Nationalsozialismus in Mosbach - Baden
: Rechtsextremismus und Neofaschismus : Anti-Semitismus : Anti-Ziganismus : Homophobie : Rassismus : Diskriminierung 

AKTUELLES:
Nationalsozialistische Geschlechterordnung

 Zuletzt AKTUALISIERT am 22.04.2023 ! 

"Viel wichtiger ist es, die Jugendlichen zu zukünftigen Soldaten und Müttern zu erziehen. Sie sollen pflichtbewusst und gehorsam sein. Und ihre Entmündigung glücklich annehmen. Und das sagt Hitler auch ganz offen."
Quelle: Vom 15.01.2023, ZDF, TERRA X : Die Psychologie der Mitläufer >>>


Seiteninhalt:

  1. Familiengericht-Amtsgericht Mosbach

  2. Nationalsozialistische Geschlechterordnung

    2.1 Statistiken zur nationalsozialistischen Geschlechterordnung

    2.2 Online-Artikel zur nationalsozialistischen Geschlechterordnung

  3. YouTube-Videos zur nationalsozialistischen Geschlechterordnung

  4. Nationalsozialistische Geschlechterrollen-Idee von Väterbildern und Väterfunktionen sowie zur Nazi-Männersozialisation

  5. Vaterlosigkeit und Kriegssozialisation




2.1 Statistiken zur nationalsozialistischen Geschlechterordnung

Statistiken zum Nationalsozialismus

Welche Rolle hatten Frauen in NS-Staat?
Der Nationalsozialismus strebte eine militarisierte Männergesellschaft an. Für die Frau sah er die Rolle der Mutter und "Dienerin" des Mannes vor. Um die Mutterschaft gab es einen regelrechten "braunen" Kult (Mutterkreuz und Muttertag). Die Berufstätigkeit von Frauen dagegen wurde von Hitler, aber auch von einem großen Teilen der Bevölkerung, strikt abgelehnt. Dies galt besonders für die Arbeit in der Industrie. Entsprechend wurden nach 1933 Ehen und Geburten politisch und finanziell gefördert. Dadurch sollten die Geburtenzahlen erhöht werden. Allerdings gelang es nicht, den langfristigen Trend sinkender Geburtenraten umzukehren. Nach 1933 stiegen die Zahlen zwar leicht: 1937 bekamen Frauen im Deutschen Reich im Schnitt zwei Kinder. Diese Zahl war allerdings weit entfernt von Hitlers propagierter kinderreichen Großfamilie.
Kinder sollten im Nationalsozialismus zwar möglichst viele geboren werden, allerdings hatte die NS-Propaganda dabei die "arische" Frau im Blick. Sogenannte "Mischehen" mit Juden waren aus Gründen der "Rassenhygiene" verboten. Und Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen durften gar keine Familien gründen: Um die "Erbgesundheit" zu schützen, wurden etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert (5.000 von ihnen starben an den Folgen der Operationen), viele Tausende wurden systematisch ermordet.
In der Realität war die Berufsstätigkeit von Frauen in den 1930er Jahren verbreitet und notwendig. Viele Frauen, die in der Industrie arbeiteten, waren außerdem verheiratet. Das war in den 1920er Jahren noch anders gewesen. Von Historikern wird dies als Indiz gewertet, dass Erwerbsarbeit eine immer wichtigere Rolle im Leben der Frauen spielte. Besonders nach 1940 stieg die Zahl der in der Industrie beschäftigten Frauen stark an. Das war nötig, weil immer mehr Männer in den Krieg ziehen mussten. Den Widerspruch zwischen der ideologischen Einstellung gegenüber Frauen und den ökonomischen Notwendigkeiten einer Kriegswirtschaft konnte das NS-Regime nicht auflösen.
https://de.statista.com/

Frauen in Industrie und Handwerk in Deutschland 1939 bis 1944
Veröffentlicht von Statista Research Department, 01.01.1993
Während des Zweiten Weltkrieges stieg im nationalsozialistischen Deutschland die Zahl der Frauen, die in Industrie und Handwerk beschäftigt waren. 1939 waren hier rund 2,5 Millionen Frauen als Arbeiterinnen oder Angestellte tätig, im Jahr 1944 waren es drei Millionen.


2.2 Online-Artikel zur nationalsozialistischen Geschlechterordnung

Die weibliche Seite des "Dritten Reichs"

ZDF MEDIATHEK
Waren sie, wie Hitler wünschte, wirklich nur Heimchen am Herd, unpolitisch und ihrer Mutterrolle ergeben? Über die unterschiedlichen Rollen der Frau im Nationalssozialismus.
Frauen im Nationalsozialismus
Montage: Zentral ein Portrait von Grete Fock; im Hintergrund eine Gruppe „Arbeitermaiden“
ZDFinfo Doku
-Schuld und Verdrängung
Als Aufseher haben sich auch Frauen im Dritten Reich schuldig gemacht. >>>
Videolänge
43 min · Doku
Montage: Zentral ein Portrait von Judith Auer; im Vordergrund Gestapo-Erkennungsfotos von
ZDFinfo Doku
-Nieder mit Hitler
Neben Mitläufern gibt es auch viele, die Widerstand leisten. >>>
Videolänge
42 min · Doku
Montage: Vorne: Eine befreite Frau mit ihrer Tochter aus dem KZ Bergen Belsen; hinten:
ZDFinfo Doku
-Entrechtung und Verfolgung
Niemand konnte sich die Ausmaße des Nationalsozialismus vorstellen. >>>
Videolänge
42 min · Doku
Montage: Eine marschierende Gruppe des „Bundes deutscher Mädchen“, eine von ihnen trägt eine Hakenkreuzflagge.
ZDFinfo Doku
-Verführung und Verblendung
Viele junge Frauen finden ihre Erfüllung im Bund Deutscher Mädel. >>>
Videolänge
43 min · Doku
https://www.zdf.de/

