“ Gross meinte damit vor allem die so genannte „Antifa“, die zur Zeit der Wende mit der Parole „Nie wieder Deutschland“ vor einem drohenden „Vierten Reich“ warnte – ungeachtet der Tatsache, dass sich die „Antifa“ nur dort entfalten kann, wo es keinen „Fa“, also keinen Faschismus, gibt.
Historiker sprechen auch von einem „nachgeholten Widerstand“, mit dem Kinder die Sünden und die Versäumnisse ihrer Eltern aufzuarbeiten versuchen. Zum Beispiel wenn ein Hotelier, der sich geweigert hatte, Zimmer an NPD-Funktionäre zu vermieten, einen Preis für „Zivilcourage“ bekommt. Oder wenn Wirte eine Initiative „Keine Bedienung für Nazis“ starten, ohne genau zu wissen, woran man Nazis erkennt, die ja nicht alle Bomberjacken und Springerstiefel tragen.
Diese Art von „Widerstand“ ist durchaus ehrenwert, zugleich aber auch wohlfeil; denn das Schlimmste, das den „Widerständlern“ droht, ist eine Einladung zu Anne Will oder zum Bürgerfest beim Bundespräsidenten, der seinerseits in der Weihnachtsansprache zu „Mut und Zivilcourage“ aufruft.
Kaum Überraschungen bei der NS-Aufarbeitung
Darüber hinaus gehört es bei vielen großen Firmen inzwischen zum guten Ton, ihre Vergangenheit aufarbeiten zu lassen. Die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt (Degussa) hat Ende der 90er-Jahre einen amerikanischen Historiker ins Haus geholt und ihn beauftragt, die Geschichte der Firma während des Dritten Reiches objektiv und vorbehaltslos zu untersuchen.
Was dabei herauskam, war bereits lange bekannt. Dass die Degussa „in die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes verwickelt“ war, indem sie unter anderem das Zahngold der ermordeten Juden verarbeitete. Eine Tochtergesellschaft der Degussa stellte zudem das Gas Zyklon B her – ursprünglich ein Schädlingsbekämpfungsmittel, das in der Landwirtschaft eingesetzt wurde.
Auch eine von Joschka Fischer im Jahre 2005 eingesetzte „unabhängige Historikerkommission“ kam in einer Studie über das Auswärtige Amt („Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“) zu einem wenig überraschenden Ergebnis. Im „Amt“ waren Diplomaten tätig, die auch schon während des Dritten Reiches Dienst nach Vorschrift taten.
Eines haben alle diese Studien gemeinsam: Sie erscheinen zu einer Zeit, da die „biologische Amnestie“ längst eingetreten ist und alle Verantwortlichen, die juristisch oder politisch zur Verantwortung gezogen werden könnten, längst verschieden sind: Bei Firmen wie der Degussa und bei Institutionen wie dem Auswärtigen Amt.
Diese Art der „Vergangenheitsbewältigung“ ist einerseits aufwendig, andererseits garantiert folgenlos. Wie die Debatte darüber, ob Deutschland und der Welt das Dritte Reich erspart geblieben wäre, hätte Hitler die Aufnahme in die Wiener Kunstakademie geschafft.
NS-Justizverbrechen in der Nachkriegszeit
Nun ist das Justizministerium an der Reihe. Am Montag wurde in Berlin eine Dokumentation vorgestellt, in der unter anderem die Frage untersucht wird, „wie man im Bundesjustizministerium mit den Folgen umging, die sich aus dem Dritten Reich ergaben“, wozu auch die „strafrechtliche Aufarbeitung“ beziehungsweise Nicht-Aufarbeitung der „NS-Justizverbrechen in der Nachkriegszeit“ gehörte.
Die Fragestellung ist nicht neu, die Antworten sind bekannt. Man hat zurückhaltend ermittelt und noch zurückhaltender Recht gesprochen. Nur ein Bruchteil der eingeleiteten Verfahren endete mit einem Urteil.
Massenmörder bekamen Mengenrabatt. Der Berliner Autor Jörg Friedrich hat bereits vor 30 Jahren, 1983, die Unbereitschaft der bundesdeutschen Justiz, sich mit der Rolle der Justiz im Dritten Reich zu beschäftigen, in seinem Buch „Die kalte Amnestie – NS-Täter in der Bundesrepublik“ ausführlich dokumentiert. „Die Rechtsbrecher fühlten sich zeitlebens im Recht, das galt. Als es nicht mehr galt, galt es noch fünfzig Jahre als Rechtfertigung.“
Aufklärer galten als „Nestbeschmutzer“
Zum Inbegriff des unheilbar gesunden Gewissens deutscher Juristen wurde ein Satz, den der frühere NS-Marinerichter und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, sagte, nachdem er mit Todesurteilen konfrontiert wurde, die seine Unterschrift trugen: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Der Schriftsteller Rolf Hochhuth musste freilich sein Recht, Filbinger einen „furchtbaren Juristen“ nennen zu dürfen, vor Gericht erstreiten.
Nach dem Tode von Filbinger im Jahre 2007 kam es zu einem mittleren Eklat, nachdem dessen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten, Günther Oettinger, in einem Nachruf behauptet hatte, Filbinger sei ein „zutiefst christlicher und konservativer Mensch mit einer belegbaren inneren Distanz zum NS-Regime“ gewesen. Später relativierte Oettinger die Aussage. Filbinger sei kein Widerstandskämpfer gewesen, er habe sich „wie Millionen anderer dem NS-Regime angepasst“.
Man kann also beim besten Willen nicht behaupten, die Verbrechen der Nazis seien in der Nachkriegszeit nicht Gegenstand öffentlicher Debatten gewesen. Allerdings wurde die Diskussion vor allem von Autoren wie Jörg Friedrich und Rolf Hochhuth betrieben, die in der Öffentlichkeit so lange als „Ruhestörer“ und „Nestbeschmutzer“ galten, wie Filbinger und andere ehrenwerte „Mitläufer“ in Amt und Würden waren.
Hans Globke etwa, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, später Chef des Bundeskanzleramtes unter Adenauer. Oder Theodor Oberländer, während des Krieges „Sachverständiger für die Behandlung fremden Volkstums“ und zuständig für ethnische Säuberungen, danach Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte – nur um zwei der bekannteren Beispiele zu nennen.
Eine jener Schandtaten der westdeutschen Justiz
Und dann gab es da noch jene Verfahren, über die längst meterhohes Gras gewachsen ist. Zum Beispiel die ungesühnte Ermordung von 20 jüdischen Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren Ende April 1945 in einem Außenlager des KZ Neuengamme, der Schule Bullenhuser Damm in Hamburg-Rothenburgsort.
Um die Spuren von grausamen medizinischen Versuchen zu beseitigen, wurden die Kinder zuerst mit Morphium betäubt und dann im Keller der Schule an Heizungs-rohren erhängt. Es dauerte 20 Jahre, bis ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde – gegen Arnold Strippel, einen SS-Obersturmführer, der in einem anderen Verfahren aufgrund seiner Tätigkeit im KZ Majdanek wegen Beihilfe zum Mord in 41 Fällen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, die er aber nicht antreten musste.
Zu einer Anklageerhebung kam es aber nicht. Der zuständige Staatsanwalt stellte 1967 das Verfahren aus „Mangel an Beweisen“ an. In der Begründung führte er aus: „Die Ermittlungen haben nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben, daß sich die Kinder über Gebühr lange quälen mussten, bevor sie starben. Im Gegenteil spricht manches dafür, daß sämtliche Kinder gleich nach Empfang der ersten Spritze das Bewusstsein verloren und aus diesem Grunde alles weitere, was mit ihnen geschah, nicht wahrgenommen haben. Ihnen ist also über die Vernichtung ihres Lebens hinaus kein weiteres Übel zugefügt worden, sie hatten insbesondere nicht besonders lange seelisch oder körperlich zu leiden.“
So etwas geschrieben und sich dabei nichts gedacht zu haben, dabei juristisch korrekt und menschlich anständig geblieben zu sein, ist eine jener Schandtaten der westdeutschen Justiz in der Nachfolge von Volksgerichtshofspräsident Roland Freisler, die keine unabhängige Historikerkommission 68 Jahre nach dem Ende des Tausendjährigen Reiches ungeschehen machen kann.
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Die Akte Eichmann
Es ist ein Skandal: Erst 68 Jahre nach Kriegsende darf ein Historiker die vollständige Akte Adolf Eichmanns studieren. Offenbar hatte der BND Interesse, die Fluchtgeschichte des Naziverbrechers geheim zu halten.
Datum 03.09.2013
Autorin/Autor Sarah Judith Hofmann
Im Archiv des Bundesnachrichtendienstes (BND) lagern unzählige Akten – auch aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hieß der deutsche Auslandsgeheimdienst noch nicht BND, sondern Organisation Gehlen, benannt nach dem ersten Chef der Behörde und ehemaligen Nationalsozialisten Reinhard Gehlen. Eine dieser Akten ist besonders prominent. Angelegt wurde sie über den Mann, der für die Deportation und Ermordung von Millionen Juden verantwortlich war und dem 1961 in Israel der Prozess gemacht wurde: Adolf Eichmann. Die Akte umfasst mehrere tausend Seiten. Was genau darin steht, soll jetzt endlich ans Licht kommen.
Holger Meding ist derzeit der Einzige, der Zugang zu der vollständigen Akte Eichmann beim deutschen Auslandsgeheimdienst hat. Denn er ist Mitglied der Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes zwischen 1945 und 1968. Holger Meding ist seit Kurzem zuständig für all jene Akten, die im Zusammenhang mit Lateinamerika und insbesondere Argentinien stehen. Genau dahin floh Eichmann – und neben ihm viele andere ehemals hochrangige Nazis.
Eichmann vor Gericht in Jerusalem (Foto: AP/dapd)
Dieses Bild ging um die Welt: Eichmann während seines Prozesses in Israel 1961
Wie aber kann es sein, dass diese Geschichte erst jetzt aufgearbeitet wird? Vielleicht liegt es an der komplizierten Gesetzeslage in Deutschland, dass man auf Einsicht in Bundesakten klagen muss. Und der erste, der dies getan hat, war nicht Meding, sondern ausgerechnet der Journalist einer deutschen Boulevardzeitung. Er klagte erstmals im Jahr 2010 und erhielt Einblick in mehr als 3000 Seiten geheimer Dokumente des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Allein, dies waren nicht die gesamten Akten, mehrere tausend Seiten wurden ihm nicht ausgehändigt, mehrere hundert waren geschwärzt. Also wandte er sich erneut mit einer Klage ans Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – und wurde nun abgewiesen. Erst dann - und vermutlich daraufhin - wurde Holger Meding in die Historikerkommission berufen. Dass er seit Kurzem vollständige Akteneinsicht hat, sagt Meding erstmals in einem Interview mit der Deutschen Welle.
Er habe bislang bei Weitem nicht alle Dokumente studieren können, sagt Meding. Schließlich handele es sich um tausende Seiten. Aber schon jetzt weiß er: "Es wird herauskommen, inwiefern der BND aktiv war in Argentinien, welche Kontakte er gehabt hat und welche Personen involviert waren." Brisantes Material also, bei dem es erstaunt, dass es erstmals im Jahr 2013 von einem Historiker studiert werden darf und der Öffentlichkeit immer noch vorenthalten bleibt.
Eine Akte voller Schwärzungen
Für Holger Meding besitzt das Urteil des Leipziger Gerichts dennoch "eine gewisse Stringenz". Schließlich gehe der BND mit der Historikerkommission einen möglichen Weg. Diese könne alle Dokumente erforschen und somit in einen Zusammenhang stellen. Die Philosophin Bettina Stangneth sieht das anders. Sie hat für die Verhandlung in Leipzig ein Expertengutachten verfasst und kennt die Akte Eichmann – allerdings nur mit Schwärzungen.
Adolf Eichmann in SS-Uniform (Foto: k.a.)
Organisator des Holocaust: Adolf Eichmann in SS-Uniform
2011 veröffentlichte sie das Buch "Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders", in dem sie Informationen über Eichmanns Leben zwischen 1945 und 1961 aus weltweiten Archiven zusammenführt. Ihre Erkenntnis: Eichmann war kein stiller Bürokrat eines mörderischen Systems. Er war ein überzeugter Nazi und Antisemit – und blieb dies auch bis zu seiner Hinrichtung in Israel 1962.
Dass immer noch Akten über diesen Mann zurückgehalten werden, ist für Bettina Stangneth ein Skandal. "Natürlich gibt es Schwärzungen, die gemacht werden müssen, wie bei personenbezogenen Daten Dritter." Das akzeptiere sie. In der bisher auf Klage freigegebenen BND-Akte über Eichmann seien die Schwärzungen aber von solch einem Ausmaß, dass man sie nicht akzeptieren könne. "Ich frage mich, was dem Ansehen Deutschlands mehr schadet, die öffentliche Diskussion über fünfzig Jahre alte Aktivitäten des BND im Umgang mit Nazi-Altlasten oder diese Geheimnistuerei?" Das Bundeskanzleramt, dem der BND unterstellt ist, hatte erklärt, es könne die Akten nicht herausgeben, dies würde "dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten".
Eichmann konnte 16 Jahre lang ein unbehelligtes Leben führen
Bei der Diskussion um die geschwärzten Stellen in der Eichmann-Akte geht es auch um die Frage, was deutsche Behörden eigentlich zu verbergen haben. "Man könnte natürlich fragen, ob es etwas gibt, das noch aktuell Probleme bereitet", meint Bettina Stangneth. Vieles über die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist bereits in den letzten Jahren bekannt geworden. "Es ist keineswegs verschwörungstheoretisch, dass es personelle Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus gab", sagt Holger Meding.
Adolf Eichmann in Argentinien (Foto: k.a.)
Adolf Eichmann lebte bis zu seiner Festnahme durch den israelischen Geheimdienst unbehelligt in Argentinien
Einige Männer, die später die Organisation Gehlen und dann den BND aufbauten, waren zuvor im Reichssicherheitshauptamt tätig. Die Historikerkommission ermittelt zur Zeit die präzise Zahl und Biografien der vorbelasteten Personen. "Fest steht bislang, dass es einige waren", sagt Holger Meding, "möglicherweise sogar viele". Das Reichssicherheitshauptamt war die Terrorzentrale des "Dritten Reichs". Hier organisierten Bürokraten den Holocaust. Das Referat für "Juden- und Räumungsangelegenheiten" leitete Adolf Eichmann.
Es erscheint also naheliegend, dass Eichmanns ehemalige Kameraden es mit der Suche nach ihm nicht allzu genau nahmen, oder sie bewusst boykottierten. Die Einsicht in die Akte Eichmann hat bereits jetzt – in geschwärzter Version – weiteren Aufschluss geben können. So wusste die Organisation Gehlen als Vorgängerin des BND bereits 1952, dass Eichmann sich in Argentinien aufhielt. Dass der BND zum Zeitpunkt, als der israelische Geheimdienst Mossad ihn aus Buenos Aires entführte, über dessen Aufenthaltsort Bescheid wusste, wurde schon länger vermutet. "Aber dass der Bundesnachrichtendienst das schon so früh wusste, das hat auch mich überrascht", sagt Holger Meding. Israel konnte Eichmann erst 1961 vor Gericht bringen.
Der "Schlächter von Lyon" erhielt Gehaltsschecks vom BND
Reinhard Gehlen, nach dem Zweiten Weltkrieg Chef der Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND). Das Foto zeigt ihn als Oberst der deutschen Wehrmacht im Jahr 1943 (Foto: AP)
Reinhard Gehlen arbeitete schon als Geheimdienstmann für Hitler. Später gründete er die Organisation Gehlen, den späteren BND
Die ungeschwärzten Akten – darin sind sich Holger Meding und Bettina Stangneth einig – werden noch sehr viel genauer darüber Aufschluss geben können, was der BND über ehemalige hochrangige SS-Mitglieder und Nationalsozialisten wusste. Und inwiefern das Agentennetz des BND mit ehemaligen Nazis durchsetzt war. Schließlich ist erst vor zwei Jahren herausgekommen, dass der ehemalige SS-Obersturmführer und Kriegsverbrecher Klaus Barbie – auch bekannt als "der Schlächter von Lyon" – ein Zuträger des BND war.
Auch er gelangte nach dem Krieg unbehelligt nach Lateinamerika. In diesem Zusammenhang kommt die sagenumwobene Organisation "ODESSA" ins Spiel. Heute ist sich die Forschung einig: Eine "Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen" mit Namen Odessa, die der Nazijäger Simon Wiesenthal aufgedeckt zu haben glaubte, hat es nie gegeben. Aber: Viele kleinere Organisationen, die hochrangige Nationalsozialisten außer Landes brachten, gab es. Über so genannte "Rattenlinien" brachten sie die Flüchtigen meist über Italien nach Lateinamerika (in erster Linie nach Argentinien) oder in den Nahen Osten.
"Eichmann ist nach Südtirol gefahren und dort lagen Papiere für ihn bereit, die sowohl von argentinischer als auch von südtiroler Seite zusammengetragen worden sind", erzählt Bettina Stangneth von ihren Recherchen. Außerdem seien die Kinder und Ehefrauen der offiziell Gesuchten häufig unter echtem Namen gereist - so auch Eichmanns Familie. Die Organisation Gehlen, die zumindest teilweise mit ehemaligen NS-Funktionären besetzt war, hat also vermutlich nicht nur gewusst, dass sich Adolf Eichmann unter falschem Namen in Argentinien aufhielt, sondern kannte auch die Aufenthaltsorte von vielen weiteren Kriegsverbrechern.
Neue Ergebnisse: frühestens Ende 2013
Klaus Barbie bei seiner Verhaftung (Foto: Getty Images)
Der Nazikriegsverbrecher Klaus Barbie (unter der Decke) bei seiner Verhaftung in Bolivien. Zuvor hatte er unter anderem für den BND gearbeitet
Dass der BND versucht hat, die Verteidigung Eichmanns zu beeinflussen und auch mit der Finanzierung seines Anwalts zu tun hatte, haben die Forschungen eines deutschen Journalisten schon 2011 zutage gefördert. Die BND-Akten bestätigen laut Bettina Stangneth diese brisante Allianz. "Wir wissen nur nicht, wie tief die BND-Mitarbeiter involviert waren, wie stark auch finanziell Einfluss genommen wurde", sagt die Philosophin. Beim Prozess gegen Klaus Barbie 1987 in Lyon tauchen dieselben Namen wieder auf, als es um seine Verteidigung geht. War auch hier der BND am Werk? "Die Verstrickungen", so Stangneth "reichen immer weiter in die Gegenwart hinein."
Eines ist bereits jetzt klar: Der Fall Eichmann ist noch lange nicht abgeschlossen. "Es bewegt sich, nur leider zu langsam", sagt Bettina Stangneth. "Längerfristig werden alle Dokumente veröffentlicht werden müssen", sagt der Historiker Holger Meding. Bislang darf und kann er nichts über seine Erkenntnisse aus der ungeschwärzten Akte sagen. Die Recherche der Historikerkommission wird voraussichtlich zwei Jahre benötigen. Anfang Dezember 2013 sollen erste Zwischenberichte vorgestellt werden.
Zum Weiterlesen:
Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Arche 2011. 39,90 Euro.
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Prozess gegen NS-Kriegsverbrecher begonnen
Fast 70 Jahre nach der Tat wird dem mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher Siert Bruins vor dem Hagener Schwurgericht der Prozess gemacht. Die Anklage lautet Mord. Bruins soll einen Widerstandskämpfer erschossen haben.
Datum 02.09.2013
Vor dem Hagener Schwurgericht hat einer der letzten NS-Kriegsverbrecherprozesse begonnen. Der 92-jährige Siert Bruins aus Westfalen soll als Angehöriger der nationalsozialistischen Grenz- und Sicherheitspolizei 1944 an der Erschießung des niederländischen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema beteiligt gewesen sein. Er ist angeklagt wegen Mordes.
Der gebürtige Niederländer, der sich mit 20 Jahren freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte und später in der Grenz- und Sicherheitspolizei in seiner Heimat eingesetzt wurde, war schon 1949 in Abwesenheit in den Niederlanden wegen des Mordes an Dijkema zum Tode verurteilt worden. In den niederländischen Medien wird er deshalb als "Het Beest van Appingedam" bezeichnet - als das Biest von Appingedam. Die Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt.
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Angeklagter im NS-Prozess schweigt
Bruins war jahrelang untergetaucht
Verbüßt hat Bruins die Strafe jedoch nicht, denn er war in Deutschland untergetaucht. Drei Jahrzehnte lebte er völlig unbehelligt in einer Kleinstadt in Westfalen. "Er hatte eine Zaunfirma und war ein angesehener und geachteter Geschäftsmann", sagt sein Verteidiger Klaus-Peter Kniffka. Seinen Namen hatte der Angeklagte geändert. Auch heute lebt er noch mit seiner Frau im westfälischen Breckerfeld. Erst 1978 war die Tarnung des NS-Kriegsverbrechers aufgeflogen. Der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal hatte ihn aufgespürt.
Porträt von Siert Bruins (Foto: dpa)
Drei Jahrzehnte lebte Siert Bruins unter falschem Namen in Westfalen
Wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen Brüdern war Bruins bereits 1980 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.
Die für NS-Verbrechen zuständige Dortmunder Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Bruins im nun angeklagten Fall das Opfer am 22. September 1944 auf Befehl eines Vorgesetzten mit einem Mittäter in die Nähe einer Fabrik in Appingedam gebracht hat. Dort wurde viermal auf Dijkema geschossen - auch in den Hinterkopf. Später sollen der Angeklagte und sein - inzwischen verstorbener - Mittäter behauptet haben, dass ihr Opfer fliehen wollte.
Mord verjährt nicht
Dass Bruins erst jetzt wegen des Verbrechens 1944 vor Gericht kommt, liegt daran, dass die Tat in Deutschland ursprünglich als Totschlag gewertet wurde - und der wäre verjährt. Inzwischen sieht die Staatsanwaltschaft den Tod Dijkemas aber als Mord - und Mord verjährt nicht.
Wegen des hohen Alters und verschiedener Krankheiten des 92-Jährigen kann nach Angaben des Gerichts nur drei Stunden pro Tag verhandelt werden. Nach Angaben des Verteidigers will sein Mandant zunächst zu den Vorwürfen schweigen.
Zuletzt war im Mai 2011 John Demjanjuk vom Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an über 28.000 Häftlingen des Vernichtungslagers Sobibor verurteilt worden. Seine fünfjährige Haftstrafe musste er aber nicht antreten: Im März 2012 starb er im Alter von 91 Jahren.
as/sti (dpa)
Datum 02.09.2013
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Deutsche Justiz ermittelt gegen 30 KZ-Aufseher
Sie leben in Bayern und Baden-Württemberg, in Hamburg und in Hessen: 30 ehemalige Aufseher des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Bisher ließ die Justiz sie in Ruhe - doch nun müssen sie wohl vor Gericht.
Datum 03.09.2013
Autorin/Autor Hendrik Heinze
Januar 1945: Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau wird befreit. September 2013: 30 ehemalige Aufseher dieses Lagers müssen mit Anklagen vor deutschen Gerichten rechnen. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord. Ermittelt wurden die Beschuldigten nach knapp 70 Jahren durch eine Spezialbehörde, die "Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg.
"Wenige werden verurteilt werden"
"Die Aussichten waren anfangs relativ gering, da noch etwas aufklären zu können", sagt Behördenchef Kurt Schrimm der DW. "Es ist gelungen, zunächst 49 Namen festzustellen. Das kann man durchaus als Erfolg bezeichnen."
49 ehemalige Aufseherinnen und Aufseher im KZ Auschwitz-Birkenau. Neun sind in den vergangenen Monaten gestorben, bei zehn weiteren haben die Ludwigsburger noch nicht genügend Informationen. Bleiben die 30, die in ganz Deutschland leben und denen nun Gerichtsprozesse drohen.
Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizbehörden zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen (Foto: Marijan Murat/dpa)
Hat Erfolg - und ist trotzdem pessimistisch: Kurt Schrimm, Leiter der Zentralstelle
Ob es zu Anklagen kommt, hängt auch ab vom Gesundheitszustand der Beschuldigten, erläutert Schrimm. "Allein aufgrund der Geburtsdaten müssen wir natürlich pessimistisch sein." Der jüngste Beschuldigte sei 87, der älteste 97 Jahre alt. "Sehr viele werden sicherlich nicht vor Gericht gestellt werden", sagt Schrimm. "Und noch weniger werden rechtskräftig verurteilt werden."
Ein Urteil ändert alles
Dass die Ludwigsburger Untersuchungen überhaupt in Gang gekommen waren, ist einem wichtigen Urteil zu verdanken. Im Jahr 2011 sprach das Landgericht München einen ehemaligen KZ-Aufseher wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Menschen schuldig. Die Richter verurteilten den inzwischen gestorbenen John Demjanjuk zu fünf Jahren Haft - allerdings ohne ihm eine konkrete Tat zu beweisen.
"Es war nicht mehr notwendig, genügend Zeugen zu bringen - dass jemand dann und dann, da und da geschossen hat zum Beispiel", sagt Ulrich Sander. Der Sohn eines Widerstandskämpfers engagiert sich in der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BDA) und ist auch deren Sprecher.
Der frühere KZ-Wachmann John Demjanjuk (Foto: Andreas Gebert/dpa)
Sein Prozess änderte die Rechtsauffassung: KZ-Wachmann John Demjanjuk
"Es wurde in München nach Aktenlage verfahren", sagt Sander. "Wenn nachgewiesen werden konnte, dass jemand zur Mordmaschinerie gehörte, dann wurde die Verurteilung möglich." Ohne Beweis einer konkreten Tat also.
Für die Ludwigsburger Ermittler um Kurt Schrimm ist damit die Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern leichter geworden. Nach dem Münchner Urteil reicht auch anderen Gerichten unter Umständen der Beweis, dass jemand in einem KZ Dienst tat, um ihn oder sie wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen.
NS-Täter verurteilen? Gar nicht so einfach
Für viele Beobachter stellt sich allerdings die Frage, ob es für große Kampagnen nicht zu spät ist - und ob Deutschland genügend unternommen hat, als noch Zeit dazu war. "In den 50er Jahren blieb praktisch alles unerledigt", sagt Ulrich Sander.
Als Reaktion darauf wurde 1958 in Ludwigsburg die Zentralstelle gegründet. Seitdem hatte sie mit Problemen zu kämpfen: Zeugen waren schwer zu finden, denn in aller Regel waren die Opfer tot und die Täter verschwiegen. Die Ludwigsburger mussten sich außerdem "Verbündete" in der Justiz suchen - Fälle vor Gericht bringen konnte und kann die Zentralstelle nämlich nicht selbst.
Der Jurist Fritz Bauer (Foto: CV Films)
Er tat viel für die Verfolgung der Täter: Fritz Bauer, Wegbereiter der Auschwitzprozesse 1963-1965
Außerdem durfte Mord nach alter deutscher Gesetzgebung nach 20 Jahren nicht mehr verfolgt werden. Wer 1945 einen Menschen tötete, konnte dafür 1966 nicht mehr bestraft werden. Das ist heute anders: Mord und Beihilfe zum Mord verjähren nicht mehr.
Der Fall Siert Bruins
Die Gesetze der 50er und 60er Jahre kamen den NS-Tätern also tatsächlich zugute. Außerdem profitierten viele davon, dass Deutschland seine eigenen Bürger lange nicht auslieferte. So war es im Fall von Klaas Carel Faber, der in den Niederlanden zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Als ihm die Flucht nach Deutschland gelang, war er in Sicherheit.
In einem vielbeachteten Prozess spielen diese Fragen nun erneut eine Rolle: In der Stadt Hagen verhandelt ein Schwurgericht gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher Siert Bruins. Der 92-Jährige soll vor fast 70 Jahren an der Erschießung eines niederländischen Widerstandskämpfers beteiligt gewesen sein. Eine niederländische Verurteilung hatte in Deutschland keine Folgen für Bruins. Nun aber sieht die deutsche Staatsanwaltschaft die Erschießung als Mord - und Bruins muss vielleicht ins Gefängnis.
Csatáry, Boere, Lipschis
So wie in Hagen versucht die Justiz nun allerorten, noch Täter zur Rechenschaft zu ziehen: László Csatáry, der Juden in den Tod geschickt haben soll - und starb, bevor er sich verantworten musste. Heinrich Boere, der für drei Morde rechtskräftig verurteilt wurde. Oder der "neueste" Fall: Hans Lipschis, der ebenfalls im KZ Auschwitz Dienst tat.
Auch die Juristen in der Zentralstelle in Ludwigsburg setzen ihre Recherchen fort, etwa in Südamerika: "Dort gehen wir in Einwanderungsarchive", erzählt Schrimm, "und suchen nach Männern, die dort in den Jahren 1945 bis 1955 eingewandert sind, und die hinsichtlich ihrer NS-Vergangenheit möglicherweise etwas zu verbergen haben." Auch die Aufseher aller Vernichtungslager wolle man noch einmal überprüfen.
Die 30 Auschwitz-Aufseher jedenfalls erhalten vielleicht noch rechtzeitig ihre Strafe. "Es ist ein gutes Signal", sagt der VVN-Aktivist Ulrich Sander: "Ich glaube schon, dass das wichtig ist: Damit das Ausland sieht, die Deutschen legen nicht alles beiseite. Ich glaube, das macht sich gut für unser Land."
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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode
Drucksache 16/7205
03.11.2014
Antwort
der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 2754 vom 2. Oktober 2014
des Abgeordneten Daniel Schwerd PIRATEN
Drucksache 16/6965
Operation Last Chance – Welchen Beitrag leistet NRW, die letzten lebenden NS-Täter ihrer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen?
Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 2754 mit Schreiben vom 31. Oktober 2014 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet.
Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
2013 startete das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Deutschland die Kampagne „Operation Last Chance“, mit deren Hilfe die letzten noch lebenden Kriegsverbrecher in Deutschland aufgespürt werden sollen. Zunächst wurden in Berlin, Hamburg und Köln insgesamt 2.000 Plakate mit dem Motto "Spät, aber nicht zu spät! " aufgehängt. Auf den schwarz-roten Plakaten war darauf das Tor zum KZ Auschwitz abgebildet.
Am 01. Oktober 2014 übergab das Simon-Wiesenthal-Zentrum dem Bundesinnenministerium eine Liste mit den Namen von achtzig möglicherweise noch lebenden Mitgliedern von Einsatzgruppen, die für die Ermordung von mehr als einer Million Juden in der Sowjetunion, in Polen und in Osteuropa verantwortlich gemacht werden.
Der Leiter des Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, wies darauf hin, dass es sich bei den auf der Liste aufgeführten Personen um die jüngsten Mitglieder der mobilen Einsatzgruppen handele, die zwischen 1920 und 1924 geboren wurden. Aufgrund dessen gehe man davon aus, dass einige davon möglicherweise noch am Leben und gesund genug seien, um angeklagt zu werden.
Auf Grund des § 143 Abs. 4 GVG ist 1961 im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund die „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen“ eingerichtet worden. Falls es zu Anklagen kommen sollte, findet der Prozess vor dem örtlich zuständigen Gericht statt.
1. Wann hat das Justizministerium Nordrhein-Westfalens bzw. die NRW-Strafverfolgungsbehörden die vom Simon-Wiesenthal-Zentrum erstellte Liste erhalten?
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und die Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen haben die Liste nicht erhalten.
2. Wie viele der auf dieser Liste genannten Personen leben in NRW?
Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.
3. Welche Maßnahmen sind gegen sie unternommen worden bzw. sind vorgesehen? Nennen Sie jede einzelne Maßnahme mit Zeitpunkt, ggf. Stand der Planung.
Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.
4. Bestehen Kontakte zum Simon-Wiesenthal-Zentrum, um dort vorliegende Beweismittel zu erhalten? Nennen Sie bitte Einzelheiten der Kooperation in der Vergangenheit und Gegenwart.
Sofern Hinweise des Simon-Wiesenthal-Zentrums bei der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen eingehen, wird diesen nachgegangen. Am 07.03.2014 ist ein Hinweis zu einem Ermittlungsverfahren eingegangen, der überprüft wurde.
5. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, die letzten lebenden Täter nationalsozialistischer Massenverbrechen zur Verantwortung zu ziehen? Zählen sie jede einzelne Maßnahme mit Zeitrahmen auf.
Die Verfolgung der nationalsozialistischen Massenverbrechen ist der Landesregierung ein zentrales Anliegen. Derzeit führt die Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen 17 Ermittlungsverfahren gegen 37 Beschuldigte. Darüber hinaus ist gegen einen Angeschuldigten ein Strafverfahren anhängig. Auch künftig wird die Zentralstelle in ihrem Zuständigkeitsbereich zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat entschlossen nachgehen. Darüber hinaus ist aus ermittlungstaktischen Gründen zu einzelnen geplanten strafprozessualen Maßnahmen eine Auskunft nicht möglich.
https://www.landtag.nrw.de/
Nazi-Verbrecher : Die Liste des Grauens
4. April 2009, 12:50 Uhr
Klaas Faber lebt unbehelligt in Ingolstadt, John Demjanjuk steht in München vor Gericht: 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg werden noch immer NS-Verbrecher aufgespürt. Ein Überblick über wichtige Prozesse und flüchtige Nazis in Bildern.
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Klaas Faber lebt unbehelligt in Ingolstadt, John Demjanjuk steht in München vor Gericht: 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg werden noch immer NS-Verbrecher aufgespürt und zur Verantwortung gezogen. Ein Überblick über wichtige Prozesse und flüchtige Nazis in Bildern.
Im KZ Westerbork (im Bild) soll der gebürtige Holländer Klaas Faber Gefangene bewacht und ermordet haben. Der SS-Mann wurde nach dem Krieg in Holland zum Tode verurteilt, später wurde die Strafe in lebenslänglich umgewandelt. Trotzdem lebt Faber, inzwischen 88 Jahre alt, unbehelligt in Ingolstadt. Er war 1952 aus einem niederländischen Gefängnis nach Deutschland geflohen - hier musste er bislang nicht um seine Freiheit fürchten. Doch Israel macht nun Druck auf die Bundesregierung: Faber soll für seine Taten büßen.
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Der gebürtige Ukrainer John Demjanjuk soll als "fremdvölkischer Hilfswilliger" der SS im Vernichtungslager Sobibor gearbeitet haben. Er steht derzeit in München vor Gericht, die Anklage lautet Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden. Ende der achtziger Jahre war Demjanjuk schon einmal verurteilt worden - in Israel zur Todesstrafe. Es stellte sich jedoch heraus, dass Demjanjuk mit einem anderen NS-Verbrecher verwechselt worden war. Nach seiner Begnadigung lebte Demjanjuk in den USA in Freiheit.
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Kernstück der Anklage ist Demjanjuks Dienstausweis, dessen "höchstwahrscheinliche Echtheit" von mehreren Gutachtern bestätigt wurde. Die Verteidigung sieht den mittlerweile staatenlosen 90-Jährigen als "Opfer des Nationalsozialismus", der büßen solle, während in den fünfziger und sechziger Jahren etliche SS-Wachmänner vor Gericht auf Befehlsnotstand plädierten - und glimpflich davon kamen.
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Aribert Heim, der wohl meistgesuchte NS-Verbrecher der Welt, ist vermutlich tot. Recherchen des ZDF und der New York Times haben ergeben, dass der "Schlächter von Mauthausen" 1992 in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gestorben ist - unter dem Namen Tarek Farid Hussein. Dies lasse sich "zweifelsfrei" belegen. Bisher waren die deutschen Behörden und die Fahnder des Simon-Wiesenthal-Zentrums davon ausgegangen, dass der gebürtige Österreicher noch lebt und sich in Südamerika versteckt hält. Er wird beschuldigt, im KZ Mauthausen bei Linz unvorstellbar grausame Medizinexperimente an Häftlingen vorgenommen und Hunderte von ihnen ermordet zu haben. Heim wäre heute 94 Jahre alt. Er lebte bis 1962 als Arzt in Süddeutschland und tauchte erst unter, als Anklage gegen ihn erhoben wurde.
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Der ehemalige SS-Offizier Julius Viel wurde 2001 vom Landgericht Ravensburg wegen Mordes zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er soll 1945 nahe dem tschechoslowakischen Theresienstadt aus Rassenhass und purer Mordlust sieben jüdische Häftlinge erschossen haben. Hauptbelastungszeuge in dem Prozess gegen Julius Viel war ein anderer ehemaliger SS-Mann. Viel selber bestritt die Tat. Zum Zeitpunkt des Prozesses war er 83 Jahre alt und litt bereits an Darmkrebs. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich nach dem Ravensburger Urteil rapide, der Haftbefehl gegen ihn wurde nach längerer kontroverser Debatte schließlich aufgehoben, Viel kam auf freien Fuß. Bevor es zur Revisionsverhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) kam, erlag er im Jahr 2002 in einem Krankenhaus im Allgäu seinem Krebsleiden.
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Der 1912 geborene SS-Aufseher Anton Malloth hatte 1943 im Gestapo-Gefängnis Theresienstadt einen Gefangenen zu Tode geprügelt und auf einen anderen geschossen. Jahrzehntelang lebte er unbehelligt in Südtirol. 1988 wurde er nach Deutschland ausgewiesen und zog in ein Seniorenheim in Pullach bei München. Erst im Jahr 2000 wurde er von der Staatsanwaltschaft angeklagt und 2001 vom Münchner Schwurgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Malloth litt an Speiseröhrenkrebs, Ärzte hatten ihn aber als verhandlungsfähig eingestuft. Jedem potentiellen Täter müsse klar sein, dass er "bis ans Ende seiner Tage" zur Rechenschaft gezogen werden könne, sagte der Vorsitzende Richter damals in der Urteilsbegründung. Im Oktober 2002 wurde Malloth für haftunfähig erklärt und entlassen. Zehn Tage später starb er.
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Der SS-Offizier Erich Priebke, 95, wurde 1998 in Italien von einem Militärtribunal als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt. Der ehemalige SS-Hauptsturmführer war 1944 an der Erschießung von 335 Zivilisten bei Rom beteiligt gewesen. Das Massaker war die "Vergeltung" für einen Partisanenüberfall auf deutsche Soldaten in Rom. Nach dem Krieg war Priebke in Argentinien untergetaucht, von dort wurde er 1995 nach Italien überstellt. Aus "Gesundheitsgründen" wurde er schließlich im Jahr 1999 aus der Haft entlassen und in Rom unter Hausarrest gestellt. Als dieser 2007 gelockert wurde, kam es zu heftigen Protesten in Italien. Nach wenigen Tagen wurden die Lockerungen wieder zurückgenommen. Priebke sagt bis heute, er sei unschuldig; Rechtsextremisten fordern immer wieder seine Freilassung.
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Der ehemalige SS-Sturmbannführer und Chef des Sicherheitsdienstes der SS in Genua, Friedrich Engel, wurde 2002 in Hamburg des 59-fachen Mordes schuldig gesprochen. Er hatte 1944 in Italien die Erschießung von 59 Zivilisten kommandiert. Die Hamburger Richter verzichteten damals auf eine lebenslängliche Strafe und verhängten mit Rücksicht auf die "unglaublich lange Zeitspanne" zwischen Tat und Prozess eine Strafe von sieben Jahren. Der Bundesgerichtshof (BGH) kassierte das Urteil 2004 aus rechtlichen Gründen. Die Karlsruher Richter sahen das Mordmerkmal der Grausamkeit nicht ausreichend bewiesen. In Hinblick auf das hohe Alter Engels verwiesen sie den Fall aber nicht zurück ans Hamburger Landgericht sondern stellten das gesamte Verfahren ein. Engel starb 2006 im Alter von 97 Jahren.
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Der ehemalige SS-Oberscharführer Josef Schwammberger kommandierte verschiedene SS-Zwangsarbeitslager im Distrikt Krakau. 1992 wurde der damals 80-Jährige vom Landgericht Stuttgart wegen Mordes an 25 und Beihilfe zum Mord an mindestens 641 jüdischen Häftlingen zu lebenslanger Haft verurteilt. "Er war wie der Teufel", erinnerte sich ein Zeuge. Schwammbergers Anwälte äußerten damals Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit eines Prozesses wegen der langen Zeitspanne. Das Erinnerungsvermögen von Zeugen sei mit vielen Mängeln behaftet, Selbsterlebtes vermische sich mit dem, was man nur gehört oder gelesen habe. Im Jahr 2002 wurde Schwammbergers vorzeitige Entlassung vom Landgericht Mannheim abgelehnt. Er starb 2004 im Alter von 92 Jahren im Gefängniskrankenhaus.
Zu den Naziverbrechern, die wie Demjanjuk noch nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, gehört ...
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... der in Österreich lebende Kroate Milivoj Asner. Ihm wird vorgeworfen, sich als Polizeichef in seiner Heimat aktiv an der Verfolgung und Deportation Hunderter Serben, Juden sowie Sinti und Roma beteiligt zu haben. Österreich verweigert die von Kroatien geforderte Auslieferung des Mannes, der seit 1946 österreichischer Staatsbürger ist, mit der Begründung, Asner sei nicht gesund genug für eine Auslieferung beziehungsweise für eine Anklage.
Allerdings wurde der heute 95-Jährige während der Fußball-Europameisterschaft 2008 von einem Reporter der britischen Boulevard-Zeitung Sun bei einem Gang über die Klagenfurter Fanmeile aufgespürt. Der Journalist beschrieb ihn als rüstig und geistig klar.
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Die dänischen Behörden interessieren sich sehr für Sören Kam. Der 1921 in Kopenhagen geborene Kam war Mitglied der SS und wird beschuldigt, für den Tod eines dänischen Journalisten verantwortlich zu sein. Kam soll zudem das Einwohnerverzeichnis der jüdischen Gemeinde in Dänemark gestohlen und damit die Deportation von dänischen Juden in Konzentrationslager ermöglicht haben.
Kam wurde in Dänemark angeklagt. Weil jedoch ein bayerisches Gericht 2007 zu dem Schluss kam, es handele sich um Totschlag, der in Deutschland verjährt sei, wurde er nicht ausgeliefert. Die Behörden in Dänemark wollen den Fall neu aufrollen und die Rolle des heute 88-Jährigen bei der Deportation dänischer Juden untersuchen.
Diese Aufnahme zeigt Sören Kam im August 1943.
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Karoly Zentai hat mittlerweile den Vornamen Charles angenommen. Er soll 1944 an der Verfolgung und dem Mord von Juden in Budapest teilgenommen haben. Er lebte lange in Deutschland, wanderte dann nach Australien aus und wehrt sich gegen die Auslieferung an Ungarn.
Dieses Bild zeigt Zentai im August 2007 vor einem Gericht in Perth.
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Harry Männil lebt in Venezuela, stammt jedoch aus Estland. Der Polizeioffizier soll Juden festgenommen haben, die danach von Nationalsozialisten und estnischen Kollaborateuren ermordet wurden. Die estnische Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungen gegen ihn wegen Mangels an Beweisen ein. Der Unternehmer darf nicht in die USA einreisen.
Desweiteren fahndet das Simon-Wiesenthal-Zentrum nach dem 85 Jahre alten Mikhail Gorshkow, der in Weißrussland Juden ermordet haben soll. Der in Sachsen lebende Litauer Algimantas Dailide soll als Polizist in Vilnius geholfen haben, Juden zu verhaften. Der heute 87-Jährige wurde 2006 in Litauen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, die er aus Gesundheitsgründen nie antreten musste. Der 1914 geborene Ungar Sandor Kepiro soll am 23. Januar 1942 aktiv am Massenmord an Hunderten Zivilisten in der jugoslawischen Stadt Novi Sad beteiligt gewesen sein, für den er bereits während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn verurteilt wurde. Nach der deutschen Besetzung Ungarns 1944 wurde er jedoch freigelassen.
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Lange Zeit stand Alois Brunner ebenfalls an erster Stelle der Liste der meistgesuchten Naziverbrecher. Brunner, der 1912 geboren wurde, galt als rechte Hand von Adolf Eichmann und war in Syrien untergetaucht. Da er seit 2001 nicht mehr gesehen wurde, gehen Experten vom Tode Brunners aus.
(sueddeutsche.de/mati/jja)
https://www.sueddeutsche.de/
SS-VERBRECHER
Massenmörder lebte zurückgezogen im Pflegeheim
DEUTSCHLAND
Veröffentlicht am 08.04.2010 |
Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
Martin Sandberger
Der letzte hochrangige SS-Offizier, der im Zweiten Weltkrieg am Massenmord an europäischen Juden führend beteiligt war, ist tot. Martin Sandberger war 1948 in Nürnberg zum Tode verurteilt, jedoch zu lebenslänglich begnadigt und nach zwölf Jahren Haft Anfang 1958 freigelassen worden.
Das Urteil fiel eindeutig aus: "Angeklagter Sandberger, aufgrund der erhobenen Beweise verhängt dieses Gericht gegen Sie die Strafe Tod durch Erhängen." So lautete der Schuldspruch wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, den der US-Richter Michael Musmanno am 10. April 1948 verkündete.
Doch Martin Sandberger ist erst fast genau 62 Jahre später gestorben – im Alter von 98 Jahre. Das Magazin „Der Spiegel“ hatte ihn in einem Pflegeheim in Stuttgart aufgespürt. Wenige Tage später endete das Leben des wohl letzten Haupttäters des Holocaust. Niemand aus dem "Führerkorps" der SS hatte den Zweiten Weltkrieg länger überlebt als er.
Sandberger hatte eine für die junge Elite des Dritten Reichs typische Karriere gemacht: Mit gerade zwanzig Jahren trat er 1931 dem Nazi-Studentenbund bei - als eine Machtübernahme Hitlers noch ausgeschlossen erschien. Nach 1933 wurde Sandberger mit einem raschen Aufstieg belohnt:
Schon mit 25 Jahren bekam der junge Doktor der Rechte eine Festanstellung im NSDAP-eigenen "Sicherheitsdienst", einer Schmiede der kommenden Elite. Sein SS-Vorgesetzter schwärmte in einem Personalbericht vom 5. Mai 1936: "SS-Untersturmführer Sandberger ist entschlossen, klar, scharf und schlagend im Urteil. Sehr begabt, fleißig und nie verlegen, scharfe Logik und zu allem zu gebrauchen."
Solche Männer brauchte Reinhard Heydrich, der Kopf der Gestapo. Sandberger kam rasch in verantwortungsvolle Positionen, zum Beispiel im Oktober 1939 als Leiter der "Einwandererzentrale Nord-Ost"; hier gehörte die "rassische Beurteilung" der Zuwanderer zu seinem täglichen Geschäft. Im April 1941 sollte er die Vertreibung der Slowenen organisieren. Sandberger hatte eine glänzende Zukunft.
Allerdings musste er sich noch "bewähren". Anfang Juni 1941 bekam er einen Marschbefehl für einen neuen Auftrag: Auf ihn wartete die Leitung des Einsatzkommandos 1a der Einsatzgruppe A. Diese Spezialeinheit hatte einen einzigen Zweck: Massenmord an wehrlosen Männern, Frauen und Kindern.
Sandbergers Kommando wurde vor allem in Estland eingesetzt, wo es relativ wenige Juden gab: Schon nach kurzer Zeit meldete Sandberger die ersten "Landgemeinden judenfrei". Besonders auf die "effiziente" Arbeitsteilung mit der einheimischen, ohnehin antisemitisch eingestellten Polizei legte Sandberger Wert.
Trotzdem musste er in seinem Prozess 1947 letztlich die persönliche Verantwortung für den Mord an mindestens 350 Menschen einräumen. In Wirklichkeit waren ihm weit mehr Untaten zuzurechnen: Tausende Kommunisten, Juden, Sinti und Roma sowie andere Menschen wurden unter seinem Befehl abgeschlachtet.
Bei Sandberger war die "engagierte und vorbehaltlose Realisierung des völkisch-rassistischen Programms zu erkennen", urteilt der Historiker Michael Wildt. Seine Tätigkeit in Estland war im Sinne der mörderischen Maximen des Reichssicherheitshauptamts "geradezu musterhaft". Er wurde belohnt - schon mit Anfang dreißig erhielt er den Rang eines SS-Standartenführers, entsprechend einem Oberst der Wehrmacht - so schnell befördert wurden sonst höchstens erfolgreiche Kampfpiloten.
Nach dem Mordeinsatz in Estland arbeitet Sandberger im SS-Geheimdienst und bei der Gestapo im besetzten Verona, wo er an Deportationen von Juden nach Auschwitz beteiligt war. Im Mai 1945 versuchte Sandberger kurzzeitig unterzutauchen, stellte sich aber schon nach zwei Wochen der US-Army.
Im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess 1947/48 wollte sich Sandberger aus der Verantwortung stehlen; "gewunden", so Wildt, versuchte er den Richtern klarzumachen, dass er nur ein kleiner Befehlsempfänger gewesen sei. Doch Michael Musmanno ließ sich nicht hinters Licht führen: Das Todesurteil hatte Bestand; US-Militärgouverneur Lucius D. Clay bestätigte es 1949.
Zwei Jahre später jedoch wurde Sandbergers Todesstrafe 1951 in "lebenslänglich" umgewandelt - im Zeichen der Bedrohung durch die Sowjetunion und wegen massiver Proteste in der Bundesrepublik gegen die Vollstreckung von Todesurteilen im US-Gefängnis Landsberg.
Nun bekam Martin Sandberger Unterstützung von unerwarteter Seite: Auch hoch angesehene, nachweislich gegen Hitler eingestellte Persönlichkeiten setzten sich für ihn ein. Bundestagsvizepräsident Carlo Schmid, ein Sozialdemokrat und früher Betreuer Sandbergers in dessen Referendariat, etwa schrieb:
"Ohne den Einbruch des Nationalsozialismus wäre Sandberger ein ordentlicher, tüchtiger, strebsamer Beamter geworden wie andere auch." Nur der Ehrgeiz habe ihn dazu gebracht, zur SS zu gehen. Vor den Folgen, so Schmid weiter, habe er ihn "oft gewarnt", doch umsonst:
"Die Lockung einer wenigstens äußerlich glanzvollen Laufbahn schon in jungen Jahren waren stärker als die Überzeugungskraft meiner Argumente." Trotz dieses im Kern negativen Charakterbildes fuhr Schmid fort: "Man sollte Martin Sandberge eine zweite Chance geben, sich im Leben neu zu bewähren. Ich bin davon überzeugt, dass das Gefängnis ihn geläutert hat."
Selbst Bundespräsident Theodor Heuss intervenierte 1955 zugunsten Sandbergers, dessen Vater er kannte. Zehn Jahre Haft seien Strafe genug für die Verbrechen des SS-Standartenführers. Trotz solcher Fürsprache blieben die Amerikaner noch standhaft. Doch im Januar 1958 kam Sandberger mit den letzten von den USA verurteilten Nazi-Straftätern frei. Nur Monate später begann in Ulm der erste deutsche Einsatzgruppen-Prozess, der ein zuerst zaghaftes, später nachhaltiges Umdenken in der westdeutschen Gesellschaft auslöste.
Sandberger tauchte weitgehend ab und wurde Justiziar in einer schwäbischen Firma. Er versuchte offenbar nicht, das Bild der SS in der westdeutschen Öffentlichkeit zu beeinflussen - im Gegensatz zu seinem ehemaligen SS-Führer-Kameraden Werner Best.
Die westdeutsche Justiz blieb Sandberger auf den Fersen; er wurde mehrfach vernommen, und seit 1970 lief ein eigenes Ermittlungsverfahren gegen ihn. Doch sein Anwalt konnte den Ermittlern weismachen, dass mit dem Urteil von 1948 pauschal alle Sandberger zur Last gelegten Untaten bestraft worden seien, was eine erneute Verurteilung aus formalen Gründen ausschloss. Das war zwar offensichtlich nicht der Fall, wenn man das Urteil liest, aber mit der entsprechenden Erklärung war die Akte Sandberger juristisch geschlossen.
Mit der deutschen Einheit hätte sich das ändern können, denn der Überleitungsvertrag von 1955, der juristische Fragen zwischen den Alliierten und der Bundesrepublik regelte, wurde modifiziert. Und im nun nicht mehr unter sowjetischer Knute ächzenden Estland kamen neue Quellen über die Verbrechen der Einsatzgruppe A ans Licht.
Wegen dieser Untaten hätte der frühere Standartenführer wohl angeklagt werden können; das Verbot einer Doppelbestrafung (lateinisch: "ne bis in idem") wäre nicht tangiert worden. Doch zu neuen Ermittlungen kam es nicht: Kein deutscher Staatsanwalt hatte den Holocaust-Täter Martin Sandberger mehr auf der Rechnung; außerdem hätte es Zuständigkeitsprobleme gegeben.
Dass der vormalige SS-Standartenführer fast 20 Jahre nach der Einheit immer noch leben würde, konnte sich ohnehin niemand vorstellen. So verbrachte der Massenmörder einen geruhsamen Lebensabend in einem Stuttgarter Pflegeheim – bis zu seinem Tod am 30. März 2010.
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1968: Hamburger Gericht verurteilt SS-Täter
Stand: 09.02.2018 06:00 Uhr | Archiv
von Irene Altenmüller, NDR.de
Die Leichen von rund zwei Millionen Menschen wurden von den Nazis in Massengräbern wie diesem in Mirny (Ukraine) verscharrt.
Es war ein abscheuliches Verbrechen: Zwischen 1942 und 1944 lassen die Nationalsozialisten entlang der Ostfront unzählige Massengräber öffnen und die darin verscharrten Leichen Hunderttausender Juden und Kriegsgefangener ausgraben. Polnische und russische Zwangsarbeiter werden dazu gezwungen, die Leichen herauszuholen, nach Wertgegenständen zu durchsuchen, zu verbrennen und die Knochenreste zu zermahlen und zu zerstreuen. Nach Beendigung der grausigen Arbeit werden die Zwangsarbeiter ebenfalls ermordet. Denn eigentliches Ziel der Aktion ist es, alle Spuren der im Osten begangenen Massenmorde zu verwischen. Zeugen, die von der Existenz der Massengräber und der Vernichtung der Leichen wissen, können die Nazis nicht gebrauchen.
Anonymer Hinweis führt auf die Spur der SS-Mörder
Max Krahner, Otto Goldapp und Otto Drews sind drei Männer aus einer nicht genau bekannten Zahl von SS-Leuten, die an diesen Verbrechen beteiligt waren und die Zwangsarbeiter ermordeten. Zwar waren sie gründlich vorgegangen und hatten bei ihren Taten keine Überlebenden gelassen. Doch aufgrund eines anonymen Schreibens nimmt die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft 1966 die Ermittlungen auf. Sie führen zu einem bereits verurteilten SS-Mann, der bereitwillig Auskunft über seine drei ehemaligen Kameraden gibt. Und so beginnt am 17. Oktober 1967 der Prozess gegen die SS-Offiziere. Am 9. Februar 1968 verurteilt sie das Hamburger Landgericht wegen der Ermordung von 500 Zwangsarbeitern zu lebenslanger Haft.
Tod statt Freiheit
Die Verurteilten hatten allein am 16. Dezember 1943 nahe der polnischen Stadt Białystok 100 Zwangsarbeiter getötet, indem sie Auspuffgase in zwei umgebaute Lastwagen einleiten ließen. Zuvor hatten die Gefangenen die Leichenberge befehlsgemäß beseitigt. Die SS-Männer erklären ihnen noch, sie seien nun frei. An einem Tisch lässt sich Krahner von jedem per Unterschrift zusichern, über das Gesehene Stillschweigen zu bewahren. Goldapp verteilt noch Seife und Handtücher. Aus Mitleid habe man die Zwangsarbeiter in dem Glauben gelassen, sie würden in die Freiheit entlassen, verteidigt sich Krahner: "So wie ein Arzt einen Krebskranken täuscht, der nur noch zwei Monate zu leben hat".
Mit Auspuffgasen in Lastwagen erstickt
Die Zwangsarbeiter steigen in die Lastwagen, die laut Ermittlungsakten so voll sind, dass die Flügeltüren mit Gewalt zugedrückt werden müssen. Als die Gefangenen merken, was passiert, hämmern sie verzweifelt gegen die Wände. Nach etwa einer Viertelstunde verstummen die Schreie. "Als die Türen geöffnet wurden, fielen die vorderen Leichen wie Kartoffeln heraus", erinnert sich Krahner.
Die drei SS-Männer ermorden in Polen und Weißrussland noch 400 weitere Zwangsarbeiter, unter anderem per Genickschuss und mit einem Handgranatenwurf in eine Arbeiterunterkunft. Auf die Frage, warum sie an der Ermordung der Zwangsarbeiter mitgewirkt haben, hat Max Krahner eine einfache Antwort: "Ich glaubte, für mein Volk das Beste zu tun", behauptet er laut einem Prozess-Bericht des "Hamburger Abendblatts" vom 19. Oktober 1967.
"Sonderaktion 1005" - systematische Spurenbeseitigung
Portrait von Heinrich Himmler, Mann mit Nickelbrille und kleinem Oberlippenbärtchen.
Heinrich Himmler befiehlt 1942, die Massengräber an der Ostfront auszuheben und die Leichen zu beseitigen.
Die Verbrechen der drei ehemaligen SS-Männer waren Teil einer größeren koordinierten Aktion, der sogenannten Aktion 1005, benannt nach einem Geschäftszeichen des Reichssicherheitshauptamtes. Auf Befehl des SS-Reichsführers Heinrich Himmler sollen alle Massengräber entlang der Ostfront geöffnet und die Leichen vernichtet werden, um die Spuren der NS-Vernichtungspolitik in Osteuropa komplett zu beseitigen. Die gesamte Aktion, im internen Sprachgebrauch der SS auch "Enterdungsaktion" genannt, unterliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe.
Gründe für die Vertuschungsaktion sind neben der Sorge um Konsequenzen im Falle einer militärischen Niederlage und der Befürchtung, künftige Generationen in Deutschland könnten die Massenmorde missbilligen, vor allem die verwesenden Leichen in den Massengräbern. Der grauenhafte Geruch verbreitet sich bis in die anliegenden Dörfer, zieht riesige Schwärme von Fliegen an und droht, das Grundwasser zu verseuchen.
Erster Holocaust-Prozess in Hamburg
Der Holocaust-Prozess gegen die drei SS-Männer ist der erste, den das Hamburger Landgericht verhandelt. Zwar hatte bereits 1946 im Hamburger Curiohaus ein Prozess wegen der Verbrechen im KZ Neuengamme stattgefunden. Doch diesen hatte noch ein britisches Militärgericht geführt.
Viele Verdächtige kamen straffrei davon
Nur in wenigen Fällen kam es vor dem Hamburger Landgericht wie 1968 zu einer Verurteilung wegen NS-Verbrechen.
Für den leitenden Staatsanwalt Kurt Tegge, der umfangreiches Belastungsmaterial für den Prozess gegen Krahner, Goldapp und Drews zusammengetragen hat, ist die Verurteilung zu lebenslanger Haft ein großer Erfolg. Denn in vielen anderen Verfahren können die Täter allenfalls als Gehilfen und nicht als Mörder verurteilt werden, weil ihnen keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann. Noch schlimmer: In etlichen Fällen ziehen sich die Ermittlungen über Jahre hin, sodass die Angeklagten in der Zwischenzeit verhandlungsunfähig werden.
"Viele Richter hatten kein Interesse an Aufklärung"
In deutschen und internationalen Medien wird daher Anfang der 1970er-Jahre bereits darüber spekuliert, ob die zeitlichen Verzögerungen bewusst betrieben werden. "Viele Richter und Staatsanwälte nach dem Krieg hatten kein großes Interesse an Aufklärung", vermutet auch Udo Löhr, der als Staatsanwalt in Hamburg von 1972 bis 1983 mit der Bearbeitung nationalsozialistischer Verbrechen befasst war, in einem Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" vom Januar 2018. Löhr war unter anderem am Prozess gegen Ludwig Hahn beteiligt, der für die Räumung des Warschauer Ghettos und die Deportation von rund 300.000 Juden 1975 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Staatsanwalt Tegge wird 1971 gegen seinen Willen in die Verkehrsabteilung versetzt - obwohl intern zwölf andere Staatsanwälte gegen die Versetzung des engagierten Strafrechtlers protestiert hatten. Den ungewöhnlichen Schritt begründet der damalige Jusizsenator Ernst Heinsen mit "fürsorgerischen Erwägungen".
NS-Verbrecher kommen früher aus der Haft
Wie viele andere NS-Täter sitzen auch Max Krahner, Otto Goldapp und Otto Drews ihre Strafe letzten Endes nicht voll ab. Krahner wird 1977 begnadigt. Er stirbt 96-jährig im Jahr 1997. Goldapp wird bereits 1975 entlassen und stirbt 1984, Drews ist ab 1973 Freigänger und begeht Selbstmord, als ihm eine erneute Inhaftierung droht.
https://www.ndr.de/
SS-MANN BOERE VERURTEILT
:Einfach nur ein Mörder: „Niederträchtig und feig“
VON REINER BURGER, AACHEN-AKTUALISIERT AM 23.03.2010-17:31
Bis an den Rest seines Lebens soll der 88 Jahre alte Heinrich Boere nach dem Urteil des Landgerichts Aachen ins Gefängnis, weil er 1944 als Mitglied des berüchtigten SS-Sonderkommandos „Feldmeijer“ in den besetzten Niederlanden drei Zivilisten ermordete.
Der alte Mann nimmt das Urteil ohne Regung hin. Bis an den Rest seines nun schon 88 Jahre währenden Lebens soll Heinrich Boere nach dem Urteil des Landgerichts Aachen ins Gefängnis, weil er als SS-Mann 1944 in den besetzten Niederlanden drei Zivilisten ermordete.
https://www.faz.net/
Karl M.: Anklage gegen früheren SS-Mann
Stand: 24.07.19 17:23 Uhr
Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat gegen den früheren SS-Mann Karl M. aus Nordstemmen Anklage wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener erhoben. Das hat die Behörde mitgeteilt. Ob und wann es zu einem Prozess kommt, steht noch nicht fest, da das Landgericht Hildesheim die Anklage noch zulassen muss.
Holocaust-Leugnung vor laufender Kamera
Auslöser der Ermittlungen war ein Panorama-Beitrag, in dem der ehemalige SS-Mann behauptet hatte, dass der Holocaust mit sechs Millionen Toten so nicht stattgefunden habe: "So viel Juden hat es damals gar nicht gegeben", sagte M. Im selben Interview bezeichnete er Adolf Hitler als jemanden, der "durchgegriffen" habe und dem "das mit den Juden" nur angehängt worden sei. Sechs Millionen Tote - die Zahl stimme nicht, sie sei längst widerlegt. Nach dem Panorama-Beitrag hatte es insgesamt 20 Anzeigen gegen Karl M. gegeben; auch von Amts wegen hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen.
NS-Verbrecher: "Ich bereue nichts!"
Der SS-Mann Karl M. war 1944 an der Ermordung von 86 Zivilisten beteiligt. Bis heute bereut er nichts.
96-Jähriger bestreitet, von Aufzeichnung gewusst zu haben
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft bestreitet der 96-Jährige nicht, sich im Gespräch entsprechend geäußert zu haben. Er will jedoch nicht bemerkt und gewusst haben, dass er dabei mit Bild und Ton aufgezeichnet wurde. Außerdem sei er der Auffassung, dass seine Aussagen nicht volksverhetzend seien und damit auch nicht strafbar.
Diese Darstellung der Interview-Situation entspricht allerdings nicht der Wahrheit. Auf mehreren Aufnahmen, die während des Interview-Drehs gemacht wurden, sind sowohl die Kamera als auch das Handmikrofon des NDR deutlich zu sehen. Karl M. guckte in diese Kamera und hatte außerdem ein Funkmikrofon angesteckt. Wie er das gleichzeitig nicht bemerkt haben will, wird er nun mutmaßlich vor Gericht erläutern müssen.
Das Massaker von Ascq
Karl M. war 1944 an einem Massaker im nordfranzösischen Ort Ascq beteiligt, bei dem Soldaten der 12. SS-Panzerdivison insgesamt 86 Einwohner erschossen. Nach dem Krieg wurde er in Frankreich in Abwesenheit verurteilt - entzog sich jedoch der Bestrafung. Im Interview mit Panorama hatte Karl M. keine Reue gezeigt und die Erschießung der Menschen verteidigt, allerdings bestritten, selber geschossen zu haben.
Zudem hatte Karl M. sinngemäß gesagt, die Opfer eines Massakers in Nordfrankreich seien selbst Schuld an ihrem Schicksal. In Frankreich hatten die Äußerungen Bestürzung und Empörung ausgelöst. Der Bürgermeister der Stadt Villeneuve d’Ascq, Gérard Caudron, nannte gegenüber der "Hildesheimer Allgemeinen" die Äußerungen von Karl M. "unerträglich".
Nebenkläger wollen aus Frankreich anreisen
Die Hildesheimer Allgemeine berichtet, dass mehr als ein Dutzend Nebenkläger einem möglichen Prozess beiwohnen wollen. Im April 2019 dokumentierten die Panorama Autoren Fabienne Hurst, Julian Feldmann und Robert Bongen die Reise des Lokalreporters Tarek Abu Ajamieh zum Gedenken anlässlich des 75. Jahrestags des Massakers.
Dieses Thema im Programm:
Das Erste | Panorama | 29.11.2018 | 21:45 Uhr
https://daserste.ndr.de/
Die letzten Angeklagten
Jens Rommel, Leitender Oberstaatsanwalt, ist Chef der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen mit Sitz in Ludwigsburg bei Stuttgart. Sie sind Mitte 90 und müssen sich wegen Beihilfe zum Massenmord in Todeslagern der Nazis vor Gericht verantworten. Hat das noch Sinn? NS-Chefermittler Jens Rommel sagt ja. „Aber wir müssen uns beeilen.“
30.11.2018, 08:20 Uhr
Ludwigsburg. Die Kameraden nannten ihn „Bubi“. Aber das ist schon lange her, 76 Jahre. Er war gerade 19. Jetzt sitzt Johann R. im Landgericht Münster in seinem Rollstuhl, ist 95 Jahre alt und angeklagt wegen der Beihilfe zum Mord in hunderten Fällen. Das Angelhütchen, das der promovierte Landschaftsgärtner am ersten Prozesstag auf dem Kopf trägt, wirkt angesichts der Vorwürfe, mit denen sich der alte Mann darunter konfrontiert sieht, irgendwie grotesk.
„Bubi“ gehörte von 1942 bis 1944 zur 3. Kompanie des SS-Totenkopfsturmbanns, die die Wachmannschaft des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig stellte. Grauenvolle Dinge passierten damals in dem Todeslager der Nazis. Gefangenen wurde Benzin oder Phenol ins Herz gespritzt, die Menschen wurden vergast oder ertränkt oder von Hunden totgebissen. Oberstaatsanwalt Andreas Brendel sagt bei der Verlesung der Anklage: „Es gibt kaum eine Tötungsart, die es in Stutthof nicht gegeben hat.“ Im Saal 23 ist es still. Der Angeklagte wischt sich mit der Hand am Auge.
Greise vor der Jugendkammer
Johann R. muss sich vor der Jugendkammer verantworten, weil er zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt war. Er gehört aufgrund seines Alters zu den letzten NS-Angeklagten in Deutschland. 2017 wurde ein heute 97-jähriger Wachmann des KZ Lublin-Majdanek vor der Schwurgerichtskammer in Frankfurt am Main wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Wann und ob der Prozess beginnt, ist noch nicht entschieden. Das gilt auch für das Verfahren gegen einen 94 Jahre alten, früheren SS-Wachmann in Auschwitz vor der Jugendkammer des Landgerichts Mannheim.
Der Mann, der die ehemaligen Kameraden am Ende ihrer Tage noch ins Zentrum von Massenmordprozessen rückt, sitzt etwas mehr als 400 Kilometer südöstlich von Münster an seinem Schreibtisch im ehemaligen Frauengefängnis Ludwigsburg. Akten stapeln sich im Regal und auf Besprechungsstühlen. Er schaut aus seinem Fenster, über die Gefängnismauer auf die Schorndorfer Straße und sagt: „Uns läuft die Zeit davon.“
„Der Staat organisierte das Töten“
Jens Rommel ist mit 46 Jahren knapp halb so alt wie der Angeklagte von Münster. Er trägt eine randlose Brille, ein Unterlippenbärtchen und eine schwere Kette mit einem Kreuz um den Hals. Rommel, der früher als Staatsanwalt in Ravensburg in Tötungsdelikten ermittelte, führt seit drei Jahren als Leitender Oberstaatsanwalt die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg bei Stuttgart.
Früher hat der Jurist vereinzelt mit Hakenkreuz-Schmierereien zu tun gehabt. Nun ist er der deutsche Chefermittler gegen NS-Verbrecher, sozusagen der oberste deutsche Nazi-Jäger. Rommel kann mit solchen Begriffen nichts anfangen. „Der Staat hatte damals das Töten organisiert. Daraus folgt die Verpflichtung des Staats heute, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln damit auseinanderzusetzen.“
18.500 NS-Verfahren in 60 Jahren
Seine Behörde ist am 1. Dezember vor 60 Jahren gegründet worden. Sie führt Vorermittlungen in NS-Massenverbrechen, deren Ergebnisse den für die mutmaßlichen Täter zuständigen Staatsanwaltschaften in den Ländern zugeleitet werden. Mehr als 7600 Verfahren mit einer hohen Zahl Beschuldigter sind auf diesem Wege seit 1958 angeschoben worden. Zumindest mittelbar war Ludwigsburg an nahezu allen 18.500 NS-Verfahren, die es in den vergangenen 60 Jahren in Deutschland gab, beteiligt. Die bekanntesten waren die drei großen Auschwitz-Prozesse von 1963 bis 1968 vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main und der Majdanek-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf.
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen hat ihren Sitz in Ludwigsburg bei Stuttgart in einem ehemaligen Frauengefängnis.
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen hat ihren Sitz in Ludwigsburg bei Stuttgart in einem ehemaligen Frauengefängnis.
© Quelle: Thoralf Cleven
In diesen Prozessen wurden den wegen gemeinschaftlichen Mordes in vielen Fällen oder der Beihilfe Verurteilten konkrete Taten nachgewiesen. Doch Johann R. hat wahrscheinlich keinen einzigen Gefangenen getötet. Die Ankläger argumentieren jedoch, dass er durch seinen Dienst das systematische Morden der Nazis ermöglicht hat. Sie nennen das vorsätzliche Beihilfe und gehen davon aus, dass R. als junger Mann von den systematischen Tötungen gewusst haben muss. Schießen die Staatsanwälte bei Angeklagten wie dem alten Herrn vielleicht übers Ziel hinaus?
Rommel verschränkt die Arme vor der Brust. Dann sagt er: „Ich wünschte sie mir auch jünger.“ Der Jurist erkennt durchaus, dass es am Gerechtigkeitssinn vieler Menschen rüttelt, wenn heute den damals Jüngsten und Rangniedrigsten im NS-System der Prozess gemacht wird, während viele Verantwortliche in den vergangenen Jahrzehnten einfach so davongekommen sind. „Aber ich kann das nicht ändern“, so Rommel. „Wir machen unseren Job: Verbrechen beschreiben und Beteiligte suchen. Alter ist da kein Ausschlusskriterium, wenn Beschuldigte geistig und körperlich verhandlungsfähig sind.“
Fall Demjanjuk änderte alles
Eigentlich drohte die Zentrale Stelle, wie Rommels Behörde intern im Justizapparat heißt, schon vor zehn Jahren das nahe Aus. Der Grund ist biologischer Natur: Zeugen und mögliche Täter sind inzwischen so alt, dass es immer schwieriger wird, konkrete Taten konkreten Täter zuzuordnen. Der Fall des ukrainischen SS-Hilfsmanns John Demjanjuk war wie ein Schwungrad für Ludwigsburg. Denn Demjanjuk, damals 91, ist 2011 vom Landgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen im Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Obwohl ihm nicht eine einzige konkrete Tat individuell zugeschrieben werden konnte. Die Richter betrachteten jedoch bereits seinen Dienst in Sobibor als ausreichend für die Verurteilung – er sei dort "Teil der Vernichtungsmaschinerie" gewesen.
Da der gebürtige Ukrainer jedoch noch vor der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) starb, wurde das Urteil nie rechtskräftig und weitere Verfahren wegen möglicher Beihilfe standen auf wackligen Füßen. Das änderte sich 2016 mit der Bestätigung des Urteils gegen Oskar Gröning durch den BGH. Ein Jahr zuvor hatte das Landgericht Lüneburg den damals 95-jährigen "Buchhalter von Auschwitz", einen eher biederen SS-Bürokraten, wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt.
Karteikarte von Adolf Eichmann, dem 1962 in Tel Aviv hingerichteten Organisator des Massenmords an den Juden in den 1940er Jahren.
© Quelle: Thoralf Cleven
Seitdem durchkämmen die zehn Ermittler in Ludwigsburg systematisch in mehreren Archiven die Akten zu den Konzentrationslagern, um noch lebende Beteiligte herauszufiltern. Im Fokus stehen die Jahrgänge 1919 bis 1927. Die Aktenlage ist gewaltig: Allein die Zentralkartei im Ludwigsburger Archiv umfasst mehr als 1,7 Millionen mehrseitige Karteikarten: gegliedert in Personen, Tatorte und Einheiten. Darunter auch die von Adolf Eichmann, NS-Manager des Holocaust. Dazu gehört eine Dokumentensammlung mit mehr als 558.300 Kopien, deren Auffinden mit Hilfe von rund 163.000 Karteikarten erfolgt. Vieles vergilbt, alles analog. Eine Digitalisierung zum jetzigen Zeitpunkt, so Rommel, würde die Ermittlungen bremsen. Auch hier: Ein Wettlauf mit der Zeit.
Auschwitz, Buchenwald, Mauthausen, Ravensbrück und Stutthof sind weitgehend bearbeitet. Gegenwärtig werden die Papiere von Sachsenhausen, Dora-Mittelbau, Groß Rosen und Flossenbürg überprüft. Der Kreis reicht bis zu Sekretärinnen und Telefonistinnen. Chefermittler Rommel sagt, auch die Telefonistin könne vom systematischen Morden an ihrem Arbeitsort gewusst haben – und dass ihr Dienst dieses Morden erleichtert habe. „Wir geben mit unseren Ermittlungen die Möglichkeit der Strafverfolgung. Die zuständigen Justizstellen in den Ländern allein entscheiden, wie weit das greift.“ Zuletzt wurden jährlich Verfahren gegen 30 Beschuldigte an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet. Dieses Jahr werden es weniger sein.
Vorgehen der Justiz umstritten
Wenn die Ludwigsburger Juristen auch Recht und Gesetz buchstabengetreu umsetzen – unumstritten ist ihr Vorgehen nicht. Der Historiker Thomas Weber von der University of Aberdeen („Wie Adolf Hitler zum Nazi wurde“) befürchtet, dass Beteiligte wie „Bubi“ aus Angst vor Anklagen wegen Beihilfe zum Massenmord nun endgültig schweigen werden. „Gröning beispielsweise konnte ja auch deshalb angeklagt werden, weil er - um Holocaust-Leugnern etwas entgegenzusetzen - öffentlich über das redete, was er in Auschwitz gesehen hatte“, erinnert Weber.
Professor Thomas Weber ist Professor für Geschichte und internationale Beziehungen an der Universität Aberdeen.
© Quelle: privat
Der Professor für Geschichte und internationale Politik plädiert dafür, andere Formen für die Auseinandersetzung mit den letzten Zeugen zu finden. Für Wahrheitskommissionen, wie Weber sie vor sechs Jahren vorgeschlagen hatte, sei es nun zu spät. „Ein Modell wäre aber: Wenn du redest und umfassend über die Zeit im KZ aussagst, dann sichern wir dir zu, auf juristische Verfolgung zu verzichten. Oder dann wirst du lediglich verpflichtet, zum Beispiel 30 Briefe israelischer Schulklassen zu beantworten. Es gibt Menschen, die sich das noch von der Seele reden wollen. Ich kann mir vorstellen, dass sich auf diesem Wege ungeklärte Fragen von Opfer-Angehörigen vielleicht schneller und detaillierter beantworten lassen.“
2015 hatten sich die Länder überraschend klar für eine unbefristete Fortsetzung der Arbeit in Ludwigsburg ausgesprochen. Und niemand beabsichtigt bislang, das Thema auf die Agenda der Justizministerkonferenz zu setzen. Baden-Württemberg Ressortchef Guido Wolf (CDU) sagt, in Ludwigsburg werde ein großer Beitrag zur strafrechtlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen geleistet. "Solange die Stelle auch heute noch Verdächtige ermittelt, kommt für mich eine Schließung nicht in Betracht. Wir sind es den Opfern dieser entsetzlichen Verbrechen schuldig, weiter nach Verdächtigen zu suchen. Gerechtigkeit ist keine Frage der Fallzahlen."
Viele Überlebende sehen das so, sagt Nebenklagevertreter Mehmet Daimagüler zum Fall Johann R. in Münster. Seine Mandatin hege in ihrem Herzen weder Hass noch Wut. „Ihr ist allein wichtig, dass sie dieses Verfahren noch erleben kann“, erklärt der Anwalt. Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitzkomitees, Christoph Heubner, unterstreicht:„Alle Überlebenden der Lager sind nicht an Rache, sie sind an Antworten interessiert.“
Als eine Altenpflegerin aus Süddeutschland die Bilder des Greises auf der Anklagebank in Münster im Fernsehen sieht, sendet sie eine wütende Email an die Ermittler der Zentralen Stelle. Während heute ausländische Mörder und Vergewaltiger in Deutschland frei herumliefen, schreibt sie, zögerten manche Deutsche offenbar nicht, den eigenen Opa vor den Kadi zu zerren. „Hat das Frau Merkel angeordnet?“, fragt sie.
Die Frau hat eine Antwort bekommen. Behördlich neutral. Die Arbeit in Ludwigsburg stehe in keinem Zusammenhang mit Flüchtlingsfragen. Man verfolge unabhängig und eigenständig Verbrechen der Nationalsozialisten. „Viele Opfer waren Deutsche.“
Von Thoralf Cleven/RND
https://www.rnd.de/
Nazi-Verbrecher
:Die Liste des Grauens
4. April 2009, 12:50 Uhr
Klaas Faber lebt unbehelligt in Ingolstadt, John Demjanjuk steht in München vor Gericht: 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg werden noch immer NS-Verbrecher aufgespürt. Ein Überblick über wichtige Prozesse und flüchtige Nazis in Bildern.
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KZ Westerbork Klaas Faber
Quelle: AFP
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Klaas Faber lebt unbehelligt in Ingolstadt, John Demjanjuk steht in München vor Gericht: 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg werden noch immer NS-Verbrecher aufgespürt und zur Verantwortung gezogen. Ein Überblick über wichtige Prozesse und flüchtige Nazis in Bildern.
Im KZ Westerbork (im Bild) soll der gebürtige Holländer Klaas Faber Gefangene bewacht und ermordet haben. Der SS-Mann wurde nach dem Krieg in Holland zum Tode verurteilt, später wurde die Strafe in lebenslänglich umgewandelt. Trotzdem lebt Faber, inzwischen 88 Jahre alt, unbehelligt in Ingolstadt. Er war 1952 aus einem niederländischen Gefängnis nach Deutschland geflohen - hier musste er bislang nicht um seine Freiheit fürchten. Doch Israel macht nun Druck auf die Bundesregierung: Faber soll für seine Taten büßen.
Accused Nazi death camp guard John Demjanjuk arrives in a courtroom in Munich
Quelle: rtr
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Der gebürtige Ukrainer John Demjanjuk soll als "fremdvölkischer Hilfswilliger" der SS im Vernichtungslager Sobibor gearbeitet haben. Er steht derzeit in München vor Gericht, die Anklage lautet Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden. Ende der achtziger Jahre war Demjanjuk schon einmal verurteilt worden - in Israel zur Todesstrafe. Es stellte sich jedoch heraus, dass Demjanjuk mit einem anderen NS-Verbrecher verwechselt worden war. Nach seiner Begnadigung lebte Demjanjuk in den USA in Freiheit.
(sueddeutsche.de/mikö)
Demjanjuk, dpa
Quelle: SZ
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Kernstück der Anklage ist Demjanjuks Dienstausweis, dessen "höchstwahrscheinliche Echtheit" von mehreren Gutachtern bestätigt wurde. Die Verteidigung sieht den mittlerweile staatenlosen 90-Jährigen als "Opfer des Nationalsozialismus", der büßen solle, während in den fünfziger und sechziger Jahren etliche SS-Wachmänner vor Gericht auf Befehlsnotstand plädierten - und glimpflich davon kamen.
(sueddeutsche.de/mikö)
Heim, AFP
Quelle: SZ
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Aribert Heim, der wohl meistgesuchte NS-Verbrecher der Welt, ist vermutlich tot. Recherchen des ZDF und der New York Times haben ergeben, dass der "Schlächter von Mauthausen" 1992 in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gestorben ist - unter dem Namen Tarek Farid Hussein. Dies lasse sich "zweifelsfrei" belegen. Bisher waren die deutschen Behörden und die Fahnder des Simon-Wiesenthal-Zentrums davon ausgegangen, dass der gebürtige Österreicher noch lebt und sich in Südamerika versteckt hält. Er wird beschuldigt, im KZ Mauthausen bei Linz unvorstellbar grausame Medizinexperimente an Häftlingen vorgenommen und Hunderte von ihnen ermordet zu haben. Heim wäre heute 94 Jahre alt. Er lebte bis 1962 als Arzt in Süddeutschland und tauchte erst unter, als Anklage gegen ihn erhoben wurde.
(sueddeutsche.de/odg)
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Quelle: SZ
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Der ehemalige SS-Offizier Julius Viel wurde 2001 vom Landgericht Ravensburg wegen Mordes zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er soll 1945 nahe dem tschechoslowakischen Theresienstadt aus Rassenhass und purer Mordlust sieben jüdische Häftlinge erschossen haben. Hauptbelastungszeuge in dem Prozess gegen Julius Viel war ein anderer ehemaliger SS-Mann. Viel selber bestritt die Tat. Zum Zeitpunkt des Prozesses war er 83 Jahre alt und litt bereits an Darmkrebs. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich nach dem Ravensburger Urteil rapide, der Haftbefehl gegen ihn wurde nach längerer kontroverser Debatte schließlich aufgehoben, Viel kam auf freien Fuß. Bevor es zur Revisionsverhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) kam, erlag er im Jahr 2002 in einem Krankenhaus im Allgäu seinem Krebsleiden.
(SZ/Alexander Krug)
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Quelle: SZ
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Der 1912 geborene SS-Aufseher Anton Malloth hatte 1943 im Gestapo-Gefängnis Theresienstadt einen Gefangenen zu Tode geprügelt und auf einen anderen geschossen. Jahrzehntelang lebte er unbehelligt in Südtirol. 1988 wurde er nach Deutschland ausgewiesen und zog in ein Seniorenheim in Pullach bei München. Erst im Jahr 2000 wurde er von der Staatsanwaltschaft angeklagt und 2001 vom Münchner Schwurgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Malloth litt an Speiseröhrenkrebs, Ärzte hatten ihn aber als verhandlungsfähig eingestuft. Jedem potentiellen Täter müsse klar sein, dass er "bis ans Ende seiner Tage" zur Rechenschaft gezogen werden könne, sagte der Vorsitzende Richter damals in der Urteilsbegründung. Im Oktober 2002 wurde Malloth für haftunfähig erklärt und entlassen. Zehn Tage später starb er.
(SZ/Alexander Krug)
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Quelle: SZ
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Der SS-Offizier Erich Priebke, 95, wurde 1998 in Italien von einem Militärtribunal als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt. Der ehemalige SS-Hauptsturmführer war 1944 an der Erschießung von 335 Zivilisten bei Rom beteiligt gewesen. Das Massaker war die "Vergeltung" für einen Partisanenüberfall auf deutsche Soldaten in Rom. Nach dem Krieg war Priebke in Argentinien untergetaucht, von dort wurde er 1995 nach Italien überstellt. Aus "Gesundheitsgründen" wurde er schließlich im Jahr 1999 aus der Haft entlassen und in Rom unter Hausarrest gestellt. Als dieser 2007 gelockert wurde, kam es zu heftigen Protesten in Italien. Nach wenigen Tagen wurden die Lockerungen wieder zurückgenommen. Priebke sagt bis heute, er sei unschuldig; Rechtsextremisten fordern immer wieder seine Freilassung.
(SZ/Alexander Krug)
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Quelle: SZ
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Der ehemalige SS-Sturmbannführer und Chef des Sicherheitsdienstes der SS in Genua, Friedrich Engel, wurde 2002 in Hamburg des 59-fachen Mordes schuldig gesprochen. Er hatte 1944 in Italien die Erschießung von 59 Zivilisten kommandiert. Die Hamburger Richter verzichteten damals auf eine lebenslängliche Strafe und verhängten mit Rücksicht auf die "unglaublich lange Zeitspanne" zwischen Tat und Prozess eine Strafe von sieben Jahren. Der Bundesgerichtshof (BGH) kassierte das Urteil 2004 aus rechtlichen Gründen. Die Karlsruher Richter sahen das Mordmerkmal der Grausamkeit nicht ausreichend bewiesen. In Hinblick auf das hohe Alter Engels verwiesen sie den Fall aber nicht zurück ans Hamburger Landgericht sondern stellten das gesamte Verfahren ein. Engel starb 2006 im Alter von 97 Jahren.
(SZ/Alexander Krug)
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Quelle: SZ
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Der ehemalige SS-Oberscharführer Josef Schwammberger kommandierte verschiedene SS-Zwangsarbeitslager im Distrikt Krakau. 1992 wurde der damals 80-Jährige vom Landgericht Stuttgart wegen Mordes an 25 und Beihilfe zum Mord an mindestens 641 jüdischen Häftlingen zu lebenslanger Haft verurteilt. "Er war wie der Teufel", erinnerte sich ein Zeuge. Schwammbergers Anwälte äußerten damals Zweifel an der praktischen Durchführbarkeit eines Prozesses wegen der langen Zeitspanne. Das Erinnerungsvermögen von Zeugen sei mit vielen Mängeln behaftet, Selbsterlebtes vermische sich mit dem, was man nur gehört oder gelesen habe. Im Jahr 2002 wurde Schwammbergers vorzeitige Entlassung vom Landgericht Mannheim abgelehnt. Er starb 2004 im Alter von 92 Jahren im Gefängniskrankenhaus.
Zu den Naziverbrechern, die wie Demjanjuk noch nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, gehört ...
(SZ/Alexander Krug)
Asner, AP
Quelle: SZ
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... der in Österreich lebende Kroate Milivoj Asner. Ihm wird vorgeworfen, sich als Polizeichef in seiner Heimat aktiv an der Verfolgung und Deportation Hunderter Serben, Juden sowie Sinti und Roma beteiligt zu haben. Österreich verweigert die von Kroatien geforderte Auslieferung des Mannes, der seit 1946 österreichischer Staatsbürger ist, mit der Begründung, Asner sei nicht gesund genug für eine Auslieferung beziehungsweise für eine Anklage.
Allerdings wurde der heute 95-Jährige während der Fußball-Europameisterschaft 2008 von einem Reporter der britischen Boulevard-Zeitung Sun bei einem Gang über die Klagenfurter Fanmeile aufgespürt. Der Journalist beschrieb ihn als rüstig und geistig klar.
(sueddeutsche.de/mati/jja)
Kam, dpa
Quelle: SZ
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Die dänischen Behörden interessieren sich sehr für Sören Kam. Der 1921 in Kopenhagen geborene Kam war Mitglied der SS und wird beschuldigt, für den Tod eines dänischen Journalisten verantwortlich zu sein. Kam soll zudem das Einwohnerverzeichnis der jüdischen Gemeinde in Dänemark gestohlen und damit die Deportation von dänischen Juden in Konzentrationslager ermöglicht haben.
Kam wurde in Dänemark angeklagt. Weil jedoch ein bayerisches Gericht 2007 zu dem Schluss kam, es handele sich um Totschlag, der in Deutschland verjährt sei, wurde er nicht ausgeliefert. Die Behörden in Dänemark wollen den Fall neu aufrollen und die Rolle des heute 88-Jährigen bei der Deportation dänischer Juden untersuchen.
Diese Aufnahme zeigt Sören Kam im August 1943.
(sueddeutsche.de/mati/jja)
Zentai, AFP
Quelle: SZ
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Karoly Zentai hat mittlerweile den Vornamen Charles angenommen. Er soll 1944 an der Verfolgung und dem Mord von Juden in Budapest teilgenommen haben. Er lebte lange in Deutschland, wanderte dann nach Australien aus und wehrt sich gegen die Auslieferung an Ungarn.
Dieses Bild zeigt Zentai im August 2007 vor einem Gericht in Perth.
(sueddeutsche.de/mati/jja)
Männmil, AP
Quelle: SZ
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Harry Männil lebt in Venezuela, stammt jedoch aus Estland. Der Polizeioffizier soll Juden festgenommen haben, die danach von Nationalsozialisten und estnischen Kollaborateuren ermordet wurden. Die estnische Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungen gegen ihn wegen Mangels an Beweisen ein. Der Unternehmer darf nicht in die USA einreisen.
Desweiteren fahndet das Simon-Wiesenthal-Zentrum nach dem 85 Jahre alten Mikhail Gorshkow, der in Weißrussland Juden ermordet haben soll. Der in Sachsen lebende Litauer Algimantas Dailide soll als Polizist in Vilnius geholfen haben, Juden zu verhaften. Der heute 87-Jährige wurde 2006 in Litauen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, die er aus Gesundheitsgründen nie antreten musste. Der 1914 geborene Ungar Sandor Kepiro soll am 23. Januar 1942 aktiv am Massenmord an Hunderten Zivilisten in der jugoslawischen Stadt Novi Sad beteiligt gewesen sein, für den er bereits während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn verurteilt wurde. Nach der deutschen Besetzung Ungarns 1944 wurde er jedoch freigelassen.
Das Bild zeigt Männil im Jahr 2001 in Tallinn.
(sueddeutsche.de/mati/jja)
Brunner, dpa
Quelle: SZ
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Lange Zeit stand Alois Brunner ebenfalls an erster Stelle der Liste der meistgesuchten Naziverbrecher. Brunner, der 1912 geboren wurde, galt als rechte Hand von Adolf Eichmann und war in Syrien untergetaucht. Da er seit 2001 nicht mehr gesehen wurde, gehen Experten vom Tode Brunners aus.
(sueddeutsche.de/mati/jja)
https://www.sueddeutsche.de/
Zeitstrahl
Prozesse gegen NS-Kriegsverbrecher
Die Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern war kein Ruhmesblatt der deutschen Justiz. Die meisten konnten entkommen. Etliche leben noch - unbehelligt. Manchen wurde erst nach Jahrzehnten der Prozess gemacht - hier eine Chronik, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Von: Ernst Eisenbichler
https://www.br.de/
SS-Verbrecher verurteilt
Erstellt: 29.06.2009Aktualisiert: 26.01.2019, 04:11 Uhr
Von: Volker Schmidt
Mehr als 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg häufen sich Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher. Ein Militärgericht in Rom hat jetzt neun SS-Veteranen in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Von Volker Schmidt
Mehr als 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg häufen sich Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher. Ein Militärgericht in Rom hat jetzt neun SS-Veteranen in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie hatten auf der Flucht vor den Alliierten 1944 in Fivizzano und anderen Dörfern der Toskana mehr als 350 Zivilisten als angebliche Helfer von Partisanen erschossen.
