Nationalsozialismus in Mosbach - Baden
: Rechtsextremismus und Neofaschismus : Anti-Semitismus : Anti-Ziganismus : Homophobie : Rassismus : Diskriminierung 

Nazi-Ehe
und Mischehe

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2.1 Online-Artikel zur Nazi-Ehe


Die Ehe als Soldatenschmiede - Ehe & Scheidung im Nationalsozialismus

16. November 2012   iurFRIEND®-Redaktion    Geschichte

Wir haben in unserer Reihe viele dunkle Zeiten und Orte besucht. Wir haben von verstoßenen Frauen, Selbstjustiz von betrogenen Ehemännern und Vergewaltigungen in der Ehe gelesen. Nun aber betreten wir ein Kapitel der Geschichte, in dem die Ehe weder der Liebe, noch dem Wohlstand oder dem Zusammenhalt der Familie galt, sondern allein der Produktion von Soldaten: Der Zeit des Nationalsozialismus. Und dieser schaffte es nicht nur, die Ehe, sondern sogar noch Scheidung für seine finsteren Zwecke zu instrumentalisieren.
Frauen (zurück) an den Herd
In den Jahren nach Hitlers Machtergreifung gab es eine vollkommene Kehrtwende im Bereich der Frauenrechte. Hatten die goldenen Zwanziger wieder ein starkes weibliches Selbstbewusstsein geschaffen, drängten die Propaganda und die Gesetzgebung die Frauen jetzt wieder mit Macht aus dem öffentlichen Leben. Selbstbestimmte und berufstätige Frauen, wie sie die Weimarer Republik hervorgebracht hatte, wurden als „widernatürlich“ angesehen. Demzufolge wurde so ziemlich alles getan, um Frauen vom Berufsleben fernzuhalten. So wurde die Zulassung von Mädchen zum Abitur begrenzt und auch die Zahl weiblicher Studienanfängerinnen auf maximal 10% eingeschränkt. Frauen, die bereits berufstätig waren, wurden zur Aufgabe ihres Arbeitsplatzes genötigt – zugunsten ihrer „natürlichen“ Rolle als Hausfrau und Mutter.
In den Augen der Nationalsozialisten war es für Frauen eine Pflicht, zu heiraten. Ledig zu bleiben, galt als verwerflich.  Um dieser Rolle gerecht zu werden, wurden Mädchen schon früh zu „guten“ Ehefrauen erzogen.  Hauswirtschaft, Handarbeiten und  Säuglingspflege wurden neben Rassenbiologie verbindliche Schulfächer für Mädchen. Zudem wurde ein hauswirtschaftliches Pflichtjahr vor der Berufsausbildung für Frauen eingeführt. Trotzdem ließen sich anscheinend nicht alle Frauen in die verordnete Rolle des Hausmütterchens drängen. In Deutschland und Österreich waren am Ende trotz aller Zwangsmaßnahmen mehr Frauen berufstätig als vor 1933.
Eine noch wichtigere Rolle für Frauen, als die „Ehe“, nahm die Mutterschaft ein. Wer kinderlos blieb, machte sich in den Augen der Nationalsozialisten eines schweren Vergehens schuldig: Er enthielt seinem eigenen Volk gesunde Kinder vor. Noch schlimmer war in diesem Zusammenhang das „Verbrechen“ der Abtreibung. Sie galt als Sabotageakt an der „arischen Rasse“ und konnte sowohl für die Mutter als auch für den praktizierenden Arzt zu schweren Strafen und manchmal sogar zum Tod führen.  Wer mit seinem „Gebärverhalten“ hingegen ins Idealbild der NS-Ideologie passte, wurde belohnt. Für „herausragende Gebärleistungen“ wurde das sogenannte Mutterkreuz verliehen. Außerdem hatten kinderreiche Familien Steuervorteile. Auch uneheliche Kinder wurden gefördert. Ihre werdenden Mütter wurden in „Lebensborn“-Heime gelockt, in denen Sie gebären und die Kinder dann zur Adoption freigeben konnten. Ziel war es dabei nicht, das Leid der der Mütter oder der Kinder zu mindern, sondern auf diesem Wege mehr Soldaten zu bekommen. Wer hingegen das Pech einer Erbkrankheit oder sonstiger Gebrechen hatte, musste mit einer Zwangssterilisation rechnen. Paradoxerweise gelang es dem NS-Regime auch hier nicht, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Die Geburtenraten blieben konstant hinter denen der Weimarer Republik zurück.
Heiraten fürs Vaterland
Auch wenn die Ehe selbst zwischen 1933 und 1945 größtenteils eine Privatangelegenheit blieb, ließ es sich der NS-Staat nicht nehmen, auch hier seinen Einfluss geltend zu machen. Und man hatte hier ganz eigene Ansichten. Das Ideal von der Ehe als einem Ort persönlicher Liebe und Zuneigung galt den Nationalsozialisten wenig. Es ging ihnen bei Eheschließungen nicht um das persönliche Glück, sondern um das vermeintliche Wohl der Nation. Den Platz der Liebe zu einem anderen Menschen sollte die Liebe zum Volk einnehmen.