Frauen im Kriegsdienst: Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS Taschenbuch – 26. April 2022

Krieg ist Männersache? Nein, auch Frauen sind Kriegs-Akteurinnen. Im Zweiten Weltkrieg gehörten sie ebenso wie Männer zu SS und Wehrmacht. Ob als Flakhelferinnen, Aufseherinnen, SS-Helferinnen oder Funkerinnen: Frauen hielten die NS-Maschinerie am Laufen – und viele reihten sich aus Überzeugung ein. homas Hanifle porträtiert Südtirolerinnen, die auf unterschiedlichen Wegen in den Dienst von SS und Wehrmacht kamen, und geht den Beweggründen für den Dienstantritt genauso nach wie der Frage nach ihrer Mitverantwortung. • Frauen als Täterinnen im Zweiten Weltkrieg • Erstmalige Auseinandersetzung mit dem Thema in Südtirol • Journalistisch aufgearbeitete Frauenbiografien


Mutterkreuz

Das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter, kurz Mutterkreuz, wurde am 16. Dezember 1938 per Verordnung von Adolf Hitler gestiftet. Der Entwurf des Ehrenkreuzes stammt von Franz Berberich. Die Eingangsworte dieser Verordnung lauteten: „Als sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter stifte ich das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter.“[1] Die weiteren Verfahrensregeln wurden in der gleichnamigen Satzung veröffentlicht. Im Volksmund wurde der Orden auch „Karnickelkreuz“ genannt.[2]
Das Abzeichen zählt in der Bundesrepublik Deutschland zu den verfassungsfeindlichen Propagandamitteln. Sein Herstellen, öffentliches Tragen oder Verbreiten ist gem. § 86a StGB strafbar, da hier das Hakenkreuz abgebildet ist. Allerdings ist nach § 86 Abs. 4 StGB gestattet, Symbole aus der NS-Zeit zu Aufklärungs-, Bildungs-, und Forschungszwecken zu zeigen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mutterkreuz


Die Rolle der Arbeitsämter bei der Rekrutierung von SS-Aufseherinnen Taschenbuch – 5. September 2006

In den zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die NS-Konzentrationslager sind in den vergangenen Jahrzehnten vor allem die Existenzbedingungen der Hunderttausenden von Häftlingen beiderlei Geschlechts thematisiert worden. Erst seit dem letzten Jahrzehnt wurden die Verbrechen der „willigen Vollstrecker“ und deren sozio-ideologischen Grundlagen stärker in das Blickfeld genommen. Im Fokus lag hierbei jedoch beinahe ausschließlich das männliche Bewacher-Personal. Frauen als „weibliches Gefolge“ der SS, eingesetzt als Aufseherinnen in Frauen-Konzentrationslagern, sind erst seit jüngster Zeit Forschungsgegenstand. Dieser Paradigmenwechsel der letzten Jahre äußert sich auch darin, dass die Dämonisierung und Stereotypisierung Einzelner zu „Bestien“ und „Befehlsempfängern“ einer Darstellung der „ganz normalen Männer und Frauen“ als handelnder Subjekte wichen. Als Resultat dieser Untersuchungen entwickelte sich zunehmend die Frage, wie es möglich wurde, Aufseherin in einem Frauen-Konzentrationslager zu werden, welche gesellschaftlichen und individuellen Voraussetzungen letztlich die Entscheidung bestimmten. Unklar blieb bislang, welche Rolle das ursprünglich als sozialpolitisches Instrument entwickelte Arbeitsamt in der Zeit des Nationalsozialismus bei der Arbeitskräfterekrutierung von Aufseherinnen für die SS übernahm.