Angeklagt waren elf Soldaten, einer wurde freigesprochen, einer starb vor Ende des Prozesses. Dass die neun Verurteilten ihre Strafe auch wirklich verbüßen müssen, ist unwahrscheinlich. Sie sind zwischen 84 und 90 Jahre alt und leben in Deutschland - in ähnlichen Fällen hatte Italien nie die Durchsetzung des Urteils erzwungen.
Das Gericht verurteilte zudem die Bundesrepublik zu insgesamt 1,25 Millionen Euro Entschädigung an die betroffenen Gemeinden und rund 50 Hinterbliebene. Bisher hat Deutschland solche Zahlungen unter Verweis auf die völkerrechtliche Immunität zurückgewiesen: Sie schützt Staaten davor, von Gerichten eines anderen Landes verurteilt zu werden.
Das Verfahren war 1994 nach dem Fund von Akten über 695 NS-Verbrechen eröffnet worden. Auf ihrer Basis wurde in Italien wegen eines Massakers auch schon der Ex-Offizier Josef Scheungraber in Abwesenheit verurteilt. Er steht jetzt in Deutschland vor Gericht. Das Urteil sollte am kommenden Freitag fallen; Scheungraber wurde allerdings vergangene Woche mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert. mit rtr, afp
https://www.fr.de/
Nazis in Nordafrika
Der Holocaust ist in vielen arabischen Ländern ein Tabuthema. Das aktuelle Buch von Boualem Sansal ist deswegen verboten. Darin taucht ein deutscher Nazi nach dem Zweiten Weltkrieg in Algerien unter.
Datum 12.06.2009
Boualem Sansal wohnt eine halbe Autostunde östlich von Algier, in Boumerdes. Wie überall im Land sieht man auch hier zahlreiche Baukräne, die algerische Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren erholt dank der gestiegenen Weltmarktpreise für Erdöl und Gas.
Für den Schriftsteller Sansal reine Fassade. "Staatspräsident Bouteflika hat es geschafft, Algerien nach außen das Image eines wirtschaftlich aufstrebenden Landes zu verpassen“, kritisiert er, „doch im Inneren sieht es komplett anders aus. Bouteflika ist dabei, eine umfassende Diktatur zu installieren, wie in Tunesien. Es gibt keine politischen Freiräume mehr. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit immer noch sehr hoch, und der Aufschwung nutzt nur einer kleinen Elite."
Kritik unerwünscht
Porträt Boualem Sansal
Boualem Sansal
Wegen kritischen Worten wie diesen darf Sansal seine Bücher in Algerien bislang teilweise nicht veröffentlichen. Auch sein jüngster Roman, „Das Dorf des Deutschen“, steht auf der roten Liste. Die Hauptfigur ist ein deutscher Nazi namens Hans Schiller, der in Auschwitz an Massenmorden beteiligt war und nach 1945 über verschlungene Wege bei der algerischen Befreiungsarmee landet.
Da Schiller international als Kriegsverbrecher gesucht wird, lässt er sich in Algerien nieder, gründet eine Familie. Seine beiden Söhne, die er schon früh nach Frankreich schickt, wissen nichts über die Vergangenheit des Vaters. Erst als der Altnazi und seine algerische Ehefrau in den 1990er Jahren in Algerien einem Terroranschlag zum Opfer fallen, kommt nach und nach die Wahrheit ans Licht.
Der Roman "Das Dorf des Deutschen" berührt Gründungsmythen und tief sitzende Tabus der algerischen Gesellschaft. Das Idealbild einer linken, antifaschistischen und moralisch sauberen Befreiungsarmee soll möglichst nicht angetastet werden. Dabei ist klar, dass auch in den Reihen der ALN gefoltert und gemordet wurde und in Einzelfällen für Ausbildungszwecke oder heikle Missionen auch Alt-Nazis rekrutiert wurden.
Geschichte wird ausgeblendet
Soldaten der Algerischen Nationalen Befreiungsarmee (ALN) 1960
Soldaten der Algerischen Befreiungsarmee 1960
Doch eine öffentliche Debatte über die dunklen Seiten der Vergangenheit sei bislang nicht erwünscht, kritisiert Boualem Sansal und beschreibt den algerischen Umgang mit der eigenen Geschichte als „infantiles Wegschieben der Tatsachen“. "Stellen Sie sich vor, in Deutschland kommt ein Regime an die Macht, welches das Reden über die Vergangenheit, über den zweiten Weltkrieg verbietet!“, sagt er, „ich meine: die Geschichte ist ein Ganzes, man muss sie ganz lesen oder gar nicht."
Boualem Sansal fordert, dass seine Landsleute und die Araber generell sich endlich aktiv mit dem Holocaust befassen, dass sie sich der Frage stellen, warum mehrere hochrangige Nazi-Verbrecher in arabischen Ländern Zuflucht fanden, statt ihre gerechte Strafe zu bekommen. Nur wenn man diese Fragen offen diskutiere, sagt er, könne man der Bedrohung durch neue Totalitarismen wirksam entgegentreten. Zum Beispiel der Bedrohung durch gewaltbereite Islamisten.
Autorin: Martina Sabra
Redakteurin: Elena Singer
https://www.dw.com/
Oberster Nazi-Fahnder
"Es sind zu viele NS-Verbrecher davongekommen"
Marc von Lüpke-Schwarz
INTERVIEW
Ein Interview von Florian Harms und Marc von Lüpke
Aktualisiert am 24.05.2018
Die Täter sind bis heute unter uns. Im Interview erklärt Staatsanwalt Jens Rommel, warum die bundesdeutsche Justiz bis zum Tod des letzten NS-Verbrechers ermitteln wird.
Ludwigsburg, etwas nördlich von Stuttgart: Seit sechs Jahrzehnten ist hier die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen beheimatet. Jens Rommel leitet die Behörde seit gut drei Jahren. Im Gespräch erklärt der Jurist, wie man selbst heute noch NS-Verbrechern auf die Spur kommen kann. Und warum auch über 90-jährige noch für ihre Taten bestraft werden sollten. Wie aktuell diese Thematik ist, zeigt der Fall Jakiv Palij.
Herr Rommel, Sie beschäftigen sich als Leiter der Zentralen Stelle seit Jahren jeden Tag mit den Verbrechen des Nationalsozialismus, mit Vertreibung, Folter, Massenmord. Können Sie nachts ruhig schlafen?
Jens Rommel: Meine Gefühle schwanken. Meistens herrscht eine professionelle Distanz vor. Aber es gibt auch andere Augenblicke. Zum Beispiel, wenn ich Deportationslisten in die Vernichtungslager studiere oder die Namen von Opfern lese. Es hilft aber, dass wir hier vor allem mit Akten arbeiten und die Fotos in der Regel schwarz-weiß sind. So entsteht eine gewisse Distanz.
Unser Bild des Holocaust ist heutzutage tatsächlich von Schwarz-Weiß-Fotos geprägt. So wirken die Taten von damals wie aus einer anderen Zeit, die mit unserer heutigen Welt kaum etwas zu tun hat. Ist das ein Problem?
Es handelt sich ja in der Tat um geschichtliche Ereignisse. Dennoch sind Sie noch nicht abgeschlossen, denn es leben noch Beteiligte – sowohl Täter als auch Opfer dieser Verbrechen.
Die meisten NS-Täter sind bereits tot, die wenigen noch lebenden älter als 90 Jahre. Warum ermittelt die Zentrale Stelle trotzdem weiter?
Weil Mord nicht verjährt. Und weil wir uns nicht mit gewöhnlichen Tötungsdelikten beschäftigen, sondern mit einem staatlich angeordneten und durchgeführten Massenmord. Der nationalsozialistische Staat hatte damals entschieden, dass Menschen, die eine bestimmte Abstammung, Religion oder politische Überzeugung hatten, nicht mehr leben durften. Ein derartiges Verbrechen muss bis zum Schluss verfolgt werden.
Jens Rommel, geboren 1972, leitet seit 2015 die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Die 1958 gegründete Einrichtung führt Vorermittlungen gegen mutmaßliche NS-Verbrecher durch.
Trotzdem: Wie sinnvoll ist es, gegen diese sehr betagten Menschen zu ermitteln? Mit dem Wissen, dass sie aufgrund ihres Alters wahrscheinlich nicht ins Gefängnis gehen müssen.
Dass Verurteilte ihre Strafe nicht antreten müssen, steht keineswegs von Anfang an fest. Die Chancen dafür sind aber tatsächlich gering. Wir haben vor ein paar Jahren 30 Verfahren zu Auschwitz an die zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben. Davon haben es nur fünf bis vor Gericht geschafft, lediglich zwei Angeklagte sind verurteilt worden. Aber man darf das gewaltige Ausmaß dieses Staatsverbrechens nicht ignorieren. Neben unserem nüchternen juristischen Auftrag gibt es auch eine moralische Komponente: Wir werden bis zum Tod des letzten NS-Verbrechers ermitteln.
Eines der fünf Auschwitz-Verfahren betraf Oskar Gröning, den "Buchhalter von Auschwitz", der kurz vor seinem Haftantritt im März gestorben ist.
Gröning wurde 2016 rechtskräftig wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilt. Wäre er zwei Jahre später nicht überraschend verstorben, hätte er die Freiheitsstrafe antreten müssen. Vom Bundesverfassungsgericht bis hin zur Gnadenbehörde im Landesjustizministerium: Gröning hatte sich mit allen Kräften dagegen gewehrt, aber sämtliche Instanzen waren sich darüber einig, dass er die Haftstrafe antreten sollte. Und das war richtig so.
Ein weiterer Fall war der des ehemaligen SS-Unterscharführers Reinhold Hanning. Er wurde wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen verurteilt. Eine kaum fassbare Dimension.
Absolut. Man muss aber bedenken, dass wir ebenso wie die Gerichte lediglich mit Mindestzahlen an Opfern arbeiten. Auch in einem NS-Prozess gelten selbstverständlich die Regeln eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens: Man kann und darf dem Angeklagten nur die Opferzahl anlasten, von der sich das Gericht überzeugt hat.
Wie entscheiden Sie, dass Sie Ermittlungen gegen einen Verdächtigen einleiten?
Wir prüfen zunächst, ob der jeweiligen Person ein Delikt nachgewiesen werden kann, das auch heute noch strafrechtlich verfolgbar ist. Das sind Mord und Beihilfe zum Mord.
Wie definieren Sie diese Delikte im Hinblick auf NS-Täter, die vielleicht nicht selbst gemordet, aber dabei geholfen haben?
Mord erfordert im Unterschied zum Totschlag nach unserem juristischen Verständnis besondere Tatumstände wie etwa Heimtücke. Indem die SS-Leute den Juden in den Vernichtungslagern zum Beispiel vorgaukelten, dass sie zum Duschen gebracht würden – und die Opfer dann durch Gas umgebracht wurden. Besondere Grausamkeit ist ebenso ein Merkmal von Mord. Wenn Opfer zuschauen mussten, wie ihre Angehörigen umgebracht wurden, bevor die SS-Leute sie selbst erschossen. Auch ein niederer Beweggrund wie Rassenhass macht eine Tötung zum Mord.
Also müssen Sie den Beschuldigten derartige Vorwürfe nachweisen. Wie gehen Sie dabei vor?
Wir ermitteln im Augenblick verstärkt zu den Konzentrationslagern, weil in diesem Bereich die Aktenlage am besten ist. Auch können wir davon ausgehend plausible Vorwürfe gegen einzelne Täter erheben, weil in den betreffenden Lagern an fast jedem Tag exakt dasselbe passiert ist: Menschen wurden vergast oder erschossen, kamen durch Zwangsarbeit oder Hunger um. Wenn jemand als Wachmann dafür sorgte, dass diese Menschen nicht fliehen konnten, muss ihm klar gewesen sein, dass er zu dieser Vernichtung beigetragen hat. Deshalb haben wir die Zusammenarbeit mit den KZ-Gedenkstätten intensiviert. Die dortigen Forscher haben viele interessante Quellen, wie Versetzungs- oder Ausrüstungslisten, erschlossen. Die Ermittlungen bleiben außerordentlich schwierig, aber jedes Puzzleteil kann uns helfen.
Letztlich hat das Verfahren gegen Oskar Gröning auch Ihre Ermittlungsarbeit in Sachen Beihilfe zum Mord erleichtert.
In der Tat. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zum ersten Auschwitz-Prozess 1969 galt die Rechtsauffassung, dass die Anklage jedem Beschuldigten exakt nachweisen können musste, inwiefern dieser eine Mordtat konkret unterstützt oder gefördert hatte. In der Sache Gröning bestätigte der Bundesgerichtshof eine andere Definition. Demnach begründet bereits die alleinige Dienstausübung eines SS-Mannes in einer bestimmten Funktion, etwa in einem Konzentrations- und Vernichtungslager wie dem Auschwitz-Komplex, eine strafrechtliche Verantwortung. Weil auch ein einzelner Angehöriger der SS wie Gröning seinen Teil dazu beitrug, die Vernichtungsmaschinerie auf Laufen zu halten.
Was passiert, wenn Sie und Ihre Mitarbeiter einen noch lebenden Tatverdächtigen ermitteln?
Das ist der Moment, in dem wir in Hektik ausbrechen. Der Gesundheitszustand des Beschuldigten kann sich schnell gravierend verschlechtern. Wir versuchen, in kürzester Zeit das Beweismaterial zusammenzutragen und an die zuständige Staatsanwaltschaft zu übergeben.
Das ist ein wichtiger Punkt: Ihre Zentrale Stelle erledigt die Vorermittlungen, aber dann geben Sie die Fälle an Staatsanwaltschaften im gesamten Bundesgebiet ab. Fällt Ihnen das schwer?
Es ist der Geburtsfehler der Zentralen Stelle gewesen, dass man sie nicht mit entsprechenden Befugnissen einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft ausgestattet hat: Beispielsweise Hausdurchsuchungen vorzunehmen oder Zeugen auch gegen ihren Willen vernehmen zu können. 1958 wollte man einfach eine schnelle Lösung und richtete die Zentrale Stelle lediglich als Vorermittlungsinstitution ein. Wir agieren zwar mit hoher Sachkompetenz, müssen die Fälle dann aber abgeben.
Gibt es Reibungsverluste bei einer dieser Übergaben?
An so einer solchen Nahtstelle entstehen oft Verluste. Durchaus in beide Richtungen. Manchmal sind die Staatsanwaltschaften nicht mit unserer Arbeit zufrieden gewesen, manchmal hätten wir uns andere Ergebnisse erhofft.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
In der Vergangenheit war es öfter so, dass die Ermittlungen bei Staatsanwaltschaften mit Begründungen beendet worden sind, die uns nicht überzeugt haben. Oft haben die Ermittlungen vor Ort auch sehr lange gedauert, sodass Verfahren eingestellt worden sind, weil der Beschuldigte – jedenfalls inzwischen – verhandlungsunfähig war.
Ist eine reguläre Staatsanwaltschaft, die sich sonst mit Alltagskriminalität beschäftigt, für die Verfolgung von NS-Verbrechen überhaupt geeignet?
Es gibt keine Alltagserfahrung mehr im Umgang mit nationalsozialistischen Verbrechen. Die Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet können diese Kompetenz auch gar nicht mehr besitzen. Salopp gesagt: Da sitzt irgendwo ein Kollege am Schreibtisch, so wie ich früher in meiner alten Dienststelle in Ravensburg, und plötzlich geht die Tür auf und es werden Umzugskartons mit Akten zu Auschwitz hereingetragen. Dann muss der Betreffende mal eben ein komplexes NS-Verfahren bearbeiten. Wenn es, wie in Nordrhein-Westfalen, keine entsprechende Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft gibt, ist das schon eine sehr große Herausforderung.
Dieses komplizierte Verfahren prägt die Arbeit der Zentralen Stelle nun seit 60 Jahren. Trotz des organisatorischen Geburtsfehlers: Was ist ihr größter Erfolg?
Dass sie noch existiert. Im Gründungsjahr 1958 war man sich größtenteils einig, dass die Zentrale Stelle lediglich ein paar Jahre ermitteln solle. Dann wären auch die Delikte Mord und Beihilfe zum Mord während des Nationalsozialismus eigentlich verjährt gewesen. Jeder Leiter hier hat gedacht, dass er der letzte wäre. Stattdessen haben wir über Jahrzehnte geholfen, viele Prozesse vorzubereiten, etwa zu Auschwitz und Majdanek. Bis heute steht aber in unserem Gründungsdokument, dass die Zentrale Stelle lediglich "für vorübergehende Dauer" eingerichtet sei. Mit diesem Provisorium leben wir jetzt seit 60 Jahren.
Wie erklären Sie das Durchhaltevermögen der Mitarbeiter?
Hartnäckigkeit. Weitermachen, auch wenn man fast glaubt, es lohnt nicht mehr. Selbst heute, 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, können wir noch Täter ermitteln und zur Anklage bringen. Früher glaubte man, eine Clique von fünfzehn, zwanzig Leuten wie Hitler, Göring und Himmler wären mit einer Handvoll Handlanger für die Verbrechen verantwortlich. Aber es waren Zehntausende Grönings und Hannings, die den Massenmord erst möglich machten. Das ist eine grundlegende Erkenntnis: Es waren nicht wenige Mörder. Es waren viele.
Allerdings hat auch die Zentrale Stelle keine blütenreine Weste. Ihr erster Leiter, Erwin Schüle, war Mitglied von NSDAP und SA.
Bereits 1958 war bekannt, dass Schüle Mitglied eines SA-Studentenbunds in Tübingen gewesen ist und 1937 einen Mitgliedschaftsantrag bei der NSDAP gestellt hatte. Für mich ist unglaublich, dass diese Tatsachen die Landesjustizminister nicht stutzig gemacht hatten, als sie Schüle zum Leiter der Zentralen Stelle ernannten. Auch wenn gegen Schüle niemals Straftaten nachgewiesen worden sind, ist der Vorgang aus heutiger Sicht kaum verständlich.
Haben Sie Hinweise darauf, dass Schüle NS-Täter verschont hat, etwa indem er Ermittlungen in eine bestimmte Richtung lenkte oder gar nicht erst aufnahm?
Nein. Schüle wurde die Leitung übertragen, weil er im Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 energisch ermittelt hatte. Auch in seiner Ludwigsburger Zeit hat er den Aufbau der Behörde und die frühen Vorermittlungen vorangetrieben. Allerdings hat man damals bewusst die "kleinen" Befehlsempfänger nicht einbezogen.
Was war der größte Misserfolg der Zentralen Stelle?
Es sind zu viele NS-Verbrecher davongekommen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren.
Warum war das so?
Im Jahr 1979 hatte der Bundestag endgültig beschlossen, die Straftatbestände Mord und Beihilfe zum Mord nicht mehr verjähren zu lassen. So weit, so gut. Das juristische Problem besteht aber, so absurd es auch klingen mag, im Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitenrecht von 1968. Darin war eine Regel versteckt, die die Strafe beim Fehlen besonderer Merkmale seitens des Täters verringert. Beispielsweise, wenn man ihm keinen Rassenhass oder Habgier nachweisen kann. Damit wurden derartige Verbrechen heruntergestuft und waren zu diesem Zeitpunkt längst verjährt.
Das scheint kaum zufällig passiert zu sein. Einmal verjährt, lässt sich keine Straftat mehr verfolgen.
Richtig. Damals nannte man es den "Dreher-Dreh", weil ein gewisser Eduard Dreher aus dem Bundesjustizministerium dafür verantwortlich zeichnete. Im Nationalsozialismus hatte er selbst eine unrühmliche Rolle beim Sondergericht Innsbruck gespielt und war deswegen potenziell selbst von einer Strafverfolgung bedroht.
Wie erklären Sie das Durchhaltevermögen der Mitarbeiter?
Hartnäckigkeit. Weitermachen, auch wenn man fast glaubt, es lohnt nicht mehr. Selbst heute, 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, können wir noch Täter ermitteln und zur Anklage bringen. Früher glaubte man, eine Clique von fünfzehn, zwanzig Leuten wie Hitler, Göring und Himmler wären mit einer Handvoll Handlanger für die Verbrechen verantwortlich. Aber es waren Zehntausende Grönings und Hannings, die den Massenmord erst möglich machten. Das ist eine grundlegende Erkenntnis: Es waren nicht wenige Mörder. Es waren viele.
Allerdings hat auch die Zentrale Stelle keine blütenreine Weste. Ihr erster Leiter, Erwin Schüle, war Mitglied von NSDAP und SA.
Bereits 1958 war bekannt, dass Schüle Mitglied eines SA-Studentenbunds in Tübingen gewesen ist und 1937 einen Mitgliedschaftsantrag bei der NSDAP gestellt hatte. Für mich ist unglaublich, dass diese Tatsachen die Landesjustizminister nicht stutzig gemacht hatten, als sie Schüle zum Leiter der Zentralen Stelle ernannten. Auch wenn gegen Schüle niemals Straftaten nachgewiesen worden sind, ist der Vorgang aus heutiger Sicht kaum verständlich.
Haben Sie Hinweise darauf, dass Schüle NS-Täter verschont hat, etwa indem er Ermittlungen in eine bestimmte Richtung lenkte oder gar nicht erst aufnahm?
Nein. Schüle wurde die Leitung übertragen, weil er im Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 energisch ermittelt hatte. Auch in seiner Ludwigsburger Zeit hat er den Aufbau der Behörde und die frühen Vorermittlungen vorangetrieben. Allerdings hat man damals bewusst die "kleinen" Befehlsempfänger nicht einbezogen.
Was war der größte Misserfolg der Zentralen Stelle?
Es sind zu viele NS-Verbrecher davongekommen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren.
Warum war das so?
Im Jahr 1979 hatte der Bundestag endgültig beschlossen, die Straftatbestände Mord und Beihilfe zum Mord nicht mehr verjähren zu lassen. So weit, so gut. Das juristische Problem besteht aber, so absurd es auch klingen mag, im Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitenrecht von 1968. Darin war eine Regel versteckt, die die Strafe beim Fehlen besonderer Merkmale seitens des Täters verringert. Beispielsweise, wenn man ihm keinen Rassenhass oder Habgier nachweisen kann. Damit wurden derartige Verbrechen heruntergestuft und waren zu diesem Zeitpunkt längst verjährt.
Das scheint kaum zufällig passiert zu sein. Einmal verjährt, lässt sich keine Straftat mehr verfolgen.
Richtig. Damals nannte man es den "Dreher-Dreh", weil ein gewisser Eduard Dreher aus dem Bundesjustizministerium dafür verantwortlich zeichnete. Im Nationalsozialismus hatte er selbst eine unrühmliche Rolle beim Sondergericht Innsbruck gespielt und war deswegen potenziell selbst von einer Strafverfolgung bedroht.
Wie viele unmittelbare Täter laufen denn noch frei herum, was schätzen Sie?
Das weiß ich leider nicht. Aber keiner dieser Leute ist unter 91 Jahre alt. Jetzt, auf den letzten Drücker, sollte man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben.
Würde ein öffentlicher Aufruf helfen, die letzten NS-Verbrecher zu ermitteln?
Wir arbeiten nicht mit dem Mittel der Öffentlichkeitsfahndung. Manchmal frage ich mich, ob die Betreffenden bei Medienberichten über unsere Arbeit nicht in den Keller runtergehen und die letzten möglichen Beweismittel vernichten.
Andererseits hilft Berichterstattung dabei, Ihre Arbeit transparent zu machen. Andere Organisationen gehen noch viel vehementer vor. Was halten Sie von einem Kopfgeld, wie es das Simon-Wiesenthal-Center ausgesetzt hatte?
Gar nichts. Wir suchen heute auch nicht mehr nach den Eichmanns oder Mengeles, die irgendwo auf der Welt untergetaucht sind. Wir suchen nach Tätern, die seit Jahrzehnten hier unter uns leben, weil sie das Gefühl hatten, sicher zu sein. Die sind in ihrem hohen Alter greifbar und laufen auch nicht weg.
In sechs Jahrzehnten hat die Zentrale Stelle ein gewaltiges Pensum geleistet. Die Zentralkartei hier im Stockwerk unter Ihrem Büro umfasst Hunderttausende Karten.
1958 haben die ersten Ermittler, also Richter, Staatsanwälte und Polizisten, begonnen, Namen, Orte und Einheiten, die mit NS-Verbrechen in Zusammenhang stehen, mithilfe eines Karteisystems miteinander zu verknüpfen. Heute sind es tatsächlich mehr als 1,7 Millionen Karteikarten. Dahinter verbergen sich mehr als 4.000 Einheiten, rund 30.000 Orte und gut 700.000 Namen.
Was passiert damit in Zukunft?
Ich werde als Leiter der Zentralen Stelle sicher nicht in Pension gehen. Irgendwann wird die Behörde ihre juristische Arbeit beenden, wenn kein Beschuldigter mehr lebt. Das muss aber nicht ihr endgültiges Ende bedeuten. Unsere Karteien und Akten sind hervorragende Forschungsgrundlagen zum Dritten Reich und zur Verfolgung beziehungsweise Nichtverfolgung von NS-Verbrechen in der Bundesrepublik.
Wenn wir jetzt gleich dieses Interview beenden und Sie an Ihren Schreibtisch zurückgehen, was tun Sie dann? Mit welchem Fall beschäftigen sich Ihre Ermittler gerade?
Wir führen momentan rund ein Dutzend Vorermittlungen durch. Gerade hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart darauf basierend Anklage vor dem Landgericht Mannheim gegen einen ehemaligen Wachmann aus Auschwitz erhoben.
https://www.t-online.de/
General-Anzeiger: Kommentar "General-Anzeiger" Bonn zum Demjanjuk-Urteil: Signal an die Täter
12.05.2011 – 17:58
Bonn (ots)
Von Kai Pfundt
Die Vorwürfe gegen John Demjanjuk sind an Monstrosität kaum zu überbieten: Als Helfer der SS-Täter war der gebürtige Ukrainer im Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von fast 28000 Menschen beteiligt. Davon ist das Landgericht München überzeugt und sprach Demjanjuk nach einem quälend langen, von Zweifeln geprägten Verfahren schuldig. Zweifel wegen der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, Zweifel am Unterfangen, über Verbrechen Recht zu sprechen, die fast 70 Jahre zurück liegen.
Trotz des Schuldspruches verlässt Demjanjuk das Gerichts als freier Mann. Er kommt in den Genuss einer Justiz, die mildernde Umstände und Verhältnismäßigkeiten berücksichtigt - im Gegensatz zum verbrecherischen System, dem er diente. Der 91-Jährige ist kein Haupttäter, er war ein Rädchen im Getriebe der NS-Vernichtungsmaschine. Die grundsätzliche Frage bleibt, wie angesichts der Ungeheuerlichkeit der Taten Gerechtigkeit überhaupt hergestellt werden kann. Eine Frage, die in die Gegenwart hineinreicht. An der Beantwortung versuchen sich beispielsweise die UN-Kriegsverbrechertribunale. Die rechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen geht dem Ende zu. Verbrechen gegen die Menschlichkeit aber gibt es in der Gegenwart, und, so ist zu befürchten, auch in der Zukunft. Die Botschaft aus München an die Täter, etwa in Syrien und Libyen: Eure Untaten können geahndet werden, selbst wenn Jahrzehnte vergangen sind. Der Rechtsstaat ist bei aller Unvollkommenheit nicht wehrlos.
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General-Anzeiger Bonn
Kai Pfundt
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WDR Westdeutscher Rundfunk
MONITOR: Bundesregierung verhindert Abschiebung mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher aus den USA Grünen-Politiker Winfried Nachtwei bestürzt
09.06.2005 – 13:45
Köln (ots)
Köln - Die Bundesregierung blockiert die Abschiebung
mehrerer ehemaliger SS-Männer aus den USA nach Deutschland, denen das
US- Justizministerium die Beteiligung an NS-Kriegsverbrechen
vorgeworfen hat. Darüber berichtet das ARD-Magazin MONITOR in seiner
heutigen Ausgabe (21.45 Uhr, Das Erste).
Der langjährige stellvertretende Leiter der
Sonderstaatsanwaltschaft des US-Justizministeriums, Jonathan Drimmer,
sagte gegenüber MONITOR: Alle ehemaligen SS-Täter, die aus den USA
zur Abschiebung nach Deutschland anstehen, wurden von Deutschland
angestellt, ausgerüstet und bezahlt. Durch die Weigerung der
deutschen Regierung, diese Leute aufzunehmen, können sich diese
SS-Männer ihrer gerechten Strafe entziehen.
Auch der Leiter der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
in Ludwigsburg, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, hält es für wichtig,
die mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus Amerika auch heute noch
strafrechtlich zu verfolgen: Aus Sicht der Staatsanwaltschaft würde
ich es begrüßen, wenn diese Leute nach Deutschland abgeschoben
würden. Ganz einfach deshalb, weil es unsere Arbeit sehr erleichtern
würde.
Bereits unter den Außenministern Genscher und Kinkel (FDP) hatte
die Bundesrepublik die Aufnahme von Personen verweigert, denen die
US- Regierung aufgrund ihrer Verstrickung in NS-Gräueltaten die
Staatsbürgerschaft entzogen hatte.
Insgesamt sind 100 Personen betroffen. Viele sind bereits in den
USA verstorben. In den USA können Kriegsverbrecher, die ihre Taten in
Deutschland begangen haben, strafrechtlich nicht verfolgt werden.
Der Stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion
Winfried Nachtwei äußerte sich gegenüber MONITOR bestürzt darüber,
dass auch im Auswärtigen Amt der rot-grünen Bundesregierung sich
diese alte Großzügigkeit gegenüber den Tätern offenbar fortsetze.
In Kürze wird die rot-grüne Bundesregierung über einen neuen Fall
zu entscheiden haben. Auch Jakob Jack Reimer, ein Volksdeutscher,
dem in den USA aufgrund seiner verschwiegenen Nazi-Vergangenheit in
letzter Instanz die amerikanische Staatsbürgerschaft entzogen wurde,
soll nach dem Willen der US-Regierung nach Deutschland ausgewiesen
werden.
Die Bundesregierung hat sich gegenüber MONITOR trotz mehrfacher
Anfragen bislang nicht zu den Vorwürfen geäußert.
Rückfragen
Annette Metzinger, WDR-Pressestelle, Telefon 0221/220-2770, -4605
Georg Restle, Redaktion Monitor, CvD, Telefon 0221/220-3124, -3125
https://www.presseportal.de/pm/7899/688455
Kriegsverbrecher in Deutschland - seit 56 Jahren unbehelligt
Do 12.04.2001 | 21:45 | Kontraste
Er ist vermutlich der größte noch lebende Nazi-Kriegsverbrecher: In den Jahren 1944 und 1945 SS-Obersturmbannführer in Genua, 1999 in Italien wegen 246fachen Mordes zu lebenslanger Haft rechtskräftig verurteilt - doch bisher lebte der heute 92-Jährige unbehelligt in Hamburg. Kontraste hat ihn fürs Fernsehen ausfindig gemacht.
Im nächsten Beitrag geht es um Verbrechen, die seit über 50 Jahren bekannt sind. Bekannt ist auch der Täter. Schon 1945 haben die Alliierten ihn auf eine Liste von Kriegsverbrechern gesetzt. Doch Friedrich Engel wurde 90 Jahre alt, ehe sich die deutsche Justiz ernsthaft für ihn interessierte. Es gibt drei Zeugen, die der Staatsanwaltschaft viel zu erzählen hätten. Bloß hat sich die Justiz bei uns bis vor kurzem nicht interessiert.
Grausame Erinnerungen von drei alten Männern. Udo Gümpel und Rene Althammer haben den Mann gefunden, der dafür verantwortlich ist.
Hamburg-Lokstedt, eines der wohlhabenden Wohnviertel der Hansestadt.
Friedrich Engel
"Nee, halten Sie mal weg."
- "Wir sind vom ersten deutschen Fernsehen. Ich würde mit Ihnen gerne über Genua reden."
"Was würden Sie?"
- "Mit Ihnen gerne über Genua reden."
"Nein."
- "Sie sind doch in Italien wegen Genua verurteilt worden."
"Ne, das stimmt nicht, nein, nein. Das stimmt nicht. Wie kommen Sie denn darauf?"
- "Aber Sie sind doch Dr. Siegfried Engel?"
"Nein, Dr. Friedrich Engel."
Doch der Mann, der sich Dr. Friedrich Engel nennt, hat viele Vornamen. Sein vollständiger Name lautet: Dr. Friedrich Wilhelm Konrad Siegfried Engel. Geboren am 03. Januar 1909. Von 1944 bis 1945 war der ehemalige SS-Obersturmbannführer Chef der SS und der Polizei in Genua.
In Italien wurde Engel 1999 wegen zweihundertsechsundvierzigfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Friedrich Engel
"Lassen Sie mich jetzt in Ruhe."
Doch in Deutschland lebt der in Italien verurteilte Mörder völlig unbehelligt. Engel hat eine hier bislang unbekannte Vergangenheit.
Diese drei Männer sind Engel vor mehr als 55 Jahren entkommen. Jeder ist jeweils der einzige Überlebende eines grausamen Massakers.
Franco Diodati ist einer von ihnen.
1945 war er schon einmal hier in diesem kleinen Bergdorf in der Nähe von Genua. Wenige Wochen vor Kriegsende wurden hier 18 Geiseln erschossen. Ein Terrorakt gegen die örtliche Bevölkerung. Die Angehörigen der Ermordeten treffen sich jedes Jahr am Ort des Massakers.
Franco Diodati war eine der Geiseln, die erschossen werden sollten.
19 Jahre war er damals alt, wie durch ein Wunder wurde er bei der ersten Salve nicht getroffen.
Franco Diodati
"Erst die zweite Salve traf mich, hier am Hals. Aber die Kugel durchschlug den Hals glatt, ohne mich tödlich zu verletzen. Doch dann fiel auch ich getroffen zu Boden, mitten zwischen meine Kameraden. Ein meiner Kameraden wälzte sich im Todeskampf noch über mich. Und so hielten sie auch mich für tot."
Franco Diodati erinnert sich noch heute an die Offiziere, die die Erschießung der Geiseln leiteten.
- "War Engel bei dem Massaker dabei?"
Franco Diodati
"Natürlich."
In Deutschland wurde Engel dafür bis heute nicht zur Verantwortung gezogen.
Enio Odino, der Überlebende eines zweiten Massakers.
1944 hatte er sich hier im Kloster Benedicta mit einigen Partisanen versteckt. Im April führten deutsche Truppen hier eine sogenannte Bandenaktion gegen Partisanen durch. Doch die Deutschen fanden vor allem Bauern und Fahnenflüchtige. Der Abschlußbericht der Wehrmacht weist 148 Tote aus. Doch die Deutschen hatten sich verzählt, es waren nur 147, ein Mann hat das Massaker überlebt.
Enio Odino
"Das hier ist der Ort, an dem ich eigentlich erschossen werden sollte. Wir waren zu fünft. Vor uns sind hier bereits über 20 Menschen ermordet worden. Ich habe einfach Glück gehabt, daß man mich nicht mit einem Gnadenschuß endgültig erledigt hat. Ich habe einen meiner Kameraden, der zuvor am Knie verletzt worden war, gestützt. Dieser Freund bekam all die Kugeln ab, die eigentlich für mich bestimmt waren. Dann fiel er über mich und begrub mich unter sich. Ich war überall mit Blut beschmiert. Und so hielt der SS-Mann auch mich für tot."
Engel hat an diesem Militäreinsatz teilgenommen. Als SD-Mann traf er die Entscheidung über Leben und Tod. Dafür, so belegt ein Dokument aus dem Bundesarchiv, wurde er 1945 sogar ausgezeichnet - mit dem Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern.
In der Begründung heißt es unter anderem:
"Im Rahmen eines Unternehmens der 365. Infanterie-Division im Raum Massone hat er eine Einsatzgruppe vom 5.-9.4.44 erfolgreich geführt."
Der Turiner Militärstaatsanwalt Rivello hat Engel auch wegen dieses Massakers vor des mehrfachen Mordes überführt. Nicht wegen der Partisanenbekämpfung, sondern wegen des Mordes an Wehrlosen.
Pier Paolo Rivello, Militärstaatsanwalt Turin
"Ungefähr 150 Personen hatten sich ergeben und waren entwaffnet worden. Dann befahl er, diese Menschen ohne jeden Prozeß einfach erschießen zu lassen."
Raimondo Ricci, er überlebte ein drittes Massaker.
1944 war er in Genua. Er saß im Stadtgefängnis von Marassi. Die SS unterhielt hier einen eigenen Zellentrakt vor allem für politische Gefangene. Aus ihren Reihen wurden immer wieder Opfer für sogenannte Sühnemaßnahmen, zu deutsch: Geiselerschießungen ausgewählt. Verantwortlich: der SS- und Polizeichef von Genua, Dr. Siegfried Friedrich Engel.
Einer der Inhaftierten war der spätere Senator Raimondo Ricci. Auch er kann sich noch gut an den Todes-Engel erinnern.
Senator Raimondo Ricci
"Er galt als besonders hart, grausam. So haben ihn auch alle anderen, die ihn kannten, beschrieben. Er war ein Mann, der nicht delegierte, sondern der es liebte, bei den Aktionen selber das Kommando zu führen."
Am 14. Mai 1944 sollte Ricci durch diesen Wald zum Passo del Turchino geführt und zusammen mit 59 anderen Geiseln erschossen werden. Doch Ricci hatte Glück: die Wachmannschaften vergaßen ihn.
Hier fand das Massaker statt. Grausame Rache für einen Anschlag auf deutsche Truppen. Dieses Dokument aus dem Freiburger Militärarchiv beweist, dass Engel als SD Chef von Genua für diese Mordaktion verantwortlich ist.
"Opfer bei Sprengstoffanschlag Soldatenkino Genua erhöht auf 5 Tote, 15 Verletzte. Sühnemaßnahmen durch S.D. in Vorbereitung."
Pier Paolo Rivello, Militärstaatsanwalt Turin
"Die Opfer wurden in Gruppen zum Erschiessungsort gebracht und mußten auf einem Balken über einen Graben steigen, den jüdische Häftlinge ausgehoben hatten. In dem Graben sahen sie all jene, die schon vorher erschossen worden waren. Doch damit der Grausamkeiten nicht genug. Eine Gruppe von Offizieren aß und trank fröhlich mit Blick auf die Erschiessungen. Das war das Massaker vom Turchino."
17 Monate war Engel in Genua im Amt. Er hinterließ eine Blutspur. In Deutschland wurde er dafür strafrechtlich bisher nicht zur Verantwortung gezogen. Gegenüber deutschen Staatsanwälten verharmloste Engel seine damalige Tätigkeit in Genua schon vor Jahrzehnten:
"Seine Hauptaufgabe in Genua sei es gewesen, politisch beruhigend zu wirken, um die Partisanentätigkeit einzudämmen... aber auch das Bandenunwesen (zu) bekämpfen."
Hinter der angeblichen Bandenbekämpfung verstecken sich mehrere grausame Massaker. Obwohl diese Massaker seit Jahrzehnten bekannt sind, obwohl es Dokumente in deutschen Archiven und Zeugen in Italien gibt, gab es hierzulande kein Strafverfahren gegen Engel. Erst nachdem Zeitungen 1998 über das Verfahren in Italien berichten, leitet auch die zuständige Hamburger Staatsanwaltschaft endlich Ermittlungen ein.
Dabei stieß der Staatsanwalt auf einen ungeheuren Vorgang.
Wolfgang Kuhlmann, Oberstaatsanwalt
"Es hat in den sechziger Jahren ein Verfahren gegeben, das ist eingestellt worden. Dazu kann ich Ihnen aber nicht mehr sagen. Ich bin da auf eine Registereintragung angewiesen, danach ist es eingestellt worden im Jahre 1969."
- "Gibt es diese Akte noch dieses Verfahrens?"
"Die habe ich zur Zeit nicht, ich vermute, dass sie im Archiv liegt, ich hab sie bisher nicht gefunden, aber ich suche weiterhin."
- "Und welche Eintragungen gab es in Sachen Engel, aus welchem Grunde wurde gegen ihn schon ermittelt hier?"
"Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Ja ich hab eine Eintragung, einen Vermerk in einer Akte gefunden, nachdem es auch um die Teilnahme bei Exekutionen in Italien ging."
- "Das heißt also, es wurde schon einmal wegen Erschießungen gegen ihn ermittelt?"
"Offensichtlich."
Aber ohne Ergebnis.
Dr. Friedrich Engel trägt die Verantwortung für 246 Morde. Er ist einer der größten lebenden deutschen Kriegsverbrecher. 56 Jahre wohnte er ungeschoren mitten in Hamburg. Seit drei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ob Engel seinen Prozeß noch erleben wird, ist fraglich.
Franco Diodati will keine Rache, aber Gerechtigkeit. Darauf wartet er seit 56 Jahren.
Friedrich Engel braucht nicht damit zu rechnen, nach Italien ausgeliefert zu werden. Ein deutscher Staatsbürger ist vor Auslieferung geschützt, auch wenn er in einem anderen Land rechtskräftig verurteilt wurde.
In diesen Tagen ist bei uns viel von Rechtssicherheit die Rede. Auch Franco Diodati, Enio Odino und Raimondo Ricci würden sich bestimmt gerne darauf verlassen, dass auch sie in der Bundesrepublik damit rechnen können.
Stand vom 12.04.2001
https://www.rbb-online.de/
Vor 75 Jahren: Das Massaker von Oradour-sur-Glane
07.06.2019 /
Am 10. Juni 1944 töteten Angehörige der SS-Division "Das Reich" im französischen Dorf Oradour-sur-Glane 642 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Die Mehrzahl der Täter wurde nie zur Verantwortung gezogen.
In Deutschland ist das zentralfranzösische Dorf Oradour-sur-Glane vielen Menschen kein Begriff. In Frankreich dagegen kennt den Ort fast jeder: Hier verübten Soldaten der Waffen-SS am 10. Juni 1944 ein Massaker an der unbewaffneten Zivilbevölkerung. 642 Dorfbewohner wurden ermordet, unter ihnen 245 Frauen und 207 Kinder. Es war ein durch die Nationalsozialisten als "Vergeltungsaktion" bezeichneter Massenmord als Reaktion auf den wachsenden französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung.
Massaker in Tulle und Oradour-sur-Glane
Am 6. Juni 1944 waren alliierte Streitkräfte in der Normandie gelandet (Interner Link:D-Day). Die in Südwestfrankreich stationierte 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" wurde deshalb nach Norden verlegt. Auf ihrem Weg zur Front begingen die SS-Männer mehrere Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
In der Stadt Tulle erhängten Mitglieder der Einheit am 9. Juni 1944 99 Zivilisten. Dort hatten sich in den Tagen zuvor Partisanen gegen die deutschen Besatzer zur Wehr gesetzt. Sowohl deutsche Soldaten als auch französische Widerstandskämpfer fielen in den Kämpfen. Der französische Widerstand erhoffte sich nach dem D-Day eine landesweite Signalwirkung von den Guerilla-Aktionen gegen die Deutschen. Die deutschen Besatzer antworteten mit brutaler Gewalt.
Einen Tag später erreichte die SS-Division den Ort Oradour-sur-Glane. Der Offizier Adolf Diekmann ließ die Bewohner auf dem Marktplatz zusammentreiben. Die Männer wurden in fünf Gruppen unterteilt und in Scheunen eingesperrt. Dort eröffneten SS-Angehörige das Feuer auf sie, danach wurden die Scheunen in Brand gesetzt. Frauen und Kinder wurden in die Dorfkirche gesperrt. Die Soldaten zündeten eine Rauchbombe am Altar. Als einige der Eingeschlossenen versuchten, sich vor dem beißenden Qualm in Sicherheit zu bringen, wurden sie erschossen. Anschließend wurde das Kirchengebäude in Brand gesteckt.
Nur wenige Einwohner von Oradour überlebten. Nach dem Massaker plünderten die SS-Soldaten die Wohnhäuser und steckten das Dorf in Brand. Die Überreste des alten Dorfes wurden nach dem Krieg als Mahnmal erhalten. Der Ort wurde in den 1950er-Jahren in direkter Nähe neu aufgebaut.
Unzureichende juristische Aufarbeitung
Kaum ein Verantwortlicher wurde für das Massaker in Oradour juristisch zur Verantwortung gezogen. Zu einem größeren Prozess kam es lediglich 1953 vor einem Militärgericht in Bordeaux, als 21 SS-Angehörige – sieben aus Deutschland und 14 aus dem Elsass – zu langjährigen Haftstrafen beziehungsweise zum Tode verurteilt wurden. Im Elsass sorgte das Urteil für einen Eklat, weil die SS dort junge Männer zwangsrekrutiert hatte. Deshalb wurden die elsässischen Täter von der französischen Nationalversammlung amnestiert. Auch die deutschen Täter wurden bis 1959 aus französischer Haft entlassen.
Adolf Diekmann, der die Mordaktion als Sturmbannführer befahl, starb am 29. Juni 1944 bei Kämpfen in der Normandie. Heinz Lammerding, der als Generalleutnant hauptverantwortlich für die Massaker der SS-Division "Das Reich" war und in dessen Verantwortungsbereich die Massaker in Tulle und Oradour fielen, tauchte nach dem Krieg bis 1958 unter. In Abwesenheit wurde er von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt. Anschließend lieferte ihn Deutschland aber nicht an Frankreich aus. In Deutschland kam es zu keinem gerichtlichen Verfahren gegen Heinz Lammerding. Denn der zwischen Deutschland und den Westmächten geschlossene Überleitungsvertrag sah vor, dass Kriegsverbrecher, die bereits von den Alliierten verurteilt wurden, nicht mehr von einem deutschen Gericht belangt werden konnten. Heinz Lammerding arbeitete als Bauunternehmer in Düsseldorf und starb 1971.
Erst 1975 wurde ein Zusatzabkommen zum Überleitungsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich ratifiziert, das Ermittlungen der westdeutschen Justiz im Falle bereits bestehender französischer Urteile möglich machte. Die Vereinbarung wurde in den Medien als "Lex Klarsfeld" bezeichnet: Das deutsch-französische Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld hatte in den Jahren zuvor unermüdlich darauf hingewiesen, dass viele Kriegsverbrecher in Westdeutschland unbehelligt blieben. Tatsächlich machte das Zusatzabkommen neue Prozesse möglich, zum Beispiel gegen den Gestapo-Juristen Kurt Lischka. Für die Haupttäter von Oradour kam es jedoch zu spät.
Verurteilung in der DDR
In der DDR wurde ein Täter vor Gericht gestellt: SS-Obersturmführer Heinz Barth war am Massaker in Oradour beteiligt und wurde 1983 zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde 1997 wegen seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Gefängnis entlassen und starb 2007.
Zuletzt hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund im Jahr 2014 Anklage gegen einen Mann erhoben, der an dem Massaker in Oradour beteiligt gewesen sein soll. Zu einen Prozess kam es nicht. Das Landgericht Köln hatte die Eröffnung eines Verfahrens mangels Beweismitteln abgelehnt.
Erinnerung in Frankreich und Deutschland
Im Jahr 1999 eröffnete der französische Staatspräsident Jacques Chirac eine neu gestaltete Mahn- und Gedenkstätte in Oradour. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt besuchte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck im Jahr 2013 die Mahn- und Gedenkstätte in Oradour. In seiner Rede sagte er: "Wenn ich heute in die Augen derer blicke, die von diesem Verbrechen gezeichnet sind, kann ich hier in Oradour sagen: Ich teile die Bitterkeit darüber, dass Mörder nicht zur Verantwortung gezogen wurden, dass schwerste Verbrechen ungesühnt blieben. Sie ist meine Bitterkeit."
https://www.bpb.de/
Die Ahndung von NS- und Kriegsverbrechen in der SBZ/DDR
Dr. habil. Jörg Echternkamp
08.09.2015
Die Strafverfolgung der NS-Verbrecher verlief in Ostdeutschland im Spannungsfeld zwischen politischer "Säuberung" und willkürlichem Terror, zwischen der Ahndung von NS-Verbrechen und der Sowjetisierung Ostdeutschlands, zwischen Geheimhaltung und Propaganda im Ost-West-Konflikt. Bis heute ist dieses unübersichtliche Kapitel der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte in der Öffentlichkeit wenig bekannt.
In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR wurden die NS-Täter systematisch aufgespürt, gemäß ihrer individuellen Schuld bestraft und aus gesellschaftlichen Positionen radikal entfernt – diesen Eindruck vermittelte zumindest die SED-Führung gerne. Tatsächlich verlief die Strafverfolgung in Ostdeutschland im Spannungsfeld zwischen politischer "Säuberung" und willkürlichem Terror, zwischen der Ahndung von NS-Verbrechen und der Sowjetisierung Ostdeutschlands, zwischen Geheimhaltung und Propaganda im Ost-West-Konflikt. Bis heute ist dieses unübersichtliche Kapitel der ostdeutschen Nachkriegsgeschichte in der Öffentlichkeit wenig bekannt.
Zuständig für die Verfolgung von Kriegsverbrechen waren zunächst die Sowjetischen Militärtribunale (SMT). Auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 hatte auch die sowjetische Besatzungsmacht Militärgerichte eingerichtet. Die SMT waren mit besonderen Vollmachten ausgestattet; ihre Verhandlungen fanden mit wenigen Ausnahmen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Militärgerichte unterstanden der am 9. Juni 1945 eingerichteten Sowjetischen Militäradministration (SMAD), der wiederum auf Länder- und Kreisebene die Sowjetischen Militärabteilungen (SMA) unterstellt waren. Die Geheimpolizei NKVD schreckte nicht davor zurück, Verdächtige zu foltern, um sie zu Geständnissen zu zwingen. Da in der DDR formell bis 1955 der Kriegszustand herrschte, wandte die Besatzungsmacht sowohl sowjetisches als auch deutsches Recht an. Zwar spielten für die Strafverfolgung in der frühen Nachkriegszeit auch deutsche Gerichte eine Rolle. Doch die von der SMAD abhängige Deutsche Zentralverwaltung für Justiz (DJV) spielte eine Nebenrolle; sie verurteilte bis Ende 1947 lediglich 744 Personen. Zu den bekanntesten Verfahren auf deutscher Seite bis August 1947 zählen der Dresdner Juristenprozess und der Dresdner Ärzteprozess, in dem es um Euthanasie-Verbrechen ging. Im Vordergrund der Strafverfolgung stand die Besatzungsmacht. Um den Vormarsch der Roten Armee zu sichern und die Verschleppung von Arbeitskräften in die Sowjetunion zu organisieren, hatten die Geheimdienste in der Endphase des Krieges hinter der Front "Speziallager" errichtet. Bis in den April 1945 dauerten die Zwangsrekrutierungen. In der SBZ entstand schließlich ein System von zehn Speziallagern und drei Gefängnissen. Bis 1948 bestanden die Speziallager in Mühlberg (Nr. 1), Hohenschönhausen (Nr. 3), Ketschendorf/Fürstenwalde (Nr. 5), Jamlitz (Nr. 6), Torgau (Nr. 8) und Fünfeichen (Nr. 9); bis 1950 existierten – mit neuer Nummerierung – drei Speziallager: Sachsenhausen (Nr. 1), Buchenwald (Nr. 2) und Bautzen (Nr. 3). Drei Monate nach Kriegsende hatte der NKVD nördlich Berlins ein Speziallager auf dem Gelände des ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslagers Sachsenhausen eingerichtet; von den Vernichtungsanlagen abgesehen, wurden die meisten Gebäude weiter benutzt. Zur gleichen Zeit waren auch die Gebäude des KZ Buchenwald nahe Weimar für ein Speziallager umfunktioniert worden.
Die Häftlinge setzten sich aus zwei Gruppen zusammen: den Internierten und den SMT-Verurteilten. Zum einen wurden Männer und Frauen interniert, die 1945/1946 verhaftet worden waren, weil sie einer NS-Organisation angehörten oder verdächtigt wurden, durch "Werwolf"-Tätigkeit oder Spionage im Untergrund für das NS-Regime zu kämpfen. Der Geheimdienst NKVD hatte die Verdächtigen ohne Gerichtsverfahren in die Lager verbracht. Betroffen waren neben ehemaligen Funktionären der NSDAP wie Block- und Zellenleitern, Angehörigen der Gestapo und des Sicherheitsdienstes der SS (SD) auch Angehörige des NS-Verwaltungsapparats sowie Personen, Männer zumeist, die keine Funktion für das NS-Regime ausgeübt hatten. Nicht hohe NS-Funktionäre, sondern die weniger belasteten "kleinen Parteigenossen" machten die Mehrheit der Internierten aus. Für die Inhaftierung reichte in der Regel der Verdacht. Der Nachweis eines individuellen Straftatbestandes war nicht erforderlich. Angehörige von SS und SA sowie das Gefängnis- und KZ-Personal dagegen wurden gemäß dem NKVD-Befehl Nr. 00315 zumeist in ein Kriegsgefangenenlager in der UdSSR gebracht. "Internierte" bildeten bis 1948, als 28.000 von ihnen entlassen wurden, die Mehrheit der Häftlinge. Ausschließlich Internierte befanden sich zum Schluss in Buchenwald.
Zum anderen saßen in den Speziallagern Menschen ein, die ein sowjetisches Militärtribunal (SMT) zu häufig langjährigen Haftstrafen verurteilt hatte. Die Militärtribunale, die sowohl der Roten Armee als auch dem Innenministerium oder dem Geheimdienst zugeordnet sein konnten, fällten bis 1955 Urteile gegen Deutsche. Anklage wurde zunächst nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 und der Direktive Nr. 38 wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" erhoben. Zugleich gerieten Gegner der sowjetischen Besatzungsmacht nach sowjetischem Strafrecht ins Visier. Ab 1947 mehrten sich die Fälle, in denen Menschen wegen ihrer (vermeintlichen) Kritik an der politischen und gesellschaftlichen Neuordnung der SBZ eingewiesen wurden. Als die Speziallager Anfang 1950, im Zusammenhang mit der Gründung der DDR, aufgelöst wurden, stellten die SMT-Verurteilten die Mehrheit. Nur 5.500 von ihnen wurden entlassen. Rund 10.000 Verurteilte fanden sich im Strafvollzug der DDR wieder, während einige ihre Haft in der Sowjetunion fortsetzen mussten. Auch die Justizvollzugsanstalt Waldheim nahe Chemnitz, die bereits im "Dritten Reich" als Zuchthaus für politische Häftlinge gedient hatte, wurde mit Speziallagerhäftlingen belegt. Die "Waldheimer Prozesse" (21.4.-29.6.1950), in denen mutmaßliche Kriegsverbrecher und NS-Täter in über 3400 Schnellverfahren von nur wenigen Minuten Dauer verurteilt wurden – 24 Todesurteile wurden vollstreckt –, gelten bis heute als Beispiel einer politischen Justiz, die das Recht beugte, um Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht zu legalisieren. Insgesamt wurden rund 15 Prozent der deutschen Lagerinsassen zur Zwangsarbeit in die UdSSR verbracht, vor allem in den Raum Karaganda (Kasachstan) und Swerdlowsk (Ural). Während die meisten 1949 zurückkehrten, blieb dies einer Minderheit bis 1956 verwehrt.
Todesurteile gegen Deutsche verhängten die SMT in 3.301 Fällen: 2.542 wurden vollstreckt, viele in Moskau. Bis 1947 ging es vor allem um die juristische Ahndung von Verbrechen aus der NS-Zeit; von 1950 bis 1953 – zwischenzeitlich war die Todesstrafe ausgesetzt – stand die Verfolgung widerständiger Tätigkeit gegen die Sowjetisierung im Mittelpunkt. Insgesamt ist beinahe jeder dritte deutsche Häftling an Hunger oder Krankheit ums Leben gekommen.
Die vagen Haftkriterien und die Unmöglichkeit der rechtlichen Überprüfung öffneten der Willkür des sowjetischen Geheimdienstes Tür und Tor. Schon wegen dieses Mangels an Rechtsstaatlichkeit wäre es irreführend, hier von sowjetischer Entnazifizierung zu sprechen, als käme das Verfahren der Internierungspraxis in den westlichen Besatzungszonen gleich. Die Speziallager lassen sich weder nur als Einrichtungen zur Bestrafung von NS-Tätern betrachten noch nur als Mittel zur Sowjetisierung der SBZ/DDR nach dem Vorbild des GULags. Sie bildeten vielmehr eine Mischform, in der die sowjetische Machtpolitik den ursprünglichen Zweck der Entnazifizierung in den Hintergrund drängte. Ohnehin hielt sich die Aufarbeitung des Nationalsozialismus im Sinne einer Umerziehung in Grenzen. Manchen ehemaligen NS-Funktionär mochte die Lagererfahrung in seinem Antikommunismus bestärkt haben. Wenn in der DDR über NS-Verbrechen geredet wurde, dann über die der anderen. Faschisten – das waren die Westdeutschen; die Antifaschisten lebten in der DDR. So lautete die Kurzformel des antifaschistischen Mythos der DDR, die ihr Feindbild auf die Bundesrepublik projizierte. Die Zahl der verurteilten NS-Verbrecher nahm denn auch in den 1950er Jahren ab, am Ende des Jahrzehnts galt die Verfolgung in den Augen der SED-Führung als abgeschlossen.
1965, zur Zeit des ersten Auschwitz-Prozesses in Frankfurt am Main, wurde in der DDR der ehemalige Lagerarzt im KZ Auschwitz III, dem Arbeitslager der I.G. Farben, verhaftet. Am 25. März 1966 befand das Oberste Gericht der DDR Horst Fischer für schuldig, für die Ermordung mehrerer tausend Menschen in Auschwitz-Birkenau und Buna/Monowitz mitverantwortlich zu sein; Fischer wurde in der Justizvollzugsanstalt Leipzig hingerichtet. Die DDR-Justiz zielte mit dem Schauprozess darauf, die Industrie zu belasten, namentlich die Nachfolgeunternehmen des I.G. Farben Konzern in der Bundesrepublik. Das Besondere der Strafverfolgung in der DDR lag zum einen in der zentralen Bedeutung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), an dessen Spitze ab 1957 Erich Mielke stand. Das MfS beschaffte belastendes Material jenseits rechtsstaatlicher Regularien. Zum anderen richtete sich die Strafverfolgung nach Nützlichkeitserwägungen. Ob ein NS-Täter angeklagt wurde oder nicht, hing vor allem davon ab, ob es politisch opportun erschien. Einen Verfolgungszwang gab es dagegen nicht. Einerseits stellte die SED mit Hilfe des MfS die Bundesrepublik an den Pranger, indem sie dort lebende NS-Täter entlarvte (während sie zugleich Rechtshilfegesuche verweigerte), oder ließ Prozesse führten, um ihre eigene Entschlossenheit zu demonstrieren. Andererseits wurden Ermittlungen gegen NS-Verbrecher gestoppt, wenn der Ruf angesehener Persönlichkeiten oder des Staates in Gefahr schien. Zudem nutzte das MfS überführte, aber nicht angeklagte NS- und Kriegsverbrecher als Informanten und Agenten. Die DDR betrieb so eine "geheime Vergangenheitspolitik". Erst nach dem Zusammenbruch der DDR konnte über die Strafverfolgung und die Speziallager öffentlich geredet werden.
Weil sie als Symbol für das totalitäre Regime in Ostdeutschland galten, hatten antikommunistische Organisationen in der Bundesrepublik, die Kirchen und Institutionen der Wohlfahrt die Lager in den ersten Jahren genau beobachtet. In der (west-) deutschen Öffentlichkeit wurden die Speziallager regelmäßig mit den Konzentrationslagern der NS-Zeit in einem Atemzug genannt. Der Vergleich, der wegen der Nutzung ehemaliger KZs besonders eindringlich war, wirkte im frühen Kalten Krieg als ein moralisches Druckmittel. Seit den frühen 1950er Jahren verebbte das Interesse jedoch. Wie in der DDR finden sich auch in der Bundesrepublik keine Erinnerungsspuren dieser Nachkriegsverfolgung, weder in Dokumentationen noch etwa in der Belletristik. Erst seit den 1990er Jahren werden ihre Geschichten erforscht, die Namen der Toten benannt und Grabstätten als Friedhöfe gestaltet. Der NKVD hatte die Toten – allein in Hohenschönhausen rund 1000 – in anonymen Massengräbern verscharrt; viele haben bis heute keine würdige Ruhestätte gefunden. Dass NS-Täter nach 1945 in einem rechtswidrigen Speziallager auch Opfer waren, heizte die Konkurrenz zwischen NS-Opfern und stalinistisch Verfolgten an und erschwerte insbesondere die Gestaltung von "Gedenkstätten mit doppelter Vergangenheit".
Weiterführende Literatur
Bettina Greiner, Verdrängter Terror. Geschichte und Wahrnehmung sowjetischer Speziallager in Deutschland, Hamburg 2010.
Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheitspolitik der DDR, 3. Aufl. Göttingen 2007.
Christian Meyer-Seitz, Die Verfolgung von NS-Straftaten in der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin 1998.
Sergej Mironenko u.a. (Hrsg.), Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945–1950. Bd. 1: Studien und Berichte. Akademie Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-05-002531-X; Bd. 2: Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, Berlin 1998.
Peter Reif-Spirek, Bodo Ritscher (Hrsg.), Speziallager in der SBZ. Gedenkstätten mit doppelter Vergangenheit, Berlin 1999.
Bodo Ritscher u.a. (Hrsg.), Das sowjetische Speziallager Nr. 2 1945-1950. Katalog zur Dauerausstellung in Buchenwald, Göttingen 1999.
Christiaan F. Rüter/Dick W. de Mildt (Hrsg.), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung (west-) deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, 1945–2012. 49 Bde., Amsterdam, München 1968–2012.
Christiaan F. Rüter/Dick W. de Mildt (Hrsg.), DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung (ost-)deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, 1945–1998. 14 Bde., Amsterdam, München 2002–2009.
Clemens Vollnhals, Jörg Osterloh (Hrsg.), NS-Prozesse und deutsche Öffentlichkeit. Besatzungszeit, frühe Bundesrepublik und DDR, Göttingen 2011.
Andreas Weigelt u.a. (Hg.), Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947). Eine historisch-biographische Studie, Göttingen 2015.
Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigung 1949–1969, München u. a. 2002.
Hermann Wentker, Die juristische Ahndung von NS-Verbrechen in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR, in: Kritische Justiz 35 (2002), S. 60–78.
https://www.bpb.de/
Vor 40 Jahren
Als der Düsseldorfer Majdanek-Prozess endete
Mit der Urteilsverkündung endete am 30. Juni 1981 der Düsseldorfer Prozess um den 250.000-fachen Mord im deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. Medial zuvor kaum beachtet, war das Entsetzen über die milden Urteile groß.
Von Bernd Ulrich | 30.06.2021
„Im Düsseldorfer Prozess um die Ermordung von mindestens 250.000 Häftlingen im ehemaligen Konzentrationslager Majdanek wurden heute die Urteile gesprochen. Die Urteile lagen deutlich unter den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft, deshalb gab es im Publikum lautstarke Proteste.“
So die erste Meldung in der „Tagesschau“ am 30. Juni 1981. Eines der längsten Verfahren wegen deutscher Gewaltverbrechen hatte sein Ende gefunden. Die Urteile gegen die neun Angeklagten lauteten: ein Freispruch, sieben Haftstrafen zwischen drei und zwölf Jahren wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord und einmal lebenslänglich.
820.000 Paar Schuhe
Einer Angeklagten, als brutale, vor allem auch gegenüber Kindern grausame Aufseherin berüchtigt, konnten zwei Morde konkret nachgewiesen werden. Zwei Morde von mindestens einer Viertelmillion im deutschen Konzentrationslager Majdanek nahe Lublin, begangen vom SS-Lagerpersonal. Wahrscheinlich gab es noch mehr Opfer. Die Rote Armee, die Majdanek am 22. Juli 1944 als erstes deutsches Vernichtungslager befreite, konnte 820.000 Paar Schuhe, Lieferlisten über 730 Kilo Menschenhaar und Pässe aus 26 Staaten sicherstellen. Der den Prozess begleitende Journalist Heiner Lichtenstein hat beschrieben, was es hieß, in Majdanek ermordet zu werden:
„In Majdanek wurden am 3. November 1943, an einem einzigen Tag also, 17.000 Menschen erschossen, weil sie Juden waren. In Majdanek mussten jüdische Kinder in einer Sonderbaracke warten, bis die Gaskammern frei waren. In Majdanek wurden Menschen am Galgen erdrosselt, weil sie bei der Arbeit vor Erschöpfung eingeschlafen waren.“
Verständlicherweise fiel es den Überlebenden schwer, nach so vielen Jahren einzelne Täterinnen und Täter zu identifizieren. Die penetrante Befragung der Opfer tat ein Übriges. Eine Zeugin:
„Es ist sehr schwer, nach so viel Jahren alle die Mörder anzuschauen und auch solche Fragen zu beantworten, ob ich bin zur Arbeit rechts oder links rausgegangen oder hier ist so gestanden und das ist so gestanden, weil im Laufe von so viel Jahren kann jeder vergessen, man vergisst das.“
Trotz der schwierigen Beweislage schien es notwendig – nach den damals noch geltenden Regeln des deutschen Strafgesetzbuches – jedem Angeklagten einen konkreten Tatbeitrag und persönliche Schuld nachzuweisen.
1969 – Als die Verjährung für Völkermord aufgehoben wurde
Nach deutschem Recht verjähren Straftaten wie Mord und Völkermord nach ursprünglich 20 Jahre. Damit wären spätestens 1965 alle bis dahin noch nicht verurteilten NS-Verbrecher straffrei davongekommen. Dank der Aufhebung der Verjährung können sie bis heute belangt werden.
Ganz so, als wären die teils tausendfachen Mordtaten in den Lagern so zu behandeln wie ein Einzelmord. Dabei belegten die RAF-Prozesse jener Jahre, dass die Justiz durchaus in der Lage war, die bloße Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation für eine Verurteilung heranzuziehen. Der Einzeltatnachweis führte jedenfalls zu einer recht diffusen Lage, die namentlich die rechtsradikal gesinnten Verteidiger zu nutzen wussten. Einen der schlimmsten unter diesen Juristen, den Mannheimer Anwalt Ludwig Bock – er sollte später wegen „Volksverhetzung“ rechtskräftig verurteilt werden – hat Heiner Lichtenstein so charakterisiert:
„Für Ludwig Bock kann ein Historiker dann nicht zum Sachverständigen vor Gericht geladen werden, wenn dieser bei einem jüdischen Wissenschaftler promoviert hat, und die Verbrechen der Nazis Mord nennt. Andererseits besteht für Bock der Verdacht der Mordbeihilfe, wenn ein wehrloser Häftling im Lager in höchster Gewissensnot das todbringende Zyklon-B vom Magazin zur Gaskammer gebracht hat. Eine polnische Zeugin, die das in Majdanek tun musste, wollte er in Düsseldorf festnehmen lassen.“
Die Staatsanwaltschaft hatte weit höhere Strafen gefordert
Von solchen und weiteren skandalösen Vorgängen erfuhr die westdeutsche Öffentlichkeit so gut wie nichts. Das mediale Interesse blieb bis auf den Beginn und das Ende des Prozesses eher gering. Dann aber war das Entsetzen über die milden Urteile groß. Staatsanwalt Dieter Ambach hatte als einer der Anklagevertreter viel höhere Strafen gefordert. Kurz nach der Urteilsverkündung gab er zu Protokoll:
„Ich hatte stellenweise nach alledem, was wir gehört hatten über diese Taten und über diese Täter kein Verständnis dafür, bei diesen Personen nur eine Beihilfe anzunehmen und zu einer zeitigen Freiheitsstrafe zu kommen. So erging es auch einem Großteil der Zuhörer. Ich hatte Verständnis für diese Empörung.“
Jurist Jens Rommel – „Das deutsche Strafrecht war für Massenverbrechen nicht geeignet“
Nach Ansicht von Jens Rommel, Leiter der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, hat es in der deutschen Justiz lange große Zurückhaltung gegeben, alle NS-Verbrecher angemessen zu verurteilen.
Im historischen Urteil gegen John Demjanjuk von 2011, zwangsverpflichtet als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, wurde erstmals ein Täter ohne konkreten Tatnachweis verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass jeder im Lager Beschäftigte ein Mordhelfer war. So weit war die bundesdeutsche Rechtsprechung im Jahr 1981 noch nicht.
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AUFARBEITUNG VON NAZI-VERBRECHEN
Vor 40 Jahren: Urteile im Majdanek-Prozess
Es war einer der größten deutschen NS-Prozesse. Am Ende fällte das Landgericht Düsseldorf umstrittene Urteile gegen frühere SS-Wachen und Aufseherinnen des Konzentrationslagers Majdanek.
30.06.2021
474 Tage lang wurde vor dem Landgericht Düsseldorf verhandelt, rund 350 Zeugen aus dem In- und Ausland angehört: Das Gerichtsverfahren um die NS-Verbrechen im Konzentrationslager Majdanek war eines der aufwendigsten und aufsehenerregendsten Deutschlands.
Eine Verhandlung, die emotional aufwühlte. "Das war der schwerste Prozess meiner Karriere. Am schlimmsten waren die Grausamkeiten, die wir uns anhören mussten. Von Opfern und von Tätern. Das war eine enorme Belastung", so erinnert sich der Pflichtverteidiger Lothar Lindenau später in einem Zeitungsbericht.
Nur eine lebenslängliche Freiheitsstrafe
Das Gerichtsverfahren begann am 26. November 1975. Ein breites öffentliches Interesse und Demonstrationen begleiteten die Verhandlungen. Nach fast sechs Jahren endete der Prozess am 30. Juni 1981 mit einer zehneinhalbstündigen Urteilsverkündung.
Nur acht der 15 Angeklagten wurden verurteilt: Eine ehemalige KZ-Aufseherin bekam lebenslänglich wegen gemeinschaftlichen Mordes. Eine weitere frühere Aufseherin sowie sechs SS-Wachen wurden wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord mit Gefängnis zwischen drei bis zwölf Jahren bestraft.
Majdanek-Prozeß in Düsseldorf
Dicht gedrängt stehen Pressefotografen vor der Anklagebank, wo sich Ex-Lagerführer Hermann Hackmann (2.v.l.) mit seinem Anwalt unterhält: Hackmann wird mit 10 Jahren Haft bestraft
Die Urteile standen zum Teil unter heftiger Kritik. Gemessen an den schweren Tatvorwürfen erschien das Strafmaß vielen Beobachtern aus dem In- und Ausland als empörend gering. Schließlich hatte die Staatsanwaltschaft den Angeklagten unter anderem die Beteiligung an organisierten Massentötungen zur Last gelegt.
Wie etwa an der sogenannten 'Kinderaktion' von Mai bis September 1943, wo Kinder vor den Augen der Mütter verladen und in die Gaskammer geschickt wurden. Oder wegen der sogenannten 'Aktion Erntefest' Anfang November 1943, bei der an einem Tag rund 18.000 Jüdinnen und Juden bei Massenerschießungen ermordet wurden.
Nach jüngsten Schätzungen kamen rund 80.000 Menschen aus verschiedenen Teilen Europas in Majdanek ums Leben. Internierte Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, Behinderte, Oppositionelle, sowjetische Kriegsgefangene – sie wurden fast alle vergast, erschossen, totgeschlagen, verbrannt. Oder sie gingen an Erschöpfung und Krankheiten zu Grunde. Im Juli 1944 befreiten sowjetische Truppen das NS-Konzentrationslager nahe Lublin. Hitler-Deutschland hatte die polnische Stadt wie den Rest des Landes während des Zweiten Weltkriegs besetzt.
Den Opfern eine Stimme geben
215 KZ-Überlebende schilderten in dem Düsseldorfer Mammutprozess eindrücklich die erlebten Grausamkeiten. Sie erzählten ihre Geschichte, gaben den Toten eine Stimme. "Unsere Aufgabe im Lager war es, geschlagen, getreten und gedemütigt zu werden, wir durften arbeiten und hungern. Was war Montag, Sonntag, Juli oder August? Wir haben doch gelebt wie die Tiere in den Lagern", erzählte eine Zeugin vor Gericht, festgehalten in einer Dokumentation der Erinnerungsstätte "Memorium Nürnberger Prozesse".
Zweiter Weltkrieg | KZ Lublin-Majdanek in Polen, 1944
Anfang November 1943 waren bei der 'Aktion Erntefest' 43.000 Juden aus drei Konzentrationslagern von der SS erschossen worden - die Gräben, in denen die Opfer für die Massenerschießungen getrieben wurden, hatten sie vorher selbst ausheben müssen
"In der Gesellschaft hat der medial sehr präsente Prozess das Bewusstsein von den deutschen Verbrechen, vor allem im besetzten Osteuropa, nochmal vertieft. Er führte vor Augen, dass es jenseits von Auschwitz, was ja das bekannteste Vernichtungslager war, noch andere Lager gegeben hat, in denen Menschen aus vielerlei Ländern ermordet und gequält wurden", sagt Markus Roth vom Fritz-Bauer- Institut zur Geschichte und Wirkung des Holocausts im DW-Gespräch.
Wie in anderen Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen war es schwierig, die Täter mit den Mitteln des damaligen deutschen Strafrechts zu überführen. Für das Gerichtsverfahren hatten deshalb die Aussagen der Überlebenden zentrale Bedeutung. "Weil es nach damaliger Rechtsprechung immer darum ging, dass mit einzelnen Beschuldigten immer konkrete Taten verbunden werden müssen, um eine Verurteilung überhaupt ermöglichen zu können", sagt Markus Roth.
Urteil Majdanek-Prozess 1979 Proteste
Proteste vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Freisprüche im Majdanek-Prozess
Wie der Historiker weiter erklärt, waren die Aussagen auch insofern wichtig, "weil die schriftliche Überlieferung lückenhaft war, weil die SS vieles vernichtet hat. Und einzelne Taten natürlich nicht dokumentiert waren, auch gar nicht dokumentiert werden sollten", so Roth.
Hinzu kam die schleppende systematische Aufklärung der NS-Verbrechen deutscher Behörden. Dabei fanden die beiden ersten Verfahren zu den NS-Verbrechen in Majdanek bereits 1944 und 1948 statt - allerdings im polnischen Lublin. Erst rund 30 Jahre später wurden die Taten vor einem deutschen Gericht juristisch aufgearbeitet. Der große zeitliche Abstand zu den Taten erschwerte die Beweiserhebung.
Majdanek, Vernichtungslager in Polen
Im Konzentrationslager Majdanek mussten die Häftlinge eng zusammengepfercht auf Holzpritschen liegen
Man müsse bedenken, dass das gesellschaftliche Interesse nach dem Krieg nicht sonderlich ausgeprägt gewesen sei, "die Verbrechen der Nationalsozialisten - also in gewissem Grade die eigenen Verbrechen - aufzuklären", erklärt Roth. Denn die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sei in weiten Teilen die gleiche gewesen, "die noch vor 1945 das NS-Regime getragen hat. Das gilt auch für die Justiz und die Polizei als genau diejenigen Organe, die solche Verbrechenskomplexe hätten ermitteln müssen", so der Mitarbeiter vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main.
Polen | Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek
Die Häftlingsbarracken im ehemaligen KZ Lublin-Majdanek
Nach einer kurzen Übergangsphase in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als die Alliierten die Aufklärung angetrieben hätten, seien die Ermittlungen in den Fünfzigerjahren fast ganz zum Erliegen gekommen. "Erst gegen Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre, unter anderem mit dem Auschwitz-Prozess in Frankfurt 1963 bis 65, kam eine breite, systematische Ermittlung der Verbrechen wieder in Gang", sagt Roth.
Frauen als NS-Verbrecherinnen
Ebenso rückte der Majdanek-Prozess die Tatsache ins Blickfeld, dass Frauen als Täterinnen im Holocaust aktiv waren. Eine der Hauptangeklagten war die Österreicherin Hermine Braunsteiner-Ryan. Eine besonders brutale und gefürchtete Aufseherin. Sie wurde 'Schindermähre' oder 'Stute von Majdanek' genannt, weil sie mit ihren eisenbeschlagenen Stiefeln Häftlinge trat und mit der Peitsche auf sie einschlug. Braunsteiner-Ryan zeigte vor Gericht wie die anderen Beschuldigten kaum eine Regung, keine Reue. Sie bezeichnete sich als "kleines Rad im Getriebe".
SS-Aufseherin Hermine Ryan
Die ehemalige KZ-Aufseherin Hermine Braunsteiner-Ryan berät sich mit ihren Anwälten
Das Gericht verurteilte Braunsteiner-Ryan zu zweimal lebenslänglicher Haft: wegen Selektion mit Mord an 80 Menschen, Beihilfe zum Mord an 102 Menschen ('Kinderaktion') und Selektion mit gemeinschaftlichem Mord an 1000 Menschen. Nachdem sie 1996 wegen ihres schlechten Gesundheitszustands begnadigt wurde, verstarb sie 1999 als Achtzigjährige in Bochum.
Automatische Verantwortung für KZ-Verbrechen
Trotz seiner Mängel setzte der Majdanek-Prozess und ähnliche Verfahren vieles in Bewegung. Die deutsche Gesellschaft schaute selbstkritischer auf ihre Vergangenheit und schärfte ihre juristischen Waffen.
"Die großen Auschwitz-Prozesse und der Majdanek-Prozess waren natürlich Verfahren, die sehr stark in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Es war allerdings so, dass konkrete Taten angeklagt waren. 30 Jahre später, mit dem Urteil über den ehemaligen Wachmann des KZ Sobibor, John Demjanjuk, das 2011 ergangen ist, haben wir angefangen, einen neuen Weg zu beschreiten - jenseits der konkret nachzuweisenden Tat hin zur Mitwirkung als Gehilfe einer systematischen mörderischen Massentötung", sagt der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Thomas Will, im DW-Gespräch.
Flash-Galerie Deutsche Gesichter 2011 Jahresrückblick John Demjanjuk
Der frühere KZ-Wachmann John Demjanjuk wird nach der Urteilsverkündung am 12.05.2011 aus dem Landgericht in München gebracht
Das Personal von Vernichtungs- und Konzentrationslagern kann damit automatisch zur Verantwortung für die Verbrechen in dieser Zeit gezogen werden. "Alleine schon durch das Zur-Verfügung-Stehen und das Aufrechterhalten der tödlichen Umstände in den Lagern durch Bewachung der Häftlinge ist dieses Massenmorden möglich gewesen", erklärt Oberstaatsanwalt Will.
In Folge dessen wurden weitere Nazis angeklagt. Dazu gehörten Oskar Gröning im Jahr 2015 und im Juli 2020, Bruno D. Dessen Gerichtsprozess wurde in Hamburg vor der Jugendstrafkammer verhandelt, weil er seine Zeit als Wachmann im Konzentrationslager Stutthof als 17-Jähriger angetreten hatte.
Neben allen Defiziten bei der Verfolgung von NS-Verbrechen zeige der Stand heute das gesellschaftliche Bemühen, "diese ungeheuren Taten strafrechtlich zu bewältigen, auch bis zu hin zur Beihilfe durch allgemeine Dienstausübung", resümiert Will. Diese Rechtsprechung der letzten Jahre sei unbedingt noch erforderlich gewesen. "Das hat die Justiz jetzt bewältigt, wenn natürlich auch spät."
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HITLERS ELITETRUPPE
Die Wehrmacht warf ihren Fallschirmjägern „Landsknecht-Mentalität“ vor
Ihre Einsätze in Eben-Emael, Kreta oder Monte Cassino haben die Fallschirmjäger zum Mythos gemacht. Dem geht jetzt das Militärhistorische Museum Dresden nach. Ein Gespräch mit dem Militärhistoriker Peter Lieb über Kriegsverbrechen.
Veröffentlicht am 08.07.2021 |
Von Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
Keine andere Truppengattung der Wehrmacht ist wohl so lange so positiv in der Bundeswehr wahrgenommen worden wie die Fallschirmjäger, technisch gesprochen: die 7. Fliegerdivision und ihre Folgeverbände. Das Militärhistorische Museum in Dresden geht jetzt in einer Ausstellung dem Mythos dieser Truppe nach.
Peter Lieb, Historiker mit langjähriger Lehrerfahrung an der britischen Royal Military Academy Sandhurst, ist Reserveoffizier und war selbst während seines Wehrdienstes Fallschirmjäger. Im Katalog-Band zur Ausstellung hat der 47-Jährige das bislang wenig beachtete Thema Fallschirmjäger und Kriegsverbrechen aufgearbeitet.
Peter Lieb: Eine NS-skeptische Truppengattung waren die Fallschirmjäger ganz sicher nicht. Im Gegenteil: Befehle ihrer Generalität zeigen eine völlige Übereinstimmung mit der NS-Ideologie. Auch im unteren Offizierkorps war diese Einstellung weit verbreitet. Beispielsweise urteilten die Alliierten nach Verhören der gefangenen Offiziere der 3. Fallschirmjäger-Division in der Normandie, diese seien bis auf wenige Ausnahmen allesamt überzeugte Nationalsozialisten. Die NS-Propaganda tat das Ihrige, um die Fallschirmjäger stets in einem besonders hellen Licht darzustellen.
Lieb: Dazu weiß man bislang praktisch nichts. Zudem ist die Bezeichnung „Grab der Fallschirmjäger“ fraglich, da die Fallschirmjäger-Divisionen insgesamt nur wenige Monate im Osten gekämpft haben.
WELT: Wenn die Fallschirmjäger nur vergleichsweise wenig „im Osten“ eingesetzt waren – wie sieht es mit den Verbrechen an anderen Fronten im besetzten Europa aus? Zum Beispiel in Italien und in Frankreich?
Lieb: Hierzu ist die Forschungslage sehr gut. Gerade von Einheiten der 1. Fallschirmjäger-Division in Italien und der 2. Fallschirmjäger-Division in Frankreich sind eine Anzahl größerer Verbrechen bekannt geworden. Hinzu kommen Sonderfälle wie die Verbrechen eines Fallschirmjäger-Spezialverbandes im Hochland des Vercors bei Grenoble im Sommer 1944 im Kampf gegen den Maquis (die französische Widerstandsbewegung, auch bekannt als Résistance; die Red.). Auch auf Kreta 1941 erschossen Fallschirmjäger viele Zivilisten, und zwar deutlich mehr als die dort ebenfalls eingesetzten Gebirgsjäger.
WELT: In welchen Situationen begingen Fallschirmjäger in Italien und in Frankreich konkret Kriegsverbrechen?
Lieb: Besonders im Partisanenkrieg begingen die Fallschirmjäger immer wieder Verbrechen. Dabei kam es zunächst auf eine Reihe von Rahmenfaktoren an, wie der allgemeinen Befehlslage, geografischen Nähe zur Front, Art des Einsatzes sowie vorangegangenen Aktionen oder auch Verbrechen der Partisanen. Ob es dann konkret zu deutschen Verbrechen kam, hing dann jeweils von den Offizieren vor Ort und deren mentalen Dispositionen ab, wie der Nähe zur NS-Ideologie oder bisherigen Erfahrungen im Partisanenkrieg. Meist muss man hierzu auf die Ebene des Kompaniechefs oder Bataillonskommandeurs gehen. Dabei kommt man dann zu sehr interessanten Ergebnissen.
WELT: Inwiefern?
Lieb: Sehr häufig gab es notorische Verbände und Personen, die immer wieder negativ durch Kriegsverbrechen auffielen. In Italien war dies beispielsweise Major Karl-Heinz Becker. Sein Bataillon ermordete auch Frauen und Kinder und trug den wenig schmeichelhaften Namen „Beckers Horde“. Gleichzeitig sollte man aber auch betonen: Viele Kompanien und Bataillone der Fallschirmjäger ließen sich nicht zu Verbrechen hinreißen. Diese Tatsache findet stets weit weniger Beachtung, wenn es um die Frage der Verbrechen von Fallschirmjägern beziehungsweise der Wehrmacht geht.
Lieb: Das ist schlichtweg falsch! Erschießungen von 50 oder gar 100 Zivilisten für einen toten deutschen Soldaten waren bereits nach damaligen Recht ein schweres Kriegsverbrechen, ebenso die Tötung von Frauen und Kindern. Richtig ist aber auch, dass Geiselerschießungen und Repressalien rechtliche Grauzonen waren. Die Deutschen legten diese jedoch immer wieder exzessiv aus.
Lieb: Relativ gesehen haben sie mehr schwere Kriegsverbrechen als Einheiten des Heeres begangen. Zudem war das Plündern bei den Fallschirmjägern weitverbreitet, wie zahlreiche Beschwerden von Heeresdienststellen zeigen. Sie warfen den Fallschirmjägern Landsknecht-Mentalität vor. Es gab aber auch scharfe Gegenbefehle wie jene des Kommandeurs der 5. Fallschirmjäger-Division, General Gustav Wilke.
Lieb: Nach außen hin blendeten die Veteranen all die negativen Seiten wie Kriegsverbrechen oder NS-Nähe aus. Stattdessen zeichneten sie ein verklärendes Bild der rein militärischen Leistungen. Auffallend war, dass häufig gerade diejenigen am lautesten brüllten, die viel auf dem Kerbholz hatten, wie der in Frankreich als Kriegsverbrecher verurteilte General Hermann-Bernhard Ramcke.
Magnus Pahl / Armin Wagner (Hrsg.): „Hitlers Elitetruppe? Mythos Fallschirmjäger“. (Bebra-Verlag, Berlin. 239 S., 26 Euro)
https://www.welt.de/
Dokumentarfilm „Der Prozess“
Über NS-Verbrechen und deren Aufarbeitung in der BRD
Eberhard Fechner ist ein Chronist und „Der Prozess“ sein Opus Magnum. Jeder der drei Teile beginnt mit der gleichen nüchternen Einführung. Zu schwarz-weißen Luftaufnahmen von Majdanek erklingt ein Text: „Von Herbst 1941 bis zum 23. Juni 1944 existierte in Lublin-Majdanek ein Konzentrationslager, in dem mindesten 250.000 Menschen ermordet worden sind.“
Dann folgt ein Schnitt und die Kamera fährt in Farbe durch einen leeren Gerichtssaal: „Vom 26. November 1975 bis zum 30. Juni 1981 wurde in Düsseldorf ein Prozess gegen 15 ehemalige Mitglieder der mehr als 1500 SS-Bewacher des Lagers geführt. Man klagte sie an, an dem hunderttausendfachen Mord beteiligt gewesen zu sein. Es war der längste Prozess in der deutschen Justizgeschichte.“
230 Stunden Material
Die Stimme gehört dem Journalisten und Prozessbeobachter Heiner Lichtenstein. Fechners Autorschaft zeigt sich nicht im Off-Kommentar, sondern durch die Montage. Zwei Jahre lang schneidet er nach Prozessende gemeinsam mit seiner langjährigen Cutterin Brigitte Kirsche.
Weil im Saal nicht gedreht werden durfte, filmte Fechner seine Gespräche ab März 1976 außerhalb. 107 Drehtage , 70 verschiedene Interviews – mit Zeuginnen und Angeklagten, Verteidigern, Staatsanwälten und Richtern. 230 Stunden Material. Fechner durchstöbert außerdem Akten und Archive – zu den schmucklosen Bildern seiner Interviews gesellen sich Aufnahmen aus dem Lager. Der Prozess interessiert sich für Einzelheiten, wie eine Zeugin erzählt:
„Es ist sehr schwer nach all den Jahren, die Mörder anzuschauen und auch solche Fragen zu beantworten, ob ich zur Arbeit rechts oder links rausgegangen bin oder hier ist so gestanden oder das ist so gestanden, weil: Im Laufe von so vielen Jahren kann jeder vergessen. Man vergisst das.“
Rekonstruieren, wie der Vernichtungsapparat funktionierte
Aber Fechners „Darstellung“ des Verfahrens geht es um mehr. Der Film soll auch rekonstruieren, wie der Vernichtungsapparat der Nazis funktionierte. Dass er dafür – anders als Claude Lanzmann ein Jahr später in „Shoah“ – Aufnahmen aus Täterperspektive verwendet, stellt sich für Fechners materialintensive Ästhetik nicht als Problem dar.
Menschen nehmen Schädel in die Hand: Befreiung des KZ Majdanek bei Lublin am 24. Juli 1944.
Der rastlose Arbeiter Fechner will aufbewahren. Seine Filme erzählen das deutsche 20. Jahrhundert. Und dabei hilft ihm jedes historische Dokument. Vor allem aber seine Methode, die er in „Nachrede auf Klara Heydebreck“, der ersten dokumentarischen Arbeit von 1969 entwickelt hatte. Damals ging es um das Porträt einer alten Frau, die sich das Leben genommen hatte – gezeichnet durch die Äußerungen von Nachbarn und Verwandten, belegt durch Verdienstbescheinigungen und andere Papiere. Auch in „Der Prozess“ entsteht ein kollektives Gespräch, das sich aus der Montage der Einzelinterviews ohne Off-Kommentar ergibt:
Prozessbeobachter: „Wenn man bedenkt, dass ein früherer NS-Staatsanwalt hier als Verteidiger fungiert. Das ist doch ein typisches Merkmal von dem heutigen Prozess.“
Staatsanwalt: „Dr. Stolting, früher Staatsanwalt beim Sondergericht in Bromberg in der nationalsozialistischen Zeit, verteidigte von einem Standpunkt aus, der auch für Beobachter, Zuschauer rechts war.“
Verteidiger W. Stolting: „Ich würde diese Todesurteile, bei denen ich damals den Antrag gestellt habe auf Todesurteil unter den damals gegebenen Umständen, wenn die heute wieder so wären und bei den gleichen Gesetzen, genauso wieder stellen, auch heute.“
Schöffe: „Wenn ein ehemaliger Staatsanwalt aus dieser Zeit heute noch sagen kann, und uns hat er es gesagt, dem Herbert und mir, die erste Rente verdanke ich meinem Führer, und diese jetzt verdanke ich auch meinem Führer – wenn das möglich ist, und in einem Staat, wo das möglich ist, sollte man sich auch über solche Urteile nicht aufregen.“
Eine klug montierte, dichte Oral History
Die Sprechenden werden jeweils nur durch Texteinblendungen ihrer Funktion voneinander unterschieden, „Zeugen-Betreuerin“, „Staatsanwalt“, „Verteidiger“, „Schöffe“ steht dann da. Fechners Methode mag ihre Grenzen haben, weil sie etwa egalisiert.
Sie führt in „Der Prozess“ aber zu einer klug montierten, dichten Oral History, die sich heute selbst als Material begreifen lässt, wenn man etwa einem Verteidiger wie Ludwig Bock in Bild und Ton begegnet. Einer Figur, deren Weg durch den deutschen Rechtsextremismus sich bis in die jüngere Gegenwart nachvollziehen lässt, wenn Bock selbst wegen Volksverhetzung verurteilt wird oder 2007 den Holocaustleugner Ernst Zündel vertritt.
„Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. – Guten Abend, meine Damen und Herren. Im Düsseldorfer Prozess um die Ermordung von mindestens 250.000 Häftlingen im ehemaligen Konzentrationslager Majdanek wurden heute die Urteile gesprochen. Die Urteile lagen deutlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, deshalb gab es im Publikum lautstarke Proteste.“
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Fechners Darstellung der Düsseldorfer Verhandlung geht über die Urteilsprüche hinaus.
„Als Vertreter des Gerichts vor Kurzem den fertigen Film sahen, sagten sie: Dieser Film wird das einzige sein, was von unserem Prozess bleibt – außer den schriftlichen Urteilen natürlich“, gibt der Regisseur im Oktober 1984 unbescheiden zu Protokoll, als „Der Prozess“ seine Uraufführung vor Fachpublikum bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik erlebt. Aber Fechner hat Recht, in seiner Oral History steckt mehr, als Gerichtsurteile zu sagen vermögen. Etwa das, was anstelle von Reue einen der Angeklagten umtreibt.
„Zum Abschluss hat mich in diesen ganzen fünfeinhalb Jahren eins ganz besonders missgestimmt, und manchmal war ich direkt wütend drüber: dass ich als Nazi hingestellt werde. Und das ist das, was mich irgendwie die ganze Zeit bewegt hat.“
Von der neonazistischen Kontinuität in der BRD
Ende 1984 wird der Film an drei Abenden ausgestrahlt – allerdings erst um 21.45 Uhr und nicht um zur besten Sendezeit, wie es der Dokumentarist gewohnt ist von seinen populären Filmen wie dem Dreiteiler über die „Comedian Harmonists“ von 1976 . Und auch nicht in der ARD, sondern parallel in den dritten Programmen.
Die Sender schalten Telefonleitungen, unter denen sich Zuschauerinnen melden können. Die meisten Reaktionen sind positiv. Für den WDR bilanzierte die zuständige Redakteurin unter den Reaktionen auf den ersten Teil von Fechners „Prozess“ allerdings auch andere Töne: „Warum heute noch so etwas.“ –"Nestbeschmutzung“ – „Das kommt in allen Diktaturen vor.“ – „Der WDR wird von jüdischen Kreisen gesteuert.“ – „Die Richter von Düsseldorf sind Volksverräter, sie müssen einst daran glauben, wie die Richter von vor 1945.“
Nachdenklich stimmt der letzte Satz des Protokolls, mit dem die Redakteurin die Anrufenden charakterisiert, weil er neonazistische Kontinuitäten in der Bundesrepublik illustriert.
„Auffallend dabei waren Männer um die 40, die den Faschismus nicht erlebt haben, sich zum Anwalt des nationalsozialistischen Gedankenguts machen und die ihre Väter verteidigen.“
Eberhard Fechner: „Der Prozess“
Sonderausgabe auf DVD, absolut medien, 270 Minuten, 14:90 Euro
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Völkermord verjährt nicht
Der Bundestag wollte keinen Schlussstrich für Nazi-Henker
Von Otto Langels · 26.06.2019
Mord verjährt nicht – auch Völkermord nicht. Das war nicht immer so in der Bundesrepublik. Erst vor 50 Jahren, am 26. Juni 1969, hob der Bundestag die Verjährung bei Völkermord auf.
„Es gibt Überlebende, die aufschreien, aufschluchzen, und da sollten andere nicht wenigstens erbleichen? Das Unverjährbare kann nicht von der Tafel der Moral gelöscht werden durch parlamentarischen Beschluss.“
Der österreichische Schriftsteller Jean Améry, Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen, äußerte 1977 sein Unbehagen darüber, dass der Deutsche Bundestag jahrelang über die Verjährung von Mord und Völkermord debattierte. Das Bonner Parlament hatte erstmals 1965 beraten, ob nationalsozialistische Verbrechen über die damals gesetzlich vorgeschriebene Frist von 20 Jahren hinaus weiter strafrechtlich verfolgt werden konnten oder ob man einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen sollte.
Bundesjustizminister Ewald Bucher erklärte im März 1965 im Bundestag:
„Wir müssen uns entscheiden, ob wir dem verständlichen Ruf nach lückenloser Sühne für die verabscheuungswürdigen Verbrechen der NS-Zeit folgen. Ich sehe mit Sorge, wie die NS-Verfahren alle Beteiligten, vor allem aber die Gerichte, vor immer unlösbarere Aufgaben stellen.“
Ein „Ausweichen vor der Verantwortung“
Die Debatte im Bundestag endete mit einem Kompromiss: Die Abgeordneten stimmten für eine Verlängerung der Verjährungsfrist, Morde aus der NS-Zeit konnten noch bis Ende 1969 geahndet werden. Damit hatte man eine grundsätzliche Lösung aber nur aufgeschoben.
Der langjährige freidemokratische Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum:
„Es war ein Ausweichen vor der Verantwortung. Heute würde niemand mehr daran zweifeln, dass Mord nicht verjährt. Aber damals eben nicht.“
Im Frühjahr 1969 legten der Hamburger Senat und kurz darauf das Bundesjustizministerium Gesetzentwürfe vor, die beide vorsahen, die Verjährung für Mord und Völkermord vollständig abzuschaffen. Hamburgs Justizsenator Hans Heinsen erklärte dazu:
„Jeder Verjährungsgedanke beruht ja sonst vor allem auf dem Gedanken, dass die Zeit die Wunden heilt. Und wir sind der Meinung, dass bei Vergehen gegen das Leben eine solche Heilung nicht eintritt, weil das Leben des Opfers vernichtet ist.“
Am 26. Juni 1969 debattierte der Bundestag über die geplante Aufhebung der Verjährungsfrist beziehungsweise eine erneute Verlängerung. Obwohl CDU und CSU mit der SPD eine gemeinsame Regierungskoalition bildeten, lehnte unter anderen der CSU-Abgeordnete Friedrich Zimmermann den Gesetzentwurf ab:
„Wir sehen uns nicht in der Lage, einem Gesetz zuzustimmen, das die Masse der so verschiedenartigen Fälle vom wirklichen Mörder bis zur Schreibkraft ohne Unterscheidung noch einmal zehn Jahre vor sich herschiebt.“
Jahrzehntelang wurde die Aufarbeitung versäumt
Dagegen sprach sich Martin Hirsch für die Aufhebung der Verjährungsfrist aus. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende verwies auf zahlreiche, noch immer unaufgeklärte Verbrechen aus der NS-Zeit:
„Das neue Gesetz verhindert, dass in den künftigen Strafverfahren Mörder auf der Zeugenbank erscheinen, die auf die Anklagebank gehören. Es geht lediglich um diejenigen, die selbst grausam, heimtückisch oder aus niederen Beweggründen gehandelt haben.“
Mit einer Zweidrittelmehrheit beschloss der Bundestag noch am selben Tag, die Verjährung für Völkermord aufzuheben und für Mord auf 30 Jahre heraufzusetzen, beginnend mit der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949. So musste sich das Parlament zehn Jahre später erneut mit der Frage auseinandersetzen. Am 3. Juli 1979 entschied der Bundestag, die Verjährung für Mord und Völkermord endgültig aufzuheben.
Jean Améry hatte dazu bereits früher angemerkt:
„Gegen die nivellierende Zeit ist nicht anzukommen. Aber alles Humane fordert nicht Recht, das es hier nicht geben kann, nur, dass man die Opfer begnadige, nicht die Henker.“
Nach der Aufhebung der Verjährungsfrist konnten unter anderem ehemalige SS-Angehörige des KZs Majdanek 1981 wegen Mordes beziehungsweise Beihilfe zum Mord ebenso verurteilt werden wie 2012 der 91-jährige John Demjanjuk als Erfüllungsgehilfe im Vernichtungslager Sobibor. Nachdem die Justiz jahrzehntelang eine konsequente Verfolgung von Naziverbrechen versäumt hatte, war er einer der letzten noch lebenden Handlanger der NS-Massenmorde, der sich vor Gericht verantworten musste.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/
Prosecuting Nazi War Criminals
OPINION
LETTERS
May 5, 2021
https://www.nytimes.com/
Nazis Were Given ‘Safe Haven’ in U.S., Report Says
A report, which the Justice Department has tried to keep secret, provides new evidence about notorious Nazi cases.
By ERIC LICHTBLAU
https://www.nytimes.com/
Judge Orders Deportation of Tennessee Man Who Served as Nazi Camp Guard
The Justice Department said Friedrich Karl Berger, 94, was an armed guard at a concentration camp in Germany where prisoners were held in “atrocious” conditions.
By MICHAEL LEVENSON
https://www.nytimes.com/
Vladimir Katriuk, Beekeeper Accused of Nazi War Crimes, Is Dead at 93
Mr. Katriuk, No. 2 on a list of most wanted Nazi war criminals, had been at the center of a dispute between Russia and Canada over an extradition demand.
By SAM ROBERTS
https://www.nytimes.com/
Nazi War Crimes Suspect, 98, Dies Awaiting Trial
Laszlo Csatary was accused of whipping and beating Jews and helping send them to the Auschwitz death camp during World War II.
By ALAN COWELL
https://www.nytimes.com/
Germans Weigh More Charges for Nazi Guards
Six decades after the end of World War II, German officials believe that a recent legal victory may make it easier for them to bring former death camp guards up on charges.
By NICHOLAS KULISH
https://www.nytimes.com/
Former Nazi Guard, 89, Dies Before Trial in Germany
The death of Samuel Kunz, accused of aiding in the murder of 430,000 Jews at Belzec, served as the latest reminder that time is forcing shut a door in history.
By MICHAEL SLACKMAN
https://www.nytimes.com/
Former Nazi Guard, 88, Charged in Mass Murder of Jews
Samuel Kunz is accused of aiding in the murders of 430,000 Jews at the Belzec death camp during World War II, and with shooting 10 people himself during his time there.
By NICHOLAS KULISH
https://www.nytimes.com/
In Germany, Whispers of ‘Enough’ at a War-Crimes Trial
A reporter finds that a nation’s zeal to expunge guilt may be flagging.
By NICHOLAS KULISH
https://www.nytimes.com/
Accused Nazi Guard Has Sympathy Of Ukrainian Immigrant Neighbors
Dmytro Sawczuk, man accused by Federal Government of lying about his Nazi past on his immigration papers, is described by neighbors in Glen Spey, NY, as quiet man who kept to himself; few who know him are more sympathetic than alarmed about Government's charges, and they refuse to condemn what he may have done in war; quarter of residents of Glen Spey are, like Sawczuk, elderly Ukrainians; photos; map (M)
By JANE GROSS
https://www.nytimes.com/1998/
Ex-Vichy Aide Is Convicted And Reaction Ranges Wide
French court finds Maurice Papon guilty of complicity in Nazi crimes against humanity because as a Vichy official he turned Jews over to the Germans in World War II; imposes 10-year prison sentence, with deprivation of civil rights; finding both comforts and disconcerts country Papon served as high-ranking civil servant for 50 years; Papon remains free while he appeals, and both sentence and his continuing freedom draw criticism from those who expected more severe sentence; photo (M)
By CRAIG R. WHITNEY
https://www.nytimes.com/
Ex-Nazi Is Seized; Accused of Gunning Down 500 at Maidanek
German prosecutors arrest suspected Nazi war criminal accused of killing 500 people at Maidanek death camp in Poland in 1943; refuse to identify suspect and decline to confirm news reports that his name is Alfons Goetzfried (S)
By ALAN COWELL
https://www.nytimes.com/
Prozess gegen mutmaßliche NS-Täter
:Die Quadratur der Greise
Mutmaßliche NS-Verbrecher werden immer häufiger als verhandlungsunfähig eingestuft. Jetzt ist der Prozess gegen einen ehemaligen KZ-Wächter geplatzt.
26. 2. 2019, 11:21 Uhr
KLAUS HILLENBRAND
Leiter taz.eins
Greise Hand auf einem Stock, im Hintergrund sieht man verschwommen die dazugehörige Gestalt des angeklagten SS-Mannes
Geht am Stock: Ob der angeklagte Johann R. Blut an den Händen hat, wird sich nie klärenFoto: Guido Kirchner/dpa
STUTTHOFF/MÜNSTER/BERLIN taz | Dr. Johann R. wird sich aller Voraussicht nach vor keinem irdischen Gericht verantworten müssen. Das Landgericht Münster gab am Montag bekannt, dass es beabsichtigt, das Verfahren einzustellen. Ein medizinisches Gutachten käme zu dem Schluss, dass R. „nicht mehr in der Lage ist, einem Strafprozess in angemessenem Maße zu folgen“, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts.
Der 95-Jährige ist schwer herzkrank. Eine endgültige Entscheidung will das Landgericht Mitte März fällen, nach dem alle Prozessbeteiligten Gelegenheit zur Stellungsnahme erhalten haben.
Damit ist erstmal seit vielen Jahren ein Prozess gegen einen Beschuldigten geplatzt, dem Verbrechen während der NS-Zeit zur Last gelegt worden waren. Doch noch viel häufiger kommt es gar nicht erst zu einer Anklageerhebung, weil die hoch betagten mutmaßlichen Täter als verhandlungsunfähig gelten oder im Lauf der Ermittlungen sterben. Und das Tempo der Ermittlungen lässt bisweilen arg zu wünschen übrig.
Eher selten legen die Ermittler eine Geschwindigkeit wie bei dem Stutthof-Wachmann Johann R. vor. In Münster vergingen von der Anklage bis zum Prozessbeginn im November 2018 trotzdem 12 Monate.
Gaskammer? Welche Gaskammer?
Die Anklage hatte R. beschuldigt, er habe als junger Mann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig als SS-Wachmann Beihilfe zu mehr als hundertfachem Mord begangen. R., das hat er in einer von seinem Anwalt verlesenen Erklärung vor Gericht selbst eingestanden, tat Dienst am Eingang des KZ wie auf den hölzernen Wachtürmen, von denen sich das Gelände gut überblicken ließ.
Einer der Türme stand nahe am Krematorium, wo die Leichen der Häftlinge verbrannt wurden und es furchtbar gestunken habe. Doch R. ließ auch mitteilen: „Von systematischen Tötungen habe ich damals nichts mitbekommen. Auch die Existenz einer Gaskammer war mir nicht bewusst.“
Das KZ östlich von Danzig ist heute eine Gedenkstätte. Einige der aus grobem Holz gebauten Schlafbaracken stehen dort in einer flachen Landschaft, mit dreifach übereinander angeordneten Schlafkojen. Stacheldraht umgibt das ehemalige Lager. Einige der Wachttürme haben sich erhalten. Von dort aus ist der Blick ins Innere der Mordstätte nahezu perfekt.
Der Personalbogen von Johann R. aus Stutthof hat sich erhalten und wird heute im Archiv der Gedenkstätte verwahrt. „Versetzt am 7.6.1942“ in das „K.L. Stutthof“ ist dort zu lesen, und in der nächsten Zeile „versetzt am 1.9.1944“ zum „SS-Kampfmarschverband Kurmark in Lieberitz“. Auf einem Foto macht R. in SS-Uniform und kurzen dunklen Haaren einen fast noch kindlichen Eindruck. Er war bei seiner Versetzung in das KZ 18 Jahre alt.
Wie Schnee im August
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Bis zum Kriegsende starben in Stutthof vermutlich etwa 27.000 Menschen. Sie wurden mit Genickschüssen getötet und ab 1944 in einer Gaskammer getötet. Sie verreckten infolge von Mangel- und Unterernährung, erfroren in ihren hölzernen Baracken oder bei Außeneinsätzen, starben bei Epidemien oder durch simple Erkältungen, weil eine medizinische Versorgung kaum vorhanden war.
Die Schuld oder Unschuld von R. wird sich juristisch wohl nicht mehr klären lassen. Doch geständige Nazi-Täter sind in deutschen Strafverfahren etwa so selten wie Schnee im August.
Mord verjährt nicht. Deshalb ermittelt die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im baden-württembergischen Ludwigsburg auch 74 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft weiter gegen mutmaßlich Tatbeteiligte.
Doch es scheint, als gingen der Behörde langsam die Täter aus. Die Frauen und Männer, die heute noch am Leben sind, stehen in ihrem zehnten Lebensjahrzehnt. „Keiner unserer Beschuldigten ist jünger als 92 Jahre“, sagte der Leiter der Zentralen Stelle Jens Rommel der taz. Der derzeit Älteste sei 99.
Atteste am Laufband
Mit dem hohen Alter verbunden sind häufig Krankheiten und eine eingeschränkte Wahrnehmung, die, so wie bei Johann R., in eine Verhandlungsunfähigkeit münden. Wer seinem eigenen Prozess aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr folgen kann, der darf nicht vor Gericht stehen und geht straffrei aus.
In den 1960er Jahren war die attestierte Verhandlungsunfähigkeit ein beliebtes Mittel von SS-Tätern, sich ihrer Bestrafung zu entziehen. Mediziner produzierten entsprechende Gutachten, die Gerichte agierten langmütig. So mancher vermeintlich Schwerstkranke konnte sich nach der Einstellung seines Verfahren noch Jahrzehnte lang seines Lebens erfreuen. Solche bestellten Gutachten sind heute nicht mehr denkbar.
Die Zentrale Stelle hat in jüngster Zeit einige Erfolge bei der Ermittlung mutmaßlicher NS-Verbrecher erzielt. Die Behörde übernimmt die Vorermittlungen, die weitere Strafverfolgung ist Angelegenheit örtlicher Staatsanwaltschaften und, sollte Anklage erhoben werden, der Gerichte. Doch bisweilen sind die Verfahrenseinstellungen offenbar Ergebnis des Schneckentempos, mit denen diese Ermittlungen vorangetrieben werden.
Beispiel KZ Buchenwald. Die Staatsanwaltschaft Erfurt übernahm im Jahr 2017 insgesamt zehn Verfahren von der Zentralen Stelle. Vier der ehemaligen Aufseher sind inzwischen verstorben, die anderen sechs wurden bisher noch nicht einmal vernommen. „Die Vernehmungen stehen bevor“, erklärte dazu Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen der taz.
Zu langsam, zu spät
Majdanek: Geschlagene 14 Monate benötigte das Landgericht Frankfurt am Main, um Ende Dezember die Verhandlungsunfähigkeit eines heute 97-Jährigen Angeklagten festzustellen, der als Wachposten bei Massenerschießungen in dem KZ eingesetzt worden sein soll. Das Gericht entschuldigte sich mit Arbeitsüberlastung.
Auschwitz: Elf Monate brauchte das Landgericht Mannheim, um festzustellen, ob es die Anklage gegen einen 95 Jahre alten Mann zulässt, der 1942/43 als Wachmann im Vernichtungs- und Konzentrationslager Auschwitz Dienst getan hat. In der letzten Woche folgte endlich die Entscheidung: Der Beschuldigte ist nach einem medizinischen Gutachten dauerhaft verhandlungsunfähig.
Blick durch Stacheldraht in eine ehemalige Gaskammer am KZ Stutthof
27.000 Menschen starben im KZ Stutthof: Viele davon in dieser GaskammerFoto: Bruce Adams/Daily Mail
Und auch im Fall von Ermittlungen gegen mutmaßliche Täterinnen im KZ Ravensbrück hat sich bisher nicht viel bewegt – trotz des Engagements der Staatsanwaltschaft Neuruppin. Diese ermittelt seit 2017 und 2018 gegen insgesamt acht Beschuldigte.
Von diesen sind inzwischen drei verdächtige Frauen verstorben, eine weitere gilt als verhandlungsunfähig. Die vier verbliebenen Verdächtigen seien bis Ende Januar 2019 noch nicht befragt worden, sagte der zuständige Oberstaatsanwalt Wilfried Lehmann der taz.
Priorisierung nicht vorgesehen
Er hat im letzten Herbst ein Sonderdezernat gegründet, um die Ermittlungen zu beschleunigen. Die Beschuldigten im Alter von 94 bis 96 Jahren leben in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bayern. „Wir stehen unter Zeitdruck“, sagte Lehmann, der hofft, dass es bald endlich zu ersten Vernehmungen kommt.
„Empörend“ nennt Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, die lange Verfahrensdauer. Auch Holocaust-Überlebende würden sich darüber beklagen. „Man lässt die Leute einfach sterben“, klagt Heubner gegenüber der taz und spricht von „Desinteresse der Justiz“.
Staatsanwalt Rommel von der Zentralen Stelle mochte die offenkundige Langsamkeit mancher Justizorgane nicht kommentieren. Eine Priorisierung von Fällen aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Verdächtigen sei im bundesdeutschen Recht nicht vorgesehen, sagte er.
Die Zentrale Stelle bemühe sich schon bei ihren Vorermittlungen darum, herauszufinden, ob der Angeklagte erkrankt ist. Diese Hinweis werden an die einzelnen Staatsanwaltschaften weitergegeben.
Ein absehbares Ende
Nur in zwei Fällen konnten seit 2011 frühere SS-Männer verurteilt werden. Der Auschwitz-Kassenwart Oskar Gröning erhielt 2015 vom Landgericht Lüneburg eine vierjährige Haftstrafe. Reinhold Hanning, ein Auschwitz-Wachmann, wurde im folgenden Jahr zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Die Zentrale Stelle hat sich bei ihren Ermittlungen eine Altersgrenze von 99 Jahren auferlegt. Ältere Verdächtige werden nicht verfolgt, zumal vom Ermittlungsbeginn bis zu einer Verurteilung und einer möglichen Revision selbst im günstigsten Fall mehrere Jahre vergehen.
Da die Beschuldigten zum Tatzeitpunkt – spätestens 1945 – mindestens 18 Jahre alt sein müssen, lässt sich ausrechnen, wann die Ludwigsburger Ermittlungsstelle gegen NS-Verbrecher ihre Pforten schließen muss: Spätestens im Jahr 2026 ist Schluss mit der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen.
https://taz.de/
Wende im Umgang mit den Tätern
Von Beate Ziegs · 03.12.2008
Vor 50 Jahren nahm in Ludwigsburg die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen ihre Arbeit auf. Diese Institution sollte dem Ausland signalisieren, dass sich die Bundesrepublik ernsthaft um Vergangenheitsbewältigung kümmere. Doch Anspruch und Wirklichkeit klafften weit auseinander.
Kurt Schrimm: „Das Anklagen ist nicht so wichtig, sondern die Aufklärung ist wichtig. Und es gibt eine moralische Verpflichtung. Und zwar die Wiedergutmachung gegenüber den Opfern bzw. den Überlebenden. Wir nehmen ernst, was damals geschehen ist, und wir tragen das unsere dazu bei, dass sich solches nicht mehr wiederholen sollte.“
Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, seit dem Jahr 2000 Leiter der 1958 gegründeten „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg.
Kurt Schrimm: „Es gibt in der neueren Geschichte keinen Fall, dass ein Staat, nachdem bereits viele Verantwortliche vom Sieger verurteilt worden waren, nochmals eigene Strafverfolgung betreibt gegenüber den eigenen Landsleuten. Und man konnte sich in vielen Kreisen nur sehr schwer an den Gedanken gewöhnen. ‚Man muss jetzt endlich einen Schlussstrich ziehen, wir müssen aufbrechen zu neuen Ufern‘, diese Meinung war sehr weit verbreitet, auch unter Politikern.“
Tatsächlich grenzt es fast an ein Wunder, dass die Zentrale Stelle 13 Jahre nach Kriegsende überhaupt ihre Arbeit aufnahm, denn zu dem Zeitpunkt war die Wiedereingliederung von NS-Funktionären schon sehr weit vorangeschritten. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949 unmissverständlich klar gemacht, dass seine vergangenheitspolitische Generalinventur zugunsten der Mitläufer und Täter ausfallen würde.
Konrad Adenauer: „Der Krieg und auch die Wirren der Nachkriegszeit haben eine so harte Prüfung für viele gebracht und solche Versuchungen, dass man für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbringen muss. Es wird daher die Frage einer Amnestie von der Bundesregierung geprüft werden. Und es wird weiter geprüft werden, auch bei den Hohen Kommissaren dahingehend vorstellig zu werden, dass entsprechend für von alliierten Militärgerichten verhängte Strafen Amnestie gewährt wird.“
Noch bevor am 1. Juli 1951 das „Entnazifizierungsschlussgesetz“ in Kraft trat, hatte der Deutsche Bundestag am 10. April desselben Jahres das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ verabschiedet. Dieses sogenannte „131er-Gesetz“ sicherte all denjenigen die Rückkehr in den öffentlichen Dienst, die auch bei der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 schon Beamte gewesen waren. Ausgenommen waren – zu-nächst – einige Haupttäter sowie Angehörige der Gestapo.
Sobald die Bundesrepublik Deutschland dann am 5. Mai 1955 ihre Souveränität erhielt, wurden alle Gesetze der Alliierten außer Kraft gesetzt, auch das Kontrollratsgesetz Nummer 10, das die Ahndung von Taten wie Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsah. Stattdessen galt nun wieder das Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1871, nach dem Mord gleich Mord war, auch wenn es sich um Völkermord handelte.
Überdies war Mord diesem Gesetz zufolge nach 20 Jahren verjährt, Totschlag sogar bereits nach 15 Jahren, also am 8. Mai 1960. Da gegen die meisten NS-Verbrecher wegen Totschlags ermittelt wurde, bedeutete dies für die Strafverfolgung, dass man die Ermittlungen nur genügend lange verschleppen musste, um sie in absehbarer Zeit ganz einstellen zu können. Damit schien der Schlussstrich tatsächlich gezogen, wenn nicht.
Wenn nicht ausgerechnet durch Konrad Adenauers überwältigenden Erfolg in der sogenannten „Heimkehrerfrage“ das Thema der ungesühnten Verbrechen mit einem Schlag für Furore im Ausland gesorgt hätte. Die US-Botschaft zeigte sich besorgt, die westdeutsche Justiz könne „übersehen“, dass sich unter den Russland-Heimkehrern auch 9.626 verurteilte deutsche Gefangene befinden, von denen 749 wegen besonders schwerer Kriegsverbrechen verklagt worden waren.
Die DDR sorgte mit ihrer Kampagne gegen die sogenannten „Blutrichter“ für zusätzlichen Zündstoff.
Kundgebung auf dem August-Bebel-Platz 1957: „Die Mörder unserer deutschen und ausländischen Kameraden, die Blutrichter von damals, sind heute wieder in Amt und Würden. (Sie sind bereit, die Antimilitaristen und Friedenskämpfer von heute ...)“
Karl Schildern, Mitglied des Politbüros des ZK der SED sowie des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer, auf einer Kundgebung in Ostberlin. Ab 1957 gab das Politbüro die Namen von insgesamt 1000 ehemaligen NS-Juristen bekannt, die dem westdeutschen Staat als Richter oder Staatsanwälte dienten oder im Bundesjustizmimisterium arbeiteten. Da die Vorwürfe in den meisten Fällen zutrafen und sich deshalb nicht als bloße Propaganda abtun ließen, sorgten sie von London über Paris bis nach Washington und Tel Aviv für Aufsehen – nicht jedoch in Westdeutschland.
Auch nicht in der westdeutschen Presse. Die interessierte sich im Sommer 1958 nicht für die früheren Todesurteile amtierender Juristen, sondern für den Ulmer Prozess gegen das Einsatzkommando Tilsit. Zustande gekommen war er aufgrund der Unverfrorenheit des Maschinenbauers Bernhard Fischer-Schweder, einst Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP und Polizeidirektor von Memel. Wegen dieser Vergangenheit hatte er seine Stelle als Leiter eines Lagers für Ortsvertriebene in der Nähe von Ulm verloren und klagte nun gegen die Kündigung, zumal er doch als sogenannter „131er“ ein Recht auf die Rückkehr in den Staatsdienst habe.
Bei dem Prozess stellte sich jedoch heraus, dass Fischer-Schweder nicht nur Polizeidirektor von Memel gewesen war, sondern auch Führer des Einsatzkommandos Tilsit und mitverantwortlich für die Ermordung von mindestens 5500 Juden und Kommunisten im deutsch-litauischen Grenzgebiet. So kam es zum Strafverfahren gegen Fischer-Schweder und neun weitere Angehörige der Polizei, der Gestapo und des Sicherheitsdienstes.
Aus einem Bericht über die Urteilsverkündung am 29. August 1958:
Bericht über Urteilsverkündung: „Noch nie packte mich so das kalte Grausen wie heute morgen im Schwurgerichtssaal des Ulmer Justizgebäudes, als der sogenannte „Einsatzkommando-Prozess Tilsit“ zu Ende ging. Es war eine furchtbare Bilanz, die Landgerichtsdirektor Dr. Wetzel heute morgen verlas: In Garsden wurden 200 Männer und eine Frau zwischen 14 Jahren und dem Greisenalter erschossen und ohne ihren Tod festgestellt zu haben verscharrt. Kurze Zeit später 214 Männer. (Sie mussten vor ihrer Exekution ...)“
In ihren Schlussplädoyers hatten der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Erwin Schüle und der Ulmer Staatsanwalt Fritz Schneider für die Hauptangeklagten – darunter auch Bernhard Fischer-Schwede – eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert. Der vorsitzende Richter vermochte jedoch keinen eigenständigen Täterwillen zu erkennen und verurteilte die Angeklagten nur wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu Zuchthausstrafen zwischen drei und fünf-zehn Jahren.
In den Medien und der Öffentlichkeit rief dieses niedrige Strafmaß heftigen Protest hervor, zumal der Historiker Hans-Günther Seraphim als Sachverständiger vor Gericht erläutert hatte, dass die Verweigerung eines Schießbefehls keineswegs mit dem Tod geahndet worden und auch nach damaligen Gesetzen rechtswidrig gewesen sei. Aber als Haupttäter galten lediglich Hitler, Himmler oder Heydrich, während Massenmörder wie Fischer-Schweder nur als ihre Gehilfen angesehen wurden – ein Rechtsverständnis, aufgrund dessen ein Großteil der NS-Verbrecher auch in späteren Prozessen mit auffallend niedrigen Strafen davon kamen.
Trotz dieser fatalen Weichenstellung für die nachfolgenden NS-Verfahren brachte der Ulmer Einsatzgruppenprozess die entscheidende Wende für die Strafverfolgung. Denn er hatte eine interessierte Öffentlichkeit nicht nur mit detaillierten Informationen über die Hintergründe der Judenvernichtung konfrontiert, sondern außerdem eindeutige Hinweise geliefert, dass Hunderte Täter bislang nicht vor Gericht gestellt worden waren. Die Kritik der Presse, aber auch von einigen wenigen engagierten Juristen wie dem baden-württembergischen Generalstaatsanwalt Erich Nellmann und seinem hessischen Kollegen Fritz Bauer, setzten die Justizminister der Länder derart unter Druck, dass diese im November 1958 den Beschluss fassten, eine Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen einzurichten.
Die dann auch tatsächlich am 1. Dezember 1958 in Ludwigsburg ihren Dienst aufnahm. Zum ersten Leiter wurde Erwin Schüle ernannt. Die personelle Ausstattung war mit zunächst nur neun Volljuristen bescheiden, denn man ging davon aus, dass die Arbeit in wenigen Jahren erledigt sei.
Vor allem aber waren die Kompetenzen der neuen Behörde äußerst begrenzt: Sie hatte keine autonomen staatsanwaltlichen Ermittlungsbefugnisse und auch keine Weisungsbefugnis. Sie konnte zwar Vernehmungen durchführen, nicht jedoch selbst anklagen. Ihre Vorermittlungen musste sie an reguläre Staatsanwaltschaften weitergeben, denen es oft an vertieften Sachkenntnissen mangelte. Außerdem waren die Ludwigsburger zunächst nur für solche NS-Verbrechen zuständig, deren Tatort außerhalb des Bundesgebietes lagen. Die Verbrechen der Justiz, die Morde in den Euthanasieanstalten und die Ermittlung gegen die sogenannten „Schreibtischtäter“ im Reichssicherheitshauptamt waren ihnen entzogen.
Kein Wunder, dass der damalige Generalbundesanwalt Max Güde abwertend von einer „Briefkastenfirma“ sprach.
Doch trotz ihrer beschränkten Möglichkeiten konnten die Ermittler schon kurz nach Beginn ihrer Tätigkeit erste Achtungserfolge melden: Am 9. Dezember 1958 wurde in Karlsruhe Erich Ehrlinger verhaftet, der nach dem Überfall auf die Sowjetunion zum Leiter eines in Litauen operierenden Einsatzkommandos ernannt worden war. Im Sommer 1959 wurde aufgrund der Ludwigsburger Ermittlungen der Präsident des Landeskriminalamts von Rheinland-Pfalz, Georg Heuser, festgenommen, der als ehemaliger SS-Hauptsturmführer an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung in Weißrussland beteiligt gewesen war.
Im Oktober desselben Jahres zog Baden-Württembergs Justizminister, Wolfgang Haußmann, eine stolze Bilanz.
Wolfgang Haußmann: „Bei der Zentralen Stelle, welche erst seit elf Monaten arbeitet, sind bisher ca. 400 Fälle anhängig geworden, von welchen etwa die Hälfte erledigt werden konnte. Es ist keineswegs so, wie man so oft hört, dass durch die Tätigkeit der Zentralen Stelle im Ausland unnötigerweise verheilte Wunden aufgerissen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Das Ausland sieht in der Tätigkeit der Zentralen Stelle einen echten Beweis für die Rechtsstaatlichkeit unseres heutigen Staates. Denn Aufgabe der Zentralen Stelle ist es, an der Aufklärung scheußlicher Massentötungen mitzuarbeiten, also an Tötungsverbrechen, welche in den Kulturvölkern der ganzen Welt unter die schwersten Strafen gestellt sind.“
Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, ohne dessen unermüdlichen Einsatz der Frankfurter Auschwitz-Prozess nicht zustande gekommen wäre und der wesentlich zur Ergreifung Adolf Eichmanns beitrug, Fritz Bauer ging in seiner Beurteilung der Bedeutung der Arbeit der Zentralen Stelle wie überhaupt der Prozesse gegen NS-Verbrechen sogar noch einen Schritt weiter.
Fritz Bauer: „Es geht nicht nur um Strafprozesse. In Wirklichkeit geht es um einen ganzen Prozess deutscher Geschichte, um einen Prozess neuen Bewusstseins und Moralbildung in der Bundesrepublik. Im Grunde genommen müsste ich eigentlich sagen, es handelt sich um einen unendlichen Prozess. Aufgabe all dieser Prozesse ist im Grunde genommen, nicht nur Geschichte zu schreiben, sondern – wenn es vielleicht auch vermessen klingt – beizutragen, Geschichte zu machen.“
An der Tagesordnung waren jedoch massive Behinderungen. Besonders aktiv hintertrieb das mit ehemaligen Nazis durchsetzte Auswärtige Amt die Strafverfolgung. Seine „Zentrale Rechtschutzstelle“ ZHS verweigerte den Ludwigsburger Ermittlern nicht nur die Amtshilfe, sondern warnte überdies untergetauchte NS-Spitzenfunktionäre wie Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“, oder Alois Brunner, ehemaliger Kommandant des Sammellagers Drancy, vor einer drohenden Ver-haftung.
Die Aufklärung der Verbrechen in den deutschen Vernichtungslagern auf polnischem Territorium war ein Schwerpunkt der Ludwigsburger, dennoch untersagte die Bundesregierung ihnen Reisen nach Warschau, um die dortigen Archive auswerten zu können. In den Anfangsjahren war man deshalb auf die Zulieferarbeit von Privatpersonen angewiesen, allen voran dem Historiker Hanns von Krannhals sowie dem Schriftsteller und Regisseur Thomas Harlan. Am Beispiel des Vernichtungslagers Majdanek schildert Oberstaatsanwalt Streim, nach Erwin Schüle und Adalbert Rückerl der dritte Leiter der Zentralen Stelle, welche Auswirkungen solche Restriktionen auf den Ermittlungsprozess hatten.
Alfred Streim: „Wir haben schon 1960 das Verfahren nach Nordrhein-Westfalen abgegeben. Die kamen nicht weiter, weil Besetzungslisten des Konzentrations- und Vernichtungslagers fehlten. Wir haben uns bemüht, diese Listen zu bekommen, haben sie aber nicht bekommen. Wir haben uns auch bemüht, im Wege des Schneeballsystems den Kreis der Beschuldigten aufzuklären. Das ging auch nicht. Wir haben erst im Februar 1965 im Lager Majdanek selbst, als wir nach Polen fahren durften, diese ganzen Unterlagen gefunden. Dort lag alles. Und jetzt kam auf einmal das große Verfahren auf die Staatsanwaltschaft zu.“
Erst 1975, 16 Jahre nach Beginn der Vorermittlungen durch die Zentrale Stelle, wurde der Majdanek-Prozess vor dem Düsseldorfer Landgericht eröffnet. Nach der Anhörung von 350 Zeugen im In- und Ausland endete er 1981 mit dem Freispruch von acht der insgesamt 16 Angeklagten.
Barbara Just-Dahlmann: „Was ich in der einen Woche zur Kenntnis bekam, das war ungeheuerlich. Da waren ja die grausigsten Dinge von Kindern, die lebendig verbrannt wurden, bis zu Juden, die zu Seife verkocht wurden in der Gegend von Danzig. Ich sage es bewusst mal so krass, damit Sie verstehen, warum ich von diesem Problem so gefressen bin.“
Die Staatsanwältin Barbara Just-Dahlmann wurde im Mai 1960 für fünf Tage nach Ludwigsburg abgeordnet, weil sie ursprünglich aus Posen stammte und perfekt die polnische Sprache beherrschte. Ihre Aufgabe bestand unter anderem darin, Inhaltsangaben von Zeugenprotokollen anzufertigen. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum im November 1961 zum Thema „Politische Prozesse heute“ schockierte Barbara Just-Dahlmann ihre Zuhörer mit der ausführlichen Beschreibung von Tötungssituationen und der detaillierten Wiedergabe von Täter- und Opferreaktionen. Und sie kritisierte das (Zitat:) „absonderliche Verhalten“ mancher mit der Zentralen Stelle kooperierenden Justizbehörden und insbesondere der Landeskriminalämter.
„Normalerweise gibt die Staatsanwaltschaft einen Verhörbefehl an die Polizeidienststelle X. Nun geschieht es aber, dass gerade die Polizeidienststelle durchsetzt ist von Personen, die von der Zentralen Stelle zu verhaften wären.“
Diese Äußerung sorgte bis ins Bonner Justizministerium für Unmut, so dass Baden-Württembergs Justizminister Wolfgang Haußmann sich beeilte, Barbara Just-Dahlmann eine schwere dienstliche Verfehlung vorzuwerfen und „dienstrechtliche Folgerungen“ anzudrohen – die dann aber doch nicht umgesetzt wurden.
Auch der Ludwigsburger Behördenchef Erwin Schüle weigerte sich, seiner Mitarbeiterin Rückendeckung zu geben, obwohl er wenige Monate zuvor auf einer Tagung von Generalstaatsanwälten selbst eine alarmierende Analyse zur Situation im Polizeidienst gegeben und den Versammelten die eher rhetorisch gemeinte Frage gestellt hatte:
„Mit welchem moralischen Recht verfolgt ein Mann, an dessen Händen das Blut von hunderten und tausenden Unschuldigen klebt, einen Mörder unserer Tage?“
Starke Worte, denen jedoch keine Taten folgten, als es darum ging, seine Kollegin Just-Dahlmann darin zu unterstützen, die Probleme der NS-Strafverfolgung aufzuzeigen – und sie dadurch vielleicht sogar aus der Welt zu schaffen.
Annette Weinke: „Die Diskussion um die sogenannten „Alten Kameraden“ bei Polizei und Justiz war sicherlich eine Diskussion, in der Ludwigsburg keine gute Figur gemacht hat.“
Die Berliner Historikerin Annette Weinke.
Annette Weinke: „Der Sachverhalt war im Prinzip bekannt, er war auch schon Gegenstand der westdeutschen Medienberichterstattung gewesen. Insofern war die Art und Weise, wie man mit der Kritikerin und Mitarbeiterin Barbara Just-Dahlmann umgegangen ist, eine große Peinlichkeit, denn sie war eigentlich jemand, der versucht hat, den Finger in die Wunde zu legen und diese schwache Stellung von Ludwigsburg zu verbessern.“
In ihrem Buch Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst, das jetzt anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Zentralen Stelle erschienen ist, schildert Annette Weinke auch die Versäumnisse der Ludwigsburger Zentralstelle.
Annette Weinke: „Es gab in Ludwigsburg – vor allem aber in Stuttgart, beim Landesjustizministerium – kein Gespür dafür, dass man durch eine positive Öffentlichkeitsarbeit die Arbeit dieser Stelle hätte nachhaltig unterstützen können. Also da war es schon so, dass man versuchte, den Deckel drauf zu halten und eigentlich sich darauf zu beschränken, seine Statistiken am Ende des Jahres zu verkünden. Das ganze sollte schnell gehen, das ganze sollte geräuschlos gehen und sollte dann mehr oder weniger sang- und klanglos nach einigen Jahren abgewickelt werden. Das ganze wurde ja immer unter dieses Verdikt des Sonderrechts gestellt, was man auf keinen Fall wollte.“
Stattdessen fasste die Bundesregierung Ende 1964 den Beschluss, nicht an der damaligen Gesetzeslage zu rühren, nach der jene NS-Verbrechen, die den Tatbestand des Mordes erfüllten, im Mai 1965 verjährt sein würden. Der bereits seit 1963 laufende Auschwitz-Prozess sollte das letzte große Verfahren dieser Art sein.
Schützenhilfe erhielt das Parlament ausgerechnet vom Ludwigsburger Behördenchef Erwin Schüle, der sich offen gegen eine Verlängerung der Verjährung aussprach.
Erwin Schüle: „Ich hielte es für falsch, die Verjährungsfrist nun durch ein Sondergesetz zu verlängern. Sondergesetze, das war es, was die Nationalsozialisten hervorgebracht haben. Wir sollten und müssen uns, gerade weil wir die Taten eines Unrechtsregimes verfolgen, streng an rechts-staatliche Grundsätze halten.“
Beruhte diese Äußerung nur auf einer unverständlichen Fehleinschätzung der Sachlage? Wenige Wochen später meldete die DDR-Nachrichtenagentur ADN, dass Erwin Schüle selbst Mitglied der NSDAP und der SA gewesen war. Als Leiter der obersten NS-Ermittlungsbehörde war er nun nicht mehr tragbar. Er kehrte nach Stuttgart zurück und setzte sich in seiner späteren Funktion als Chefankläger der Rote Armee Fraktion vehement für Sondergesetze wie Isolationshaft und Kontaktsperre ein.
Dem Ruf der Zentralen Stelle fügte der Skandal um Schüles Vergangenheit keinen bleibenden Schaden zu. Im Gegenteil: Unter seinen Nachfolgern Adalbert Rückerl und Alfred Streim erwarb sie sich vor allem in den vom Naziterror heimgesuchten Ländern Osteuropas ein so hohes Ansehen, dass Alfred Streim sogar mit dem Offizierskreuz der polnischen Republik ausgezeichnet wurde.
Und auch für die Verjährungsdebatte waren Schüles Stellungnahmen nicht ausschlaggebend, denn erneut nötigten Proteste aus dem Ausland und die Kritik in den Medien die Bundesregierung zum Umdenken. Als Folge bat sie im November 1964 in einem Aufruf an (Zitat:) „alle Regierungen, Organisationen und Einzelpersonen im In- und Ausland“, das in ihrer Hand befindliche, in der Bundesrepublik jedoch bis dahin unbekannte Material über NS-Verbrechen und deren Täter der Zentralen Stelle zur Verfügung zu stellen. Noch am selben Tag beschlossen die Landesjustizminister, die Zuständigkeit der Behörde auf Verbrechen auszuweiten, die auf dem Territorium des sogenannten „Dritten Reiches“, also auch im Gebiet der Bundesrepublik, begangen worden waren. Auf Amtshilfe von Seiten der DDR, wo sich viele der ehemaligen Lager der Wehrmacht befanden, wartete man in Ludwigsburg allerdings vergebens: Zur Jahreswende 1964/65 kündigte Ost-berlin die Zusammenarbeit einseitig auf.
Immerhin war es den Ludwigsburgern nun erlaubt, in polnischen Archiven zu recherchieren. Ihr Eindruck von dem immensen Umfang der Gerichtsakten, Urkunden, Berichte oder Tagebuchaufzeichnungen war so umwerfend, dass jeder Gedanke an eine Verjährung absurd erscheinen musste. Eine Einschätzung, zu der schließlich auch die Mehrheit des deutschen Bundestags gelangte. Am 10. März 1965 verlängerte er die strafrechtliche Verjährungsfrist von Mord bis zum Ende des Jahres 1969.
Das Personal der Zentralen Stelle wurde aufgestockt, so dass zeitweise 49 Staatsanwälte und Richter für sie arbeiteten. Polizeiliche Unterstützung erhielt sie von eigens zu diesem Zweck bei den Landeskriminalämtern eingerichteten Sonderkommissionen. Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik waren damit die Voraussetzungen für eine breite und systematische Aufklärung von NS-Verbrechen gegeben. Zwischen 1967 und 1971 wurden von den Ludwigsburgern mehr als 600 Vorermittlungsverfahren gleichzeitig bearbeitet.
Die Schattenseite dieses Erfolgs war, dass die Mitarbeiter der Zentralen Stelle als Nestbeschmutzer beschimpft und von Schmähbriefen überschüttet wurden. Dieter Kuhlbrodt über seine Zeit als Staatsanwalt bei der Zentralen Stelle:
Dieter Kuhlbrodt: „Vor unseren Fenstern zog an irgendeinem Tag mit klingendem Spiel die Bundeswehr vorbei, denn der SS-General Sepp Dietrich wurde zu Grabe getragen. Und dann reckten sich Fäuste und wir hörten Rufe: ‚Wir kriegen euch noch!‘ Das war Ludwigsburg 1966.“
Vor allem die zunehmende Zusammenarbeit der Zentralen Stelle mit den Ländern des Ostblocks war vielen ein Dorn im Auge. Als im September 1968 eine Arbeitsgruppe zum ersten Mal zur Akteneinsicht nach Moskau reiste, ließ es sich der ehemalige Generalbundesanwalt und damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Max Güde nicht nehmen, dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ mitzuteilen:
„Wenn die Russen 20 Jahre lang in böser Absicht Beweismaterial verweigern, dann (…) ist der Höhepunkt an Dummheit erreicht, wenn unsere Idioten trotzdem hinfahren und das Zeug abholen.“
1969 verschob der Bundestag erneut die Verjährung, dieses Mal um zehn Jahre. 1979 beschloss er dann mit 255 zu 222 Stimmen, die Verjährung für Mord und Völkermord gänzlich aufzuheben. Für die Arbeit der Ludwigsburger brachte das keine Vorteile mehr, denn bereits im Oktober 1968 war mit der Neufassung des Paragraphen 50 Absatz 2 des Strafgesetzbuches die „kalte Amnestie“ durchgesetzt worden.
Denn die Gesetzesänderung sah vor, dass Mordgehilfen, die ohne Täterwillen handelten und deren Taten weder grausam noch heim-tückisch waren, nur noch wegen Beihilfe zu höchstens 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden konnten. Die Verjährungsfrist für Beihilfe war jedoch schon 1960 abgelaufen. Quasi über Nacht mussten zahlreiche Verfahren eingestellt werden, darunter 18 Verfahren gegen rund 300 ehemalige Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes. Die Anzahl der von der Zentralen Stelle bearbeiteten Vorermittlungen ging rapide zurück. Das sollte sich 1994 mit einem Schlag ändern, als der römische Militärstaatsanwalt Antonino Intelisano im Palazzo Cesi, dem Sitz der All-gemeinen Militäranwaltschaft in Rom, einen braunen Holzschrank umdrehte, der bis dahin mit der Tür zur Wand gestanden hatte und eigens mit einem Eisengitter abgesichert war. Intelisano hatte den sogenannten „Schrank der Schande“ entdeckt. Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle:
Kurt Schrimm: „Nach dem Abfall Italiens von den Achsenmächten fanden vor allem in Oberitalien zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung statt. Die italienischen Behörden haben Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre begonnen, dies strafrechtlich aufzuarbeiten – bis dann 1952/53 diese Schlussstrich-Mentalität auch in Italien einkehrte. Und dann haben sich die italienischen Militärstaatsanwaltschaften daran gemacht, diese Akten neu aufzuarbeiten. So wurden die Akten auch bei uns bekannt und werden von einem Mitarbeiter von mir seit drei oder vier Jahren abgearbeitet.“
695 Fälle wurden von den italienischen Militärstaatsanwaltschaften neu aufgerollt, darunter der des SS-Hauptsturmführers Erich Priebke. 1995 wurde Priebke von Argentinien nach Italien überstellt und 1998 von einem römischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt, die aufgrund seines hohen Alters in Hausarrest umgewandelt wurde.
Außer Italien gehören zu den Hauptquellen der Zentralen Stelle die Archive der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem und des amerikanischen Holocaust-Museums in Washington. Über 20 Ermittlungsverfahren werden von dem kleinen Team um Kurt Schrimm derzeit geführt. Sie betreffen auch die beiden meistgesuchten NS-Schergen, den österreichischen SS-Arzt Aribert Heim und den ukrainischen KZ-Aufseher Iwan Demjanjuk. Heim soll vor wenigen Monaten in Argentinien gesehen worden sein, während Demjanjuk in den USA lebt. Die amerikanische Staatsbürgerschaft wurde ihm bereits aberkannt. Pünktlich zum 50jährigen Jubiläum der Zentralen Stelle konnte Kurt Schrimm jetzt die Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft München übergeben, auf dass diese die Ausweisung Demjanjuks beantragen und Anklage erheben möge. Kurt Schrimm ist überzeugt, dass seine Behörde gute Vorarbeit dafür geleistet hat.
Wie so oft. Genauer genommen in über 7360 Vorermittlungsverfahren gegen insgesamt etwa 106.500 Personen, von denen allerdings weniger als 6.500 rechtskräftig verurteilt wurden – in den meisten Fällen wegen Beihilfe. Der Zentralen Stelle kann dieses magere Ergebnis jedoch am wenigsten angelastet werden. Kurt Schrimms Bilanz nach 50 Jahren Aufklärungsarbeit durch die Ludwigsburger Behörde fällt deshalb positiv aus, zumal die in den knapp 300.000 Dokumenten archivierten Aussagen von Tätern und Opfern von unschätzbarem Wert für die historische Forschung in der Bundesrepublik sind, die die systematische Befragung von Zeitzeugen des sogenannten „Dritten Reiches“ lange Jahre weitestgehend vernachlässigt hat.
Kurt Schrimm: „Es gibt immer noch Vorfälle, Taten, die wir nicht kennen. Die wird es immer geben; wir werden nie alles aufklären können. Und es wurden Fehler gemacht bis in die 90er Jahre, ganz sicherlich. Aber das Positive ist, dass überhaupt versucht wurde, das aufzuarbeiten. Und es hat mir persönlich unheimlich viel gebracht, dass es mir möglich war, mit Augenzeugen zu sprechen. Nicht auf Bücher angewiesen zu sein, nicht aus drittem Munde zu hören, was andere eruiert haben, sondern mit vielen, zahllosen Leuten gesprochen zu haben, die gesagt haben: ‚Ich habe das gesehen, ich war dabei.‘ Das ist ein ungeheurer persönlicher Gewinn für mich.“
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NS-Aufarbeitung
Nazijäger mit Vergangenheit
Sie sollte aufklären und wurde selbst zum Skandal: 1958 nahm in Ludwigsburg die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen ihre Arbeit auf. An ihrer Spitze - ein ehemaliges NSDAP-Mitglied.
Von Andreas Mix
28.11.2008, 12.53 Uhr
Als Oberstaatsanwalt Erwin Schüle am 1. Dezember 1958 die neu gegründete Behörde mit dem sperrigen Namen "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrecher" bezog, musste er mit seinem kleinen Mitarbeiterstab zunächst die Diensträume entrümpeln. Vom ehemaligen Frauengefängnis an der Schorndorfer Straße in Ludwigsburg aus sollte Schüle mit seinem Team innerhalb von wenigen Jahren die unbequeme Vergangenheit strafrechtlich endgültig bewältigen. "Der führende Nazi-Jäger der Bundesrepublik", wie ihn der SPIEGEL titulierte, ging die Aufgabe mit großem Engagement an - bis er über seine eigene Vergangenheit stolperte.
Für die neue Stelle hatte sich Schüle als Ankläger im Ulmer Einsatzgruppenprozess empfohlen. Der damals 45-Jährige brachte 1958 zehn Männer eines SS-Einsatzkommandos vor Gericht, die 1941 im deutsch-litauischen Grenzgebiet Tausende Juden erschossen hatten. Der Prozess schreckte die bundesdeutsche Gesellschaft auf. Das Wirtschaftswunderland wurde plötzlich mit einer Vergangenheit konfrontiert, die als abgeschlossen galt - schließlich hatten die Amerikaner im Mai 1958 die letzten verurteilten Kriegsverbrecher der Nürnberger Nachfolgeprozesse vorzeitig aus der Haft entlassen. Umso bestürzender waren die Prozessberichte. Sie enthüllten, dass längst nicht alle NS-Verbrechen bekannt, geschweige denn geahndet worden waren. Viele NS-Mörder hatten sich mehr oder minder unbemerkt in brave Bundesbürger verwandelt, wie nun die Presse mit Erstaunen und wachsender Empörung registrierte.
Der Ulmer Prozess brachte die Justiz in Bedrängnis. Die NS-Verbrechen waren von ihr bisher nämlich ohne System und vielfach sogar unwillig verfolgt worden. Unter dem Eindruck der grausamen Details aus dem Einsatzgruppenprozess jedoch wuchs die Kritik an der "Zufallsjustiz" ("Süddeutsche Zeitung"). In einer Allensbach-Umfrage sprachen sich im August 1958 knapp 54 Prozent der Befragten für eine weitere Strafverfolgung der NS-Verbrechen aus.
Verdiente Ruhe?
So musste die Politik handeln. Wenige Wochen nach dem Ulmer Urteil beschlossen die Justizminister der Länder und des Bundes im Herbst 1958 die Gründung einer zentralen Behörde zur Verfolgung von NS-Tätern. Auf den Weg gebracht wurde sie von engagierten Juristen wie dem Stuttgarter Generalstaatsanwalt Erich Nellmann, der Schüle mit dem Ulmer Einsatzgruppenprozess betraut hatte. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Mörder und ihre Gehilfen, die wir mit systematischem und planvollem Vorgehen erreichen können, straflos ausgehen und zum Teil als Beamte und Angestellte des Staates, sogar der Polizei, tätig sind", erklärte Nellmann.
Seinem Vorgesetzten, dem baden-württembergischen Justizminister Wolfgang Haußmann (FDP), schlug er eine zentrale Staatsanwaltschaft für die Verfolgung von NS-Verbrechen vor, aber Haußmann konnte sich damit bei seinen Länderkollegen nicht durchsetzen. Manche lehnten intensivere Ermittlungen der Justiz in Sachen Nazi-Verbrechen rundweg ab. Dem "Volke die verdiente Ruhe zu gönnen", verlangte etwa Hubert Ney (CDU), Justizminister des Saarlands. Mit der Ruhe war es jedoch längst vorbei. Seit 1957 attackierte die DDR medienwirksam "Hitlers Blutrichter in Adenauers Diensten". Die bewährte Haltung aus Abwehr und Ignoranz konnte sich die Bundesrepublik gegenüber ihren Verbündeten und einer zunehmend kritischeren Öffentlichkeit nicht mehr leisten.
So fiel der Beschluss zur Gründung der neuen Behörde einstimmig aus - ihre Kompetenz allerdings war begrenzt: Sie sollte allein die außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik verübten NS-Verbrechen aufklären. Die Verbrechen der Justiz im "Dritten Reich" selbst, aber auch die Morde in den sogenannten Euthanasieanstalten, in denen die Nazis behinderte Menschen als "lebensunwert" ermordet hatten, waren der Zentralen Stelle entzogen. Auch selbständig Anklage erheben konnten die Ludwigsburger Staatsanwälte nicht.
Ein "bestimmter Geruch"
Trotz dieser Einschränkungen und einer dürftigen Ausstattung entwickelte das Team von Oberstaatsanwalt Erwin Schüle eine rege Aktivität. Mehr als 400 Ermittlungsverfahren wurden binnen eines Jahres eingeleitet. Sie betrafen die Morde der Einsatzgruppen in der Sowjetunion, die Ghettoräumungen im besetzten Polen und die Verbrechen in den Konzentrationslagern. Schnell gab es spektakuläre Ergebnisse. So konnte im Sommer 1959 der Präsident des Landeskriminalamts von Rheinland-Pfalz, Georg Heuser, verhaftet werden, der als SS-Hauptsturmführer am Mord der jüdischen Bevölkerung in Weißrussland beteiligt gewesen war.
Mit den Erfolgen allerdings wuchs auch die Kritik an den Nazi-Jägern von Ludwigsburg. Der Bürgermeister von Ludwigsburg sprach öffentlich von einem "bestimmten Geruch", der der Stadt des "blühenden Barocks" nun durch die dort ansässigen Ermittler anhafte.
1965, zwanzig Jahre nach Kriegsende, wären die nach damaligem Recht in der NS-Zeit verübten Morde verjährt. Bis dahin hoffte Schüle, sämtliche Taten zu erfassen. Doch die Ermittler stießen auf immer neue, bislang unbekannte Verbrechen. Die Tatorte lagen zumeist in Osteuropa. Die dortigen Archive aber waren den Ludwigsburger Ermittlern verschlossen, da die Bundesrepublik noch keine diplomatischen Beziehungen zu den Ostblockstaaten unterhielt. Als sich Schüle dennoch um direkten Zugang zu den Akten bemühte, geriet er ins Kreuzfeuer der Schlussstrichapologeten und der DDR-Propaganda. Die Stasi versuchte, der bundesdeutschen Justiz den Weg zu den Archiven der sozialistischen Bruderländer abzuschneiden. Dazu zielten Mielkes Männer auf den Ludwigsburger Behördenleiter.
Der nützlichste Pg., den es je gab
Als Schüle am 4. Februar 1965 das erste Mal nach Warschau flog, enthüllte die DDR-Nachrichtenagentur ADN seine NSDAP- und SA-Mitgliedschaft. "Nazis 'überprüfen' Nazis", höhnte das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland". In Warschau gelandet, stritt Schüle ab, was seine Vorgesetzten in Stuttgart und Bonn längst wussten: Der Jurastudent war 1933 in die SA und 1937 in die NSDAP eingetreten. Die politische Instinktlosigkeit, einen ehemaligen Parteigenossen auf eine so exponierte Stelle zu platzieren, beschädigte den Ruf der Ludwigsburger Behörde.
Ihr Leiter konnte sich jedoch noch im Amt halten, bis die Sowjetunion ihn ein Jahr später beschuldigte, im Herbst 1941 im russischen Tschudowo Zivilisten erschossen zu haben. Als Leutnant in der 215. Infanterie-Division der Wehrmacht hatte Schüle an der Ostfront gekämpft. 1945 war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft per Schnellverfahren zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt, dann aber vorzeitig entlassen worden. "Die Sache Erwin Schüle" - so der Titel eines sowjetischen Propagandafilms - konnte jedoch nicht aufgeklärt werden, weil die Moskauer Behörden keine Beweise für ihre Behauptungen vorlegen wollten oder konnten. Von den Vorwürfen zermürbt, bat der "nützlichste Pg., den es je gab" (DER SPIEGEL), im August 1966 um Ablösung von seinem Posten. Für die Zentrale Stelle war der Fall Schüle ein "Gau", der größte anzunehmende Unfall, so sein ehemaliger Mitarbeiter Dietrich Kuhlbrodt.
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NS-Vergangenheit: Nazis jagen Nazis
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Problemlose Integration: Rechtsanwalt Dr. Rudolf Aschenauer mit dem Hauptangeklagten des Ulmer Einsatzgruppenprozesses Werner Hersmann 1958. Hersmann und Hans-Joachim Böhme waren 1941 die Leiter der örtlichen Gestapo und des Sicherheitsdienstes gewesen. Wie fast alle Angeklagten des "Einsatzkommandos Tilsit" hatten sie sich problemlos im bundesdeutschen Wirtschaftswunderland integriert.
Foto: Südwest Presse Ulm, Simon Resch
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Eine Gewitterwolke: Journalisten und Zuschauer 1958 im Gerichtssaal des Ulmer Einsatzgruppenprozesses. Der Prozess hatte die deutsche Öffentlichkeit erstmals mit den in Osteuropa verübten NS-Verbrechen konfrontiert. Prozessbeobachter Ralph Giordano schrieb damals von einer "Gewitterwolke über der Bundesrepublik", die plötzlich aufgestochen werde.
Foto: Su¿dwest Presse Ulm
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Durch Zufall ermittelt: Die Angeklagten Edwin Sakuth, Harm Harms und Bernhard Fischer-Schweder während des Ulmer Einsatzgruppenprozesses 1958. Fischer-Schweder war direkt nach dem Krieg als "nicht betroffen" entnazifiziert worden. 1955 hatte der ehemalige Polizeipräsident von Memel, SS-Oberführer und Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP, auf Wiedereinstellung in den deutschen Staatsdienst geklagt. Hintergrund: Als im Rahmen einer Routine-Überprüfung bekannt geworden war, dass Fischer-Schweder falsche Angaben zu seiner Person gemacht hatte, wollte das Regierungspräsidium Nordwürttemberg ihn nicht länger als Leiter eines Flüchtlingslagers beschäftigen. Es war keine systematische Ermittlungsarbeit der Justiz gewesen, die den Ulmer Prozess in Gang gebracht hatten, sondern lediglich ein Zufall.
Foto: Südwest Presse Ulm, Simon Resch
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Frauenbaracke in Auschwitz: Diese Aufnahme entstand unmittelbar nach der Befreiung des KZ Auschwitz durch sowjetische Soldaten am 27. Januar 1945. Nikolai Politanow, einer der Befreier, erinnert sich an die unbeschreiblichen Zustände: "In einer anderen Baracke lag eine Frau im Sterben. Ich fragte sie, ob sich noch jemand aus ihrer Familie im Lager befinde. Sie antwortete mit Ja. Per Lautsprecher haben wir ihre Verwandtschaft im Lager gesucht und die Familie zusammengeführt. Kurz darauf ist die Frau gestorben, trotz der Bemühungen einer unserer Ärztinnen."
Die Aufklärung von Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus war nach Ansicht vieler Bundesbürger und auch laut Stimmen aus dem Ausland bis Ende der fünfziger Jahre unzulänglich. In Ludwigsburg wurde daher Ende 1958 eine zentrale Justizbehörde zur Aufklärung der Verbrechen eingerichtet.
Foto: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz
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"Dr. Tod": Gegen diesen Mann ermitteln die Juristen der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Aribert Heim wird dringend verdächtig, als SS-Lagerarzt im Konzentrationslager Mauthausen zahlreiche Häftlinge durch Herz-Injektionen ermordet zu haben. Das Foto zeigt ihn in einer undatierten Aufnahme.
Foto: dpa
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Demjanjuk in Israel: Wohl bereits mit der Vorahnung, dass das gegen ihn verhängte Todesurteil aufgehoben würde, lacht der ehemalige KZ-Wächter John (auch: Iwan) Demjanjuk am 3. Juni 1992 in Israels Oberstem Gericht lauthals. Bis heute ermittelt die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen gegen ihn.
Foto: NATI HARNIK/ AP
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Kurt Schrimm: Der Oberstaatsanwalt bei seiner Arbeit in der "Zentralen Stelle der Landesverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Mit seinem siebenköpfigen Team von Staatsanwälten führt Kurt Schrimm derzeit immer noch mehr als zwanzig Ermittlungsverfahren.
Foto: REUTERS
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Erwin Schüle: Der Oberstaatsanwalt wurde am 1. Dezember 1958 Leiter der neu gegründeten Behörde "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen". Er ging seine Aufgabe mit großem Engagement an - bis ihn seine eigene Nazi-Vergangenheit einholte. 1966 gab Schüle seinen Posten auf.
Foto: dpa
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Hauptquartier der Nazi-Jäger: Die Zentrale Stelle Ludwigsburg in der Schorndorfer Straße 58. Seit ihrer Gründung am 1. Dezember 1958 hat die Behörde ihren Sitz im ehemaligen Frauengefängnis.
Foto: Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen
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Kriegsverbrechen
Männer mit Vergangenheit
Er war ein Säufer, Betrüger, Kinderschänder - und Chef einer SS-Sondereinheit. Aus einer Horde von Wilddieben formte der Kaufmannssohn Oskar Dirlewanger eine Mörderbande, die in Warschau 1944 in wenigen Tagen Zehntausende Menschen umbrachte. Jetzt sind Hinweise auf noch lebende Täter der Truppe aufgetaucht.
Von Andreas Mix
29.06.2008, 09.48 Uhr
Es war ein klassischer Zufallstreffer: Auf der Suche nach Zeitzeugen erhielt das Warschauer Aufstandsmuseum vom Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes in München 2006 die Namen und Adressen von etwa achtzig Personen. Es handelte sich in der Tat um Zeitzeugen, die die Niederschlagung des Aufstandes der polnischen Patrioten im August 1944 aus eigenem Erleben schildern könnten - und zwar aus einer ganz besonderen Perspektive. Die sämtlich über 80-jährigen Männer waren damals nämlich Angehörige der SS-Sonderformation Dirlewanger, einer der berüchtigtsten Einheiten der SS, die allein in Warschau Zehntausende Menschen ermordete.
Die SS-Leute waren in den DRK-Archiven verzeichnet, weil sie in den fünfziger Jahren aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt waren und Heimkehrer damals vom DRK betreut wurden. Zwei Jahre lang lagen die Karteikarten unbeachtet in der Sammlung des Warschauer Museums, bis ein Journalist der Tageszeitung "Rzeczpospolita" darauf stieß - und einige der mutmaßlichen Kriegsverbrecher im Telefonbuch fand. Der Leiter des polnischen Instituts des Nationalen Gedenkens (PN), Janusz Kurtyka, fordert nun, die deutsche Justiz solle die Kriegsverbrecher vor Gericht stellen.
Die SPIEGEL Gruppe ist nicht für den Inhalt verantwortlich.
Die SS-Sonderformation Dirlewanger wurde auf Befehl des "Reichsführers SS" Heinrich Himmlers 1940 im brandenburgischen Oranienburg aus Wilddieben aufgestellt. Ihr Kommandeur Oskar Dirlewanger, ein Kaufmannssohn aus Würzburg, war selbst innerhalb der SS verrufen. Der 1895 geborene Stoßtruppführer aus dem Ersten Weltkrieg und spätere Freikorpskämpfer galt als ein moderner Landsknecht. Als notorischer Trinker und Betrüger kam der promovierte Ökonom ("Zur Kritik des Gedankens einer planmäßigen Leitung der Wirtschaft") immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. Wegen Unzucht mit einer 13-Jährigen wurde Dirlewanger 1934 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt; kurz nach seiner Entlassung landete er wegen Veruntreuung erneut hinter Gittern.
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Marodierende Soldateska
Allerdings besaß Dirlewanger einen mächtigen Fürsprecher: Gottlob Berger, ein Kamerad aus dem Ersten Weltkrieg und ab 1939 Chef des SS-Hauptamtes. Berger sorgte dafür, dass sein Schützling nach der erneuten Verurteilung freikam und sich im Spanischen Bürgerkrieg in der "Legion Condor" im Sinne der SS "bewähren" konnte. Dirlewangers Truppe war eine marodierende Soldateska, die bei ihrem Einsatz im besetzten Polen eine breite Blutspur hinterließ. Der Gestapo-Chef von Lublin bezeichnete den Landsknechthaufen als eine "Landplage". Als das SS- und Polizeigericht Krakau gegen Dirlewanger und seine Männer wegen Unterschlagung ermittelte, sorgte Berger dafür, dass die Einheit nach Weißrussland versetzt wurde. Im Kampf gegen Partisanen brannte die Truppe ganze Dörfer nieder, plünderte, vergewaltigte und mordete.
Die Sonderformation, die kein offizieller Verband der Waffen-SS war, entwickelte sich zu einer Bewährungseinheit für verurteilte SS-Mitglieder und Wehrmachtsangehörige. Ab 1942 wurden auch KZ-Häftlinge rekrutiert, sogenannte "Berufsverbrecher", "Asoziale" und schließlich selbst politische Gegner des NS-Regimes. Anders als von Himmler vorgesehen, meldeten sich durchaus nicht alle freiwillig zu der Einheit, die von Dirlewanger mit brutaler Disziplin geführt wurde. Im August 1944 schilderte Himmler den Gauleitern der NSDAP die Verhältnisse in der Truppe: "Der Ton in dem Regiment ist selbstverständlich in vielen Fällen, möchte ich sagen, ein mittelalterlicher, mit Prügel usw. Oder wenn einer schief guckt, ob wir den Krieg gewinnen, dann fällt er tot vom Tisch, weil ihn der andere über den Haufen schießt."
Massaker nach dem Aufstand
Für den SS-Chef war die Mörderbande ein ideales Instrument, um 1944 den Warschauer Aufstand niederzuschlagen. Am 1. August 1944 erhob sich die konspirative polnische "Heimatarmee" gegen die deutschen Besatzer, um Polens Hauptstadt noch vor dem Einmarsch der nahenden Roten Armee zu befreien. Wehrmacht, SS und Polizei gingen daraufhin mit äußerster Brutalität gegen die Aufständischen wie die Zivilbevölkerung vor. Besonders in den ersten Augusttagen verübten die vom Höheren SS- und Polizeiführer Heinz Reinefarth kommandierten Verbände in den Warschauer Stadtteilen Wola und Ochota zahlreiche Massaker. Allein in Wola beteiligten sich Dirlewangers Männer an der Erschießung von schätzungsweise 30.000 Menschen.
Die Gewaltexzesse und Plünderungen wurden schließlich von Erich von dem Bach-Zelewski, Himmlers "Chef der Bandenbekämpfung", unterbunden, da sie die Disziplin in der Truppe bedrohten. Hermann Fegelein, selbst einer der größten NS-Verbrecher, bezeichnete laut Generalstabschef Heinz Guderian gegenüber Hitler die Männer Dirlewangers als "wirkliche Strolche". Die rücksichtslose Kampfweise der selbsternannten "Sturmbrigade" führte zu hohen Verlusten, die mit immer neuen Insassen von Militärgefängnissen und KZ-Häftlingen aufgefüllt wurden.
Für den Einsatz in Warschau erhielt der "brave Schwabe" (Himmler über Dirlewanger) das Ritterkreuz und eine Einladung des "Generalgouverneurs" im annektierten Polen, Hans Frank, zu einem Festessen auf der Krakauer Burg. Seine Einheit, die 1945 noch zur 36. Waffen-Grenadier-Division der SS erhoben worden war, wurde vor Kriegsende von der Roten Armee im Raum Halbe südöstlich von Berlin eingekesselt. Dirlewanger selbst hatte sich da bereits mit reichlich Raubgut aus Warschau nach Südwestdeutschland abgesetzt. Nach Kriegsende geriet er in französische Kriegsgefangenschaft. Nachdem seine Identität entdeckt worden war, folterten ihn Polen in einem Racheakt zu Tode. Gerüchte, dass er den Krieg überlebte habe und in Diensten arabischer Staaten tätig sei, wurden erst in den sechziger Jahren durch eine Exhumierung widerlegt.
Landtagssitz statt Anklagebank
Nicht nur die Morde der Dirlewanger-Einheit in Warschau blieben ungesühnt. Für die im Sommer 1944 in Warschau begangenen Verbrechen verurteilten bundesdeutsche Gerichte lediglich zwei rangniedrige Angehörige der Waffen-SS. Erich von dem Bach-Zelewski bot sich im Nürnberger Prozess der Anklage als Zeuge an; gegen ihn wurde auch später nicht als Oberbefehlshaber bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands ermittelt. Mehrere Versuche, Heinz Reinefarth wegen der Massaker in Wola und Ochota anzuklagen, scheiterten in den sechziger Jahren. Als Bürgermeister von Westerland/Sylt und späterer Abgeordneter des "Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten" im Landtag von Schleswig-Holstein gelang ihm eine beachtliche politische Nachkriegskarriere. In den Vernehmungen schoben von dem Bach-Zelewski und Reinefarth die Schuld für die Gewaltexzesse Dirlewanger und anderen verstorbenen Kommandeuren zu.
In Polen besteht heute ein großes Interesse daran, dass gegen die "Henker von Wola" noch ermittelt wird. Zur Zeit der Volksrepublik manipulierten die Kommunisten das Gedenken an den verzweifelten, aber vergeblichen Aufstand gegen die deutschen Besatzer - der auch deshalb scheiterte, weil Stalin die Rote Armee vor der Stadt haltmachen ließ und den Polen nicht zu Hilfe kam. Dank einer gezielten Geschichtspolitik, die der im Oktober 2007 abgewählten Kaczynski-Regierung einige Popularität verschaffte, ist der Aufstand in den vergangenen Jahren zu einem Symbol für den Kampf Polens gegen zwei Diktaturen im 20. Jahrhundert geworden.
Nach Presseberichten über die mutmaßlichen Kriegsverbrecher, die ihren Ruhestand in Deutschland genießen, schaltete sich nun das Institut des Nationalen Gedenkens ein. Die Behörde verwahrt Dokumente aus der NS-Zeit und der Volksrepublik, ist aber auch für die Strafverfolgung von Verbrechen gegen das polnische Volk zuständig. Der Leiter Janusz Kurtyka kündigte an, die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg um Unterstützung zu bitten. Bei den Staatsanwälten in Ludwigsburg ist jedoch noch kein Rechtshilfeersuchen eingegangen. "Wir haben das Institut des Nationalen Gedenkens um Informationen zu den betreffenden Personen gebeten", erklärt der stellvertretende Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung, Joachim Riedel. "Dann werden wir prüfen, ob gegen sie bereits ermittelt wurde und sie vernehmen."
Dass es tatsächlich noch zu Strafprozessen kommt, ist dennoch eher unwahrscheinlich. Dokumente, mit denen sich die Verbrechen den einzelnen Männern der "Sondereinheit Dirlewanger" zuordnen ließen, gibt es nicht. Die wenigen noch lebenden Zeugen werden nach mehr als sechzig Jahren die Täter kaum zweifelsfrei identifizieren können. Dennoch: Mit Ermittlungen gegen die SS-Greise würde die deutsche Justiz wohl ein wichtiges Zeichen setzen, dass die Verbrechen bei der Niederschlagung der Warschauer Erhebung, die in Deutschland noch immer im Schatten des Aufstands im Warschauer Ghetto vom Frühjahr 1943 steht, nicht vergessen sind.
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Zweiter Weltkrieg
Die Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen
Dr. habil. Jörg Echternkamp
30.04.2015 /
Noch während des Krieges beschlossen die Alliierten, den Nationalsozialismus und den Militarismus in Deutschland zu beseitigen. Die Verbrechen der Deutschen sollten gesühnt und die Täter bestraft werden.
Die staatlich organisierten Massenverbrechen, die im Zweiten Weltkrieg begangen wurden, bildeten nicht nur einen moralischen "Zivilisationsbruch". Sie verstießen auch gegen geltende Regelungen des Kriegsvölkerrechts, wie sie in der Haager Landkriegsordnung und den Genfer Konventionen fixiert waren. Noch während des Krieges beschlossen die Alliierten daher die "politische Säuberung" Deutschlands nach dem Ende des Krieges. Zum einen wollten sie den Nationalsozialismus und den Militarismus beseitigen. Zum anderen sollten die Verbrechen der Deutschen gesühnt und die Täter in speziellen Kriegsverbrecherprozessen überführt und bestraft werden. Eine Strafe ohne Prozess kam für sie ebenso wenig in Frage wie der Verzicht auf jegliche Sühne. Dass die Täter für die Gräueltaten in den besetzten Gebieten zur Rechenschaft gezogen würden, hatten Roosevelt und Churchill bereits im Oktober 1941 angekündigt. Ein Jahr später hatte die Interalliierte Kommission zur Bestrafung von Kriegsverbrechen ihre Arbeit aufgenommen. Sie sollte ab 1944 gemeinsam mit der United War Crimes Commission die Gerichtsverfahren vorbereiten.
Das Londoner Statut
Nach Kriegsende kam es zu unterschiedlichen Arten von Prozessen, in denen die Siegermächte die Kriegs- und NS-Verbrechen mit strafrechtlichen Mitteln verfolgten. Die Verbrechen wurden zum einen vor deutschen, zum anderen vor alliierten Gerichten verhandelt. Das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30. Oktober 1945 hatte deutsche Gerichte in jenen Fällen für nicht zuständig erklärt, die sich gegen Staatsangehörige der alliierten Nationen richteten. Nicht nur die alliierte, auch die deutsche Justiz verfolgte dagegen in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre Verbrechen, die zwischen 1933 und 1945 von Deutschen an politischen Gegnern des NS-Regimes, an Juden, Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten und Zwangsarbeitern begangen wurden.
Um die Strafverfolgung zu vereinheitlichen, legte das Londoner Statut vom 8. August 1945 (auch Nürnberger Charta genannt) die Rechtsgrundlagen fest. Es kodifizierte die Tatbestände "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen den Frieden" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", die nun neben den Vorschriften des Strafgesetzbuchs galten. Als Kriegsverbrechen galten insbesondere Mord, Misshandlung und Verschleppung zur Zwangsarbeit, die Ermordung von Kriegsgefangenen, die Tötung von Geiseln, Raub und die mutwillige Zerstörung von Städten. Als Verbrechen gegen den Frieden galten Planung, Einleitung und Durchführung eines Angriffskriegs oder die Beteiligung an einer Verschwörung dazu. Zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit zählten die Gerichte alle Verbrechen, die mit den eigentlichen Kampfhandlungen nichts zu tun hatten und sich gegen die Zivilisten richteten: ihre Ermordung, Versklavung und Deportation, die Verfolgung aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen.
Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher
Am 8. August 1945 einigten sich die USA, Großbritannien, die Sowjetunion und Frankreich darauf, einen Internationalen Militärgerichtshof (IMT) einzurichten, vor dem jene Taten verhandelt werden sollten, deren Tatort unklar war. Auf der Anklagebank des IMT in Nürnberg saßen vom 20. November 1945 bis zum 30. September 1946 die Spitzenfunktionäre des NS-Regimes (sofern sie noch lebten). Die Anklage richtete sich gegen 22 sogenannte Hauptkriegsverbrecher und sechs als verbrecherisch angeklagte Organisationen. (Vor einem ähnlichen Sondergericht fand in Tokio von Mai 1946 bis November 1948 der Prozess gegen hohe japanische Militärs und Bürokraten statt.) Die Alliierten hatten die Stadt der "Reichsparteitage" und der Nürnberger Rassegesetze von 1935 gezielt als Ort des IMT ausgewählt. Dem Gerichtshof gehörte je ein Vertreter und Stellvertreter der USA, der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs an. Das Londoner Statut garantierte den Angeklagten die Grundsätze eines "gerechten Verfahrens" zu; so konnten auch ihre Verteidiger die Zeugen der Anklage ins Kreuzverhör nehmen. Die Urteile reichten von Freispruch in drei Fällen über teils lebenslange Haftsprachen bis zur Todesstrafe in den meisten Fällen.
Freisprüche, Freiheitsstrafen, Todesurteile
Die Urteile des Internationalen Gerichtshofs in Nürnberg gegen die Hauptkriegsverbrecher
Die Verhandlungen, die Präsentation der Beweismittel, vor allem der Urteilsspruch stießen im In- und Ausland auf großes Interesse. Die Tageszeitungen der Besatzungszonen berichteten laufend und brachten die Verbrechen zur Sprache – schließlich dienten die Prozesse auch der Umerziehung der Deutschen. Die NS-Prozesse wie auch die Bilder der befreiten Konzentrationslager bekräftigten im Ausland die Neigung, die Deutschen zu verteufeln. Im Inland weckten die Urteile des IMT den Eindruck, dass die wahren Täter bestraft worden seien – und sorgte so für die Entlastung der Mehrheit. Bei den meisten Zeitgenossen war der Prozess jedoch schon bald als "Siegerjustiz" verschrien. Warum kamen, fragten sie beispielsweise in Leserbriefen, die Verfehlungen der alliierten Seite wie der sowjetische Angriff auf Polen, die Erschießung polnischer Offiziere in Katyn oder die "Terrorangriffe" aus der Luft auf die deutsche Zivilbevölkerung nicht zur Sprache? Auch musste sich das Gericht den Vorwurf gefallen lassen, gegen das Rückwirkungsverbot zu verstoßen, demzufolge eine Tat nur bestraft werden kann, wenn ihre Strafbarkeit vor der Begehung gesetzlich bestimmt war (nulla poene sine lege). Allerdings verstießen die Tatbestände des Kriegsverbrechens und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gegen das Kriegs- und damalige Strafrecht. Der Briand-Kellog-Pakt von 1929, den auch Deutschland unterzeichnet hatte, verbot den Krieg als Instrument zur Lösung internationaler Konflikte. Auch im deutschen Widerstand, vor allem im Kreisauer Kreis, hatte man die Bestrafung von Rechtsverstößen gefordert. Klar ist auch, dass der Nürnberger Prozess eine unumgängliche Aufklärungsfunktion erfüllte, die an den Kriegsplänen, der verbrecherischen Herrschaftspraxis und dem Vernichtungskrieg keinen Zweifel ließ. Durch die Beschaffung des umfangreichen Beweismaterials wurde zudem eine bis heute wertvolle Grundlage für die geschichtswissenschaftliche Erforschung des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs geschaffen. Die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes 2001 in Den Haag folgte dem Vorbild von 1945.
Nürnberger Nachfolgeprozesse
Nach dem alliierten Sondergericht in Nürnberg fanden Prozesse in den einzelnen Besatzungszonen statt. Die Oberbefehlshaber konnten aufgrund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 ihrerseits Personen vor Gericht stellen, wie das insbesondere in den zwölf Nürnberger "Nachfolgeprozessen" unter amerikanischer Militärgerichtsbarkeit geschehen ist. Bis in den April 1949, wenige Tage vor Gründung der Bundesrepublik, führten die Amerikaner Prozesse gegen knapp 200 Funktionsträger des Dritten Reiches: gegen prominente Ärzte, Juristen, Industrielle, Diplomaten, Beamte und Generale. Zwölf "Fälle" wurden verhandelt, die im ersten Nürnberger Prozess 1945/46 nur beiläufig zur Sprache gekommen waren. Der sogenannte OKW-Prozess gegen Wilhelm Ritter von Leeb und andere (Fall 12) sowie der Prozess gegen die sogenannten Südost-Generäle (Fall 7) beispielsweise hing damit zusammen, dass das IMT das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) nicht als eine verbrecherische Organisation anerkannt hatte, ausdrücklich um die Beschuldigten individuell anklagen und in Einzelverfahren aburteilen zu können. Am verbrecherischen Charakter ihres Tuns hegte das Gericht dagegen keinen Zweifel – das wurde später immer wieder übersehen. In gesonderten Verfahren ging es nun auch um Friedrich Flick (Fall 5), den IG-Farben-Konzern, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (Fall 10) sowie die leitenden Funktionsträger, um das SS-Rasse- und Siedlungsamt (Fall 8), das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (Fall 4), im "Wilhelmstraßen-Prozeß" um das Auswärtige Amt (Fall 11) und schließlich um die Einsatzgruppen (Fall 9). In diesen "Nürnberger Nachfolgeprozessen" fielen die Urteile deutlich milder aus, als das noch vor dem Internationalen Militärgerichtshof der Fall gewesen war.
Quellentext
Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg
Schließlich gab es zahlreiche weitere Prozesse auf der Basis der vom Joint Chief of Staff erlassenen Direktive 1023/10, mit der die Vereinigten Stabschefs am 15. Juli 1945 die Besatzungsarmeen in allen vier Zonen zur umfassenden Aufarbeitung der Kriegsverbrechen vor Militärgerichten verpflichtet hatten. In diesen Einzelverfahren stand nicht die NS-Elite, sondern das "einfache Mordpersonal" im Vordergrund. Die Prozesse vor sowjetischen und britischen Militärgerichtshöfen fanden an unterschiedlichen Orten statt, in der französischen Zone urteilte das Tribunal Général in Rastatt, in der amerikanischen Zone wurde in Darmstadt, Ludwigsburg und Dachau verhandelt.
Blick auf die Richterbank im Dachau-Hauptprozess, dem ersten Kriegsverbrecherprozess der U.S. Army in der amerikanischen Besatzungszone am Militärgericht im Internierungslager Dachau vom 15. November bis zum 13. Dezember 1945.In Lightbox öffnen
Blick auf die Richterbank im Dachau-Hauptprozess, dem ersten Kriegsverbrecherprozess der U.S. Army in der amerikanischen Besatzungszone am Militärgericht im Internierungslager Dachau vom 15. November bis zum 13. Dezember 1945. (© Public Domain)
Zu den Prozessen – die meisten (489) fanden im Internierungslager Dachau statt – zählten die sechs Hauptverfahren, die nach dem jeweiligen Konzentrationslager benannt wurden: Dachau (15.11.-13.12.1945), Buchenwald (11.4.-14.8.1947), Flossenbürg (12.6.1946-22.1.1947), Mauthausen (29.3.-13.5.1946), Nordhausen/Mittelbau-Dora (-30.12.1947) sowie Mühldorf (1.4.-13.5.1947). Die hier ermittelten Sachverhalte dienten als Beweismittel in den etwa 250 Anschlussverfahren gegen weitere Angehörige der Lagerverwaltung und der Wachmannschaften. Hinzu kamen die "Fliegerprozesse", in denen es um die Misshandlung und Tötung alliierter Piloten ging, die abgeschossen und in deutsche Kriegsgefangenschaft gelangt waren. Eine weitere Gruppe umfasste unterschiedliche Verfahren wie den Hadamar-Prozess gegen Angehörige der Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar bei Wiesbaden, wo im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms etwa 15.000 Menschen ermordet worden waren, sowie den Malmedy-Prozess, in dem es um die Ermordung amerikanischer Kriegsgefangener durch SS-Angehörige ging. Viele der Täter, die wegen schwerer Verbrechen zu Haftstrafen verurteilt worden waren, wurden in den 1950er-Jahren begnadigt und gelangten nach kurzem Arrest wieder auf freien Fuß. Die westdeutsche Öffentlichkeit, nicht zuletzt die Veteranen, setzten sich für die Freilassung ihrer, wie sie meinten, zu Unrecht verurteilten Kameraden ein. Sie sahen in der Amnestie eine Voraussetzung für eine deutsche Wiederbewaffnung.
Die zweite Phase der Verfolgung
Erst 1958 begann mit dem "Ulmer Einsatzgruppenprozess" eine neue Phase der juristischen Aufarbeitung der Kriegs- und NS-Vergangenheit. Im selben Jahr wurde in Ludwigsburg eine "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" eingerichtet. Die Verfahren zogen sich über Jahrzehnte: darunter die beiden Auschwitz-Prozesse in Frankfurt am Main (1963-1966) und der Majdanek-Prozess in Düsseldorf (1975-1981). Ein juristisches Problem lag in den Verjährungsfristen. Totschlagsdelikte waren bereits 1960 verjährt, und auch Mord wäre nach 20 Jahren verjährt, hätte nicht der Bundestag nach einer hitzigen Debatte die Frist zweimal verlängert und 1979 ganz aufgehoben. Zuletzt sorgte 2010/11 der Münchener Prozess gegen den ehemaligen KZ-Aufseher John Demjanjuk weltweit für Aufsehen. – Die Gesamtzahl der Beschuldigten lag mit 106.500 zwar recht hoch; rechtmäßig verurteilt wurden jedoch nur etwa 6.500 Personen. Von Beginn der strafrechtlichen Aufarbeitung an hat die Justiz zur Veränderung des gesellschaftlichen Selbstbildes beigetragen und den Stellenwert des Krieges in den Erinnerungskulturen geprägt.
Weiterführende Literatur:
Jörg Echternkamp, Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955, München 2014.
Ludwig Eiber, Robert Sigl (Hrsg.), Dachauer Prozesse – NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945–1948, Göttingen 2007.
Andreas Eichmüller, Die Strafverfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehörden seit 1945. Eine Zahlenbilanz, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 56 (2008), S. 621-642.
Andreas Eichmüller, Keine Generalamnestie. Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik, München 2012.
Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, 3. Aufl., München 2003.
Norbert Frei (Hrsg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006.
Kerstin Freudiger, Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen, Tübingen 2002.
Michael Greve, Der justitielle und rechtspolitische Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen in den sechziger Jahren, Frankfurt am Main 2001.
Kim C. Priemel, Alexa Stiller (Hrsg.), NMT: Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, Hamburg 2013.
Edith Raim, Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. Wiederaufbau und Ahndung von NS-Verbrechen in Westdeutschland 1945-1949, München 2013.
Adalbert Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Heidelberg 1982.
Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt am Main 1999.
Jürgen Weber, Peter Steinbach (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Strafverfahren? NS-Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland, München 1984.
Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse, München 2006.
Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949-1969 oder eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn 2002.
https://www.bpb.de/
„Wenn sie weglaufen, habe ich das Recht, auf sie zu schießen“
Den Angriff auf ihren Transportzug beantwortete die SS-Division „Hitlerjugend“ 1944 in Frankreich mit einem Massaker. 86 Menschen wurden ermordet. Jetzt ermittelt die Justiz gegen einen Beteiligten.
Veröffentlicht am 30.01.2019 |
Von Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
Auch für Kriegsverbrecher gelten im Rechtsstaat die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Zum Beispiel darf niemand zweimal wegen derselben Tat verurteilt werden. Dieser Grundsatz führt jetzt dazu, dass gegen einen bereits rechtskräftig zum Tode verurteilten früheren Waffen-SS-Mann nicht wegen Beihilfe zum Mord, sondern wegen Volksverhetzung ermittelt wird.
Es geht um ein Kriegsverbrechen, das Männer der Waffen-SS-Division „Hitlerjugend“ in der Nacht vom 1. auf den 2. April 1944 im nordfranzösischen Dorf Ascq begangen haben. Ende März 1944 war der Befehl ergangen, diese Division wegen der zu erwartenden alliierten Invasion auf dem europäischen Kontinent von Belgien in die Normandie zu verlegen. Am 1. April begann der Eisenbahntransport.
Den Anfang machten drei Kompanien der Aufklärungsabteilung, etwa 460 SS-Männer mit ihren Fahrzeugen. Das Kommando hatte der Obersturmführer Walter Hauck, der bereits als Zugführer in einem Polizeiregiment im Osteinsatz gewesen war. Nahe Ascq fuhr der Zug auf eine Sprengfalle der Résistance, zwei Waggons entgleisten. Hauck befahl, Ascq zu durchsuchen und alle männlichen Bewohner zwischen 17 und 50 Jahren festzunehmen.