Zumindest für Frauen wurde die Jungfräulichkeit als Ideal für die Ehe hochgehalten, aber gerade einmal fünf Prozent von ihnen hielten sich in der Realität daran. Darüber hinaus wurde verlangt, dass sie sich mit anderen Deutschen oder zumindest Europäern vermählten. Und sie wurden in die Pflicht genommen, sich die Verwandten und Vorfahren ihres potenziellen Gatten nach ähnlichen Kriterien genauestens anzusehen. Vor allem aber sollten sie – wie bereits erwähnt – möglichst viele Kinder bekommen.
Der NS-Staat trennte strikt zwischen erwünschten und unerwünschten Ehen. Erstere wurden gefördert, Letzteren wurden so viele Steine wie möglich in den Weg gelegt. Für einige Personengruppen wurde die Eheschließung verboten, andere wurden nach dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14.07.1933 zwangssterilisiert und wieder andere brauchten eine Heiratserlaubnis vom Staat. Letzteres traf vor allem auf Soldaten der Wehrmacht zu, denen darüber hinaus auch die Heirat mit einer Ausländerin verboten war.
Das schwerste Los hatten aber jüdische Eheleute. Ein besonders schwerer Schlag war hier das so genannte „Blutschutzgesetz“ vom 15. September 1935, welches Eheschließungen zwischen „Deutschblütigen“ und Juden unter Strafe stellte. Lediglich bestehende Ehen blieben zumindest bis zur Endphase der NS-Herrschaft größtenteils unangetastet. Wer als Jude in einer solchen Mischehe lebte, musste zwar viel Schikane, berufliche Nachteile, Hass und Diskriminierung erdulden, hatte aber zumindest einen gewissen Schutz vor der Willkür der Nationalsozialisten. Eine Garantie auf Sicherheit hatten Sie aber nicht. Ihr zerbrechlicher Schutz barst spätestens in dem Moment, in dem ihr deutscher Partner starb und sie keine Kinder mehr zu versorgen hatten.
Wer gesund und „arisch“ war, die „richtige“ politische Einstellung besaß und somit eine erwünschte Ehe führte, kam hingegen in den Genuss vieler Vorteile. So gab es seit Juni 1933 für Hochzeitspaare ein großzügiges Ehestandsdarlehen, dessen zurückzuzahlender Betrag sich mit jedem Kind verringerte. Wer vier Kinder zur Welt brachte musste gar nichts mehr zurückzahlen. Auch hier hatten die Nationalsozialisten wenig Erfolg. So blieb ein Drittel aller Paare, die 1933 geheiratet hatten auch nach fünf Jahren noch kinderlos und ein Viertel dieser Paare bekam lediglich ein Kind.
Trotz aller offiziellen Förderungsmaßnahmen, waren viele Nationalsozialisten der Ehe gegenüber weniger positiv eingestellt und bezeichneten sie gar als „satanisches Werk der Kirche“ und „Feind der Fruchtbarkeit“ oder als „naturwidrig“.
Scheidungsfreiheit aus niederen Motiven
Auch wenn viele Parteigänger der NSDAP besonders im Zuge der Nürnberger Rassegesetze von 1935 die Zwangsscheidung von Mischehen zwischen Deutschen und Juden forderten, blieb ihnen dieser Wunsch glücklicherweise verwehrt. Dennoch kam es während der Herrschaft der Nationalsozialisten zu einer tief greifenden Veränderung in der deutschen Scheidungsgesetzgebung. Mit dem "Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet" vom 6. Juli 1938 bekamen Ehepartner die Möglichkeit, ihre Ehe "infolge einer tief greifenden unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses" zu scheiden. Voraussetzung hierfür waren drei vollendete Trennungsjahre.
Natürlich ging es bei dem Gesetz nicht um eine plötzliche Wertschätzung persönlicher Freiheiten und modernerer Ansichten – wie sehr man diese verachtete, hatte man bereits deutlich bewiesen –  sondern erneut einzig und allein um schnelle Vermehrung. Zeugungsfähige Männer sollten sich leichter von ihren alternden Frauen trennen und neue, gebärfreudige Frauen finden, deren Ehepartner zeugungsunfähig waren.
Trotz dieser niederen Beweggründe blieb der wesentliche Kern des Gesetzes auch im Nachkriegsdeutschland bestehen und passierte die Kontrolle der Besatzungsmächte. Die Möglichkeit der einvernehmlichen Scheidung galt den Alliierten als eine legitime Neuerung – in der Weimarer Republik hatte es sie noch nicht gegeben – und nicht als Gedankengut der Nationalsozialisten.
https://www.scheidung.de/