MUTTERKULT IM DRITTEN REICH

"Karnickelorden" zum Muttertag: Das Frauenbild der Nazis
Stand: 08. März 2021, 12:25 Uhr
Mutterkult unter den Nationalsozialisten: Da sollten die Frauen in erster Linie Kinder gebären - je mehr, desto besser. Ab 1938 winkte dafür das Mutterkreuz als Auszeichnung. Verliehen wurde es - im Volksmund auch "Karnickelkreuz" genannt - am Muttertag, den die Nazis nach der Machtergreifung schnell für sich vereinnahmten und 1934 offiziell zum Feiertag erklärten.
Das Idealbild der Frau im Nationalsozialismus ist die deutsche Mutter, die ihre Aufgabe, so der Nazijargon, "in der Reproduktion des 'deutschen Volkskörpers'" und in der Erfüllung der häuslichen Tätigkeiten sieht. Endlich, so scheint es, wird die biologische Funktion der Frau vom Staat gebührend anerkannt. "Mutter, Deine Söhne sind die Zukunft des Staates", propagieren die Nazis.
Es hat sicher eine Menge Frauen gegeben, die das angenehm fanden, dass ihre Leistung in Familie und Haushalt endlich anerkannt wurde, das wäre illusorisch, das abzustreiten.
Kirsten Heinsohn Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
NS-Frauenbild: Männer machen Geschichte, Frauen gebären
Die deutsche Familie als Keimzelle der Gesellschaft ist fester Bestandteil der Nazi-Propaganda. Das Hohelied auf die Mutter wird im Sinn der Bevölkerungs- und Rassenpolitik gesungen, verbunden mit dem pseudoreligiösen Versprechen, dass "zum besten Volke gehören wird, wer sein Bestes dem Volke gibt". Bei all dem lässt Reichspropagandaminister Joseph Goebbels aber keinen Zweifel daran, dass Männer das Sagen haben und Geschichte machen. Frauen haben die Söhne zu gebären und zu erziehen.
Der Mutterkult ist nichts anderes als die Hochschätzung der Frau als Gebärende, weil das eine wichtige Aufgabe für die Entwicklung des Volkes, des deutschen Volkes ist, im Sinne einer demografischen und rassischen Aufwertung.
Kirsten Heinsohn Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Das Mutterkreuz: "Karnickelorden" in Gold ab acht Kindern
Hitler stiftete 1938 das "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter", kurz Mutterkreuz. Verliehen wurde es auf öffentlichen Feiern. In Bronze gab es die Auszeichnung mit vier und fünf Kindern. An Kandidatinnen herrschte kein Mangel, lebten doch in rund einem Viertel der Familien in Deutschland damals mindestens vier Kinder. Mit acht Kindern hatte sich eine Frau das goldene Mutterkreuz, die höchste Stufe des "Karnickelordens", verdient. Die Verehrung von Müttern oder ein Mutterkult sind zwar keine Erfindung der Nationalsozialisten, neu ist aber im nationalsozialistischen Deutschland:
... dass es dafür eine staatliche Belohnung gibt, wenn Frauen, bei denen es gewünscht ist, dass sie Mütter werden, das tun und das auch als ihren ausschließlichen Beruf begreifen.
Kirsten Heinsohn Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Die Ehe ist im Nationalsozialismus keine reine Privatangelegenheit mehr, sondern dient dem Fortbestand des deutschen Volkes. Ab 1933 wird das Ehestandsdarlehen gesetzlich eingeführt. Bis zu stattlichen 1.000 Reichsmark gibt es. Die Ehefrau muss sich aber verpflichten, ihre Erwerbsfähigkeit aufzugeben, bis das Geld zurückgezahlt ist. Pro Geburt eines Kindes wird ein Teil des Darlehens erlassen, bei Vieren ist es sozusagen "abgekindert". Zusätzlich werden "Beihilfen" ab dem dritten Kind gezahlt und die Familien erhalten Steuerermäßigungen.
Frauen wurden aus dem Berufsleben gedrängt
Eine Folge des Mutterkultes und der staatlichen Familienförderung ist jedoch, dass Frauen, vor allem Frauen mit Kindern, aus Arbeitsmarkt und Berufsleben gedrängt werden. Doppelverdiener gibt es bald kaum noch, denn meist hängt die Frau die Erwerbstätigkeit an den Nagel. Die Machthaber schlagen damit zwei Fliegen mit einer Klappe, denn auf diese Weise lässt sich auch die Arbeitslosigkeit verringern. Nur noch die angeblich "typisch weiblichen" Tätigkeiten wie Krankenschwester, Hausgehilfin oder Sekretärin sind erwünscht, akademische Berufe für Frauen dagegen nicht mehr.
Die Kehrsite: Zwangssterilisationen und Heiratsverbot
Das von Hitler erlassene Gesetz zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses" ist die Kehrseite der "Reinhaltung" des deutschen Volkes. Frauen, die den rassischen Ansprüchen der Nationalsozialisten nicht genügen, zum Beispiel wegen einer Behinderung, oft aber auch weil ihnen "asoziales" Verhalten angehängt wird, dürfen keine Kinder bekommen. Zwangssterilisationen und Heiratsverbot werden für Menschen mit Behinderung und sogenannte Erbkranke angeordnet. Darüber wachen eigens dafür geschaffene Erbgesundheitsgerichte.
Propaganda zur Zwanggsterilisation im Dritten Reich
Zwangssterilisation im Dritten Reich
Im Vernichtungslager bedeutete Mutterschaft den Tod
1941 beginnt die systematische Ermordung der Juden. Millionen Menschen werden in Viehwaggons nach Auschwitz und in andere Vernichtungslager im Osten transportiert. Es ist der perverse Höhepunkt einer Weltanschauung, der auch die Verlogenheit des nationalsozialistischen Mutterkultes zeigt, denn:
In der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten im Osten bedeutete Mutterschaft: Tod. Sofort. Jede Mutter, die mit einem Kind in Auschwitz angekommen ist, ist sofort selektiert worden und mit ihrem Kind in den Tod geschickt worden.
Kirsten Heinsohn Historikerin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Im Krieg wurden Frauen zum Arbeitsdienst verpflichtet
Für die deutschen Mütter bedeutet der Krieg das Ende ihres Hausfrauendaseins. Dieselben Frauen, denen jahrelang die Rolle als Mutter und Hausfrau angepriesen worden war, werden jetzt zum Arbeitsdienst verpflichtet. In den Rüstungsfabriken leisten sie Schwerstarbeit. Gleichen Lohn wie die Männer erhalten sie nicht. Für ihren Nachwuchs ist nun im Kindergarten gesorgt.
Am Ende, als schon alles verloren ist, schickt Hitler die Kinder, die die Frauen für ihn hatten zur Welt bringen sollen, an die Front, in den Tod. Als der Krieg die deutschen Städte erreicht, ist der Mutterkult längst vergessen - die Frauen kämpfen um das Überleben ihrer Familien.
https://www.mdr.de/