Diese Männer wurden zu den Schienen geführt und dort gegen 0.30 Uhr am 2. April 1944 niedergeschossen. Mit Taschenlampen leuchteten die SS-Leute den zu Boden gefallenen Opfern ins Gesicht; wer angestrahlt wurde, wer noch eine Regung zeigte, wurde aus kurzer Distanz getötet. Danach zogen die meist 19- und 20-jährigen Waffen-SS-Leute noch dreimal durch die Ortschaft. Jedes Mal brachten sie neue Opfer zu den Gleisen und töteten sie dort.
1949 wurden Walter Hauck und acht weitere Angeklagte vor einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt, dann allerdings unter anderem auf Wunsch von Witwen der ermordeten Männer zu „lebenslänglich“ begnadigt und später freigelassen. Hauck, der Hauptverantwortliche, kehrte 1957 nach Deutschland zurück.
In Abwesenheit angeklagt und verurteilt wurde auch der damals 26-, zum Zeitpunkt des Massakers 21-jährige Karl M. Die Todesstrafe wurde jedoch ebenso wenig vollstreckt wie die ersatzweise auch gegen M. angeordnete lebenslange Haft. Inzwischen ist nach französischem Recht die Verjährung der Vollstreckung eingetreten.
Inzwischen steht Karl M. im Mittelpunkt der aktuellen Entwicklung des Falles. Denn er, bis heute offenbar ein bekennender Nationalsozialist, der sich bei NPD-Veranstaltungen feiern ließ, hatte im November 2018 in einem TV-Interview mit dem Magazin „Panorama“ bestritten, selbst geschossen zu haben, allerdings hinzugefügt: „Wenn ich die Männer arrestiere, dann habe ich die Verantwortung für sie. Und wenn sie weglaufen, habe ich das Recht, auf sie zu schießen.“ Außerdem relativierte er den Holocaust und bestritt die Zahl von sechs Millionen Opfern.
Das "Panorama"-Interview mit Karl M.
Nach Ausstrahlung dieses Interviews gingen rund 20 Strafanzeigen gegen Karl M. bei den Behörden ein. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim Ermittlungen aufgenommen. Der Vorwurf lautet Volksverhetzung, unter anderem weil Karl M. die Verbrechen der Waffen-SS heruntergespielt und den Opfern die Schuld an ihrem Tod gegeben habe.
Volksverhetzung (Paragraf 130 des Strafgesetzbuches) ist ein weit gefasster Straftatbestand. Demnach wird mit Haft von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, „wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ... die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.“
Gegen Karl M. besteht zumindest ein hinreichender Anfangsverdacht. Die Gruppe, die er verächtlich gemacht haben soll, sind die Toten des Massakers von Ascq. Tatsächlich handelte es sich bei der Erschießung von 86 Zivilisten um einen kriegsrechtlich durch nichts gerechtfertigten Exzess. Nicht einmal das juristisch äußerst fragwürdige Instrument der Sühnemaßnahme greift hier, weil dazu eine Androhung und ein Befehl von übergeordneter Stelle gehört hätten.
Karl M., der noch einen recht rüstigen Eindruck macht und nach eigenen Angaben ständig Autogrammwünsche von Bewunderern, wohl aus rechtsextremistischen Kreisen, erfüllt, könnte wegen des Vorwurfes in relativ kurzer Zeit angeklagt werden. Denn die Sachlage ist klar und kann angesichts des vorhandenen Videomaterials auch nicht bestritten werden. Alles Weitere ist dann Sache des zuständigen Gerichts.
Zum Nachlesen: Jens Westemeier: „Himmlers Krieger. Joachim Peiper und die Waffen-SS in Krieg und Nachkriegszeit“. (Schöningh, Paderborn. 882 S., 68,90 Euro)
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Prozesse gegen KZ-Personal in den vergangenen Jahren
HINTERGRUND
Seit 1958 gab es rund 18.700 Verfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen, mehrere davon in der jüngeren Vergangenheit. Manche laufen noch, einige stehen bevor. Ein Überblick der jüngeren Verfahren gegen KZ-Personal.
Mittwoch, 06.10.2021, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.10.2021, 14:20 UhrLesedauer:
Nach verschiedenen Verfahren in den zurückliegenden Jahrzehnten hat es auch in den vergangenen Jahren in Deutschland mehrere Prozesse gegen früheres Personal von NS-Konzentrationslagern gegeben. Nach dem Urteil gegen John (Iwan) Demjanjuk im Mai 2011, der 2012 mit 91 Jahren starb, bevor die fünfjährige Haftstrafe rechtskräftig wurde, sind nach Angaben der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen 2015 und 2016 zwei ehemalige SS-Männer des Konzentrationslagers Auschwitz verurteilt worden, Oskar Gröning in Lüneburg und Reinhold Hanning in Detmold.
Das Urteil gegen Gröning ist nach Einschätzung der Behörde mit Sitz im baden-württembergischen Ludwigsburg besonders bedeutsam, weil es der Bundesgerichtshof bestätigt und zudem festgestellt hat, dass bereits durch die allgemeine Dienstausübung in Auschwitz den Führungspersonen in Staat und SS Hilfe geleistet wurde. Gröning starb 2018 mit 96 Jahren, bevor er seine vierjährige Haftstrafe antreten konnte. Hanning starb 2017 mit 95 Jahren, bevor seine Verurteilung zu fünf Jahren Haft rechtskräftig wurde.
Im vergangenen Sommer wurde Bruno Dey, ehemals Wachmann im Konzentrationslager Stutthof, mit 93 Jahren vom Landgericht Hamburg verurteilt, nach Angaben aus Ludwigsburg insbesondere auch im Hinblick auf die Beihilfe zur Schaffung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen. Er erhielt wegen seines Alters zur Tatzeit eine Jugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Verhandlungsunfähigkeit
Ein Prozess gegen einen weiteren ehemaligen Wachmann des KZ Stutthof, der 2018 vor dem Landgericht Münster begonnen hatte, wurde wegen dessen Gesundheitszustand 2019 eingestellt. Das Landgericht Wuppertal lehnte vor einigen Monaten die Eröffnung eines Prozesses gegen einen früheren SS-Mann, der ebenfalls in Stutthof im Einsatz war, wegen Verhandlungsunfähigkeit ab, erlegte ihm jedoch wegen erheblichen Tatverdachts auf, die Verfahrenskosten zu zahlen.
In Brandenburg wurden in den vergangenen Jahren mehrere Ermittlungsverfahren gegen frühere Bedienstete des KZ Ravensbrück eingestellt, nach Angaben der Staatsanwaltschaft Neuruppin vor allem wegen Todes der Beschuldigten oder Verhandlungsunfähigkeit.
Flüchtige KZ-Sekretärin
Am Donnerstag vergangener Woche begann in Itzehoe der Prozess gegen eine 96-jährige frühere Sekretärin des KZ Stutthof, die jedoch nicht vor Gericht erschien und als flüchtige gefasst werden musste. Am 7. Oktober soll in Brandenburg an der Havel der Prozess gegen einen inzwischen 100-jährigen früheren SS-Wachmann des KZ Sachsenhausen beginnen.
SIEHE AUCH
AUFARBEITUNG
Staatsanwälte ermitteln in 13 Fällen zu NS-Verbrechen
JAHRZEHNTELANGES JUSTIZ-VERSÄUMNIS
Prozess gegen einen 100-jährigen früheren SS-Wachmann
Derzeit befinden sich nach Angaben aus Ludwigsburg verschiedene von dort abgegebene Verfahren zu Konzentrationslagern bei den Staatsanwaltschaften Erfurt, Weiden, Neuruppin, Hamburg und bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle. Sie betreffen die Konzentrationslager Buchenwald, Flossenbürg, Ravensbrück, Sachsenhausen und Neuengamme. Die Vorwürfe lauten jeweils auf Beihilfe zum Mord in einer Vielzahl von Fällen.
18.700 Verfahren seit 1958
Die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen hat ihre Arbeit am 1. Dezember 1958 aufgenommen. Seitdem wurden dort nach eigenen Angaben rund 7.700 Vorermittlungen geführt, die dann in der Regel an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben wurden. Viele der Fälle waren Sammelverfahren mit einer großen Zahl Beschuldigter.
Seit 1958 gab es nach Angaben der Behörde in der Bundesrepublik Deutschland bei den Staatsanwaltschaften fast 18.700 Verfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen. Anlass der Gründung der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen war der „Ulmer Einsatzgruppen-Prozess“, bei dem im Sommer 1958 zehn ehemalige Angehörige des „Einsatzkommandos Tilsit“ wegen der Beteiligung an Massenerschießungen vor allem von Juden im Zweiten Weltkrieg zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt wurden. (epd/mig)
https://www.migazin.de/
NS-Verbrechen: So viele Verfahren laufen noch
Stand: 16.10.2019 15:35 Uhr
von Julian Feldmann
Insgesamt laufen derzeit bundesweit 29 Strafverfahren wegen NS-Verbrechen. Das ergaben Recherchen von Panorama 3. Neben zwei Verfahren gegen KZ-Aufseher, die zur Anklage gebracht wurden, laufen noch Ermittlungsverfahren gegen 22 mutmaßliche weitere KZ-Wachleute. Außerdem sind noch fünf weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Beteiligte anderer Mordtaten in der Nazizeit anhängig. Ein Überblick.
KZ Sachsenhausen
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt derzeit gegen elf mutmaßliche Wachleute des Konzentrationslagers Sachsenhausen in Brandenburg. Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg hatte Mitte des Jahres Vorermittlungsverfahren zu zwölf mutmaßlichen KZ-Wärtern an die Staatsanwaltschaft in Neuruppin abgegeben. Die Behörde leitete Ermittlungsverfahren ein, stellte eins zwischenzeitlich jedoch bereits ein.
KZ Ravensbrück
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin führt ein Ermittlungsverfahren gegen eine ehemalige Aufseherin des Konzentrationslagers Ravensbrück. Ursprünglich hatte die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen Vorermittlungen zu weiteren Wachleuten an die Staatsanwaltschaft Neuruppin abgegeben, inzwischen sind alle anderen Verfahren jedoch eingestellt, weil die Beschuldigten verstorben beziehungsweise nicht mehr vernehmungsfähig sind. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ist örtlich zuständig für Verbrechen, die in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück verübt wurden.
VIDEO: Letzter NS-Prozess? KZ-Wachmann vor Gericht (9 Min)
KZ Stutthof
Bundesweit laufen vier Verfahren in Zusammenhang mit dem Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Gegen zwei Frauen, die als Schreibkräfte im Konzentrationslager Stutthof Ihren Dienst gemacht haben sollen, ermitteln die Staatsanwaltschaften in Itzehoe und Lübeck. Der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. steht in Hamburg vor Gericht. Das Landgericht Wuppertal muss noch über die Zulassung der Anklage gegen einen 94-jährigen Wuppertaler entscheiden.
KZ Mauthausen
Gegen Wachleute des KZ Mauthausen in Österreich laufen derzeit noch zwei Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt gegen einen 95 Jahre alten ehemaligen Wärter, der heute im Landkreis Kassel lebt. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen mutmaßlichen Wachmann, der in Oberbayern wohnt. Ein Strafverfahren gegen einen 95-jährigen Mann aus Berlin-Neukölln ist inzwischen eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte ihn wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 36.223 Menschen angeklagt. Das Landgericht lehnte die Zulassung der Anklage ab. Das Berliner Kammergericht entschied im Mai über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft und lehnte die Anklage ebenfalls ab. Es sei nicht nachgewiesen, dass der ehemalige SS-Mann als Wachmann im Stammlager des KZ Mauthausen gearbeitet hätte, sondern nur in einem Außenlager.
KZ Buchenwald
Die Staatsanwaltschaft Erfurt ermittelt gegen sechs ehemalige Wachleute des Konzentrationslagers Buchenwald. Auch diese Verfahren gehen zurück auf Vorermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg. Die Staatsanwaltschaft Erfurt ist örtlich zuständig für Verbrechen im KZ Buchenwald in der Nähe von Weimar.
Massaker von Oradour
Mitglieder der Waffen-SS ermordeten im Juni 1944 beim Massaker von Oradour-sur-Glane in Frankreich 642 Zivilisten. Die Staatsanwaltschaft Dortmund führt in dem Zusammenhang noch ein Ermittlungsverfahren. Die Anklage gegen einen Angehörigen der SS-Division "Das Reich" ließ das Landgericht Köln nicht zu. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund gegen sieben Beschuldigte ermittelt. Ein Prozess ist nicht mehr zu erwarten.
Massaker von Ascq
Ermittlungen in Zusammenhang mit dem Massaker von Ascq in Nordfrankreich, bei dem 86 Unschuldige ermordet wurden, führt ebenfalls noch die Staatsanwaltschaft Dortmund. Die umfangreichen Ermittlungen richteten sich anfangs gegen drei Beschuldigte. Im Fall Ascq wird es keinen Prozess mehr geben.
Massaker von Babyn Jar
Die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelt gegen einen 1921 geborenen Mann aus dem hessischen Schwalm-Eder-Kreis, weil er als Angehöriger eines Bataillons der Waffen-SS am Massaker von Babyn Jar im September 1941 in der Nähe von Kiew beteiligt gewesen sein soll. Bei dem Massaker von Babyn Jar ermordeten die Deutschen innerhalb von zwei Tagen mehr als 33.000 Juden. Weitere Verfahren wegen des Massakers sind inzwischen eingestellt.
Morde in Galizien
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt führt ein Ermittlungsverfahren gegen ehemalige Angehörige der "Sicherheitspolizei" und des "Sicherheitsdienstes" in Kolomea in Galizien in der heutigen Ukraine. Insgesamt richtet sich das Verfahren gegen 17 Beschuldigte. Ob überhaupt noch einer der mutmaßlichen Täter lebt, ist unklar. Die Verdächtigen sind mindestens 95 Jahre alt.
Todesmarsch von KZ-Häftlingen
Gegen eine 97-jährige Frau ermittelt die Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Mordtaten in Zusammenhang mit einem sogenannten Todesmarsch. Die Hamburgerin war auch Aufseherin im KZ Bergen-Belsen. Beim Todesmarsch vom KZ Grünberg im heutigen Polen bis nach Guben und dann weiter nach Bergen-Belsen starben 1.400 Frauen. Ein Prozess ist äußerst unwahrscheinlich.
Dieses Thema im Programm:
Panorama 3 | 24.09.2019 | 21:15 Uhr
https://www.ndr.de/
Staatsanwälte ermitteln in 13 Fällen zu NS-Verbrechen
AUFARBEITUNG
Dienstag, 24.11.2020, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 23.11.2020, 17:03 Uhr
Auch 75 Jahre nach Beginn der Nürnberger Prozesse ermitteln Staatsanwälte wegen NS-Verbrechen. Trotz der lange zurückliegenden Zeit rechnet die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen damit, dass es noch weitere Fälle geben wird. Behörde rechnet mit weiteren Verfahren.
Bei deutschen Staatsanwaltschaften sind 13 Ermittlungsverfahren zu Verbrechen in NS-Konzentrationslagern anhängig. Unter anderem geht es um drei Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Erfurt zum Konzentrationslager Buchenwald und fünf bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin zum Konzentrationslager Sachsenhausen, wie die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg auf Anfrage dem „Evangelischen Pressedienst“ mitteilte.
Mit weiteren Verfahren sind demnach die Staatsanwaltschaft Itzehoe zum Konzentrationslager Stutthof, die Staatsanwaltschaften Berlin und München zum Konzentrationslager Mauthausen sowie die Generalstaatsanwaltschaft Celle und die Staatsanwaltschaft Hamburg zum Konzentrationslager Neuengamme befasst. Zuerst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe darüber berichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle beschuldigt einen Mann, als Wachmann im Konzentrationslager Neuengamme, Nebenlager Meppen-Dalum oder Meppen-Versen, im Jahr 1945 Beihilfe zur Tötung von Gefangenen geleistet zu haben. Dieser Vorwurf beziehe sich vor allem auf die Bewachung des Marsches zur Evakuierung der Nebenlager, sagte die Generalstaatsanwaltschaft dem epd. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich demnach um den Verdacht der Beihilfe zum Mord. Mit einer verfahrensabschließenden Entscheidung könne bald gerechnet werden.
Verfahren gegen ehemaligen KZ-Wachmann
Ein weiteres Verfahren gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof ist den Angaben zufolge bereits gerichtsanhängig beim Landgericht Wuppertal. Ein heute 95-jähriger Mann wird beschuldigt, damals als Heranwachsender Beihilfe zum Mord in mehreren hundert Fällen geleistet zu haben.
Zwölf der 13 Ermittlungsverfahren richten sich laut der Zentralstelle gegen Angehörige der Wachmannschaft des jeweiligen Konzentrationslagers. Die Staatanwaltschaft Itzehoe ermittele gegen eine 95-jährige Frau, die in den 40er Jahren im Konzentrationslager Stutthof als Schreibkraft tätig gewesen sein soll.
Verhandlungsfähigkeit entscheidend
Wie viele der Verfahren tatsächlich vor Gericht verhandelt werden, lässt sich laut der Zentralstelle aktuell nicht abschätzen. „Es handelt sich hier um Ermittlungsverfahren, in denen schon aufgrund des Alters in besonderer Weise sorgfältig zu prüfen ist, ob der oder die Beschuldigten verhandlungsfähig ist“, sagte der Behördenleiter Thomas Will dem „Evangelischen Pressedienst“. Maßgeblich sei nicht allein das Alter eines Beschuldigten als solches. „Ich gehe durchaus davon aus, dass – vor allem auch wegen der fortschreitenden Zeit – in dem einen oder anderen Fall die Verhandlungsfähigkeit nicht mehr gegeben sein könnte.“
Der Behördenleiter äußerte sich zuversichtlich, dass noch weitere Fälle hinzukommen werden: „Dies ist unsere Ermittlungsaufgabe und daran arbeiten wir intensiv.“ Die bisherigen 13 Ermittlungsverfahren sind allesamt auf Vorermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg zurückzuführen. (epd/mig)
https://www.migazin.de/2020/11/24/
„Walküre“ und „Revolver-Anna“ quälten die Frauen im KZ
Im KZ Ravensbrück wurden rund 3500 Frauen für die „Bewachungstätigkeit“ in den NS-Konzentrationslagern geschult. Als „SS-Gefolge“ trugen sie den Terror mit. Nur wenige verweigerten sich, wie eine neue Ausstellung zeigt.
Veröffentlicht am 07.09.2020 |
Von Florian Stark
In den vergangenen Jahren haben die letzten Prozesse gegen KZ-Aufseher das Grauen der NS-Lager wiederholt in die Öffentlichkeit getragen. Die Angeklagten waren ausnahmslos Männer, was dem bekannten Muster der juristischen Aufarbeitung folgte. Frauen dagegen wurde kein Prozess gemacht, sieht man einmal von Bernhard Schlinks Weltbestseller „Der Vorleser“ ab, in dessen Verfilmung Kate Winslet als Wärterin in Auschwitz auf der Anklagebank sitzt.
Das ist einigermaßen erstaunlich. Denn von den rund 40.000 Personen, die in den Konzentrationslagern der Nazis Aufseherfunktionen übernahmen, waren rund 3500 Frauen. Nur 77 von ihnen mussten sich nach Kriegsende vor einem Richter verantworten. Inzwischen werden Verfahren gegen die wenigen noch lebenden Frauen wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.
Die meisten Aufseherinnen wurden im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück im Norden Brandenburgs ausgebildet. Ihren Anteil am NS-Terrorsystem ist Thema der Dauerausstellung „SS-Aufseherinnen“ in der dortigen Gedenkstätte, die mit Fotos, Dokumenten und Filmen neu konzipiert und jetzt in einem der ehemaligen Wohnhäuser wiedereröffnet wurde, das einst direkt neben dem Lager entstand.
Um was für einen Job es ging, war den Zeitungsanzeigen nicht zu entnehmen, mit denen die SS „gesunde weibliche Arbeitskräfte im Alter von 20-40 J.“ rekrutierte. Die Arbeit sei „körperlich nur bedingt anstrengend“ und wurde als „leichte Bewachungstätigkeit“ beschrieben. Dafür wurden eine Entlohnung als „Reichsangestellte“ sowie kostenlose Dienstbekleidung in Aussicht gestellt, was spätestens unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft durchaus lukrativer sein konnte als ein Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie oder Landwirtschaft, zumal „für diese Arbeit keine beruflichen Kenntnisse“ verlangt wurden.
Die wenigen Kenntnisse, über die Aufseherinnen im KZ-Betrieb verfügen mussten, wurden ihnen in wenigen Wochen im KZ Ravensbrück vermittelt. Diese Einrichtung war 1939 100 Kilometer nördlich von Berlin entstanden und wurde zum größten Frauenlager des Dritten Reiches ausgebaut. 1941 wurde ein Männerlager angegliedert, rund ein Jahr später ein Jugendlager für junge Frauen und Mädchen. Während des Zweiten Weltkriegs waren 120.000 Frauen und Kinder sowie 20.000 Männer aus mehr als 30 Nationen laut Gedenkstätte als Gefangene in Ravensbrück eingepfercht.
Die Geschichtswissenschaft brauchte lange, um zu verstehen, dass sich hinter der „Dienstverpflichtung“, mit der weibliche Aufseherinnen ihr Tun später verteidigten, in der Regel Freiwilligkeit verbarg. Viele lockte die Aussicht auf verhältnismäßig gute Bezahlung und komfortable Unterbringung, selbst für eventuelle Kinder wurde gesorgt. Die meisten hatten die Volksschule absolviert und konnten das polizeiliche Führungszeugnis vorlegen, das von der SS erwartet wurde. Nur Mitglieder im „Helferinnenkorps“ des schwarzen Ordens konnten sie in der Regel nicht werden. Deren Zivilangestellte wurden lediglich als „SS-Gefolge“ geführt.
Die Analyse zahlreicher Biografien, die Gedenkstättenleiterin Simone Erpel vorgelegt hat, zeigt auch, wie schnell sich die Frauen an die Lagerrealität gewöhnten, diese mittrugen und zum Teil durch selbst ausgeübte Gewalt noch verschärften. Kaum eine bat um Entlassung, obwohl dies keine persönlichen Konsequenzen gehabt hätte.
In einem Video berichtet eine polnische KZ-Insassin von einer typischen Episode: Eine ältere Frau wurde auf der Lagerstraße schickaniert. Eine Frau, die ihr beisprang, wurde für Monate in einer besonderen Strafabteilung, dem „Bunker“, eingesperrt und täglich geschlagen. „Du bist eine Dame, aber ich kann Dich schlagen“, habe die Wärterin ihr Opfer verhöhnt.
Die Schlägerin war Maria Mandl, die in Ravensbrück ihre Karriere begann. Sie hatte bereits ab 1938 als Aufseherin im KZ Lichtenburg Erfahrungen im Lagerbetrieb gemacht. In Ravensbrück stieg sie zur Oberaufseherin auf. Ende 1942 übernahm sie die Leitung des Frauenlagers in Auschwitz, wo sie das bekannte „Mädchenorchester“ gründete und sich durch Brutalität und Teilnahme an Selektionen den Schimpfnamen „die Bestie“ verdiente. In ihrem Prozess in Krakau, der 1947 mit dem Todesurteil endete, erklärte sie: „Man konnte an dem Lager (Ravensbrück) absolut nichts Schlechtes finden.“
Allein schon die Zahlen sprechen dagegen. Rund 28.000 Häftlinge überlebten die Unterernährung, Seuchen und Misshandlungen nicht. Da sogar der SS klar war, dass es wenig sinnvoll war, Frauen durch schwerste körperliche Arbeit umzubringen, gab es in Ravensbrück große Nähereien, in denen die berüchtigte blau-weiß gestreifte Häftlingskleidung aus grobem Drillich hergestellt wurde, aber auch Uniformen für die Waffen-SS. Hinzu kamen Fertigungsanlagen etwa von Siemens, in denen Präzisionsteile und Feldsprecher hergestellt wurden.
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Die sicherlich düsterste Facette der Zwangsarbeit von weiblichen KZ-Häftlingen war die Prostitution. Ab 1942 wurden in zehn Männer-KZs Lagerbordelle eingerichtet, in die Frauen aus Ravensbrück versetzt wurden. Gedacht war das als Belohnungssystem für gefügige Funktionshäftlinge, mit deren Hilfe die SS die Männer-KZs kontrollierte. Mehrere Hundert Frauen wurden zu dieser Form sexueller Gefügigkeit gezwungen.
Beinamen wie „Walküre“, „Revolver-Anna“ oder „Blutige Brygyda“, die die Opfer ihren Aufseherinnen gaben, sprechen für die Brutalität, mit der jene ihre Macht ausübten. Diese verteilten Ohrfeigen, schlugen Häftlinge mit der Faust, Riemen oder Peitschen oder drohten mit der Schusswaffe. „Nur ganz wenige Frauen verweigerten den Einsatz als KZ-Aufseherin“, sagt Simone Erpel.
„Im Gefolge der SS“, Gedenkstätte Ravensbrück, Dienstag bis Sonntag 11 bis 14 Uhr
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mit dpa
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Sollen greise KZ-Wächter vor Gericht gestellt werden?
In Hamburg hat der Prozess gegen Bruno D. begonnen. Gegen Dutzende über 90-Jährige wird wegen Mord oder Beihilfe zum Mord an KZ-Insassen ermittelt, mit Oskar Gröning wurde bisher einer rechtskräftig verurteilt. Diese Verfahren sind umstritten.
Veröffentlicht am 18.10.2019 |
Von Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
Die Staatsanwaltschaft in Hamburg hat den 93-jährigen früheren SS-Mann Bruno D. wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagt. Der ehemalige Aufseher sieht sich als unschuldig.
Vor dem Landgericht Hamburg hat der Prozess gegen den 93-jährigen Bruno D. begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, im KZ Stutthof bei Danzig 1944/45 Beihilfe zum Mord an 5230 Menschen geleistet zu haben. D. hat bereits im Ermittlungsverfahren eingeräumt, als Wachmann eingesetzt gewesen zu sein. Zur Tatzeit war er 17 bis 18 Jahre alt, weshalb das Verfahren vor einer Jugendstrafkammer stattfindet.
Aktuell sind in Deutschland noch 23 Ermittlungsverfahren wegen Mord oder Beihilfe zum Mord an KZ-Insassen oder deportierten Juden im Zweiten Weltkrieg anhängig. Die Beschuldigten stehen allesamt, 74 Jahre nach Kriegsende, in ihrem zehnten Lebensjahrzehnt. Angesichts dessen wird oft infrage gestellt, ob solche Verfahren noch zulässig und sinnvoll seien.
Verjährung?
Müssen Straftaten, die fast ein Dreivierteljahrhundert zurückliegen oder sogar noch länger, auch im 21. Jahrhundert verfolgt werden? Das kommt auf die Straftat an. Von der grundsätzlich im Strafrecht vorgesehenen Verjährung sind im Rechtsstaat Deutschland seit 1979 Mord und Völkermord ausgeschlossen sowie die Beihilfe dazu.
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Dagegen wird eingewandt, es handele sich bei der Aufhebung der Verjährung (die bis 1965 für Mord genau 20 Jahre betrug) um eine nachträgliche Strafverschärfung, also einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz „nulla poena sine lege“ (keine Strafe ohne Strafbarkeit zum Zeitpunkt der Begehung). Das ist in Artikel 103 des Grundgesetzes festgelegt: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“
Diesen Einwand hat das Bundesverfassungsgericht erwogen – und verworfen. Denn einerseits war unzweifelhaft Mord schon während des Dritten Reiches strafbar; genau genommen schon immer, seit es Rechtsordnungen gibt.
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Andererseits betonten die Karlsruher Richter im Februar 1969, der Artikel 103 des Grundgesetzes besage „nichts über die Dauer des Zeitraums, während dessen eine in verfassungsmäßiger Weise für strafbar erklärte Tat verfolgt und durch Verhängung der angedrohten Strafe geahndet werden darf. Er verhält sich nur über das ,von wann an‘, nicht über das ,wie lange‘ der Strafverfolgung“.
Ohne Anzeige?
Grundsätzlich werden Staatsanwaltschaften auf Strafanzeigen hin tätig. Das heißt, ein Geschädigter oder jemand anders zeigt eine mutmaßliche Straftat an. Eine solche Anzeige kann sich gegen eine konkrete Person richten oder „gegen unbekannt“ erfolgen.
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Jedoch sind Verbrechen sogenannte Offizialdelikte. Das heißt, die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, gegen bekannt gewordene dringend Tatverdächtige zu ermitteln und festzustellen, ob hinreichend Verdachtsmomente für eine Anklage vorliegen. Täte eine Staatsanwaltschaft das nicht, machte sie sich der Strafvereitelung im Amt schuldig.
Allerdings müssen Strafverfolgungsbehörden immer auch entlastende Tatsachen ermitteln. Die Entscheidung, ob ein Hauptverfahren eröffnet wird, obliegt immer dem zuständigen Gericht. Rechtsstaatlich ist gegen die Ermittlungen daher nichts einzuwenden.
Alter als Ausschlussgrund?
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Die Justiz arbeitet grundsätzlich ohne Ansehen der Person – deshalb trägt Justitia, die Göttin des Rechts, in den meisten Darstellungen eine Augenbinde. Zunächst einmal darf deshalb das Alter eines Beschuldigten keine Rolle bei der Frage spielen, ob ermittelt wird.
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Andererseits folgt aus dem Grundsatz der Menschenwürde (Artikel 1 GG), dass gegen Angeklagte nur dann verhandelt werden darf, wenn sie in der Lage sind, dem Verfahren gegen sich zu folgen und sich angemessen zu verteidigen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Prozesse gegen an Demenz erkrankte mutmaßliche Straftäter entweder gar nicht mehr eröffnet oder aber nach der gutachterlich festgestellten Diagnose eingestellt werden.
Genau das ist zum Beispiel im Fall von Hans Lipschis geschehen, dem „Koch von Auschwitz“: Er wurde im Mai 2013 in Untersuchungshaft genommen und der Beihilfe zum Mord in mindestens 9000 Fällen beschuldigt. Im folgenden Dezember wurde das Verfahren jedoch eingestellt, weil eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten festgestellt wurde. Lipschis wurde entlassen und starb zwei Jahre später im Alter von fast 97 Jahren. Für die siebenmonatige Untersuchungshaft erhielt er eine Entschädigung.
Warum jetzt?
Seit 1945 haben rechtsstaatliche Justizbehörden in knapp 37.000 Verfahren gegen etwa 172.000 mutmaßliche Täter wegen NS-Verbrechen ermittelt. Gegen etwa 16.800 von ihnen wurde Anklage erhoben. Jedoch führten von diesen Prozessen nur knapp 7000 zu rechtskräftigen Schuldsprüchen, darunter nur etwa tausend wegen Mord und Totschlag sowie Beihilfe. Lediglich etwa 270 Angeklagte wurden zu hohen Strafen zwischen zehn Jahren und lebenslänglich verurteilt.
Jahrzehntelang kamen Wachleute der KZs, denen nicht konkret eigenhändig verübte Morde nachgewiesen werden konnten, ohne Strafe davon. Ihre Taten wurden höchstens als Totschlag bewertet – und Totschlag oder die Beihilfe dazu waren rechtskräftig schon seit 1960 verjährt.
Schon 1966 hatte jedoch das Landgericht Hagen rechtskräftig geurteilt, dass auch „kleine Täter“ der Vernichtungslager ohne konkrete Nachweise für eigenhändige grausame Handlungen verurteilt werden konnten – wegen funktioneller Beihilfe zum Mord. Diese juristische Vorlage wurde jedoch von anderen bundesdeutschen Gerichten nicht aufgegriffen.
Erst im Demjanjuk-Prozess 2009 bis 2011 änderte das Landgericht München das. Demjanjuk wurde wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Menschen im Vernichtungslager Sobibor verurteilt, starb jedoch, bevor der Bundesgerichtshof über seinen Antrag auf Revision entscheiden konnte.
Die Folge war, dass fortan gegen Dutzende Greise, die zum KZ-Personal gehört hatten, Verfahren eröffnet werden konnten. Der bekannteste dieser Prozesse, der auch zu einem rechtskräftigen Schuldspruch führte, wurde gegen Oskar Gröning geführt. Er war 1942 bis 1944 in Auschwitz-Birkenau als Kassenwart für das geraubte Eigentum von KZ-Häftlingen und Holocaust-Opfern tätig gewesen.
Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil gegen Gröning, denn „Beihilfe kann schon im Vorbereitungsstadium der Tat geleistet werden“. Allerdings musste Gröning trotz attestierter Haftfähigkeit nicht mehr hinter Gitter, denn seine Anwälte verzögerten den Haftantritt bis zu seinem Tod im Alter von fast 97 Jahren im März 2018.
Wie weiter?
Aktuell gibt es noch 23 laufende Ermittlungsverfahren. Ob es gegen sie noch Hauptverhandlungen geben wird, hängt in erster Linie vom Gesundheitszustand der Beschuldigten ab. Hier haben die meisten betroffenen Gerichte in den vergangenen zehn Jahren die widerstreitenden Interessen der Strafverfolgung und der Angeklagten ausgewogen berücksichtigt, indem nur zeitlich begrenzt verhandelt wurde.
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Zwar machen die jetzt laufenden und tatsächlich letzten Verfahren (ohne potenziell Angeklagten gibt es keine Strafverfolgung) nicht die Fehler wett, die jahrzehntelang von der rechtsstaatlichen Justiz in der Bundesrepublik gemacht wurden und die zu viel zu mildem Vorgehen gegen Massenmörder führten. Aber zumindest werden diese Fehler nicht fortgeschrieben. Das ist es wert.
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Todesstrafe in Deutschland
"Gehen Sie mutig und gefasst Ihren letzten schweren Gang"
Die westdeutsche Justiz ließ vor genau 70 Jahren letztmals einen Menschen hinrichten: Raubmörder Richard Schuh starb unter dem Fallbeil. Danach wurde die Todesstrafe per Grundgesetz abgeschafft - auf Initiative eines Rechtsaußen.
Von Katja Iken
18.02.2019, 14.19 Uhr
Die Exekution dauert nur zehn Minuten. Um sechs Uhr morgens wird Richard Schuh in den Hof des Tübinger Justizgefängnisses geführt. Der Urkundsbeamte verliest das Urteil, der Pfarrer spricht ein Gebet. Das letzte Wort hat der Oberstaatsanwalt: "Richard Schuh, Ihr Leben ist verwirkt! Gehen Sie mutig und gefasst Ihren letzten schweren Gang mit dem Bewusstsein, dass Sie nur dadurch Ihre Schuld sühnen und sich von Ihrer Todsünde reinigen können."
Dann führt der Scharfrichter den 28-Jährigen aufs Schafott und betätigt den Auslöser der eigens aus Rastatt herbeigeschafften Guillotine. Während das Fallbeil herabsaust, ertönt vom Rathaus-Giebel das sogenannte Armsünderglöckchen. "Der Verurteilte war völlig beherrscht und gab keinen Laut von sich", hält das Protokoll an diesem 18. Februar 1949 fest.
Es war das letzte Mal, dass die westdeutsche Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg einen Menschen hinrichten ließ. Drei Monate später, am 24. Mai 1949, trat das Grundgesetz der neugegründeten Bundesrepublik in Kraft. Artikel 102 lautet: "Die Todesstrafe ist abgeschafft." Eine zivilisatorische Errungenschaft - die auf die Initiative eines strammen Rechtsaußen zurückging.
74 Prozent für Todesstrafe
Am 6. Dezember 1948 überraschte Hans-Christoph Seebohm von der ultrakonservativen Deutschen Partei (DP) die Mitglieder des Parlamentarischen Rats mit einem Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe. Die in Bonn tagende Versammlung stand vor der Aufgabe, ein Grundgesetz auszuarbeiten. Mit seinem Vorstoß verfolgte der spätere Bundesverkehrsminister Seebohm nicht etwa ein humanitäres, sondern ein taktisches Ziel: Er wollte Alt-Nazis als DP-Wähler gewinnen.
Das Verbot der Todesstrafe sollte vor allem die Hinrichtung von NS-Kriegsverbrechern stoppen. Doch Seebohms Antrag scheiterte - was zur damaligen Stimmung im Land passte. Laut einer Allensbach-Umfrage von 1948 sprachen sich gut 74 Prozent der deutschen Bevölkerung für die Todesstrafe aus. Und das, obwohl sie im "Dritten Reich" als willkürliches Terrorinstrument missbraucht worden war.
Rund 16.000 Todesurteile hatten allein die zivilen Strafgerichte zwischen 1933 und 1945 verhängt, dazu kommen 25.000 durch die Militärgerichte. Dennoch hatten die meisten Deutschen nach dem Krieg keine Probleme mit der gesetzlich legitimierten Tötung.
Erst am 10. Februar 1949 sprachen sich auch SPD-Mitglieder im Parlamentarischen Rat entschieden für eine Abschaffung der Todesstrafe aus. "Man sollte mit dem Töten von Amts wegen schlechthin ein Ende machen", forderte Carlo Schmid, damals Justizminister und stellvertretender Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern, eines der Gründungsländer der Bundesrepublik - dort war Richard Schuh zum Raubmörder geworden.
"Panzer von Kaltherzigkeit und Selbstsucht"
1920 in Remmingsheim bei Tübingen geboren, hatte Schuh im Zweiten Weltkrieg als Bordschütze bei den Kampffliegern gedient und war später in US-Gefangenschaft geraten. Danach hielt sich der Mechaniker mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.
Am 28. Januar 1948 trampte Richard Schuh von Herrenberg Richtung Remmingsheim und stieg in einen US-Laster mit nagelneuen Reifen. Aus seiner Wehrmachtspistole feuerte er dreimal auf den Fahrer, den Böblinger Familienvater Hans Eugen Roth; die Leiche warf er an den Straßenrand. Mithilfe zweier Komplizen montierte er im Wald die Reifen ab, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.
Die Tat flog schnell auf, am 14. Mai 1948 wurde Schuh wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zum Tod verurteilt. Ein Revisionsantrag des Todeskandidaten wurde verworfen, auch ein Gnadengesuch dreier Tanten Schuhs lehnte die Justiz ab. Obwohl die Landesstrafanstalt Rottenburg dem Mörder bescheinigte, dass der "Panzer von Kaltherzigkeit und Selbstsucht, der ihm um Herz und Gewissen lag", mittlerweile "durchstoßen" sei.
"Moralisch von der Todesstrafe überzeugt"
Nur noch eine Begnadigung hätte Schuh vor dem Fallbeil retten können. Die Chancen dafür standen gut: Im Juni 1948 hatte Staatspräsident Lorenz Bock (CDU) zwei Todesurteile in Zuchthausstrafen umgewandelt, nachdem sein Stellvertreter Carlo Schmid ihn davon überzeugte, dass die Todesstrafe einer "Degradierung der menschlichen Gesellschaft" gleichkomme.
Doch dann starb Bock überraschend - mit Gebhard Müller (CDU) rückte ein Mann nach, der unbeirrt auf der Vollstreckung des Todesurteils beharrte. "Als überzeugter Katholik war Müller aus moralischen Gründen von der Todesstrafe überzeugt", sagt Hans-Joachim Lang im Gespräch mit dem SPIEGEL. Der Tübinger Germanist und Journalist förderte 1992 die Akten zum Fall Schuh zutage und recherchierte als Erster den Kriminalfall sowie den dramatischen Wettlauf um die Vollstreckung des Todesurteils.
Als Schuhs Gnadengesuch am 15. Oktober 1948 im Tübinger Kabinett behandelt wurde, war Todesstrafen-Gegner Schmid nicht vor Ort. Daher konnte er keinen Einspruch erheben gegen die Entscheidung von Staatspräsident Müller: "Das Urteil ist zu vollstrecken", so der spätere Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
"Jetzt ist alles zu spät!"
Vier Monate lang ließ man Schuh über sein Schicksal im Unklaren. Er erfuhr erst am 17. Februar 1949, dass sein Gnadengesuch abgelehnt wurde - und er schon am nächsten Morgen sterben sollte. "Der Verurteilte erschrak in starkem Maße", so das Protokoll. "Er faltete die Hände und weinte leise vor sich hin."
Während Scharfrichter Wilhelm Burkhard im Hof des Tübinger Gefängnisses die Guillotine aufbaute und eine Fallprobe vornahm, schrieb Schuh seine Abschiedsbriefe. Sechs waren es, einer davon ging an die Mutter seiner 1947 geborenen Tochter Renate.
"Wie oft war ich in Gedanken bei dir und Renate. Jetzt ist alles zu spät!", schrieb der Todgeweihte. Und im Nachwort: "Anbei übersende ich an Renate eine Kleinigkeit: 1 Tafel Schokolade, 1 Packung Keks, 1 Packung Gebäck." Wissenschaftler Lang war es, der Renate den Abschiedsbrief 2002, also 53 Jahre später, übergab - und sie über die genauen Todesumstände ihres Vaters aufklärte.
Sie war 1952 als Kleinkind mit ihrer Mutter in die USA ausgewandert und lebte jahrzehntelang im Glauben, Richard Schuh sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Bei einem Besuch in ihrer alten Heimat organisierten Verwandte ein Treffen mit Lang. Sie habe immer gespürt, dass in ihrer Biografie etwas nicht stimme, sagte sie dem Historiker damals: "Jetzt ist die Wahrheit herausgekommen. Und diese Wahrheit ist nicht schön."
Ein Grab konnte die Tochter nicht aufsuchen, Schuhs Leichnam kam in die Anatomie der Uni Tübingen. "Kopf für wissenschaftliche Zwecke verwendet", steht im Leichenbuch des Instituts, "Rest als Dauerpräparat vorgesehen."
Todesstrafe in der DDR bis 1987
Richard Schuh war zwar der letzte Delinquent, den ein ziviles Gericht in Westdeutschland zum Tode verurteilt und hingerichtet hatte. Exekutiert wurde jedoch weiterhin: Bis Anfang der Fünfzigerjahre ließen westalliierte Militärgerichte 486 Todesurteile gegen NS-Täter vollstrecken. Das Thema beschäftigte die junge Bundesrepublik unvermindert - acht Mal befasste sich allein der Bundestag nach 1949 mit Begehren zur Wiedereinführung der Todesstrafe.
In den Sechzigerjahren sprachen sich prominente Politiker, darunter Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und Bundesjustizminister Richard Jaeger (CSU), für die Todesstrafe aus; in Köln entstand 1963 sogar ein "Verein zur Wiedereinführung der Todesstrafe e.V.". Ehrenmitglied: der berüchtigte NS-Scharfrichter Johann Reichhart , der einst im Akkord Widerstandskämpfer hinrichtete - und nach Kriegsende Nazis für die Alliierten hängte.
Während in der Bundesrepublik jahrzehntelang über die Todesstrafe debattiert wurde, galt sie in der DDR bis zum 17. Juli 1987. Laut Schätzungen ließ das Regime 164 Menschen hinrichten; der letzte war Werner Teske. Am 26. Juni 1981 wurde der als BND-Agent verurteilte Stasi-Hauptmann durch einen "unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt" getötet. Seine Frau hoffte bis zur Wiedervereinigung, dass Teske noch am Leben sei.
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NS-Prozesse 1945-2015. Eine Bilanz aus juristischer Sicht – von Karl-Heinz Keldungs
Das Versagen der deutschen Justiz bei NS-Prozessen – Ein Richter zieht Bilanz
Geschrieben von: Friedhelm Wolski-Prenger
Erstellt: 18. Februar 2021
NS-Prozesse 1945-2015. Eine Bilanz aus juristischer Sicht - von Karl-Heinz KeldungsIn der Gegenwart erklärt der Bundestagsfraktionsvorsitzende einer Partei mit erheblicher Wählerschaft die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten für einen „Vogelschiss“, eine andere Führungsfigur derselben Partei fordert eine „180-Grad-Wende in der deutschen Erinnerungspolitik“.
Ein publizistisches Dauerfeuer dieser und anderer Rechtsparteien richtet sich gegen Juden, Muslime, „Fremde“, Journalisten oder demokratische Politiker. Angesichts einer Vielzahl von Morden und anderer Verbrechen von Rechtsextremisten in den letzten Jahren, von denen nicht wenige auf neonazistische Hetze zurückzuführen sind, ist es von erheblicher Bedeutung, an die Verbrechen der Nazidiktatur und an besonders grausame Verbrechen in Hitlers per se verbrecherischem Krieg zu erinnern.
Die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen von 1933 bis 1945 ist Thema einer Vielzahl von historischen oder politikwissenschaftlichen Publikationen. Karl-Heinz Keldungs, ehemaliger Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, unternimmt es, die Verfahren umfassend aus juristischer Sicht vorzustellen.
Dazu arbeitet Keldungs 70 Jahre Prozesse gegen NS-Täter auf, die in Vernichtungslagern, bei den Einsatzgruppen, der sogenannten Euthanasie und als Kriegsverbrecher an Massenmorden beteiligt waren. Zu den schlimmsten Kriegsverbrechen gehören neben vielen anderen die Auslöschung von Bewohnern und die Zerstörung von Ortschaften wie etwa des tschechischen Lidice oder des französischen Oradour-sur-Glane.
Dargestellt werden u.a. die alliierten Nürnberger Prozesse und die daran anknüpfenden Folgeprozesse vor amerikanischen Militärgerichtshöfen. In diesen und anderen frühen Verfahren wurden harte Urteile gefällt, vor allem gegen die NS-Führung und Hauptkriegsverbrecher. Auch in ehemals besetzten Ländern wurden die Haupttäter mit dem Tod oder mit langer Haft bestraft. Als Beispiel aus Israel wird der Prozess gegen den Hauptorganisator der Schoa, Adolf Eichmann nachgezeichnet, der mit dem in zweiter Instanz bestätigten Todesurteil endete. (S. 378 ff.)
Bundesdeutsche Gerichte dagegen urteilten in vielen Fällen bis in die 1980er Jahre unfassbar milde oder sprachen die Angeklagten frei. Dazu wurden u.a. Notstands- oder Putativnotstandslagen angenommen oder – wie im Falle von SS-Angehörigen oder Polizisten – ungerechtfertigterweise Militärstrafrecht angewendet. Strafmildernd wurde rechtsmissbräuchlich auch die Jugend von (erwachsenen) Tätern oder die „Verstrickung in ein System der Gewaltherrschaft“ angeführt. „Nicht wenige Landgerichte haben als Strafmilderungsgrund berücksichtigt, dass die jahrelange NS- Propaganda gegen Juden, Sinti und Roma und andere Staatsfeinde die Hemmschwelle der SS- Schergen gegenüber (…) Häftlingen bei der Begehung von Straftaten auf ein Mindestmaß herabgesetzt hat.“ (S. 441) Nationalsozialistische Propaganda wurde damit zum Milderungsgrund.
Keldungs bewertet die Vielzahl der milden Urteile sowie die genannten und andere dazu herangezogenen Rechtfertigungs- oder Strafmilderungsgründe als falsch. Dass es sich bei der Tötung von Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung oder Widerstandskämpfern um Mord handele, sei evident. Wer aus nationalsozialistischer „Einstellung heraus Menschen tötet oder sich zur Tötung bestimmen lässt, handelt aus niedrigen Beweggründen und begeht damit Mord.“ (S. 408) Die Täter konnten sich Keldungs zufolge – anders als in vielen Verfahren angenommen – nicht darauf berufen, nur Ausführende gewesen zu sein. Auch Angst vor Strafe bei Verweigerung der Beteiligung an Massenmorden (Putativnotstand) zähle nicht. Als schlimmste bekannte Konsequenz bei der Weigerung, an Massenerschießungen teilzunehmen, sei eine Strafversetzung an die Front erfolgt.
Als Gründe für die häufige Milde gegenüber Massenmördern werden u.a. die Sozialisation vieler Richter in der Zeit des Nationalsozialismus oder die Angst vor Revisionen vor höheren Gerichten angeführt.
Keldungs‘ Buch ist lesbar geschrieben. Es gelingt dem Autor, die juristischen Bewertungen so zu formulieren, dass sie auch für Nichtjuristen verständlich werden. Das gilt auch für den Schluss des Buches: „Auch wenn es viele richtige und gerechte Urteile gab, muss der bundesdeutschen Justiz Versagen bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen vorgeworfen werden.“ (S. 459)
Autor: Friedhelm Wolski-Prenger
Keldungs, Karl-Heinz: NS-Prozesse 1945-2015. Eine Bilanz aus juristischer Sicht. Düsseldorf 2019, 512 S., geb. m. Leseband, € 34,9
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/
Prozesse gegen NS-Täter: Das Ende der Nazi-Jäger
Die Nazi-Jäger im deutschen Ludwigsburg forschen seit 60 Jahren NS-Verbrecher aus. Jetzt sitzen in den allerletzten Prozessen 90- bis 100-Jährige auf der Anklagebank. Was bringt die späte Anklage?
Von Siobhán Geets
21.10.21
Es ist still im Saal des Landesgerichts Itzehoe bei Hamburg. Am Freitag vorvergangener Woche sollte der Prozess gegen eine ehemalige Sekretärin im Vernichtungslager Stutthof bei Danzig beginnen. Doch nun erscheint der vorsitzende Richter ohne Robe auf der Bank. „Die Angeklagte ist flüchtig“, sagt Dominik Groß, „die Kammer hat Haftbefehl erlassen.“
Die Flüchtige heißt Irmgard F. und ist 96 Jahre alt. In einer zum Gerichtssaal umfunktionierten Industrielagerhalle sollte sie sich für Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in 11.412 Fällen sowie für Beihilfe zum versuchten Mord in 18 weiteren Fällen verantworten. Doch F. verließ ihr Seniorenheim in aller Früh und ließ sich von einem Taxi zur U-Bahn fahren. Danach verlor sich ihre Spur. Und so fahndete die Polizei nach einer fast 100-Jährigen mit Rollator, um sie in den Gerichtssaal zu bringen.
Der Fall hat einmal mehr für Aufregung über Prozesse gegen greise NS-Täter gesorgt. Soll man sie nach all den Jahren wirklich noch belangen? Geht es um späte Gerechtigkeit, um Genugtuung, um Aufarbeitung? Die Frage ist auch, welche Rolle die „kleinen Rädchen“ in der Mordmaschinerie des NS-Regimes überhaupt gespielt haben. Rund 65.000 Menschen haben die Nazis in Stutthof ermordet. Sie wurden mit einer Genickschussanlage getötet, vergast, vergiftet, gefoltert und zu Tode gequält. Hat sich Irmgard F. zur Mittäterin gemacht?
Für eine Verurteilung muss erst bewiesen werden, dass die damals 19-Jährige von der Grausamkeit und Heimtücke gewusst hat, die bei der Ermordung der Menschen in Stutthof vorlagen, betont F.s Anwalt Wolf Molkentin im Interview mit dem „Spiegel“. Ist dem nicht so, dann bleibt nur Beihilfe zum Totschlag – was längst verjährt wäre.
Mehr als 120 Verfahren gegen ehemalige NS-Angehörige wurden in den vergangenen zehn Jahren an deutsche Staatsanwaltschaften weitergegeben. Ausgeforscht hat die mutmaßlichen Täterinnen und Täter, darunter auch Irmgard F., die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg. Hier, in Baden-Württemberg, sitzen die letzten „Nazi-Jäger“. Viel Zeit bleibt ihnen nicht: Wer damals alt genug war, um für Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist heute 90 bis 100 Jahre alt.
Wer die Zentrale Stelle besucht, muss durch ein eisernes Tor in einer Mauer und dann im Gebäude durch eine Sicherheitsschleuse. Das Haus, vor der Gründung der Zentralen Stelle ein Frauengefängnis, ist bis heute gut gesichert. Hier befinden sich das Archiv mit mehr als 1,7 Millionen Karteikarten – geordnet nach Personen und Tatorten – sowie 800 Regalmeter Akten. Mehr als 700.000 Namen von Beschuldigten und Zeugen finden sich darin. Die Ermittler von Ludwigsburg nutzen Geburtsdaten und Melderegister, um potenzielle Täter ausfindig zu machen. Längst geht es nicht mehr um die großen NS-Verbrecher, denn sie sind seit Jahren tot. Angeklagt werden heute die Mitmacher und Zuschauer. Köche und Sekretärinnen, Wachmänner und Buchhalter, Lkw-Fahrer und Zugführer.
Oberstaatsanwalt Thomas Will sucht sie bis heute. Der 61-Jährige befasst sich in der Zentralen Stelle seit 2003 mit der Frage, ob Wachen und anderes Personal aus den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten juristisch belangt werden können. Als Ermittler besuchte er etliche ehemalige KZ, recherchierte in den Archiven Russlands, Großbritanniens und Italiens. Seit einem Jahr leitet er die Zentrale Stelle in Ludwigsburg. Als Nazi-Jäger wollen Will und seine Kollegen nicht bezeichnet werden. Sie sehen sich als Ermittler, die Taten aufklären und sie juristisch aufarbeiten, egal, wie lange es her ist.
Will erzählt lange über die Geschichte der Nazi-Prozesse in Deutschland. Geduldig erklärt er – wenn nötig auch wütenden Bürgern am Telefon –, wieso eine strafrechtliche Verfolgung der Täter auch heute noch nötig ist.
Kinder von Beschuldigten werfen der Justiz vor, die lange verpasste Vergangenheitsbewältigung nun auf Kosten ihrer betagten Eltern auszutragen. Tatsächlich liegt es an der Rechtsauffassung, dass sie nicht schon viel früher vor Gericht landeten.
Die Alliierten erklärten bereits 1943 ihre Absicht, die Grausamkeiten des NS-Regimes zu ahnden. Nach der Befreiung Europas gab es die ersten Prozesse vor Militärgerichten. Die Verfahren des internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg in den Jahren 1945 bis 1948 brachten zahlreiche Todesstrafen gegen führende Nationalsozialisten und Wehrmachtsgeneräle. Doch manche wurden nicht vollstreckt, etliche in Freiheits- und später in Bewährungsstrafen umgewandelt. „Nach den Prozessen in den 1940er- und 1950er-Jahren dachte man, die Entnazifizierung sei zu Ende“, sagt Will. Deutschland habe einen Schlussstrich ziehen wollen.
Doch dann, Anfang 1958, taucht in Baden-Württemberg der ehemalige Befehlshaber eines SS-Einsatzkommandos auf. Ein Zeuge erkennt den Kriegsverbrecher und zeigt ihn an. „Am Ende wurden im Ulmer Einsatzgruppen-Prozess zehn Angeklagte wegen der Ermordung von mehr als 5000 Jüdinnen und Juden verurteilt“, sagt Will. „Es ging nicht mehr, wie in den alliierten Prozessen zuvor, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern um tausendfachen Mord.“
Der Prozess sorgt für großes Medieninteresse und führt zu einer Wende im Umgang mit NS-Verbrechern. Der Öffentlichkeit wird bewusst, dass ein Großteil bislang ungestraft davongekommen ist und unklare Zuständigkeiten eine Aufarbeitung verhindert haben. Es ist die Geburtsstunde der Zentralen Stelle in Ludwigsburg.
„Nicht alle haben das bejubelt“, sagt Will. Die Kompetenzen der neuen Behörde bleiben begrenzt: Sie hat weder Weisungsbefugnisse, noch kann sie selbst anklagen. Die Zentrale Stelle gibt ihre Erkenntnisse an Staatsanwaltschaften weiter. Ob Ermittlungen aufgenommen werden, liegt nicht in der Hand der Ludwigsburger Nazi-Jäger. Trotzdem werden rasch erste Erfolge erzielt.
Mitte der 1960er-Jahre arbeitet man in Ludwigsburg mit Hochdruck. Die Nazi-Jäger-Institution wird auf mehr als 120 Mitarbeiter aufgestockt, fast alles Männer. Die Zentrale Stelle ist eine verrauchte Behörde mit Zigarettenautomaten auf den Gängen. Damals debattiert Deutschland über die Verjährung. Eduard Dreher, ehemals Staatsanwalt unter den Nazis und in den 1960er-Jahren Beamter im Justizministerium, fügt 1968 bei einer Gesetzesreform eine unscheinbare Klausel ein. Sie sorgt dafür, dass Beihilfe zum Mord in einigen Fällen nach 15 Jahren verjährt. Die Verjährung soll ab 1969 einsetzen, wird dann aber verschoben und 1979 abgeschafft. Seither ist klar: Mord verjährt nicht.
Mittlerweile ermittelt die Behörde seit mehr als 60 Jahren. 18.661 Verfahren hat sie an die Staatsanwaltschaften und Gerichte weitergereicht oder ausgeforscht, immerhin noch fast 100 Fälle waren es von 2016 bis 2020. „Unser Kerngeschäft“, sagt Will, „sind nationalsozialistische Verbrechen durch Einsatzgruppen, in Konzentrationslagern und auch in Kriegsgefangenenlagern.“ Die Ermittler nähern sich den Tätern über sogenannte „Komplexe“: Sie sehen sich an, was an einem bestimmten Ort geschehen ist – und suchen dann nach Beteiligten, die damals älter als 18 Jahre waren und heute noch am Leben sein könnten.
„Wir haben für eine Verfolgung realistisch gesehen noch die Jahrgänge 1922 bis 1927, das sind jene, die wir noch lebend finden können.“
Thomas Will, Oberstaatsanwalt
Trotz zahlreicher Vorermittlungen wurden in den vergangenen zehn Jahren gerade einmal drei Beschuldigte verurteilt. Für Will ist das keine Niederlage: „Es geht weniger um die Strafen als um die Aufarbeitung, die so ein Prozess mit sich bringt.“
Durch lange Gänge und mit Linoleum überzogene Böden führt der Oberstaatsanwalt ins Archiv der Behörde. Hier liegen, in Schränken sortiert, mehr als 1,7 Millionen Karteikarten und die dazugehörigen Akten, darunter die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaften. „Wir haben die Geschichte der Bundesrepublik ab 1958 abgebildet“, sagt Will. Auch, wenn die Täter häufig unbekannt bleiben: „Wir wissen, was geschehen ist.“
Aus den Erkenntnissen der Ermittler von Ludwigsburg lässt sich auch ablesen, wie sich die Rechtsprechung über die Jahrzehnte verändert hat. Als 1963 in Frankfurt bei den Auschwitz-Prozessen die ersten KZ-Täter vor Gericht gestellt wurden, verlangten die Richter nach konkreten Tatnachweisen. Dass der Hauptangeklagte Robert Mulka in Auschwitz für die Ermordung der Menschen verantwortlich war, reichte ihnen nicht für einen Schuldspruch. Am Ende machte es zwar keinen Unterschied: Mulka wurde aufgrund seiner Unterschrift auf Dokumenten über die Ankunft von Deportierten zu Beihilfe am Mord an einer gewissen Zahl an Menschen verurteilt und bekam eine lange Haftstrafe. Doch der Fall beeinflusste die Rechtsauffassung der kommenden Jahrzehnte: In Anklagen gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter wurde künftig stets der konkrete Tatnachweis gesucht.
Die große Wende begann 2007 und hat, so seltsam das klingen mag, mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA zu tun. Kurz davor hatte der in Deutschland lebende Marokkaner Mounir al-Motassadeq den Terroristen der al-Kaida Geld überwiesen. Verurteilt wurde er Anfang 2007 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beihilfe zum Mord in 246 Fällen. Selbst geschossen oder Bomben gebastelt hatte al-Motassadeq nicht. Wenn das für islamistische Terroristen gilt, sagten sich damals viele aufklärungswillige Juristen, wieso nicht auch für Nazi-Kriegsverbrecher?
„Die Entscheidung des Bundesgerichts Hamburg hat uns genutzt“, sagt Will. Sie zeigte: Es kommt auf das Fördern einer Haupttat an. Es sind die Gehilfen, die ein System am Laufen halten.
Der Impuls für die neue Rechtsauslegung kam mit dem Fall Demjanjuk vor zehn Jahren. Das Verfahren gegen den gebürtigen Ukrainer wurde in der Zentralen Stelle vorbereitet und aufgebaut, die Ermittler gaben unzählige Ordner an die Staatsanwaltschaft München weiter. John Demjanjuk, Jahrgang 1920, war 1942 als Soldat der Roten Armee in einem Kriegsgefangenenlager interniert, als ihn die SS rekrutierte und als Wachmann in unterschiedlichen Vernichtungslagern einsetzte. Nach dem Krieg ging Demjanjuk in die USA, von wo aus er 1986 nach Israel ausgeliefert und zum Tode verurteilt wurde. Nachdem klar wurde, dass Demjanjuk mit einem Wachmann aus dem Vernichtungslager Treblinka verwechselt worden war, wurde das Urteil zwar aufgehoben, und er durfte zurück in die USA. Doch bei erneuten Ermittlungen kam heraus, dass er auch im Vernichtungslager Sobibor im Osten Polens eingesetzt gewesen war.
Die USA lieferten ihn erneut aus, diesmal nach Deutschland. In München wurde der damals 90-Jährige im Jahr 2011 zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt – wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen. Demjanjuk starb, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Doch der Fall führte dazu, dass auch andere Wachmänner angeklagt wurden – und zu einem neuen Umgang mit NS-Tätern: Wer sich an der systematischen Mordmaschinerie der Nationalsozialisten beteiligt hat, trägt Mitschuld und kann zur Verantwortung gezogen werden.
„Demjanjuk war für uns ein Anstoß“, sagt Will. „Wir haben uns gefragt, was das für die anderen Vernichtungslager bedeutet, und überprüft, wer noch am Leben ist.“ In einem nächsten Schritt sahen sich die Ermittler jene KZ an, die zwar nicht als Vernichtungslager deklariert waren, in denen aber auch systematisch getötet wurde. Seit dem Urteil gegen Demjanjuk hat die Zentrale Stelle auch an österreichische Staatsanwaltschaften Fälle von KZ-Bewachern abgegeben. Zur Anklage kam es nicht, alle fünf Verfahren wurden eingestellt.
Mehr als 30 Fälle haben die Ermittler in Ludwigsburg im Jahr 2013 an die Staatsanwaltschaften weitergegeben. Darunter war auch der „Buchhalter von Auschwitz“ Oskar Gröning. Schon 2005, nach ausführlichen Medieninterviews mit Gröning, hatte die Zentrale Stelle die Staatsanwaltschaft Frankfurt um eine Wiederaufnahme der Ermittlungen ersucht – ohne Erfolg. „Damals galten die Ermittlungen zu den Konzentrationslagern als abgeschlossen“, sagt Will. Doch nach dem Urteil gegen Demjanjuk wird doch Anklage gegen Gröning erhoben. Unter großem medialen Interesse wird der damals 94-Jährige 2015 wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gröning stirbt, bevor er die Haft antreten kann.
Die Wachmänner der KZ, darüber besteht kaum Zweifel, mussten über den systematischen Mord in den Lagern Bescheid gewusst haben. Dass sie nun, so lange nach dem Krieg, angeklagt werden, das können viele Menschen nicht verstehen, am allerwenigsten die Täter selbst. Oskar Gröning fragte während des Verfahrens, wo das alles hinführen solle: Würden nun auch Lokführer und alle anderen Helfer angeklagt? „Ja, selbstverständlich“, sagt Staatsanwalt Will, „wenn sie zur Tat beigetragen haben. Es würde doch heute auch niemand sagen: Jemand, der Gefangene bewacht, die ermordet werden sollen, macht sich nicht mindestens als Gehilfe schuldig. Das widerspricht doch jedem vernünftigen Denken!“
Nach 1945 machte sich eine Art kollektive Verdrängung in Deutschland und Österreich breit: Was wir getan haben, war böse, aber damals nicht illegal und damit strafrechtlich auch heute nicht relevant. Beschuldigte behaupten häufig, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten ein Produkt von Befehlen und Gehorsam gewesen wären. Das bezeichnet Martin Cüppers als „reine Fiktion“. Der Historiker arbeitet seit 2005 in der Zentralen Stelle und ist seit 2014 deren wissenschaftlicher Leiter. Cüppers interessiert sich weniger für Abstraktes, der 55-Jährige erforscht den Alltag im Nationalsozialismus.
„Viel alltägliche Gewalt entstand aus persönlicher Initiative heraus“, sagt er, „aus dem Willen der Menschen zur Grausamkeit.“ Auch Wehrmachtsoldaten seien freiwillig zu Mördern geworden. Einige von ihnen hat die Zentrale Stelle ausgeforscht.
Aber was bringt es, 100-Jährige vor Gericht zu zerren? Für Juristen ist klar: Von einer Anklage abgesehen wird nur bei Verhandlungsunfähigkeit der Beschuldigten.
In Österreich wurde dieser Punkt der Strafprozessordnung kaum umgesetzt. Während die BRD die Zentrale Stelle gründete, um nach dem Abzug der Alliierten selbst Prozesse ins Rollen zu bringen und dem Ausland die Bereitschaft zur Vergangenheitsbewältigung zu signalisieren, inszenierte man sich in Österreich als Opfer.
Die Volksgerichtsbarkeit, jene speziellen Schöffensenate, vor denen sich NS-Täter nach dem Krieg verantworten mussten, wurden 1955 abgeschafft. „Die halbherzige Entnazifizierung“, sagt der Wiener Historiker Hans Safrian, „war damit vorbei.“ Zwar forschte der Holocaust-Überlebende Simon Wiesenthal etliche mutmaßliche NS-Verbrecher aus. Doch die Politik schätzte seine Bemühungen nicht, ganz im Gegenteil. Mehr als 600.000 Österreicher waren in der NSDAP gewesen und seit 1949 wieder wahlberechtigt – ein gewaltiges Stimmenreservoir, das keine Partei vergraulen wollte.
„In Österreich gab es eine Art Generalamnestie. Das ist der größte Unterschied zur BRD“, sagt Safrian. Die Täter von damals konnten sich wieder sicher fühlen. In Österreich gab es von 1955 bis 1975 gerade einmal 20 rechtskräftige Verurteilungen, zahlreiche Verfahren wurden eingestellt.
„Viele Mörder haben große Karrieren hingelegt“, sagt Safrian, „so wie Heinrich Gross, der durch den Mord an Kindern wirklich alle ethnischen Grundsätze gebrochen hat.“ Erst Ende der 1990er-Jahre wurden nach Recherchen der profil-Journalistin Marianne Enigl Ermittlungen gegen Gross eingeleitet. Er hatte als Leiter der „Kinderfachabteilung“ in der Wiener „Euthanasie-Klinik“ am Spiegelgrund behinderte Kinder gequält und ermordet.
Am Ende wurde ihm Verhandlungsunfähigkeit attestiert.
Auch in den Medien waren die NS-Verbrecher und mögliche Verfahren gegen sie kaum Thema: „profil war eines der wenigen Medien, das sich in den 1980er- und 1990er-Jahren eingehender damit befasst hat“, sagt Safrian.
Während es in Österreich Anfang der 1970er-Jahre die letzten Verurteilungen von NS-Verbrechern gab, finden in Deutschland jetzt erst die wohl letzten Prozesse überhaupt statt.
Zur Anklage kommt es auch heute in den wenigsten Fällen. Viele sterben während der Ermittlungen oder im Lauf des Prozesses. Die Haft angetreten hat nur ein einziger der in den vergangenen 15 Jahren Verurteilten. Die anderen wurden aus
gesundheitlichen Gründen von der Haft verschont oder haben Bewährungsstrafen bekommen.
Hinzu kommt, dass viele Staatsanwälte oder Gerichte nicht willens scheinen, sich einen solchen Prozess anzutun. Häufig wird auf Zeit gespielt. Auch den Fall Irmgard F. hatte die Zentrale Stelle bereits vor Jahren an die Staatsanwaltschaft Itzehoe weitergereicht. Doch diese ließ viel Zeit verstreichen, bis sie einen Historiker für ein Gutachten beauftragte und Anklage erhob.
Eines hat Irmgard F. mit ihrer Flucht vor dem Prozess bewirkt: Das mediale Interesse an dem Fall ist dadurch noch einmal gestiegen. Die Ermittler dürften darüber nicht unglücklich sein. Ihnen geht es weniger um Strafen als um die Aufklärung der größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Ähnlich formulieren es häufig die Zeugen, die vor Gericht gegen Täter aussagen. Der Prozess sei eine „Art von Genugtuung“, sagte etwa eine Überlebende von Auschwitz, die 49 Familienmitglieder im Holocaust verloren hatte, während des Prozesses gegen Oskar Gröning. „Es geht mir nicht um die Strafe, es geht mir um das Urteil, die Stellungnahme der Gesellschaft.“ Andere betonten, wie wichtig es sei, dass die Welt die Wahrheit erfahre.
Holocaust-Leugner finden sich bis heute. Täter und Zeugen aber wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Dann braucht es auch keine Ankläger mehr – und keine Nazi-Jäger. Thomas Will wird wohl der letzte Chef der Zentralen Stelle sein, seine 20 Mitarbeiter die letzten Ermittler. Ein paar Jahre noch, sagt er, dann ist wohl wirklich alles vorbei. „Vom letzten Prozess spricht man zwar seit Jahrzehnten. Jetzt befinden wir uns aber tatsächlich auf der Zielgeraden.“
Acht Verfahren gegen ehemalige Wachmänner von KZ und Kriegsgefangenenlager liegen aktuell bei den Staatsanwaltschaften. Gut möglich, dass es die letzten sein werden. Mit dem Tod der Täter geht eine wichtige Phase der Aufarbeitung zu Ende. Ludwigsburg aber soll bleiben – als Ort der Erinnerung und der Bildung.
Die Flucht der 96-jährigen Irmgard F. war nur von kurzer Dauer. Sie wurde gefasst, am 19. Oktober hat die Verhandlung begonnen. F. trägt jetzt eine Fußfessel.
Ihr Anwalt Wolf Molkentin hält es für vorstellbar, dass der Sekretärin die Codes der Nazis („Sonderbehandlung“ für die Ermordung von Menschen) tatsächlich nichts sagten, sie das volle Ausmaß des Grauens also nicht kannte. Der Jurist zeigt auch Verständnis dafür, dass betagte Angeklagte die Verfahren als Zumutung empfinden. Molkentin kann den späten Prozessen aber auch etwas Positives abgewinnen: „Es ließe sich die Chance ergreifen, sich am Ende des Lebens der Aufklärung eines dunklen Kapitels der eigenen Lebensgeschichte zu stellen“, schreibt der Anwalt in einem Mail an profil. Er persönlich befürworte die „letzten“ NS-Prozesse: „Besser spät als nie.“
https://www.profil.at/ausland/das-ende-der-nazi-jaeger/401763657
NS-Prozesse : "Ich war ein Nestbeschmutzer"
Die letzten NS-Täter stehen vor Gericht – doch nach dem Krieg blieben die meisten ungestraft. Warum? Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt erzählt, wie er ausgebremst wurde.
Interview: Marc Widmann und Hauke Friederichs
Aktualisiert am 21. Oktober 2019, 11:20 Uhr
Dietrich Kuhlbrodt empfängt in seinem reetgedeckten Haus im Treppenviertel von Blankenese. Unzählige Bücher stehen an den Wänden, manche von ihnen über die Gräueltaten der Nazis konnten erst dank seiner Recherchen geschrieben werden. Als junger Staatsanwalt versuchte Kuhlbrodt in den Sechziger- und Siebzigerjahren, NS-Täter vor Gericht zu bringen. Und scheiterte meist, was den 87-Jährigen bis heute zornig macht....
https://www.zeit.de/hamburg/2019-10/
Die letzten NS-Prozesse :Die Schuld der alten Männer
Abermals wird in Hamburg ein über 90-Jähriger wegen seiner Beteiligung an NS-Verbrechen angeklagt. Was ist es, was daran irritiert?
4. 5. 2019, 10:00 Uhr
FRIEDERIKE GRÄFF
Redakteurin taz nord
HAMBURG taz | Die Männer, die jetzt wegen ihrer NS-Verbrechen vor Gericht gestellt werden, sind zwischen 92 und 95 Jahre alt. Schon wegen ihres jungen Alters zu Zeiten des NS-Regimes haben sie keine hohen Posten innegehabt. Viele sterben noch vor Antritt ihrer Strafe. Der Hamburger, gegen den jetzt Anklage erhoben wurde, hat als 17-Jähriger als Wachmann im Konzentrationslager Stutthof gearbeitet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum 5.320 fachen Mord vor. Man liest von dieser und ähnlichen Anklagen und fragt sich, woher das Ungenügen kommt, das einen dabei beschleicht. Warum stellt sich nicht nur Zufriedenheit ein angesichts einer Justiz, die ihre Arbeit tut?
Ich glaube nicht, dass es um Mitleid geht, weil die Angeklagten alt und gebrechlich sind. Es ist vielleicht ein erster Impuls, der aber schnell einem nüchterneren Blick weicht: wenn diese Männer Schuld auf sich geladen haben, wenn sie gemordet oder Beihilfe zum Mord geleistet haben, dann verjährt diese Schuld nicht. Nein, es ist kein Mitleid.
Und hätte man es gehabt, zerschellt es sehr schnell, sobald die Anklage ihre Abstraktion verliert. Und das schon im Zimmer des ersten Staatsanwalts, den man besucht, um ihn nach seinen Erfahrungen mit den späten NS-Prozessen zu fragen. An der Wand hängt dort eine Schautafel, auf die an der y-Achse die Zeit und an der x-Achse die Todesarten im Konzentrationslager Stutthof aufgezeichnet sind. Eine heißt „durch Hunde“ und eine „durch Elektrozaun“ und dort ist vermerkt, wann und wer dort hineingeworfen wurde. Es ist auch ein Säugling darunter.
Ein anderer Staatsanwalt, der sich ebenfalls mit NS-Verbrechen beschäftigt, sagt, dass ihm die Frage immer wieder gestellt werde, dass er sie sich selbst stellt, seitdem er mit der Arbeit begonnen hat: Was wollt ihr mit diesen alten Männern? Wozu dienen diese Prozesse gegen Menschen, die nicht mehr tun als sich auf den Tod vorzubereiten, die keine gesellschaftliche Relevanz mehr haben?
Mehrheit war für Verjährung
Die Antwort der Staatsanwälte ist eindeutig: Sie führen diese Prozesse, weil der Gesetzgeber sie dazu verpflichtet hat. Mord, zu dieser Entscheidung kam der Bundestag 1979, verjährt nicht. Es ist bemerkenswert, dass damals eine Mehrheit der Bevölkerung für eine Verjährungsregel eintrat – damit wären die Verbrechen der NS-Zeit nicht mehr verfolgbar gewesen. Die Politik entschied anders und später ist dieser Moment als Sternstunde des Parlaments gefeiert worden.
Aber die Verfolgung der NS-Verbrechen war in der Praxis – und der politischen Begleitung – alles andere als umfassend. Die Verbrechen der Justiz selbst blieben weitestgehend ausgespart, kein Jurist hackte dem anderen ein Auge aus. Die Urteile gegen viele Täterinnen und Täter aus der Wehrmacht, den Vernichtungslagern und den Euthanasie-Tötungsanstalten fielen milde aus.
Wer überhaupt vor Gericht gestellt wurde, war oft dem Zufall überlassen
Häufig wurde nicht wegen Mordes, sondern wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Nach einer Novelle des Strafgesetzbuches von 1968 galt für solche Angeklagte, wenn nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie „niedrigen Motive“ der Haupttäter teilten, ein Strafrahmen von lediglich drei bis 15 Jahren.
Hinzu kam: wer überhaupt vor Gericht gestellt wurde, war oft dem Zufall überlassen. Der Ulmer Prozess wegen der Ermordung von 5.502 jüdischen Kindern, Frauen und Männern im litauisch-deutschen Grenzgebiet war einem Zufall zu verdanken: ein daran beteiligter SS-Mann hatte das Regierungspräsidium Nordwürttemberg auf Wiedereinstellung verklagt, nachdem er entlassen worden war, als aufflog, dass er bei seiner Einstellung falsche Daten angegeben hatte.
Als über den arbeitsrechtlichen Prozess in der Presse berichtet wurde, erkannte ein Zeitzeuge der Massaker den früheren SS-Mann. Die Urteile im dann folgenden Ulmer Prozess? Statt, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert wegen Mordes, wurden die Haupttäter wegen Beihilfe zum Mord verurteilt: zu Freiheitsstrafen zwischen drei und 15 Jahren.
Um die Zufälligkeit der Strafverfolgung wenn nicht zu beenden, so doch zu verringern, richtete man die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg ein. In den Anfangsjahren wurde sie geleitet von Erwin Schüle, der zurücktreten musste, als seine SA- und NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde.
Kritische Stimmen sagen, dass mit Ludwigsburg eine Einrichtung geschaffen wurde, der die Politik durch die engen Kompetenzgrenzen nicht die Möglichkeit gab, ihre Aufgabe zu erfüllen: es ist eine reine Vorermittlungsstelle, die auf die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften angewiesen ist. Sie selbst darf keine Anklage erheben.
Teil der Vernichtungsmaschinerie
Das Jahr, in dem die Grundlage gelegt wurde für die späten NS-Prozesse, die jetzt geführt werden, ist 2015. Denn das Landgericht Lüneburg unterschied nicht, wie vorher üblich, zwischen dem Dienst in einem reinen Vernichtungslager wie Sobibor oder einem wie Auschwitz, das zugleich KZ und Vernichtungslager war. Mit Oskar Gröning, dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz, wurde ein SS-Mann aus einem solchen Lager wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, ohne dass ihm eine konkrete Einzeltat nachgewiesen werden musste. 1969 wäre auf dieser Grundlage kein Urteil möglich gewesen. Damals musste das Gericht den Beschuldigten eine Einzeltat nachweisen. Was in der Praxis oft unmöglich war: zu ungenau waren die Erinnerungen vor allem der Opfer. Und von Täterseite war wenig Hilfe bei der Aufklärung zu erwarten.
Nun wird anders verfahren. Und eben das scheint mir der Kern der Irritation zu sein, die die Prozesse mit sich bringen. Es ist keine inhaltliche Irritation, etwa weil das Konzept der Zugehörigkeit zu einer Vernichtungsmaschinerie nicht überzeugte. Sondern eine grundsätzlichere, die einem zugestandenermaßen naiven Verständnis von Justiz geschuldet ist, nämlich dem, dass sie unwandelbar ist und unangefochten vom Zeitgeist. Wie kann es sein, dass man innerhalb von zehn Jahren von der Auffassung, dass Mord verjährt, zur gegenteiligen Auffassung kommt? Warum hält man jahrzehntelang in Verfahren, die denen gegen Gröning vergleichbar sind, den Einzeltatnachweis für notwendig und erkennt nun, dass „funktionelle Beihilfe“ Grundlage genug ist für die Strafverfolgung?
Rechtsprechung gehört zum Zeitgeist
Rechtssprechung ist wandelbar, und damit bekommt sie den Ruch des Willkürlichen. Und diese Wandelbarkeit beschränkt sich nicht auf den fernen Saal, in dem die NS-Männer angeklagt werden. Recht bestimmt, wann Leben beginnt und wann es endet. Es bestimmt, was eine nicht strafbare Abtreibung und was strafbare Tötung ist, ob jemand lebendig oder tot ist. Rechtsprechung ist unentrinnbar Teil des Zeitgeistes, und dass kann je nach Sicht mutlos oder hoffnungsvoll machen.
Teil des Zeitgeistes war das Argument in der Verjährungsdebatte von 1965, demzufolge man wegen der vorzeitige Entlassung von NS-Tätern durch die Alliierten ohnehin schon mit Massenmördern lebe. Teil des Zeitgeistes ist heute die Auffassung, dass es von Bedeutung ist, den Opfern als Nebenklägern eine Stimme zu geben. Und daneben gibt es die blinden Flecken, die Ungereimtheiten, die man nicht erkennt, weil einem der Abstand dazu fehlt. Und solche, die man nicht benennt, weil einem der Mut fehlt, von der Mehrheitsmeinung abzuweichen.
Es ist kaum möglich, das Zusammenspiel von juristischer Praxis und Zeitgeist nachzuzeichnen. Fragt man Juristinnen und Juristen danach, so sagen sie gleichermaßen lapidar und schlüssig, dass in den Urteilsbegründungen nichts stehe, was über das Juristische hinausginge. Von daher ist also kein Aufschluss zu erwarten.
Und fragt man, wie es zum Urteil gegen John Demjanjuk kommen konnte, dann heißt es, dass das Interesse und die Hartnäckigkeit einzelner StaatsanwältInnen dafür gesorgt habe. Wie aber auch die Prozesse gegen die Zuträger der Anschläge von 9. 11., die den Blick für die Arbeitsteiligkeit beim Verüben großer Verbrechen geschärft hätten. Die Einflüsse mischen sich, individuelle, strukturelle und vermutlich steht man bei ihrer Betrachtung noch viel zu nah vor dem Bild, um etwas über seine Komposition sagen zu können.
Es spielt keine Rolle, wie viele Leute im Zuschauerraum sitzen
Die Medien haben groß über den Prozess gegen John Demjanjuk und fünf Jahre später über den gegen Oskar Gröning in Lüneburg berichtet. Vielleicht ist die Pressekarawane jetzt weitergezogen und die letzten Prozesse finden vor allem das Interesse einer kleinen Gruppe von Juristen – so empfinden es zumindest einige der Beteiligten. Die in ihrem Bekanntenkreis gelegentlich gefragt werden, ob hier nicht Energie und Steuergelder verschwendet würden. Aber, und das ist die Stelle, an der die Justiz in beruhigender Weise der Gesellschaft enthoben ist, es spielt eben keine Rolle, wer und wie viele Leute im Zuschauerraum sitzen.
Wer die Verfahren verfolgt, erhält eine Lehrstunde darin, das auszuhalten, was die Juristen „Keine Gleichheit im Unrecht“ nennen – nur weil A. der gerechten Strafe entging, hat das keine Bedeutung für B.s Strafe. Wie kann es sein, dass der Kommandant von Stutthof 1957 zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt und daraus nach drei Jahren entlassen wurde? Ungefähr das hat der nun angeklagte frühere Wachmann aus Stutthof einen Staatsanwalt gefragt. Wenn es nach mir ginge, wäre er für den Rest seines Lebens in Haft gewesen, antwortete der Staatsanwalt.
Diese Prozesse bieten einen Anlass, darüber nachzudenken, warum und dass es keiner Gesellschaft zu gelingen scheint, eine kollektive Schuld dann abzutragen, wenn es wirklich weh tut: unmittelbar danach, wenn die Angeklagten verhandlungsfähig sind und die Beweislage gut. Dann, wenn die Mitte der Gesellschaft die Folgen spürt, ganz hautnah, weil es die Mitte der Gesellschaft ist, gegen die verhandelt wird. Die 6.500 Wachleute von Auschwitz nach 1945 vor Gericht hätte etwas anderes bedeutet, als heute 30 zu belangen.
Wo bin ich Teil eines Systems, das Unrecht tut?
Kann man überhaupt Schlüsse ziehen aus den späten Prozessen für die Gegenwart? Muss man es? Prozesse als politische Bildungsarbeit sozusagen, die fragen lassen, wo stehe ich heute, wo bin ich Teil eines Systems, das Unrecht tut?
Die Juristen reagieren darauf sehr zurückhaltend. Wie immer man zur Not der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer stehe, sagt einer, es sei eine andere Dimension als die Vernichtung durch das NS-Regime. Man kann die Prozesse zum Anlass nehmen, zu fragen, wo man Ähnlichkeit mit den Angeklagten hat. Menschen, die, so sagt es einer der Staatsanwälte, in der Öffentlichkeit zunehmend wenig diabolisiert würden. Es sind nicht mehr die fernen Monster, deren Untiefen nichts mit den eigenen zu tun haben. Man kann den Erörterungen folgen, welche Angst berechtigt war, welcher Widerstand in einem Maß zu erwarten ist, dass man sich strafbar macht, wenn man passiv bleibt.
Die Gerichte entscheiden darüber und es ist keine Aufgabe, um die man sie beneiden würde. Sie tun ihre Arbeit in der Zeitverhaftetheit, in der wir alle leben. Wir können ihr kaum entkommen, aber wir sollten um sie wissen.
https://taz.de/Die-letzten-NS-Prozesse/!5589345/
1968: Hamburger Gericht verurteilt SS-Täter
Stand: 09.02.2018 06:00 Uhr | Archiv
von Irene Altenmüller, NDR.de
Die Leichen von rund zwei Millionen Menschen wurden von den Nazis in Massengräbern wie diesem in Mirny (Ukraine) verscharrt.
Es war ein abscheuliches Verbrechen: Zwischen 1942 und 1944 lassen die Nationalsozialisten entlang der Ostfront unzählige Massengräber öffnen und die darin verscharrten Leichen Hunderttausender Juden und Kriegsgefangener ausgraben. Polnische und russische Zwangsarbeiter werden dazu gezwungen, die Leichen herauszuholen, nach Wertgegenständen zu durchsuchen, zu verbrennen und die Knochenreste zu zermahlen und zu zerstreuen. Nach Beendigung der grausigen Arbeit werden die Zwangsarbeiter ebenfalls ermordet.
Denn eigentliches Ziel der Aktion ist es, alle Spuren der im Osten begangenen Massenmorde zu verwischen. Zeugen, die von der Existenz der Massengräber und der Vernichtung der Leichen wissen, können die Nazis nicht gebrauchen.
Anonymer Hinweis führt auf die Spur der SS-Mörder
Max Krahner, Otto Goldapp und Otto Drews sind drei Männer aus einer nicht genau bekannten Zahl von SS-Leuten, die an diesen Verbrechen beteiligt waren und die Zwangsarbeiter ermordeten. Zwar waren sie gründlich vorgegangen und hatten bei ihren Taten keine Überlebenden gelassen. Doch aufgrund eines anonymen Schreibens nimmt die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft 1966 die Ermittlungen auf. Sie führen zu einem bereits verurteilten SS-Mann, der bereitwillig Auskunft über seine drei ehemaligen Kameraden gibt. Und so beginnt am 17. Oktober 1967 der Prozess gegen die SS-Offiziere. Am 9. Februar 1968 verurteilt sie das Hamburger Landgericht wegen der Ermordung von 500 Zwangsarbeitern zu lebenslanger Haft.
Tod statt Freiheit
Die Verurteilten hatten allein am 16. Dezember 1943 nahe der polnischen Stadt Białystok 100 Zwangsarbeiter getötet, indem sie Auspuffgase in zwei umgebaute Lastwagen einleiten ließen. Zuvor hatten die Gefangenen die Leichenberge befehlsgemäß beseitigt. Die SS-Männer erklären ihnen noch, sie seien nun frei. An einem Tisch lässt sich Krahner von jedem per Unterschrift zusichern, über das Gesehene Stillschweigen zu bewahren. Goldapp verteilt noch Seife und Handtücher. Aus Mitleid habe man die Zwangsarbeiter in dem Glauben gelassen, sie würden in die Freiheit entlassen, verteidigt sich Krahner: "So wie ein Arzt einen Krebskranken täuscht, der nur noch zwei Monate zu leben hat".
Mit Auspuffgasen in Lastwagen erstickt
Die Zwangsarbeiter steigen in die Lastwagen, die laut Ermittlungsakten so voll sind, dass die Flügeltüren mit Gewalt zugedrückt werden müssen. Als die Gefangenen merken, was passiert, hämmern sie verzweifelt gegen die Wände. Nach etwa einer Viertelstunde verstummen die Schreie. "Als die Türen geöffnet wurden, fielen die vorderen Leichen wie Kartoffeln heraus", erinnert sich Krahner.
Die drei SS-Männer ermorden in Polen und Weißrussland noch 400 weitere Zwangsarbeiter, unter anderem per Genickschuss und mit einem Handgranatenwurf in eine Arbeiterunterkunft. Auf die Frage, warum sie an der Ermordung der Zwangsarbeiter mitgewirkt haben, hat Max Krahner eine einfache Antwort: "Ich glaubte, für mein Volk das Beste zu tun", behauptet er laut einem Prozess-Bericht des "Hamburger Abendblatts" vom 19. Oktober 1967.
"Sonderaktion 1005" - systematische Spurenbeseitigung
Portrait von Heinrich Himmler, Mann mit Nickelbrille und kleinem Oberlippenbärtchen.
Heinrich Himmler befiehlt 1942, die Massengräber an der Ostfront auszuheben und die Leichen zu beseitigen.
Die Verbrechen der drei ehemaligen SS-Männer waren Teil einer größeren koordinierten Aktion, der sogenannten Aktion 1005, benannt nach einem Geschäftszeichen des Reichssicherheitshauptamtes. Auf Befehl des SS-Reichsführers Heinrich Himmler sollen alle Massengräber entlang der Ostfront geöffnet und die Leichen vernichtet werden, um die Spuren der NS-Vernichtungspolitik in Osteuropa komplett zu beseitigen. Die gesamte Aktion, im internen Sprachgebrauch der SS auch "Enterdungsaktion" genannt, unterliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe.
Gründe für die Vertuschungsaktion sind neben der Sorge um Konsequenzen im Falle einer militärischen Niederlage und der Befürchtung, künftige Generationen in Deutschland könnten die Massenmorde missbilligen, vor allem die verwesenden Leichen in den Massengräbern. Der grauenhafte Geruch verbreitet sich bis in die anliegenden Dörfer, zieht riesige Schwärme von Fliegen an und droht, das Grundwasser zu verseuchen.
Erster Holocaust-Prozess in Hamburg
Der Holocaust-Prozess gegen die drei SS-Männer ist der erste, den das Hamburger Landgericht verhandelt. Zwar hatte bereits 1946 im Hamburger Curiohaus ein Prozess wegen der Verbrechen im KZ Neuengamme stattgefunden. Doch diesen hatte noch ein britisches Militärgericht geführt.
Viele Verdächtige kamen straffrei davon
Nur in wenigen Fällen kam es vor dem Hamburger Landgericht wie 1968 zu einer Verurteilung wegen NS-Verbrechen.
Für den leitenden Staatsanwalt Kurt Tegge, der umfangreiches Belastungsmaterial für den Prozess gegen Krahner, Goldapp und Drews zusammengetragen hat, ist die Verurteilung zu lebenslanger Haft ein großer Erfolg. Denn in vielen anderen Verfahren können die Täter allenfalls als Gehilfen und nicht als Mörder verurteilt werden, weil ihnen keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann. Noch schlimmer: In etlichen Fällen ziehen sich die Ermittlungen über Jahre hin, sodass die Angeklagten in der Zwischenzeit verhandlungsunfähig werden.
"Viele Richter hatten kein Interesse an Aufklärung"
In deutschen und internationalen Medien wird daher Anfang der 1970er-Jahre bereits darüber spekuliert, ob die zeitlichen Verzögerungen bewusst betrieben werden. "Viele Richter und Staatsanwälte nach dem Krieg hatten kein großes Interesse an Aufklärung", vermutet auch Udo Löhr, der als Staatsanwalt in Hamburg von 1972 bis 1983 mit der Bearbeitung nationalsozialistischer Verbrechen befasst war, in einem Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" vom Januar 2018. Löhr war unter anderem am Prozess gegen Ludwig Hahn beteiligt, der für die Räumung des Warschauer Ghettos und die Deportation von rund 300.000 Juden 1975 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Staatsanwalt Tegge wird 1971 gegen seinen Willen in die Verkehrsabteilung versetzt - obwohl intern zwölf andere Staatsanwälte gegen die Versetzung des engagierten Strafrechtlers protestiert hatten. Den ungewöhnlichen Schritt begründet der damalige Jusizsenator Ernst Heinsen mit "fürsorgerischen Erwägungen".