Nationalsozialisten sahen im Eherecht einen wichtigen Hebel, ihre Ideen von „Rassereinheit“ und der „Überlegenheit der arischen Rasse“ durchzusetzen

Das erste, bereits kaum zehn Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verabschiedete Gesetz über Missbräuche bei Eheschließung und Adoption vom 23. November 1933 (RGBl I S. 979), fügte einen § 1325a in das BGB ein. Dieser betraf die Ehenichtigkeit bei Verdacht einer so genannten Scheinehe (Führung des Familiennamens des Mannes durch die Frau, ohne dass eine Lebensgemeinschaft besteht). Das obige Gesetz war in seiner Sprache noch eher zurückhaltend. Das gesamte Ausmaß der nationalsozialistischen Rassenideologie wurde mit dem „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935 (so genanntes. Nürnberger Rassegesetz) deutlich.
Ehetauglichkeitszeugnisse verlangt
Mit diesen „Nürnberger Gesetzen“ (genauer: durch das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935) wurden Eheschließungen zwischen „Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ verboten, ebenso wie außereheliche geschlechtliche Beziehungen, deren Definition später von Globke immer weiter ausgeweitet wurde. Das so genannte Ehegesundheitsgesetz  („Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes“ vom 18. Oktober 1935) verlangte Ehetauglichkeitszeugnisse für Brautleute und schloss Menschen mit bestimmten Krankheiten von der Ehe aus. Beide stammten aus der Feder von Hans Globke, Staatssekretär unter Adenauer, und Wilhelm Stuckart, zuletzt Ruhebeamter der Bundesrepublik nach der Einstufung B3 als Ministerialrat. Erwünschte Ehen wurden wurden in jeder Weise gefördert. Kinderreiche Mütter solcher Verbindungenerhielten das „Mutterkreuz“, während absichtliche Kinderlosigkeit als „völkischer Verrat“ gebrandmarkt wurde, zu denen auch die trauscheinlosen „Kameradschaftsehen“ beitrügen. Gefördert wurden gewünschte Ehen auch durch ein Ehestandsdarlehen bis zu 1.000
RM (Kaufkraft heute das Zehnfache), wenn die „rassisch“ einwandfreie Frau versicherte, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen.  Das Darlehen war zinsfrei und musste monatlich mit nur 1 Prozent getilgt werden. 1937 wurde das Beschäftigungsverbot als Bedingung für das Darlehen abgeschafft, da sich bereits wieder Arbeitskräftemangel bemerkbar machte.
Musste der heiratswillige Deutsche im Dritten Reich seine Ehetauglichkeit nachweisen, so brauchte der SS-Mann darüber hinaus die Genehmigung des Reichsführers SS, dem obendrein drei Monate vor der Verlobung diese Absicht gemeldet werden musste. Im Heiratsbefehl vom 1. Januar 1932 hieß es:
„Das erstrebte Ziel ist die erbgesundheitlich wertvolle Sippe deutscher nordisch-bestimmter Art. Die Heiratsgenehmigung wird einzig nach rassischen und erbgesundheitlichen Gesichtspunkten erteilt.“
Nationalsozialistisches Ehegesetz 1938
1938 wurden anlässlich des so genannten „Anschlusses“ Österreichs die Bestimmungen über die Eheschließung aus dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sowie aus dem österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) herausgelöst und durch das nationalsozialistische Ehegesetz (Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet. Vom 6. Juli 1938. RGBl. I S. 807, Nr. 106 vom 8. Juli 1938) ersetzt.
Das Ehegesetz regelte das Eherecht neu und strich die entsprechenden Abschnitte der beiden bürgerlichen Gesetzbücher BGB und ABGB. Neben Änderungen, die z. B. das generelle Eheschließungsverbot ohne elterliche Einwilligung betrafen und dieses begrenzten, wurde eine kinderlose Ehe allein durch diesen Tatbestand zu einer Fehl-Ehe und konnte sofort geschieden werden. Als Scheidungsgrund reichte die Behauptung aus, die Ehefrau sei empfängnisunwillig oder -unfähig, selbst wenn aus der Ehe bereits Kinder hervorgegangen waren und die Unfruchtbarkeit erst nach den Schwangerschaften aufgetreten war. Tatsächlich erhöhte sich die Scheidungsquote daraufhin. Im Ehegesetz wurden auch einige Reformvorschläge aus der Zeit der Weimarer Republik aufgenommen. So wurde den bisherigen Scheidungsgründen ein Zerrüttungstatbestand hinzugefügt, die so genannte „Heimtrennungsklage“ (§ 55 EheG 1938, später § 48 EheG 1946), die allerdings den Vorrang des Verschuldensprinzips bei der Ehescheidung nicht aufhob.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden im Deutschen Reich Sonderregelungen im Eherecht geschaffen. So gab es die Möglichkeit einer Ferntrauung, einer Totenscheidung und einer postumen Eheschließung („Leichentrauung“). Eheschließungen zwischen „Deutschblütigen“ und Juden waren bereits seit 1935 untersagt. Für „jüdische Mischlinge“ galten unterschiedliche Bestimmungen; ihre Anträge auf Heiratsgenehmigungen wurden ab 1942 „für die Dauer des Krieges“ nicht mehr bearbeitet.
Rechtswirksamkeit nach 1945
Am 23. Juni 1950 wurde ein „Bundesgesetz über die Anerkennung freier Ehen“ (BGBl. I, S. 226) für politisch Verfolgte erlassen, denen aufgrund nationalsozialistischer Gesetze die Eheschließung verweigert worden war. Auch wenn einer der Partner inzwischen verstorben war, konnte eine vom nationalsozialistischen Staat versagte Eheschließung rückwirkend als rechtsgültig geschlossen erklärt werden. Bis 1963 wurden 1.823 entsprechende Anträge gestellt, von denen 1.255 bewilligt wurden. In Österreich wurde die Ferntrauung erst 1983 abgeschafft.
http://www.dorsten-unterm-hakenkreuz.de/2012/05/