„Deutsche Mutter, bist du bereit …“: Der Lebensborn und seine Kinder Taschenbuch – 1. Oktober 2010

Mythos Lebensborn Am Beispiel eines Lebensborn-Heims analysiert Dorothee Schmitz-Köster Arbeitsweise, Ideologie und Alltag der SS-Organisation - und setzt sich mit dem Mythos von "nationalsozialistischen Zuchtanstalten" auseinander. Sie berichtet von Frauen, die im Lebensborn entbunden oder gearbeitet haben. Und sie erzählt von Menschen, die dort auf die Welt kamen: unehelich Geborene, deren Väter geheim gehalten wurden, "Norweger-Kinder", die zuerst in Deutschland und nach dem Krieg in Schweden landeten, Lebensborn-Kinder, die in der DDR aufwuchsen. Ihre Biographien zeigen, wie weit Lebensborn in die Gegenwart hinein wirkt. Denn viele mussten erst lange recherchieren, bis sie wussten, wer ihr Vater ist, wo sie geboren wurden, was mit ihnen geschah.


Siehe auch:


Die deutsche Frau und ihre Rolle im Nationalsozialismus

Geschrieben von: Carolin Bendel
Erstellt: 3. Oktober 2007
I. Das nationalsozialistische Frauenbild
Bevor Adolf Hitler und seine nationalsozialistische Partei 1933 in Deutschland an die Macht kamen, beschrieb er die Weltordnung als von den Männern dominiert. Sein Weltbild beinhaltete die Entmündigung der Frau, die bereits nach der biblischen Schöpfungsgeschichte das unterworfene und dienende Geschlecht war, während Adam, der für das männliche Geschlecht stand, über die Frau bestimmen konnte und ihr übergeordnet war. Weiter erklärte Hitler, dass Frauen keinen Anteil an der Weltgeschichte hatten, da die Politik allein den Männern vorbehalten war, „aber es darf nicht ungesagt bleiben, dass Dinge, die dem Mann gehören, dem Mann auch verbleiben müssen. Und dazu gehört die Politik und die Wehrhaftigkeit eines Volkes“ [1] , und dass der Begriff der „Emanzipation“ von den Juden erfunden worden sei, um die vorbestimmte Geschlechterordnung zu zerstören, „das Wort von der Frauenemanzipation ist ein nur vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort. Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das Weib in die Welt des Mannes eindringt, sondern wir empfinden es als natürlich, wenn diese beiden Welten geschieden bleiben.“ [2]
Erst nachdem im März 1932 Hindenburg und nicht Hitler zum Staatsoberhaupt gewählt worden war, änderten die Nationalsozialisten ihre offizielle Meinung zur Rolle der Frau, da ihre politischen Gegner die weiblichen Wählerinnen davor gewarnt hatten, dass die Nationalsozialisten sie bei einem Wahlsieg zu gehorsamen Dienerinnen degradieren wollten. Daher begannen sie die Frau als Geschlechts- und Arbeitsgenossin darzustellen, die dem Mann helfend zur Hand gehen sollte.
Die Aufgaben des Mannes und der Frau wurden sehr genau verteilt. Vor allem die Rolle als Mutter war für die Frau ausschlaggebend. Während der Mann als der Versorger und Beschützer der Familie charakterisiert wurde, bestand die „natürliche“ Aufgabe der deutschen Frau darin, möglichst viele Kinder zur Welt zu bringen und damit der Volksgemeinschaft zu dienen, indem die Kinder zur Ausbreitung der „arischen Rasse“ beitrugen, „die Frau hat die Aufgabe, schön zu sein und Kinder zur Welt zu bringen. Dafür sorgt der Mann für die Nahrung und wehrt den Feind ab.“ [3]
Die Rolle der Frau im Nationalsozialismus wurde auf die Mutterschaft reduziert, die fortdauernd als ideologisches Idealbild verherrlicht wurde. In der Propaganda des Dritten Reiches erschien der einzige Existenzgrund der Frau der zu sein, als sorgende und liebevolle Mutter die zukünftige Generation der deutschen, „arischen“ Rasse zu gebären und nach nationalsozialistischer Gesinnung aufzuziehen.
Dieses Idealbild der Frau als Mutter, das von den Nationalsozialisten verbreitet wurde, wurde auch durch den damaligen Antisemitismus und durch Grundzüge der Lebensraumpolitik des Dritten Reiches beeinflusst. In ihren Augen konnte nur die deutsche Frau mit einer erstklassigen „arischen“ Abstammung dafür Sorge tragen, dass die deutsche „Rasse“ fortgesetzt wurde. Deutsche Nachkommen wurden für das „Tausendjährige Reich“ benötigt, um den Osten zu besiedeln und an das Deutsche Reich anzugliedern, außerdem sicherte ein Geburtenanstieg auch spätere Soldaten, die für den Krieg besonders wichtig waren.
Damit war die Frau in der nationalsozialistischen Propaganda die „Quelle der Nation“, auf deren Schultern die Zukunft des Deutschen Reiches ruhte. Die deutschen Frauen wurden öffentlich mit Charaktereigenschaften wie Selbstlosigkeit, Treue, Pflichtbewusstsein und auch Opferbereitschaft versehen, während ihnen eine bedeutende Rolle im Aufstieg des Dritten Reiches zugesprochen wurde, was ihr eigenes Selbstbewusstsein enorm steigerte, „was der Mann an Opfern bringt im Ringen seines Volkes, bringt die Frau an Opfern im Ringen um die Erhaltung dieses Volkes in den einzelnen Zellen. Jedes Kind, das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für das Sein oder Nichtsein ihres Volkes.“ [4]