NS-Verbrecher kommen früher aus der Haft
Wie viele andere NS-Täter sitzen auch Max Krahner, Otto Goldapp und Otto Drews ihre Strafe letzten Endes nicht voll ab. Krahner wird 1977 begnadigt. Er stirbt 96-jährig im Jahr 1997. Goldapp wird bereits 1975 entlassen und stirbt 1984, Drews ist ab 1973 Freigänger und begeht Selbstmord, als ihm eine erneute Inhaftierung droht.
https://www.ndr.de/geschichte/
Deutschland und die letzten NS-Prozesse
Deutschland erlebt seine letzten NS-Prozesse. Der Tod eines ehemaligen Auschwitz-Wachmanns eine Woche vor Prozessbeginn hat gezeigt: Vor Gericht kommen nur noch wenige, die als mutmaßliche Helfer ermittelt worden sind.
12.04.2016
Ernst T. hätte sein Schweigen brechen können. Hätte erzählen können, was er wusste über Auschwitz und die Geschehnisse dort zwischen November 1942 und Juni 1943. Als einer der letzten Zeitzeugen hätte er Angehörigen von Opfern gegenübertreten und sich verantworten müssen. Doch T., der mehr als 70 Jahre geschwiegen hatte, hat alle Antworten mit ins Grab genommen. Er starb mit 93 Jahren, knapp eine Woche vor seinem ersten Gerichtstermin. 71 Jahre nach Kriegsende sollte T. wegen Beihilfe zum Mord in 1075 Fällen der Prozess gemacht werden.
"Ich bedauere, dass es nicht mehr zu einer juristischen Aufarbeitung gekommen ist", sagt Jens Rommel, Leiter der zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Seine Behörde hatte T. und andere als ehemalige Mitarbeiter des Konzentrationslagers Auschwitz ausfindig gemacht. T. soll im Alter von 19 und 20 Jahren dort Wachmann und an der Abwicklung von Gefangenen-Transporten beteiligt gewesen sein. Der Prozess gegen ihn wäre wohl einer der letzten gewesen, die in Deutschland wegen solcher Taten geführt werden. Zwar stehen unter anderem in Kiel und Neubrandenburg noch Verfahren an. Ob sich die greisen Angeklagten jedoch tatsächlich der Justiz stellen müssen, ist wegen ihres Alters und der damit zusammenhängenden gesundheitlichen Probleme fraglich. Immer deutlicher wird: Was Rommel und seine Mitarbeiter anstoßen, endet in den wenigsten Fällen vor Gericht. Mehr als zu zeigen, dass auch sieben Jahrzehnte nach Kriegsende nichts von dem, was einst geschah, vergeben und vergessen ist, bleibt unterm Strich nicht.
Eine Viertelmillion Juden wurden im Vernichtungslager Sobibor umgebracht
Die Meisten sind tot oder nicht mehr verhandlungsfähig
Es ist ein Rennen gegen die Zeit, das die Behörde führt. "Es kann sein, dass Leute sterben, damit müssen wir nach so vielen Jahren rechnen", weiß Rommel. "Und wer noch lebt, ist oft dement und verhandlungsunfähig." Dennoch hatte die zentrale Stelle 2013 die Namen von fast 60 ermittelten Beteiligten an die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften in ganz Deutschland weitergeleitet. 30 Personen sind demnach in Auschwitz tätig gewesen, 28 im Konzentrationslager Majdanek. "Von den Fällen, die wir für Auschwitz gefunden haben, sind fünf in der juristischen Bearbeitung", erläutert Rommel. Darunter jenes aus Kiel und das aus Neubrandenburg. Ein weiteres Verfahren liegt bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main, jedoch sei noch keine Anklage erhoben worden, so deren Sprecherin. Wann und ob das sein wird, kann sie nicht sagen.
Für die ermittelten Beteiligten aus Majdanek sehe es laut Rommel ähnlich aus: In 25 Fällen wurden die Verfahren eingestellt, weil die Betreffenden verstorben oder dement sind. "Ein Fall, der sich in Österreich ereignet hatte, ist verjährt", erläutert der Behördenleiter. "Und eine Person ist bereits damals in der sowjetischen Besatzungszone verurteilt worden." Aktuell fahnden die Nazijäger aus Ludwigsburg in Auschwitz-Papieren weiter. "Wir werden uns auch noch Bergen-Belsen und Neuengamme vornehmen", bekräftigt Rommel. Doch auch diesbezüglich möchte der Behördenleiter keine allzu großen Hoffnungen wecken.
Deutschland John Demjanjuk Prozess in München
Lebte nach dem Krieg in den USA: John Demjanjuk, ehemaliger Wachmann im Vernichtungslager Sobibor
Kein Sonderstrafrecht für NS-Verbrechen
Warum die Fälle, die inzwischen eingestellt werden mussten, nicht schon vor Jahren juristisch geklärt wurden, darüber möchte Rommel nicht spekulieren. Hauptgrund jedoch, so erläutert er, sei ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 1969 gewesen. Damals hatten die Richter entschieden, dass "nicht jeder, der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers eingegliedert war und dort irgendwie anlässlich dieses Programms tätig wurde" auch bestraft werden könne. Strafbar laut dieser Entscheidung konnte "nur derjenige sein, der die Haupttat konkret gefördert hat", wie es nachzulesen ist. Beihilfe nennen das die Juristen.
Erst mit dem Urteil gegen John Demjanjuk, der als Wachmann in Sobibor tätig war, geschah 2011 die Wende. Obwohl sowohl ihm als auch dem 2015 verurteilten "Buchhalter von Auschwitz" genannten Oscar Gröning keine Beihilfe an einzelnen konkreten Morden nachgewiesen werden konnte, sind sie verurteilt worden. Demjanjuk, weil er in einem Lager tätig war, in das Menschen ausschließlich zur Ermordung gebracht worden waren. Gröning, weil ihm Beihilfe während eines Zeitraumes nachzuweisen war, in dem Menschen getötet wurden. "Sie haben das Gesamtsystem unterstützt und ohne die Unterstützung so vieler hätte es nicht funktioniert", fasst Rommel zusammen, wie die Justiz heute, vierzig Jahre nach der bis dato geltenden BGH-Entscheidung, handelt.
Deutschland Prozess Oskar Gröning in Lüneburg Urteil
Der "Buchhalter von Auschwitz": Oscar Gröning, 2015 verurteilt
Dass es aber selbst für Juristen schwer ist, nach all den Jahren und auf der Grundlage heute geltender Gesetze festzustellen, wer in welchen Maß für welche Taten mitverantwortlich ist, betont Rommel auch. "Unser Strafrecht ist nicht auf Massenverbrechen ausgelegt, sondern auf Einzeltaten." Und ein Sonderstrafrecht für NS-Verbrechen gibt es in Deutschland nicht. "Hinzukommt, dass ein Gericht für jeden Angeklagten feststellen muss, was er damals, als 19-Jähriger im Krieg, wusste von der Haupttat und dem Beitrag, den er dazu leistet."
Entmutigen lässt sich der Jurist davon jedoch nicht. Die Arbeit seiner Behörde gehe weiter "solange Strafverfolgungsaufgaben anfallen", sagt er. Danach soll die zentrale Stelle ein Dokumentations- und Forschungszentrum werden. Umsonst war die Arbeit der Mitarbeiter also nicht – selbst wenn es zu keinem Prozess mehr kommen wird.
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DEUTSCHLAND
Späte Justiz: KZ-Helfer vor Gericht
Sie sind über 90 und werden mehr als 70 Jahre nach Kriegsende mit ihrer Nazi-Vergangenheit konfrontiert. Eine empörende Rechtsauffassung wird spät korrigiert. Die wirklich allerletzten NS-Prozesse stehen bevor.
Datum 11.02.2016
Autorin/Autor Volker Wagener
Reinhold H. ist 94 Jahre alt. Als er als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz Dienst hatte, war er Anfang 20. Ein Gehilfe im Tötungsapparat der Nazis. Er soll, so die Staatsanwaltschaft, für die Tötung von mindestens 170.000 Menschen mitverantwortlich sein. Männer wie ihn ließ die deutsche Justiz jahrzehntelang ungeschoren davonkommen. Jetzt, mehr als 71 Jahre nach seiner Zeit als SS-Mann im sogenannten "Totenkopf-Sturmbann", wird ihm der Prozess gemacht.
Das Verfahren vor dem Landgericht Detmold ist kein Einzelfall. Dennoch: Von rund 6500 SS-Wachmännern in Auschwitz wurden bislang nur 49 verurteilt. Längst gilt das Versagen der Justiz als "zweite Schuld" der Deutschen. Zum Vergleich: Die polnische Justiz verurteilte knapp 700 SS-Angehörige aus Auschwitz.
Auschwitz, Synonym für den Holocaust
Als die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Lager Auschwitz nahe Krakau im heutigen Polen erreichte, zählte sie noch rund 7000 Gefangene in dem Konzentrationslager. Von den zuletzt 60.000 Insassen waren die meisten kurz zuvor von der SS erschossen oder aber auf sogenannte Todesmärsche Richtung Westen getrieben worden.
1,1 bis 1,5 Millionen Menschen wurden in Auschwitz zwischen 1940 und 1945 umgebracht: Männer, Frauen und Kinder wurden vergast, totgespritzt, erschossen, erschlagen. Alles wurde bürokratisch dokumentiert, zum Beispiel als "Sonderbehandlung".
Nach dem Krieg waren diese Verbrechen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit fast 20 Jahre lang ein Tabu, vor allem für die Justiz. Das Motto lautete: "Das Vergangene soll ruhen!" Der Geist der Adenauer-Ära - also der Regierungszeit des ersten Bundeskanzlers von 1949 bis 1963 - war geprägt von weitverbreiteter Amnesie oder aktivem Entnazifizierungs-Eifer.
Staatsanwälte und Richter mit einer braunen Vergangenheit blieben bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen in den ersten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik auffällig untätig. Nichtstun genügte. Allein in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sollen rund 80 Prozent der Justiz vorbelastet gewesen sein.
Fritz Bauer gehörte nicht dazu. Der hessische Generalstaatsanwalt ist der Vater des Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Der Jude, KZ-Überlebende und Sozialdemokrat wurde zum entschlossenen Verfolger von Kriegsverbrechern. Der unbelastete Jurist galt lange als Nestbeschmutzer. Schon 1959 übertrug der Bundesgerichtshof Bauer die Zuständigkeit für den Auschwitz-Prozess.
Blick auf die Anklagebank im Auschwitzprozess 1963 (Foto: imago)
Frankfurt am Main, 20. Dezember 1963: Auftakt der Auschwitz-Prozesse
Sisyphusarbeit in Ludwigsburg
Der Prozess konnte 1963 auch deshalb beginnen, weil 1958 die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg eingerichtet worden war. Bis dahin waren Kriegsverbrecher nur unsystematisch und unkoordiniert verfolgt worden. Aber selbst die zentrale Recherche der Behörde stieß schnell an selbst auferlegte Grenzen.
Verfolgt wurden nur die Fälle, denen eine einzelne konkrete Tat nachgewiesen werden konnte. Diese Praxis galt viele Jahre und führte im Ergebnis dazu, dass nur selten Anklagen erhoben wurden. Der Bundesgerichtshof hatte schon 1969 entschieden, dass nicht jeder, der in die Vernichtungsmaschinerie der Konzentrationslager eingebunden war, auch verantwortlich für die Gräueltaten sei.
Das änderte sich 2011, als John Demjanjuk vor dem Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord angeklagt war. Der Ukrainer war in deutscher Kriegsgefangenschaft der Waffen-SS beigetreten und wurde Aufseher im Vernichtungslager Sobibor.
Allein den Dienst in diesem Lager wertete das Gericht als Beihilfe zum Mord, eine konkrete Tötung eines Gefangenen durch Demjanjuk musste nicht nachgewiesen werden. Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu fünf Jahren Haft. Demjanjuk starb ein Jahr später - noch bevor das Revisionsurteil gesprochen werden konnte - mit 91 Jahren. Das Urteil war eine Zäsur. Seitdem wird verstärkt gegen Lager-Aufseher ermittelt. Ein Wettlauf gegen die Zeit.
Letzte Fälle
Immer häufiger kommt die Justiz zu spät. Wie zum Beispiel beim ehemaligen Wachmann von Belzec, Samuel Kunz. Die Anklage hatte ihm Mord in zehn und Beihilfe zum Mord in 430.000 Fällen vorgeworfen. Er starb 2010 noch vor Prozessbeginn. Im gleichen Jahr verhängte das Landgericht Aachen eine lebenslange Haftstrafe gegen Heinrich Boere. Er hatte 1944 als Mitglied eines SS-Mordkommandos niederländische Zivilisten erschossen. Boere starb 2013 hinter Gittern.
Oskar Gröning (Foto: Reuters)
Oskar Gröning im Juli 2015 vor dem Landgericht Lüneburg.
Aufsehen erregte das Verfahren gegen Oskar Gröning, das im Juli 2015 mit einer vierjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen endete. Der als "Buchhalter von Auschwitz" bezeichnete 94-Jährige bekannte sich als moralisch mitschuldig an den Morden in Auschwitz. Das Gericht attestierte: Menschen wie Gröning hätten gründlich, effektiv und gnadenlos zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie beigetragen.
Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht, denn der Bundesgerichtshof muss in diesem Frühjahr noch über eine Revision befinden. Kommt das Gericht zu der Auffassung, dass schon die Tätigkeit in einem Vernichtungslager ausreicht, um einen Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord zu verurteilen, werden weitere Verfahren gegen Nazi-Greise folgen. Es werden dann wirklich die allerletzten sein.
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Interview zum Detmolder NS-Prozess
"Mord verjährt nicht"
Stand: 10.02.2016 18:00 Uhr
71 Jahre sind seit Kriegsende vergangenen. Auch nach der langen Zeit stoßen die Ermittler auf neue Fälle. Oberstaatsanwalt Andreas Brendel erklärt im tagesschau.de-Interview, warum erst jetzt manche mutmaßliche Täter vor Gericht stehen.tagesschau.de: Der 94-jährige Angeklagte wird der Beihilfe an 170.000-fachen Mord angeklagt. Er war als SS-Mann in Auschwitz eingesetzt.
Wie kommen Sie jetzt auf die Zahl 170.000?
Andreas Brendel: Wir haben die Transporte, die im Rahmen der Ungarn-Aktion von Ungarn aus nach Birkenau erfolgt sind, das heißt dort sind von Ungarn aus Juden nach Auschwitz deportiert worden. Diese Transportlisten und -bücher haben wir ausgewertet und dann die Zahlen zusammengezogen. So sind wir dann auf diese Zahl gekommen.
Andreas Brendel, Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen
Zur Person:
Andreas Brendel Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen.
tagesschau.de: Warum mussten Sie sich dieses etwas singuläre Ereignis herauspicken?
Brendel: Weil es darauf ankam, dass man nach der Rechtsprechung eine abgegrenzte Haupttat hat, das heißt man muss einen abgegrenzten Zeitraum haben. Allein die Judenvernichtung zum Beispiel überhaupt oder aber Auschwitz reicht zur Begründung einer Haupttat nicht aus. Beihilfe bedeutet die Unterstützung einer Haupttat. Ich muss also auch vorher die Haupttat feststellen.
Wie kann man die Verbrechen jetzt noch beweisen?
tagesschau.de: Der Angeklagte leugnet ja nicht, in Auschwitz gewesen zu sein. Aber er sagt, er hätte von nichts gewusst und er sei vor allem nicht beteiligt gewesen. Wie wollen Sie ihm jetzt trotzdem das Gegenteil beweisen?Brendel: Es gibt unterschiedliche Ansätze. Einmal natürlich seine eigene Aussage, dass er in Auschwitz gewesen sei. Er habe zwar von den Tötungshandlungen nichts mitbekommen. Da müssen wir dann Schlussfolgerungen ziehen. Einmal aus dem System des Lagers. Nämlich, dass das Lager frei einsehbar ist, zumindest zum großen Teil. Wie sind Wachleute dort eingesetzt gewesen? Aber auch mit dem Umstand, dass er sich zweieinhalb Jahre in Auschwitz aufgehalten hat beziehungsweise dort eingesetzt gewesen ist. Dieser Umstand deutet sicherlich darauf hin, dass er diese Tötungshandlungen, die wir im jetzt zur Last gelegt haben, mitbekommen haben muss.tagesschau.de: Die Befreiung von Auschwitz hat sich vor kurzem zum 71. Mal gejährt. Jetzt, mehr als 71 Jahre später, dieses Verfahren: Warum hat das so lange gedauert?
Brendel: Das hat für mich selbst so lange gedauert, weil ich erst im Jahre 2014 von diesem Verfahren erfahren beziehungsweise auch von diesem Angeklagten erfahren habe. Das sind die Gründe, warum wir hier in Dortmund erst jetzt Anklage erhoben haben. Dass das grundsätzlich so lange dauerte, hat sicherlich etwas mit der Rechtsprechung der sechziger Jahre zu tun. Der Demjanjuk-Prozess in München, hat dann dazu geführt, dass die Zentrale Stelle in Ludwigsburg die Listen erneut ausgewertet hat.
Interview mit Staatsanwalt Andreas Brendel3 Min
10.2.2016 · 13:56 Uhr
"Mord verjährt nicht"tagesschau.de: Macht es denn überhaupt Sinn, einen 94-Jährigen noch anzuklagen?
Brendel: Da gibt es zwei Aspekte, die eine Rolle spielen. Zum einen der juristische Aspekt. Das ist: Mord verjährt nicht. Als Staatsanwalt bin ich aufgrund des Legalitätsgrundsatzes verpflichtet, diese Straftaten zu verfolgen. Und dann gibt es noch den moralischen Aspekt. Wir sind es den Angehörigen und den Opfern selbst schuldig, diese Straftaten auch heute noch zu verfolgen. Wenn man nämlich mal berücksichtigt, was die Nazis angerichtet haben, welche Arten von Tötungen, wieviele Tötungen sie begangen haben aus sehr perfiden Gründen, dann müssen wir diesen Dingen auch heute noch nachgehen.
Das Interview führte Michael Heussen, WDR Köln.
https://www.tagesschau.de/inland/interview-ns-prozess-detmold-101.html
NS-Prozess am Hagener Schwurgericht
92-jähriger Angeklagter schweigt
Stand: 02.09.2013, 16:04 Uhr
Der erste Verhandlungstag in einem der letzten NS-Prozesse dauerte am Montag (02.09.2013) nur 35 Minuten. Angeklagt ist der 92-jährige B. Er soll 1944 an der Erschießung eines niederländischen Widerstandskämpfers beteiligt gewesen sein.
Der Angeklagte schwieg am ersten Prozesstag zu dem Mordvorwurf und zu seinem Lebenslauf. Er bestätigte dem Hagener Schwurgericht lediglich seine Personalien. Zu seiner Staatsangehörigkeit sagte der gebürtige Niederländer: "Ich bin seit 1942 Deutscher." Das Gericht ließ zudem einen Lebenslauf verlesen, den B. 1944 selbst verfasst hatte. Darin heißt es: "1941 ging ich freiwillig zur Waffen-SS." Im Gerichtssaal verfolgten auch Angehörige des erschossenen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema den Prozessauftakt. "Ich möchte dem Angeklagten in die Augen sehen. Ich möchte sehen, ob er Angst hat", sagte Aldert Klaas Veldmann, ein Neffe des Opfers.
Angeblich auf der Flucht erschossen
Laut Anklage war der 92-Jährige zur Tatzeit Mitglied des deutschen Grenz- und Sicherheitspolizeipostens im niederländischen Delfzijl. Der heute in Westfalen lebende Angeklagte habe in der Nacht auf den 22. September 1944 gemeinsam mit einem Vorgesetzten - der 1985 verstorben ist - viermal von hinten auf Dijkema geschossen. Wie der Staatsanwalt weiter ausführte, sei der niederländische Widerstandskämpfer zu einem verlassenen Fabrikgelände in Appingedam gefahren worden. Dort sollen ihn die SS-Männer aufgefordert haben: "Geh mal eben pissen!" Kurz darauf seien die Schüsse gefallen. Zwei hätten den Widerstandskämpfer von hinten getroffen - auch in den Kopf. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass vermutlich beide SS-Männer geschossen haben. Einem Arzt soll später erklärt worden sein, dass Dijkema nach der Sperrzeit angetroffen wurde und auf Anruf nicht stehen geblieben sei. Deshalb sei er auf der Flucht erschossen worden.
Wegen Beihilfe zum Mord bereits verurteilt
Ein niederländisches Sondergericht hatte B. bereits 1949 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Später wurde die Strafe in lebenslang abgewandelt. Das Urteil konnte jedoch nie vollstreckt werden, weil B. rund drei Jahrzehnte unter falschem Namen in Westfalen untergetaucht war. Als seine wahre Identität bekannt wurde, stellte die niederländische Regierung ein Auslieferungsersuchen. Es wurde 1978 zurückgewiesen, weil B. als ehemaliger SS-Mann unwiderlegbar die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte.
Erst Totschlag, jetzt Mord
Ein erstes Ermittlungsverfahren in Deutschland wegen der Tötung von Dijkema war 1978 eingestellt worden, weil die Tat ursprünglich als Totschlag und damit als verjährt eingestuft wurde. Damals war die deutsche Justiz der Auffassung, dass es sich bei Erschießungen von Widerstandskämpfern durch die NS-Besatzer nicht um Morde gehandelt habe. "Argumentiert wurde damit, dass das Mordmerkmal Heimtücke nicht erkennbar gewesen sei", sagte ein Sprecher des Hagener Landgerichts WDR.de am Montag (02.09.2013). Die Rechtssprechung hat sich jedoch geändert: Im März 2010 verurteilte das Aachener Landgericht den früheren SS-Mann Heinrich Boere zu lebenslanger Haft. Die Richter sprachen ihn der Tötung von drei niederländischen Zivilisten 1944 schuldig. Das Urteil erging wegen heimtückischen Mordes.
Im Jahr nach dem Aachener Boere-Urteil erfuhr die Dortmunder Staatsanwaltschaft, spezialisiert auf die Verfolgung von NS-Verbrechen, durch einen niederländischen Journalisten von dem Fall Dijkema und der mutmaßlichen Täterschaft von B. Sie nahm in dem Fall, den die deutsche Justiz längst zu den Akten gelegt hatte, neue Ermittlungen auf. Daraufhin klagte sie B. schließlich vor dem Landgericht Hagen an.
Schon der zweite Prozess
Es ist bereits der zweite Prozess gegen den 92-Jährigen. Wegen Beihilfe zur Erschießung zweier jüdischer Brüder war der ehemalige Zaunfabrikant schon 1980 in Hagen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Davon hatte er zwei Drittel verbüßt. Laut Gericht kann wegen des hohen Alters und verschiedener Krankheiten des 92-Jährigen nur drei Stunden pro Tag verhandelt werden. Der Prozess wird am Donnerstag (05.09.2013) fortgesetzt. Das Hagener Schwurgericht hat zunächst insgesamt elf Verhandlungstermine anberaumt. Das Urteil soll am 26. September gesprochen werden.
https://www1.wdr.de/
Auf der Suche nach den letzten NS-Kriegsverbrechern
"Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II" - so das Motto einer Aktion, mit der das Simon-Wiesenthal-Zentrum die letzten Nazi-Verbrecher finden will. Es hat eine Belohnung von 25.000 Euro ausgesetzt..
23.07.2013
Die einstigen Täter sind jetzt um die 90 Jahre alt. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um sie zu enttarnen. "Es ist unsere letzte Chance, noch lebende Nazi-Verbrecher in Deutschland aufzuspüren", sagte Efraim Zuroff, der Initiator der Kampagne des Simon-Wiesenthal-Zentrums, das weltweit nach Nazi-Verbrechern und deren Handlangern sucht.
An einer Straßenbahn- und Bushaltestelle ist ein Plakat der Kampagne Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II am 23.07.2013 in Berlin-Pankow zu sehen (Foto: Jörg Carstensen/dpa)
Die Bevölkerung soll mithelfen, die bisher nicht verurteilten NS-Kriegsverbrecher aufzuspüren. Deshalb hängen ab sofort in Berlin, Hamburg und Köln 2000 Plakate der "Operation Last Chance". Ein Foto des Eingangstores zum Vernichtungslager Auschwitz, der Text darunter ruft dazu auf, bei der Suche nach den Mördern mitzuhelfen: "Millionen Unschuldiger wurden von Nazi-Kriegsverbrechern ermordet. Einige der Täter sind frei und am Leben! Helfen Sie uns, diese vor Gericht zu bringen. Bis zu 25.000 Euro Belohnung für wertvolle Hinweise."
Veränderte Rechtslage erleichtert Verurteilung
Viele fragen sich, warum das Simon-Wiesenthal-Zentrum erst jetzt eine solche Plakataktion gestartet hat, wo zahlreiche Nazi-Verbrecher bereits tot sind. Grund ist das sensationelle Urteil gegen den früheren KZ-Wachmann John Demjanjuk 2011 in München. Der gebürtige Ukrainer wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, ohne dass ihm das Gericht eine konkrete Tat vorgeworfen hatte. Die Richter waren überzeugt davon, dass Demjanjuk an der Ermordung von 29.000 Juden im Todeslager Sobibor beteiligt gewesen war. Das hat ausgereicht. Seitdem ist die Strafverfolgung von NS-Kriegsverbrechern leichter geworden. Bis dahin habe man den Nazi-Tätern spezifische Verbrechen an bestimmten Opfern nachweisen müssen, erklärte Zuroff.
Das hohe Alter der Gesuchten kann seiner Ansicht nach keine Rolle spielen. "Die verstrichene Zeit mindert ihre Schuld nicht", sagt der Initiator. Das sieht der Zentralrat der Juden in Deutschland genau so. "Gerechtigkeit kennt keine Verfallszeit", sagte dessen Präsident Dieter Graumann. Und Zuroff ergänzte, wer nach solchen Taten bis heute lebe, müsse physisch und geistig gesund sein. Als junge Männer hätten sie "ihre ganze Kraft und Energie darauf verwendet, unschuldige Menschen zu ermorden."
"Kopfgeld" ist umstritten
Efraim Zuroff ist die Belohnung von bis zu 25.000 Euro kein Problem. Die Belohnung garantiere hohe mediale Aufmerksamkeit. Im übrigen seien die besten Hinweise sowieso immer von Menschen gekommen, die kein Geld, sondern Gerechtigkeit wollten, sagte Zuroff. So sieht er größere Chancen, die etwa 60 möglichen Täter zu finden, die noch am Leben sind.
Der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn lehnt das "ausgeschriebene Kopfgeld" als "pietät- und schamlos" ab. Es werde eher "Mitleid mit den betagten Kriegsverbrechern hervorrufen", kritisierte Wolffsohn. Zudem sei es absurd, NS-Verbrechen mit Zahlen aufzuwiegen. Viel wichtiger sei es, dass eine solide, intensive Aufarbeitung der NS-Verbrechen weiter gehe.
Der Berliner Politologe Professor Hajo Funke hätte für die Kampagne eine andere Form gewählt. "Die Plakate könnten zu populistisch sein und bergen die Gefahr, dass es in einer Art öffentlicher Jagd Falsche trifft", sagte Funke. Doch das Anliegen selbst hält der Antisemitismus-Forscher für "hoch sinnvoll und berechtigt." Die Suche hätte "viel früher geschehen müssen". "Das ist die Spätlast der unaufgearbeiteten Vergangenheit". Ihr hätten sich Politik und Justiz in den 1950er und 60er Jahren nicht stellen wollen. Viele KZ-Wächter habe man ganz ohne oder mit geringsten Strafen laufen lassen.
cd/sc (dpa, afp)
https://www.dw.com/de/auf-der-suche-nach-den-letzten-ns-kriegsverbrechern/a-16971898
PRESSEMITTEILUNGEN
Wiesenthal-Zentrum: „Massenmord nicht verstecken“
Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, im Interview der Deutschen Welle.
Datum 23.07.2013
Der Leiter des Jerusalemer Simon-Wiesenthal-Zentrums, Efraim Zuroff, hat in einem Interview der Deutschen Welle mit Blick auf die zögerliche Verfolgung von NS-Verbrechern in einigen Ländern Osteuropas gesagt: „In diesen Ländern wird eine verdrehte Sicht der Dinge präsentiert“, die die Beteiligung der Bevölkerung (an den NS-Verbrechen) herunterspiele. „Diese Länder versuchen, die Welt davon zu überzeugen, dass der Kommunismus genauso schlimm oder schlimmer war als der Nationalsozialismus. Was einfach nicht wahr ist. Sie wollen die Länder der Opfer sein. Natürlich haben die Sowjets sie zu Opfern gemacht. Aber sie müssen verstehen, dass sie den Massenmord nicht verstecken können, wenn sie lebendige Demokratien schaffen wollen.“
Das Wiesenthal-Zentrum hatte am Dienstag in deutschen Großstädten eine Kampagne zur Suche nach den letzten noch lebenden NS-Verbrechern gestartet. Kritik daran wies Zuroff zurück: „Es ist die Belohnung, die die Geschichte macht. Wenn ich zu einer Pressekonferenz einladen würde, um an den guten Willen Deutschlands zu appellieren und um Hilfe zu bitten, würde niemand kommen. Wir müssen uns auf die Anziehungskraft einer Belohnung verlassen. Aber einige der besten Informationen haben wir über die Jahre von Leuten bekommen, die kein Geld wollten.“ Der Historiker Michael Wolffsohn hatte die Belohnung kritisiert und als „Kopfgeld“ bezeichnet.
Für Efraim Zuroff bleibt die Verfolgung von Naziverbrechern nach wie vor sinnvoll und wichtig, auch wenn Betroffene 68 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hochbetagt sind. Die Zeit relativiere in keiner Weise die Schuld der Mörder. Sie verantwortlich machen zu können bedeute in jedem Einzelfall nicht nur einen Sieg der Justiz, sondern auch einen Erfolg für die Gesellschaft. Zuroff: „Das sendet ein machtvolles Signal im Kampf gegen die Leugnung des Holocaust.“
Zuroff fügte hinzu: „Ich habe niemals einen Naziverbrecher getroffen, der Bedauern oder Reue zeigte. Wenn überhaupt, dann genau das Gegenteil. Ich habe Leute getroffen, die stolz auf das waren, was sie getan haben.“
23. Juli 2013
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ARD-Politikmagazin KONTRASTE: Mutmaßliche NS-Verbrecher im Fall Babi Yar aufgespürt
Simon-Wiesenthal-Zentrum kritisiert deutsche Strafverfolger
Ex-Außenminister Fischer fordert Strafverfolgung
28.09.2017 – 14:59
rbb - Rundfunk Berlin-Brandenburg
Berlin (ots)
Kurz vor dem 76. Jahrestag des Massakers von Babi Yar hat das ARD-Politikmagazin Kontraste zwei mutmaßliche Täter aufgespürt. Es handelt sich um ehemalige Waffen-SS-Angehörige, die bis heute von Strafverfolgungsbehörden unbehelligt in Deutschland leben.
Bei dem Massaker von Babi Yar hatten deutsche Einheiten am 29. und 30. September 1941 mehr als 30.000 Juden in einer Schlucht in der Nähe von Kiew erschossen, darunter viele Frauen und Kinder. Nach Recherchen von Kontraste gehörten die jetzt aufgespürten Männer der Einsatzgruppe C an, die während des Zweiten Weltkriegs in der Ukraine systematisch Juden ermordete und auch in Babi Yar im Einsatz war.
Die 94 und 95 Jahre alten Männer sind trotz ihres hohen Alters in guter Verfassung. Beide gaben Kontraste Interviews, in denen sie sich zur Beteiligung an NS-Verbrechen aber nicht äußern wollten bzw. diese bestritten. Schon 1965 hatte das Hessische Landeskriminalamt die beiden Männer als Angehörige eines Waffen-SS-Bataillons identifiziert, das der Einsatzgruppe C zugeordnet war. Das geht aus Gerichtsakten hervor, die Kontraste vorliegen. Strafrechtlich belangt wurden die Männer damals aber nicht.
Derzeit laufen Vorermittlungen gegen die beiden und sechs weitere noch lebende Angehörige der SS-Einsatzgruppen von Seiten der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Sie gehen auf einen Hinweis des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem aus dem September 2014 zurück. Trotz mittlerweile dreijähriger Vorermittlungen hat die Zentrale Stelle aber noch keinen der Fälle an eine zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben. Keiner der Beschuldigten wurde bislang vernommen. Efraim Zuroff, Leiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, übt scharfe Kritik am Vorgehen Ludwigsburgs: ,,Das ist wirklich entsetzlich", so Zuroff gegenüber Kontraste. ,,Worauf warten sie? Darauf, dass sie sterben? Dass sie krank werden und nicht mehr vor Gericht gestellt werden können?"
Ex-Außenminister Joschka Fischer, der deutsche Vertreter in der Stiftung für ein Holocaust-Zentrum in Kiew, erklärte gegenüber Kontraste, er habe keinerlei Verständnis dafür, wie die Justiz mit den Männern bislang umgegangen ist. "Es ist Pflicht der Strafverfolgungsbehörden beim Mord oder sogar Massenmord tätig zu werden, also es ist keine Frage des Wollens."
Der Leiter der Zentralen Stelle, Jens Rommel, verweist auf die dünne Personaldecke der Behörde. Man habe die Ressourcen in erster Linie auf Ermittlungen gegen ehemalige Angehörige von Konzentrations- und Vernichtungslagern gerichtet. "Dort ist die Beweis- und Rechtslage viel übersichtlicher als bei den Einsatzgruppen", so Rommel. Die bloße Mitgliedschaft in einer Einsatzgruppe begründe noch keinen Anfangsverdacht zum Mord.
Der renommierte Strafrechtsprofessor Cornelius Nestler von der Universität Köln, der in zahlreichen NS-Verfahren Nebenkläger vertreten hat, widerspricht dieser Einschätzung: "Generell können wir davon ausgehen, dass jeder, der bei einer Einsatzgruppe war, Beihilfe zum Mord geleistet hat, denn das war sein Job."
In den vergangenen Jahren waren erstmals mehrere SS-Angehörige aus Konzentrations- und Vernichtungslagern wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt worden, obwohl ihnen selbst kein unmittelbarer Beitrag am Mordgeschehen nachgewiesen werden konnte. Nestler hält dies auch für Mitglieder der Einsatzgruppen möglich. "Auch wer nur absperrt, damit hinter der Absperrung ein Massenmord stattfinden kann, leistet eine strafbare Beihilfe zum Mord."
Die SS-Einsatzgruppen waren mobile Mordkommandos, die während des Angriffs auf die Sowjetunion hinter der Front tätig waren. Zu ihrem Auftrag gehörte das Aufspüren und Erschießen von Juden, Sinti und Roma und kommunistischen Funktionären in den eroberten Gebieten. Sie verübten zahlreiche Massaker. Die Gesamtzahl ihrer Opfer in der Sowjetunion wird auf mindestens 600.000 Menschen geschätzt, der Großteil davon Juden.
Den gesamten Bericht strahlt das ARD-Politikmagazin KONTRASTE heute um 21.45 Uhr im Ersten aus.
Pressekontakt:
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Kontraste
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Mord verjährt nicht: Zentralstelle für Nazi- Kriegsverbrechen in Dortmund
Andreas Brendel ist Leiter der "Zentralstelle NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen". Seine Arbeit geht unter die Haut...
15.08.2017
Am 14. August 1947 - also heute vor 70 Jahren - endete der Hauptprozess gegen 31 Täter, die KZ Buchenwald für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden. Doch auch 72 Jahre nach Kriegsende und teils 80 Jahre nach den Verbrechen sind die Ermittlungen gegen die Täter noch nicht beendet. Einer der Strafverfolger und Ankläger ist der Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel (55). Er ist "Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" mit Sitz in Dortmund.
Dass es zu Verhandlungen kommt, ist eher selten. Im vergangenen Jahr hatte er vor dem Landgericht in Detmold den damals 94-jährigen früheren SS-Mann Reinhold H. wegen der Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen im KZ Auschwitz angeklagt. Fünf Jahre Haft waren das Urteil. Doch rechtskräftig wurde es nicht. Noch im Laufe der Revision vor dem Bundesgerichtshof starb der Beschuldigte. "Solche Anklagen sind nicht gerade lebensverlängernd", sagt Brendel.
Juristische Aufarbeitung der NS-Kriegsverbrechen geht auch nach 70 Jahren weiter
Für ihn geht die Arbeit weiter. Aktuell führt er Ermittlungen gegen zwei ehemalige Wachleute aus dem KZ Stutthof bei Danzig (Polen). Auch wenn sie, wie die beiden ehemaligen Wachleute aus Wuppertal und dem westlichen Münsterland, mittlerweile hoch betagt und in den 90ern sind, geht die Strafverfolgung weiter. Denn Mord - ebenso wie Beihilfe zum Mord - verjährt nicht.
Für die Verfolgung der Gewalt- oder auch Massenverbrechen der Nationalsozialisten gibt es in Dortmund eine Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft und eine Ermittlungsgruppe beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf. Beide Abteilungen arbeiten Hand in Hand, Verbrechen von unglaublichen Dimensionen aufzuarbeiten, die auch mehr als 70 Jahre danach erschüttern.
Einer der Fälle ist der gesagte von Reinhold H., Jahrgang 1921. Er trat als Jugendlicher in die Hitler-Jugend ein und meldete sich mit 19 freiwillig zur Waffen-SS. Er war laut Anklage als Angehöriger des SS-Totenkopfsturmbanns von Januar 1943 bis Mitte Juni 1944 im Konzentrationslager Auschwitz im Einsatz.
Dort soll er die Selektionen an der Zugrampe bewacht, Gefangene zu den Gaskammern begleitet haben und auch für die Suche nach geflohenen Häftlingen zuständig gewesen sein. Für die Anklage reicht das zu einer Verurteilung für Beihilfe, weil er den tausendfachen Mord gefördert oder zumindest erleichtert habe. Männer wie Reinhold H. hätten ihren Teil dazu beigetragen, die Mordmaschinerie am Laufen zu halten. Dies zu beweisen, bedurfte jahrelanger Ermittlungsarbeit.
Andreas Brendel ist seit 20 Jahren mit den NS-Fällen betraut
Seit mehr als 20 Jahren ist Andreas Brendel mit dieser Arbeit befasst. Der Oberstaatsanwalt leitet mittlerweile die Dortmunder Zentralstelle. Wie seine Kollegen hatte er damals verkannt, wie lange die Arbeit noch anhalten würde. "Ich ging von drei bis vier Jahren aus", sagt der 55-Jährige.
Er kam als junger Staatsanwalt in das Sonderdezernat. Gezielt ausgesucht hatte er es sich nicht: "Weil da was frei war."
Doch Brendel hat sich tief in diese sehr spezielle Materie eingearbeitet. Dabei arbeitet er Hand in Hand mit Stefan Willms (58), Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter der Ermittlungsgruppe Nationalsozialistische Gewaltverbrechen des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen.
Diese Art der Zusammenarbeit war nicht immer so. Brendels Vorgänger und Kollegen haben früher relativ viele Ermittlungstätigkeiten selbst durchgeführt. Dazu gehörten auch die Vernehmung von Zeugen und Reisen in sehr viel größerem Umfang. Jetzt, wo die Zentralstelle kleiner geworden ist, überträgt Brendel immer mehr Ermittlungen an das LKA.
Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft ermitteln in Teamarbeit
Dazu gehören Aufgaben aus dem Routinegeschäft, Vernehmungen, Archivarbeiten. Das ist eigentlich nicht ungewöhnlich, sondern vom Polizeiorganisationsgesetz so vorgesehen.
"Die machen das gerne und auch gut", lobt Brendel die Ermittler. Diese haben auf Grund ihrer Möglichkeiten - Infrastruktur, Personal und Datenbanken - mehr und effizientere Möglichkeiten. "Diese Infrastruktur hätten wir erst aufbauen müssen", erklärt Brendel.
Er ist allerdings sehr intensiv in jedes Ermittlungsverfahren eingebunden. "Ich fahre auch mit zu Vernehmungen, beteilige mich an Dienstreisen, gehe mit in Archive." Oder sein Büro veranlasst Grabungen wie 2007 in der Bolmke, wo die Staatsanwaltschaft ein Massengrab vermutet hatte. Die Suche blieb allerdings ergebnislos.
"Heute ist es so, dass - wenn ein Verfahren kommt - ich das durcharbeite und ein Ermittlungskonzept erstelle", erklärt Stefan Willms.
"Das stimme ich dann mit Herrn Brendel ab und wir bearbeiten das dann hier gemeinsam als Ermittlungskommission."
Bei Kommissionsbesprechungen kommt Brendel häufig dazu. "Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit. Wir fahren zusammen zu Tatörtlichkeiten, er ist auch bei Vernehmungen dabei", so der Ermittler.
Das unterscheidet Brendel schon von den meisten Staatsanwälten und ist noch am ehesten mit den Kollegen aus der Abteilung organisierte Kriminalität und Kapitaldelikte vergleichbar - auch sie sind von Anfang an in die Ermittlungen eingebunden.
Im Schnitt laufen in Nordrhein-Westfalen 15 Ermittlungsverfahren gleichzeitig
Die Ermittlungsgruppe des LKA erhält auch Unterstützung von anderen Behörden. Fünf bis zehn Personen, maximal zwölf gehören dazu."Im Schnitt haben wir um die 15 Verfahren, die gleichzeitig laufen. Im Moment ist keine fallende Tendenz erkennbar", verdeutlicht Willms.
Viele Verfahren basieren auf Quellen aus osteuropäischen Archiven, die über verschiedene Stellen wie der Zentralstelle Ludwigsburg zu den Ermittlern nach NRW kommen. Sichtung und Auswertung gehört zu deren Arbeit. Wenn die Staatsanwälte dort einen Sachverhalt finden, leiten sie Verfahren ein und geben es an die zuständigen Staatsanwaltschaften ab.
In NRW beschäftigen sich zwei Stellen mit der Thematik: Zum einen die bei der Staatsanwaltschaft Dortmund eingerichtete Zentralstelle für die Verfolgung von nationalsozialistischen Massenverbrechen, zum anderen die Ermittlungsgruppe des LKA NRW. Die Ermittlungsgruppe besteht seit 2005.
Diese NS-Verfahren werden seit den 1960er Jahren durch das LKA geführt - zum Schluss aber nur noch von einzelnen Kollegen. Ab dem Jahr 2005 war aber erkennbar, dass es wieder mehr Verfahren und komplexere Sachverhalte gab. Dann hat man sich Gedanken gemacht, wie man von Polizeiseite damit umgehen kann und hat das Fachwissen gebündelt. Das macht es wesentlich einfacher.
„Es braucht eine gewisse Affinität, sich einzuarbeiten“
Willms ist wie Brendel schon seit rund 20 Jahren dabei: Er war früher in einer Dienststelle, wo die letzten Verfahren bearbeitet wurden. Ab und zu hat er auch ein Verfahren übernommen und sich nach und nach Wissen angeeignet. „Dass ich mich zu einem Spezialisten entwickelt habe, wäre übertrieben. Aber ich habe viele Kontakte und kenne viele Quellen.“
Learning by Doing ist die Devise. „Es braucht eine gewisse Affinität, sich einzuarbeiten“, so Willms. Man lerne sehr viele Leute kennen. „Außerdem haben wir einen Mitarbeiter, der Geschichte studiert hat, bevor er zur Polizei kam.“
Die Ermittler des LKA haben viele Kontakte zu ausländischen Stellen und arbeiten auch oft mit Archiven zusammen. „Wir ziehen immer wieder Historiker hinzu. Wir maßen uns nicht an, mehr zu wissen als eigentliche Fachleute“, verdeutlicht der Ermittler. Oberstaatsanwalt Brendel kann zudem Gutachter beauftragen: Er soll dann zu einem bestimmten Sachverhalt be- und entlastende Punkte herausarbeiten.
Eine Ende der Arbeit ist nicht absehbar. "Ich bin über 20 Jahre hier. Letztendlich waren es damals mehr Mitarbeiter und Verfahren. Aber die Intensität hat sich in keiner Weise reduziert, wie man an Anklagen in Detmold, Hagen, Duisburg, Bonn und an anderen Orten sieht", verdeutlicht Andreas Brendel. "Wir treffen noch immer lebende Beschuldigte an, die vernehmungs- und verhandlungsfähig sind."
Es gibt immer wieder neue Quellen und Hinweise zu Massenmorden
Doch woher kommen diese neuen Verfahren - 70 Jahre nach Kriegsende? Eine - wenn auch sehr schwierige - Quelle, sind die Akten der UN-Kriegsverbrecherkommission (UNWCC), die erst Ende der 1980er Jahre freigegeben wurden. Schon während und nach dem Krieg gab es Ermittlungen zu Kriegsverbrechen. "Doch die Akten waren sehr schmal und enthielten wenig Fakten.Außerdem hatten die Alliierten Probleme mit deutschen Schreibweisen – viele Namen sind falsch", erklärt Brendel. "Das war sehr aufwändig: Viele Recherchen, wenig Ergebnisse", fasst der Oberstaatsanwalt zusammen. Viele Ermittlungen seien wegen der falschen Schreibweisen in die falsche Richtung gelaufen. So gab es beispielsweise Ermittlungen zu potenziellen Verbrechen einer Gebirgsjägereinheit: Es gab bis zu 800 Vernehmungen - sie haben aber zu keinem Verfahren geführt.
Deutlich interessanter und vielversprechender sind da die Ost-Archive wie die der Stasi. Viele Verfahren sind daher wieder aufgenommen worden. "Das war Pionierarbeit bis Ende der 90er Jahre, als es gelungen ist, das Stasi-Archiv systematisch zu erschließen", so Brendel.
Aktuell bekommt er viele Verfahren aus Russland auf den Tisch. 1949/50 wurden viele Volksdeutsche und Gefangene wegen vermeintlicher Kriegsverbrechen verurteilt - zu Zwangsarbeit und auch zum Tode. Viele sind in den 1950er Jahren amnestiert worden. "Diese Fälle werden jetzt aufgerollt", erklärt der Oberstaatsanwalt.
Aus einem Hinweis können 30.000 Seiten starke Ermittlungsakten werden
"Wir müssen dafür die Ermittlungsverfahren aufbauen. Sie können auf kurzen Hinweisen aus Ludwigsburg, von Historikern oder aus der Bevölkerung basieren. Aus fünf können 20.000 oder 30.000 Seiten werden", macht Brendel deutlich. Priorität haben die Verfahren, wo es lebende Beschuldigte gibt.
Das überprüft derzeit das Team des Leitenden Oberstaatsanwalts Jens Rommel (44). Er ist der Chef der Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Nachdem im Verfahren gegen SS-Mann Oskar Gröning vom Bundesgerichtshof entschieden wurde, dass es für eine Mord-Beihilfeanklage ausreichend war, allgemeinen Dienst als Wachmann getan zu haben, wenn dort systematische Ermordungen geleistet wurden, rücken viele weitere mögliche Täter ins Visier - so auch im KZ Buchenwald.
Daher ermittelt Ludwigsburg, wer in den Konzentrationslagern überhaupt eingesetzt war und wer davon noch lebt. In den Blick nimmt das Team von Rommel - er ist nach eigenen Aussagen weder verwandt noch verschwägert mit dem ehemaligen Generalfeldmarschall Erwin Rommel - nun ehemalige KZ-Wachleute der Jahrgänge 1918 bis 1927. "Keiner der Beschuldigten ist unter 90", berichtet Jens Rommel. Wachleute, die 100 Jahre oder älter sind, werden nicht aktiv überprüft. "Nur bei konkreten Hinweisen gehen wir diesen dann nach."
Denn die Juristen wissen, dass solche Verfahren Jahre dauern können. Es ist ein Kampf gegen die Zeit: Es gibt immer weniger Zeugen. Und wenn sie im Ausland leben, müssen die Strafverfolger Diensthilfe-Ersuchen stellen. "Die Zusammenarbeit in NS-Verfahren ist hervorragend - mit Österreich, Frankreich, Italien und Polen klappt das sehr gut", berichtet der Dortmunder Oberstaatsanwalt Brendel Aber wenn der letzte Einheitsangehörige in Brasilien lebt, kann eine Ermittlung auch zehn Jahre dauern.
Hochbetagte Beschuldigte sind selten noch verhandlungsfähig
"Es ist sicherlich frustrierend, wenn wir viel Arbeit investieren und dann der Angeklagte nicht mehr verhandlungsfähig ist oder vor dem Hauptverfahren stirbt", räumt Brendel ein. "Wir haben als Strafverfolger die Aufgabe, Sachverhalte aufzuklären. Wenn ein Verfahren eingestellt werden muss, ist das ebenso."
Bei Reinhold H. ist es zumindest bis zum Abschluss der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Detmold gekommen. Ärzte hatten den 94-Jährigen für verhandlungsfähig eingestuft. Allein die Verhandlung in Detmold ist schon eine Seltenheit und sorgt daher auch international für Schlagzeilen: 6500 SS-Angehörige aus Auschwitz überlebten den Krieg.
Vor Gericht kam nur ein Bruchteil, verurteilt wurden noch weniger: In der DDR wurden 20 verurteilt, in der alten Bundesrepublik 29, berichtet der Spiegel. Das Detmolder Verfahren wurde bis zu einer Verurteilung geführt.
"Wir werden immer alles dransetzen, diese Taten auch mehr als 70 Jahre danach aufzuklären", sagt Brendel. "Ich habe so viel Gräuel und Schlimmes in Akten gelesen und von Zeugen gehört. Das war so unvorstellbar schlimm, dass man es auch in den schlimmsten Filmen nicht mehr darstellen kann." Weder rational noch emotional könnten diese Taten nachvollzogen werden. Doch von Emotionen dürften sich Ermittler auch nicht lenken lassen.
Ausdauersport als Ausgleich zur Arbeit an den belastenden Fällen
Sie müssen auch abschalten können. "Das war der Grund, warum ich mit dem Ausdauersport angefangen habe. Sonst hält man das auf Dauer psychisch nicht aus." Ähnlich geht es Willms: "Marathon habe ich vorher schon gelaufen. Ich mache noch immer Ausdauerläufe, wenn auch nicht mehr die ganz langen Strecken." Im Urlaub meistert er dann die Bergetappen der Tour de France. "Und wir sprechen viel darüber. Das hilft. Es ist nicht immer ganz leicht, manchmal trägt man länger daran."
Doch eine Verurteilung ist nicht alles: Ein ganz entscheidender Punkt seien die Gespräche mit Zeugen von Massenverbrechen vor Ort – in Frankreich, Polen oder Italien. "Doch bei den Ermittlungen vor Ort fühlt man als Deutscher eine gewisse Verantwortung. Wir werden aber durchweg positiv aufgenommen", sagt Willms.
Viele Opfer und Angehörige wollen oft nur ein Ohr für ihre Geschichte
"Herr Kommissar, auf Sie habe ich 60 Jahre gewartet, vielen Dank, dass Sie gekommen sind", begrüßte ihn ein italienischer Zeuge. "Das unterschätzt man in Deutschland." Auch in Frankreich sei das so. Eine mittlerweile im Sterben liegende Zeugin aus Oradour-sur-Glane hatte ihren Neffen gebeten, den deutschen Ermittlern ihren Dank auszusprechen.
"Ihr war es wichtig, dass ihr Schicksal jetzt in einer deutschen Akte steht und ihre Aussage nicht verloren geht", berichtet Willms sichtlich bewegt. Ihr wäre es dadurch möglich gewesen, ihren Frieden zu machen: "Sie würde die Deutschen nicht mehr hassen", berichtete der Neffe.
"Das ist zwar nicht unsere primäre Aufgabe, aber es gehört dazu. Mehr können wir in diesen Dingen oft nicht erreichen", betont der Ermittler. Denn das Alter und der Gesundheitszustand der Angeklagten wird immer schwieriger, auch die Beweislage wird immer schlechter.
"Das ist jedem klar. Aber daran werden wir nicht gemessen." Willms hat bei der Arbeit immer an ein Zitat von Efraim Zuroff vor Augen: "Gerechtigkeit ist nicht allein die Verhängung von Strafe, sondern die Verbreitung von Wahrheit", hat der Leiter des Simon-Wiesenthal-Instituts in Israel einmal gesagt. "Und Wahrheit haben wir viel verbreitet", beteuert der Kriminalhauptkommissar.
https://dortmund-ueberrascht-dich.de/
Ehemalige Angehörige der SS unter Mordverdacht
Veröffentlicht am 29.01.2016 | Lesedauer: 2 Minuten
Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für NS-Verbrechen in Dortmund ließ in dieser Woche die Wohnungen der Beschuldigten durchsuchen
Quelle: dpa
Die Ermittlungen dauerten Jahre, jetzt schlugen die Fahnder zu. Verdächtigt werden Ex-Mitglieder einer SS-Einheit. Sie sollen auch an einem Massaker in Frankreich beteiligt gewesen sein.
Drei ehemalige Angehörige der SS-Panzer-Division Hitlerjugend stehen unter Mordverdacht. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für NS-Verbrechen in Dortmund ließ in dieser Woche nach Angaben vom Freitag die Wohnungen der Beschuldigten in Sachsen und Niedersachsen durchsuchen. Die Männer sollen an einem Massaker an 86 Einwohnern der nordfranzösischen Kleinstadt Ascq beteiligt gewesen sein. Zuvor war am 1. April 1944 an der Bahnlinie in der Nähe des Ortes ein Anschlag auf den Truppentransporter mit der SS-Einheit verübt worden.
Die betagten Männer im Alter von etwa 90 Jahren – zwei Beschuldigte wohnen im Raum Dresden, einer im Raum Hannover – haben eingeräumt, der Einheit angehört zu haben. Sie stritten aber ab, an Tötungen beteiligt gewesen zu sein, erklärten die Ermittler am Freitag.
DIE PROZESSE GEGEN DIE HAUPTKRIEGSVERBRECHER
Instandsetzungsarbeiten am Berliner Kammergericht im Kleistpark nach Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesem Gebäude fand im Oktober 1945 die Vorverhandlung gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher statt.
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Instandsetzungsarbeiten am Berliner Kammergericht im Kleistpark nach Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesem Gebäude fand im Oktober 1945 die Vorverhandlung gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher statt.
Quelle: National Archives
Die Richter des Internationalen Militärgerichtshofs (IMT) bei der Eröffnungssitzung im Berliner Kammergericht: John J. Parker, Francis A. Biddle, Alexander F. Wolchkow, Iola T. Nikitschenko, Henri Donnedieu de Vabres, Robert Falco und Sir Geoffrea Lawrence (v. l.).
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Die Richter des Internationalen Militärgerichtshofs (IMT) bei der Eröffnungssitzung im Berliner Kammergericht: John J. Parker, Francis A. Biddle, Alexander F. Wolchkow, Iola T. Nikitschenko, Henri Donnedieu de Vabres, Robert Falco und Sir Geoffrea Lawrence (v. l.).
Quelle: National Archives
Ab dem 20. November 1945 fand der Prozess im Saal 600 des Nürnberger Justizgebäudes statt.
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Ab dem 20. November 1945 fand der Prozess im Saal 600 des Nürnberger Justizgebäudes statt.
Quelle: National Archives
Hermann Göring im Zeugenstand im Saal 600.
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Hermann Göring im Zeugenstand im Saal 600.
Quelle: Stadtarchiv Nürnberg
Nürnberger Prozess 1946 - Göring
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Den Angeklagten wurden alle Rechte gewährt: Bewacht von einem Militär-Polizisten, spricht Göring durch eine Gitteröffnung mit seinem Anwalt Stahmer. Das Foto des sowjetischen Fotografen Jewgeni Chaldej wurde – ebenso wie die folgenden – in dem 2008 erschienenen Bildband "Der bedeutende Augenblick" veröffentlicht.
Quelle: picture alliance / ZB/dpa-Zentralbild
Nürnberger Prozess 1946 - Göring,Rosenberg,Schirach,Dönitz
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Die Nazi-Kriegsverbrecher Hermann Göring (v. l.), Alfred Rosenberg, Baldur von Schirach und Karl Dönitz an einem Holztisch mit Blechgeschirr und Brotscheiben, aufgenommen 1946 während des Nürnberger Prozesses.
Quelle: picture alliance / ZB/dpa-Zentralbild
Nürnberger Prozess 1946 - Verbrechen
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Hauptangeklagte vor dem Internationalen Militärgerichtshof 1946 in Nürnberg (v. l.): Rudolf Hess, Joachim von Ribbentrop, Hermann Göring, Wilhelm Keitel.
Quelle: picture alliance / ZB/dpa-Zentralbild
Nuernberger-Prozess/Goering beim Fruehstueck
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Der Angeklagte Hermann Göring während des Frühstücks in seiner Zelle im Nürnberger Stadtgefängnis.
Quelle: picture-alliance / akg-images
Nürnberger Prozess 1946 - Hauptangeklagte
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Die Angeklagten vor dem Internationalen Militärgerichtshof: Erste Reihe unten (v. l.): Hermann Göring; Rudolf Hess, Joachim von Ribbentrop, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht. Zweite Reihe oben (v. l.): Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Franz von Papen, Arthur Seys-Inquart, Albert Speer, Konstantin von Neurath, Hans Fritsche. Das Foto wurde von dem sowjetischen Fotografen Jewgeni Chaldej aufgenommen.
Quelle: picture alliance / ZB/dpa-Zentralbild
Nuernberger-Prozess/Panzer v. Justizpalast
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Amerikanische Panzer sicherten den Nürnberger Justizpalast vor Anschlägen.
Quelle: picture-alliance / akg-images
Saal600 Memorium
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Noch heute wird in Saal 600 Recht gesprochen.
Quelle: Stadt Nürnberg/Presse und Inform/Stadt Nürnberg/Presseamt
Saal600 Memorium
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Fenster ermöglichen den Blick von der Ausstellung des Memoriums ...
Quelle: Presseamt Stadt Nürnberg
Memorium Nürnberger Prozesse
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... in den historischen Schwurgerichtssaal.
Quelle: dpa/DPA
Blick in das zum Memorium der Nürnberger Prozesse ausgebauten Dachgeschoss über Saal 600.
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Blick in das zum Memorium der Nürnberger Prozesse ausgebauten Dachgeschoss über Saal 600.
Quelle: Büro Müller-Rieger
Memorium Nuernberger Prozesse
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Im Zentrum der Ausstellung: ein Original des Urteils des Hauptkriegsverbrecherprozesses.
Quelle: dapd/DAPD
Nach dem Anschlag auf den Transport sollen Führer der Einheit, die von Deutschland aus unterwegs in die Normandie war, das Massaker an den Einwohnern angeordnet haben. Feldjäger sollen noch die Erschießung weiterer Bewohner verhindert haben. Die Rädelsführer kamen nach dem Krieg vor Gericht und wurden verurteilt.
Zudem suchten die Ermittler die Wohnungen zweier weiterer Männer auf, die umfangreiche Unterlagen über die SS-Einheit besitzen, aber nicht zu den Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren zählen.
Den Verdächtigen werden weitere Tötungen vorgeworfen
Das Massaker in Ascq, einer Stadt bei Lille, ist nicht der einzige Tatvorwurf. Es gehe auch um weitere Tötungen, unter anderem an einem US-amerikanischen Fallschirmspringer auf deutschem Boden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in Fällen zwischen April 1944 und dem Kriegsende im Mai 1945. „Ascq ist aber der gravierendste Fall“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Andreas Brendel.
Die Dortmunder Schwerpunktstaatsanwaltschaft hatte die Durchsuchungen angeordnet, weil sie bereits gegen frühere Angehörige der Einheit Hitlerjugend ermittelt hatte, ohne auf Beschuldigte in NRW zu stoßen. Ob sich aus den Fällen Anklagen ergeben, ist noch unklar.
Früherer SS-Mann legt Geständnis ab
Vor dem Lüneburger Landgericht hat der Prozess gegen einen früheren SS-Mann aus dem Vernichtungslager Auschwitz begonnen. Dem 93-jährigen Oskar G. wird Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vorgeworfen.
Quelle: N24
https://www.welt.de/regionales/
Suche nach den mutmaßlichen Mördern von rund 90 Zwangsarbeitern aus Jugoslawien wird eingestellt
Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen schrieb dem Förderverein Steinwache
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
Landesvereinigung NRW
03.08.2016
Die Suche nach dem Verbleib von 126 im April 1945 von den Nazibehörden in Rummenohl bei Hagen verhafteten und mit unbekannten Ziel von ihren Peinigern verschleppten montenegrinischen Zwangsarbeitern will die Staatsanwaltschaft Dortmund einstellen. Heimatforscher, Heimatverein und Stadtarchiv von Lüdenscheid hatten die Öffentlichkeit wiederholt in den Jahren 2000 und 2001 über den Fall der verschwundenen Jugoslawen informiert, die möglicherweise einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind.
Auch im Rahmen eines Projektes des Geschichts- und Heimatvereins Lüdenscheid, zur Dokumentation der Zwangsarbeit in Lüdenscheid, wurde an der Aufklärung dieses Vorganges gearbeitet. Der Dortmunder Förderverein Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee hat im vergangenen Jahr den Fall im Rahmen der Aktion „Last Chance“ (letzte Chance für die Aufklärung von Naziverbrechen) aufgegriffen und bei der zuständigen Dortmunder Staatsanwaltschaft Strafanzeige erstattet.. Er erhielt nun diese Absage. (Siehe auch http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1599_last_chance.htm)
Betr. Vorermittlungsverfahren wegen der eventuellen Tötung von 126 montenegrinischen Zwangsarbeitern nach dem 05. April 1945 Ihr Schreiben vom 28.05.2015
Wortlaut der Erklärung des Oberstaatsanwalts Andreas Brendel:
Ich habe aufgrund Ihrer Eingabe ein Vorermittlungsverfahren zur Überprüfung eingeleitet, ob die von Ihnen erwähnten 126 Montenegriner heute noch verfolgbaren Tötungshandlungen zum Opfer gefallen sind. Im Rahmen der Ermittlungen konnte dies jedoch nicht festgestellt werden.
Sie tragen bereits in Ihrer Anzeige vor, dass Sie die Tötung der Zwangsarbeiter lediglich vermuten. Die Auswertung von Unterlagen des Stadtarchivs in Lüdenscheid, aber auch die Anhörungen der Zeugen Sander, Saal und Begier (Stadtarchiv Lüdenscheid) erbrachten keine Hinweise auf eventuelle verfolgbare Tötungshandlungen. Vielmehr konnte durch eine Anfrage beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen und Interpol festgestellt werden, dass mindestens 38 der Montenegriner den Zweiten Weltkrieg überlebt haben und eine weitere Person bereits am 26.03.1945 in dem damaligen Konzentrationslager Buchenwald verstorben ist.
Schließlich weise ich auf die Ihnen bereits bekannte Aussage eines Otto Kern und die Einschätzung des Historikers M.A. Ralf Blank hin.
Da insgesamt keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein Tötungsverbrechen an Zwangsarbeitern vorliegen, habe ich von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen.
Davon ist im Übrigen auch schon - wie Ihnen bekannt ist - die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg im Jahre 2003 ausgegangen.
Mangels ausreichender Unterlagen dürfte es ohnehin problematisch sein, die Verantwortlichen einer eventuellen Tötung der Montenegriner zu ermitteln. Nur dann wären aber strafrechtliche Ermittlungen gerechtfertigt.
Brendel
Oberstaatsanwalt
Quelle: Brief der Staatsanwaltschaft Dortmund - Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen
Datum: 19.07.2016 - Aktenzeichen: 45 AR 13/15 - Staatsanwaltschaft Dortmund • Postfach 10 29 42 • 44029 Dortmund
Siehe auch http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44137-Dortmund~/Staatsanwalt-Andreas-Brendel-Dieser-Mann-ist-von-Beruf-Nazi-Jaeger;art930,2770244
Kommentar, der bei dem Förderverein einging:
Guten Tag an die Liste NS-Zwangsarbeit, ich denke NS-Verbrechen und Mord verjähren nicht? Das ist wieder so ein empörendes Urteil! Was soll die faule Ausrede, daß es problematisch sei, die Sache näher aufzuklären? Wenn man will, gelingt vieles. Aber, wenn man von vornherein sagt, es dürfte problematisch werden.... dann will man nicht! Meine Frage -kann man gar nichts tun, um den Opfern Ansehen zu verschaffen? Natürlich weiß ich, sie werden es nicht mehr erleben. Aber wieso dürfen immer wieder Täter ungeschoren davon kommen? Ich wünsche Uli Sander weiterhin Erfolg bei seiner Recherche!
Solidarische Grüße sendet I. L. R.
Siehe auch Ulrich Sander „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“ Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit. PapyRossa Verlag Köln 2015, 237 S. ISBN 978-3-89438582-8, 15,90 Euro)
https://nrw-archiv.vvn-bda.de/
Hatten SS-Mitglieder damals wirklich „keine Wahl“?
Das Urteil gegen den „Buchhalter von Auschwitz“ wird in den sozialen Medien intensiv diskutiert.
Hatte Oskar Gröning eine Wahl, der Arbeit im KZ zu entgehen – oder musste er Befehle ausführen?
Veröffentlicht am 15.07.2015 |
Von Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
Prozess in Lüneburg: Der frühere SS-Mann Oskar Gröning wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Der 94-Jährige habe sich bei 300.000 Verbrechen im Konzentrationslager Auschwitz mitschuldig gemacht.
Quelle: N24
Vier Jahre Haft: Zu dieser Strafe hat das Landgericht Lüneburg den 94-jährigen Oskar Gröning verurteilt, der von 1942 bis 1944 als SS-Mann im KZ und Vernichtungslager Auschwitz tätig war. In der mündlichen Urteilsbegründung warf der Vorsitzende Richter Franz Kompisch dem Angeklagten vor: „Es war Ihre Entscheidung, dorthin zu gehen, Sie wollten es!“
Diese Feststellung sorgt für Erregung in verschiedenen sozialen Netzwerken. Manche Nutzer schreiben: „Er hatte damals keine Wahl!“ Andere greifen eine gängige Behauptung auf, die jahrzehntelang in fast jedem NS-Prozess angeführt wurde: „Er hat einfach nur Befehle ausgeführt. Damals war das so, und wenn er das nicht gemacht hätte, hätte er die Kugel bekommen.“
Juristisch heißt dieses Argument „Befehlsnotstand“ und bedeutet, dass niemand bestraft werden könne für eine Tat, die er unter der Androhung schwerster Nachteile für die eigene Person begangen habe. Da Befehlsverweigerung zur Todesstrafe oder der Einweisung in ein KZ geführte hätte, könne den Handlangern des Massenmordes kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgeworfen werden.
Vor allem in Prozessen wegen NS-Verbrechen in den 50er- und frühen 60er-Jahren galt die Annahme eines Befehlsnotstandes als zuverlässiger Schutz vor einer Verurteilung. Nur Exzesstäter waren davon ausgenommen.
Keine Strafen für „Schwächlinge“ oder „Feiglinge“
Doch schon bald nach Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die alle Ermittlungen wegen NS-Verfahren koordinierte, wurde diese Annahme wissenschaftlich überprüft. Eindeutiges Ergebnis: Es gab damals und gibt bis heute keinen einzigen nachweisbaren Fall, in dem einem SS-Mann, der einen Mordbefehl verweigert hatte, selbst Gefahr für Leib und Leben drohte.
Im Gegenteil konnte durch zahlreiche Zeugenaussagen, aber auch durch Dokumente belegt werden, dass Befehlshaber von Mordeinheiten wie dem Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 wiederholt ihren Männer freistellten, sich an Mordaktionen nicht zu beteiligen. Wer sich so entschied, wurde nachweislich nicht bestraft.
Tatsächlich kam es vor, dass solche Männer als „Schwächlinge“ oder „Feiglinge“ geschmäht und aus der Kameradschaft ausgegrenzt wurden. Doch solche relativ milden Nachteile rechtfertigen die Annahme eines Befehlsnotstandes nicht.
Hier erzählen die Überlebenden von Auschwitz
Auschwitz-Birkenau war das größte NS-Vernichtungslager. Mindestens 1,1 Millionen Menschen wurden hier ermordet. 70 Jahre nach der Befreiung erzählen Überlebende von ihrem Schicksal.
Eine andere Kritik, die jetzt am Gröning-Urteil aufkommt, behauptet, man sei zur Waffen-SS eingezogen worden, habe sich also gar nicht dagegen wehren können. Auch dieses Argument ist zu großen Teilen falsch, jedenfalls mit Sicherheit im Fall Gröning.
Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein waren die Waffen-SS und ihre verschiedenen Vorstufen, die SS-Totenkopfverbände und andere Gliederungen, Eliteeinheiten, zu denen man sich als Freiwilliger bewarb.
Selbst 1944 hatte männliche Jugendliche noch die Alternative, zu einer Gliederung der Wehrmacht oder eben zur Waffen-SS zu gehen. Ausgerechnet der kürzlich verstorbene Literaturnobelpreisträger Günter Grass berichtete, wie Werber der Waffen-SS in Gymnasialklassen unterwegs waren.
Versetzungsgesuch als möglicher Ausweg
Tatsächlich regelmäßig in die Waffen-SS eingezogen wurden junge „Volksdeutsche“, etwa der Litauer Hans Lipschis, ebenfalls ein SS-Mann in Auschwitz. Doch auch sie hatten immer noch die Wahl, sich an die Front versetzen zu lassen, wenn ihre Einheiten zum KZ-Dienst eingeteilt wurden.
Solche Versetzungsgesuche sind dutzendfach dokumentiert – allerdings machen sie nur wenige Promille der insgesamt als Wachmannschaften in NS-Lagern eingesetzten Männer aus.
Ebenfalls kritisiert wird im Internet, dass Grönings Taten nicht längst verjährt sind. Tatsächlich können mit Ausnahme des Straftatbestandes des Mordes und der Beihilfe zum Mord alle anderen NS-Verbrechen seit 1960 nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden.
Auch Gröning konnte lange nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil die herrschende Meinung der Justiz für eine Verurteilung wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord konkrete Beteiligung an Einzeltaten verlangte.
Das änderte sich erst vor wenigen Jahren im Zuge des langjährigen Verfahrens gegen John Demjanjuk, einen ukrainischen Hilfswärter im Vernichtungslager Sobibor. Nach dieser neuen Rechtsauffassung gilt die Anwesenheit in einem Vernichtungslager als Teil der Wachmannschaft als Unterstützung des Massenmordes – also als hinreichend für den Vorwurf der Beihilfe zum Mord.
Nicht ganz falsch ist schließlich die gelegentlich geäußerte Ansicht, dass mit Demjanjuk oder jetzt Gröning kleine Lichter des SS-Apparates bestraft würden, weil man jahrzehntelang die eigentlich Verantwortlichen, die längst alle tot sind, nicht angemessen verfolgt habe. Nur: Rechtfertigen Fehler der Vergangenheit, dass man sie wiederholt?
https://www.welt.de/
Nebenklage: "Versagen bei der Verfolgung von NS-Verbrechen"
Im Auschwitz-Prozess von Lüneburg haben Nebenkläger-Anwälte die deutsche Justiz kritisiert und ein höheres Strafmaß gefordert. Der Strafrechtler Nestler sprach von einem jahrzehntelangen Versagen der Justiz.
08.07.2015
Im Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning vor dem Landgericht Lüneburg sagte der Strafrechtsprofessor Cornelius Nestler in seinem Plädoyer, was er seit Jahren beobachte, sei ein "Trauerspiel". Als Vertreter der Nebenklage erklärte Nestler, es handele sich um eine "Geschichte der Nicht-Verfolgung". Die Mandanten der Nebenklage hätten ihren Anwälten immer wieder die Frage gestellt, warum erst jetzt, 71 Jahre nach den ihm zur Last gelegten Taten, der Prozess gegen Gröning stattfinden konnte.
Nestler: Verweigerungshaltung der Justiz
Gröning hätte auch nach damals geltender Rechtslage schon in den 1970er Jahren angeklagt werden können, sagte Nestler. Die Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer seien aber von der anfangs zuständigen Frankfurter Staatsanwaltschaft mit teils "grotesken" juristischen Argumentationen eingestellt beziehungsweise später nicht wieder aufgenommen worden. Erst die Übernahme des Falls durch die Staatsanwaltschaft in Hannover 2014 habe es eine Wende gegeben, die zum aktuellen Prozess in Lüneburg geführt habe.
"Auschwitz war ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte", schloss Nestler sein Plädoyer. "Herr Gröning hat mitgemacht, und deswegen wird er wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt werden. Viel zu spät, aber nicht zu spät."
Nebenkläger-Vertreter: Strafmaßforderung zu milde
Nebenkläger-Anwalt Christoph Rückel nannte die von der Staatsanwaltschaft geforderten dreieinhalb Jahre Haft "nicht akzeptabel". Die Juristin Suzan Baymak-Winterseel forderte im Namen von zwei Nebenklägern eine Verurteilung wegen "Mordes in Mittäterschaft in 300.000 Fällen". Ein konkretes Strafmaß verlangte sie wie die anderen fünf am Mittwoch zu Wort gekommenen Nebenkläger-Vertreter aber nicht.
Der inzwischen 94-jährige Gröning ist der Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Juden angeklagt, die von Mai bis Juli 1944 aus Ungarn in das NS-Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort in die Gaskammern getrieben wurden. Gröning wird vorgeworfen, Spuren der Massentötung verwischt zu haben, indem er half, an der Bahnrampe in Auschwitz-Birkenau Gepäck wegzuschaffen.
Der Angeklagte räumte eine "moralische Mitschuld" am Holocaust ein. Durch seine Tätigkeit habe er "dazu beigetragen, dass das Lager Auschwitz funktionierte", hatte Gröning durch seine Anwältin erklären lassen. Eine direkte Beteiligung an den Morden streitet er ab.
Zahlreiche Auschwitz-Überlebende und ihre Nachfahren beteiligen sich als Nebenkläger an dem Prozess gegen Gröning in Lüneburg.
qu/kle (dpa, afp, epd)
Datum 08.07.2015
https://www.dw.com/de/
Werkstattfilm arbeitet Oldenburger NS-Prozess auf
Katrin Zempel-Bley — 20. August 2015, 16.22 Uhr — Zuletzt aktualisiert: 19. Dezember 2017, 12.32 Uhr
Oldenburg / zb – Vor 50 Jahren wurde vor dem Landgericht Oldenburg ein Strafprozess eröffnet, der in der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik aber auch international Aufmerksamkeit auf sich zog.
Mit dem ehemaligen Gebietskommissar Erich Kassner aus Cloppenburg stand erstmals ein Chef der örtlichen deutschen Zivilverwaltung der im Zweiten Weltkrieg besetzten Ostgebiete vor einem bundesdeutschen Gericht. Ihm und dem Mitangeklagten Polizeimeister Fritz Manthei aus Süddeutschland wurde die Beteiligung an der Ermordung von 38.000 Juden der ukrainischen Stadt Kowel vorgeworfen.
Das Team von Werkstattfilm Oldenburg unter der Leitung von Farschid Ali Zahedi befasste sich seit 2011 mit diesem in Vergessenheit geratenen Verbrechen, der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung in Kowel sowie mit dem Prozess in Oldenburg. Rund 30 Prozessakten haben die Mitarbeiter durchgearbeitet, suchten Zeugen auf, darunter den damaligen Richter und Berichterstatter des Gerichts, Dr. Rolf Rickhey. Ende Oktober sollen ein Dokumentarfilm und eine Ausstellung über den Prozess gezeigt werden. „Beide Themen wurden bis heute weder publizistisch noch wissenschaftlich behandelt“, berichtet Ali Zahedi. Der Dokumentarfilm basiert auf der kompletten Aufarbeitung der Prozessakten sowie den Dreharbeiten an Originalschauplätzen in der heutigen Ukraine.
„Kowel in der heutigen Westukraine war vor dem Zweiten Weltkrieg eine Stadt mit einer jüdischen Gemeinde von enormer kultureller Bedeutung und Vielfalt. Während der von Juni 1941 bis Anfang 1944 dauernden deutschen Besatzungszeit wurde die jüdische Bevölkerung fast vollständig vernichtet“, berichtet Zahedi. Erich Kassner, als Gebietskommissar Chef der örtlichen deutschen Zivilverwaltung, und der Polizeimeister Fritz Manthei wird vorgeworfen, daran maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. „Kassner“, so erinnert sich Rickhey, „hatte beruflich nichts zustande gebracht und trat bereits 1932 in die NSDAP ein, wo er Karriere machte.“
Über ein Jahr dauerte der Prozess, der an Rolf Rickhey nicht spurlos vorübergegangen ist, wie er heute während eines Pressegesprächs erzählte. Das Gericht mit sechs Geschworenen sah sich zwei Männern gegenüber, „die 20 Jahre nach Kriegsende immer noch die Fahne des Nationalsozialismus hochhielten und Juden als Untermenschen bezeichneten und erfuhr von Zeugen von unvorstellbaren Gräueltaten“, wie der heute 91-Jährige berichtete.
„Von zentraler Bedeutung für unsere Arbeit sind Zeitzeugeninterviews mit Überlebenden der Ereignisse in Kowel und ihren Angehörigen in Israel. Sie traten zum Teil bereits im Prozess als Zeugen auf und verdeutlichen durch ihre sehr persönlichen Aussagen die Geschehnisse in Kowel und die Bedeutung des Prozesses in Oldenburg. Vervollständigt werden diese Eindrücke durch ein Interview mit Rolf Rickhey“, berichtet Ali Zahedi. So rückt der Film drei jüdische Frauen, die von ihren persönlichen Erlebnissen berichten, und einen Wehrmachtsarzt aus Lingen, der in Kowel durch seine außergewöhnliche Zivilcourage auffiel, in den Mittelpunkt. Von ihm stammt der Satz „Wir dachten, die Sonne geht nicht mehr auf“. Genauso lautet der Filmtitel.
Beide Angeklagten wurden 1966 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Mantheis lebenslängliche Haftstrafe wurde 1970 vom niedersächsischen Ministerpräsident Alfred Kubel (SPD) in eine 25-jährige Haftstrafe umgewandelt, wobei sie unter Bewilligung einer fünfjährigen Bewährungsstrafe ausgesetzt wurde. Kassners Begnadigungsverfahren wurde in mehreren Schritten zwischen 1978 und 1986 unter Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) gemildert und schließlich erlassen. Kassner wurde 1981 aus der Haft entlassen, was Rolf Rickhey nicht nachvollziehen kann.
Weitere Informationen unter www.werkstattfilm.de.
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WDR Fernsehen: "Das letzte Kapitel"
Zweiteiliger Hier und Heute-Dokumentarfilm über die Ermittlungen gegen die letzten noch lebenden NS-Verbrecher
18.07.2014 – 10:19
WDR Westdeutscher Rundfunk
Folge 1: Samstag, 19.07.14, 18:20 Uhr
Düsseldorf (ots)
"... die können so alt werden wie sie wollen, die müssen jeden Tag damit rechnen, dass wir irgendwann vor der Türe stehen und klingeln und denen sagen, dass wir mit ihnen was zu besprechen hätten", so Stefan Willms, Leitender Ermittler für NS-Verbrechen vom LKA Nordrhein-Westfalen.
Seit etwa einem Jahr sind die Ermittlungen gegen NS-Verbrecher in Deutschland wieder in den Schlagzeilen. Gegen 50 ehemalige Wächter des KZ Auschwitz wurden 2013 überraschend neue Ermittlungen eingeleitet, gegen rund 30 von ihnen wird derzeit ermittelt, drei davon stammen aus NRW. Gleichzeitig rückt auch ein in Deutschland bisher kaum aufgearbeitetes Verbrechen in die Aufmerksamkeit: Das Massaker in Oradour-sur-Glane. Hier hatte die SS 642 Männer, Frauen und Kinder auf bestialische Art und Weise ermordet. Gegen einen Mann aus Köln wurde wegen mehrfachen Mordes und Beihilfe zum Mord Anklage erhoben.
Die Ermittlungen der Behörden sind möglicherweise die letzten ihrer Art, denn schon in wenigen Jahren wird keiner der mutmaßlichen Täter mehr leben. Doch warum erst jetzt? Und welchen Sinn machen solche Verfahren gegen mögliche Täter, die über 90 Jahre alt sind? Wie kann man jetzt, fast siebzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges überhaupt juristisch eindeutig Schuld oder Unschuld nachweisen?
In Ludwigsburg arbeitet seit 1958 die sogenannte Zentrale Stelle an der Aufklärung von NS-Verbrechen. Daneben ermitteln Polizeibehörden wie das LKA Düsseldorf und die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft in Dortmund gezielt mögliche NS-Täter. Die Beweislage ist schwierig und Ermittlungsarbeit heißt fast immer langwierige Arbeit in weltweiten Archiven.
Der zweiteilige Dokumentarfilm begleitet die mühevolle Arbeit der Ermittler in Deutschland und im Ausland und versucht eine Bestandsaufnahme zu diesem schwierigen Thema. Denn insbesondere für die Opfer sind die Verbrechen von damals noch immer aktuell. Welchen Sinn sehen sie in diesem letzten juristischen Akt?
Im ersten Teil konzentrieren sich die Autoren dabei auf die Arbeit der "Zentralen Stelle" an der "Auschwitz-Liste". Im zweiten Teil stehen die Ermittler aus Düsseldorf und Dortmund im Mittelpunkt, das Gerichtsverfahren gegen Siert B. in Hagen und die Aufklärungsarbeit zu dem Massaker in Oradour-sur-Glane.
"Das letzte Kapitel" Ein zweiteiliger Hier und Heute-Dokumentarfilm von Astrid Schult und Gunther Merz
Folge 1: WDR Fernsehen, Samstag, 19. Juli 2014, 18:20 - 18:50 Uhr Folge 2: WDR Fernsehen, Samstag, 26. Juli 2014, 18:20 - 18:50 Uhr
Folge 1 können Sie sich schon jetzt online anschauen: auf www.hierundheute.de. Auf http://reportage.wdr.de/das-letzte-kapitel finden Sie unsere Multimediareportage.
Fotos finden Sie unter www.ard-foto.de
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WAZ: Auch Nazi-Morde verjähren nicht - Kommentar von Dietmar Seher
08.01.2014 – 19:06
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Essen (ots)
Siert B., 92, darf nach Hause. Die Richterin hat den Prozess gegen den früheren SS-Mann, der des Mordes an einem Widerstandskämpfer 1944 angeklagt war, platzen lassen. Der Angeklagte habe geschossen. Aber ob die Tat Mordmerkmale wie Heimtücke habe, das sei nach so langer Zeit nicht mehr sicher zu sagen. Zeugen lebten ja nicht mehr.
Es ist ein widersprüchliches Urteil und ein fragwürdiges Argument. Soll die Justiz aufhören, NS-Verbrechen zu verfolgen, weil Ankläger aufgrund des Zeitabstands Schuld nur mit Indizien nachweisen können? Das darf sie nicht. Juristisch: Weil Mord nicht verjährt. Moralisch: Weil deutsche Richter auch 2014 die Pflicht haben, diese Taten zu ahnden.
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt jetzt einen 88-Jährigen, am Massaker von Oradour mitgewirkt zu haben. Es wäre tragisch, wenn am Ende auch hier der Schlusssatz steht: Es ist zu lange her.
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Die schreckliche deutsche Normalität
Am Beispiel der Kriegsverbrecher Priebke und Kappler
Aus: "Graswurzelrevolution", Nr. 385, Januar 2014
Priebke3Im von deutschen Truppen besetzten Italien ermordeten am 24. März 1944 SS-Soldaten 335 Menschen in der Nähe von Rom. Dies geschah als "Vergeltung" für einen Anschlag der antifaschistischen Widerstandsbewegung gegen die Wehrmacht, bei dem 33 deutsche Soldaten ums Leben kamen.
Der SS-Mann Erich Priebke war zusammen mit seinem Vorgesetzten Herbert Kappler an diesem Massaker in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom direkt beteiligt, hakte die Liste der aus einem Gefängnis ausgesuchten Opfer ab und erschoss selbst zwei Gefangene. Durch einen "Zählfehler" wurden fünf Menschen "zu viel" ermordet, als die von Hitler geforderten 330. Unter den Opfern befanden sich 75 Personen jüdischen Glaubens.
Dieses Massaker erwähnten die deutschen Medien durchaus mehr oder weniger ausführlich, als Priebke am 13. Oktober 2013 in Italien starb. Es dominierte jedoch in der anschließenden öffentlichen Diskussion die Frage: Wohin mit der Leiche, damit es keinen Wallfahrtsort für Neofaschisten gibt?
Über die systematisch verhinderte Aufarbeitung des Verbrechens während der letzten Jahrzehnte durch Justiz, Behörden und Politik wurde wenig gesagt. Die Kumpanei von alten Nazi-Kameraden und BürokratInnen in diesen Strukturen war kein Thema mehr. Jetzt endlich konnte ein Schlussstrich unter die "unselige Vergangenheit" gezogen werden. - Es hat ja lange genug gedauert, denn Priebke wurde 100 Jahre alt und machte immer wieder durch zusätzliche Skandale auf sich aufmerksam. Er störte seit 1945 ganze 68 Jahre lang die Ruhe, die viele so gerne gehabt hätten.
Erinnern wir uns
Dass Priebke von der Katholischen Kirche zeitweilig in Südtirol versteckt wurde und dann mit vom Vatikan ausgestatteten Papieren 1948 nach Argentinien fliehen konnte, verwundert nicht wirklich. Diese "Rattenlinie" in Richtung Lateinamerika ist inzwischen hinlänglich bekannt. In Argentinien konnten sich Adolf Eichmann, Josef Mengele und zahlreiche andere Nazi-Größen verstecken. Zusammen mit geflüchteten (Nuklear-) Wissenschaftlern und anderen Fachleuten machten sie sich oft im diktatorischen argentinischen Regime nützlich.
Die Jahre in Argentinien
Aus: "Freitag" vom 1. 7. 1994Priebke baute sich im Kurort (und Nuklearforschungszentrum) Bariloche, 1800 Kilometer von Buenos Aires entfernt, nach 1948 eine bieder-bürgerliche Existenz als Delikatessenhändler, Metzger und Wurstfabrikant auf und arbeitete sich innerhalb der deutschen Exilgemeinde zu einem geachteten Repräsentanten hoch. Er versteckte sich nicht.
Bald wurde er zum Vorsitzenden des Deutsch-Argentinischen Schul- und Kulturvereins gewählt (1). Er stand mit vollem Namen im Telefonbuch und schrieb sogar jährliche Rechenschaftsberichte des Vereins im nazifeindlich eingestellten Argentinischen Tageblatt.
Titelseite von "Konkret" 1996Die deutsche Schule und Begegnungsstätte in Bariloche wurde von der Bundesregierung subventioniert. Aus seiner rechtsradikalen Gesinnung machte Priebke in seiner Funktion als Vorsitzender keinen Hehl. Er sorgte dafür, dass missliebige DirektorInnen und LehrerInnen, die die faschistische Vergangenheit kritisch aufarbeiten wollten, aus dieser Schule hinausgedrängt wurden. Bücher von Heinrich Böll hatten keine Chance, in die Schulbibliothek aufgenommen zu werden. Böll wurde von ihm und seinem Umfeld als "kommunistischer Schmierfink" denunziert (2).
Die Vergangenheit von Priebke war in Bariloche bestens bekannt. "'Ich hol'noch schnell Schinken beim Nazi', pflegten die Hausfrauen hier früher ihren Weg zur Metzgerei anzukündigen" (3).
Als honoriger Bürger arbeitete er mit den deutschen Behörden in Argentinien Hand in Hand zusammen. "In der deutschen Botschaft in Buenos Aires war er seit über 40 Jahren bekannt, anstandslos wurde sein Paß erneuert, und bei manchen Veranstaltungen vertrat der alte Herr auch schon mal den Konsul. Unser Mann in Bariloche" (4).
Mit dem deutschen Pass machte Priebke dann Urlaub - in Italien, seiner alten "Wirkungsstätte" (5)! Er traf sich dort auch mit anderen ehemaligen SS-Angehörigen (6). Als ob nichts gewesen wäre.
BRD-Behörden sabotierten Strafverfolgung
Aus: "Landtag intern", 10. 9. 1996In der BRD wurde nach 1945 eine besondere Behörde geschaffen, um NS-Kriegsverbrechen zu ahnden: Die "Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" in Dortmund. Diese "bearbeitete" den Fall Priebke in den Jahren 1963 bis 1971 allerdings auf ihre ganz eigene Weise.
Die ebenfalls in Dortmund vorliegenden italienischen Justizdokumente, die Priebkes Vorgesetzten Herbert Kappler des Mordes schwer belasteten, wurden nicht übersetzt und verschwanden in der Ablage.
Sie hätten auch bei Priebke den Vorwurf des Mordes gerechtfertigt. Priebkes Tat wurde von der Zentralstelle 1971 lediglich als Totschlag gewertet und damit als verjährt angesehen. Im Amtsdeutsch hieß dies: "nicht auszuschließende Verfolgungsverjährung" (7).
Erst 1996 kam ans Licht, dass viele der zur Verfolgung von NS-Verbrechen angesetzten Staatsanwälte in NRW früher selbst der NSDAP oder den ihr angeschlossenen Organisationen angehörten. Der im Fall Priebke von 1964 bis 1973 zuständige Generalstaatsanwalt war vor 1945 selbst Mitglied der NSDAP, der SA, des NS-Studentenbundes und des NSRB (8).
Die Zentrale der Landesjustizverwaltung in Ludwigsburg zählte bundesweit 88.274 eingestellte Verfahren gegen NaziverbrecherInnen und nur 6.482 abgeschlossene Fälle (9). In einem Bericht über die Zentralstelle in Dortmund verkaufte 2007 die Historikerin Edith Raim wie zum Hohn diese Vorgänge auch noch als "Erfolgsgeschichte": "Nie zuvor hat sich eine Nation so lange mit solchen Verbrechen auseinandergesetzt" (10). Und der Dortmunder Nazi-Chefankläger Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß sekundierte wörtlich: "Man hofft auf einen Zufallstreffer"!
Nach der Einstellung des Verfahrens 1971 in Dortmund nutzte Priebke eifrig die Gelegenheit, problemlos mehrmals in der BRD Urlaub zu machen. - In Italien hingegen erging es seinem ehemaligen Vorgesetzten Herbert Kappler nicht so gut. Dieser wurde 1948 zu lebenslänglicher Haft verurteilt, die er in der Festung Gaeta verbüßte.
Kapplers Sozialdemokratische Fürsprecher
"Lateinamerika Nachrichten", Nr. 252/253, 1995In den folgenden Jahrzehnten konnte Kappler immerhin der Fürsprache und Fürsorge von prominenten SozialdemokratInnen sicher sein. Bundespräsident Heinemann und die Kanzler Brandt und Schmidt setzten sich in Gnadengesuchen bei der italienischen Regierung für ihn ein.