2.2 Online-Artikel zur Mischehe unter den Nazis


Prekäres Überleben: Jüdische Mischehefamilien im NS-Regime in Wien

BLOG: GESCHICHTE ÖSTERREICHS
Nur wenige Jüdinnen und Juden überlebten die NS-Zeit in Wien, die meisten von ihnen in sogenannten Mischehen. Sie waren ständig von der Deportation bedroht
9. November 2018, 08:00
Mit dem Anschluss an das Deutsche Reich im März 1938 wurde das Leben der jüdischen Bevölkerung in Österreich über Nacht in dramatischer Weise verändert. Zu den als Jüdinnen und Juden verfolgten Menschen zählten auch Personen aus gemischt-konfessionellen Familien, die bislang zumeist wenig Bezug zur jüdischen Gemeinde gepflegt hatten.
Mit dem Anschluss kamen die Nürnberger Gesetze
Die nach nationalsozialistischer Definition als "Mischehen" bezeichneten Ehen zwischen Juden und Nichtjuden wurden mit den Nürnberger Gesetzen verboten, wobei diese in Österreich nun rückwirkend übernommen wurden. Gemeinsam mit der restlichen jüdischen Bevölkerung verloren auch Mischehefamilien oft innerhalb kurzer Zeit nach dem Anschluss ihren Lebensunterhalt. Jüdische Geschäfte wurden geplündert und enteignet, Jüdinnen und Juden aus ihren Berufen entlassen. Nichtjüdische Lehrerinnen und Lehrer sowie Beamtinnen und Beamte im Staatsdienst wurden gekündigt, wenn sie mit Jüdinnen oder Juden verheiratet waren.
Da Mischehefamilien durch familiäre Verbindungen auch in der nichtjüdischen Bevölkerung vernetzt waren, beschlossen die NS-Behörden, bestimmte Mischehen besserzustellen als andere. Ehepaare, bei denen der Mann arisch und die Frau jüdisch waren, wurden als "privilegierte Mischehe" definiert. Angehörige privilegierter Mischehen wurden vom Großteil der antijüdischen Bestimmungen ausgenommen, konnten in ihren Wohnungen bleiben und ihr Vermögen auf den arischen Teil überschreiben.
Damoklesschwert Scheidung
War der Mann jüdisch und die Frau arisch, galten die Familien nur dann als privilegiert, wenn "nichtjüdisch erzogene" Kinder, sogenannte "Mischlinge", vorhanden waren. Mischehen mit nichtjüdischem Haushaltsvorstand, deren Kinder als Mitglieder der jüdischen Gemeinde aufschienen und als "Geltungsjuden" bezeichnet wurden, galten ebenfalls als nichtprivilegiert. Sie wurden aus ihren Wohnungen delogiert, mussten mit anderen Familien in bedrängten Sammelwohnungen leben, bekamen geringere Lebensmittelrationen und waren ab September 1941 zum Tragen eines gelben "Judensterns" auf ihrer Kleidung verpflichtet.
Mit Beginn der großen Deportationen aus Wien in den Jahren 1941/42 hing das Überleben in Mischehefamilien zunehmend vom nichtjüdischen Partner und Elternteil ab. Im Falle einer Scheidung oder bei aufgelöster Mischehe durch Tod des arischen Partners verloren jüdische Familienmitglieder ihren Schutz.
NS-Apparat uneinig über Umgang mit Mischehen
Im Zuge der Wannseekonferenz wurde auch die Frage der "Mischlinge" und der Mischehen diskutiert, da diese für die Nationalsozialisten ein "unerledigtes Problem" darstellten. Während Vertreter der Parteikanzlei auf eine Einbindung in den Deportations- und Vernichtungsprozess drängten, um diese Gruppe endgültig "zum Verschwinden" zu bringen, setzten sich Bedenken um die "psychologischen und politischen Auswirkungen an der Heimatfront" durch, da man den Unmut arischer Angehöriger fürchtete. Mischehefamilien blieben damit letztendlich bis zum Kriegsende weitgehend vor radikalen Verfolgungsmaßnahmen geschützt, obwohl die Pläne dazu nie ganz aufgegeben wurden.
Judenstern, Kriminalisierung, Deportation
Nach dem Abschluss der Deportation des Großteils der jüdischen Bevölkerung im Oktober 1942 kamen Mischehefamilien immer mehr in den Fokus der Behörden. "Geltungsjuden" sowie Jüdinnen und Juden in nichtprivilegierten Mischehen standen als "Sternträger" unter prekärem Schutz. Sie waren Denunziationen und Anpöbelungen durch die nichtjüdische Bevölkerung ausgesetzt.
Da die antijüdische Gesetzgebung immer weitere Bereiche des Lebens betraf, kam es zu einer zunehmenden Kriminalisierung des jüdischen Alltags, da beispielsweise sowohl das Halten von Haustieren als auch das Kaufen von Kuchen für Juden verboten war. Jüdinnen und Juden durften ohne Genehmigung keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und waren ab Juli 1942 von jeglicher Form des schulischen Unterrichts ausgeschlossen. Häufig konnte erst durch "Verstöße" wie dem Besorgen von für Juden verbotenen Lebensmitteln (Eier, Milch, Fleisch, Weizenmehlprodukte) eine gewisse Normalität hergestellt werden. Wurden Betroffene jedoch ohne Stern oder mit für Juden verbotenen Waren angetroffen, kamen sie in "Schutzhaft" und wurden zumeist aufgrund solcher "Vergehen" deportiert.
Nur wenige Überlebende bei Kriegsende
Von etwa 201.000 Personen, die nach dem Anschluss in Österreich als Jüdinnen und Juden definiert worden waren, konnten etwa 5.500 Personen das Kriegsende in Wien überleben. Die überwiegende Mehrheit davon in Mischehen oder durch den Schutz eines nichtjüdischen Elternteils. Hinzu kamen etwa 1.000 Jüdinnen und Juden, die versteckt als sogenannte "U-Boote" überlebten und in offiziellen Statistiken nicht mehr aufschienen. (Michaela Raggam-Blesch, 9.11.2018)
https://www.derstandard.at/