Im Nationalsozialismus hatte die Mutterrolle im Leben einer guten deutschen, bzw. „arischen“ Frau höchste Priorität. Sie sollte das Kinderkriegen und die Erziehung der Kinder zu ihrem gesamten Lebensinhalt machen.
II. Juristische Durchsetzung des Frauenbildes
Zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Frauenpolitik setzte das Regime im Dritten Reich auf positive Anreize, die die deutschen Frauen zu mehr Gebärfreudigkeit ermuntern sollten. Daher führten sie am 1. Juni 1933 das so genannte Ehestandsdarlehen ein, das Eheschließungen fördern und damit zu einem Geburtenanstieg führen sollte. Dieses Ehestandsdarlehen wurde im Zusammenhang mit dem „Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“ eingeführt, das darauf abzielte, Frauen von der Erwerbsfähigkeit zu lösen, damit arbeitslose Männer die zuvor von Frauen ausgeführten Arbeiten übernehmen konnten.
Im Wahlkampf hatten die Nationalsozialisten den Frauen zwar die Erwerbstätigkeit zugesichert, lehnten sie jedoch inoffiziell ab. Daher setzte das Ehestandsdarlehen voraus, dass die Frau bei einer Eheschließung ihre Erwerbstätigkeit aufgab und keine Tätigkeit ausübte, solange der Ehemann dazu in der Lage war, „Voraussetzung für die Bewilligung des Ehestandsdarlehens ist: […] dass die künftige Ehefrau ihre Tätigkeit als Arbeitnehmerin spätestens im Zeitpunkt der Eheschließung aufgibt oder im Zeitpunkt der Einbringung des Antrags bereits aufgegeben hat.“ [5]
Damit wurde die Frau indirekt dazu aufgefordert, als Ehefrau keine Arbeit zu haben, sondern sich um die Familie zu kümmern. Außerdem reduzierte sich die Zurückzahlung des Darlehens pro Kind um 25 %. Somit musste ein Ehepaar mit vier Kindern dem deutschen Staat das Darlehen nicht zurückzahlen.
Hinzu kamen auch Maßnahmen wie Wohlfahrten für kinderreiche Familien, staatliche Kinderbeihilfen sowie Errichtungen von einigen Nachwuchsorganisationen. Hingegen erhöhten sich die Steuern für Ehepaare ohne Kinder. All diese Vergünstigungen für Eltern und Benachteiligungen für kinderlose Paare animierten zum Kinderreichtum im Dritten Reich.
Aber auch andere Gesetze bestimmten über das Leben der deutschen Frau im Nationalsozialismus. Den Frauen wurde das passive Wahlrecht abgesprochen, Frauen wurden nicht mehr zu Justizberufen zugelassen, ab 1934 durften Ärztinnen keine Praxen mehr eröffnen und der Frauenanteil an Universitäten durfte nur noch 10 % aller Studenten betragen. Dazu kam, dass der Ehemann in der Ehe alle Entscheidungen treffen durfte. Nach § 1343 des Bürgerlichen Gesetzbuches war er derjenige, der die Ehefrau dazu zwingen konnte, ihren Beruf aufzugeben, oder der bestimmen konnte, an welchem Ort das Ehepaar lebte. Weiter konnte er sich von seiner Ehefrau scheiden lassen, wenn sich herausstellte, dass sie unfruchtbar war oder sich weigerte, Kinder zu bekommen.
All diese Gesetzgebungen zeigen, dass die nationalsozialistische Regierung alles daran setzte, die Geburtenrate in Deutschland zu fördern. Aus diesem Grund sollten die Frauen ihr Leben danach ausrichten, möglichst viele Kinder zu bekommen und dem Dritten Reich zu dienen. Frauen, die Kinder abtreiben ließen, wurden hart bestraft und konnten gegebenenfalls die Todesstrafe erhalten. Auch Frauen, die Mittel zu Abtreibungen weitergaben, wurden bestraft, da sie „wertvolles Erbgut“ zerstörten.
„Erbgesunde deutsche Frauen“ durften im Dritten Reich ihre Kinder nicht abtreiben, andere Frauen jedoch, die als „rassisch minderwertig“ betrachtet wurden, weil sie beispielsweise an einer Behinderung litten, einer anderen Religion angehörten oder nicht mit der Politik der Nationalsozialisten einverstanden waren, wurden oft dazu gedrängt und gezwungen, ihre Kinder abtreiben zu lassen, und wurden sterilisiert. So sollte gesichert werden, dass die deutsche Frau mit dem „gesunden und guten Blut“ den Nachwuchs auf die Welt brachte, während die anderen als „entartet“ angesehenen Frauen davon abgehalten wurden, Kinder auf die Welt zu bringen.
In diesem Zusammenhang begannen die Nationalsozialisten auch ab 1937, sowohl einen Abstammungsnachweis als auch ein amtsärztliches Eheeignungszeugnis bei Antrag auf ein Ehestandsdarlehen zu verlangen, die kontrollieren sollten, ob das zukünftige Ehepaar „erbgesund“ sei. Zudem konnten die Nationalsozialisten auf diesem Weg bereits die Menschen aufspüren, die sie später in Konzentrationslager zu bringen beabsichtigten. Der Rassewahn mit den Ariern als höchster Rasse bestimmte im Dritten Reich die betriebene Bevölkerungspolitik.