Als er 1977 an Krebs erkrankte, wurde Kappler in das römische Militärkrankenhaus Celio verlegt und von Carabinieris bewacht. Seine Ehefrau, die er 1972 im Gefängnis geheiratet hatte und die sich unermüdlich für seine Freilassung einsetzte, besuchte ihn "zwei Dutzend" mal per Flugreise. Diese Flüge wurden aus Mitteln beglichen, die "dem Deutschen Roten Kreuz aus dem Haushalt des Bundesinnenministeriums zur Verfügung gestellt worden sind" bekundete das DRK (11). Dies geschah unter einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung.
Frau Kappler war selbst Mitglied der SPD und arbeitete mit dem SPD-MDB Adolf Scheu zusammen. Dieser war Mitglied eines interfraktionellen Ausschusses des Bundestags, der sich für die Freilassung von deutschen KriegsverbrecherInnen einsetzte. Als der kranke Herbert Kappler unter dubiosen und bis heute letztlich ungeklärten Umständen mit Hilfe seiner Frau aus dem Krankenhaus in die Bundesrepublik Deutschland flüchten konnte, war Scheu wenige Tage vorher in Italien.
In Zeiten der RAF-Terrorismushysterie hätte ein Schwerkranker ohne maßgebliche amtliche Unterstützung nicht unbehelligt und unerkannt die lange Reise über zwei Grenzen hinweg schaffen können. Ein Sturm der Entrüstung brach in weiten Teilen der Bevölkerung Italiens los, denn das antifaschistische Erbe der Resistenza war zu dieser Zeit noch recht lebendig. "Dies führte damals kurzfristig zu einer Verstimmung in den diplomatischen Beziehungen" (12) zwischen Italien und der BRD, schrieb Henning Klüver in der Süddeutschen Zeitung.
Kappler konnte in Deutschland bleiben und wurde nicht wieder an Italien ausgeliefert. Er starb einige Monate später am 9. 2. 1978 in Soltau.
Weit weg von diesen Turbulenzen feierte Priebke in Bariloche mit seinen GesinnungsgenossInnen weiterhin an den entsprechenden Jahrestagen Hitlers Geburtstag oder organisierte 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer eine "Freiheitsparty".
Priebke wieder in Italien
TAZ vom 8. 8. 1996Seine eigene Bewegungsfreiheit wurde 1994 zeitweilig eingeschränkt, nachdem ein bekannter US-Fernsehmoderator ihn in Bariloche aufstöberte und seine Vergangenheit medienwirksam aufdeckte.
Priebke, inzwischen unter Hausarrest, zeigte in seinen Interviews mit großen Zeitungen keinerlei Reue und betonte immer wieder, dass er sich belästigt fühlte.
1995 wurde er nach Italien ausgeliefert und 1996 von einem Militärgericht (!), das mildernde Umstände geltend machte und das Verbrechen als verjährt einordnete, freigesprochen. Im früheren jüdischen Ghetto in Rom kam es zu erregten Aufläufen und Wutausbrüchen, viele Menschen weinten auch (13).
Ein paar Tage später fand in Rom eine Demonstration gegen dieses Skandalurteil mit über 20.000 TeilnehmerInnen statt. Die gesamte Politprominenz vom Ministerpräsidenten bis hin zu den Rechten war dort anwesend (14).
Drei Monate später wurde der Freispruch vom Kassationsgerichtshof aufgehoben und Priebke bekam nach mehreren weiteren juristischen Verfahren letztendlich 1998 Lebenslänglich. Bemerkenswert ist, dass während dieser Prozessphase ausgerechnet die BRD, die 1971 den Fall Priebke zu den Akten legte, nun ein Auslieferungsbegehren für Priebke aussprach (15).
Priebke ein "Ersatzschurke"?
Aus: "Buchdienst Nation Europa", Nr. 45, 1996/97Auch in Italien wollte Priebke nicht zugestehen, welche Schuld er durch seine Beteiligung an dem Massaker auf sich geladen hatte und heizte die Atmosphäre durch ein Interview mit der Tageszeitung "IL Messaggero" 1997 weiter an: "Statt einem alten Soldaten dafür zu danken, daß er im Krieg seine Pflicht getan hat, haben sie mir den Paß weggenommen und mir einen Haftbefehl geschickt" (16).
Obendrein wurde auch in einigen BRD-Medien der Eindruck erweckt, dass das neue angeblich "zu harte" Lebenslänglich-Urteil ein Racheakt italienischer Behörden für das von der BRD begünstigte Entkommen von Kappler aus dem italienischen Militärhospital zwanzig Jahre zuvor gewesen sei. Priebke sei als "Ersatz-Schurke" für den entkommenen Kappler von italienischen Behörden zu sehr in die Mangel genommen worden. Genau diese Sichtweise konnte der ehemalige Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Rom, Carlos Widmann, in seinem siebenseitigen Artikel "Justizfarce um einen Ersatzschurken" in "Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte" ausbreiten. Diese Zeitschrift ist übrigens seit ihrer Übernahme durch die Friedrich-Ebert-Stiftung das Theorieorgan im Umfeld der SPD!
Nach seiner Verurteilung wurde Priebkes Haft in einen komfortablen Hausarrest mit zeitweise täglichem Freigang umgewandelt. Er konnte bei seinem Anwalt arbeiten, einen kritischen Filmproduzenten (17) und die Tochter eines seiner Opfer verklagen (18), zum Einkaufsbummel in die römische Innenstadt fahren (19) und nebenbei Urlaub am Lago Maggiore machen (20).
Teile der NPD brachten ihn 2003 als möglichen Kandidaten für das Amt des deutschen Bundespräsidenten ins Gespräch (21). Seit vielen Jahren wird Priebke von der Rechten als unbeugsamer Held und Patriot verehrt. Zu seinem 99. Geburtstag veranstalteten sie in seinem Geburtsort Hennigsdorf (Brandenburg) einen nächtlichen Fackelaufmarsch mit Pappmasken mit dem Gesicht Priebkes (22).
Ein Jahr später starb Priebke im Alter von hundert Jahren und wurde an einem unbekannten Ort begraben. Die schreckliche deutsche Normalität setzt sich ab jetzt ohne ihn fort.
Anmerkungen
Aus: TAZ vom 3./4. 8. 1996(1) Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 12, 1997
(2) Neues Deutschland, 9.11.2006
(3) "Freitag", Nr. 27, 1.7.1994
(4) Siehe 1
(5) Westfälischer Anzeiger, 2. 8. 1996
(6) FAZ, 4. 9. 1995
(7) Landtag intern (NRW), 10.9.1996
(8) Neues Deutschland, 24.8.1996
(9) Junge Welt 25.5.1999
(10) Westfälischer Anzeiger, 27.6.2007
(11) Konkret, Nr. 10, 1977
(12) Süddeutsche Zeitung, 30.11.1995
(13) TAZ, 3.8.1996
(14) TAZ, 7.8.1996
(15) Westfälischer Anzeiger, 3.8.1996
(16) Die Zeit, 30.6.1997
(17) TAZ, 18.10.2003
(18) TAZ, 1.6.2001
(19) Neues Deutschland, 7.10.2010
(20) Neues Deutschland, 13.8.2005
(21) Die Zeit, 7.6.2010
(22) Neues Deutschland, 31.7.2012
Zweite Anmerkung:
Zufällig habe ich Frau Kappler in den 70er Jahren persönlich getroffen. Siehe "14 Szenen über Gärtner und Mörder" in "Ökolinx" Nr. 14, 1994:
https://www.machtvonunten.de/
neues deutschland: Historiker Gentile bedauert späte Bereitschaft, NS-Verbrechen aufzuarbeiten
11.08.2013 – 16:09
nd.DerTag / nd.DieWoche
Berlin (ots)
Nie war die Bereitschaft in der deutschen Nachkriegsgesellschaft höher als heute, NS-Verbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg zu verfolgen.
Weitere Urteile wie im Fall Josef Scheungraber, der wegen der Ermordung von Zivilisten im italienischen Falzano di Cortona im Juni 1944 als Wehrmachtssoldat in München verurteilt worden ist, sind aber kaum zu erwarten, meint der Historiker Carlo Gentile. " Auch wenn die Gesellschaft jetzt viel eher bereit ist, diese Verbrechen zu verfolgen und vor Gericht zu bringen, geschieht dies mit einem juristischen Instrumentarium, das keine den Dimensionen und der Natur der NS-Verbrechen angemessene rechtliche Grundlage bildet. Wir kommen leider zu spät und mit stumpfen Waffen", so Gentile im Interview mit der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "neues deutschland (Montagausgabe).
Der an der Universität zu Köln tätige Geschichtswissenschaftler hat bei einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren in Italien und Deutschland als Sachverständiger mitgewirkt. Er warnt davor, die Bedeutung der NS-Kriegsverbrechen im heutigen Italien zu unterschätzen. "Zehntausend Zivilisten wurden zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1945 von deutschen Soldaten ermordet", so Gentile. Dazu komme ein weiterer Aspekt: "Die psychologischen Ausmaße solcher Massenverbrechen sind enorm. Wenn die Eltern oder andere enge Angehörige getötet worden sind, ist das für die Überlebenden eine existenzielle Frage."
Als Experte für den Partisanenkampf und NS-Verbrechen arbeitete Gentile auch in der deutsch-italienischen Historikerkommission mit. Sie empfahl den Regierungen von Deutschland und Italien in ihrem Abschlussbericht u.a. die Einrichtung einer Gedenkstätte für die italienischen Militärinternierten in Berlin Niederschöneweide. "Das ist erinnerungspolitisch sehr wichtig und es ist von Bedeutung, dass dies in Schöneweide geschieht, wo noch Originalgebäude eines Zwangsarbeiterlagers existieren", ist der Historiker überzeugt. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes, die "nd" vorliegen, soll ab 2014 eine Dauerausstellung als Teil der Gedenkstätte zur NS-Zwangsarbeit in Berlin Niederschöneweide und als Ort des Gedenkens eingerichtet sein.
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Mutmaßlicher Nazi-Kriegsverbrecher Csatáry gestorben
Der 98-jährige László Csatáry war in Ungarn wegen Beihilfe zur Tötung Tausender Juden im Zweiten Weltkrieg angeklagt. 2012 wurde er in Budapest festgenommen und stand seither unter Hausarrest.
Datum 12.08.2013
Autorin/Autor Keno Verseck / das
In seinem Heimatland sollte László Csatáry der Prozess gemacht werden, doch der 98-jährige mutmaßliche Kriegsverbrecher ist am Samstag (10.08.2013) in einem Krankenhaus in Budapest gestorben. Er soll 1944 als Polizeichef der Stadt Kaschau, des heutigen Kosice in der Ostslowakei, für den Abtransport von 15.700 Juden aus dem örtlichen Sammellager nach Auschwitz verantwortlich gewesen sein. Csatáry war dafür bereits 1948 in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Er war nach dem Krieg nach Kanada geflüchtet und hatte dort lange unbehelligt gelebt. Mitte der 1990er Jahre entzogen ihm die kanadischen Behörden die Staatsbürgerschaft, ermittelten gegen ihn wegen Kriegsverbrechen und strengten ein Ausweisungsverfahren an. 1997, noch vor der offiziellen Ausweisung, zog Csatáry nach Budapest, wo er bis zu seiner Verhaftung im Juli 2012 ebenfalls unbehelligt lebte.
Peinlich sei die Geschichte seiner Verhaftung gewesen, schrieb der Publizist Miklós Gábor 2012 in der linksliberalen Budapester Tageszeitung "Népszabadság": Da kämen Journalisten eines britischen Boulevardblattes in die ungarische Hauptstadt, fotografierten einen damals 97-jährigen Greis an seiner Wohnungstür in Unterhosen und präsentierten ihn als abgetauchten hochrangigen Nazi-Kriegsverbrecher. Ob Ungarn auch noch berühmt werde als Land, das Mörder verstecke, fragte sich Gábor besorgt. Immerhin habe der Gesuchte doch jahrzehntelang unbehelligt in Kanada leben können.
Falsche Darstellung Csatárys?
Der Publizist Miklós Gábor war nicht der Einzige, der im Fall László Csatáry Zweifel äußerte. Auch allgemein war die ungarische Öffentlichkeit durchaus geteilter Meinung über die Art und Weise, wie der mutmaßliche Kriegsverbrecher entdeckt und dargestellt wurde: Er war am 15. Juli 2012 im britischen Boulevardblatt "Sun" als der "meistgesuchte Nazi-Kriegsverbrecher der Welt" präsentiert worden - Reporter hatten ihn zuvor in seiner Budapester Wohnung aufgespürt.
Der Historiker László Karsai, selbst Nachfahre von Holocaust-Überlebenden und Experte für die Geschichte des Holocaust, sagte in ungarischen Medien, im Zweiten Weltkrieg hätten etwa 200.000 ungarische Soldaten, Gendarmen und Polizisten ähnliche Taten begangen wie Csatáry, also an den Deportationen der Juden mitgewirkt oder an Verbrechen gegen sie teilgenommen. Den alten Mann als hochrangigen Kriegsverbrecher darzustellen, sei falsch und irreführend.
Porträt von Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum (Foto: EPA)
Efraim Zuroff vom Simon-Wiesenthal-Zentrum
Untätige ungarische Behörden?
Schon längere Zeit vor der Verhaftung war Csatárys Name auf der Liste der meistgesuchten Kriegsverbrecher des Simon-Wiesenthal-Zentrums. Der Direktor des in Jerusalem beheimateten Zentrums, Efraim Zuroff, hatte ungarische Behörden offenbar schon mehrmals über Csatáry informiert, zuletzt im April 2012, also mehrere Monate vor der Verhaftung. Zuroff beschuldigte die ungarischen Behörden, im Fall Csatáry lange Zeit untätig gewesen zu sein.
Der für den Fall verantwortliche Budapester Staatsanwalt Tibor Ibolya wies die Vorwürfe vor der Presse zurück: Die Ermittlungen seien dadurch erschwert worden, dass es um Verbrechen gehe, die fast siebzig Jahre zurücklägen und die an einem Ort außerhalb des heutigen Ungarn stattgefunden hätten. Zudem müsse man Zeugen in Israel suchen. Außerdem habe Csatáry lange Zeit in Kanada gelebt.
Schon früher ähnliche Fälle
Ein ähnlich gelagerter Fall endete 2011 zunächst mit einem Freispruch: Der ehemalige Gendarmerie-Offizier Sándor Képíró war 2006 in Budapest aufgespürt worden. Die Behörden warfen ihm Beteiligung an dem Massaker von Novi Sad im Januar 1944 vor, im Mai 2011 begann der Prozess. Der Richter sprach Képíró jedoch in erster Instanz frei. Zwar legte die ungarische Staatsanwaltschaft Berufung ein, doch Képíró starb im September 2011 - vor Prozessende.
Schwieriger Umgang mit Antisemitismus in Ungarn
Mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher Sandor Képiró beim ersten Prozess mit einem Schild in der Hand auf Ungarisch: Mrder eines 97 Jahre alten Mannes! (Quelle: AP Photo/Bela Szandelszky)
Mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher Képiró beim ersten Prozess
Jenseits langwieriger juristischer Prozeduren tut sich ein großer Teil der ungarischen Gesellschaft schwer mit der Aufarbeitung der Verbrechen gegen die ungarischen Juden im Zweiten Weltkrieg wie auch mit dem Antisemitismus in Ungarns Geschichte der Zwischenkriegszeit. Miklós Horthy, Ungarns Staatsoberhaupt in der Zwischenkriegszeit, ein notorischer Antisemit und mitverantwortlich für die Deportation von mehr als 400.000 Juden nach Auschwitz von Mai bis Juli 1944, erfährt in Ungarn eine Rehabilitation: An mehreren Orten wurden Horthy-Statuen aufgestellt und Gedenktafeln eingeweiht.
Der ungarische Parlamentspräsident László Kövér nahm im Mai 2012 an einer Gedenkzeremonie für den Dichter József Nyírö teil, ein führender Kulturideologe während der Herrschaft der nationalsozialistischen Pfeilkreuzpartei Mitte der 1940er Jahre in Ungarn. Israel hat Kövér deshalb zur unerwünschten Person erklärt, der Nobelpreisträger Elie Wiesel gab aus demselben Grund einen Verdienstorden an Ungarn zurück.
https://www.dw.com/de/
Schwäbische Zeitung: NS-Verbrechen verjähren nicht - Leitartikel
20.05.2013 – 21:17
Schwäbische Zeitung
Ravensburg (ots)
Seit einigen Wochen sitzt der Aalener Bürger Hans L. in Haft. Der heute 93-Jährige wird von der Staatsanwaltschaft Stuttgart beschuldigt, sich als Mitglied der SS-Wachmannschaften im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau des Mordes an Tausenden schuldig gemacht zu haben.
Ob man mit einem solch alten Mann wie L. denn kein Mitleid haben könne, fragen manche Bürger und übersehen dabei die Monstrosität der ihm zur Last gelegten Verbrechen. Ob der Angeklagte das Ende des für den Herbst zu erwartenden Strafverfahrens erleben wird, ist dabei von nachgeordneter Bedeutung. Wichtig ist das Zeichen, das nach außen in die Welt wie nach innen gegeben wird: dass eine bundesdeutsche Justiz, die sich nach 1945 häufig der Verschleppung und Vertuschung schuldig gemacht hat, heute aktiv Aufklärung betreibt und nun buchstäblich in letzter Minute versucht, Schuldige an einem großen Verbrechen zu ermitteln.
Im Fall L. bleiben viele Fragen: Warum hat es so lange gedauert, bis die Ermittlungen begannen? Warum konnte Hans L. aus den USA wegen seiner Vergangenheit ausgewiesen werden, ohne dass die deutschen Behörden hellhörig geworden wären? Wurde da vertuscht, geschützt, weggeschaut? Heute sind Staatsanwälte bei der Arbeit, die sich sehr wohl der Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland bewusst sind. Sie ermitteln gegen Dutzende Männer, die in der NS-Vernichtungsindustrie mitgewirkt haben. Sie gehen den Hinweisen von Organisationen nach, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Schuldige zu finden.
Das Verfahren gegen Männer wie Hans L. würdigt darum auch die Millionen, die in den Konzentrationslagern von SS-Leuten ermordet wurden. Ein Prozess gegen einen der noch lebenden SS-Männer holt jenen Teil der deutschen Geschichte an die Oberfläche, der dieses Land maßgeblich geprägt hat und der zwischen Eurokrise und Wirtschaftswachstum gerne vergessen wird. Die deutsche Gegenwart wäre ohne das mahnende Erinnern an die verbrecherische Geschichte des Dritten Reiches unvollständig.
Pressekontakt:
Schwäbische Zeitung
Redaktion
Telefon: 0751/2955 1500
redaktion@schwaebische-zeitung.de
https://www.presseportal.de/pm/102275/2475490
Verhaftung eines mutmaßlichen NS-Täters
Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen sucht nach mehr als 50 ehemaligen KZ-Wärtern, die bislang straffrei geblieben sind. Ein Verdächtiger wurde jetzt verhaftet.
08.05.2013
Hans Lipschis wohnt in einer kleinen beschaulichen Ortschaft in Süddeutschland. Über seine Vergangenheit spricht der 93-Jährige mit der dicken Hornbrille nicht gerne. Experten glauben, dass er während des Zweiten Weltkriegs an unfassbaren Gräueltaten beteiligt gewesen sein könnte. Denn Lipschis wurde von 1941 bis 1945 im Konzentrationslager Auschwitz eingesetzt - möglicherweise als Wachmann und damit mitverantwortlich für den Tod von Tausenden Menschen. Lipschis selbst sagt, er sei nur Koch gewesen, habe nichts mit den Morden zu tun gehabt.
Vor Kurzem spürte ihn ein Reporter der Zeitung "Die Welt" auf. Am Montag (06.05.2013) wurde Lipschis verhaftet. Offiziell will die Staatsanwaltschaft keinen Namen nennen - die Ermittlungsbehörde spricht nur von einem 93-Jährigen, gegen den derzeit eine Anklageschrift vorbereitet wird. Auf Anfrage der Deutschen Welle wollte die Staatsanwaltschaft Meldungen, dass es sich um Lipschis handelt, aber nicht dementieren. Nach der Durchsuchung seiner Wohnung sei er der Haftrichterin vorgeführt und in Untersuchungshaft genommen worden. Ein Arzt habe festgestellt, dass der 93-Jährige haftfähig ist.
Über 50 ehemalige KZ-Wächter sollen laut der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen noch leben. Auch in diesen Fällen laufen Ermittlungen.
Seine Behörde arbeite schon seit einiger Zeit am Fall Lipschis, sagt Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Nähere Auskünfte zu Lipschis kann die Behörde mit Sitz in Ludwigsburg nicht geben, der Fall wurde an die Staatsanwaltschaft Stuttgart abgegeben.
Schon in den 1980er Jahren hatte die Zentrale Stelle gegen Lipschis ermittelt, doch einen Mord konnte man ihm nicht nachweisen. Doch seit dem Fall Demjanjuk hat sich die Rechtsprechung in Deutschland entscheidend geändert.
Neue Rechtsprechung
Der frühere KZ-Wachmann John Demjanjuk - Foto: Tobias Hase (dpa)
John Demjanjuk : Verurteilt wegen Beihilfe zum Mord in über 28.000 Fällen
Der Prozess gegen den früheren KZ-Wächter John Demjanjuk des Vernichtungslagers Sobibor gilt als historischer Wendepunkt. Denn erstmals stand mit Demjanjuk ein nichtdeutscher NS-Befehlsempfänger vor Gericht, dem keine konkrete Tat nachgewiesen werden konnte. 2011 verurteilte das Landgericht München den Ukrainer dennoch wegen Beihilfe zum Mord in über 28.000 Fällen. Allein der Nachweis, dass Demjanjuk als Wachmann in dem Konzentrationslager gearbeitet hat, reichte dem Gericht dafür aus. Angetreten hat er die Haft-Strafe von fünf Jahren jedoch nicht. Demjanjuk ging in Revision und starb, bevor das Urteil vom Bundesgerichtshof bestätigt werden konnte.
Mit dem Demjanjuk-Urteil im Rücken hofft die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen auf weitere Verurteilungen. "Wir gehen heute davon aus, dass man einem Aufseher - also einem Gehilfen - nicht mehr einen individuellen Tatbeitrag zu einer Tötung von einem oder mehreren Häftlingen nachweisen muss, sondern es reicht der Nachweis, dass er durch seine Tätigkeit in einem Vernichtungslager dazu beigetragen hat, dass die gesamte Todesmaschinerie dort funktioniert hat", sagt der Leiter der Zentralen Stelle, Schrimm.
Klarsfeld: "Justiz macht sich lächerlich"
Die Suche nach den ehemaligen NS-Schergen ist kompliziert. Schrimms Mitarbeiter recherchieren in Archiven, durchforsten alte Prozessakten. Auch in Osteuropa und Südamerika fahndet die Zentrale Stelle nach Hinweisen, wie etwa Einreisedokumenten. Häufig reisten Nazi-Verbrecher mit Papieren des Internationalen Roten Kreuzes in ihr neues Heimatland.
Denn die Täter sind - falls noch nicht gestorben - zumindest im Greisenalter. Eine Verurteilung wird damit unwahrscheinlich. Die Journalistin Beate Klarsfeld, die sich im Nachkriegsdeutschland einen Namen als "Nazi-Jägerin" machte, sieht die juristische Aufarbeitung im Jahr 2013 deshalb kritisch. "Es macht die Justiz lächerlich, denn sie hatte ja die Möglichkeit, gute Prozesse zu führen", sagt sie. Viel entscheidender sei es, die Erinnerung an die Verbrechen durch Mahnmäler und Gedenkstätten aufrechtzuerhalten. Klarsfeld wurde berühmt, weil sie 1968 den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf einem CDU-Parteitag wegen seiner NSDAP-Vergangenheit ohrfeigte und als Nazi beschimpfte.
Die Toten nicht vergessen
Konzentrationslager Auschwitz - Foto: EPA
Konzentrationslager Auschwitz: "Unrecht verjährt nicht"
Für die Angehörigen der Opfer sind die Ermittlungen dennoch von moralischer Bedeutung. "Die Gerechtigkeit ist ein hohes Gut, und wenn die Strafverfolgungsbehörde jetzt eine Möglichkeit sieht, Lipschis vor Gericht zu bringen, dann soll und muss sie dieses tun", sagt der Geschäftsführende Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees (IAK), Christoph Heubner, der DW. "Die Untaten von Auschwitz verjähren nicht, die der anderen Lager auch nicht.". Den Verweis auf das Alter betrachtet er als "zynische" Lustlosigkeit. "Um das Alter der Kinder, die in die Öfen gebracht wurden, hat sich auch niemand gekümmert."
Auch Kurt Gutmann, ein Nebenkläger im Demjanjuk-Prozess, sagte der Deutschen Welle: "Es bringt Genugtuung, das noch erlebt zu haben, dass doch etwas geschieht, dass die Toten nicht vergessen sind, dass man hinter den Verbrechern auch im hohen Alter noch hinterher ist." Ob und wann dem möglichen KZ-Aufseher Lipschis eine Verurteilung droht, ist jedoch noch unklar.
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Frankfurter Rundschau: Zu den möglichen Verfahren gegen ehemalige KZ-Wächter:
14.05.2013 – 16:35
Frankfurter Rundschau
Frankfurt (ots)
Die Gerichte, die sich nun wohl noch einer Reihe von NS-Verbrechen widmen werden, sind nur bedingt in der Lage, der Schuld und dem Schicksal der Angeklagten gerecht zu werden.
Doch ist es von großer gesellschaftlicher Bedeutung, dass die Fälle detailliert verhandelt werden. Jenseits der juristischen Beurteilung kommen dabei dramatische Geschichtsverläufe zutage, die im Licht neuer historischer Erkenntnisse jede Form von Schlussstrich-Mentalität für obsolet erklären. Es wird vielmehr deutlich, dass historische Wahrheit nicht zwangsläufig verblasst, je weiter man sich vom Zeitpunkt des Geschehens entfernt, sondern im Kontext neuer Fragestellungen auch geschärft werden kann.
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Frankfurter Rundschau
Kira Frenk
Telefon: 069/2199-3386
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Mitteldeutsche Zeitung: zu Ermittlung gegen NS-Täter
07.04.2013 – 19:10
Mitteldeutsche Zeitung
Halle (ots)
Der Politologe Joachim Perels sah zwischen Hitlers "Drittem Reich" und der jungen Bundesrepublik eine furchtbare Kontinuität. Tausende belastete Richter und Staatsanwälte, die in der Nazi-Zeit Menschen in den Tod geschickt hatten, wurden damals in den Staatsdienst übernommen. Die Folge: Zwischen 1952 und 1957 kam die Verfolgung von NS-Verbrechen fast zum Erliegen. Bis 1998 dann gab es in Deutschland 106 000 Ermittlungsverfahren wegen NS-Verbrechen und Urteile in 6 494 Fällen. Wer stöhnt, ob dies nicht genug sei, dem sei gesagt: Nein, ist es nicht.
Pressekontakt:
Mitteldeutsche Zeitung
Hartmut Augustin
Telefon: 0345 565 4200
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50 ehemalige KZ-Aufseher aufgespürt
Auch 68 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg müssen Nazi-Täter mit Strafverfolgung rechnen. Laut Medienberichten sind Ermittler 50 früheren Aufsehern des Vernichtungslagers Auschwitz auf der Spur - wegen Beihilfe zum Mord.
06.04.2013
Die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen will in den nächsten Wochen Vorermittlungen gegen 50 frühere KZ-Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau einleiten. Das berichten die Zeitungen der WAZ-Mediengruppe in ihren Samstag-Ausgaben. Der Tatvorwurf laute auf Beihilfe zum Mord.
Den Ermittlern lägen die Namen und die Angaben zu den Wohnorten der Tatverdächtigen vor, bestätigte der Behördenleiter, der Leitende Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, den Zeitungen. Die Verdächtigen lebten über ganz Deutschland verteilt und seien um die 90 Jahre alt.
Schrimm sieht gute Chancen
Schrimm hält es seit dem Urteil gegen John Demjanjuk, einen Wachmann im Lager Sobibor, für aussichtsreich, auch gegen Aufseher in Konzentrationslagern (KZ) Prozesse zu führen - selbst, wenn ihnen unter anderem aus Mangel an Zeugen keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann.
Der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Kurt Schrimm (Foto: dpa)
Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm hat 50 Verdächtige im Visier
Demjanjuk war 2011 wegen Beihilfe zum Mord in 20.000 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, das Landgericht München bezeichnete ihn damals als "Teil der Vernichtungsmaschinerie". Anders als früher reiche seit diesem Spruch "jede Tätigkeit in einem Konzentrationslager aus, um wegen der Beihilfe zum Mord zu verurteilen", sagte Schrimm.
Brasilianische Akten unter der Lupe
Die Ludwigsburger Zentrale Stelle wird seit 1958 von den Bundesländern unterhalten. Sie hat seither insgesamt 7485 Vorermittlungsverfahren geführt. Man ist zuversichtlich, weitere Täter auch außerhalb Deutschlands zu enttarnen. Die Staatsanwälte durchforsten derzeit brasilianische Einwanderungsakten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. Damals waren zahlreiche Nazi-Schergen nach Südamerika geflohen. Schrimm: "In Brasilien stehen die Dinge nicht schlecht."
Das Lager Auschwitz-Birkenau im besetzten Polen war zwischen 1942 und 1945 das größte deutsche Vernichtungslager. Hier brachten die Nazis 900.000 Juden in den Gaskammern um. Weitere 200.000 starben bei Hinrichtungen durch die SS oder durch Hunger, Entbehrungen und Krankheiten. Vor fast genau 50 Jahren, am 16. April 1963, wurde die erste Anklage gegen Verantwortliche des Lagers erhoben.
kle/sti (dpa, afp, epd, ots)
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Die Ankläger der letzten Naziverbreche
Kriminaloberkommissar Willms und Oberstaatsanwalt Brendel verfolgen NS-Verbrecher. Rund 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Täter sind heute alte Männer. Es ist ein Kampf für Gerechtigkeit und gegen die Zeit.
Datum 28.10.2013
Autorin/Autor Sarah Judith Hofmann
Wenn man Andreas Brendel danach fragt, ob es legitim sei, einen 92-Jährigen vor Gericht zu bringen, dann antwortet er knapp: "Mord verjährt nicht." Als Staatsanwalt sei er dazu verpflichtet, Tatvorwürfen nachzugehen. Brendel kennt solche Fragen von Journalisten, eben noch hat er einem russischen Fernsehreporter ein Interview gegeben. Und natürlich hat auch er diese Frage gestellt. Sie bietet sich an, bei einem Mann, der seit zehn Jahren einen Alt-Nazi nach dem anderen vor deutsche Gerichte bringt. Denn Brendel leitet die Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Dortmund.
Andreas Brendel antwortet stets in zwei aufeinanderfolgenden Argumenten. Zuerst rein juristisch. Dann aber folgt ein Zusatz: "Wir haben immer noch die Opfer und die Angehörigen von Opfern. Für sie ist es sehr wichtig, dass ein deutscher Strafprozess durchgeführt und die Schuld der Täter festgestellt wird. Unabhängig davon, ob es nachher noch zu einer Vollstreckung des Urteils kommt. Es ist wichtig, dass die Schicksale dieser Menschen Gehör finden vor deutschen Ermittlern."
"Man merkt, was das den Leuten bedeutet"
Stefan Willms ist Erster Kriminalhauptkommissar in Düsseldorf. Er leitet die Ermittlungsgruppe Nationalsozialistische Gewaltverbrechen beim Landeskriminalamt. Sie ist die einzige Dienststelle in Deutschland, die ausschließlich gegen NS-Verbrecher ermittelt. Somit ist Willms der engste Kollege von Brendel im Kampf gegen Verbrechen, die meist 70 Jahre oder mehr zurückliegen. Willms erinnert sich an einen Fall in Italien, bei dem 60 Männer ermordet wurden. Einer nach dem anderen wurden sie in einen Kellerraum geführt und nacheinander erschossen. Ihre letzten Minuten standen sie vor einem Berg von Leichen. Nur ein Junge überlebte. Nachdem dieser Überlebende dem Kriminalhauptkommissar aus Deutschland von dem Tathergang berichtet hatte, nahm er Willms in den Arm und dankte ihm. "Er habe jetzt fast 60 Jahre auf mich gewartet und sei sehr dankbar, dass ich gekommen bin", erinnert sich der Kommissar. "Da merkt man schon, was das den Leuten bedeutet."
Stefan Willms hat braungelocktes Haar. Trotz einiger grauer Strähnen hat er etwas von einem jungen Rebellen, wie er so in Jeans und kariertem Hemd in seinem Düsseldorfer Büro sitzt, hinter sich ein großes Ausstellungsplakat: "Die Polizei im NS-Staat". So richtig scheint er nicht in den schicken Neubau des Landeskriminalamts zu passen. Man stellt ihn sich viel eher draußen bei Ermittlungen vor. Wie er bei Wind und Wetter Spuren sammelt, fotografiert, mit Menschen spricht. Das passt.
Erster Kriminalhauptkommissar Stefan Willms in seinem Büro im LKA Düsseldorf (Foto: DW/ S. Hofmann)
Kriminalhauptkommissar Stefan Willms
Vielleicht helfe es, meint er, dass er lange genug nach dem Krieg geboren wurde. Er ist Jahrgang 1959. Die Opfer wissen: Er kann nicht an den grausamen Taten der Nationalsozialisten beteiligt gewesen sein. Und doch: "Man merkt, man hat als Deutscher eine gewisse Verantwortung für das, was da passiert ist", sagt er. Wohl fühle er sich bei Ermittlungen am Tatort nie.
Der Angeklagte ist 92 Jahre alt
Als Andreas Brendel das Gerichtsgebäude in Hagen betritt, trägt er einen schwarzen Anzug, weißes Hemd, weiße Krawatte, schwarze Hornbrille. Sehr akkurat sieht er aus. Im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Hagen wird der Fall Siert Bruins verhandelt. Der heute 92-Jährige soll als Mitglied des Grenz- und Sicherheitsdienstes in der niederländischen Hafenstadt Delfzijl im September 1944 an der Ermordung eines Widerstandskämpfers beteiligt gewesen zu sein. Die Verhandlungen laufen bereits seit Anfang September.
Oberstaatsanwalt Andreas Brendel im Gerichtssaal des Landgerichts Hagen (DW/ S. Hofmann)
Wild gestikuliert er selten: Andreas Brendel im Landgericht Hagen
Tatzeugen leben keine mehr. Also werden Beteiligte eines früheren Prozesses gegen Bruins gehört. Brendel blickt konzentriert, wach, macht sich Notizen, stellt selten mal eine Nachfrage an die Zeugen.
Der gebürtige Niederländer Bruins stand schon einmal in Dortmund vor Gericht. 1980 war das. Die Erschießung des Widerstandskämpfers wertete das Gericht damals als Totschlag. "Wichtig für die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist die Frage der Heimtücke", erklärt Brendel später. "Musste das Opfer mit der Tötung rechnen?" Diese Frage bewerte man heute anders als in den 80er Jahren. Deshalb steht Bruins jetzt erneut vor Gericht. Ist die deutsche Justiz jahrzehntelang besonders milde mit mutmaßlichen NS-Verbrechern umgegangen? Dazu möchte Brendel sich nicht äußern. Diese Frage stelle er sich nicht. Es klingt nicht wie eine Ausrede. Brendel hat anderes zu tun. Er will jetzt für Recht sorgen, nicht fragen, warum dies nicht schon früher geschehen ist.
Der gebürtige Niederländer im Gerichtssaal am Landgericht Hagen. (Foto:DW/S. Hofmann)
Siert Bruins ist angeklagt, 1944 an der Ermordung eines niederländischen Widerstandskämpfer beteiligt gewesen zu sein
Als Leiter der Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Dortmund ist er zwar allein für Verfahren in Nordrhein-Westfalen zuständig, während die weitaus bekanntere Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg deutschlandweit agiert. Doch letztere ist streng genommen nur eine Vorermittlungsstelle. Kommt es zu Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher, werden die einzelnen Fälle an die Staatsanwälte der zuständigen Bundesländer abgegeben. Und die einzige Schwerpunktstaatsanwalt für NS-Verbrechen ist eben jene in Dortmund, geleitet von Andreas Brendel. Er hat in den vergangen Jahren so gut wie alle prominenten Verfahren gegen NS-Verbrecher geführt.
Das Massaker von Oradour
Andreas Brendel und Stefan Willms entsprechen nicht dem Klischee fanatischer Nazijäger. Sie gehen nüchtern an ihre Sache heran. Erst vor wenigen Wochen waren sie gemeinsam in Oradour-sur-Glane. In dem französischen Ort verübte die deutsche Wehrmacht im Sommer 1944 ein Massaker. Das gesamte Dorf wurde zusammengetrieben, Männer von Frauen mit Kindern getrennt und auf grausame Weise umgebracht. Nur einige wenige überlebten. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt gegen ehemalige Angehörige des SS-Panzer-Grenadier-Regiments "Der Führer". Einer breiten Masse wurde diese Geschichte in Deutschland erst mit dem Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck bekannt. Brendel und Willms hatten die Ermittlungen schon lange vorher aufgenommen. Vor Ort haben sie mit den wenigen Überlebenden des Massakers gesprochen. Sie sind wichtige Zeugen, wenn es zu einer Anklage kommt.
Erst kürzlich gedachten Bundespräsident Gauck und Premierminister Hollande der Opfer von Oradour-sur-Glane. In ihrer Mitter: Der Zeitzeuge Robert Hébras. (Foto: Reuters)
Erst kürzlich gedachten Bundespräsident Gauck und Premierminister Hollande der Opfer von Oradour-sur-Glane. In ihrer Mitter: Der Zeitzeuge Robert Hébras.
In Deutschland haben sie die Wohnungen von Tatverdächtigen durchsucht. Über laufende Ermittlungen darf keiner von beiden sprechen. Aber sie können erzählen, welche Indizien und Beweismittel sie bei Verdächtigen anderer Fälle gefunden haben. Häufig sind es Tagebücher oder Briefe, in denen dann Sätze wie dieser stehen: "Sonnabends fuhr ich wieder mit drei Kameraden los, um in der Umgebung drei Juden zu holen. Wir haben sie dann bei Mondschein auf dem Judenfriedhof erledigt." Sie finden auch Orden und Fotos, die bestimmte Einsatzorte belegen können - einmal haben sie gar eine Tatwaffe entdeckt.
"Die Zeit drängt"
Bei allen Schritten sprechen sich die beiden ab. "Es vergeht keine Woche, in der wir nicht telefonieren", sagt Willms, "mindestens zwei Mal im Monat treffen wir uns." Sie unterstützen sich - auch psychisch. Schließlich lesen sie häufig tagelang nichts anderes als die Details grausamer Morde. "Das legt man nicht so einfach ad acta", sagt Willms. Und dann gibt es da auch noch böse Briefe, die Brendel immer mal wieder bekommt. Was ihm einfiele, alte Leute zu verfolgen. "Die werden von mir dann in der Regel abgeheftet", sagt er trocken. Einmal hat er auch ernsthaftere Drohungen erhalten, seine Familie wurde genannt. "Da hört der Spaß dann für mich auf."
Ein Wachturm steht an einem Zaun im KZ Auschwitz-Birkenau (Foto: dpa)
Aktuell wird in Deutschland gegen 30 KZ-Aufseher aus Auschwitz ermittelt.
"Es gab Kollegen hier auf der Dienststelle, die sind damit nicht klargekommen", erzählt Willms. "Die haben dann gewechselt." Für Stefan Willms und Andreas Brendel kommt das nicht in Frage. Sie werden weitermachen. "Vermutlich, bis der letzte NS-Verbrecher gestorben ist", sagt Brendel. "Die Zeit drängt. Wenn wir einen Täter finden, dann räumen wir dem große Priorität ein." Erst kürzlich wurde bekannt gegeben, dass deutschlandweit gegen 30 Aufseher aus dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ermittelt wird. Einige der Akten sind unterwegs zu Andreas Brendel und Stefan Willms. Sie haben noch viel zu tun.
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Die Akte Eichmann
Es ist ein Skandal: Erst 68 Jahre nach Kriegsende darf ein Historiker die vollständige Akte Adolf Eichmanns studieren. Offenbar hatte der BND Interesse, die Fluchtgeschichte des Naziverbrechers geheim zu halten.
Im Archiv des Bundesnachrichtendienstes (BND) lagern unzählige Akten – auch aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals hieß der deutsche Auslandsgeheimdienst noch nicht BND, sondern Organisation Gehlen, benannt nach dem ersten Chef der Behörde und ehemaligen Nationalsozialisten Reinhard Gehlen. Eine dieser Akten ist besonders prominent. Angelegt wurde sie über den Mann, der für die Deportation und Ermordung von Millionen Juden verantwortlich war und dem 1961 in Israel der Prozess gemacht wurde: Adolf Eichmann. Die Akte umfasst mehrere tausend Seiten. Was genau darin steht, soll jetzt endlich ans Licht kommen.
Holger Meding ist derzeit der Einzige, der Zugang zu der vollständigen Akte Eichmann beim deutschen Auslandsgeheimdienst hat. Denn er ist Mitglied der Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes zwischen 1945 und 1968. Holger Meding ist seit Kurzem zuständig für all jene Akten, die im Zusammenhang mit Lateinamerika und insbesondere Argentinien stehen. Genau dahin floh Eichmann – und neben ihm viele andere ehemals hochrangige Nazis.
Eichmann vor Gericht in Jerusalem (Foto: AP/dapd)
Dieses Bild ging um die Welt: Eichmann während seines Prozesses in Israel 1961
Wie aber kann es sein, dass diese Geschichte erst jetzt aufgearbeitet wird? Vielleicht liegt es an der komplizierten Gesetzeslage in Deutschland, dass man auf Einsicht in Bundesakten klagen muss. Und der erste, der dies getan hat, war nicht Meding, sondern ausgerechnet der Journalist einer deutschen Boulevardzeitung. Er klagte erstmals im Jahr 2010 und erhielt Einblick in mehr als 3000 Seiten geheimer Dokumente des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Allein, dies waren nicht die gesamten Akten, mehrere tausend Seiten wurden ihm nicht ausgehändigt, mehrere hundert waren geschwärzt. Also wandte er sich erneut mit einer Klage ans Bundesverwaltungsgericht in Leipzig – und wurde nun abgewiesen. Erst dann - und vermutlich daraufhin - wurde Holger Meding in die Historikerkommission berufen. Dass er seit Kurzem vollständige Akteneinsicht hat, sagt Meding erstmals in einem Interview mit der Deutschen Welle.
Er habe bislang bei Weitem nicht alle Dokumente studieren können, sagt Meding. Schließlich handele es sich um tausende Seiten. Aber schon jetzt weiß er: "Es wird herauskommen, inwiefern der BND aktiv war in Argentinien, welche Kontakte er gehabt hat und welche Personen involviert waren." Brisantes Material also, bei dem es erstaunt, dass es erstmals im Jahr 2013 von einem Historiker studiert werden darf und der Öffentlichkeit immer noch vorenthalten bleibt.
Eine Akte voller Schwärzungen
Für Holger Meding besitzt das Urteil des Leipziger Gerichts dennoch "eine gewisse Stringenz". Schließlich gehe der BND mit der Historikerkommission einen möglichen Weg. Diese könne alle Dokumente erforschen und somit in einen Zusammenhang stellen. Die Philosophin Bettina Stangneth sieht das anders. Sie hat für die Verhandlung in Leipzig ein Expertengutachten verfasst und kennt die Akte Eichmann – allerdings nur mit Schwärzungen.
Adolf Eichmann in SS-Uniform (Foto: k.a.)
Organisator des Holocaust: Adolf Eichmann in SS-Uniform
2011 veröffentlichte sie das Buch "Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders", in dem sie Informationen über Eichmanns Leben zwischen 1945 und 1961 aus weltweiten Archiven zusammenführt. Ihre Erkenntnis: Eichmann war kein stiller Bürokrat eines mörderischen Systems. Er war ein überzeugter Nazi und Antisemit – und blieb dies auch bis zu seiner Hinrichtung in Israel 1962.
Dass immer noch Akten über diesen Mann zurückgehalten werden, ist für Bettina Stangneth ein Skandal. "Natürlich gibt es Schwärzungen, die gemacht werden müssen, wie bei personenbezogenen Daten Dritter." Das akzeptiere sie. In der bisher auf Klage freigegebenen BND-Akte über Eichmann seien die Schwärzungen aber von solch einem Ausmaß, dass man sie nicht akzeptieren könne. "Ich frage mich, was dem Ansehen Deutschlands mehr schadet, die öffentliche Diskussion über fünfzig Jahre alte Aktivitäten des BND im Umgang mit Nazi-Altlasten oder diese Geheimnistuerei?" Das Bundeskanzleramt, dem der BND unterstellt ist, hatte erklärt, es könne die Akten nicht herausgeben, dies würde "dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten".
Eichmann konnte 16 Jahre lang ein unbehelligtes Leben führen
Bei der Diskussion um die geschwärzten Stellen in der Eichmann-Akte geht es auch um die Frage, was deutsche Behörden eigentlich zu verbergen haben. "Man könnte natürlich fragen, ob es etwas gibt, das noch aktuell Probleme bereitet", meint Bettina Stangneth. Vieles über die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes ist bereits in den letzten Jahren bekannt geworden. "Es ist keineswegs verschwörungstheoretisch, dass es personelle Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus gab", sagt Holger Meding.
Adolf Eichmann in Argentinien (Foto: k.a.)
Adolf Eichmann lebte bis zu seiner Festnahme durch den israelischen Geheimdienst unbehelligt in Argentinien
Einige Männer, die später die Organisation Gehlen und dann den BND aufbauten, waren zuvor im Reichssicherheitshauptamt tätig. Die Historikerkommission ermittelt zur Zeit die präzise Zahl und Biografien der vorbelasteten Personen. "Fest steht bislang, dass es einige waren", sagt Holger Meding, "möglicherweise sogar viele". Das Reichssicherheitshauptamt war die Terrorzentrale des "Dritten Reichs". Hier organisierten Bürokraten den Holocaust. Das Referat für "Juden- und Räumungsangelegenheiten" leitete Adolf Eichmann.
Es erscheint also naheliegend, dass Eichmanns ehemalige Kameraden es mit der Suche nach ihm nicht allzu genau nahmen, oder sie bewusst boykottierten. Die Einsicht in die Akte Eichmann hat bereits jetzt – in geschwärzter Version – weiteren Aufschluss geben können. So wusste die Organisation Gehlen als Vorgängerin des BND bereits 1952, dass Eichmann sich in Argentinien aufhielt. Dass der BND zum Zeitpunkt, als der israelische Geheimdienst Mossad ihn aus Buenos Aires entführte, über dessen Aufenthaltsort Bescheid wusste, wurde schon länger vermutet. "Aber dass der Bundesnachrichtendienst das schon so früh wusste, das hat auch mich überrascht", sagt Holger Meding. Israel konnte Eichmann erst 1961 vor Gericht bringen.
Der "Schlächter von Lyon" erhielt Gehaltsschecks vom BND
Reinhard Gehlen, nach dem Zweiten Weltkrieg Chef der Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND). Das Foto zeigt ihn als Oberst der deutschen Wehrmacht im Jahr 1943 (Foto: AP)
Reinhard Gehlen arbeitete schon als Geheimdienstmann für Hitler. Später gründete er die Organisation Gehlen, den späteren BND
Die ungeschwärzten Akten – darin sind sich Holger Meding und Bettina Stangneth einig – werden noch sehr viel genauer darüber Aufschluss geben können, was der BND über ehemalige hochrangige SS-Mitglieder und Nationalsozialisten wusste. Und inwiefern das Agentennetz des BND mit ehemaligen Nazis durchsetzt war. Schließlich ist erst vor zwei Jahren herausgekommen, dass der ehemalige SS-Obersturmführer und Kriegsverbrecher Klaus Barbie – auch bekannt als "der Schlächter von Lyon" – ein Zuträger des BND war.
Auch er gelangte nach dem Krieg unbehelligt nach Lateinamerika. In diesem Zusammenhang kommt die sagenumwobene Organisation "ODESSA" ins Spiel. Heute ist sich die Forschung einig: Eine "Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen" mit Namen Odessa, die der Nazijäger Simon Wiesenthal aufgedeckt zu haben glaubte, hat es nie gegeben. Aber: Viele kleinere Organisationen, die hochrangige Nationalsozialisten außer Landes brachten, gab es. Über so genannte "Rattenlinien" brachten sie die Flüchtigen meist über Italien nach Lateinamerika (in erster Linie nach Argentinien) oder in den Nahen Osten.
"Eichmann ist nach Südtirol gefahren und dort lagen Papiere für ihn bereit, die sowohl von argentinischer als auch von südtiroler Seite zusammengetragen worden sind", erzählt Bettina Stangneth von ihren Recherchen. Außerdem seien die Kinder und Ehefrauen der offiziell Gesuchten häufig unter echtem Namen gereist - so auch Eichmanns Familie. Die Organisation Gehlen, die zumindest teilweise mit ehemaligen NS-Funktionären besetzt war, hat also vermutlich nicht nur gewusst, dass sich Adolf Eichmann unter falschem Namen in Argentinien aufhielt, sondern kannte auch die Aufenthaltsorte von vielen weiteren Kriegsverbrechern.
Neue Ergebnisse: frühestens Ende 2013
Klaus Barbie bei seiner Verhaftung (Foto: Getty Images)
Der Nazikriegsverbrecher Klaus Barbie (unter der Decke) bei seiner Verhaftung in Bolivien. Zuvor hatte er unter anderem für den BND gearbeitet
Dass der BND versucht hat, die Verteidigung Eichmanns zu beeinflussen und auch mit der Finanzierung seines Anwalts zu tun hatte, haben die Forschungen eines deutschen Journalisten schon 2011 zutage gefördert. Die BND-Akten bestätigen laut Bettina Stangneth diese brisante Allianz. "Wir wissen nur nicht, wie tief die BND-Mitarbeiter involviert waren, wie stark auch finanziell Einfluss genommen wurde", sagt die Philosophin. Beim Prozess gegen Klaus Barbie 1987 in Lyon tauchen dieselben Namen wieder auf, als es um seine Verteidigung geht. War auch hier der BND am Werk? "Die Verstrickungen", so Stangneth "reichen immer weiter in die Gegenwart hinein."
Eines ist bereits jetzt klar: Der Fall Eichmann ist noch lange nicht abgeschlossen. "Es bewegt sich, nur leider zu langsam", sagt Bettina Stangneth. "Längerfristig werden alle Dokumente veröffentlicht werden müssen", sagt der Historiker Holger Meding. Bislang darf und kann er nichts über seine Erkenntnisse aus der ungeschwärzten Akte sagen. Die Recherche der Historikerkommission wird voraussichtlich zwei Jahre benötigen. Anfang Dezember 2013 sollen erste Zwischenberichte vorgestellt werden.
Zum Weiterlesen:
Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Arche 2011. 39,90 Euro.
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Die Vergangenheit verstehen
Seit 1995 erforscht das Fritz-Bauer-Institut die Geschichte der Nazi-Verbrechen. Zugleich zeigen die Wissenschaftler die Normalität jüdischen Lebens in Deutschland früher und heute. Dafür erhielten sie nun einen Preis.
05.03.2013
Fritz Bauer hat dem Institut seinen Namen gegeben. Der Jurist und Holocaust-Aufklärer starb bereits 1968, doch gegründet wurde die Forschungseinrichtung erst 1995, mehr als ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod. Für Raphael Gross, der das Institut seit sechs Jahren leitet, ist diese späte Gründung nur allzu verständlich. "Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, insbesondere dem Holocaust, hat in Deutschland erst in den 1980er Jahren als wirklich breite Bewegung eingesetzt", sagt der Historiker im Gespräch mit der Deutschen Welle. In den deutschen Amststuben in ganz Deutschland, im Westen wie im Osten, hätten in den 1960er Jahren noch viele Mitläufer und Täter des NS-Regimes gesessen. "Deshalb ist es kein Zufall, dass ein solches Institut erst in den 90er Jahren überhaupt gedacht werden konnte."
Ein Aufklärer in feindlicher Umgebung
Portraitfoto von Fritz Bauer Foto: http://www.fritz-bauer-film.de/ge/index.htm
Fritz Bauer musste seine Aufklärungsarbeit gegen starken Widerstand durchsetzen
Fritz Bauer stammte aus einer jüdischen Familie und war 1930 mit 26 Jahren der jüngste Richter im Deutschen Reich. 1933 wurde er aus dem Staatsdienst entlassen und von den Nazis acht Monate im württembergischen Konzentrationslager Heuberg inhaftiert. Bauer emigrierte zunächst nach Dänemark. Als die Nazis mit der Deportation der dänischen Juden nach Theresienstadt begannen, floh er 1943 nach Schweden. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück, wurde Gerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig, später hessischer Generalstaatsanwalt. Fritz Bauer setzte sich dafür ein, dass die deutsche Justiz NS-Verbrecher vor Gericht brachte. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass sich ehemalige Nazis ab 1963 in den "Auschwitz-Prozessen" verantworten mussten. Bauer misstraute stets dem Staatsapparat, in dem er selbst arbeitete. Vielfach zitiert ist seine Äußerung, dass er sich "in feindlichem Ausland fühlte, sobald er sein Büro verließ".
Braune Vergangenheit war allgegenwärtig
Der SS-Mann und Massenmörder Adolf Eichmann 1961 vor einem israelischen Gericht in Jerusalem (Foto:AP/dapd)
Selbst bei den Unterstützern seines Kampfes für Gerechtigkeit gab es für Fritz Bauer Anlass, misstrauisch zu sein. "Sein vielleicht engster Verbündeter, der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn, war auch eine Zeit in der SA gewesen", stellt Institutsleiter Raphael Gross fest. Und Zinn sei keine Ausnahme gewesen. "In Ludwigsburg wurde 1959 eine Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen eingerichtet, und der erste Leiter war auch ein ehemaliges Mitglied der NSDAP", beschreibt Gross die Realität der damaligen Zeit. So verwundert es wenig, dass es Fritz Bauer war, der an den deutschen Behörden vorbei dem israelischen Geheimdienst Mossad die entscheidende Information gab, um Adolf Eichmann in Argentinien zu stellen. Eichmann war für die Ermordung von Millionen Menschen mitverantwortlich. Er wurde dafür in Israel gehenkt.
Wer Unrecht verhindern will, muss verstehen, wie es entsteht
Raphael Gross, Leiter des Fritz Bauer Institutes in Frankfurt am Main. Foto:Günther Birkenstock / DW.
Der Leiter des Fritz Bauer Instituts, Raphael Gross
Fritz Bauer ging es nicht nur darum, Nazi-Schergen vor Gericht zu bringen. Er wollte auch verstehen, was die Menschen zu ihren Taten hinreißt. Diese Arbeit setzt das Fritz Bauer Institut fort und fragt nach den Auswirkungen der NS-Ideologie.
Raphael Gross und seine Mitstreiter gehen wichtigen Fragen auf den Grund. Wenn etwa im Bundesjustizministerium oder im Auswärtigen Amt in den 50er Jahren mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder Positionen innehatten als 1945 - welche Folge hat das dann für die Entwicklung des Rechts nach 1945 oder die diplomatischen Außenbeziehungen? Das Institut leistet akribische Kleinarbeit, erforscht historisch, psychologisch und politisch solche Denkmuster, die Antisemitismus fördern oder am Leben erhalten.
"Auf dem Schulhof ist 'Opfer' ein Schimpfwort"
Ein Häftlingstransport trifft im Lager Auschwitz ein (undatierte Aufnahme). Foto: +++(c) dpa - Bildfunk+++
Wenn Juden nur als Opfer dargestellt werden, führt das bei vielen zur Abwehr, statt zu Verständnis
Die Frankfurter Holocaust-Forscher wollen nicht nur in der Wissenschaft gehört werden. Deshalb sind unter den 15 Mitarbeitern auch Pädagogen, die wiederum Lehrer und andere Multiplikatoren weiterbilden. Ihre Grundbotschaft: Juden sind nicht nur Opfer. "Auf dem Schulhof ist Opfer ein Schimpfwort", weiß Gross. Denn Opfer wirkten fremd, und Fremdes werde abgelehnt. Stattdessen müsse man ein Bewusstsein von positiver Vielfalt vermitteln, wenn man über Juden spricht.
Menschen wie alle anderen
Beispiel-Foto zum jüdischen Alltagsleben in Hessen. Mehrere Cousinen, die auf einer Bank am See sitzen. Foto: Monica Kingreen, Pädagogisches Zentrum FFM, Fritz Bauer Institut & Jüdisches Museum
Fotos zum jüdischen Alltagsleben vor 1945 in Hessen zeigt das Internetportal: www.vor-dem-holocaust.de
Gross möchte deutlich machen, dass Juden ein selbstverständlicher Teil Deutschlands waren und sind. Ausstellungen über jüdischen Alltag früher und heute, die in Museen oder im Internet zu sehen sind, helfen dabei. Die Darstellung von Alltagswirklichkeit korrigiere auch viele Mythen, die in den Köpfen herumschwirrten. Beispielsweise würden Juden immer mit dem großen Geld in Verbindung gebracht, sagt Gross. Da helfe es zum Beispiel, das Leben der Frankfurter Juden darzustellen, die vor dem Zweiten Weltkrieg immerhin zehn Prozent der Bevölkerung stellten. "Darunter gab es zwei, drei ganz reiche Familien, aber eben nur eine Familie Rothschild. Die anderen gehörten zur Mittelschicht oder waren sehr arm."
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Das Ende eines Kriegsverbrechers
Am Samstag ist in einem Pflegeheim der Kriegsverbrecher John Demjanjuk im Alter von 91 Jahren gestorben. Demjanjuk war für Verbrechen im Vernichtungslager Sobibor verurteilt worden.
17.03.2012
John Demjanjuk war 1920 in der Ukraine unter dem Namen Iwan Demjanjuk geboren worden. Ab 1940 diente er in der Roten Armee und geriet 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Dort meldete er sich als Freiwilliger zu den Hilfstruppen der SS, die auch das Personal zur Bewachung der deutschen Konzentrationslager stellte. Demjanjuk wurde von der SS unter anderem in den Lagern Majdanek, Sobibor und Flossenbürg eingesetzt.
Das Foto vom Montag (23.05.2011) zeigt das Alten- und Pflegeheim in Bad Feilnbach, in dem der als Nazi-Verbrecher verurteilte John Demjanjuk wohnt. Der 91-Jährige ist in der Pflegeeinrichtung der oberbayerischen Feriengemeinde untergekommen. In dem Heim bewohnt Demjanjuk ein kleines Zimmer im Erdgeschoss. Foto: Josef Reisner dpa/lby +++(c) dpa - Bildfunk+++
In diesem Pflegeheim ist Demjanjuk gestorben
Bei Kriegsende gelang es ihm, als Kriegsgefangener unterzutauchen und bei den amerikanischen Besatzungstruppen in Bayern Arbeit zu finden. 1958 wanderte er in die USA aus, änderte seinen Vornamen von Iwan in John und erhielt die US-Staatsbürgerschaft. Erst in den siebziger Jahren wurde nach und nach bekannt, was Demjanjuk in den Jahren von 1942 bis 1945 getan hatte. In der Folge wurde ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft wieder entzogen.
Schließlich war Demjanjuk am 12. Mai des vergangenen Jahres vom Landgericht München zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass Demjanjuk als Wächter des Konzentrationslagers Sobibor im heutigen Osten Polens an der Ermordung von mehr als 28.000 Menschen beteiligt gewesen war. Wegen des schlechten Gesundheitszustands des Verurteilten hatte das Gericht den Haftbefehl aufgehoben: Demanjuk musste nicht ins Gefängnis sondern wurde in ein Pflegeheim überstellt.
Der letzte große Kriegsverbrecherprozess
Bereits während des Prozesses, der am 30. November 2009 in München begonnen hatte, war John Demjanjuk krank und nur eingeschränkt verhandlungsfähig gewesen. Er wurde jeweils auf einem Bett in den Gerichtssaal geschoben und nahm am Prozess nicht aktiv teil. Die tägliche Verhandlungsdauer hatte auf zweimal 90 Minuten beschränkt werden müssen, weil Demjanjuk nicht mehr zugemutet werden durfte.
In this photo taken Oct. 11, 2003 a visitor reads a plaque in memory of those who perished at the former Nazi death camp of Sobibor at the site of the World War II-era camp in Sobibor, eastern Poland. The Sobibor extermination camp was built by Nazi officers in occupied Poland in 1942 and some 250,000 Jews, Gypsies and political prisoners were murdered in its gas chambers before it was razed some 18 months later. In 1965, a monument to the victims of Sobibor was built on the site of the former camp and the ashes of those killed were gathered together in a symbolic mound-mausoleum. (AP Photo/Str) POLAND OUT
Der Ort des Verbrechens: Das Vernichtungslager Sobibor
Viele Prozessbeobachter zeigten sich jedoch verärgert, weil der Angeklagte in den Verhandlungspausen sehr wohl rege war und sich unterhalten konnte, der Verhandlung selbst aber nicht folgen zu können behauptete. Zum Prozess war eine außergewöhnlich große Zahl von ausländischen Beobachtern angereist, denn der Prozess gegen John Demjanjuk, der 1920 unter dem Namen Iwan in der Ukraine geboren worden war, galt als einer der letzten großen Kriegsverbrecherprozesse überhaupt.
Zum Tode verurteilt – aber für die Taten eines Anderen
Demjanjuk hatte sich schon einmal für Verbrechen, die er in Konzentrationslagern begangen haben sollte, verantworten müssen, war aber letztlich frei gekommen: 1987 war er von einem israelischen Gericht zum Tode verurteilt worden, das Urteil musste aber wieder aufgehoben werden. In Jerusalem waren die Verbrechen eines als "Iwan der Schreckliche" bekannten KZ-Wächters im Konzentrationslagers Treblinka verhandelt worden – in der Überzeugung, dieser "Iwan" und Iwan "John" Demjanjuk seien ein und dieselbe Person. Es stellte sich jedoch heraus, dass "Iwan der Schreckliche" mit Nachnamen gar nicht "Demjanjuk" geheißen hatte – das Urteil wurde kassiert, Demjanjuk kam wieder frei.
Der Dienstausweis des Iwan John Demjanjuk, den er als Wachmann 1942 in seinem Ausbildungslager Trawniki bekommen hat und in dem u.a. eingetragen ist: 27.3. 43 Sobibor: Das ist der Tag der Ankunft des Wachmannes Demjanjuk im Vernichtungslager Sobibor. Der mutmaßliche Nazi-Kriegsverbrecher Demjanjuk könnte sich schon bald vor einem deutschen Gericht verantworten. Die weltweit größte Fahndungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg gab am Montag (10.11.2008) ein Vorermittlungsverfahren gegen den in den USA lebenden 88-jährigen Mann an die Staatsanwaltschaft München I ab. dpa/lsw (zu dpa 4199) NUR S/W +++(c) dpa - Report+++
Der Dienstausweis des KZ-Wächters Iwan Demjanjuk
Das Münchner Gericht hat in seinem Demjanjuk-Prozess über Verbrechen geurteilt, die der Angeklagte im Vernichtungslager Sobibor begangen hatte - der Dienst in diesem Lager konnte ihm nachgewiesen werden. Das Gericht konnte dem Angeklagten keine einzelnen Taten konkret nachweisen, wie das für einen Schuldspruch eigentlich üblich ist, nahm aber einen anderen Standpunkt ein: Das Vernichtungslager Sobibor sei einzig zu dem Zweck errichtet worden, Menschen zu töten. Dieser Logik nach sei jeder, der dort gearbeitet hatte, der Beihilfe zum Mord schuldig. Nach Auffassung des Gerichts ist Iwan "John" Demjajnuk in Sobibor "ein Teil der Vernichtungsmaschine" gewesen.
Am Morgen des 17. März wurde in einem Pflegeheim der Stadt Feilnbach bei Rosenheim in Bayern die Leiche des 91-jährigen John Demjanjuk gefunden. Die Todesursache ist noch unklar. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Traunstein teilte mit, sie werde ein in solchen Fällen übliches Todesermittlungsverfahren einleiten.
Datum 17.03.2012
Autorin/Autor Dirk Kaufmann
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PROZESS UM JOHN DEMJANJUK
Ermittler hält Einzeltatnachweis für unnötig
03.02.2010, 08:47
Der Ermittler im Fall Demjanjuk hält eine Beteiligung an Massenmorden in NS-Vernichtungslagern auch ohne Beweise für einzelne Taten für strafbar.
Der Ermittler im Fall Demjanjuk hält eine Beteiligung an Massenmorden in NS-Vernichtungslagern auch ohne Beweise für einzelne Taten für strafbar. Der "eherne Grundsatz" in deutschen Strafverfahren, dass eine konkrete Tat ermittelt werden müsse, bedürfe in dem speziellen Fall der "industriell durchgeführten Massentötung" der Nazis einer Anpassung, sagte Thomas Walther am Dienstag im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk vor dem Landgericht München II.
Der 89-jährige Angeklagte soll als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen 1943 bei der Ermordung von 27 900 Juden in den Gaskammern geholfen haben. Demjanjuk schweigt zu den Vorwürfen.
"Todesfabriken" wie Sobibor seien eine einzigartige Situation gewesen, die bei der Aufstellung des Grundsatzes von der Einzeltat jenseits der Vorstellung gelegen habe, sagte Walther. "Das Undenkbare war noch gar nicht gedacht worden." Es habe in dem Lager nur zwei Gruppen gegeben: die wenigen, die dort beschäftigt waren, und die vielen Opfer. Deshalb sei er zu dem Schluss gekommen, "dass ich so einen Einzeltatnachweis in einer solchen Einrichtung nicht zu führen habe".
Walther, der als ermittelnder abgeordneter Richter bei der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg wesentlich die Ermittlungen geführt hatte, verwies auch auf Unstimmigkeiten in Demjanjuks früheren Angaben. Nach dem Krieg hatte der gebürtige Ukrainer auf verschiedenen Formularen etwa zur Auswanderung nach Kanada oder in die USA als Aufenthaltsort einmal Chelm im heutigen Polen und dann Sobibor genannt, wo er wiederum einmal Lastwagenfahrer und einmal Bauer gewesen sein will.
Demjanjuk war im Mai 2009 von den USA nach Deutschland abgeschoben worden und steht seit Ende November 2009 vor Gericht. Sein Anwalt Ulrich Busch beantragte erneut die Aussetzung des Verfahrens, weil er notwendige Akten nicht habe einsehen können. Zudem verlangte er, die Zeugenvernehmung auszusetzen. Der Vorsitzende Richter Ralph Alt drohte dem Anwalt mit dem Rauswurf aus dem Gerichtssaal.
DPA DPA
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Strafverfolgung von NS-Verbrechern
: Richter, Mörder und Gehilfen
17. Mai 2010, 21:35 UhrLesezeit: 5 min
Franziska Augstein
1958 fand in Ulm der erste Prozess zur Judenvernichtung statt. Die Causa kam nur aus Zufall in Gang - einer der Mörder verhielt sich zu dreist.
Der Ulmer Einsatzgruppenprozess, der am 28. April 1958 begann, war eine Sensation. Erstmals stand die Vernichtung der Juden im Mittelpunkt eines großen Prozesses, und die Urteile, die am 29. August 1958 ergingen, prägten die weitere Rechtsprechung.
Der Prozess führte dazu, dass in Ludwigsburg die "Zentrale Stelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen" eingerichtet wurde. Der Prozess und seine Folgen zeigen, wie die öffentliche Meinung zu den NS-Verbrechen stand. Sollten die demonstrierenden Achtundsechziger bloß Nachzügler gewesen sein, die aussprachen, was die meisten schon wussten?
Empörend fanden viele Kommentatoren es damals, dass der Prozess nur aus Zufall in Gang kam. Wäre der ehemalige Polizeidirektor von Memel nicht so dreist gewesen, es wäre wohl gar nichts geschehen.
Doch Bernhard Fischer-Schweder, der als Angehöriger des "Einsatzkommandos Tilsit" 1941 an der Abschlachtung von mehr als fünftausend litauischen Juden beteiligt gewesen war, erschlich sich 1953 unter falschem Namen den Leitungsposten in einem Flüchtlingslager.
Als er in Verdacht geriet und sein Amt aufgeben sollte, strengte er unter eigenem Namen einen Arbeitsgerichtsprozess gegen das Land Baden-Württemberg an. Deshalb konsultierten zuständige Beamte die Akten der amerikanischen Dokumentationszentrale in Nürnberg, die Fischer-Schweder und andere Männer schwer belasteten.
Erschossen, erschlagen, ertränkt
Ulmer Richter und Staatsanwälte, die nun hätten tätig werden müssen, weil Fischer-Schweder in ihrer Stadt lebte, wollten sich da aber nicht einmischen. Der Richter a. D. Klaus Beer, der damals als Referendar am zuständigen Gericht arbeitete, schreibt in seinen Erinnerungen "Auf den Feldern von Ulm", die Staatsanwälte seien "nicht bereit oder fähig" gewesen, sich ihrer Pflicht anzunehmen.
Drei Juristen war es zu danken, dass es überhaupt zum Prozess kam, drei Einzelkämpfern, einstigen Hitlergegnern, die sich gegen die herrschende Stimmung in der westdeutschen Justiz zusammenschlossen: dem Stuttgarter Generalstaatsanwalt Richard Schmid, seinem Nachfolger Erich Nellmann und dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Da Ulms Richter mit dem Prozess nichts zu tun haben wollten, gelang es den dreien, einen Stuttgarter Richter hinzuzuziehen: Edmund Wetzel.
Diese vier haben sich um die deutsche Justiz mehr als verdient gemacht. Der Prozess erschütterte die Öffentlichkeit. Vom Tod im Gas, sagt Beer, habe man gewusst, nicht aber davon, dass Tausende erschossen wurden, nachdem sie für sich selbst Massengräber hatten ausheben müssen; dass Frauen und Kinder totgeschlagen wurden, weil man Munition sparen wollte; dass Kleinkinder vor den Augen ihrer Mütter in Teichen ertränkt wurden.
Ausreden durch Goebbels-Aussage ausgehebelt
Ein SS-Mann hatte zwei mit Spaten bewaffnete Juden in einen Kampf auf Leben und Tod gehetzt; zum Spaß hatte er ihnen in Aussicht gestellt, der Sieger dürfe am Leben bleiben.
Mit drei beliebten Ausreden wurde im Ulmer Einsatzgruppenprozess aufgeräumt: Die Behauptung, die Angehörigen der Einsatzgruppen hätten mit ihrem Leben dafür zahlen müssen, wenn sie einen Mordbefehl verweigerten, wurde durch Zeugenaussagen widerlegt. Die Behauptung, man habe sich unter "Befehlsnotstand" befunden, tat das Gericht schlauerweise auch mit einem Hinweis auf Joseph Goebbels ab.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Propagandaminister Goebbels zum "Befehlsnotstand" schrieb und wie die Ulmer Urteile ausfielen.
Der hatte 1944 die Bombardements der Alliierten im Völkischen Beobachter kommentiert: "Es ist in keinem Kriegsgesetz vorgesehen, dass ein Soldat bei einem schimpflichen Verbrechen dadurch straffrei wird, wenn er sich auf seine Vorgesetzten beruft, zumal wenn dessen Anordnungen im eklatanten Widerspruch zu jeder menschlichen Moral und jeder internationalen Uebung der Kriegsführung stehen."
Folglich, so schloss das Ulmer Gericht, war auch die Behauptung nicht haltbar, die Angeklagten hätten sich in einem "Verbotsirrtum" befunden, hätten also nicht ahnen können, dass das Abschlachten Tausender Zivilisten, Frauen, Kinder und Säuglinge eingeschlossen, auch im Krieg keine gerechtfertigte Präventivmaßnahme sei.
Die zehn Angeklagten in Ulm wurden zu relativ milden Strafen zwischen drei und 15 Jahren Haft verurteilt. Ein konsternierter Journalist rechnete damals aus: Ein Tod wurde mit fünf Tagen Zuchthaus geahndet. Nicht wegen Mordes wurden die zehn Männer verurteilt, sondern nur wegen Beihilfe. Dies, obwohl einige von ihnen sich in stolzer Pose bei den Exekutionen fotografieren ließen.
Mochten diese Bilder noch so deutlich belegen, wie gern die Täter ihre Opfer hingemetzelt hatten - das Gericht war dennoch nicht in der Lage, gegen die gängige Auffassung zu urteilen, derzufolge Hitler, Göring, Himmler und Heydrich für die Vernichtung der Juden die Verantwortung trugen. Aus dieser Sicht waren historisch und juristisch alle übrigen Mörder lediglich Gehilfen (während die meisten Schreibtischtäter vor dem Gesetz als unschuldig galten).
Der tapfere Generalstaatsanwalt Fritz Bauer brachte es dann zuwege, dass 1963 ein neuer Prozess begann: der Frankfurter Auschwitz-Prozess. Die Anklagevertreter wollten nun nicht in dieselbe Falle tappen wie die Ulmer Richter: Mord sollte Mord genannt werden.
"Auschwitz", besser: was dort geschah, wurde als eine Tat behandelt. Hatte einer beim Töten mitgemacht, war er im Bund mit Hitler und Konsorten. So plädierte die Staatsanwaltschaft unter Fritz Bauer - sie kam aber damit nicht durch, weder vor dem Frankfurter Gericht noch 1969 in der Revision vor dem Bundesgerichtshof.
Die Mehrheit wollte den Schlussstrich
Viele Leute, unter ihnen auch namhafte Historiker, sind heute der Meinung, die Westdeutschen hätten sich schon seit dem Ende der fünfziger Jahre der Vergangenheit ihrer Nation gestellt. Dafür scheint eine Umfrage von 1958 zu sprechen: 54 Prozent der Befragten waren dafür, dass die Justiz sich auch anderer NS-Täter annehmen solle.
Doch von Dauer waren diese Meinungen nicht. Als ein Student namens Reinhard Strecker, unterstützt von Kommilitonen und dem SDS, 1959 eine Ausstellung über "Ungesühnte Nazijustiz" plante, waren die Rechtspolitiker sämtlicher Parteien dagegen. Und als zur Zeit des Auschwitz-Prozesses eine neue Umfrage angestellt wurde, war die große Mehrheit der Westdeutschen dafür, es solle ein Schlussstrich gezogen werden - "Schlussstrich": So nannte man das damals schon.
Die Leute hatten die Berichte vom Ulmer Einsatzgruppenprozess mit Erschrecken gelesen oder gehört - nun meinten sie, dass es damit sein Bewenden haben müsse. Mehr "Vergangenheitsbewältigung" war nicht gewünscht. Weder in der Öffentlichkeit noch von Seiten der Justiz.
Fritz Bauer hat "seinen" Prozess mit Unterstützung nur ganz weniger durchfechten müssen. 1965 wurden eher milde Urteile erlassen. Das Argument des "Befehlsnotstands" galt in einigen Fällen als entlastendes Moment.
Mit zweierlei Maß
Die verbrecherischen NS-Richter, die per Gesetz 1961 mit guten Pensionen in den Ruhestand verabschiedet wurden, ihre Schüler, die Ärzte, Politiker und Beamten, die ihre Karrieren nach dem Untergang des Dritten Reichs mühelos hatten fortsetzen können: Sie prägten das bundesdeutsche Klima der frühen sechziger Jahre. Prügelstrafen zu Hause und in der Schule waren legal, Homosexualität stand unter Strafe. Der "Kuppelei" machte sich verdächtig, wer zuließ, dass ein Mann und eine Frau sich allein in einem privaten Raum aufhielten.
Die damalige Bundesrepublik war ein ausgesprochen autoritärer Staat. Die mangelnde Befassung mit der NS-Zeit war wahrlich nicht das einzige, was den Studenten jener Jahre zu schaffen machte. Aber sie war ein Zündfunken, der die Studenten über ihre eigenen Freiheitsbedürfnisse hinaus bewegte.
Die Allianz zwischen Studenten und etablierten links-liberalen Bürgern wurde auch durch den gemeinsamen Zorn über die hanebüchen joviale Art befestigt, mit der die herrschenden Kräfte das Vergangene vergangen lassen sein wollten. In diesem Punkt waren rechtsstaatlich denkende Politiker mit den "langhaarigen Chaoten" eines Sinns.
Fritz Bauer plädierte dafür, das Morden in Auschwitz als eine Tat zu behandeln und alle, die dabei wissentlich halfen, zur Verantwortung zu ziehen. Die Ironie der Geschichte will es, dass seine Idee einige Jahre später vom Bundestag zum Gesetz gemacht wurde. Da ging es aber nicht um nationalsozialistische Massenmörder, sondern um die RAF.
Als 1985 über den Mord an Generalbundesanwalt Buback abermals verhandelt wurde, genügte es dem Gericht, dass ein Angeklagter Mitwisser war: Er wurde wegen Mordes verurteilt. Wie vielen NS-Tätern wäre das widerfahren, wenn in ihren Fällen genauso verfahren worden wäre? Im Hinblick auf die RAF ergab sich im Nu, was zuvor verhindert worden war. Das besagt einiges über den politischen Zustand der BRD in den sechziger Jahren.
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Urteil gegen SS-Mann Heinrich Boere
"Nach langer Zeit Gerechtigkeit"
Stand: 23.03.2010, 15:19 Uhr
Zu lebenslanger Haft ist der SS-Mann Heinrich Boere am Dienstag (23.03.10) verurteilt worden. Das Landgericht Aachen sprach den 88-Jährigen wegen dreifachen Mordes schuldig. Die Nebenkläger zeigten sich erleichtert. In Haft wird Boere aber wohl nicht mehr kommen.
Von Lars Hering
Nie hatte Teun de Groot (76) während der 20 Verhandlungstage die Augen von Richter Gernd Nohl abgewandt. Doch nun, beim Urteil, ist es soweit. Es ist der Moment, als der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer auf den 3. September 1944 zu sprechen kommt. Es ist der Tag, als ihm sein gleichnamiger Vater genommen wurde. Der weißhaarige Mann wirkt plötzlich starr. Er reibt sich die Augen und blickt auf den Tisch, an dem er als Nebenkläger sitzt. "Teun de Groot war ein angesehener Fahrradhändler", sagt Richter Nohl. "Er entschuldigte sich gegenüber den SS-Männern, dass er morgens um 7.30 Uhr noch nicht angezogen war. Da zog der Angeklagte seine Pistole und schoss ihn nieder." Im Gerichtssaal ist es trotz vieler Zuschauer ganz still.
Nebenkläger Teun de Groot Nebenkläger Teun de Groot
Wegen insgesamt dreier Morde verurteilte das Gericht Heinrich Boere am Dienstag (23.03.10) zu lebenslanger Haft. Es ist 11.07 Uhr, als das Urteil komplett verkündet ist. Teun de Groot wirkt erleichtert. Er nickt zustimmend mit dem Kopf und lächelt ein wenig. Der 88-jährige Angeklagte zeigt im Gegensatz zu den beiden anwesenden Kindern der Opfer in Saal A 0.020 kaum Regung. Er blickt auch nach dem Urteilsspruch wie abwesend auf den Tisch der Anklagebank.
Richter: "Was ist mit Reue und Sühne?"
Es ist genau dieses teilnahmslose Verhalten des früheren SS-Mannes der Todesschwadron "Feldmeijer", das Richter Nohl in seiner Urteilsbegründung bedauert. "Kurz vor dem Ableben möchte man doch eigentlich reinen Tisch machen. Aber das ist hier nicht geschehen." Der Angeklagte, gebürtiger Niederländer, der heute staatenlos ist, hatte nur einmal das Wort ergriffen - als er die Morde eingestand. Sonst hatte er geschwiegen. Richter Nohl: "Wie ist es, einen Angriffskrieg gegen sein eigenes Land zu unterstützen? Was ist mit Reue, Sühne, Entschuldigung oder Schuldbewusstsein? Oder ist ihm sein Fernseher und ein pünktliches Mittagessen heute wichtiger? All diese Fragen hatten wir. Der Angeklagte aber hat nichts gesagt."
Argwöhnische niederländische Medien
Viele Medien aus den Niederlanden hatten den Prozess intensiv begleitet. So intensiv, dass sogar im Gericht angefragt wurde, was die Väter der Richter im Zweiten Weltkrieg gemacht haben. Denn Heinrich Boere hatte als SS-Mann niederländische Zivilisten in den Niederlanden erschossen. Die SS richtete damals auch schon Menschen hin, denen lediglich nachgesagt werden konnte, dass sie mit dem Widerstand sympathisierten. Sie mussten als Vergeltungsaktion für Taten von Widerständlern sterben. Insgesamt kamen bei der Aktion "Silbertanne" 54 Zivilisten ums Leben. "Es war damals eine andere Zeit. Aber trotzdem bleiben es Morde durch Mörder", sagt Richter Nohl. Boere war für die drei Morde bereits durch ein holländisches Sondergericht verurteilt worden. Die Strafe hatte er aber nie verbüßt, weil er nach Deutschland fliehen konnte.
Richter: "Haftvollstreckung unwahrscheinlich"
Mit dem Urteil wird der Fall Boere nicht zu den Akten gelegt werden. Verteidiger Gordon Christiansen kündigte an, in Revision vor den Bundesgerichtshof (BGH) zu ziehen. Und ob der Mörder Boere selbst bei Misserfolg jemals in Haft kommt, ist äußerst unwahrscheinlich. "Eine Vollstreckung ist äußerst fraglich. Da sind wir nicht blauäugig. Wird Revision eingelegt, kann sich das Verfahren noch Jahre hinziehen", sagte Nohl.
Es kann vor allem deshalb noch lange dauern, bis das Urteil rechtskräftig ist, weil eine neue Norm der EU-Grundrechtscharta unter Verteidigung und Gericht äußerst umstritten war. Dabei geht es darum, ob ein Täter zweimal wegen derselben Tat verurteilt werden kann. Die alte Norm hatte besagt, dass dies möglich ist, wenn das alte Urteil nie vollstreckt wurde. Die neue Norm aber hat diese Voraussetzung nicht. Weil ein Fall nach der neuen Norm noch nie entschieden wurde, wird der BGH den Europäischen Gerichtshof um eine Entscheidung bitten müssen - und das kann dauern.
Kinder der Opfer mit Urteil zufrieden
Während vor dem Landgericht Bürger gegen Boere demonstrieren, zeigen sich im Gericht die anwesenden Kinder der Opfer mit dem Urteil zufrieden. Dolf Bicknese, Sohn des ermordeten Apothekers Fritz Hubert Bicknese, sagt: "Wir hatten immer Hoffnung. Jetzt gibt es nach so langer Zeit Gerechtigkeit." Und Teun de Groot: "Das ist ein befriedigendes Resultat." Auch Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß, der viele Nazi-Fälle bearbeitet, ist zufrieden: "Das Urteil wird uns bei der Verfolgung anderer Täter helfen, weil jetzt klar ist, wie die Voraussetzungen für Mord auszulegen sind. Außerdem erhöht das den psychischen Druck auf die Täter."
Nachtrag: Das Urteil gegen den Nazi-Verbrecher Heinrich Boere ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe habe die Revision des 89-Jährigen als unbegründet verworfen, teilte das Aachener Landgericht am Montag (20.12.10) mit.
https://www1.wdr.de/archiv/boere104.html
Ehemaliger SS-Mann gesteht (22.03.2010) | mehr
Täter ohne Reue (22.03.2010) | mehr
KZ-Wächter
Ringen um Demjanjuks Auslieferung
15.04.2009
Ein amerikanisches Berufungsgericht hat die Abschiebung des mutmaßlichen NS-Kriegsverbrechers John Demjanjuk nach Deutschland zunächst aufgehalten. Damit musste die schon begonnene Auslieferung wieder abgebrochen werden.
Gericht stoppt Auslieferung von KZ-Wächter Demjanjuk
https://www.faz.net/aktuell/videoarchiv/
Oberstaatsanwalt Maaß ermittelt gegen NS-Verbrecher
NS-Prozesse: Täter ohne Reue
Stand: 22.03.2010, 09:19 Uhr
Im Aachener Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher Heinrich Boere wird für Dienstag (23.03.10) das Urteil erwartet. Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß ermittelt seit Jahren gegen Täter aus der Nazi-Zeit - keiner von ihnen fühle sich schuldig, sagt er.
Ulrich Maaß ist Leiter der NRW-Zentralstelle für Nazi-Massenverbrechen in Dortmund. Mit Unterbrechungen sucht er seit 1979 nach Kriegsverbrechern aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch über 65 Jahre nach Kriegsende tauchen immer neue Beweise und bislang geheim gehaltene oder vergessene Akten auf. Trotzdem ist seine Arbeit als Staatsanwalt ein Wettlauf mit der Zeit: Denn die mutmaßlichen Täter sind mittlerweile sehr alt geworden. Genau wie der Angeklagte Heinrich Boere im aktuellen Prozess in Aachen.
WDR.de: Boere ist jetzt 88 Jahre alt. Ist der Prozess gegen ihn eines der letzten Verfahren gegen NS-Kriegsverbrecher?
Ulrich Maaß: Der letzte Prozess wird es nicht sein. Es gibt vier Verfahren, die zurzeit laufen oder vorbereitet werden. Seit Jahren hatten wir nicht mehr so viel, aber jetzt häuft es sich wieder. In den vergangenen Jahren sind viele Archive geöffnet worden, gerade auch in Osteuropa. Das Problem ist, dass die Zeugen sterben und die Verhandlungsfähigkeit der Beschuldigten oft in Frage gestellt wird.
WDR.de: Sie mussten im Prozess beweisen, dass der Angeklagte nicht bloß einen kleinen Rang bei der SS hatte, sondern Hauptscharführer war.
Maaß: Boere hat behauptet, er sei nie über den Dienstrang eines SS-Rottenführers hinaus gekommen. Das ist ein Rang, der dem eines Gefreiten in der Wehrmacht entsprach. Wir konnten aber ein Dokument aus den 50ern vorlegen, in dem er einen Antrag auf Erstattung erlittener Kriegsschäden stellt. Dort gibt er den Rang eines Hauptscharführers an. Das ist für einen jungen Mann ein sehr hoher Dienstgrad. Die Nebenkläger konnten zusätzlich Dokumente aus einem kleinen Archiv in den Niederlanden vorlegen. Dort waren Besoldungslisten aus der Zeit archiviert - und auch da wird Boere nach dem Rang eines Hauptscharführers besoldet. Die Ausrede, "ich war nur ein kleines Licht", zählt dann nicht mehr.
WDR.de: Sie müssen sich sehr gut mit der NS-Zeit auskennen, um einen solchen Prozess zu gewinnen. Wie sehr sind Sie mittlerweile zum Historiker geworden?
Maaß: Schon sehr. Irgendwann interessiert man sich auch privat dafür - auch wenn meine Schulnoten das nicht ausweisen. Wenn es ins Detail geht, dann sind wir aber auf die Hilfe von Sachverständigen angewiesen. Zeugen zu finden - das ist ganz schön schwierig. Im Fall Boere gibt es zum Beispiel nur einen einzigen lebenden Zeugen. Wir wissen auch, dass Boere untergetauchte Flüchtlinge ausspioniert und verraten hat ...
WDR.de: ... aber diese Taten sind längst verjährt. Sie müssen dem Angeklagten beweisen, dass er einen Mord begangen hat.
Maaß: Ein Mord-Merkmal ist Heimtücke, wenn die Arg- und Wehrlosigkeit der Opfer bewusst ausgenutzt wird. Bei den Morden, die Boere zu Last gelegt werden, war es so, dass die Mitglieder des Mordkommandos "Silbertanne" zu den Opfern gefahren sind. Dann wurde nach dem Namen gefragt. Und schon wurde geschossen. Bei einem Opfer war die Frau anwesend. Deswegen wurde dem Mann gesagt, er müsse mit auf die Polizeistation kommen, damit seine Identität überprüft werden könne. Der hat gedacht, das sei eine reine Formsache. Und unterwegs wurde dann eine Autopanne vorgetäuscht, damit man den Mann von hinten erschießen konnte.
WDR.de: Oft haben die Täter jahrzehntelang ein unbehelligtes Leben geführt. Quält diese Menschen denn kein schlechtes Gewissen?
Maaß: Meiner Erfahrung nach berufen sich die Täter darauf, dass sie auf Befehl gehandelt haben. Sie fühlen kein Unrecht - genauso wie die Mauerschützen. Die haben nicht gesehen, dass es ein allgemeingültiges Menschenrecht gibt. Ich habe es noch nie erlebt, dass einer der von mir angeklagten NS-Täter Reue gezeigt hätte. Oft sagen die Täter: "Ja klar, ich war dabei, aber nur ein ganz kleines Licht." Das müssen wir widerlegen. Viele sagen: "Ich musste den Befehl ausführen." Aber das ist ein Mythos. Manchmal heißt es auch: "Das ist doch schon so lange vorbei, was wollt ihr denn noch?" Nur einmal hat ein Mann zu mir gesagt: "Ich bin so froh, dass Sie kommen, das lastet so schwer auf meinem Gewissen." Das war aber, als ich in einer anderen Abteilung gearbeitet habe.
WDR.de: Die Menschen, die Sie anklagen, haben unvorstellbare Verbrechen begangen. Haben Sie nachts manchmal Albträume?
Maaß: Man lebt in diesen Sachen. Es sind Details, die hängen bleiben. Aussagen von KZ-Überlebenden, die uns das tägliche Leben im Lager geschildert haben. Das sind so schreckliche Dinge, die würde man auch in keinem Film zeigen.
WDR.de: Gab es in Ihrer eigenen Familie auch Wehrmachtsangehörige? Wie sind Sie damit umgegangen?
Oberstaatsanwalt Ulrich MaaßMaaß in seinem Büro in Dortmund
Maaß: Doch klar. Mein Onkel war Fallschirmjäger. Ich konnte nie mit ihm persönlich über seine Erfahrungen sprechen. Mein Vater hat ein Kriegstagebuch geführt. Aber da steht nicht viel drin. Das waren beides Männer, die nicht viel erzählt haben. Mein Vater hat nur einmal berichtet, dass er fünf russische Panzer abgeschossen hätte. Und die Besatzung. Das zählt nicht als Kriegsverbrechen. Ich bin da nicht stolz drauf. Mir tun diese Typen leid. Viele sind absolut widerwillig zur Wehrmacht gegangen. Ich denke oft an die minus 30 Grad in Stalingrad, aber dann denke ich auch daran, wie Menschen in Güterwagen bei den gleichen Temperaturen ins KZ verschleppt wurden. Ich habe meinen Job dann gemacht, wenn die Verantwortlichen endlich bestraft werden.
Das Interview führte Katrin Schlusen.
Ehemaliger SS-Mann gesteht (08.12.2009) | mehr
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Prozess 65 Jahre nach drei Morden
Aachen: Ehemaliger SS-Mann gesteht
Stand: 08.12.2009, 15:38 Uhr
Der frühere SS-Mann Heinrich Boere hat vor dem Aachener Landgericht gestanden, 1944 in den Niederlanden drei Zivilisten getötet zu haben. Er habe nicht mit dem Bewusstsein gehandelt, ein Verbrechen zu begehen, so der 88-Jährige.