„Mischehefamilien“ im NS-Regime

Mehr als 200.000 Juden und Jüdinnen lebten 1938 in Österreich. Nur rund 6.000 von ihnen überlebten das NS-Regime in Wien: die meisten von ihnen in „Mischehen“. Wie sie ständig bedroht waren, beschreibt die Historikerin Michaela Raggam-Blesch in einem Gastbeitrag.
In den großen Transporten von Oktober 1941 bis Oktober 1942 wurden mehr als 45.000 Menschen vom Aspangbahnhof in die Ghettos und Todeslager deportiert. Dies galt bisher als Endpunkt jüdischen Lebens in Wien während der Shoah.
„Mischehefamilien“ im NS-Regime
Mehr als 200.000 Juden und Jüdinnen lebten 1938 in Österreich. Nur rund 6.000 von ihnen überlebten das NS-Regime in Wien: die meisten von ihnen in „Mischehen“. Wie sie ständig bedroht waren, beschreibt die Historikerin Michaela Raggam-Blesch in einem Gastbeitrag.
In den großen Transporten von Oktober 1941 bis Oktober 1942 wurden mehr als 45.000 Menschen vom Aspangbahnhof in die Ghettos und Todeslager deportiert. Dies galt bisher als Endpunkt jüdischen Lebens in Wien während der Shoah.
Nürnberger Gesetze definierten, wer jüdisch ist
Ehen von Juden und Nichtjuden, die nach nationalsozialistischer Definition als „Mischehen“ bezeichnet wurden, waren dem NS-Regime ein Dorn im Auge. Mit den am 15. 9. 1935 erlassenen Nürnberger Gesetzen wurden solche Ehen verboten, bestehende „Mischehen“ jedoch letztendlich nicht angetastet, wenngleich vor allem nichtjüdische Frauen von den NS-Behörden immer wieder unter Druck gesetzt wurden, sich von ihren jüdischen Partnern zu trennen.
Mit den Nürnberger Gesetzen wurden Personen mit einem jüdischen und einem nichtjüdischen Elternteil – je nach Religionszugehörigkeit – als „Mischlinge 1. Grades“ oder als „Geltungsjuden“ definiert. Jene Personen, die getauft oder konfessionslos waren, wurden als „Mischlinge“ definiert. Sie galten weder als „arisch“ noch als jüdisch und verkörperten damit einen Zwischenstatus, der sich auch auf die Identität der Betroffenen auswirkte.
Personen, die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, galten trotz ihrer „halbjüdischen“ Herkunft als jüdisch. Sie waren als „Geltungsjuden“ denselben diskriminierenden Bestimmungen wie die restliche jüdische Bevölkerung unterworfen. Die Tatsache, dass auf konfessionelle Kriterien zurückgegriffen werden musste, um rassenideologische Bestimmungen festmachen zu können, unterstreicht die Widersprüchlichkeiten der nationalsozialistischen Ideologie.
Nach dem „Anschluss“ wurden diese Gesetze in Österreich rückwirkend übernommen, wobei als Stichtag für die Religionszugehörigkeit der 15. 9. 1935 festgelegt wurde. Ein Austritt aus der IKG nach der nationalsozialistischen Machtübernahe blieb demnach für die rassenideologische Kategorisierung ohne Wirkung.
Privilegierte und nichtprivilegierte „Mischehen“
Um nicht den Widerwillen breiterer „arischer“ Kreise zu erregen, beschlossen die NS-Behörden, bestimmte „Mischehen“ besser zu stellen als andere. Ehepaare, bei denen der Mann „arisch“ und die Frau jüdisch waren, wurden als privilegierte „Mischehe“ bezeichnet. Diese wurden vom Großteil der antijüdischen Bestimmungen ausgenommen, konnten in ihren Wohnungen bleiben und ihr Vermögen auf den „arischen“ Teil überschreiben.'
War der Mann jüdisch und die Frau „arisch“, galten die Familien nur dann als privilegiert, wenn „nichtjüdisch erzogene“ Kinder („Mischlinge“) vorhanden waren. „Mischehen“ mit nichtjüdischem Haushaltsvorstand, deren Kinder als Mitglieder der IKG aufschienen und daher „Geltungsjuden“ waren, galten hingegen als nichtprivilegiert. Nichtprivilegierte „Mischehen“ wurden aus ihren Wohnungen delogiert, mussten mit anderen Familien in bedrängten Sammelwohnungen leben, bekamen geringere Lebensmittelrationen und waren ab September 1941 zum Tragen eines gelben „Judensterns“ auf ihrer Kleidung verpflichtet.
Streit innerhalb des NS-Apparats
Mit Beginn der großen Deportationen aus Wien in den Jahren 1941/42 hing das Überleben in „Mischehefamilien“ zunehmend vom nichtjüdischen Partner und Elternteil ab. Im Falle einer Scheidung oder bei aufgelöster „Mischehe“ durch Tod des „arischen“ Partners verloren jüdische Familienmitglieder ihren Schutz.