Obwohl sich die NSDAP eigentlich als Männerpartei verstand und kaum Frauen als Mitglieder aufgenommen wurden, sollten Frauen in anderen Organisationen, die der NSDAP angegliedert waren, erfasst werden. Auf diese Weise gehörten 1939 12 Millionen Frauen einem der NS-Verbände an, wie dem „Bund Deutscher Mädel“ oder der „NS-Frauenschaft“. Dort wurden die Mädchen zu guten deutschen Müttern erzogen und ihnen wurden die wichtigsten Aufgaben beigebracht, die sie später als Ehefrau und Mutter benötigten. In den Verbänden für erwachsene Frauen wurden Kurse mit Frauenthemen angeboten und dort organisierte man karitative Dinge wie das Winterhilfswerk und die NS-Volkswohlfahrt.
Zweck dieser Organisationen war es, die deutschen Frauen in den Nationalsozialismus einzugliedern und ihnen seine Prinzipien näher zu bringen, so dass sie „gute deutsche Frauen“ wurden.
Während die Frauen aus dem Berufsleben und dem Studium verdrängt wurden, führte man 1938 das Pflichtjahr für Mädchen zwischen 14 und 25 Jahren ein. In diesem Pflichtjahr mussten sie ein Jahr lang in der Land- oder Hauswirtschaft arbeiten, nachdem sie von der Schule abgegangen waren. So konnte sich das Dritte Reich die Arbeitskraft der Mädchen und jungen Frauen zunutze machen.
III. Mutterkreuzkult und Lebensborn
Die Nationalsozialisten begannen 1938, den Muttertag einzuführen, nachdem dieser in den Jahren zuvor vergessen worden war, und stifteten für Frauen mit besonders vielen Kindern das „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“. Damit sollten die Mütter erfahren, wie wichtig ihr Beitrag, den sie in Form von Kindern erbrachten, für das Reich war. Das Mutterkreuz war eine staatliche Auszeichnung für die Frauen, die als besonders ehrenvoll und angesehen galt. Diese Auszeichnungen waren im Dritten Reich mit militärischen Würden vergleichbar, auch da die Nationalsozialisten betonten, dass die Frau an der „Geburtenschlacht“ Erfolge erbrachte, wie Soldaten an der Kriegsfront, „erst bei drei bis vier Kindern bleibt der Bestand des Volkes sichergestellt. Du vergehst; was Du Deinen Nachkommen gibst, bleibt; in ihnen feierst Du Auferstehung. Dein Volk lebt ewig!“ [6]
Dahinter steckte, dass man für den kommenden Krieg neue Soldaten brauchte, um die hohen Ziele von der Eroberung der Welt durchführen zu können, „Mütter, eure Wiegen sind wie ein schlafendes Heer. Stets bereits zu siegen werden sie nimmermehr leer.“ [7]
Es entstand ein regelrechter Mutterkult, der durch den Muttertag, der mit großen und ehrenvollen Feiern begangen wurde, einen festen Bestandteil im nationalsozialistischen Jahresablauf hatte. Mit den Ehrenabzeichen wurde den Müttern gedankt, dass sie „dem Führer“ und dem deutschen Volk Kinder geschenkt hatten.
Daher war das Mutterkreuz von Adolf Hitler gestiftet, was eine sehr ehrenvolle Auszeichnung bedeutete, da es vom „Führer“ des Volkes kam. Außerdem ging das Mutterkreuz nur an „würdige“ Mütter mit vielen Kindern. So bekamen Frauen mit vier oder fünf Kindern das Kreuz in Bronze, für sechs oder sieben Kinder in Silber und ab acht Kindern gab es das Kreuz in Gold, was die höchste Auszeichnung bedeutete.
Weitere Gesichtspunkte für die Verleihung des Mutterkreuzes waren, dass die Frau „deutsch-blütig“, „erbgesund“, „anständig“ und „sittlich einwandfrei“ war. Außerdem durften weder ihr Mann noch die Kinder andere politische Ansichten als die Nationalsozialisten haben, durch Gefängnisstrafen vorbelastet sein, der Haushalt musste ordentlich und sauber sein, die Kinder durften keine schlechten Schulnoten haben, die Frau durfte sich nicht „herumtreiben“ und die Familie durfte keine Fürsorgeleistungen erhalten haben. Sollten die Behörden bei Antrag auf ein Mutterkreuz darauf stoßen, dass diese Gesichtspunkte nicht erfüllt waren, galten Eltern und Kinder als „asozial“ und konnten daraufhin in eine Anstalt kommen.
Trotz dieser Auswahlkriterien bekamen bis 1945 ungefähr 5 Millionen Frauen das Mutterkreuz verliehen. Für Frauen, die kein Mutterkreuz verliehen bekamen, obwohl sie mehrere Kinder hatten, bedeutete dies, dass man über sie abfällig sprach und in der Öffentlichkeit verspottete, da man davon ausging, dass mit ihnen etwas nicht stimmen konnte.
Frauen mit diesen Auszeichnungen wurden besonders gut behandelt, wenn sie in ein Geschäft kamen, da sie in Behörden und in Geschäften bevorzugt bedient werden sollten. Auch die Hitlerjugend wurde angewiesen, Trägerinnen des Mutterkreuzes auf der Straße ehrenvoll zu begrüßen, „die Trägerinnen des Mütterehrenkreuzes werden in Zukunft alle jene Bevorzugungen genießen, die uns gegenüber den verdienten Volksgenossen und gegenüber Kriegsbeschädigten bereits Selbstverständlichkeit geworden sind.“ [8]