In einer von seinem Verteidiger am Dienstag (08.12.09) vorgelesenen Erklärung hieß es wörtlich: "Ich habe 1944 zu keinem Zeitpunkt mit dem Bewusstsein oder mit dem Gefühl gehandelt, ein Verbrechen zu begehen. Heute nach 65 Jahren sehe ich das natürlich aus anderem Blickwinkel." In der Erklärung schilderte der Angeklagte, wie er mit einem Komplizen drei vermeintliche Widerstandskämpfer erschoss. Damals habe er die "Repressalmaßnahmen" als notwendig und rechtens erachtet. "Als einfacher Soldat habe ich gelernt, Befehle auszuführen."
Gericht lehnt Anträge auf Prozess-Einstellung ab
Boere, der 1944 in den Niederlanden drei Zivilisten ermordet haben soll, war 1949 bereits in Amsterdam in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Später wurde die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Diese hatte der SS-Mann jedoch nie verbüßt. Er war vor dem Prozess in die Bundesrepublik geflüchtet. Das holländische Urteil nahm die Verteidigung Broeres gleich zweimal zum Anlass, die Einstellung des Verfahrens zu beantragen. Sie berief sich jeweils darauf, dass niemand wegen derselben Straftat zweimal verurteilt werden darf. Das Gericht lehnte beide Anträge ab.
Zum Zeitpunkt des ersten Antrags am Prozessbeginn gab es laut einem Aachener Gerichtssprecher noch einen sogenannten Vollstreckungsvorbehalt. Da Boere zwar verurteilt war, seine Strafe aber nie angetreten habe, musste er in Aachen vor Gericht. Seither hatte sich indes nach Ansicht der Verteidigung die Rechtslage geändert, da die seit 1. Dezember 2009 geltende Europäischen Grundrechte-Charta keinen expliziten Vollstreckungsvorbehalt mehr vorsieht. Ihr zweiter Antrag auf Einstellung scheiterte nun am Dienstag, weil die Kammer keine neue Rechtslage feststellte, so der Sprecher gegenüber WDR.de.
Mitglied des SS-Sonderkommandos "Feldmeijer"
Unstrittig ist die Vergangenheit des Angeklagten als SS-Mann. Der Sohn einer Deutschen und eines Holländers war 1940 im Alter von 18 Jahren freiwillig der Waffen-SS in Deutschland beigetreten. Später wurde er in die besetzten Niederlande zur dortigen "Germanischen SS" abkommandiert. Ab 1942 gehörte er dem SS-Sonderkommando "Feldmeijer" - benannt nach dem niederländischen faschistischen Politiker und Waffen-SS-Angehörigen Johannes Hendrik Feldmeijer - an. Dieses Sonderkommando war mit der Durchführung der so genannten "Silbertanne"-Morde betraut. Unter diesem Decknamen wurden nach Anschlägen niederländischer Widerstandskämpfer Vergeltungsmorde an Zivilisten verübt, wenn diesen nachgesagt werden konnte, dass sie mit Widerstandskämpfern sympathisierten. 54 Menschen verloren dabei ihr Leben. Der Angeklagte soll an dreien dieser Morde beteiligt gewesen sein, nämlich am 14. Juli 1944 in Breda und am 3. September 1944 in Voorschoten und Wassenaar.
Bürgerliche Existenz als Bergmann
Waffen-SS Mitglieder stehen vor einem Panzer bei CaenHistorisches Bild: Waffen-SS vor Panzer
Nach Kriegsende konnte der SS-Mann zwar festgenommen werden, doch 1947 gelang ihm aus dem Polizeigewahrsam die Flucht. In den 50er Jahren baute er sich unbehelligt in Deutschland eine bürgerliche Existenz als Bergmann auf. Heute lebt er in einem Altenheim bei Aachen.
Lange Zeit gab es ein juristisches Tauziehen zwischen deutschen und niederländischen Behörden. Die Niederlande forderten Anfang der 80er Jahre die Auslieferung des Mannes, doch Deutschland weigerte sich mit Hinweis darauf, dass er als staatenlos galt und es nicht auszuschließen sei, dass er durch seinen Eintritt in die Waffen-SS die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt haben könnte. Peter Romijn, Professor für Geschichte und Forschungsleiter des niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation in Amsterdam, erklärte gegenüber WDR.de: "1943 gab es einen Führererlass, dass ausländische Freiwillige durch Zugehörigkeit zur SS Deutsche werden durften. Viele später nach Deutschland Geflüchtete haben sich darauf berufen und konnten deshalb nicht ausgeliefert werden." Staatenlos war der Angeklagte deshalb, weil ein niederländisches Gesetz nach dem Krieg vorschrieb, dass jeder Kollaborateur, wie etwa die rund 65.000 Mitglieder der niederländischen Nazi-Partei NSB (Nationaal-Socialistische Beweging), seine holländische Staatsangehörigkeit verlor.
"Verbrechen müssen gesühnt werden"
Wie viele holländische Nazis damals nach Deutschland flüchteten, ist nicht bekannt. Historiker wie Professor Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Uni Münster, gehen aber von tausenden holländischen Nazis aus, die nach Kriegsende unerkannt und unbehelligt in Deutschland weiterlebten. Wie war das möglich? "Damals fragte keiner nach der Vergangenheit. Es hat ja schon immer viele Niederländer in Deutschland gegeben. Deshalb gab es auch kein Misstrauen", sagte Wielenga auf Nachfrage von WDR.de. Und Gerhard Hirschfeld, Direktor der Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart, erklärte: "In den 50er und 60er Jahren wurde oft nur zugunsten solcher Angeklagter Recht gesprochen." Gerade deshalb sei ein Prozess heute umso wichtiger: "Die großen Verantwortlichen sind längst tot, heute geht es um Täter aus dem zweiten und dritten Glied. Aber Prozesse sind wichtig, damit die Menschen heute informiert werden, was damals wirklich geschehen ist. Solche Verbrechen dürfen nicht verjähren, sie müssen gesühnt werden", forderte Hirschfeld gegenüber WDR.de.
Erst mit dem neuen EU-Recht kam die Anklage
Gegen den SS-Mann wurde erst Anfang der 80er Jahre auch in Deutschland ermittelt. Doch ein Ermittlungsverfahren wurde damals von der Staatsanwaltschaft wieder eingestellt. Sie stufte sein Handeln als nicht völkerrechtswidrig ein, zudem habe er nur auf Befehl gehandelt.
Seit 2003 gibt es die Möglichkeit, Haftstrafen anderer EU-Länder auch in Deutschland zu vollstrecken. Das niederländische Justizministerium stellte einen solchen Antrag. Der Dortmunder Oberstaatsanwalt der Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen Ulrich Maaß bewertete die Taten als Morde und erhob 2007 Anklage. Das Landgericht Aachen (07.01.09) erklärte den SS-Mann zwar wegen Herzbeschwerden als zu krank, als dass gegen ihn verhandelt werden könne. Doch das Oberlandesgericht Köln (07.07.2009) und das Bundesverfassungsgericht (08.10.2009) erklärten ihn als verhandlungsfähig.
https://www1.wdr.de/archiv/jahresrueckblick/boere102.html
Täter ohne Reue (22.03.2010) | mehr
"Nach langer Zeit Gerechtigkeit" (23.03.2010) | mehr
Kaum Strafverfolgung von NS-Kriegsverbrechern
Aus: "Westfälischer Anzeiger" (WA), 30. 6. 2007
Kaum Strafverfolgung von NS-Kriegsverbrechern Die Arbeit der "Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" soll eine Erfolgsgeschichte sein? Fragt sich nur für wen.
"Nie zuvor hat sich eine Nation so lange mit solchen Verbrechen auseinandergesetzt"? 1996 meldeten auf der ganzen Welt die Zeitungen das Unfassbare: In genau dieser "Zentralstelle" arbeiteten noch bis in die 70er Jahre hinein acht Behördenleiter, die während der NS-Zeit Mitglied der NSDAP oder ihr angeschlossenen Organisationen waren – und sabotierten (beispielsweise im Fall Priebke) die Verfolgung ihrer mörderischen ehemaligen Gesinnungsgenossen!
Wenn jetzt, wo fast alle NS-Verbrecher gestorben sind, von dieser Behörde Aktivität demonstriert und diese Skandale auch noch als "Erfolgsgeschichte" verkauft werden, ist dies eine Verhöhnung der Millionen Opfer und ihrer Angehörigen. Widerlich.
Anmerkung
Dieser Leserbrief war eine Reaktion auf den WA-Artikel "Hoffen auf Zufälle" vom 27. Juni 2007.
In dem Artikel "Die schreckliche deutsche Normalität. Am Beispiel der Kriegsverbrecher Priebke und Kappler" schrieb ich zum Thema Strafvefolgung von NS-Kriegsverbrechern:
"In der BRD wurde nach 1945 eine besondere Behörde geschaffen, um NS-Kriegsverbrechen zu ahnden: Die "Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" in Dortmund. Diese "bearbeitete" den Fall Priebke in den Jahren 1963 bis 1971 allerdings auf ihre ganz eigene Weise. Die ebenfalls in Dortmund vorliegenden italienischen Justizdokumente, die Priebkes Vorgesetzten Herbert Kappler des Mordes schwer belasteten, wurden nicht übersetzt und verschwanden in der Ablage. (...) Erst 1996 kam ans Licht, dass viele der zur Verfolgung von NS-Verbrechen angesetzten Staatsanwälte in NRW früher selbst der NSDAP oder den ihr angeschlossenen Organisationen angehörten. Der im Fall Priebke von 1964 bis 1973 zuständige Generalstaatsanwalt war vor 1945 selbst Mitglied der NSDAP, der SA, des NS-Studentenbundes und des NSRB."
https://www.machtvonunten.de/
Weitere Infos:
https://www.machtvonunten.de/
Priebke-Verfahren
NS-Freunde stellten es ein
31.08.1996 Lesedauer: 1 Min.
Düsseldorf (Reuter/ND). Für die Einstellung des Verfahrens gegen den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Erich Priebke in Deutschland sind nach amtlichen Angaben ehemalige Gesinnungsgenossen Priebkes verantwortlich gewesen. Nordrhein-Westfalens Justizminister Fritz Behrens sagte vor dem Rechtsausschuß des Landtages am Freitag in Düsseldorf, Ex-Mitglieder von NS-Organisationen hätten 1971 an der »fehlerhaften« Einstellung des Verfahrens entscheidend mitgewirkt. Sie hätten bei der Dortmunder Zentralstelle für die Ermittlung von NS-Verbrechen und der der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Hamm Posten bekleidet.
Behrens kündigte ein Gutachten zu dem Fall an. Bei der Justizakademie Recklinghausen solle im kommenden Jahr ein Staatsanwalt die Umstände der Einstellung des Priebke-Verfahrens genau untersuchen, sagte Behrens.
https://www.nd-aktuell.de/
NS-VERBRECHEN
Schneller Abschub
Fast vierzig Jahre danach macht die westdeutsche Justiz den Organisatoren der Judenverschleppung in Frankreich den Prozeß. Unter den Opfern waren Tausende von Kindern.
16.09.1979, 13.00 Uhr • aus DER SPIEGEL 38/1979
Sie wurden nachts aus ihren Wohnungen geholt und im Pariser »Winterstadion« zusammengetrieben: 7000 Menschen, darunter 4051 Kinder, mußten sich fünf Tage lang zehn Latrinen teilen. Einige wurden irrsinnig. Zwei Ärzte gab es und als Wasserquelle einen einzigen Hydranten. Dreißig Juden starben noch im Stadion, ehe die übrigen, in Viehwaggons eingepfercht, nach Auschwitz in die Gaskammern transportiert wurden.
Was damals, im Juli 1942, geschah, steht erst jetzt zur strafrechtlichen Aufarbeitung an. Die 15. Große Strafkammer des Landgerichts Köln hat beschlossen, drei Deutschen im Oktober den Prozeß zu machen, die damals den Judenabschub aus Frankreich während des Krieges mit organisierten. Sie werden beschuldigt, zur »grausam, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Tötung von Menschen« in Zehntausenden von Fällen »vorsätzlich Hilfe geleistet zu haben«.
Es waren allesamt SS-Männer:
‣ der heutige CSU-Bürgermeister von Bürgstadt in Bayern und Abgeordnete des Kreistags von Miltenberg, Ernst Heinrichsohn, 59, im Kriege als SS-Unterscharführer Sachbearbeiter im Judenreferat des Befehlshabers der Sicherheitspolizei (Sipo) und des SD in Paris, zugleich Mitglied des »Aktionsausschusses für die Judentransporte aus Frankreich«;
‣ der vor drei Jahren in Rente gegangene Kölner Prokurist und Samengroßhändler Kurt Lischka, 70, einst Obersturmbannführer? Stellvertretender Befehlshaber der Sipo und des SD in Frankreich und Kommandeur der Sipo in Paris;
‣ der Sturmbannführer a. D. Herbert Martin Hagen, 65, heute Geschäftsführer einer Maschinenfabrik im sauerländischen Warstein, damals persönlicher Referent des Höheren SS- und Polizeiführers für Nordfrankreich und Belgien.
Alle drei sind Akademiker. Keiner von ihnen ist flüchtig. Zwei aus dem Trio, Hagen und Heinrichsohn, nahmen sich SS-Sekretärinnen aus ihren Pariser Dienststellen zur Frau. Und alle drei wollen keine Ahnung von dem späteren Schicksal jener Juden gehabt haben, die sie in Güterzügen zu je tausend Opfern nach Auschwitz verfrachten halfen.
Die Notwendigkeit für Richter und Staatsanwälte, ihnen dieses mit Hilfe akribischer Aktenforschung zu widerlegen, ist nur einer der Gründe, weshalb 34 Jahre nach Kriegsschluß über die Greueltaten der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich verhandelt werden muß. Internationale Verträge, die jahrelang die Strafverfolgung lahmlegten, dazu ministerieller Schlendrian und politisches Desinteresse taten ein übriges zur zögerlichen Behandlung.
Zumindest Kurt Lischka und Herbert Hagen wurden nach dem Kriege in Abwesenheit von französischen Militärgerichten zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Über die Tatsache der Verurteilung auch Heinrichsohns sind sich die Juristen, bestimmter Identifizierungsschwierigkeiten wegen, nicht einig.
Die deutsche Justiz durfte aufgrund der Pariser Verträge von 1954 viele Jahre hindurch keinen bereits einmal von Alliierten abgeurteilten NS-Verbrecher verfolgen. Der Artikel 16 des Grundgesetzes schützt zudem jeden Deutschen vor Auslieferung. Erst ein 1971 unterzeichnetes Zusatzabkommen zwischen Deutschland und Frankreich eröffnete deutschen Staatsanwälten die Möglichkeit, ein Strafverfahren gegen »Lischka und andere« zu betreiben.
Doch mit der Ratifizierung des Abkommens hatte man es in Bonn nicht eilig. Zwei Jahre vergingen bis zur ersten Lesung im Bundestag, noch einmal zwei Jahre schmorte das Vertragswerk im Auswärtigen Ausschuß. Erst 1975 billigte der Bundestag das Abkommen, gegen die Stimmen der CDU/CSU, und die Staatsanwälte konnten tätig werden.
Die französische Justizverwaltung und das »Dokumentationszentrum für Jüdische Zeitgeschichte« in Paris arbeiteten den deutschen Strafverfolgern zur Hand. Der Pariser Advokat Serge Klarsfeld, mit seiner Ehefrau Beate nimmermüder Aufklärer für die »Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus«, trieb auch die letzten noch erreichbaren Zeugnisse aus der Zeit der französischen Juden-Deportationen auf.
Die deutschen Ermittlungen liefen bei der Kölner »Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Konzentrationslagern« zusammen. Den Ermittlern erschloß sich bis ins Detail der bürokratisch geregelte Ablauf der Judenverfolgung, doch »einen Angehörigen der deutschen Dienststelle in Paris, der uns eingestanden hätte, über das Schicksal der Juden informiert gewesen zu sein, konnten wir nicht ermitteln« - so Staatsanwalt Rudolf Holtfort, der im Sommer vergangenen Jahres die Anklageschrift formulierte.
Zwei der Pariser SS-Leute, die der Beihilfe zum Mord angeklagt sind, hatten sich im Hitler-Reich freilich schon von Anfang an und an höchster Stelle als Juden-Spezialisten hervorgetan. Gemeinsam mit Adolf Eichmann, dem späteren Organisator der Judenvernichtung in Europa, saß Herbert Hagen bereits 1936 im Judenreferat II 112 des Himmlerschen SD-Hauptamtes. 1937 stieg er zum Leiter dieses Referats auf.
Um die gleiche Zeit diente der SS-Mann Kurt Lischka, seit 1935 bei der Gestapo aktiv, im Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin neben dem Referenten Heinrich Müller ("Gestapo-Müller") als Hilfsreferent in der Abteilung II B (Konfessionen, Juden, Freimaurer, Emigranten und Pazifisten). 1939 übernahm er in Berlin die Leitung der »Reichszentrale für die jüdische Auswanderung«.
Als Anfang 1940 alle antijüdischen Aktivitäten von Gestapo und SD im neugeschaffenen Reichssicherheitshauptamt (RSHA) als Dienststelle IV D 4 (später IV B 4), unter Führung Adolf Eichmanns, zusammengelegt wurden, war Hagen Chef des Referats H 2 (Sachgebiet Judentum und Antisemitismus) in der RSHA-Abteilung VI (Weltanschauliche Forschung). Im Juni 1940 wurde er ins besetzte Paris abbeordert. Lischka, seit Anfang 1940 Gestapo-Chef in Köln, folgte ihm im Herbst nach - zusammen mit Ernst Heinrichsohn, der kurz zuvor zum RSHA dienstverpflichtet worden war.
Um jene Zeit liebäugelten RSHA-Chef Heydrich und sein Juden-Referent Eichmann noch mit dem ihnen vom Auswärtigen Amt nahegelegten Plan, die Juden aus ganz Europa auf die Insel Madagaskar zu evakuieren. Ein Jahr danach lag dieses Vorhaben wieder bei den Akten, statt dessen wurden in Auschwitz und anderen Lagern die ersten Vorbereitungen für Massentötungen getroffen.
Das Protokoll der »Wannsee-Konferenz« vom 20. Januar 1942, an der alle mit Judenfragen befaßten deutschen Dienststellen teilnahmen, blieb vorerst »Geheime Reichssache": Die »arbeitsfähigen Juden« sollten sich im Osten »straßenbauend« betätigen, wobei »ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen« sollte; der »allfällig verbleibende Restbestand«, somit der »widerstandsfähigste Teil«, sollte »entsprechend behandelt« werden.
Die greuliche Wortklauberei tat sich den SS-Zentralen in den besetzten Westgebieten schlicht als »Transport zum Arbeitseinsatz« dar. In Frankreich saßen um diese Zeit bereits tausend Juden ein, die im Dezember 1941 im Verlaufe von »Sühneaktionen« verhaftet worden waren. Kurt Lischka, stellvertretender Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Frankreich, fühlte sich Anfang 1942 dieser tausend Geiseln wegen belästigt. In einem Geheim-Fernschreiben an das Reichssicherheitshauptamt vom 26. Februar 1942 forderte er:
Im Interesse der Stärkung der deutschen Autorität im besetzten Gebiet ist ein möglichst schneller Abschub der im Zuge der Aktion vom 12. 12. 1941 verhafteten 1000 Juden dringend erforderlich. Abgesehen davon, daß die hiesige Dienststelle und der Kommandant von Groß-Paris durch unzählige Eingaben für die Befreiung dieser Juden belästigt werden, ist festzustellen, daß französischerseits der bisher noch nicht erfolgte Abschub als deutsche Schwäche ausgelegt wird.
Vier Wochen später wurden die tausend Verhafteten nach Auschwitz gebracht.
Im gleichen Monat wurde beim RSHA der Abtransport weiterer 5000 inzwischen festgenommener Juden aus Frankreich beschlossen, wobei nach einer Anordnung aus Berlin »zunächst männliche« und »arbeitsfähige Juden« von »nicht über 55 Jahren« sowie »höchstens fünf Prozent Frauen« ausgesucht werden sollten.
Schwierigkeiten sahen die SS-Besatzer allenfalls bei der Beschaffung von Transportmitteln, und auch das nur anfänglich. Der Leiter des Judenamtes beim Sipo- und SD-Befehlshaber in Paris, der SS-Hauptsturmführer Theodor Dannecker*, der schon 1937 mit Herbert Hagen und Adolf Eichmann in der Judenabteilung II 112 des SD-Hauptamtes einschlägig kollaboriert hatte, löste das Problem im Mai 1942 durch einen Besuch beim Chef der Heeres-Eisenbahntransportabteilung in Paris, Generalleutnant Kohl. Über die Begegnung vermerkte Dannecker:
In der eineinviertel Stunden dauernden Unterredung habe ich dem General einen Überblick über Judenfragen und Judenpolitik in Frankreich gegeben. Dabei konnte ich feststellen, daß er ein kompromißloser Judengegner ist und einer Endlösung der Judenfrage mit dem Ziel restloser Vernichtung des Gegners hundertprozentig zustimmt.
Schließlich zitierte Dannecker, was der General zugesichert hatte: »Wenn Sie mir sagen, ich will 10 000 oder 20 000 Juden aus Frankreich nach dem Osten abtransportieren, so können Sie in jedem Fall damit rechnen, daß ich das nötige rollende Material und die Lokomotiven zur Verfügung stelle.«
Den Vermerk leitete er nicht nur dem Sipo- und SD-Befehlshaber SS-Standartenführer Helmut Knochen**, sondern ebenso dessen Vize Obersturmbannführer Kurt Lischka mit der Bitte um Kenntnisnahme« zu. Und Lischka, dem - ebenso wie Hagen und Heinrichsohn - von einer physischen Vernichtung der Juden während seiner Frankreich-Zeit nie etwas geschwant haben will, meldete den Coup mit Kohl unter dem 15. Mai 1942 per FS ans Reichssicherheitshauptamt weiter: Kohl, der »absoluter Judengegner« sei, schrieb er, werde nunmehr jedwedes Transportmaterial organisieren. Und:
Da weitere Judenrazzien erforderlich sind, jedoch nur eine beschränkte Anzahl von Lagern zur Verfügung steht, wäre ich zunächst für umgehende Abnahme von 5000 Juden dankbar.
Im Monat darauf verließen vier Züge mit 4000 Juden das französische Durchgangslager Drancy in Richtung Auschwitz. Bis Anfang Juni hatte weiterhin die Regel gegolten, daß »nur arbeitsfähige Juden, vorwiegend Männer, höchstens fünf Prozent Frauen, keine Kinder« abgeschoben werden durften.
Doch als Mitte Juni auf einer Sitzung im RSHA beschlossen wurde, »aus Frankreich einschl. unbesetztes Gebiet insgesamt 100 000 Juden« abzutransportieren, wurde die Auswahlformel das erstemal durchlöchert. Laut einem Vermerk des Pariser Judenreferenten Dannecker, der an der Konferenz in Berlin teilgenommen hatte, durften von da an »Juden beiderlei Geschlechts« deportiert werden, und: »Zehn Prozent nicht arbeitsfähige Juden können mitgeschickt werden.«
Lischka versah den Vermerk mit seiner Paraphe, und der Sturmbannführer Herbert Hagen, mittlerweile als persönlicher Referent des gleichfalls in der Pariser Avenue Foch residierenden Höheren SS- und Polizeiführers (HSSPF) Karl Oberg tätig, notierte handschriftlich auf dem Papier: »HSSPF Oberg hat Kenntnis.«
Am 1. Juli 1942 kamen Dannecker und Eichmann in Paris dann überein, »daß das bisher vorgesehene Tempo (3 Transporte zu je 1000 Juden wöchentlich) in Zeitkürze bedeutend gesteigert werden muß, mit dem Ziel der ehebaldigsten restlosen Freimachung Frankreichs von Juden«.
Schon eine Woche später beriet ein »Aktionsausschuß« die Einzelheiten einer kurzfristig angesetzten Großrazzia in und um Paris. Erschienen waren neun Beamte der noch halbwegs intakten französischen Polizei und auf deutscher Seite der Judenreferent Dannecker und dessen Sachbearbeiter SS-Unterscharführer Ernst Heinrichsohn, der heute, inzwischen CSU-Offizieller in Bayern, von sich behauptet, er habe während seiner Pariser Jahre lediglich »in untergeordneter Stellung Bürotätigkeiten« ausgeübt.
Im Morgengrauen des 16. Juli sollten, so wurde beschlossen, in Groß-Paris 22 000 Juden aus ihren Betten heraus verhaftet und in das »Velodrome a hiver«, ein Sportstadion am Boulevard de Grenelle, gebracht werden. Ob arbeitsfähig oder nicht, spielte nun keine Rolle mehr, bindend war nur noch die Altersgrenze »16 bis 50 Jahre«. Juden unter 16 waren nach dem Einsatzplan gesondert zu behandeln: »Zurückbleibende Kinder werden gleichfalls an einem gemeinsamen Platz gesammelt und anschließend von der Union der Juden in Frankreich übernommen und in Kinderheime überführt.«
Zwei Tage dauerte die Razzia am 16. und 17. Juli. Am Ende waren statt der 22 000 nur 12 884 Juden gefaßt, darunter knapp 6000 Frauen und 4051 Kinder. 6000 erwachsene Juden wurden noch während der Aktion in das Lager Drancy gebracht, der Rest, darunter alle Kinder, im »Winterstadion« eingesperrt. Und schon am 17. Juli erwies sich der Plan mit dem Abtransport der Kinder in Heime als überholt.
Während einer Besprechung im Pariser Judenreferat am 17. Juli eröffneten Sturmbannführer Hagen und Hauptsturmführer Dannecker den Franzosen die neue Lage: »Die Judenkinder werden zunächst nicht von ihren Eltern getrennt, sondern zusammen mit diesen in die Lager Pithiviers und Beaune-la-Rolande transportiert.«
Währenddessen wurde die Sprache unter den Angehörigen der SS-Dienststellen in Paris eindeutig. In einem Bericht über eine Besichtigungsfahrt durch mehrere Judenlager im unbesetzten Frankreich, an der außer ihm nur noch Ernst Heinrichsohn teilgenommen hatte, zitierte Judenreferatschef Dannecker am 20. Juli 1942 Äußerungen eines Lagerleiters in Les Milles über Auswanderungsaktionen zugunsten französischer Juden:
Er stellte fest, daß die jüdische Auswanderungsorganisation »Hicem« bei vorhandenen Schiffspassagen jede Summe bezahlt, um Juden die Auswanderung zu ermöglichen. Dies ist ein Beweis dafür, daß das Weltjudentum sich darüber klar ist, daß die im deutschen Machtbereich befindlichen Juden ihrer restlosen Vernichtung entgegengehen.
»Mit der Bitte um Kenntnisnahme« ging der Bericht auch an den SS-Obersturmbannführer Lischka, der ihn mit seinem Handzeichen versah. Ein Durchschlag wanderte an den Höheren SS- und Polizeiführer (Persönlicher Referent: Herbert Hagen), und am Rande trug das Papier die Verfügung Danneckers: »H. Heinrichsohn zum Vorgang Abtransporte.«
Derweil bewegte sich alle zwei Tage ein Zug mit je tausend Juden vom Abschublager Drancy nach Auschwitz. Als Drancy sich schließlich leerte, mußten auch die Juden aus den in der Nähe von Orleans gelegenen Lagern Pithiviers und Beaune-la-Rolande die Sachen packen - ohne ihre Kinder.
In Kürze könnten auch »Kindertransporte rollen«, kündigte der Berliner »Endlösungs«-Organisator Adolf Eichmann, selbst Vater von drei kleinen Söhnen, in der zweiten Julihälfte telephonisch an. Und der SS-Obersturmführer Franz Nowak aus Eichmanns Dienststelle fügte hinzu, daß in Bälde auch »Juden aller Art, auch arbeitsunfähige und alte Juden« verschickt werden könnten.
Erst einmal aber wurden die Züge nur mit Vätern und Müttern aus Pithiviers und Beaune-la-Rolande gefüllt. Am 30. Juli diktierte Ernst Heinrichsohn eine Anweisung an das SD-Kommando in Orleans, die der stellvertretende Judenreferent Heinz Röthke unterzeichnete***:
Kinder sind diesen Transporten noch nicht beizugeben. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt gesondert abtransportiert. Etwaige erforderliche Trennungen zwischen Eltern und Kindern im Zuge des Abtransportes der Erwachsenen sind jetzt durchzuführen.
Die Verlade-Kommandos erzählten es den Eltern und die Eltern den weinenden Kindern: In Heimen und Waisenhäusern werde fürs erste für die Jüngsten gesorgt. Deren Eltern waren indessen schon zu einem großen Teil den Auschwitzer Mördern zum Opfer gefallen, als am 13. August 1942 beim Sipo- und SD-Befehlshaber in Paris ein dringendes Geheim-Fernschreiben vom RSHA aus Berlin einging:
Die in den Lagern Pithiviers und Beaunela-Rolande untergebrachten jüdischen Kinder können nach und nach auf die vorgesehenen Transporte nach Auschwitz aufgeteilt werden. Geschlossene Kindertransporte sind jedoch keinesfalls auf den Weg zu bringen.
SS-Obersturmführer Röthke, gerade dabei, Dannecker auf dem Posten des Pariser Judenreferenten abzulösen, zeichnete das Fernsehreiben ab, mit dem Randvermerk: »H. Heinrichsohn zum Vorgang Abtransport nehmen.«
Am gleichen Tage noch zitierten Röthke und Dannecker den Generaldelegierten der französischen Polizei im besetzten Frankreich, Jean Leguay, zu sich, um das weitere Vorgehen festzulegen. Aus dem unbesetzten Gebiet eintreffende Juden, so protokollierte Röthke hinterher, »werden in Drancy mit Judenkindern, die sich z. Zt. noch in Pithiviers und Beaune-la-Rolande befinden, vermischt werden in der Weise, daß auf 700, mindestens jedoch 500 erwachsene Juden 300 bis 500 Judenkinder zugeteilt werden«. Lischka versah den Röthke-Vermerk mit seiner Paraphe, eine Kopie gelangte an »SS-Sturmbannführer Hagen, mit der Bitte, gegebenenfalls den Höheren SS- und Polizeiführer zu unterrichten«.
Am folgenden Tag schon verließ der erste Misch-Transport den Abgangsbahnhof Le Bourget-Drancy. Am 16. August trafen die Waggons in Auschwitz ein, und in den Unterlagen des Staatlichen Museums in Auschwitz ist unter diesem Tag zu lesen:
RSHA-Transport aus dem Lager Drancy: 991 Juden. Die Mehrzahl dieses Transportes bestand aus Frauen und Kindern. Nach der Selektion lieferte man 115 Männer als Häftlinge ins Lager ein, sie bekamen die Nummern 59 229-59 343. Die restlichen 876 Personen wurden vergast.
In Abständen von 48 Stunden folgten auch die restlichen Kinder aus dem »Winterstadion« ihren Eltern in die Todeskammern. Eine Überlebende von Drancy, Marie Husson aus Paris, erinnert sich nur noch mit Schaudern:
Während meiner Zeit im Lager wurden mehr als 3000 Kinder nach der Deportation ihrer Eltern in Viehwagen verladen und nach Auschwitz abtransportiert. Nie habe ich ihren erbärmlichen Zustand vergessen können. Ich habe auch den Sadismus und die Brutalität des SS-Heinrichsohn nicht vergessen, wie er sich in diesem Alptraum-Milieu bewegte, schreiend, diese armen Kinder ebenso terrorisierend wie diejenigen, die wie ich auf sie aufpaßten.
Heute lehnt Kurt Lischka den Kölner Staatsanwälten und Richtern gegenüber jede Aussage ab. Auch Herbert Hagen schwieg bislang im Kölner Verfahren zu den Ereignissen im »Winterstadion«. Auf die Frage, welchen anderen Sinn als den ihrer Tötung der Abtransport gerade der den Eltern entrissenen Kinder nach Auschwitz denn gehabt haben sollte, wußte nur Ernst Heinrichsohn eine Antwort: Das alles, habe er damals seinen Vorgesetzten geglaubt, sei zum Zwecke einer »Familienzusammenführung« geschehen.
Auch seine Stippvisiten im Abgangslager Drancy möchte der CSU-Mann in einem anderen Licht betrachtet wissen. »Anlaß zu meinen Besuchen im Lager«, sagt er, »waren stets Beschwerden von Lagerinsassen über schlechte Behandlung oder Verpflegung.«
* Dannecker ist 1945 verstorben.
** Dr. phil. Helmut Knochen wurde 1954 von einem französischen Militärgericht in Paris in Anwesenheit zum Tode verurteilt, später zu lebenslanger Freiheitsstrafe begnadigt und nach rund zwölf Jahren Haft in die Bundesrepublik entlassen. Er lebt heute, 69jährig, in Offenbach.
*** Röthke ist 1968 während des Vorermittlungsverfahrens verstorben.
https://www.spiegel.de/
Karl Schulz (Kriminalbeamter)
Karl Friedrich Gustav Schulz (* 12. Juli 1908 in Magdeburg; † 18. April 1988 in Bremen) war ein deutscher Polizeibeamter. Während des Nationalsozialismus machte er sich einen Namen als Ermittler gegen Geldfälscher, Wirtschaftskriminalität und Korruption. Er leitete im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) die Gruppe Wirtschaft im Amt V (Verbrechensbekämpfung). Als der Chef des Amtes V, Arthur Nebe, im Juni 1941 das Kommando über eine Einsatzgruppe in den besetzten Gebieten der Sowjetunion übernahm, begleitete ihn Schulz als Adjutant. Nicht zuletzt auf Grund seiner guten Vorkriegskontakte zur britischen Kriminalpolizei wurde Schulz nach dem Zweiten Weltkrieg trotz seines hohen SS-Dienstgrades wieder im Polizeidienst beschäftigt. 1952 übernahm er die Leitung des Landeskriminalamtes Bremen, die er bis zu seiner Pensionierung 1968 innehatte. Diverse Ermittlungsverfahren gegen Schulz wurden eingestellt, weil ihm keine schuldhafte Beteiligung an den Massenverbrechen der Einsatzgruppen nachgewiesen werden konnte.
Im Zuge der Ermittlungen gegen Angehörige der Einsatzgruppen wurde gegen Ende der 1950er Jahre auch gegen Schulz ermittelt. So wurde er bei den Voruntersuchungen zum Verfahren gegen Widmann als Beschuldigter geführt. Der Generalstaatsanwalt von Bremen, Hanns Dünnebier, zog am 22. Dezember 1959 die Ermittlungen an sich und gab sie an die Zweigstelle des Landgerichts nach Bremerhaven ab.[14] Schulz wurde am 1. August 1958 im Verfahren gegen Otto Bradfisch und am 9. März 1959 im Verfahren gegen Widmann als Zeuge vernommen. Da kein Zeuge seine Anwesenheit am Tatort bestätigte, stellte die Staatsanwaltschaft Bremerhaven am 18. Juli 1960 das Verfahren gegen Schulz ein, da eine strafbare Beteiligung an den Verbrechen der Einsatzgruppe B nicht zu beweisen sei. In weiteren Verfahren wurde Schulz vernommen, etwa im Verfahren gegen Hans Battista im November 1962 in Wien. Bei Zeugenterminen in seinen Ermittlungsverfahren meldete er sich in Bremen krank.[3] Ein Verfahren der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen in Dortmund wurde am 18. März 1965 aus Mangel an Beweisen eingestellt, ein weiteres am 1. Februar 1971 mangels hinreichenden Tatverdachts. Das Landgericht Hamburg stellte am 14. August 1978 ein Verfahren wegen mangelnden Beweisen ein und sah am 19. September 1979 wegen Strafverjährung von einer Anklageerhebung ab.[15]
https://de.wikipedia.org/
USA verwiesen KZ-Wächter Martin Hartmann des Landes
17. DEZEMBER 2007 · 4:25
Weil der heute 88jährige Martin Hartmann bei seiner Einreise in die USA seine Mitgliedschaft in der SS verschwiegen hatte, wurde dieser nach zweijährigen Ermittlungen von den US-Behörden vor die Tür gesetzt. Hartmann hat zugesichert die USA nie mehr zu betreten und mittlerweile seine Reise gen Deutschland angetreten.
Die Ruhe, die sich der frühere KZ-Wächter Martin Hartmann in den USA gönnte, hat nach 52 Jahren überraschend ein Ende genommen. Seine ehemalige Mitgliedschaft in einem SS-Wachregiment des KZ Sachsenhausen hatte die US-amerikanischen Behörden veranlasst, dem gebürtigen Rumänen Martin Hartmann die 1961 verliehende Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen, einhergehend mit der Aufforderung die USA bis zum 31. August 2007 zu verlassen.
Martin Hartmann lies sich Mitte der 1950er Jahre gemeinsam mit seiner Frau Ellen in der Kleinstadt Mankato [Minnesota], später in Montanas Hauptstadt Helena nieder, wo sich der frühere KZ-Wächter eine neue Existenz als Schriftsetzer und Drucker aufbauen konnte. Ende der 1980er Jahre kaufte sich das Ehepaar Hartmann ein idyllisches Winterquartier in „Leisure World Arizona“, einer rund um die Uhr bewachten Seniorenwohnsiedlung, umsäumt von Schwimmbädern und Golfplätzen. Laut BBC news, lebte Hartmann die letzten vier Jahre in diesem Seniorenkomplex in Mesa im Bundesstaat Arizona – Tür an Tür mit Nathan Gasch, der selbst einige Zeit in Sachsenhausen interniert war und das Vernichtungslager Auschwitz überlebte. Dass er seinen Nachbarn einst in SS-Uniform auf einem Bild entdeckte behielt der heute 84jährige Gasch lange Zeit für sich. Die erzwungene Ausreise Hartmanns bedauert er hingegen nicht, schließlich sei er „einer von ihnen“ gewesen.
Wie DiePresse.com berichtet, hatte Hartmann selbst zugegeben „von 1943 bis 1945 dem SS-Totenkopfverband im Vernichtungslager Sachsenhausen angehört zu haben und als Wächter eingesperrter Zivilisten einen persönlichen Beitrag zum NS-Vernichtungsregime geleistet zu haben“. Seine 85jährige Frau Ellen Hartmann versucht die Schuld ihres Mannes abzuwiegeln und behauptet gegenüber der Presse zynisch, er hätte nicht wissen können, was wirklich im Konzentrationslager Sachsenhausen geschehen sei.
Hartmann soll sich nun wieder in Deutschland aufhalten. Gegenüber der Regionalpresse gab Ellen Hartmann bekannt, ihr Mann halte sich bei Familienangehörigen in Berlin auf. Dort wo sie sich Beide vor etwa 60 Jahren erstmals in die Arme fielen. Darüber, ob Martin Hartmann strafrechtlich belangt und die Verbrechen im KZ Mauthausen weiter aufgeklärt werden können, befindet nun die deutsche Justiz. Der Menschenrechtsaktivist Bernd Michael Uhl hat nach eigenen Angaben, wegen „Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ Srafanzeige gegen Martin Hartmann erstattet. Siehe auch : Nazi-Jäger und ihre Aktivitäten >>>
https://huntingseason.wordpress.com/
Literatur
Rüdiger Fleiter: Die Ludwigsburger Zentrale Stelle – eine Strafverfolgungsbehörde als Legitimationsinstrument? Gründung und Zuständigkeit 1958 bis 1965. In: Kritische Justiz. 35. Jg., 2002, S. 253–272.
Norbert Frei (Hrsg.): Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa und nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen: Wallstein 2006. ISBN 3-89244-940-6.
Michael Greve: Der justitielle und rechtspolitische Umgang mit den NS-Gewaltverbrechen in den sechziger Jahren. Frankfurt/M.: Lang 2001, ISBN 3-631-38475-0.
Kerstin Hofmann: "Ein Versuch nur – immerhin ein Versuch". Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg unter der Leitung von Erwin Schüle und Adalbert Rückerl (1958-1984), Berlin: Metropol [2018], ISBN 978-3-86331-414-9.
Heike Krösche: ‚Die Justiz muss Farbe bekennen‘. Die öffentliche Reaktion auf die Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen 1958. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Bd. 56, 2008, H. 4, S. 338–357.
Marc von Miquel: Ahnden oder amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren. Göttingen: Wallstein 2004, ISBN 3-89244-748-9.
Hans H. Pöschko (Hrsg.): Die Ermittler von Ludwigsburg. Deutschland und die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Herausgegeben im Auftrag des Fördervereins Zentrale Stelle e. V., Berlin: Metropol 2008. ISBN 978-3-938690-37-6.
Adalbert Rückerl: Strafverfolgung von NS-Verbrechen 1945–1978. Eine Dokumentation. Karlsruhe: Juristischer Verlag Mueller 1979, ISBN 3-8114-0679-5.
Andrej Umansky: Geschichtsschreiber wider Willen? Einblick in die Quellen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ und der „Zentralen Stelle“, in: A. Nußberger u. a. (Hrsg.), Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen. Der juristische Umgang mit der Vergangenheit in den Ländern Mittel- und Osteuropas, Tübingen: Mohr Siebeck 2011, ISBN 978-3-16-150862-2, S. 347–374.
Annette Weinke: Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Paderborn u. a.: Schöningh 2002, ISBN 3-506-79724-7.
Annette Weinke: Eine Gesellschaft ermittelt gegen sich selbst. Die Geschichte der Zentralen Stelle in Ludwigsburg 1958–2008, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, ISBN 3-534-21950-3.[29]
https://de.wikipedia.org/
31. Januar 1951: Alliierte begnadigen deutsche Kriegsverbrecher
Stichtag
Am Anfang war das Wort, heißt es im Johannes-Evangelium. Am Anfang der Bundesrepublik war die Amnestie, schreibt der Historiker Norbert Frei. Dutzende von Kriegsverbrechern, die in der oberbayerischen Haftanstalt Landsberg einsitzen, werden am 31. Januar 1951 durch die Alliierten begnadigt. Gefangen gehalten werden dort unter anderem Wehrmachtsgeneräle, SS-Einsatzgruppenführer, Mediziner und Bankiers. Zwar bestätigt der amerikanische Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, fünf Todesstrafen, zehn wandelt er jedoch in Haftstrafen um. 20 Zeitstrafen werden reduziert und 32 Häftlinge kommen frei. "Es war eine groß angelegte Gnaden-Arie, die da begann", erinnert sich Robert Kempner, stellvertretender Chefankläger von Nürnberg. Zu den Entlassenen gehört auch Alfried Krupp. Er lässt sich ins feinste Hotel am Ort chauffieren. Dort lädt er zum Sektfrühstück. Sein beschlagnahmtes Vermögen bekommt der Essener Industrielle ebenfalls zurück. In Nürnberg war er wegen der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und der engen Beziehungen seines Unternehmens zum NS-Regime zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden.1958 sind schließlich alle Häftlinge aus Landsberg und den Haftanstalten der Briten und Franzosen in Werl und Wittlich auf freiem Fuß. Schon vor der Gründung der Bundesrepublik 1949 haben prominente Kirchenvertreter Gnade für inhaftierte NS-Täter gefordert, wie etwa der Kölner Kardinal Joseph Frings. 1947 hat Pfarrer Martin Niemöller einen Schlussstrich gefordert. In einer Denkschrift haben er und andere die Kriegsverbrecher-Prozesse von Nürnberg als "menschenverachtende Siegerjustiz" kritisiert.
In der Politik gibt es ebenfalls Amnestiebestrebungen: "Eine Partei, die damals sich klar abgesetzt hätte von den Landsbergern, hätte einpacken können", sagt Staatsrechtler Ingo Müller. Auch Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) schickt Weihnachtsgrüße in die Haftanstalt Landsberg. Konrad Adenauer (CDU) habe sich bei McCloy für die dort einsitzenden Industriellen und Offiziere eingesetzt und ihn "subtil erpresst", so Müller: "Der deutsche Beitrag zur Nato oder zur westlichen Allianz ist nicht umsonst zu haben, sondern um den Preis der Rehabilitation der deutschen Soldaten." Adenauer weiß: Mit der Remilitarisierung wird Westdeutschland vom Kriegsgegner zum Bündnispartner - und einen solchen brauchen die West-Alliierten im beginnenden Kalten Krieg. Die Wiederbewaffnung wird von den Besatzungsmächten deshalb ebenfalls gewollt. Gegründet wird die Bundeswehr am 12. November 1955. Offizieller Berater der Bundesregierung in dieser Zeit ist der ehemalige Generalfeldmarschall Erich von Manstein - aufgrund seiner militärischen Erfahrung. Er war von einem britischen Militärgericht wegen Kriegsverbrechen zu zwölf Jahren Haft verurteilt und 1953 vorzeitig aus der Haft entlassen worden.
Stand: 31.01.06
https://www1.wdr.de/
14. August 2005 - Vor 60 Jahren: Todesurteil gegen Henri Philippe Pétain
Stichtag
Am 23. Juli 1945 beginnt vor dem Pariser Appellationsgericht der Prozess gegen den höchsten Repräsentanten des Vichy-Regimes, Marschall Henri Philippe Pétain. Die Anklage: Hochverrat und Kollaboration mit dem Feind. Pétain hat 1940 mit den Nazis einen Waffenstillstand abgeschlossen, nachdem die Wehrmacht innerhalb weniger Wochen halb Frankreich überrollt hat. Der unbesetzte Teil im Süden Frankreichs bleibt so unter französischer Verwaltung. Pétain lehnt einen aktiven Widerstand gegen die deutsche Besatzung ab. Auf diese Weise will er eine völlige Besetzung des Landes verhindern.Sitz der neuen Regierung ist der Kurort Vichy. Pétain installiert ein Regime mit autoritären Zügen. Er verfügt über nahezu absolute Vollmachten, nachdem ihm das aus Paris geflohene Parlament diktatorische Befugnisse übertragen hat. Durch zwei "Judenstatute" werden die Juden vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. 1942 wird der "Judenstern" eingeführt. Im gleichen Jahr beginnen die französische Polizei und die Verwaltung damit, Juden in die Vernichtungslager der Nazis abzutransportieren. General Pétain, der einst in Frankreich hochgeehrte Veteran des Ersten Weltkriegs und siegreiche "Held von Verdun", wird immer mehr zu Hitlers Marionette. Das treibt viele junge Franzosen in die Résistance, die französische Widerstandsbewegung, während der nach London geflüchtete General Charles de Gaulle die Franzosen zum Kampf gegen die deutschen Besatzer aufruft.Am Verfahren gegen Pétain sind drei Richter und 24 Geschworene beteiligt - je zwölf Mitglieder des Parlaments und der Résistance. In 18 Tagen werden 68 Zeugen gehört. Der 89 Jahre alte Pétain verteidigt sich: Er sei für Frankreich im Zweiten Weltkrieg wie ein "Schild" gewesen, der sein Land vor dem Schlimmsten habe bewahren wollen. General de Gaulle sei das "Schwert" gewesen, das von außen den Kampf aufgenommen hätte. Chefankläger André Mornet legt hingegen eine Negativbilanz vor: Während des Vichy-Regimes seien 150.000 Geiseln erschossen, 750.000 Personen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt und rund 300.000 Menschen in die Konzentrationslager deportiert worden. Diese Verbrechen werden im Prozess aber nicht verhandelt. Die Beteiligung französischer Stellen am Holocaust soll offenbar nicht Thema werden.
Das Gericht zieht sich am 14. August 1945 zur Beratung zurück. Das Urteil wird am nächsten Morgen um vier Uhr früh verlesen: "Das Tribunal verurteilt Marschall Philippe Pétain zum Tode und zum Verlust seiner bürgerlichen Ehrenrechte. Sein Vermögen wird beschlagnahmt." Wegen des hohen Alters des Angeklagten empfiehlt das Gericht, die Todesstrafe in lebenslange Haft umzuwandeln. Knapp sechs Jahre später stirbt Pétain am 23. Juli 1951 im Alter von 94 Jahren in der Haftanstalt der kleinen Atlantikinsel Ile d'Yeu, wo er auch bestattet wird.
Stand: 14.08.05
https://www1.wdr.de/stichtag/
Lager VII Esterwegen
zu. .Am 20. Juni 1933 erfolgte durch das Preußische Innenministerium die Festlegung, in Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum drei Lager mit Platz für 5.000 Schutzhäftlinge errichten zu lassen. Zu diesem Zweck wurde am 28. Juni die „Verwaltungsdirektion der staatlichen Konzentrationslager“ mit Sitz in Papenburg eingerichtet, im Juli die Bewachung der SS übertragen und als Oberlagerkommandant der SS-Standartenführer Brinkmann eingesetzt.
Das Konzentrationslager Esterwegen als Doppellager mit Platz für 2.000 Gefangene wurde Mitte August weitgehend fertiggestellt und erhielt die Bezeichnung Lager II und III, obwohl die beiden Teillager von einem gemeinsamen Zaun (und später zusätzlich einer Mauer) umgeben waren. Als Lagerkommandanten setzte das Innenministerium die SS-Untersturmführer Heinrich Katzmann (Lager II) und Martin Seehaus (Lager III) ein. Die Bewachung der ab dem 10. August eintreffenden Häftlinge übernahm die SS-Gruppe West.
In den nächsten Wochen und Monaten häuften sich die Mißhandlungen und Morde von Häftlingen. Gleichzeitig gab es zahlreiche Übergriffe der SS-Leute in den umliegenden Ortschaften, die zu Protesten aus der Bevölkerung führten. Das Innenministerium ließ daraufhin im November durch bewaffnete Einheiten der Schutzpolizei die Lagerkommandanten der drei emsländischen Konzentrationslager absetzen, die SS-Wachtruppen abrücken und durch staatliche Angestellte, zu „80 % aus der SA. und 20 % aus der SS“, ersetzen. Die Dienstaufsicht der am 20. Dezember eingerichteten „Kommandantur der staatlichen Konzentrationslager“ oblag nun nicht mehr dem Geheimen Staatspolizeiamt, sondern dem Preußischen Staatsrat Oberpräsident Viktor Lutze, der auch SA-Gruppenführer war.
Im April 1934 wurden die Konzentrationslager Börgermoor und Neusustrum aufgelöst und von der preußischen Justizverwaltung als Strafgefangenenlager übernommen. Esterwegen blieb, nun unter dem Lagerkommandanten SA-Hauptsturmführer Heinrich Remmert, als Konzentrationslager bestehen.
Am 20. April übernahm der Reichsführer-SS Heinrich Himmler die Gestapo in Preußen und beauftragte den Kommandanten des KZ Dachau und SS-Gruppenführer Theodor Eicke (ab 4. Juli 1934: Inspekteur der Konzentrationslager) mit der Reorganisation der staatlichen preußischen Konzentrationslager. Zwei Monate später unterstellte sich Himmler das Lager Esterwegen „unmittelbar“ und setzte am 1. Juli den SS-Standartenführer Hans Loritz als neuen Kommandanten ein, der bis März 1936 diese Funktion ausübte. Am 1. August führte Eicke die für Dachau entwickelte Lagerordnung ein, die nicht nur die völlige Rechtlosigkeit der Häftlinge festschrieb, sondern es den Wachleuten auch ermöglichte, völlig willkürlich Häftlinge zu terrorisieren und dabei gleichzeitig „legal“, d.h. unter Ausnutzung der durch die Lagerordnung vorgegebenen, als Bestrafung deklarierten Schikanen, zu handeln.
Im Juni 1934 befanden sich, nachdem im Rahmen einer Weihnachtsamnestie 1933 zahlreiche Schutzhäftlinge entlassen worden waren, noch 812 Gefangene im Lager. Waren es Mitte 1933 überwiegend kommunistische und in kleinerer Zahl sozialdemokratische Schutzhäftlinge gewesen, kamen sehr bald Mitglieder anderer Parteien oder Gewerkschaften, Intellektuelle, Ernste Bibelforscher (Zeugen Jehovas) und Juden hinzu. Zu den bekanntesten Schutzhäftlingen gehörten Carl von Ossietzky, Friedrich Ebert jun., Ernst Heilmann, Julius Leber, Bernhard Bästlein, Theodor Neubauer und Werner Finck. Ab Herbst 1933 kamen als neue Häftlingsgruppe in Vorbeugungshaft genommene „Gewohnheitsverbrecher“ (oder „Berufsverbrecher“) hinzu. Im Oktober 1935 betrug ihre Zahl im Lager 476 Personen.
1935 nahmen die Mißhandlungen und Morde wieder deutlich zu. Formelle Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück wurden jedoch innerhalb kürzester Zeit eingestellt.
Nachdem am 1. April 1936 der SS-Sturmbannführer Karl Otto Koch als neuer Lagerkommandant eingesetzt und ein weiterer Ausbau des Lagers geplant worden war, erfolgte im August/September die Auflösung des Lagers als Konzentrationslager und seine Verlegung „aus Gründen der Landesverteidigung nach Oranienburg“. Wahrscheinlich 1.000 Gefangene wurden in das neue KZ Sachsenhausen überführt.
Am 7. Januar 1937 übernahm das Reichsjustizministerium das Lager mit der Bezeichnung Lager VII als siebtes Strafgefangenenlager im Emsland. Die Bewachung auch dieses Lager oblag der SA-Pionierstandarte 10, deren Angehörige den aus der KZ-Phase bekannten Terror und die Schikanen gegenüber den Gefangenen fortsetzten.
Bis 1940 betrug der Anteil der als (auch nach heutigem Rechtsempfinden) „kriminell“ einzustufenden Strafgefangenen bis zu 80 %, wobei die häufigsten Delikte „schwerer Diebstahl“, „Unterschlagung“ und „Betrug“ waren. Daneben waren weiterhin u.a. politische Häftlinge, die allerdings überwiegend ab 1937 im Lager II Aschendorfermoor konzentriert worden waren, und nun auch Homosexuelle inhaftiert. Ab 1940 kamen zunehmend wehrmachtgerichtlich verurteilten Soldaten hinzu. Der Anteil der überwiegend wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung oder ‚Zersetzung der Wehrkraft‘ Verurteilten lag spätestens nach 1942 deutlich über 50 %.
In den Kriegsjahren verschlechterten sich die Haftbedingungen zusehends. Die Arbeitszeiten wurden auf mindestens zwölf Stunden täglich erhöht, immer mehr Gefangene erkrankten aufgrund der hygienischen Zustände, durch Hunger und durch die Arbeitsbedingungen. Zwischen dem 1. April und dem 20. November 1942 starben allein 55 Häftlinge an Magen- und Darmkatarrh sowie an Mangelerscheinungen.
Ab Mai 1943 kamen in einen Teilbereich des Lagers Esterwegen, in das zu diesem Zweck vom mit deutschen Strafgefangenen belegten Restteil des Lagers scharf abgetrennte „Lager Süd“, sogenannte „Nacht und Nebel“-Gefangene aus Frankreich, Belgien und, in sehr kleiner Anzahl, aus den Niederlanden. Hierbei handelte es sich um Widerstandskämpfer, die in ihren besetzten Ländern Spionage- und Sabotagehandlungen, Streiks und andere Aktionen organisiert und durchführt hatten, verhaftet worden waren und jetzt auf ihren Prozeß warteten.
Bis zum 14. April 1944 trafen insgesamt 66 Transporte mit 2.696 „NN-Gefangenen“ im Emsland ein. Aufgrund der Überfüllung des „Lager Süd“ wurden im Februar 1944 mindestens 500 bis 600 von ihnen in das Lager Börgermoor überführt.
Die Inhaftierung im Lager Esterwegen (und in Börgermoor) erfolgte unter strengster Geheimhaltung: Die Gefangenen erhielten eine „NN“-Nummer, Schriftverkehr war grundsätzlich verboten. Nachweisbar ist, daß 165 der Belgier und 9 der Franzosen, die im Lager Esterwegen inhaftiert gewesen waren, zum Tode verurteilt und in München-Stadelheim, Dortmund, Wolfenbüttel, Braunschweig, Köln und Brandenburg-Görden hingerichtet wurden. Weitere 12 Belgier, allesamt Mitglieder der Widerstandsorganisation De Zwarte Hand, wurden am 7. August 1943 auf dem Schießplatz in Lingen-Schepsdorf erschossen, nachdem sie am 15. Januar 1943 in Wuppertal-Elberfeld vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und später nach Esterwegen überführt worden waren.
Am 10. Februar 1944 ordnete Reichsjustizminister Thierack die Räumung des Lagers von „NN-Gefangenen“ an, die bis zum 15.3. in den Oberlandesgerichtsbezirk Kattowitz verlegt und dort vom Sondergericht Oppeln abgeurteilt werden sollten. Diejenigen „NN-Gefangenen“, deren Verfahren durch den 2. Senat des Volksgerichtshofes in Leer durchgeführt werden sollten, blieben zunächst noch im Lager.
Der erste große Transport mit 900 NN-Gefangenen aus Esterwegen fand am 14. März in das Zuchthaus Gross-Strehlitz statt. Viele von ihnen gehörten zu den 900 Gefangenen, die von hier aus am 30. Oktober in das Konzentrationslager Gross-Rosen überführt wurden.
Im Lager Esterwegen waren am 1.1.1945 ca. 1.550 Gefangene registriert, darunter auch eine größere Anzahl von Personen, die in den beiden Außenkommandos Nord (in Norwegen) und West (in Frankreich) eingesetzt waren, weiterhin aber in Esterwegen geführt wurden. Im April wurden die Gefangenen in das Lager Aschendorfermoor verlegt und erlebten dort das Kriegsende.
Ende April 1945 nutzten die britischen Militärbehörden das Lager Esterwegen für kurze Zeit als Sammellager für sogenannte Displaced Persons. Im Sommer 1945 wurde auf dem Lagergelände das Civil Internment Camp (C.I.C) No. 9 unter der Zuständigkeit der Britischen Rheinarmee eingerichtet. Hier wurden alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher (War Criminals) aus anderen Internierungslagern, u.a. aus Sandbostel, Westertimke und Fallingbostel, zusammengezogen, insbesondere ehemalige KZ-Wächterinnen und -Wächter, die ihren Prozeß bzw. ihr Spruchgerichtsverfahren erwarteten.
Im Mai 1946 waren 2.100 mutmaßliche Kriegsverbrecher in Esterwegen interniert, Ende Juni 2.612. Durch Verlegungen und Aburteilungen sank ihre Zahl auf 1.055 im Mai 1947. Im Juli 1947 wurde das Lager, seit 1.7.1946 No. 101 Prison Camp mit einem deutschen Direktor und einem britischen Kommandanten, als Gefängnis für mutmaßliche Kriegsverbrecher aufgelöst und als Gefängnis sowohl für normale Kriminelle unter der Bezeichnung „Strafanstalten Emsland, Abteilung Esterwegen“ wie auch, streng voneinander getrennt, für insgesamt ca. 900 inzwischen von deutschen Spruchgerichten verurteilte Angehörige nationalsozialistischer Organisationen weitergenutzt. Bis 1950/51 war eine zuletzt nur noch sehr geringe Zahl der von Spruchgerichten Verurteilten im Lager, die von einem britischen Kontrolloffizier bewacht wurden. Die Strafanstalt wurde noch bis 1951 genutzt.
Ursprünglich war geplant, hier anschließend für die Kultivierung der Esterweger Dose vorgesehene Arbeitskräfte unterzubringen, ein Vorhaben, das jedoch nicht realisiert wurde. Stattdessen diente das Lager von 1953 bis 1959 als Flüchtlingsdurchgangslager, bevor es Ende der 1950er/Anfang der 1960 Jahre abgerissen wurde.
Das Gelände wurde von der Bundeswehr übernommen, die es bis zum Jahr 2001 als Depot-Standort nutzte. Ab 2001 wurde das Areal im Rahmen der Planungen für die 2011 eröffnete Gedenkstätte umgestaltet.
https://diz-emslandlager.de/
5. Stellungnahme der vom Amtsgericht Mosbach beauftragten forensischen Sachverständigen aus Kitzingen zu NS-Verfahren und Kriegsverbrecher-Prozessen
FRAGESTELLUNG
ZUR ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ
IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG
KRITISCHE THEMATISIERUNG
einer nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen
Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen
durch die deutsche Justiz
in den öffentlichen Medien, in der Fachliteratur und im Fachdiskurs
sowie zur Notwendigkeit der NS-Prozesse des 21. Jahrhunderts
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die Anti-Nazi-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute. Siehe dazu auch Kapitel 1 auf dieser Seite.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU DEN NAZI-VERBRECHER-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach in 2022 mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU DEN JURISTISCHEN NS-VERFAHREN ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG INKLUSIVE DER ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ, d.h. sowohl zu den seit 1945 bis heute im 21. Jahrhundert geführten NS-Prozessen als auch zu den in 2022 noch laufenden NS-Prozessen und zu den künftigen NS-Prozessen, an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Das Amtsgericht Mosbach BEAUFTRAGT EXPLIZIT in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU sogenannten NAZI-JÄGER-AKTIVITÄTEN MIT NS-PROZESSEN, VERURTEILUNGEN VON NS-TÄTER*INNEN, auch zu NS-Prozessen im 21. Jahrhundert, d.h. auch in 2022 laufenden und noch künftigen NS-Prozessen, etc. IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG NACH 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
EINERSEITS:
Mit den Verfügungen des Familiengerichts-Amtsgericht Mosbach vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 hat die gerichtlich beauftragte forensische Sachverständige aus Kitzingen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Chance und das gerichtliche explizite Angebot, sich sachlich und fachlich zur NS-Vergangenheitsbewältigung seit 1945 bis heute, auch zur NS-Vergangenheitsbewältigung und Nazi-Kontinuität in Mosbach und in Baden-Württemberg, AUSFÜHRLICH EXPLIZIT gutachterlich zu äußern.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 ZU DEN JURISTISCHEN NS-VERFAHREN ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG, d.h. sowohl zu den seit 1945 bis heute geführten NS-Prozessen als auch zu den in 2022 noch laufenden NS-Prozessen und zu den künftigen NS-Prozessen. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz und Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU NS-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 ZU DEN SEIT JAHRZEHNTELANGEN VERNACHLÄSSIGUNGEN VON NS-VERFAHREN DURCH DIE BRD-JUSTIZ aus gezieltem Desinteresse an einer juristischen NS-Aufarbeitung ALS TEIL DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG, was dazu führt, dass heute im 21. Jahrhundert noch einige NS-Prozesse gegen hochbetagte 80, 90 bzw. 100-jährige alte NS-Täter*innen im Zeitraum um das Jahr 2022 und nicht früher eröffnet und durchgeführt werden, wobei die Kritik sich gegen Untätigkeit, Verfahrensverschleppung und/oder zu milde Urteile der zuständigen deutschen BRD-Justizbehörden richtet. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz und der Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ IM ZUSAMMENHANG MIT NS-PROZESSEN am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach in 2022 mit seinen jahrelangen Bemühungen um die außergerichtliche und gerichtliche Aufarbeitung von Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt der Rechtsaufassung des baden-württembergischen Justizministeriums unter JUMRIX-E-1402-41/878/4 vom 20.06.2022 einerseits, das auch noch heute und künftig NS-Verbrechen von der deutschen Justiz verfolgt würden, was aber andererseits der Rechtsauffassung des Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 9/22 diametral entgegensteht, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, die NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung der seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren EXPILZIT BEAUFTRAGT.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass die Kontinuität von Nazi-Juristen als Teil der NS-Funktionseliten nach 1945 u.a. dazu führt, dass dann Verfahren zu NS-Verbrechen mit der Tätergruppe der Nazi-Juristen überhaupt nicht, oder wenn überhaupt, nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, Politik. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung der seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren und seiner Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, EXPILZIT BEAUFTRAGT.
Siehe dazu auch:
- Nazi-Terror- und Verfolgungsjustiz >>>
- Nazi-Juristen >>>
- Nazi-Justiz in Mosbach >>>
- Nazi-Funktionseliten nach 1945 >>>
- Beantragte NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 >>>
- Frühere außergerichtliche zu Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen von 2005 bis 2011 >>>
- Frühere gerichtliche zu Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen von 2005 bis 2011 >>>
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur menschenverachtenden Nazi-Terrorjustiz. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik.
Siehe dazu auch:
- Nazi-Terror- und Verfolgungsjustiz >>>
- Nazi-Juristen >>>
- Nazi-Justiz in Mosbach >>>
- Nazi-Funktionseliten nach 1945 >>>
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Antrag vom 11.07.2022 des Antragstellers auf gerichtlich zu beantragende symbolpolitische posthume Aberkennung der Promotion in den Rechtswissenschaften von Karl Roland Freisler, Präsident am Nazi-Volksgerichtshof, als höchster deutscher Richter im nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungsregime. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung der seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren EXPILZIT BEAUFTRAGT.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur Petition des Antragstellers beim DEUTSCHEN BUNDESTAG Pet 4-16-007-312-03523 aus 2008, Justiz : Optimierung einer strafrechtlichen Verfolgung von sogenannten Nazi-Blutrichtern, u.a. am Beispiel von Kurt Bode. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung der außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen des Antragstellers aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten EXPILZIT BEAUFTRAGT.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den in den Medien, in der Öffentlichkeit und in der Fachliteratur frei verfügbaren Thematisierungen der Opfer und Verfolgten der Nazi-Terrorjustiz seit 1945 bis heute. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen VERZICHTET DAMIT EXPLIZIT DARAUF, den Opfern und Verfolgten der Nazi-Terrorjustiz eine Stimme mit Anerkennung und Respekt für die Opfer und Verfolgten des NS-Regimes vor einem deutschen Gericht im Jahr 2022 in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach zu geben.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den Nazi-Juristen, hauptsächlich in der NS-Tätergruppe der Schreibtischtäter aktiv, und deren spätere Kontinuitäten als NS-Funktionseliten nach 1945. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik, der Sicherheitsdienste und Sicherheitskräfte.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den Nazi-Juristen, hauptsächlich in der NS-Tätergruppe der Schreibtischtäter aktiv, und deren spätere Kontinuitäten als NS-Funktionseliten nach 1945 mit den gesellschaftspolitischen Konsequenzen in der NS-Vergangenheitsbewältigung. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Nazi-Jurist Hans Globke, als einem der prominentesten Beispiele für die Kontinuität der Verwaltungseliten und NS-Juristen, der zunächst im NS-Regime u.a. als Mitverfasser und Kommentator an den Nürnberger Rassengesetzen beteiligt und dann anschließend von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts unter dem Deutschen Bundeskanzler Kanzler Konrad Adenauer ist. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach abzugeben.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass der Nazi-Jurist Hans Filbinger, der nachgewiesen als sogenannter Nazi-Blutrichter vor 1945 Todesurteile verhängt, dann später nach 1945 Ministerpräsident von Baden-Württemberg in der BRD wird. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach, das diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung zur NS-Thematik beauftragt, selbst ein baden-württembergisches Gericht ist. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik, der Sicherheitsdienste und Sicherheitskräfte.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Sachverhalt, dass es keine öffentlichen Kenntnisse darüber gibt, dass das BADEN-WÜRTTEMBERGISCHE AMTSGERICHT MOSBACH gegen den Nazi-Juristen und Nazi-Blutrichter Hans Filbinger tätig geworden ist. UND DIES OBWOHL Hans Filbinger zwischenzeitlich Ministerpräsident von Baden-Württemberg gewesen ist. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG INKLUSIVE DER AUFARBEITUNG VON NS-VERBRECHEN DER DEUTSCHEN JUSTIZ an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu auch:
- Nazi-Terror- und Verfolgungsjustiz >>>
- Nazi-Juristen >>>
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- NS-Funktionseliten nach 1945 >>>
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Antrag vom 25.06.2022 des Antragstellers zur symbolpolitischen und juristischen posthumen Aufhebung des Entnazifizierungsbeschlusses von Nazi-Ministerialdirigent und Nazi-Familienrechtler Franz Massfeller, Oberregierungsrat zur Wiederverwendung beim Bundesjustizministerium, Ministerialrat das Referat für Familien- und Personenstandsrecht in der BRD. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung der seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren EXPILZIT BEAUFTRAGT.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Sachverhalt, dass es keine öffentlichen Kenntnisse darüber gibt, dass das BADEN-WÜRTTEMBERGISCHE FAMILIENGERICHT-AMTSGERICHT MOSBACH gegen den Nazi-Juristen und Nazi-Familienrechtler Franz Massfeller mit seiner Kontinuität als Teil der NS-Funktionseliten nach 1945 juristisch tätig geworden ist. UND DIES OBWOHL das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach fachlich und sachlich zuständig ist für Sachverhalte aus der Nazi-Familienrechtspraxis und der Praxis der Nazi-Kinder- und Jugendhilfe. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG INKLUSIVE DER AUFARBEITUNG VON NS-VERBRECHEN DER DEUTSCHEN JUSTIZ IM KONTEXT DER NAZI-FAMILIENRECHTSPRAXIS UND DER NAZI-KINDER-UND JUGENDHILFE an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Sachverhalt, dass in 2002 die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin als höchste deutsche Juristin in der Diskussion um die Irak-Politik den US-Präsidenten George W. Bush in Methodenanwendungen mit dem nationalsozialistischen Führer des deutschen Nazi-Terror und -Vernichtungsregimes Adolf Hitler vergleicht, was dann zu erheblichen Spannungen in den internationalen binationalen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland führt, was dann nach einer nationalen und internationalen Empörungswelle zum Verzicht von Herta Däubler-Gmelin auf ein weiteres Ministeramt nach der Bundestagswahl führt. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU NAZI-BELEIDIGUNGEN UND ZU NAZI-VERGLEICHEN an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Sachverhalt, dass nachdem in 2002 die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin als höchste deutsche Juristin den US-Präsidenten George W. Bush mit dem nationalsozialistischen Führer Adolf Hitler vergleicht, hierzu dann aber das BADEN-WÜRTTEMBERGISCHE AMTSGERICHT MOSBACH gegen die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin WEGEN NAZI-BELEIDIGUNGEN UND NAZI-VERGLEICHEN EXPLZIT NICHT TÄTIG WIRD. UND DIES OBWOHL Herta Däubler-Gmelin als Abgeordnete von Tübingen, hauptsächlich aber über die Landesliste Baden-Württemberg in den Deutschen Bundestag kommt. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZU NAZI-BELEIDIGUNGEN UND ZU NAZI-VERGLEICHEN an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass die Kontinuität von Nazi-Juristen nach 1945 zu den viel diskutierten negativen Konsequenzen geführt hat, u.a. wie der Kontinuität von Opferdiskriminierungen gemäß nationalsozialistischer Diskriminierungsschemata (wie Sinti und Roma, Asoziale und Arbeitsscheue, Kommunisten, Menschen mit afrikanischer Herkunft, Homosexuelle, etc.); der Kontinuität der politisch rechtsbelasteten, rechts-blinden deutschen Justiz seit der Weimarer Republik; der nicht-vollständigen und nicht-ordnungsgemäßen Aufarbeitung von NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz in der BRD, etc. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass die Kontinuität von Nazi-Juristen nach 1945 zu viel diskutierten negativen Konsequenzen führt, u.a. wie zur Kontinuität der politisch rechtsbelasteten, rechts-blinden deutschen Justiz seit der Weimarer Republik. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum konkreten Sachverhalt, dass die politische deutsche Justiz, "auf dem rechten Auge blind" seit der Weimarer Republik (siehe Hitler-Putsch-Prozess und -Urteil), zusammen mit der unzureichenden NS-Vergangenheitsbewältigung dann zur Problematik des umstrittenen Radikalenerlasses, dessen Auslegung und Anwendung und den sich daraus ergebenden Berufsverboten in der Nachkriegszeit führt. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über künstlerisch-kulturelle Themenaufarbeitungen; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur; über Publikationen von BRD-Institutionen der Justiz, der Politik, der Sicherheitsdienste und Sicherheitskräfte. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
Siehe dazu auch:
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zur Nazi-Justiz in Mosbach-Baden vor 1945 und deren Aufarbeitung nach 1945. Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zum Sachverhalt, dass nach bisherigen öffentlichen Kenntnissen die baden-württembergische BRD-Justiz in Mosbach zur Problematik der Nazi-Juristen und Nazi Funktionseliten nach 1945 UNTÄTIG GEBLIEBEN IST. UND DIES OBWOHL diese Sachverhalte zu dieser NS-Thematik bzw. NS-Problematik frei verfügbar sind im öffentlichen Diskurs über entsprechende Medienberichte; über die juristische, politische und wissenschaftliche Fachliteratur. UND DIES OBWOHL hier das Amtsgericht Mosbach, das diese Gutachterin mit der Sachverständigen-Aufklärung zur NS-Thematik beauftragt, selbst örtlich zuständig ist. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen.
ANDERERSEITS:
Die forensische Sachverständige aus Kitzingen ÄUSSERT SICH JEDOCH EXPLIZIT NICHT in ihrer gutachterlichen ergänzenden Stellungnahme vom 31.08.2022 unter 6F 202/21 an das Amtsgericht Mosbach als ein BRD-Gericht im Jahr 2022 zu den vom zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 initiierten NS- und Rechtsextremismusverfahren; zum Umgang des Amtsgerichts mit Mosbach mit diesen NS-Verfahren; zu den vom Antragsteller dementsprechend initiierten Dienstaufsichtsbeschwerden und Anhörungsrügen gegen den fallverantwortlichen Spruchkörper beim Amtsgericht Mosbach. UND DIES OBWOHL das Amtsgericht Mosbach in seiner Verfügung vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 die forensische Sachverständige aus Kitzingen EXPLIZIT BEAUFTRAGT, eine GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME ZUR NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG an das deutsche BRD-Amtsgericht Mosbach im Jahr 2022 zu erstellen. UND DIES OBWOHL die Gutachterin aus Kitzingen vom Amtsgericht Mosbach am 17.08.2022 unter 6F 202/21 EXPLIZIT BEAUFTRAGT ist, eine gutachterliche Stellungnahme zum Nationalsozialismus und dessen Aufarbeitung nach 1945 am Beispiel des Antragstellers von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach und eben gerade zu diesen beim Amtsgericht Mosbach seit initiierten 2022 NS-Verfahren abzugeben.
Siehe dazu:
- NS-Verfahren >>>
- Beantragte NS- und Rechtsextremismusverfahren beim Amtsgericht Mosbach >>>
- Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS-Verfahren >>>
- Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Spruchkörper beim Amtsgericht Mosbach zum Umgang mit NS-Verfahren >>>
- Anhörungsrügen gegen Spruchkörper beim Amtsgericht Mosbach zum Umgang mit NS-Verfahren >>>
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Nazi-Funktionseliten nach 1945 >>>
- Nazi-Vergangenheitsbewältigung und Kontiunität von Nazi-Funktionseliten in Baden-Württemberg >>>
- Sachverständige und Gutachter aus Kitzingen im Verhältnis zum Nationalsozialismus >>>
5.1 Beantragte Stellungnahmen bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zu den historischen sowie zu den aktuellen NS-Prozessen des 21. Jahrhunderts, an denen sich auch der zu begutachtende Antragssteller von NS-Verfahren beteiligt
FRAGESTELLUNG
ZUR ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ
IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG
KRITISCHE THEMATISIERUNG
einer nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen
Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen
durch die deutsche Justiz
in den öffentlichen Medien, in der Fachliteratur und im Fachdiskurs
sowie zur Notwendigkeit der NS-Prozesse des 21. Jahrhunderts
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22, die Anti-Nazi- und Nazi-Jäger-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Auch unter konkreter Bezugnahme auf die Internet-Präsenz http://www.nationalsozialismus-in-mosbach-baden.de/ Siehe dazu auch Kapitel 1 und 5 auf dieser Seite.
In seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 beauftragt das Amtsgericht Mosbach die forensische Sachverständige Gutachterin aus Kitzingen explizit eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme abzugeben:
- zu den historischen sowie zu aktuellen NS-Prozessen des 21. Jahrhunderts, an denen sich der zu begutachtende Antragssteller von NS-Verfahren öffentlich nachweisbar beteiligt,
- zur Kritik an der BRD-Justiz im Umgang mit NS-Verfahren wegen einer nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen,
wobei in den öffentlichen Medien, in der Fachliteratur und im Fachdiskurs unter Bezugnahme auf historische Fakten seit der Nachkriegszeit die Kritik an der unzureichenden Verfolgung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen wie im Folgenden thematisiert wird:
- Die Behinderung der Nazi-Jagd auf Kriegsverbrecher, auch durch die "Kontinuität der NS-Funktionseliten" nach 1945 in der NS-Vergangenheitsbewältigung, die untereinander Nazi-Seilschaften bilden, u.a. mit Fluchthilfen für NS-Kriegsverbrecher ins Ausland, mit der Erstellung falscher Identitäten für NS-Täter*innen, mit der Behinderung der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen, etc.,
- Die Pervertierung und Ad-Absurdum-Führung der Nazi-Jagd durch die BRD-Justiz u.a. mit Freisprüchen; milden Urteilen; Persilscheinen; Haftverschonungsbeschlüssen; Verhandlungsunfähigkeit oder Bewährungsstrafen wegen angeblich krankem Gesundheitszustand; etc., gegen NS-Täter*innen bei stattgefundenen NS-Prozessen in der NS-Vergangenheitsbewältigung.
Die NS-Prozesse sind als ein Teil der Nazi-Jagd nach 1945 zu sehen. EINERSEITS zählen dazu, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit verkündeten Todesurteile mit Hinrichtungen von NS-Täter*innen, die Analyse der stattgefundenen NS-Prozesse mit der Kritik an Freisprüchen oder an zu milden Urteilen, an vorgezogenen Haftentlassungen, aber auch ANDERERSEITS die Diskussion über viel zu spät eingeleitete oder aber überhaupt nicht stattgefundene NS-Prozesse.
Bei der forensischen familienpsychologischen Sachverständigen aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, wird am 19.01.2023 gemäß der Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 vom Familiengericht- Amtsgericht Mosbach beantragt, die konkrete langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit des zu begutachtenden Antragstellers von NS-Verfahren seit ca. 2004, u.a. seit Sommer 2022 beim Amtsgericht Mosbach, sowie dessen konkrete Beteiligungen an NS-Prozessen des 21. Jahrhunderts hinsichtlich der historischen und aktuellen Einordnung der Nazi-Jagd unter Berücksichtigung der Kontinuität von NS-Funktionseliten nach 1945 in ihren Stellungnahmen an das Amtsgericht Mosbach dahingehend zu überprüfen und an das Amtsgericht Mosbach zu berichten, ob diese langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit mit Thematisierungen der Nazi-Jagd und das Engagement für NS-Prozesse des 21.Jahrhunderts möglicherweise auf eine psychische Persönlichkeitsstörung zurück zu führen sein könnte, und ob sie Kriterien für Anzeichen einer psychischen Erkrankung und einer eingeschränkten Sorgerechtsfähigkeit bei dem zu begutachtenden Antragstellers von NS-Verfahren, Petenten, Menschenrechtsaktivisten und KV darstellen könnte.
Siehe dazu auch:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 >>>
- Frühere außergerichtliche NS-Aufarbeitungen 2005 bis 2011 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen 2004 bis 2010 >>>
- Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach in NS-Verfahren >>>
- Anhörungsrügen gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach In NS-Verfahren >>>
- Petitionen beim Landtag Baden-Württemberg >>>
- Erklärungen des Justizministeriums Baden-Württemberg seit 2022 zu Rechtsmitteln und statistischen Erhebungen bei NS-Verfahren >>>
- Historische und Aktuelle NS-Prozesse >>>
- NS-Funktionseliten nach 1945 >>>
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Nazi-Vergangenheitsbewältigung und Nazi-Kontinuität in Baden und Württemberg >>>
- Schlussstrichdebatte in der NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Nazi-Terror- und Verfolgungsjustiz >>>
- Nazi-Juristen >>>
- Nazi-Juristen Prozesse und Verfahren >>>
5.1.1 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zur erinnerungspolitischen Debatte in der Öffentlichkeit sowie im Fachdiskurs um Versäumnis, Versagen, Zurückhaltung, Vernachlässigung, Verzögerung, Untätigkeit, Strafvereitelung im Amt seitens der deutschen Justiz im Umgang mit NS-Verbrechen
FRAGESTELLUNG
ZUR ROLLE DER DEUTSCHEN JUSTIZ
IN DER NS-VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG
KRITISCHE THEMATISIERUNG
einer nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen
Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen
durch die deutsche Justiz
in den öffentlichen Medien, in der Fachliteratur und im Fachdiskurs
sowie zur Notwendigkeit der NS-Prozesse des 21. Jahrhunderts
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22, die Anti-Nazi- und Nazi-Jäger-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Auch unter konkreter Bezugnahme auf die Internet-Präsenz http://www.nationalsozialismus-in-mosbach-baden.de/ Siehe dazu auch Kapitel 1 und 5 auf dieser Seite.
In seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 beauftragt das Amtsgericht Mosbach die forensische Sachverständige Gutachterin aus Kitzingen explizit, eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme am Beispiel des zu begutachtenden Antragstellers von NS-Verfahren abzugeben zur Kritik an der deutschen Justiz im Umgang mit NS-Verfahren wegen einer nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen, wobei in den öffentlichen Medien, in der Fachliteratur und im Fachdiskurs unter Bezugnahme auf historische Fakten seit der Nachkriegszeit die Kritik an der unzureichenden Verfolgung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen wie im Folgenden thematisiert wird:
- Die Behinderung der Nazi-Jagd auf Kriegsverbrecher, auch durch die "Kontinuität der NS-Funktionseliten" nach 1945 in der NS-Vergangenheitsbewältigung, die untereinander Nazi-Seilschaften bilden, u.a. mit Fluchthilfen für NS-Kriegsverbrecher ins Ausland; mit der Erstellung falscher Identitäten für NS-Täter*innen; mit dem Nicht-Ausliefern von in Deutschland untergetauchten aber im Ausland verurteilten NS-Täter*innen; mit der Behinderung der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen, etc.,
- Die Pervertierung und Ad-Absurdum-Führung der Nazi-Jagd durch die BRD-Justiz u.a. mit Freisprüchen; milden Urteilen; Persilscheinen; Haftverschonungsbeschlüssen; Verhandlungsunfähigkeit oder Bewährungsstrafen wegen angeblich krankem Gesundheitszustand; vorgezogenen Haftentlassungen, etc., gegen NS-Täter*innen bei stattgefundenen NS-Prozessen in der NS-Vergangenheitsbewältigung.
- Der jahrzehntelange Quasi-Stillstand in den NS-Verfahren durch die deutsche Justiz.
- Die erst nach Jahrzehnten sehr späte Wiederaufnahme und Durchführung von NS-Verfahren mit Verurteilungen durch die deutsche Justiz im 21. Jahrhundert.
Die NS-Prozesse sind als ein Teil der Nazi-Jagd nach 1945 zu sehen. EINERSEITS zählen dazu, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit verkündeten Todesurteile mit Hinrichtungen von NS-Täter*innen, die Analyse der stattgefundenen NS-Prozesse mit der Kritik an Freisprüchen oder an zu milden Urteilen, an vorgezogenen Haftentlassungen, etc., aber auch ANDERERSEITS die Diskussion über viel zu spät eingeleitete oder aber überhaupt nicht stattgefundene NS-Prozesse (vgl. u.a. ECHTERNKAMP, April 2015 | ZEMPEL-Bley, August 2015 | BPB, Juni 2016 | ALTENMÜLLER, Februar 2018 | ZIEGS, Dezember 2018 | HILLENBRAND, Februar 2019 | KELLERHOF, Oktober 2019 | DEUTSCHLANFUNK, Januar 2020 | NORTHARDT und BRÄUTIGAM, Oktober 2021 | GEETS, Oktober 2021 | Podcast Die "Wannsee-Konferenz" - 80 Jahre später (3/3): Die letzten NS-Prozesse, Januar 2022 | RICHTER, Januar 2022 | SACHSENRÖDER, März 2022).
Zur Kritik an der deutschen Justiz in der NS-Vergangenheitsbewältigung auf Grund der nicht-ordnungsgemäßen und unvollständigen Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen gehört die erinnerungspolitische öffentliche Debatte und Fachdiskurs-Debatte um das Versagen oder um die Versäumnisse, d.h. ob die deutsche Justiz absichtlich vorsätzlich oder unabsichtlich unverschuldet bzw. gesteuert oder unkontrolliert zurückhaltend, verzögernd, untätig, rechtsbeugend und strafvereitelnd tätig bzw. untätig bei der Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen gewirkt hat und wirkt (vgl. u.a. ECHTERNKAMP, April 2015 | ZEMPEL-Bley, August 2015 | BPB, Juni 2016 | ALTENMÜLLER, Februar 2018 | ZIEGS, Dezember 2018 | HILLENBRAND, Februar 2019 | KELLERHOF, Oktober 2019 | DEUTSCHLANFUNK, Januar 2020 | NORTHARDT und BRÄUTIGAM, Oktober 2021 | GEETS, Oktober 2021 | Podcast Die "Wannsee-Konferenz" - 80 Jahre später (3/3): Die letzten NS-Prozesse, Januar 2022 | RICHTER, Januar 2022 | SACHSENRÖDER, März 2022).
Dabei gab und gibt es durchaus immer wieder positive Beispiele vereinzelter sehr engagierter Juristen, die sich für eine Verfolgung von NS-Verbrechen und NS-Täter*innen stark gemacht, NS-Prozesse auch gegen Widerstände eingeleitet und durchgeführt haben.
RICHTER führt im Januar 2022 zur Fragestellung, warum heute in 2022 alte Greise für NS-Verbrechen vor Gericht gestellt werden, in seinem Kommentar aus: "Und das führt dann zu dem anderen, dem entscheidenden Thema: Warum wurden die Leute nicht angeklagt in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren? Die waren ja namentlich bekannt. Und da stellt sich die Frage nach der Rolle des Staates hüben wie drüben. Im Westen wurden massenhaft Täter, Beihelfer nicht verfolgt. Im Osten genauso. Und was wir erlebt haben, ist so eine gesamtdeutsche Einigkeit, Strafvereitelung im Amt im großem Stil."
In der Gesamtbilanz ergeben sich die historischen Sachverhalte eines jahrzehntelangen Quasi-Stillstands in den NS-Verfahren durch die BRD-Justiz seit ca. den 1960er/1970er Jahren und die erst sehr späte Wiederaufnahme von NS-Verfahren in den NS-Prozessen des 21. Jahrhunderts, wobei nach den ersten NS-Prozessen der Alliierten und der bundesdeutschen Justiz während der unmittelbaren Nachkriegszeit dann die NS-Prozesse aber quasi zum Erliegen kamen (vgl. u.a. ECHTERNKAMP, April 2015 | ZEMPEL-Bley, August 2015 | BPB, Juni 2016 | ALTENMÜLLER, Februar 2018 | ZIEGS, Dezember 2018 | HILLENBRAND, Februar 2019 | KELLERHOF, Oktober 2019 | DEUTSCHLANFUNK, Januar 2020 | NORTHARDT und BRÄUTIGAM, Oktober 2021 | GEETS, Oktober 2021 | Podcast Die "Wannsee-Konferenz" - 80 Jahre später (3/3): Die letzten NS-Prozesse, Januar 2022 | RICHTER, Januar 2022 | SACHSENRÖDER, März 2022).
ZIEGS erläutert zu einer zwischenzeitlichen Gesamtbilanz im Dezember 2008 die Selbstbewertung der Ludwigsburger Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen an mit den Aussagen des damaligen Leiters Kurt Schrimm: "Wie so oft. Genauer genommen in über 7360 Vorermittlungsverfahren gegen insgesamt etwa 106.500 Personen, von denen allerdings weniger als 6.500 rechtskräftig verurteilt wurden – in den meisten Fällen wegen Beihilfe. Der Zentralen Stelle kann dieses magere Ergebnis jedoch am wenigsten angelastet werden. Kurt Schrimms Bilanz nach 50 Jahren Aufklärungsarbeit durch die Ludwigsburger Behörde fällt deshalb positiv aus, zumal die in den knapp 300.000 Dokumenten archivierten Aussagen von Tätern und Opfern von unschätzbarem Wert für die historische Forschung in der Bundesrepublik sind, die die systematische Befragung von Zeitzeugen des sogenannten „Dritten Reiches“ lange Jahre weitestgehend vernachlässigt hat. Es gibt immer noch Vorfälle, Taten, die wir nicht kennen. Die wird es immer geben; wir werden nie alles aufklären können. Und es wurden Fehler gemacht bis in die 90er Jahre, ganz sicherlich."
Auch bis heute hält die Debatte in der Öffentlichkeit und im Fachdiskurs an, dass die Verfolgung der NS-Verbrechen in der Praxis alles andere als umfassend war bzw. ist. Die Verbrechen der Justiz selbst blieben dabei gemäß der Auswertung von GRÄFF im Mai 2019 weitestgehend ausgespart unter Bezugnahme auf die massenhafte Kontinuität von NS-Juristen nach 1945, auf den Corps-Geist, und auf das Prinzip, kein Jurist hackte dem anderen ein Auge aus gemäß dem Sprichwort "Eine Krähe hackt der Anderen kein Auge aus!" Zudem fielen viele Urteile gegen Täterinnen und Täter aus den Tatkomplexen der Wehrmacht, der Vernichtungslager und den Euthanasie-Tötungsanstalten milde aus. Häufig wurde nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.
KELLERHOF führt im Oktober 2019 in seiner Bewertung einer Gesamtbilanz aus: "Seit 1945 haben rechtsstaatliche Justizbehörden in knapp 37.000 Verfahren gegen etwa 172.000 mutmaßliche Täter wegen NS-Verbrechen ermittelt. Gegen etwa 16.800 von ihnen wurde Anklage erhoben. Jedoch führten von diesen Prozessen nur knapp 7000 zu rechtskräftigen Schuldsprüchen, darunter nur etwa tausend wegen Mord und Totschlag sowie Beihilfe. Lediglich etwa 270 Angeklagte wurden zu hohen Strafen zwischen zehn Jahren und lebenslänglich verurteilt. Jahrzehntelang kamen Wachleute der KZs, denen nicht konkret eigenhändig verübte Morde nachgewiesen werden konnten, ohne Strafe davon. Ihre Taten wurden höchstens als Totschlag bewertet – und Totschlag oder die Beihilfe dazu waren rechtskräftig schon seit 1960 verjährt."
WOLSKI-PRENGER kommentiert im Februar 2021 zur Gesamtbilanz der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen: „Auch wenn es viele richtige und gerechte Urteile gab, muss der bundesdeutschen Justiz Versagen bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen vorgeworfen werden.“
Ein Effekt und eine Konsequenz der Versäumnisse, Zurückhaltung und Verzögerung seitens der deutschen Justiz für heutige und aktuelle NS-Prozesse ist jedenfalls unbestreitbar, nämlich dass NS-Belastete entweder bereits verstorben sind; es auch heute in den wenigsten Fällen zur Anklage kommt; viele angeklagte NS-Belastete während der Ermittlungen oder im Lauf des Prozesses versterben; die meisten angeklagten NS-Belasteten aus gesundheitlichen Gründen von der Haft verschont werden oder Bewährungsstrafen auf Grund des hohen Alters und/oder des Gesundheitszustandes bekommen.