Im Zuge der Wannseekonferenz und mehrerer Folgekonferenzen zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ im Jänner, März und Oktober 1942 wurde die Frage der „Mischehen“ und „Mischlinge“ diskutiert, welche für die Nationalsozialisten ein „unerledigtes Problem“ darstellten.
Während Vertreter der Parteikanzlei auf ihre Deportation und Ermordung drängten, um diese Gruppe endgültig zum Verschwinden zu bringen, plädierten Staatssekretär Wilhelm Stuckart und Ministerialrat Bernhard Lösener aus dem Reichministerium des Innern für ein Sterilisationsverfahren von „Mischlingen“, da sie die „psychologischen und politischen Auswirkungen an der Heimatfront“ und den Unmut seitens der nichtjüdischen Angehörigen fürchteten.
Diese Bedenken setzten sich durch. Die Tatsache, dass das von ihnen vorgeschlagene Massensterilisationsverfahren jedoch nicht umsetzbar war, führte dazu, dass diese Gruppe letztendlich bis zum Kriegsende weitgehend vor radikalen Verfolgungsmaßnahmen geschützt blieb, obwohl die Pläne dazu nie ganz aufgegeben wurden.
Ric-Pic, Fotolia.com
Wer keinen Stern trug, wurde deportiert
Nichtsdestotrotz kamen „Mischehefamilien“ nach Abschluss der großen Deportation immer mehr in den Fokus der Behörden. „Geltungsjuden“ und jüdische Partner aus nichtprivilegierten „Mischehen“ standen als „Sternträger“ unter prekärem Schutz, da sie öffentlich als Juden gekennzeichnet und Anpöbelungen durch die nichtjüdische Bevölkerung ausgesetzt waren.
Vor allem Jugendliche versuchten die Stigmatisierung zu umgehen, indem sie den Stern mittels Stecknadeln oder Druckknöpfen an der Bekleidung festmachten, um ihn jederzeit ablegen und damit Orte besuchen zu können, die ihnen offiziell verboten waren.
Da die antijüdische Gesetzgebung immer weitere Bereiche des Lebens betraf, kam es zu einer zunehmenden Kriminalisierung des jüdischen Alltags, da beispielsweise sowohl das Halten von Haustieren als auch das Kaufen von Kuchen für Juden verboten war. Jüdinnen und Juden durften ohne Genehmigung keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und waren ab Juli 1942 von jeglicher Form des schulischen Unterrichts ausgeschlossen.
Häufig konnte erst durch „Verstöße“ wie dem Besorgen von für Juden verbotenen Lebensmitteln (Eier, Milch, Fleisch und Weizenmehlprodukte) eine gewisse Normalität hergestellt werden. Wurden Betroffene jedoch ohne Stern oder mit für Juden verbotenen Waren angetroffen, kamen sie in „Schutzhaft“ und wurden zumeist aufgrund solcher „Vergehen“ deportiert.
Jüdisches Leben bis 1945
Trotz der prekären Lebensumstände konnte ein kleiner Teil der als jüdisch definierten Bevölkerung bis Kriegsende in Wien überleben. Mit der Gründung des „Ältestenrats“ im November 1942 war nun die Nachfolgeorganisation der IKG für „Mischehefamilien“ zuständig, welche bis zu diesem Zeitpunkt den Kontakt zur Kultusgemeinde zumeist gemieden hatten. Da „Mischehefamilien“ mehrheitlich nicht der jüdischen Religion angehörten, musste die Nachfolgeorganisation der IKG den Bedürfnissen der neuen Mitglieder nachkommen.
Demnach erteilte der „Ältestenrat“ katholischen Geistlichen die Erlaubnis, ihre Pfleglinge im jüdischen Altersheim und Spital seelsorgerisch zu betreuen. Im jüdischen Kinderheim wurde neben Hanukkah auch Weihnachten und Ostern gefeiert und Krippenspiele aufgeführt. Gleichzeitig wurden bis Kriegsende regelmäßig jüdische Gottesdienste abgehalten.
Von etwa 201.000 Personen, die nach dem „Anschluss“ in Österreich als Jüdinnen und Juden definiert worden waren, konnten etwa 5.500 Personen das Kriegsende in Wien überleben. Die überwiegende Mehrheit davon in „Mischehe“ (etwa 4.500 Personen) oder durch den Schutz eines nichtjüdischen Elternteils (über 700 Personen). Die Anzahl jener, die sich als so genannte U-Boote der Deportation entzogen und im Verborgenen überlebten, wird zusätzlich auf bis zu 1.000 Personen geschätzt.
https://science.orf.at/v2/stories/2821034/

Wie erging es Kindern aus "Mischehen" in der NS-Zeit?