Die Feiern zum Muttertag wurden ab 1942 nach einem bestimmten Ritus abgehalten, bei denen es auch Massenverleihungen der Mutterkreuze gab. Während der Feiern sprach man oft von der Würdigung des Opfers, welches die Mütter brachten, wenn sie ein Kind bekamen. Vor allem die Geburten von Söhnen seien besonders schmerzvoll, da die Mütter die Söhne im Krieg verlieren konnten. Dieses Opfer sollte demnach durch eine Ehrung gewürdigt werden. Dabei wurde betont, dass für jeden gefallenen Soldaten mindestens ein neues Kind geboren werden sollte. Junge Frauen wurden daher aufgefordert, trotz des Kriegsalltags und der Lebensmittelknappheit besonders viele Kinder zu bekommen.
Die Nationalsozialisten strebten danach, viele „wertvolle“ Kinder für das Dritte Reich zu bekommen. Um dies zu erreichen, gründete Heinrich Himmler 1935 den Lebensborn e.V., der das Ziel verfolgte, den Kinderreichtum der SS zu unterstützen, „über die Grenzen sonst notwendiger bürgerlicher Gesetze und Gewohnheiten hinaus wird es auch außerhalb der Ehe für deutsche Frauen und Mädel guten Blutes eine hohe Aufgabe sein können, nicht aus Leichtsinn, sondern in tiefstem sittliche Ernst Mütter der Kinder ins Feld ziehender Soldaten zu werden, von denen das Schicksal allein weiß, ob sie heimkehren oder für Deutschland fallen.“ [9]
Der Lebensborn wollte gezielt die Geburten von Kindern „guten Blutes“ steigern und nach der nationalsozialistischen Rassenlehre die Elite der „arischen“ Rasse züchten. Frauen wurden in Lebensbornheimen aufgenommen, wenn sie und der Vater des Kindes den Auswahlkriterien der SS entsprachen. Oft waren es auch ledige Frauen, die von SS-Männern Kinder erwarteten, die in die Lebensbornheime kamen. Insgesamt wurden 13 Lebensbornheime eingerichtet, in denen 11.000 Kinder geboren wurden. Man schätzt, dass rund die Hälfte dieser Kinder unehelich geboren wurde.
Soldaten der SS wurden von ihren Vorgesetzten dazu aufgefordert, trotz einer bereits bestehenden Ehe, Verhältnisse mit Frauen „deutschen oder nordischen Blutes“ einzugehen, um möglichst viele Kinder zu zeugen. In den skandinavischen Ländern, die vom Deutschen Reich besetzt waren, wurden ebenfalls Lebensbornheime eingerichtet, die skandinavische Mütter beherbergten, die von SS-Männern Kinder erwarteten. Die Frauen in den Lebensbornheimen wurden besonders gut versorgt und erhielten täglich Milch, Fleisch und andere Lebensmittel, die im Krieg begehrt und luxuriös waren. Nachdem die Kinder geboren waren, kamen sie meist in deutsche Heime oder wurden von deutschen Familien, die nach strengen Kriterien ausgewählt wurden, adoptiert.
IV. Kriegsalltag
Die ersten Einschränkungen, die die Frauen im Krieg erlebten, waren die Lebensmittelrationierungen. Doch sie lösten bei der Bevölkerung kaum Empörung aus, da die Nationalsozialisten davon sprachen, dass alle nun während des Krieges Opfer bringen mussten. Es wurde sehr schnell deutlich, dass die Männer, die als Soldaten in den Krieg gezogen waren, daheim fehlten. „Daheim“ wurde nun „Heimatfront“ genannt, damit die Frauen glaubten, wie die Männer im Krieg zu kämpfen, indem sie die Berufe ausübten, die normalerweise von Männern verrichtet worden waren. Das Arbeitskräfteproblem stieg an, je mehr Soldaten eingezogen wurden, die dadurch ihre Arbeiten daheim liegen lassen mussten.
Doch es waren nicht nur Handwerker, die ersetzt werden mussten. Auch in der Rüstungsindustrie, die endgültig auf Hochtouren lief, nachdem das Deutsche Reich Polen überfallen und damit den Krieg begonnen hatte, fehlten viele Arbeitskräfte. Zuerst begannen die Nationalsozialisten, Frauen für die Arbeiten anzuwerben, anstatt sie zu zwingen, dort zu arbeiten. Dies taten sie, indem sie die wichtige Rolle der Frau im Krieg betonten, „Millionen deutscher Frauen sind auf dem Lande auf dem Felde und müssen dabei in härtester Arbeit die Männer ersetzen. Millionen deutscher Frauen und Mädchen arbeiten in Fabriken, Werkstätten und Büros und stehen auch dort ihren Mann. Es ist nicht unrecht, wenn wir verlangen, dass sich diese Millionen deutsche schaffende Volksgenossinnen noch viele Hunderttausende andere zum Vorbild nehmen.“ [10]
Jedoch waren es immer weniger Frauen, die arbeiten gingen, da die Nationalsozialisten in den früheren Jahren die Frauen systematisch aus dem Berufsleben verdrängt und die Rolle als Mutter betont hatten. Zudem bekamen Frauen von Soldaten hohe Unterstützungszahlungen durch die Regierung, die es ihnen ermöglichten, auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten. Daher begann man die Frauen zurück zu verpflichten, damit sie ihre frühere Arbeit wieder aufnahmen. Auch die „Arbeitsmaiden“ wurden kriegswillig gemacht und mussten in der Rüstungsindustrie arbeiten. Außerdem wurden Maßnahmen, die in den Jahren zuvor durchgesetzt worden waren, um Frauen aus der Berufswelt auszuschließen, rückgängig gemacht. So durften Frauen nun ohne Einschränkungen studieren, da man sie und ihre Fähigkeiten für den Krieg brauchte, und auch Ehepaare bekamen das Ehestandsdarlehen, wenn die Frau arbeiten ging.