Die SCHWÄBISCHE ZEITUNG meint dazu im Mai 2013: "Wichtig ist das Zeichen, das nach außen in die Welt wie nach innen gegeben wird: dass eine bundesdeutsche Justiz, die sich nach 1945 häufig der Verschleppung und Vertuschung schuldig gemacht hat, heute aktiv Aufklärung betreibt und nun buchstäblich in letzter Minute versucht, Schuldige an einem großen Verbrechen zu ermitteln."
Bei der forensischen familienpsychologischen Sachverständigen aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, wird am 19.01.2023 gemäß der Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 vom Familiengericht- Amtsgericht Mosbach beantragt,
- (a) die konkrete langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit des zu begutachtenden Antragstellers von NS-Verfahren seit ca. 2004, u.a. seit Sommer 2022 beim Amtsgericht Mosbach;
- (b) sowie dessen öffentlich nachweisbaren konkreten Beteiligungen an NS-Prozessen des 21. Jahrhunderts hinsichtlich der historischen und aktuellen Einordnung der Nazi-Jagd;
- (c) sowie dessen geteilte Kritik der im Fachdiskurs und in den öffentlichen Medien diskutierten Rolle des Staates mit der BRD-Justiz als Strafvereitelung im Amt im großem Stil wegen der jahrzehntelangen ungenügenden Verfolgung bzw. Nicht-Verfolgung von NS-Verbrechen und von NS-Täter*innen;
- (d) sowie dessen geteilte Kritik zu den historischen Sachverhalten einer nicht-erfolgten juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen der Nazi-Justiz seitens der deutschen Justiz nach 1945;
in ihren Stellungnahmen an das Amtsgericht Mosbach dahingehend zu überprüfen und an das Amtsgericht Mosbach zu berichten, ob diese langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit mit Thematisierungen der Nazi-Jagd und sein konkretes Engagement für NS-Prozesse des 21.Jahrhunderts möglicherweise auf eine psychische Persönlichkeitsstörung zurück zu führen sein könnten, und ob sie Kriterien für Anzeichen einer psychischen Erkrankung und einer eingeschränkten Sorgerechtsfähigkeit bei dem zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren, Petenten, Menschenrechtsaktivisten und KV darstellen könnten.
Siehe dazu auch:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen 2004 bis 2010 >>>
- Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach in NS-Verfahren >>>
- Anhörungsrügen gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach In NS-Verfahren >>>
- Petitionen beim Landtag Baden-Württemberg >>>
- Erklärungen des Justizministeriums Baden-Württemberg seit 2022 zu Rechtsmitteln und statistischen Erhebungen bei NS-Verfahren >>>
- Historische und Aktuelle NS-Prozesse >>>
- NS-Funktionseliten nach 1945 >>>
- NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Nazi-Vergangenheitsbewältigung und Nazi-Kontinuität in Baden und Württemberg >>>
- Schlussstrichdebatte in der NS-Vergangenheitsbewältigung >>>
- Nazi-Terror- und Verfolgungsjustiz >>>
- Nazi-Juristen >>>
- Nazi-Juristen Prozesse und Verfahren >>>
5.1.2 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zu Aktuellen Stellenausschreibungen in der Kontinuität und zum Ausblick in der Nazi-Jagd für die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22, die Anti-Nazi- und Nazi-Jäger-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Auch unter konkreter Bezugnahme auf die Internet-Präsenz http://www.nationalsozialismus-in-mosbach-baden.de/ Siehe dazu auch Kapitel 1 und 5 auf dieser Seite.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von ca. 2004 bis 2011.
Der Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach ist kein Jurist und kein Polizeibeamter. Der Antragsteller von NS-Verfahren seit ca. 2004, u.a. seit Sommer 2022 beim Amtsgericht Mosbach, leistet wie andere "Nazi-Jäger"-Privatpersonen ehrenamtlich in seiner langjährigen Anti-Rassistischen Menschenrechtsarbeit wiederholt und kontinuierlich öffentlich nachweisbar Recherchearbeit mit dem Zusammentragen von Informationen sowie mit der Antragstellung für die außergerichtlich politische und wissenschaftliche sowie für die gerichtlich juristische Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen und arbeitet somit als Hinweisgeber aus der Bevölkerung.
Dazu zählen auch die KONKRETEN TATBETEILIGUNGEN IN MOSBACH-BADEN an Nazi-Massenmord-Verbrechen, wie an der NS-Verfolgung der Sinti und Roma; an der NS-Verfolgung der Juden; an der Nazi-(Kinder)-Euthanasie durch die Deportationen aus den Mosbacher Heil- und Pflegeanstalten von behinderten Menschen in die Euthanasie-Vernichtungsanstalten, um dann die Gebäude der Mosbacher Heil- und Pflegeanstalten u.a. für das NS-Zwangsarbeit-System und für Nutzungsangebote an die Wehrmacht in Mosbach-Baden nutzen zu können; am Versterben von Häftlingen und Zwangsarbeitern im KZ-Komplex Mosbach-Neckarelz als Außenlager des KZ Natzweiler; an den Ermordungen von Häftlingen und Zwangsarbeitern im KZ-Komplex Mosbach-Neckarelz; an den Nazi- Massentötungen von Kindern osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen; an den Endphaseverbrechen der sogenannten "Todesmärsche" während der Evakuierungen aus dem KZ-Komplex Mosbach-Neckarelz gegen Kriegsende als Reaktion auf die vorrückenden Truppen der West-Alliierten; an den Beteiligungen der Hinrichtungen von polnischen Zwangsarbeitern wegen Beziehungen zu deutschen Frauen; etc.
5.1.2.1 Aufgaben der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, im Allgemeinen Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen, im Behördenverkehr auch Zentrale Stelle oder Ludwigsburger Zentrale Stelle genannt, trägt Informationen für staatsanwaltschaftliche Vorermittlungen gegen NS-Verbrecher zusammen, treibt die staatsanwaltlichen Ermittlungen der Bundesländer voran und bündelt sie. Sie wurde durch eine Verwaltungsvereinbarung der Justizminister und -senatoren der Länder vom 6. November 1958 gegründet und nahm am 1. Dezember 1958 in Ludwigsburg ihre Arbeit auf.
https://de.wikipedia.org/
Die Zentrale Stelle war zunächst nur für Taten außerhalb des Bundesgebiets zuständig, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen gegenüber der Zivilbevölkerung begangen worden waren (jedoch ohne die eigentlichen Kriegshandlungen), daneben insbesondere für Taten in Konzentrationslagern. Diese Zuständigkeit wurde 1964 auf das Bundesgebiet erweitert, mit der Folge von Vorermittlungen auch gegen Angehörige der obersten Reichsbehörden. Der Grundsatz, dass nur nationalsozialistische Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung zu verfolgen sind, ist darüber hinaus insoweit durchbrochen worden, als seither auch "von den Gewalthabern des Dritten Reiches oder in deren Auftrag" begangene Verbrechen gegenüber Kriegsgefangenen aufzuklären sind.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
Die Zuständigkeit wurde bei ihrer Gründung in Richtlinien zur Verwaltungsvereinbarung der Landesjustizminister festgelegt. Sie sollte sich um „NS-Verbrechen“ kümmern, Kriegsverbrechen aufzuklären gehörte nicht zu ihren Aufgaben. Damit wurden auf dem Verwaltungsweg zwei Verbrechenstatbestände festgelegt, die im Strafgesetzbuch nicht unterschieden wurden. Es sollten Straftaten aufgeklärt werden, die in Konzentrationslagern, Ghettos und in Lagern für Zwangsarbeit von Einsatzkommandos und Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD begangen worden waren.
https://de.wikipedia.org/
Aufgabe der Zentralen Stelle ist es, das gesamte erreichbare Material über nationalsozialistische Verbrechen im In- und Ausland zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Hauptziel ist es dabei, nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herauszuarbeiten und festzustellen, welche an den Tatkomplexen beteiligte Personen noch verfolgt werden können. Sind für einen Tatkomplex der Kreis der verfolgbaren Täter und die zuständige Staatsanwaltschaft festgestellt, so schließt die Zentrale Stelle ihre Vorermittlungen ab und leitet den Vorgang dieser Staatsanwaltschaft zu. Diese ist verpflichtet, grundsätzlich den gesamten Verfahrenskomplex zu bearbeiten. Hierbei leistet die Zentrale Stelle weiterhin Ermittlungshilfe.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
Unsere Aufgabe besteht darin, das gesamt erreichbare Material über nationalsozialistische Verbrechen im In- und Ausland zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Hauptziel ist es, nach Ort, Zeit und Täterkreis begrenzte Tatkomplexe herauszuarbeiten und festzustellen, welche daran beteiligten Personen noch strafrechtlich verfolgt werden können.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
5.1.2.2 Verfolgte Straftaten seitens der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Bereits seit Mai 1960 können aus rechtlichen Gründen im Wesentlichen nur noch NS-Taten verfolgt werden, die speziell als Verbrechen des Mordes im Sinne des Strafgesetzbuchs zu bewerten sind. Sämtliche Formen der Beteiligung (als Täter, als Anstifter oder als Gehilfe) an den Morden sind strafbar - ebenso wie der Versuch. Der Strafrahmen für die Beihilfe zum Mord reicht von 3 Jahren bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Alle anderen Vergehen und Verbrechen (einschließlich der Verbrechen des Totschlages gemäß § 212 Strafgesetzbuch) können wegen Verjährung schon lange nicht mehr geahndet werden.
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Im Hinblick auf eine Übertragung der Rechtsprechung zur Gehilfenstrafbarkeit in Konzentrationslagern, in denen für das Personal erkennbare Phasen systematischer Ermordungen stattfanden, auch auf Kriegsgefangenenlager und Einsatzgruppen, wurden bei der Zentralen Stelle zuletzt neue Überprüfungskomplexe eröffnet und sind hieraus ebenfalls Abgaben erfolgt.
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1964 sowie 1966 wurden die Zuständigkeiten der Zentralen Stelle ausgeweitet. Während zuvor der Tatort im Ausland die Zuständigkeit begründete, wurden jetzt auch Vorermittlungen gegen Angehörige der Reichsbehörden, der Polizei und Lagermannschaften der Konzentrationslager auf dem Gebiet der Bundesrepublik eingeleitet. Später wurden auch Verbrechen gegenüber Kriegsgefangenen verfolgt.
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Durch die Vorermittlungen der Zentralen Stelle kam es in den 1960er und 1970er Jahren zu einer vorher und auch später nicht mehr erreichten hohen Anzahl von Strafprozessen. Die Zentrale Stelle war auch maßgeblich bei den Ermittlungen zum Auschwitz-Prozess 1963–1965 beteiligt. Insgesamt wurden fast 7200 Vorermittlungsverfahren an die Justizorgane der Bundesländer weitergeleitet, bei denen in der Regel mehrere Täter namentlich beschuldigt wurden. Im Herbst 1966 gab es alleine 300 Vorermittlungsverfahren, im September 1967 bereits etwa doppelt so viele.[12]
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Die Zentrale Stelle versuchte in den frühen 70er Jahren, der Weitergabe und Durchführung des Kommissarbefehls nachzugehen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch ein Großteil der Verdächtigen bereits verstorben. Weitere Untersuchungspunkte waren verschiedene zentrale Befehle des Oberkommandos der Wehrmacht und des Oberkommandos des Heeres.
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Im Jahr 2008 übergab die Zentrale Stelle der Münchner Staatsanwaltschaft die Ergebnisse ihrer Vorermittlungen gegen John Demjanjuk, der als Aufseher im Vernichtungslager Sobibor gearbeitet haben soll.[13]
Am 6. April 2013 wurde bekannt, dass die Zentrale Stelle in den Wochen nach diesem Datum Vorermittlungen gegen 50 frühere Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau einleiten würde. Der Vorwurf lautete auf Beihilfe zum Mord.[17]
Der frühere Leiter der Zentralen Stelle Kurt Schrimm hält es seit dem Urteil gegen John Demjanjuk (er war Wachmann im Lager Vernichtungslager Sobibor) für aussichtsreich, auch gegen KZ-Aufseher Prozesse zu führen. Demjanjuk war 2011 in München wegen Beihilfe zum Mord in 20.000 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden.[18]
Am 19. Februar 2014 kam es zu Durchsuchungen der Wohnungen bzw. Häuser von 30 ehemaligen SS-Angehörigen aus dem KZ Auschwitz durch Angehörige verschiedener Landeskriminalämter. Dies geschah aufgrund von Ermittlungen der Zentralen Stelle. Dabei handelte es sich um 24 Männer und sechs Frauen, welche in untersten Diensträngen, vom SS-Sturmmann bis SS-Rottenführer, im KZ Auschwitz als Wachpersonal, Buchhalter, Sanitäter und Fernschreiberin dienten. Diese ehemaligen Angehörigen der KZ-Mannschaft im Alter von 88 bis 99 Jahren waren von der ZSt identifiziert worden.
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5.1.2.3 Kritik an den politischen und juristischen Einschränkungen sowie an Aufgaben und Reputation der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Ungeachtet seiner SA und NSDAP-Zugehörigkeit wurde Erwin Schüle, „eine schillernde Persönlichkeit“, 1958 der erste Behördenleiter.[6] Er trat zum 1. September 1966 zurück,[7] nachdem seine Mitgliedschaft in der SA und der NSDAP öffentlich bekannt geworden war.[8]
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Als die Richtlinien zur Verwaltungsvereinbarung 1965 neu formuliert wurde, wurde wiederum ausdrücklich festgelegt, dass die Zentrale Stelle keine Kriegsverbrechen aufzuklären habe. Trotzdem leitete die Zentrale Stelle über 1000 Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der Wehrmacht, vor allem des Heeres ein. Kein einziges der Verfahren führte zu einer Anklageerhebung, sie wurden eingestellt. Der ehemalige Leiter der Zentralen Stelle, Oberstaatsanwalt Alfred Streim, urteilte, die strafrechtliche Aufklärung von Verbrechen der Wehrmacht sei „insbesondere aus politischen Gründen unterblieben“.[2] Die Historikerin Annette Weinke sieht in den Begrenzungen der Ludwigsburger Zentralstelle auf Vorermittlungen und ihre Verpflichtung, den Fall danach an die regional zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben, einen „kardinalen Geburtsfehler“ der Einrichtung, der die Strafverfolgung und Verurteilung der Täter massiv erschwert habe.[3]
https://de.wikipedia.org/
Die Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen der NS-Zeit wurde keineswegs von allen Seiten begrüßt und gefördert. Der Ludwigsburger Bürgermeister Anton Saur befand die Einrichtung als rufschädigend für das Ansehen der Stadt. Regierungsvertreter untersagten Mitarbeitern bis zum Jahre 1964, Archive in Osteuropa zu besuchen, vorgeblich, weil dort gefälschtes Material untergeschoben werde. Als 1965 die Verjährung von Mord drohte, und damit die Möglichkeit, dass untergetauchte NS-Verbrecher wieder auftauchen könnten, erhielt die Zentrale Stelle, deren Anträge von der Bundesregierung stets überheblich und anmaßend zurückgewiesen[11] worden waren, die Erlaubnis, auch Archive in Osteuropa zu nutzen. Eine große Gruppe von Ermittlern reiste nach Warschau und unterbrach damit die Verjährung. Der frühere Generalbundesanwalt Max Güde bezeichnete noch 1968 Staatsanwälte, die aus Moskau Material abholten, als „unsere Idioten“.
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Die Ludwigsburger Zentrale Stelle hat trotz vieler Hemmnisse insgesamt etwa 45 % aller ab 1945 gezählten Vorermittlungen bearbeitet und somit eine beträchtliche Anzahl von Verfahren ausgelöst. In vielen Fällen kam es zu milden Urteilen oder Freisprüchen. Dies wurde von Teilen der Öffentlichkeit mit Unverständnis zur Kenntnis genommen.
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Der Experte für NS-Verbrechen Christiaan F. Rüter kritisierte teilweise die Arbeit der Zentralen Stelle. Diese habe zwar bisweilen auch gute Arbeit geleistet, sei aber ursprünglich gegründet worden „um die Masse der Beihilfe-Leute unverfolgt davonkommen zu lassen“.[22] Nur, um zu ihrem 50-jährigen Bestehen besser da zu stehen, strenge man einen Prozess gegen John Demjanjuk an.[23]
Der damalige Leiter der Zentralen Stelle, Kurt Schrimm, räumte gegenüber der Kritik Rüters ein, dass „objektiv nicht alles getan wurde, um die Nazi-Zeit juristisch aufzuarbeiten“ und anfangs auch Fehler gemacht worden seien. Den Vorwurf „um Schlagzeilen willen zu arbeiten und deswegen einen kleinen Mann zu opfern“, wies er dagegen energisch zurück.[23]
Rüter erneuerte seine Kritik 2013. Mehr als 50 Jahre nach ihrer Gründung verfalle die Zentrale Stelle in „Aktionismus“, nachdem jahrzehntelang gegen niedere NS-Schergen kaum ermittelt worden sei und mache sich damit unglaubwürdig. Der Rechtswissenschaftler Cornelius Nestler nannte die Ursache für dieses Vorgehen „juristische Blindheit“.[26]
2016 bezeichnete der Historiker Klaus Bästlein die Aktivitäten der Zentralen Stelle für die Strafverfolgung von John Demjanjuk und Oskar Gröning als „Inszenierung“ bzw. „aus dem Ruder laufende Ludwigsburger Aktivitäten“, die vom eigentlichen Tatbestand, dass von 6500 SS-Schergen nicht einmal 50 von deutschen Gerichten belangt wurden, nun durch eine ohne konkreten Tatnachweis getroffene, „symbolische Verurteilung“ einzelner Greise, die damals am untersten Ende der SS-Hierarchie standen, ablenken würden.[28]
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Dieses Nichthandeln der deutschen Justiz wird inzwischen von Beobachtern als zweite Schuld Deutschlands bezeichnet. Über die Gründe des Scheiterns der juristischen Aufarbeitung schreibt der Spiegel u. a. „Der Massenmord von Auschwitz war vielen Deutschen vor 1945 egal – danach auch.“ Es hätten sich schlicht keine Juristen gefunden, welche die Täter überführen und bestrafen wollten.[20]
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(vgl. u.a. ECHTERNKAMP, April 2015 | ZEMPEL-Bley, August 2015 | BPB, Juni 2016 | ALTENMÜLLER, Februar 2018 | ZIEGS, Dezember 2018 | HILLENBRAND, Februar 2019 | KELLERHOF, Oktober 2019 | DEUTSCHLANFUNK, Januar 2020 | NORTHARDT und BRÄUTIGAM, Oktober 2021 | GEETS, Oktober 2021 | Podcast Die "Wannsee-Konferenz" - 80 Jahre später (3/3): Die letzten NS-Prozesse, Januar 2022 | RICHTER, Januar 2022 | SACHSENRÖDER, März 2022).
5.1.2.4 Nazi-Jäger-Betitelung von Mitarbeitern der der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Die Vertreter und Mitarbeiter der Ludwigsburger Zentralen Stelle sagen in Interviews und Medienberichten aus, dass sie selbst nicht gerne als sogenannte "Nazi-Jäger" bezeichnet werden möchten. Dennoch werden sie Medienberichten von den Journalisten als "Nazi-Jäger" betitelt, um vereinfacht ihre Tätigkeit zur Aufklärung von NS-Verbrechen illustrierend verkürzt und schlagwortartig darzustellen. Auch andere Privatpersonen sowie durch Institutionen beauftragte Personen und Juristen, die ihre Arbeit der Aufklärung und Aufarbeitung von NS-Verbrechen widmen, werden öffentlich als "Nazi-Jäger" betitelt oder betiteln sich selbst als solche.
5.1.2.5 Ergebnisse zum Stichtag: 3. Januar 2022 der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Seit ihrer Gründung hat die Zentrale Stelle 7694 Vorermittlungen geführt. Die Verfahren wurden in erster Linie dadurch abgeschlossen, dass die Zentrale Stelle sie an die zuständigen Staatsanwaltschaften zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren abgegeben hat. 18688 Verfahren wegen nationalsozialistischer Verbrechen sind seit 1958 bei Staatsanwaltschaften und Gerichten in der Bundesrepublik Deutschland anhängig geworden. Hinzu kommen Verwaltungsvorgänge und sog. Überprüfungsvorgänge, die sich häufig mit der Sichtung weiterer - insbesondere ausländischer - Archivbestände befassen. Die Zentrale Stelle hat bislang rund 118800 dieser Vorgänge sowie Auskünfte bearbeitet. Unsere Zentralkartei umfasst annähernd 1,77 Millionen Karteikarten: gegliedert in Personen, Tatorte und Einheiten. Sie enthält über 700000 Namen von Beschuldigten oder Zeugen sowie mehr als 28000 Tatorte vom Atlantik bis zum Kaukasus. Die gesonderte Dokumentensammlung enthält über 558300 Kopien, deren Auffinden mit Hilfe von rund 163000 Karteikarten erfolgt, auf denen auch der Verbleib der Originaldokumente festgehalten ist.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
5.1.2.6 Archiv und Dokumentation der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
In 1958 wurde auf die Initiative von Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt in Hessen, ein Konvolut von 100 000 Fahndungsakten nicht ans Bundesarchiv, sondern an die Zentrale Stelle in Ludwigsburg übergeben. Die Vereinten Nationen (UNO) übergaben ebenso eine Fahndungsliste mit 30 000 neuen Tatverdächtigen.[10]
https://de.wikipedia.org/
Seit dem Jahr 2000 sind die nicht mehr benötigte Unterlagen der Zentralen Stelle durch die Ludwigsburger Außenstelle des Bundesarchivs bibliothekarisch zugänglich. Eine ständige Ausstellung zu den Ermittlern von Ludwigsburg im nahen Schorndorfer Torhaus unterrichtet über die Geschichte und Tätigkeit der Behörde. Die Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart betreibt die wissenschaftliche Auswertung.
https://de.wikipedia.org/
5.1.2.7 Forschungsstelle der Universität Stuttgart
Die Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart widmet sich seit ihrer Gründung am 1. April 2001 der Erforschung der NS-Verbrechensgeschichte, ihrer unmittelbaren Vorgeschichte und der vielfältigen internationalen Ahndungsversuche. Sie ist dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart zugeordnet.
Zu den Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Verbrechen der SS-Einsatzgruppen und der Gestapo in den von Deutschland besetzten Gebieten, vor allem in Osteuropa sowie die Verbrechen in den Vernichtungslagern für Juden. Weitere Studien der Forschungsstelle untersuchen die NS-Besatzungspolitik in verschiedenen Ländern und Regionen Europas oder analysieren die Beziehungen des Nationalsozialismus zur arabischen Welt.
Seit Bestehen hat die Forschungsstelle eine bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt erschienene umfangreiche Reihe von Monographien und Sammelbänden zur NS-Forschung publiziert.[3]
Im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit kooperiert die Forschungsstelle Ludwigsburg mit dem Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg und der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen.[4]
https://de.wikipedia.org/wiki/Forschungsstelle_Ludwigsburg
Die Forschungsstelle Ludwigsburg erforscht die NS - Verbrechensgeschichte, wobei sie den Hauptakzent auf die kulturellen Antriebskräfte der Täter legt. Eine neue Forschungsstelle der Universität Stuttgart hat Anfang April 2001 die Arbeit aufgenommen. Diese in der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen angesiedelte Einrichtung ist dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Stuttgart zugeordnet. Die 1958 eingerichtete Zentrale Stelle besitzt die weltweit wohl umfangreichste Aktensammlung zur Unrechtsgeschichte des Dritten Reiches. Ihre Akten wurden im April 2000 größtenteils vom Bundesarchiv übernommen. Neben die juristische Ermittlungsarbeit tritt in jüngerer Zeit zunehmend die wissenschaftliche Aufarbeitung der dort lagernden umfangreichen Materialien. Diesem Zweck dient die neue Forschungseinrichtung der Universität Stuttgart.
https://www.hi.uni-stuttgart.de/ng/forschung/ludwigsburg/
5.1.2.8 Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen
Nicht verwechselt werden mit der „Zentralen Stelle“ sollte die bei der Staatsanwaltschaft Dortmund seit dem 1. Oktober 1961 eingerichtete „Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von Nationalsozialistischen Massenverbrechen“, bei der es sich um eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft mit entsprechender Zuständigkeit für das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen handelt.
https://de.wikipedia.org/
NATIONALSOZIALISTISCHE MASSENVERBRECHEN
Auskünfte zu Ermittlungsverfahren, die bei der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen geführt werden, werden vom Leiter der Zentralstelle erteilt. Wenden Sie sich hierfür an
den Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen
für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen
Oberstaatsanwalt Andreas Brendel
Telefonnummer: 0231 926-26132
Telefaxnummer: 0231 926-26091
Mobiltelefonnummer: 0173-7135456.
https://www.sta-dortmund.nrw.de/
5.1.2.9 Aktuelle Stellenausschreibungen der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Aktuelle Stellenausschreibungen zum 1. Januar 2023 sowie ab 1. Juni 2023 der ZENTRALEN STELLE DER LANDESJUSTIZVERWALTUNGEN in Ludwigsburg, Baden-Württemberg, ZUR AUFKLÄRUNG NATIONALSOZIALISTISCHER VERBRECHEN >>>
5.1.2.10 Ausblick zukünftiger Aufgaben der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
Die Überprüfungen der Zentralen Stelle zu Personal in den Konzentrationslagern sind noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus richtet sich der Fokus nun auch auf das Tötungsgeschehen in Kriegsgefangenenlagern und wird eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf ehemalige Angehörige der Einsatzgruppen geprüft, die als mobile Kommandos der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes nach dem Einmarsch deutscher Truppen vor allem in der Sowjetunion planmäßige Massaker verübt haben.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
Anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Zentralen Stelle teilte der baden-württembergische Justizminister im Dezember 2018 mit, dass eine Einschränkung der Ermittlungstätigkeit oder gar eine Auflösung der Zentralen Stelle "derzeit und in naher Zukunft nicht zur Diskussion" stünden. Mit Blick auf die Zukunft waren die Justizministerinnen und Justizminister im Juni 2015 der Auffassung, dass die Zentrale Stelle und der Standort Ludwigsburg nach Ende der Ermittlungstätigkeit auch bei geänderter Nutzungskonzeption als Ort des Gedenkens, der Mahnung, der Aufklärung und der Forschung aufrecht erhalten bleiben sollen - etwa in Form eines Dokumentations-, Forschungs- und Informationszentrums.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
Beschluss der Justizministerkonferenz vom 17./18. Juni 2015 >>>
Die Justizminister und Justizsenatoren der Länder stimmten auf ihrer Konferenz am 17./18. Juni 2015 in Stuttgart überein, dass die Zentrale Stelle „in Ludwigsburg in ihrer bisherigen Form weitergeführt wird, solange Strafverfolgungsaufgaben anfallen.“ Die Justizminister und Justizsenatoren waren zudem „der Auffassung, dass die Zentrale Stelle und der Standort Ludwigsburg nach einem derzeit nicht absehbaren Ende der Ermittlungstätigkeit auch bei geänderter Nutzungskonzeption als Ort des Gedenkens, der Mahnung, der Aufklärung und der Forschung etwa in Form eines Dokumentations-, Forschungs- und Informationszentrums aufrecht erhalten bleiben sollen".
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Im Frühjahr 2022 äußerte Behördenleiter Thomas Will, dass sich die Zentrale Stelle „tatsächlich den mutmaßlich letzten Verfahren nähern“ würde. Für die Zeit danach werde gegenwärtig, so die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges gegenüber der Tageszeitung Badische Neueste Nachrichten (BNN), an einem Konzept für eine Weiterentwicklung zu einem „Zentrum für Dokumentation, Forschung, Information, Erinnerung und Begegnung“ gearbeitet, wie es auch als Ziel im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU vereinbart sei.[21]
https://de.wikipedia.org/
5.1.2.11 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zu Aktuellen Stellenausschreibungen in der Kontinuität und zum Ausblick in der Nazi-Jagd für die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen
Bei der forensischen familienpsychologischen Sachverständigen aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, wird am 19.01.2023 gemäß der Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 vom Familiengericht- Amtsgericht Mosbach beantragt,
- die Kontinuität und Aktualität der Nazi-Jagd zur juristischen Aufklärung von NS-Verbrechen sowohl von Privatpersonen, wie konkret von dem zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach sowie von Institutionen und Behörden zu diesem Zweck, wie der der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
- die öffentliche, wissenschaftliche, politische und juristische Debatte um die Nazi-Jagd zur juristischen Aufarbeitung seitens Privatpersonen, an der sich der zu begutachtende Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit vielen Jahren beteiligt, und Institutionen und Behörden in der NS-Vergangenheitsbewältigung seit 1945
in ihren Stellungnahmen an das Amtsgericht Mosbach dahingehend zu überprüfen und an das Amtsgericht Mosbach zu berichten, ob diese langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit mit Thematisierungen der Nazi-Jagd und sein konkretes Engagement für NS-Prozesse des 21.Jahrhunderts möglicherweise auf eine psychische Persönlichkeitsstörung zurück zu führen sein könnten, und ob sie Kriterien für Anzeichen einer psychischen Erkrankung und einer eingeschränkten Sorgerechtsfähigkeit bei dem zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren, Petenten, Menschenrechtsaktivisten und KV darstellen könnten.
5.1.3 Verjährungsdebatte um Mord und NS-Verbrechen
In den Medien und in der Presse wird die öffentliche, wissenschaftliche, politische und juristische "Verjährungs-Debatte" zur Verfolgung und Ahndung von NS-Verbrechen:
- sowie der mangelnde politische Wille in der Gesetzgebung für eine umfassende Strafverfolgung von NS-Verbrechen
- sowie die daraus resultierende historisch nachgewiesen juristisch weitgehend unvollständige Aufarbeitung von NS-Verbrechen u.a.
wie folgt thematisiert:
Die NS-Tatbestände wie Millionenfache Freiheitsberaubung oder Körperverletzung, wie zahllose Misshandlungen aller Art, wie medizinische Versuche, wie Massensterben durch Hunger und Krankheiten im KZ- und NS-Zwangsarbeitssystem, wie massenhafte Raubtaten, etc., zu denen in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf Grund der Untätigkeit der deutschen Justiz nicht ermittelt worden ist und zu denen dann keine Verfahren eingeleitet wurden, sind mittlerweile daher schon seit Jahrzehnten verjährt. Abgesehen von den Straftatbeständen Mord und Beihilfe zu Mord: Alle anderen Vergehen und Verbrechen (einschließlich der Verbrechen des Totschlages gemäß § 212 Strafgesetzbuch) können wegen Verjährung schon lange nicht mehr geahndet werden.
https://zentrale-stelle-ludwigsburg.justiz-bw.de/
Die Verjährungsfrist für Tötungsverbrechen wurde 1969 auf 30 Jahre verlängert und 1979 schließlich aufgehoben. 1999 wurde beschlossen, die Ludwigsburger Zentrale Stelle solange weiterzuführen, wie Strafverfolgungsaufgaben anfallen. Im April 2001 waren noch 12 Vorermittlungen nicht abgeschlossen.
https://de.wikipedia.org/
1969 – Als die Verjährung für Völkermord aufgehoben wurde
Nach deutschem Recht verjähren Straftaten wie Mord und Völkermord nach ursprünglich 20 Jahre. Damit wären spätestens 1965 alle bis dahin noch nicht verurteilten NS-Verbrecher straffrei davongekommen. Dank der Aufhebung der Verjährung können sie bis heute belangt werden.
ULRICH 2021
Ein juristisches Problem lag in den Verjährungsfristen. Totschlagsdelikte waren bereits 1960 verjährt, und auch Mord wäre nach 20 Jahren verjährt, hätte nicht der Bundestag nach einer hitzigen Debatte die Frist zweimal verlängert und 1979 ganz aufgehoben.
ECHTERNKAMP 2015
Unter dem Begriff Verjährungsdebatte ist eine Aussprache im Deutschen Bundestag vom 10. März 1965 bekannt geworden, die die Verjährung von Verbrechen, deren Verfolgung während der NS-Herrschaft der als Gesetz erachtete „Führerwille“ entgegenstand, verhindern sollte.
Die Debatte gilt weithin als „Sternstunde des Parlaments“[1] und stellt einen wichtigen Schritt bei der Vergangenheitsbewältigung dar. In ihrer Wirksamkeit auf die öffentliche Meinung überragt sie sowohl die zeitlich davor liegende Bundestagsdebatte vom 4. Mai 1960 zum Thema Verjährung wie auch die beiden nachfolgenden Verjährungsdebatten vom 26. Juni 1969 und vom 29. März 1979.
https://de.wikipedia.org/
Sobald die Bundesrepublik Deutschland dann am 5. Mai 1955 ihre Souveränität erhielt, wurden alle Gesetze der Alliierten außer Kraft gesetzt, auch das Kontrollratsgesetz Nummer 10, das die Ahndung von Taten wie Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorsah. Stattdessen galt nun wieder das Strafgesetzbuch aus dem Jahre 1871, nach dem Mord gleich Mord war, auch wenn es sich um Völkermord handelte.
Überdies war Mord diesem Gesetz zufolge nach 20 Jahren verjährt, Totschlag sogar bereits nach 15 Jahren, also am 8. Mai 1960. Da gegen die meisten NS-Verbrecher wegen Totschlags ermittelt wurde, bedeutete dies für die Strafverfolgung, dass man die Ermittlungen nur genügend lange verschleppen musste, um sie in absehbarer Zeit ganz einstellen zu können. Damit schien der Schlussstrich tatsächlich gezogen, wenn nicht.
Nach deutschem Recht verjähren Straftaten wie Mord und Völkermord nach ursprünglich 20 Jahre. Damit wären spätestens 1965 alle bis dahin noch nicht verurteilten NS-Verbrecher straffrei davongekommen. Dank der Aufhebung der Verjährung können sie bis heute belangt werden.
Nach Ansicht von Jens Rommel, Leiter der Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, hat es in der deutschen Justiz lange große Zurückhaltung gegeben, alle NS-Verbrecher angemessen zu verurteilen.
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Die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen von 1933 bis 1945 ist Thema einer Vielzahl von historischen oder politikwissenschaftlichen Publikationen. Bundesdeutsche Gerichte dagegen urteilten in vielen Fällen bis in die 1980er Jahre unfassbar milde oder sprachen die Angeklagten frei. Dazu wurden u.a. Notstands- oder Putativnotstandslagen angenommen oder – wie im Falle von SS-Angehörigen oder Polizisten – ungerechtfertigterweise Militärstrafrecht angewendet. Strafmildernd wurde rechtsmissbräuchlich auch die Jugend von (erwachsenen) Tätern oder die „Verstrickung in ein System der Gewaltherrschaft“ angeführt. „Nicht wenige Landgerichte haben als Strafmilderungsgrund berücksichtigt, dass die jahrelange NS- Propaganda gegen Juden, Sinti und Roma und andere Staatsfeinde die Hemmschwelle der SS- Schergen gegenüber (…) Häftlingen bei der Begehung von Straftaten auf ein Mindestmaß herabgesetzt hat.“ (S. 441) Nationalsozialistische Propaganda wurde damit zum Milderungsgrund.
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Debatte im Deutschen Bundestag
Mit einer Zweidrittelmehrheit beschloss der Bundestag noch am selben Tag, die Verjährung für Völkermord aufzuheben und für Mord auf 30 Jahre heraufzusetzen, beginnend mit der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949. So musste sich das Parlament zehn Jahre später erneut mit der Frage auseinandersetzen. Am 3. Juli 1979 entschied der Bundestag, die Verjährung für Mord und Völkermord endgültig aufzuheben.
Nach der Aufhebung der Verjährungsfrist konnten unter anderem ehemalige SS-Angehörige des KZs Majdanek 1981 wegen Mordes beziehungsweise Beihilfe zum Mord ebenso verurteilt werden wie 2012 der 91-jährige John Demjanjuk als Erfüllungsgehilfe im Vernichtungslager Sobibor. Nachdem die Justiz jahrzehntelang eine konsequente Verfolgung von Naziverbrechen versäumt hatte, war er einer der letzten noch lebenden Handlanger der NS-Massenmorde, der sich vor Gericht verantworten musste.
1969 verschob der Bundestag erneut die Verjährung, dieses Mal um zehn Jahre. 1979 beschloss er dann mit 255 zu 222 Stimmen, die Verjährung für Mord und Völkermord gänzlich aufzuheben. Für die Arbeit der Ludwigsburger brachte das keine Vorteile mehr, denn bereits im Oktober 1968 war mit der Neufassung des Paragraphen 50 Absatz 2 des Strafgesetzbuches die „kalte Amnestie“ durchgesetzt worden.
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5.1.4 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zur Debatte um den Konkreten "Einzeltatnachweis" als Verurteilungsgrundlage in der "Beihilfe zum Mord" bei NS- und Kriegsverbrechen
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21, die langjährigen offiziell nachweisbaren Anti-Nazi- und Nazi-Jäger-Aktivitäten des KVs und Antragstellers von NS-Verfahren in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Auch unter konkreter Bezugnahme auf die Internet-Präsenz http://www.nationalsozialismus-in-mosbach-baden.de/ Siehe dazu Kapitel 1 und 5 auf dieser Seite.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von 2004 bis 2011, im Rahmen seiner sogenannten "Nazi-Jäger"-Aktivitäten im sachverhaltsbezogenen Kontext zur Problematik des Nationalsozialismus vor und nach 1945 und dessen Aufarbeitung bis heute. Siehe dazu auch Kapitel 1 und Kapitel 5 auf dieser Seite.
Der Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach ist kein Jurist und kein Polizeibeamter. Der Antragsteller von NS-Verfahren seit ca. 2004, u.a. seit Sommer 2022 beim Amtsgericht Mosbach, leistet wie andere "Nazi-Jäger"-Privatpersonen ehrenamtlich in seiner langjährigen Anti-Rassistischen Menschenrechtsarbeit wiederholt und kontinuierlich öffentlich nachweisbar Recherchearbeit mit dem Zusammentragen von Informationen sowie mit der Antragstellung für die außergerichtlich politische und wissenschaftliche sowie für die gerichtlich juristische Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen und arbeitet somit als Hinweisgeber aus der Bevölkerung.
Dazu zählen auch die konkreten öffentlich nachweisbaren Beteiligungen des zu begutachtenden Antragstellers von NS-Verfahren aus 2008, wobei das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 direkt auf dessen Nazi-Jagd-Aktivitäten aus 2008 für die amtsseitig gerichtlich beauftragte gutachterliche Aus- bzw. Bewertung verweist, an der konkreten Nazi-Jagd nach dem KZ-Wachmann John Demjanjuk, um diesen in der BRD vor Gericht bringen, wobei dann Urteil und Konsequenz aus dem Demjanjuk-Prozess in 2011 eine historisch und juristisch bedeutende Wendung in der BRD-Rechtsaufassung und BRD-Rechtssprechungspraxis zu NS-Verfahren ergeben.
Der Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach hat sich im Rahmen seiner Anti-Rassistischen Menschenrechtsarbeit und seiner sogenannten „Nazi-Jäger“-Aktivitäten öffentlich nachweisbar an der strafrechtlichen Verfolgung des KZ Wächters Demjanjuk unter 1612 Js 3444/08 bei der Staatsanwaltschaft Kassel mit seiner Strafanzeige vom 20.01.2008 wegen Mord und Beihilfe zu Mord auf Grund dessen Tätigkeiten als Mitglied der SS-Hilfstruppen in Nazi-Konzentrationslagern beteiligt. Und dies noch vor Einleitung bzw. Durchführung seines Auslieferungsverfahrens. John Demjanjuk wurde in 2009 von der USA an die BRD ausgeliefert und als erster nicht-deutscher NS-Befehlsempfänger vor ein deutsches Gericht gestellt und dann am 12.05.2011 durch das Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen verurteilt.
Nach dem Demjanjuk-Urteil von 2011 und nach dem Gröning-Urteil von 2016 sind auch sämtliche Personen als Teil des NS-Vernichtungssystems juristisch zur Verantwortung zu ziehen, die das massenhafte Töten ermöglicht haben auf der Suche nach später Gerechtigkeit für die Opfer und für die Bestrafung noch lebender NS-Täter. Seitdem ist es auch möglich, Personen ohne konkreten Tatnachweis für Beihilfe zum Mord zu verurteilen, weil es für eine solche Verurteilung ausreicht, an der Aufrechterhaltung der NS-Vernichtungsmaschinerie beteiligt gewesen zu sein. Wer demnach hätte erkennen müssen, dass dort systematische Tötungen stattfanden, machte sich mitschuldig, auch wenn er oder sie nicht unmittelbar beteiligt war. Im Fall von NS-Verbrechen bedarf es daher in Deutschland seitdem keinen "EINZELTATNACHWEIS" mehr.
In den Medien und in der Presse wird die öffentliche, wissenschaftliche, politische und juristische Debatte um den sogenannten "Einzeltatnachweis"
- sowie der mangelnde politische Wille in der Gesetzgebung für eine umfassende Strafverfolgung von NS-Verbrechen
- sowie die daraus resultierende historisch nachgewiesen juristisch weitgehend unvollständige Aufarbeitung von NS-Verbrechen u.a.
wie folgt thematisiert:
Mord oder "Befehlsnotstand"? Ein Problem bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen war die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß des organisierten Massenmordes an europäischen Juden und einem Mordparagrafen, der für eine Verurteilung individuelle Tatnachweise voraussetzt. Das bedeutet: Täter konnten nur dann verurteilt werden, wenn ihnen eine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, was einschließt, dass die Tat ohne Befehl und aus niederen Motiven wie zum Beispiel Rassenhass begangen wurde. Dem stand entgegen, dass sich Täter oft auf den so genannten "Befehlsnotstand" beriefen und bekundeten, dass ihnen bei Unterlassung ihrer Taten Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte. Als besonders schwierig erwies sich, in dem quasi-industriell aufgebauten Mordkomplex des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz einer einzelnen Person die Hauptverantwortung für eine einzelne Tat nachzuweisen.
BPB 2020
Auch im 21. Jahrhundert gibt es Nachfolgeprozesse. Im Jahr 2011 gab die Rechtsprechung mit der Verurteilung von John Demjanjuk, einem ehemaligen Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, erstmals den für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord erforderlichen konkreten Einzeltatnachweis auf; das Urteil wurde jedoch nicht rechtskräftig.
https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Prozesse
Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden derzeit die wahrscheinlich letzten Gerichtsverfahren gegen NS-Verbrecher statt. Wie kam es dazu, dass ehemalige SS-Wachleute, KZ-Sekretärinnen und -Buchhalter so viele Jahre unbehelligt blieben?
Lange hatte die deutsche Justiz den sogenannten "Einzeltatnachweis" verlangt, der gerade bei den Tausenden Mittätern schwer zu erbringen ist. Dabei hatte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer schon im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 gezeigt, dass es möglich ist, auch die kleineren Rädchen im Getriebe der Mordmaschinerie vor Gericht zu bringen.
WDR 2023
Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz forderte in seinem Plädoyer am 22. März 2011 eine Gesamtstrafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe. Es sei erwiesen, dass Demjanjuk im Jahr 1943 bei der Ermordung von mindestens 27.900 Juden mitgewirkt habe. Die Vorwürfe seien auch ohne einzelnen Tatnachweis stichhaltig. Jede Schuld sei individuell, Zweck der Strafe sei aber auch Sühne und für eine gewisse Genugtuung bei den Opfern zu sorgen. Als strafmildernd ließ Lutz gelten, dass Demjanjuk selbst Opfer der Deutschen war und gegen seinen Willen zum Wachdienst verpflichtet wurde. Er sei Gehilfe ohne eigenen Verantwortungsbereich gewesen. Allerdings habe kein Befehlsnotstand bestanden, weil eine Flucht möglich gewesen sei.[48]
https://de.wikipedia.org/wiki/John_Demjanjuk
Trotz der schwierigen Beweislage schien es notwendig – nach den damals noch geltenden Regeln des deutschen Strafgesetzbuches – jedem Angeklagten einen konkreten Tatbeitrag und persönliche Schuld nachzuweisen.
Im historischen Urteil gegen John Demjanjuk von 2011, zwangsverpflichtet als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor, wurde erstmals ein Täter ohne konkreten Tatnachweis verurteilt. Das Gericht ging davon aus, dass jeder im Lager Beschäftigte ein Mordhelfer war. So weit war die bundesdeutsche Rechtsprechung im Jahr 1981 noch nicht.
ULRICH 2021
Mit Oskar Gröning, dem sogenannten Buchhalter von Auschwitz, wurde ein SS-Mann aus einem solchen Lager wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, ohne dass ihm eine konkrete Einzeltat nachgewiesen werden musste. 1969 wäre auf dieser Grundlage kein Urteil möglich gewesen. Damals musste das Gericht den Beschuldigten eine Einzeltat nachweisen.
GRÄFF 2019
Der Ermittler im Fall Demjanjuk hält eine Beteiligung an Massenmorden in NS-Vernichtungslagern auch ohne Beweise für einzelne Taten für strafbar. Der "eherne Grundsatz" in deutschen Strafverfahren, dass eine konkrete Tat ermittelt werden müsse, bedürfe in dem speziellen Fall der "industriell durchgeführten Massentötung" der Nazis einer Anpassung, sagte Thomas Walther am Dienstag im Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk vor dem Landgericht München II.
Es habe in dem Lager nur zwei Gruppen gegeben: die wenigen, die dort beschäftigt waren, und die vielen Opfer. Deshalb sei er zu dem Schluss gekommen, "dass ich so einen Einzeltatnachweis in einer solchen Einrichtung nicht zu führen habe".
STERN 2010
Die Wachmänner der KZ, darüber besteht kaum Zweifel, mussten über den systematischen Mord in den Lagern Bescheid gewusst haben. Dass sie nun, so lange nach dem Krieg, angeklagt werden, das können viele Menschen nicht verstehen, am allerwenigsten die Täter selbst. Oskar Gröning fragte während des Verfahrens, wo das alles hinführen solle: Würden nun auch Lokführer und alle anderen Helfer angeklagt? „Ja, selbstverständlich“, sagt Staatsanwalt Will, „wenn sie zur Tat beigetragen haben. Es würde doch heute auch niemand sagen: Jemand, der Gefangene bewacht, die ermordet werden sollen, macht sich nicht mindestens als Gehilfe schuldig. Das widerspricht doch jedem vernünftigen Denken!“
Was wir getan haben, war böse, aber damals nicht illegal und damit strafrechtlich auch heute nicht relevant. Beschuldigte behaupten häufig, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten ein Produkt von Befehlen und Gehorsam gewesen wären. Das bezeichnet Martin Cüppers als „reine Fiktion“.
GEETS 2021
Die Rechtsauffassung, dass nur jene Nazi-Täter zur Verantwortung gezogen werden können, denen eine persönliche Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, änderte sich dagegen nur allmählich. Beihilfe zum Mord und Mord sind die einzigen Verbrechen aus der Nazi-Zeit, die noch nicht verjährt sind. Gleichzeitig galten aber beispielsweise SS-Wachen, die mit ihren Taten einen Anteil daran hatten, dass Morde geschehen konnten, im juristischen Sinne nicht als Beihelfer.
Das änderte sich mit dem Prozess gegen den in der Ukraine geborenen SS-Wachmann John Demjanjuk, der 2011 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 28.060 Fällen im Interner Link:Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Demjanjuk starb 2012, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Ab 2011 wurde es möglich, auch jene Mittäter zur Verantwortung zu ziehen, die ihren Anteil daran hatten, dass die Mordmaschine der Nationalsozialisten funktionieren konnte.
BPB 2020
Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden derzeit die wahrscheinlich letzten Gerichtsverfahren gegen NS-Verbrecher statt. Wie kam es dazu, dass ehemalige SS-Wachleute, KZ-Sekretärinnen und -Buchhalter so viele Jahre unbehelligt blieben?
Lange hatte die deutsche Justiz den sogenannten "Einzeltatnachweis" verlangt, der gerade bei den Tausenden Mittätern schwer zu erbringen ist. Dabei hatte Generalstaatsanwalt Fritz Bauer schon im Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 gezeigt, dass es möglich ist, auch die kleineren Rädchen im Getriebe der Mordmaschinerie vor Gericht zu bringen.
WIELAND 2023
Viele der Täter, die wegen schwerer Verbrechen zu Haftstrafen verurteilt worden waren, wurden in den 1950er-Jahren begnadigt und gelangten nach kurzem Arrest wieder auf freien Fuß. Die westdeutsche Öffentlichkeit, nicht zuletzt die Veteranen, setzten sich für die Freilassung ihrer, wie sie meinten, zu Unrecht verurteilten Kameraden ein.
ECHTERNKAMP 2015
Der systematische Massenmord in den Konzentrationslagern des NS-Regimes fand nicht durch einzelne, wenige Täter statt, sondern nur durch die Unterstützung von tausenden Mittätern. Lange konnte die deutsche Justiz dieser historischen Tatsache nicht gerecht werden. Durch Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wurden bei den Frankfurter Auschwitz Prozessen 1963 zum ersten Mal Angeklagte für Beihilfe zum Mord vor ein deutsches Gericht gebracht. Doch schon damals kam es, trotz umfassender Erkenntnisse, nicht zu einer Prozessflut – im Gegenteil: die Strafverfolgung von NS-Verbrechern nahm sogar ab. Rund 60 Jahre später findet Fritz Bauers Erbe nun Anwendung.
REALFICTIONFILME 2023
Lange kaum Strafverfolgung von NS-Mittätern
Der Dokumentarfilm zeigt den schwierigen Weg der rechtlichen Aufarbeitung des systematischen Massenmords in den Konzentrationslagern des NS-Regimes bis heute. 1963 war der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer der erste Jurist, der auch die Menschen, die in den Verwaltungen und Institutionen am Massenmord der Shoah mitgewirkt hatten, wegen Beihilfe zum Mord vor einem deutschen Gericht anklagte. Doch trotz umfassender Erkenntnisse kam es damals nicht zu vielen weiteren Prozessen. Im Gegenteil: Die Strafverfolgung von NS-Verbrechern nahm in den Folgejahren sogar ab. Rund 60 Jahre später findet Fritz Bauers Erbe nun Anwendung.
Der Dokumentarfilm „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ zeigt anhand der jüngsten NS-Prozesse wie sich Fritz Bauers Ansatz doch noch als neues Prinzip der Rechtsauffassung in Deutschland etablieren konnte.
RUPELRATH 2023
»Im November 2018 steht der 95-jährige Johann R. wegen Beihilfe zum Mord in Hunderten Fällen vor Gericht. Im Konzentrationslager Stutthof soll er als SS-Mann Teil der Lageraufsicht gewesen sein. Wieso sind so viele Jahre bis zum Prozessbeginn verstrichen? Was bedeutet der Prozess für Überlebende der Shoah, für die deutsche Rechtsprechung und die Aufarbeitung der deutschen Geschichte?
ARTESCHOCK 2023
"Basis der Anklage ist das Konzept des Common Design: Wer an einem System von Tötungen und Misshandlungen billigend mitmacht, muss sich vor Gericht genau so verantworten wie das Führungspersonal. Common Design beinhaltet eine sehr umfassende Vorstellung von Komplizenschaft. Es geht um die Frage, sind nur diejenigen Schuld, die Blut an den Händen haben? Oder nicht auch all die, die es gewusst haben, an der Vorbereitung beteiligt waren, das Funktionieren eines Lagers erst ermöglicht haben. Diese Überlegung bezieht viel mehr Akteure in die Komplizenschaft ein, als eine einfache Unterscheidung zwischen Haupttäter, Mittäter, Nebentäter. [...] Alle, die als Rädchen im Getriebe der NS-Lagern für die dort begangenen Verbrechen mit verantwortlich sind." Quelle: Die Rastatter Prozesse Doku (2021).
https://youtu.be/0-rDHUGoSg4
Bei der forensischen familienpsychologischen Sachverständigen aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, wird am **.01.2023 gemäß der Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 vom Familiengericht- Amtsgericht Mosbach beantragt,
- diese konkrete langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit des Antragstellers von NS-Verfahren hinsichtlich der Nazi-Jagd nach dem KZ-Wachmann John Demjanjuk von 2008 bis 2011 während der NS-Prozesse des 21. Jahrhunderts
- die Debatte um den Einzeltatnachweis und Beihilfe zu Mord, Anklagekonzept des "Common Design" in der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen
in ihren Stellungnahmen an das Amtsgericht Mosbach dahingehend zu überprüfen und an das Amtsgericht Mosbach zu berichten, ob diese langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit mit Thematisierungen der Nazi-Jagd nach dem KZ-Wachmann John Demjanjuk möglicherweise auf eine psychische Persönlichkeitsstörung zurück zu führen sein könnte, und ob sie Kriterien für Anzeichen einer psychischen Erkrankung und einer eingeschränkten Sorgerechtsfähigkeit bei dem zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren, Petenten, Menschenrechtsaktivisten und KV darstellen könnte.
Siehe dazu auch:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 >>>
- Frühere außergerichtliche NS-Aufarbeitungen 2005 bis 2011 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen 2004 bis 2010 >>>
- Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach in NS-Verfahren >>>
- Anhörungsrügen gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach In NS-Verfahren >>>
- Richterliche Befangenheit und Befangenheit von Sachverständigen beim Amtsgericht Mosbach in NS-Verfahren >>>
- Petitionen beim Landtag Baden-Württemberg >>>
- Erklärungen des Justizministeriums Baden-Württemberg seit 2022 zu Rechtsmitteln und statistischen Erhebungen bei NS-Verfahren >>>
- Historische und Aktuelle NS-Prozesse >>>
5.1.5 Beantragte Stellungnahme bei der vom Amtsgericht Mosbach gerichtlich beauftragten forensischen Sachverständigen Gutachterin aus Kitzingen zur Debatte um den angeblichen "Befehlsnotstand" als Legitimationsversuch von NS- und Kriegsverbrechen
Das Familiengericht-Amtsgericht Mosbach, Hauptstraße 110, 74281 Mosbach, beauftragt die forensische Sachverständige aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22, die Anti-Nazi- und Nazi-Jäger-Aktivitäten des KVs und Antragstellers in einer ergänzenden Stellungnahme gutachterlich einzuschätzen und zu bewerten. Auch unter konkreter Bezugnahme auf die Internet-Präsenz http://www.nationalsozialismus-in-mosbach-baden.de/ Siehe dazu auch Kapitel 1 und 5 auf dieser Seite.
Dazu zählen laut Anweisungen dieser amtsgerichtlichen Verfügungen SOWOHL die seit Sommer 2022 vom Antragsteller beim Amtsgericht Mosbach initiierten NS- und Rechtsextremismus-Verfahren ALS AUCH seine außergerichtlichen und gerichtlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen zu Nationalsozialistischem Unrecht und Nationalsozialistischen Verbrechen aus dem Zeitraum um 2008, d.h. konkret von ca. 2004 bis 2011.
Der Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach ist kein Jurist und kein Polizeibeamter. Der Antragsteller von NS-Verfahren seit ca. 2004, u.a. seit Sommer 2022 beim Amtsgericht Mosbach, leistet wie andere "Nazi-Jäger"-Privatpersonen ehrenamtlich in seiner langjährigen Anti-Rassistischen Menschenrechtsarbeit wiederholt und kontinuierlich öffentlich nachweisbar Recherchearbeit mit dem Zusammentragen von Informationen sowie mit der Antragstellung für die außergerichtlich politische und wissenschaftliche sowie für die gerichtlich juristische Aufarbeitung von NS-Unrecht und NS-Verbrechen und arbeitet somit als Hinweisgeber aus der Bevölkerung.
Dazu zählen auch die konkreten öffentlich nachweisbaren Beteiligungen des zu begutachtenden Antragstellers von NS-Verfahren aus 2008 (wobei das Amtsgericht Mosbach in seinen Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 direkt auf dessen Nazi-Jagd-Aktivitäten aus 2008 für die amtsseitig gerichtlich beauftragte gutachterliche Aus- bzw. Bewertung verweist) an der konkreten Nazi-Jagd nach dem KZ-Wachmann John Demjanjuk, um diesen in der BRD vor Gericht bringen, wobei dann Urteil und Konsequenz aus dem Demjanjuk-Prozess in 2011 eine historisch und juristisch bedeutende Wendung in der BRD-Rechtsaufassung und BRD-Rechtssprechungspraxis zu NS-Verfahren ergeben.
Der Antragsteller von NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach hat sich im Rahmen seiner Anti-Rassistischen Menschenrechtsarbeit und seiner sogenannten „Nazi-Jäger“-Aktivitäten öffentlich nachweisbar an der strafrechtlichen Verfolgung des KZ Wächters Demjanjuk unter 1612 Js 3444/08 bei der Staatsanwaltschaft Kassel mit seiner Strafanzeige vom 20.01.2008 wegen Mord und Beihilfe zu Mord auf Grund dessen Tätigkeiten als Mitglied der SS-Hilfstruppen in Nazi-Konzentrationslagern beteiligt. Und dies noch vor Einleitung bzw. Durchführung seines Auslieferungsverfahrens. John Demjanjuk wurde in 2009 von der USA an die BRD ausgeliefert und als erster nicht-deutscher NS-Befehlsempfänger vor ein deutsches Gericht gestellt und dann am 12.05.2011 durch das Landgericht München wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen verurteilt.
Nach dem Demjanjuk-Urteil von 2011 und nach dem Gröning-Urteil von 2016 sind auch sämtliche Personen als Teil des NS-Vernichtungssystems juristisch zur Verantwortung zu ziehen, die das massenhafte Töten ermöglicht haben auf der Suche nach später Gerechtigkeit für die Opfer und für die Bestrafung noch lebender NS-Täter. Seitdem ist es auch möglich, Personen ohne konkreten Tatnachweis für Beihilfe zum Mord zu verurteilen, weil es für eine solche Verurteilung ausreicht, an der Aufrechterhaltung der NS-Vernichtungsmaschinerie beteiligt gewesen zu sein. Wer demnach hätte erkennen müssen, dass dort systematische Tötungen stattfanden, machte sich mitschuldig, auch wenn er oder sie nicht unmittelbar beteiligt war. Im Fall von NS-Verbrechen bedarf es daher in Deutschland seitdem keines Einzeltatnachweises mehr. Das Argument "BEFEHLSNOTSTAND" ist in der historischen Forschung seit langem und später in der juristischen Bewertung, wie im Demjanjuk-Urteil, widerlegt und heute nicht mehr zulässig.
In den Medien und in der Presse wird die öffentliche, wissenschaftliche, politische und juristische Debatte um den sogenannten "Befehlsnotstand"
- sowie der mangelnde politische Wille in der Gesetzgebung während der ersten Jahrzehnte in der Nachkriegszeit für eine umfassende Strafverfolgung von NS-Verbrechen
- sowie die u.a. daraus resultierende historisch nachgewiesen juristisch weitgehend unvollständige Aufarbeitung von NS-Verbrechen u.a.
wie folgt thematisiert:
Befehlsnotstand
Befehlsnotstand ist ein Begriff aus der Strafrechtsdogmatik.
Allgemeine gesetzliche Regelungen finden sich in § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) und § 35 StGB (entschuldigender Notstand). Beide Regelungen setzen voraus, dass einem Befehlsempfänger für den Fall, dass er einen (verbrecherischen) Befehl nicht ausführt, eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben droht.[1] Bei Ausführung des Befehls bleibt der Befehlsempfänger dann aufgrund dieser Zwangslage straffrei.
Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg
Der Befehlsnotstand spielte insbesondere in NS-Prozessen wegen Kriegsverbrechen während des Nationalsozialismus eine große Rolle, da sich viele Angeklagte darauf beriefen, um ihre individuelle Schuld zu verneinen.
Das von dem Internationalen Militärgerichtshof angewendete IMT-Statut erkennt in Art. 8 die Tatsache, dass ein Angeklagter auf Befehl seiner Regierung oder eines Vorgesetzten gehandelt hat, nicht als Strafausschließungsgrund an. Das Handeln auf Befehl konnte nur als Strafmilderungsgrund berücksichtigt werden, wenn dies nach Ansicht des Gerichtshofes gerechtfertigt erschien.[2]
Der Bundesgerichtshof legte seiner Rechtsprechung die allgemeinen Regelungen in §§ 34, 35 StGB (bis 1974 § 52 StGB a.F.) zugrunde, da es spezielle Regelungen im Militärstrafrecht nicht gab.
Ein Befehlsnotstand konnte danach nur gegeben sein, wenn die Handlung dem Befehlsempfänger „durch die Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben abgenötigt, also sein Wille durch diese Drohung gebeugt wird“ bzw. „wenn die Tat ,zur Rettung‘ begangen worden ist, das heißt, wenn die Vorstellung der Gefahr den Täter zu seinem rechtswidrigen Handeln bewogen hat“.[3]
Weder die Gefahr einer Degradierung noch der Abstellung zu einer Bewährungseinheit begründeten die erforderliche Gefahr für Leib oder Leben.[4] Unter gegenwärtiger Gefahr sei „ein Zustand zu verstehen, der nach menschlicher Erfahrung bei natürlicher Weiterentwicklung der gegebenen Sachlage den Eintritt einer Schädigung sicher oder doch höchst wahrscheinlich macht, wenn nicht alsbald eine Abwehrmaßnahme ergriffen wird".[5] Die Annahme eines „Befehlsnotstandes“ bedarf daher konkreter Feststellungen darüber, in welcher Weise „nach menschlicher Erfahrung bei natürlicher Weiterentwicklung der gegebenen Sachlage“ eine Schädigung an Leib oder Leben „sicher oder doch höchst wahrscheinlich“ eingetreten wäre. Die bloße Möglichkeit einer Schädigung an Leib oder Leben entspreche nicht dem Begriff der Gefahr und reiche für die Annahme eines Befehlsnotstands nicht aus. Der Befehlsempfänger müsse sich außerdem „nach dem Maße aller seiner Kräfte bemüht“ haben, der Gefahr auf andere Weise als durch Ausführung des Befehls zu entgehen.
§ 47 des zur Tatzeit geltenden Militärstrafgesetzbuches besagte:
„(1) Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers:
1. wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat, oder
2. wenn ihm bekannt gewesen ist, daß der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen bezweckte.[6][7]
(2) Ist die Schuld des Untergebenen gering, so kann von seiner Bestrafung abgesehen werden."
In der historischen Forschung[8] ist kein Fall dokumentiert, wonach ein Untergebener wegen der Nichtausführung eines offensichtlich verbrecherischen Befehls entgegen § 47 Abs. 1 Nr. 2 Militärstrafgesetzbuch verurteilt worden wäre. Eine Gefahr für Leib und Leben von Seiten der SS- und Polizeigerichte drohte also nicht, wenn etwa ein Angehöriger der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD den Gehorsam verweigert hätte.[9][10][11]
Gegen die Annahme eines Befehlsnotstands spricht, wenn der Befehlsempfänger einen (verbrecherischen) Befehl mit Bereitwilligkeit, Hingabe, Zielstrebigkeit, ohne Hemmung oder „ohne eigene Überlegung in großer Eile“ ausführte, mehr noch, wenn er ohne jeden Zwang wesentlich mehr tat, als von ihm erwartet wurde, insbesondere wenn er dabei Brutalität an den Tag legte, wenn er die Opfer misshandelte oder wenn er über die befohlenen Handlungen hinaus Exzesse beging, aber auch wenn er (als Vorgesetzter) eigenhändig an den Tötungen mitwirkte oder wenn er sich später seiner Mitwirkung rühmte.[12] Mit einer derart aktiven Rolle während des Holocaust verwehrte etwa das Jerusalemer Bezirksgericht Adolf Eichmann die Berufung auf einen strafmildernden Befehlsnotstand.[13]
https://de.wikipedia.org/wiki/Befehlsnotstand
Die meisten anderen Mitglieder der Einsatzgruppen blieben trotz der klaren Quellenlage unbehelligt. Das gleiche gilt für zahlreiche Täter in Konzentrationslagern, die sich später auf Befehlsnotstand beriefen.
SCHWERD 2015
Kernstück der Anklage ist Demjanjuks Dienstausweis, dessen "höchstwahrscheinliche Echtheit" von mehreren Gutachtern bestätigt wurde. Die Verteidigung sieht den mittlerweile staatenlosen 90-Jährigen als "Opfer des Nationalsozialismus", der büßen solle, während in den fünfziger und sechziger Jahren etliche SS-Wachmänner vor Gericht auf Befehlsnotstand plädierten - und glimpflich davon kamen.
SUEDDEUTSCHE 2009
An anderen Fehleinschätzungen hielt er auch 51 Jahre nach Kriegsende weiter fest. 1996 war er noch immer der Meinung, dass die Erschießung von 335 Menschen ein - wie er sagte - legitimer Akt gewesen sei und dass ihn als Befehlsempfänger daran keine Schuld träfe.
DER SPIEGEL 2016
Ausreden wurden bereitwillig akzeptiert: Es habe nach 1945 lange gedauert, die Argumentation der Täter, sie selbst seien bei Befehlsverweigerung der Lebensgefahr ausgesetzt gewesen, als falsch zu entlarven. „Das ist eine Ausrede gewesen, die erst durch die Geschichtsschreibung, durch die Historiker in einem mühseligen Prozess dann auch nicht mehr länger gegolten hat. Die Bereitschaft, solche Ausreden hinzunehmen, die hat es jahrzehntelang gegeben“, erklärt Frei. Deswegen habe es auch lange gedauert, bis in der Justiz ein Perspektivwechsel stattgefunden habe.
FREI; ELLMENREICH 2021
Im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess 1947/48 wollte sich Sandberger aus der Verantwortung stehlen; "gewunden", so Wildt, versuchte er den Richtern klarzumachen, dass er nur ein kleiner Befehlsempfänger gewesen sei. Doch Michael Musmanno ließ sich nicht hinters Licht führen: Das Todesurteil hatte Bestand; US-Militärgouverneur Lucius D. Clay bestätigte es 1949.
KELLERHOF, SANDBERGER 20210
Auch in seiner Ludwigsburger Zeit hat er den Aufbau der Behörde und die frühen Vorermittlungen vorangetrieben. Allerdings hat man damals bewusst die "kleinen" Befehlsempfänger nicht einbezogen. Was war der größte Misserfolg der Zentralen Stelle?
Es sind zu viele NS-Verbrecher davongekommen. Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren.
LÜPKE-SCHWARZ 2018
In den Medien und der Öffentlichkeit rief dieses niedrige Strafmaß heftigen Protest hervor, zumal der Historiker Hans-Günther Seraphim als Sachverständiger vor Gericht erläutert hatte, dass die Verweigerung eines Schießbefehls keineswegs mit dem Tod geahndet worden und auch nach damaligen Gesetzen rechtswidrig gewesen sei. Aber als Haupttäter galten lediglich Hitler, Himmler oder Heydrich, während Massenmörder wie Fischer-Schweder nur als ihre Gehilfen angesehen wurden – ein Rechtsverständnis, aufgrund dessen ein Großteil der NS-Verbrecher auch in späteren Prozessen mit auffallend niedrigen Strafen davon kamen.
ZIEGS 2008
Nach 1945 machte sich eine Art kollektive Verdrängung in Deutschland und Österreich breit: Was wir getan haben, war böse, aber damals nicht illegal und damit strafrechtlich auch heute nicht relevant. Beschuldigte behaupten häufig, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten ein Produkt von Befehlen und Gehorsam gewesen wären. Das bezeichnet Martin Cüppers als „reine Fiktion“.
GEETS 2021
WDR.de: Oft haben die Täter jahrzehntelang ein unbehelligtes Leben geführt. Quält diese Menschen denn kein schlechtes Gewissen? Maaß: Meiner Erfahrung nach berufen sich die Täter darauf, dass sie auf Befehl gehandelt haben. Sie fühlen kein Unrecht - genauso wie die Mauerschützen. Die haben nicht gesehen, dass es ein allgemeingültiges Menschenrecht gibt. Ich habe es noch nie erlebt, dass einer der von mir angeklagten NS-Täter Reue gezeigt hätte. Oft sagen die Täter: "Ja klar, ich war dabei, aber nur ein ganz kleines Licht." Das müssen wir widerlegen. Viele sagen: "Ich musste den Befehl ausführen." Aber das ist ein Mythos.
SCHLUSEN 2010
In einer von seinem Verteidiger am Dienstag (08.12.09) vorgelesenen Erklärung hieß es wörtlich: "Ich habe 1944 zu keinem Zeitpunkt mit dem Bewusstsein oder mit dem Gefühl gehandelt, ein Verbrechen zu begehen. Heute nach 65 Jahren sehe ich das natürlich aus anderem Blickwinkel." In der Erklärung schilderte der Angeklagte, wie er mit einem Komplizen drei vermeintliche Widerstandskämpfer erschoss. Damals habe er die "Repressalmaßnahmen" als notwendig und rechtens erachtet. "Als einfacher Soldat habe ich gelernt, Befehle auszuführen."
Erst mit dem neuen EU-Recht kam die Anklage. Gegen den SS-Mann wurde erst Anfang der 80er Jahre auch in Deutschland ermittelt. Doch ein Ermittlungsverfahren wurde damals von der Staatsanwaltschaft wieder eingestellt. Sie stufte sein Handeln als nicht völkerrechtswidrig ein, zudem habe er nur auf Befehl gehandelt.
Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz forderte in seinem Plädoyer am 22. März 2011 eine Gesamtstrafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe. Es sei erwiesen, dass Demjanjuk im Jahr 1943 bei der Ermordung von mindestens 27.900 Juden mitgewirkt habe. Die Vorwürfe seien auch ohne einzelnen Tatnachweis stichhaltig. Jede Schuld sei individuell, Zweck der Strafe sei aber auch Sühne und für eine gewisse Genugtuung bei den Opfern zu sorgen. Als strafmildernd ließ Lutz gelten, dass Demjanjuk selbst Opfer der Deutschen war und gegen seinen Willen zum Wachdienst verpflichtet wurde. Er sei Gehilfe ohne eigenen Verantwortungsbereich gewesen. Allerdings habe kein Befehlsnotstand bestanden, weil eine Flucht möglich gewesen sei.[48]https://de.wikipedia.org/wiki/John_Demjanjuk
WDR 2009
Mord oder "Befehlsnotstand"? Ein Problem bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen war die Diskrepanz zwischen dem Ausmaß des organisierten Massenmordes an europäischen Juden und einem Mordparagrafen, der für eine Verurteilung individuelle Tatnachweise voraussetzt. Das bedeutet: Täter konnten nur dann verurteilt werden, wenn ihnen eine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, was einschließt, dass die Tat ohne Befehl und aus niederen Motiven wie zum Beispiel Rassenhass begangen wurde. Dem stand entgegen, dass sich Täter oft auf den so genannten "Befehlsnotstand" beriefen und bekundeten, dass ihnen bei Unterlassung ihrer Taten Gefahr für Leib und Leben gedroht hätte. Als besonders schwierig erwies sich, in dem quasi-industriell aufgebauten Mordkomplex des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz einer einzelnen Person die Hauptverantwortung für eine einzelne Tat nachzuweisen.
Die Angeklagten ihrerseits leugneten die Existenz der Verbrechen in Auschwitz oft nicht. Sie gaben jedoch häufig an, Erinnerungslücken zu haben, oder bestritten, persönlich an diesen Taten beteiligt gewesen zu sein. Außerdem beteuerten sie, auf Befehl gehandelt zu haben. Interner Link:Scham oder Reue für die Taten zeigten sie nicht.
Insgesamt wurden die Urteile oft als zu milde empfunden. Auch Interner Link:Fritz Bauer zeigte sich enttäuscht. Die Prozesse halfen jedoch, Debatten in Gang zu bringen, die den Umgang mit NS-Verbrechen in den folgenden Jahren und Jahrzehnten bestimmten. Mehr Menschen wurde bewusst, Interner Link:dass es keinen "Schlussstrich" unter nationalsozialistische Verbrechen geben konnte. Parallel zum Prozess debattierte der Bundestag darüber, Interner Link:die Verjährungsfrist von Mord aufzuheben, was 1979 beschlossen wurde – auch, weil dadurch Nazi-Verbrechen weiterverfolgt werden konnten.
Wende durch den Demjanjuk-Prozess 2011
Die Rechtsauffassung, dass nur jene Nazi-Täter zur Verantwortung gezogen werden können, denen eine persönliche Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, änderte sich dagegen nur allmählich. Beihilfe zum Mord und Mord sind die einzigen Verbrechen aus der Nazi-Zeit, die noch nicht verjährt sind. Gleichzeitig galten aber beispielsweise SS-Wachen, die mit ihren Taten einen Anteil daran hatten, dass Morde geschehen konnten, im juristischen Sinne nicht als Beihelfer.
Das änderte sich mit dem Prozess gegen den in der Ukraine geborenen SS-Wachmann John Demjanjuk, der 2011 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 28.060 Fällen im Interner Link:Vernichtungslager Sobibor zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Demjanjuk starb 2012, bevor das Urteil rechtskräftig wurde. Ab 2011 wurde es möglich, auch jene Mittäter zur Verantwortung zu ziehen, die ihren Anteil daran hatten, dass die Mordmaschine der Nationalsozialisten funktionieren konnte.
BPB 2020
Franz Kompisch dem Angeklagten vor: „Es war Ihre Entscheidung, dorthin zu gehen, Sie wollten es!“
Diese Feststellung sorgt für Erregung in verschiedenen sozialen Netzwerken. Manche Nutzer schreiben: „Er hatte damals keine Wahl!“ Andere greifen eine gängige Behauptung auf, die jahrzehntelang in fast jedem NS-Prozess angeführt wurde: „Er hat einfach nur Befehle ausgeführt. Damals war das so, und wenn er das nicht gemacht hätte, hätte er die Kugel bekommen.“
Juristisch heißt dieses Argument „Befehlsnotstand“ und bedeutet, dass niemand bestraft werden könne für eine Tat, die er unter der Androhung schwerster Nachteile für die eigene Person begangen habe. Da Befehlsverweigerung zur Todesstrafe oder der Einweisung in ein KZ geführte hätte, könne den Handlangern des Massenmordes kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgeworfen werden.
Vor allem in Prozessen wegen NS-Verbrechen in den 50er- und frühen 60er-Jahren galt die Annahme eines Befehlsnotstandes als zuverlässiger Schutz vor einer Verurteilung. Nur Exzesstäter waren davon ausgenommen.
Keine Strafen für „Schwächlinge“ oder „Feiglinge“
Doch schon bald nach Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die alle Ermittlungen wegen
NS-Verfahren koordinierte, wurde diese Annahme wissenschaftlich überprüft. Eindeutiges Ergebnis: Es gab damals und gibt bis heute keinen einzigen nachweisbaren Fall, in dem einem SS-Mann, der einen Mordbefehl verweigert hatte, selbst Gefahr für Leib und Leben drohte.
Im Gegenteil konnte durch zahlreiche Zeugenaussagen, aber auch durch Dokumente belegt werden, dass Befehlshaber von Mordeinheiten wie dem Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 wiederholt ihren Männer freistellten, sich an Mordaktionen nicht zu beteiligen. Wer sich so entschied, wurde nachweislich nicht bestraft.
Tatsächlich kam es vor, dass solche Männer als „Schwächlinge“ oder „Feiglinge“ geschmäht und aus der Kameradschaft ausgegrenzt wurden. Doch solche relativ milden Nachteile rechtfertigen die Annahme eines Befehlsnotstandes nicht.
Eine andere Kritik, die jetzt am Gröning-Urteil aufkommt, behauptet, man sei zur Waffen-SS eingezogen worden, habe sich also gar nicht dagegen wehren können. Auch dieses Argument ist zu großen Teilen falsch, jedenfalls mit Sicherheit im Fall Gröning.
Bis in den Zweiten Weltkrieg hinein waren die Waffen-SS und ihre verschiedenen Vorstufen, die SS-Totenkopfverbände und andere Gliederungen, Eliteeinheiten, zu denen man sich als Freiwilliger bewarb.
Selbst 1944 hatte männliche Jugendliche noch die Alternative, zu einer Gliederung der Wehrmacht oder eben zur Waffen-SS zu gehen.
Versetzungsgesuch als möglicher Ausweg
Tatsächlich regelmäßig in die Waffen-SS eingezogen wurden junge „Volksdeutsche“, etwa der Litauer Hans Lipschis, ebenfalls ein SS-Mann in Auschwitz. Doch auch sie hatten immer noch die Wahl, sich an die Front versetzen zu lassen, wenn ihre Einheiten zum KZ-Dienst eingeteilt wurden.
Solche Versetzungsgesuche sind dutzendfach dokumentiert – allerdings machen sie nur wenige Promille der insgesamt als Wachmannschaften in NS-Lagern eingesetzten Männer aus.
Nicht ganz falsch ist schließlich die gelegentlich geäußerte Ansicht, dass mit Demjanjuk oder jetzt Gröning kleine Lichter des SS-Apparates bestraft würden, weil man jahrzehntelang die eigentlich Verantwortlichen, die längst alle tot sind, nicht angemessen verfolgt habe. Nur: Rechtfertigen Fehler der Vergangenheit, dass man sie wiederholt?
KELLERHOF 2015
Schon 1959 hatte das Landgericht Bielefeld in einem Urteil gegen einen SS-Mann festgestellt, dass die Zentrale Stelle im Schriftverkehr mit dem Gericht „zum Ausdruck gebracht (habe), dass seitens der Strafverfolgungsbehörden nicht beabsichtigt werde, ein Ermittlungsverfahren gegen alle an der Begehung derartiger Verbrechen beteiligten Personen“ einzuleiten. Untergeordnete Befehlsempfänger wie etwa Angehörige von Erschießungs- oder Absperrkommandos sollten im „Allgemeinen nicht unter Anklage gestellt werden“. Der damalige Leiter der Behörde, Alfred Streim, bestätigte dieses Vorgehen 1966. Es habe zwar keinen Befehlsnotstand gegeben; doch habe man den niederen Dienstgraden einen „angenommenen Befehlsnotstand“ zugebilligt, weil diese „aufgrund ihres Bildungsgrades und ihrer niederen Rangstellung subjektiv geglaubt hätten, sich im Befehlsnotstand zu befinden“.[25]https://de.wikipedia.org/
Die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen von 1933 bis 1945 ist Thema einer Vielzahl von historischen oder politikwissenschaftlichen Publikationen. Bundesdeutsche Gerichte dagegen urteilten in vielen Fällen bis in die 1980er Jahre unfassbar milde oder sprachen die Angeklagten frei. Dazu wurden u.a. Notstands- oder Putativnotstandslagen angenommen oder – wie im Falle von SS-Angehörigen oder Polizisten – ungerechtfertigterweise Militärstrafrecht angewendet. Strafmildernd wurde rechtsmissbräuchlich auch die Jugend von (erwachsenen) Tätern oder die „Verstrickung in ein System der Gewaltherrschaft“ angeführt. „Nicht wenige Landgerichte haben als Strafmilderungsgrund berücksichtigt, dass die jahrelange NS- Propaganda gegen Juden, Sinti und Roma und andere Staatsfeinde die Hemmschwelle der SS- Schergen gegenüber (…) Häftlingen bei der Begehung von Straftaten auf ein Mindestmaß herabgesetzt hat.“ (S. 441) Nationalsozialistische Propaganda wurde damit zum Milderungsgrund.
Wer aus nationalsozialistischer „Einstellung heraus Menschen tötet oder sich zur Tötung bestimmen lässt, handelt aus niedrigen Beweggründen und begeht damit Mord.“ (S. 408) Die Täter konnten sich Keldungs zufolge – anders als in vielen Verfahren angenommen – nicht darauf berufen, nur Ausführende gewesen zu sein. Auch Angst vor Strafe bei Verweigerung der Beteiligung an Massenmorden (Putativnotstand) zähle nicht. Als schlimmste bekannte Konsequenz bei der Weigerung, an Massenerschießungen teilzunehmen, sei eine Strafversetzung an die Front erfolgt.
Als Gründe für die häufige Milde gegenüber Massenmördern werden u.a. die Sozialisation vieler Richter in der Zeit des Nationalsozialismus oder die Angst vor Revisionen vor höheren Gerichten angeführt.
WOLSKI-PRENGER 2021
Viele von denen, die hier Hitler glühend verehren, werden sich nach dem verlorenen Krieg als Mitläufer bezeichnen, um ihre eigene Rolle im NS-Apparat herunter zu spielen. Im Deutschland nach dem Krieg berufen sich später viele auf Befehle von oben, auf den sogenannten Befehlsnotstand. Aber entspricht das der Wahrheit?
15.01.2023, ZDF, TERRA X : Die Psychologie der Mitläufer >>>
Hier ein Beispiel einer pervertierten Übertragung eines Befehlsnotstand-Prinzips auf den menschenverachtenden Umgang mit KZ-Insassen:
„Die haben nicht nur das Konzentrationslager von außen bewacht, sondern auch die Außenkommandos. Und da kam es auch zu diesen sogenannten Erschießungen auf der Flucht. Das waren fingierte Erschießungen. Das heißt: Beispielsweise hat ein Blockführer die Mütze über die Postenkette geschmissen und dem Insassen befohlen, die Mütze zu holen. Wenn er das nicht gemacht hat, ist er wegen Befehlsverweigerung erschossen worden. Wenn er es gemacht hat, ist er vom Wachposten erschossen worden.
RICHTER 2022
Bei der forensischen familienpsychologischen Sachverständigen aus Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, wird am 25.01.2023 gemäß der Verfügungen vom 17.08.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 vom Familiengericht- Amtsgericht Mosbach beantragt,
- diese konkrete langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit des Antragstellers von NS-Verfahren und des zu begutachtenden Nazi-Jägers u.a. hinsichtlich der Nazi-Jagd nach dem KZ-Wachmann John Demjanjuk von 2008 bis 2011 während der NS-Prozesse des 21. Jahrhunderts
- die Debatte um den angeblichen "Befehlsnotstand" zur versuchten Legitimierung von NS- und Kriegsverbrechen, an der sich der zu begutachtende Antragsteller von NS-Verfahren öffentlich beteiligt
- die Debatte um Uniformität, Konformität und Gleichschaltung, um Obrigkeits- und Autoritätshörigkeit sowie das Nicht-Leisten von Widerstand gegen Unrecht EINERSEITS ODER ABER das Ablehnen von Unrechtshandeln und das Leisten von Widerstand gegen Unrecht ANDERERSEITS, an der sich der zu begutachtende Antragsteller von NS-Verfahren öffentlich beteiligt
in ihren Stellungnahmen an das Amtsgericht Mosbach dahingehend zu überprüfen und an das Amtsgericht Mosbach zu berichten, ob diese langjährige konsequente Anti-Rassistische Menschenrechtsarbeit mit Thematisierungen der Nazi-Jagd u.a. nach dem KZ-Wachmann John Demjanjuk sowie mit den Thematisierungen der versuchten Legitimierung von NS-Massenmordverbrechen durch einen angeblichen Befehlsnotstand möglicherweise auf eine psychische Persönlichkeitsstörung zurück zu führen sein könnte, und ob sie Kriterien für Anzeichen einer psychischen Erkrankung und einer eingeschränkten Sorgerechtsfähigkeit bei dem zu begutachtenden Antragsteller von NS-Verfahren, Petenten, Menschenrechtsaktivisten und KV darstellen könnte.
Siehe dazu auch:
- Beantragte NS- und Rechtsextremismus-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach seit 2022 >>>
- Frühere außergerichtliche NS-Aufarbeitungen 2005 bis 2011 >>>
- Frühere gerichtliche NS-Aufarbeitungen 2004 bis 2010 >>>
- Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach in NS-Verfahren >>>
- Anhörungsrügen gegen Spruchkörper des Amtsgerichts Mosbach In NS-Verfahren >>>
- Richterliche Befangenheit und Befangenheit von Sachverständigen beim Amtsgericht Mosbach in NS-Verfahren >>>
- Petitionen beim Landtag Baden-Württemberg >>>
- Erklärungen des Justizministeriums Baden-Württemberg seit 2022 zu Rechtsmitteln und statistischen Erhebungen bei NS-Verfahren >>>
- Historische und Aktuelle NS-Prozesse >>>
5.1.6 Debatte um Mitgliedschaft in einer Terroristischen Vereinigung
RAF Isalmismus
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Doch der Fall beeinflusste die Rechtsauffassung der kommenden Jahrzehnte: In Anklagen gegen ehemalige KZ-Mitarbeiter wurde künftig stets der konkrete Tatnachweis gesucht.Wenn das für islamistische Terroristen gilt, sagten sich damals viele aufklärungswillige Juristen, wieso nicht auch für Nazi-Kriegsverbrecher? Doch der Fall führte dazu, dass auch andere Wachmänner angeklagt wurden – und zu einem neuen Umgang mit NS-Tätern: Wer sich an der systematischen Mordmaschinerie der Nationalsozialisten beteiligt hat, trägt Mitschuld und kann zur Verantwortung gezogen werden.
Ganz so, als wären die teils tausendfachen Mordtaten in den Lagern so zu behandeln wie ein Einzelmord. Dabei belegten die RAF-Prozesse jener Jahre, dass die Justiz durchaus in der Lage war, die bloße Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation für eine Verurteilung heranzuziehen. Der Einzeltatnachweis führte jedenfalls zu einer recht diffusen Lage, die namentlich die rechtsradikal gesinnten Verteidiger zu nutzen wussten.
ULRICH 2021
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5.1.7 Debatte um die Sozialisation von Juristen im Nationalsozialismus und Kontinuität von NS-Funktionseliten nach 1945
Als Gründe für die häufige Milde gegenüber Massenmördern werden u.a. die Sozialisation vieler Richter in der Zeit des Nationalsozialismus oder die Angst vor Revisionen vor höheren Gerichten angeführt.
WOLSKI-PRENGER 2021
Tatsächlich grenzt es fast an ein Wunder, dass die Zentrale Stelle 13 Jahre nach Kriegsende überhaupt ihre Arbeit aufnahm, denn zu dem Zeitpunkt war die Wiedereingliederung von NS-Funktionären schon sehr weit vorangeschritten. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949 unmissverständlich klar gemacht, dass seine vergangenheitspolitische Generalinventur zugunsten der Mitläufer und Täter ausfallen würde.
Ab 1957 gab das Politbüro die Namen von insgesamt 1000 ehemaligen NS-Juristen bekannt, die dem westdeutschen Staat als Richter oder Staatsanwälte dienten oder im Bundesjustizmimisterium arbeiteten. Da die Vorwürfe in den meisten Fällen zutrafen und sich deshalb nicht als bloße Propaganda abtun ließen, sorgten sie von London über Paris bis nach Washington und Tel Aviv für Aufsehen – nicht jedoch in Westdeutschland.
In den Medien und der Öffentlichkeit rief dieses niedrige Strafmaß heftigen Protest hervor, zumal der Historiker Hans-Günther Seraphim als Sachverständiger vor Gericht erläutert hatte, dass die Verweigerung eines Schießbefehls keineswegs mit dem Tod geahndet worden und auch nach damaligen Gesetzen rechtswidrig gewesen sei. Aber als Haupttäter galten lediglich Hitler, Himmler oder Heydrich, während Massenmörder wie Fischer-Schweder nur als ihre Gehilfen angesehen wurden – ein Rechtsverständnis, aufgrund dessen ein Großteil der NS-Verbrecher auch in späteren Prozessen mit auffallend niedrigen Strafen davon kamen.
Trotz dieser fatalen Weichenstellung für die nachfolgenden NS-Verfahren brachte der Ulmer Einsatzgruppenprozess die entscheidende Wende für die Strafverfolgung. Denn er hatte eine interessierte Öffentlichkeit nicht nur mit detaillierten Informationen über die Hintergründe der Judenvernichtung konfrontiert, sondern außerdem eindeutige Hinweise geliefert, dass Hunderte Täter bislang nicht vor Gericht gestellt worden waren. Die Kritik der Presse, aber auch von einigen wenigen engagierten Juristen wie dem baden-württembergischen Generalstaatsanwalt Erich Nellmann und seinem hessischen Kollegen Fritz Bauer, setzten die Justizminister der Länder derart unter Druck, dass diese im November 1958 den Beschluss fassten, eine Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen einzurichten.
Die dann auch tatsächlich am 1. Dezember 1958 in Ludwigsburg ihren Dienst aufnahm. Zum ersten Leiter wurde Erwin Schüle ernannt. Die personelle Ausstattung war mit zunächst nur neun Volljuristen bescheiden, denn man ging davon aus, dass die Arbeit in wenigen Jahren erledigt sei.
Vor allem aber waren die Kompetenzen der neuen Behörde äußerst begrenzt: Sie hatte keine autonomen staatsanwaltlichen Ermittlungsbefugnisse und auch keine Weisungsbefugnis. Sie konnte zwar Vernehmungen durchführen, nicht jedoch selbst anklagen. Ihre Vorermittlungen musste sie an reguläre Staatsanwaltschaften weitergeben, denen es oft an vertieften Sachkenntnissen mangelte. Außerdem waren die Ludwigsburger zunächst nur für solche NS-Verbrechen zuständig, deren Tatort außerhalb des Bundesgebietes lagen. Die Verbrechen der Justiz, die Morde in den Euthanasieanstalten und die Ermittlung gegen die sogenannten „Schreibtischtäter“ im Reichssicherheitshauptamt waren ihnen entzogen.
Kein Wunder, dass der damalige Generalbundesanwalt Max Güde abwertend von einer „Briefkastenfirma“ sprach.
Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, ohne dessen unermüdlichen Einsatz der Frankfurter Auschwitz-Prozess nicht zustande gekommen wäre und der wesentlich zur Ergreifung Adolf Eichmanns beitrug, Fritz Bauer ging in seiner Beurteilung der Bedeutung der Arbeit der Zentralen Stelle wie überhaupt der Prozesse gegen NS-Verbrechen sogar noch einen Schritt weiter.
Fritz Bauer: „Es geht nicht nur um Strafprozesse. In Wirklichkeit geht es um einen ganzen Prozess deutscher Geschichte, um einen Prozess neuen Bewusstseins und Moralbildung in der Bundesrepublik. Im Grunde genommen müsste ich eigentlich sagen, es handelt sich um einen unendlichen Prozess. Aufgabe all dieser Prozesse ist im Grunde genommen, nicht nur Geschichte zu schreiben, sondern – wenn es vielleicht auch vermessen klingt – beizutragen, Geschichte zu machen.“
An der Tagesordnung waren jedoch massive Behinderungen. Besonders aktiv hintertrieb das mit ehemaligen Nazis durchsetzte Auswärtige Amt die Strafverfolgung. Seine „Zentrale Rechtschutzstelle“ ZHS verweigerte den Ludwigsburger Ermittlern nicht nur die Amtshilfe, sondern warnte überdies untergetauchte NS-Spitzenfunktionäre wie Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon“, oder Alois Brunner, ehemaliger Kommandant des Sammellagers Drancy, vor einer drohenden Ver-haftung.
Prozessbeobachter: „Wenn man bedenkt, dass ein früherer NS-Staatsanwalt hier als Verteidiger fungiert. Das ist doch ein typisches Merkmal von dem heutigen Prozess.“
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