Kinder aus Verbindungen zwischen Juden und „Ariern“ galten - zu Unrecht - lange als Gruppe, der „quasi 'nichts passiert' ist“, schreibt Historikerin Michaela Raggam-Blesch.
In "Mischehen" zwischen Juden und "Ariern" galt in der NS-Zeit für jüdische Ehepartner und Kinder spezieller Schutz. Weil die meisten von ihnen der Shoah entkam, wurden sie lange nicht als verfolgte Gruppe wahrgenommen. In einer vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Studie zeigt die Wiener Historikerin Michaela Raggam-Blesch, wie Kinder aus "Mischehen" ausgegrenzt und kriminalisiert wurden.
"Lange galten sie als Personen, denen im Vergleich zur restlichen jüdischen Bevölkerung quasi 'nichts passiert' ist, weil der Großteil nicht deportiert wurde", schildert Raggam-Blesch. Bis zur Anerkennung durch den Nationalfonds in den 1990ern hätten sich viele Betroffene selbst nicht als Verfolgte gesehen. Bis heute werde mitunter auch das couragierte Verhalten der christlichen bzw. konfessionslosen Ehepartner und Elternteile kaum gewürdigt, von dem oft das Überleben der jüdischen Familienangehörigen abhängig war.
In ihrem Habilitationsprojekt im Rahmen des Elise-Richter-Programms hat Raggam-Blesch nun mit Hilfe von neu erschlossenem Archivmaterial und Interviews mit Zeitzeugen die Erfahrungen und Überlebensstrategien dieser Gruppe dokumentiert, deren spezieller Schutz unter den NS-Ideologen mit Blick auf die "Endlösung der Judenfrage" keineswegs unumstritten war. 2021/22 soll die Forschungsarbeit zum Thema "Mischehefamilien im NS-Regime in Wien" in Buchform publiziert werden.
Einer der geschilderten Fälle ist jener von Gerhard Baader, Sohn des Katholiken Oskar Baader und der Jüdin Cecilia Adler. Die Eltern hatten einander beim Studium an der Uni Wien kennengelernt, damals eine Brutstätte des Antisemitismus. Ihre Verlobung bedeutete das Ende von Baaders akademischer Karriere. Der 1928 geborene Sohn Gerhard wurde getauft, der Weihnachtsbaum gehörte ebenso zu seiner Kindheit wie die jüdischen Traditionen in der Familie seiner Mutter. Anders als bei vielen anderen führte die multikonfessionelle Ehe bei den Baaders nicht zum Bruch mit der restlichen Familie, wie Raggam-Blesch beschreibt. Der Alltag der Familie Baader war ohnehin stärker vom Sozialismus geprägt als von Religion.
Mit dem "Anschluss" Österreichs wandten sich Nachbarn und Freunde über Nacht gegen die Familie, die Angst vor Denunzierung war allgegenwärtig, Vater Oskar verlor seinen Posten als Lehrer. Seine sozialistischen Parteikollegen drängten ihn vergeblich zur Scheidung.
"Privilegierte" und "nicht privilegierte Mischehen"
Dabei gehörten die Baaders formal zu den "privilegierten Mischehen", in denen das Kind getauft bzw. (in kinderlosen Familien) der Mann "arisch" war. "Privilegierte" Familien bekamen dieselbe Essensration wie arische, außerdem durften sie üblicherweise ihre Wohnung behalten. Trotz dieses Status mussten die Baaders Ende 1938 aus ihrer Gemeindebauwohnung in Wien-Hietzing in ein überfülltes späteres "Judenhaus" in Wien-Leopoldstadt übersiedeln. Dort wurden sie Zeugen, wie ihre Nachbarn nach und nach deportiert wurden.
Als "Mischling" (kein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde) durfte Gerhard Baader anders als "Geltungsjuden" (IKG-Mitglieder) noch bis zum Sommer 1942 eine höhere Schule besuchen, war dort allerdings als einziger "Nicht-Arier" ständigen Anfeindungen ausgesetzt. Überhaupt waren die Baaders sozial isoliert. "Arische" Freunde wandten sich ab, Anschluss an die jüdische Community hatte die Familie nicht. Solidarität unter "Mischehefamilien" entstand nicht zwingend, zu angespannt war deren Lebenssituation. Unterstützung durch Dritte war die Ausnahme.
Neben den "privilegierten" gab es auch "nicht privilegierte Mischehen", etwa wenn der Partner oder das Kind IKG-Mitglied waren. Für sie galten dieselben Regeln wie für Juden, ihnen waren etwa Kauf und Genuss von Lebensmitteln wie Fleisch, Eiern oder Kuchen verboten. Die Kategorisierungen seien allerdings "absurd und widersprüchlich" gewesen, so Raggam-Blesch. Als Überlebensstrategie wurde gelegentlich Ansuchen auf Anerkennung eines "arischen" anstelle des jüdischen Vaters gestellt.
"Geheime Reichssache"
Jüdische Mitglieder von "Mischehefamilien" waren zwar grundsätzlich vor Deportationen geschützt, solange die Ehe aufrecht war und man mit dem "arischen" Familienmitglied den Haushalt teilte. Da die Regelungen zu den "Mischehefamilien" jedoch als "Geheime Reichssache" eingestuft waren, konnten deren Mitglieder nie wissen, durch welche Faktoren ihr Leben tatsächlich geschützt wurde.
Als mit Ende 1942 das Gros der Wiener Juden deportiert war, gerieten die Mitglieder dieser vorübergehend geschützten Gruppe zunehmend in den Fokus der NS-Behörden. "Die Zahl der antijüdischen Gesetze und Verordnungen stieg an und der Alltag wurde damit zunehmend kriminalisiert. Wurde man bei einer Übertretung erwischt, konnte das ein Todesurteil sein", so die Forscherin. Dabei reichte der verbotene Besuch eines Kinos oder ohne Judenstern auf die Straße zu gehen. Ab Herbst 1944 wurden dann auch arische Ehemänner und männliche "Mischlinge" zur Zwangsarbeit herangezogen. Für Oskar Baader, einst Offizier im Ersten Weltkrieg, war die Erniedrigung durch die dortigen Kommandanten laut seinem Sohn Gerhard zu viel. Im November 1945 nahm Oskar Baader sich das Leben.
>>> Link zu den drei Fallstudien zu Mischehefamilien während der NS-Zeit in Wien von Michaela Raggam-Blesch im Journal of Genocide Research.
(APA)
https://www.diepresse.com/


Mischehen in der NS-Zeit
: "Ganze Familien begingen Selbstmord"

5. Mai 2022, 11:39 UhrLesezeit: 2 min

Der deutsche Schauspieler Heinz Rühmann und seine erste Frau Maria Bernheim auf dem Flugplatz Tempelhof in Berlin. Sie gehörten zu den prominentesten "Mischehen" in der Nazi-Diktatur. 1938 kam es zur Scheidung. 1939 heiratete Rühmann Hertha Feiler. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)
Die Historikerin Susanne Meinl erzählt, wie Paare in "Mischehen" während der NS-Zeit mit dem enormen Druck des Staates umgingen. Zu den berühmtesten Fällen gehörten die Schauspieler Heinz Rühmann und Hans Moser.
Interview von Peter Bierl, Olching
Die Nationalsozialisten haben Ehen zwischen sogenannten Ariern und Menschen, die sie als Juden markierten, verboten. Existierende "Mischehen" standen unter massivem Druck, boten jüdischen Partnern aber manchmal einen gewissen Schutz. Die Historikerin Susanne Meinl stellt Fälle aus dem Landkreis sowie prominente Paare am Donnerstag bei der Volkshochschule in Olching vor.
Durch die Nürnberger Rassengesetze vom Herbst 1935 wurden neue Mischehen verboten. Wie viele solcher Verbindungen existierten zu dem Zeitpunkt?
Susanne Meinl: Es gibt keine sichere Zahl, es dürften zwischen 15 000 und 35 000 Paaren gewesen sein. Den Begriff Mischehe gab es schon vorher, das bezog sich auf konfessionell gemischte Paare. Die Nationalsozialisten erklärten 1933 Menschen aufgrund ihrer vermeintlichen Rassenzugehörigkeit zu Juden, auch wenn sie mit der jüdischen Religion nichts zu tun hatten, weil sie Atheisten oder getauft waren. Die Hetze gegen gemischte Paare setzte sofort ein, etwa im Stürmer oder im Völkischen Beobachter. Einzelne Standesämter ließen in vorauseilendem Gehorsam oder aus Überzeugung keine Aufgebote von "Ariern" und Juden mehr zu.
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Haben diese Ehen den jüdischen Partnern einen gewissen Schutz geboten?
Ja, aber nur bedingt, und der Druck war enorm, sich scheiden zu lassen. Die jüdischen Partner verloren ihre Arbeit und lebten isoliert zu Hause.
Wie reagierten die Betroffenen?
Ganze Familien begingen Selbstmord oder versuchten zu flüchten, andere versuchten es mit Tricks. Im Fall einer Familie aus dem Landkreis entwickelte ein Münchner Rechtsanwalt die Idee, dass der "arische" Mann die Scheidung einreichte und die jüdische Frau Widerspruch erhob, der Rechtsstreit zog sich jahrelang hin. Formal war das Paar von Tisch und Bett getrennt, lebte aber unter einem Dach mit den Kindern. Als das Procedere nicht mehr verfing, hat er seine Frau versteckt. Sie haben überlebt, waren jedoch traumatisiert. Eine andere Strategie war, dass sich das Paar scheiden ließ, aber weiter zusammenlebte, und die jüdische Frau eine Scheinehe mit einem Ausländer einging. Das war der Fall bei Heinz Rühmann.
Das hatte aber Grenzen, und manche haben sich getrennt.
Rühmann hatte erst die Protektion von Goebbels, dann ließ er sich 1938 von Maria Bernheim scheiden, die den schwedischen Schauspieler Rolf von Nauckhoff heiratete. Allerdings war die Ehe zwischen Rühmann und Bernheim schon vorher zerrüttet, er wollte sie schützen. Ein bekannter Fall ist die Ärztin Lilly Jahn, deren Mann sich 1942 scheiden ließ. Sie wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Wie kamen Sie auf das Thema?
Als Historikerin beschäftige ich mich seit 20 Jahren mit solchen Themen. Ich war mit der Tochter eines Mannes befreundet, der aus einer solche Ehe stammte. Das wirkt bis in die dritte Generation nach. Mich hat es beeindruckt, dass die Liebe dieser Menschen so lange gehalten hat, trotz dem enormen Druck.
Der Vortrag "Liebe in den Zeiten des Hasses" von Susanne Meinl findet am Donnerstag, 5. Mai, um 19.30 Uhr in den Räumen der Volkshochschule Olching, Hauptstraße 82, statt, eine Anmeldung ist erforderlich.
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