1940 startete man den „freiwilligen Ehrendienst der Frauen in der Kriegswirtschaft“, der in der Rüstungsindustrie ausgeführt wurde. Von dieser dreckigen Arbeit waren vor allem Frauen aus dem Bürgertum verschont, während Zwangsarbeiterinnen, die als „asozial“ galten, dort schuften mussten. 1942 wurden alle Frauen zur Arbeit in Rüstungsbetrieben verpflichtet, wovon sich viele Frauen durch Mutterschaft oder Kontakte zur Regierung befreien konnten. Frauen wurden auch als Wehrmachtshelferinnen verpflichtet und arbeiteten sowohl in sicheren Berufen wie Telefonistinnen, Funkerinnen und Fernschreiberinnen, aber auch in Kriegsschauplätzen als Krankenschwestern. Als der Krieg beinahe schon verloren war, arbeiteten und kämpften manche Frauen sogar direkt an der Front mit den Soldaten zusammen.
Die allgemeine Wehrpflicht für Frauen konnte nicht eingeführt werden und viele Frauen, die sich für sichere Arbeiten im Krieg hatten melden müssen, konnten durch Ausnahmeregelungen dem Kriegsdienst entkommen. So waren es im Jahr 1943 „nur“ 500.000 Frauen, die für den Krieg mobilisiert wurden.
Die Frauen, die in der Kriegsrüstungsindustrie arbeiteten, bekamen für die gleiche Arbeit jedoch viel weniger Geld, als die Männer erhielten. So lag der durchschnittliche Stundenlohn im Jahr 1942 für qualifizierte männliche Arbeitnehmer bei 80,8 Reichspfennigen, während eine Frau mit den gleichen Qualifikationen nur 52,3 Reichspfennige erhielt. [11]
Auch das Alltagsleben gestaltete sich schwierig für die Frau, die ihre Kinder allein großziehen musste, während der Mann eingezogen worden war. Das Haushalten mit Strom- und Wasserreserven, aber auch die Lebensmittelknappheit war äußerst schwierig, da die Verteilung von Nahrung an die Bevölkerung im Laufe des Krieges immer weniger wurde. Frauen wurden angewiesen, die Familie mit Wildgemüse zu versorgen und überall zu sparen. Die Frauen machten aus der Not eine Tugend und bauten Gemüse in ihren kleinen Gärten an, außerdem kochten sie aus speziellen Kochbüchern, die wenige Zutaten angaben, um Gerichte zuzubereiten.
Gleichzeitig mussten die Frauen ihre Kinder während der nächtlichen Bombenangriffe in Luftschutzkellern in Sicherheit bringen, übten mit ihnen das Anlegen von Gasmasken, da man einen Gaskrieg befürchtete, flickten die Kleidung so gut es ging, schließlich gab es kaum neue Kleidung oder Stoffe, und bangten um die Ehemänner, die im Krieg waren. Da es auch kaum Kindertagesstätten gab, mussten Frauen, die noch arbeiteten, sich darum kümmern, die Kinder irgendwo unterzubringen, während sie in die Fabriken gingen.
Bald nahmen die Nationalsozialisten keine Rücksicht mehr auf den Mutterschutz, und Frauen mit Kindern waren gezwungen, ebenfalls zu arbeiten. Meistens gingen die Frauen in den Nachtschichten arbeiten und kamen in der Früh nach Hause, um die Kinder zu versorgen und den Haushalt zu machen. Die Frauen waren während der Kriegsjahre allein erziehende Mütter mit vielen Kindern, da sie immer noch möglichst viele Söhne und Töchter bekommen sollten, arbeiteten in einem harten, anstrengenden und langen Job, litten am Krieg und sorgten sich um die Ehemänner. Dieser psychologische Aspekt innerhalb der Untersuchung zum Frauenalltag im Krieg ist besonders wichtig, da er permanente Angstzustände um die Zukunft nach dem Krieg kennzeichnet, die die Frauen ständig erfuhren, da sie nicht wissen konnten, ob der Ehemann und Vater wiederkehren würde. Diese seelische Belastung ist neben der Belastung durch den Krieg und die damit verbundenen Einschränkungen ebenfalls prägend für die Generation der deutschen Frauen im Zweiten Weltkrieg.
V. Fazit
Die Nationalsozialisten wollten zu Anfang, dass die Frau im Nationalsozialismus nur Mutter und Ehefrau war. Sie sollte viele Kinder bekommen und auf diese Weise den Fortbestand des Dritten Reiches sichern. Der Mann dagegen wurde als Ernährer und Beschützer dargestellt. Um den Frauen die Mutterschaft schmackhaft zu machen, betrieben sie einen großen Mutterkult und priesen sie als besonders wertvoll, da es ihre Aufgabe sei, dem Führer und dem Volk neue Kinder zu schenken. Vermutlich war es für die Frau sehr schmeichelhaft, als „Quelle der Nation“ betrachtet oder besonders ehrenvoll behandelt zu werden, wenn sie viele Kinder hatte.
Doch mit dem Krieg musste sich ihre Rolle verändern. Nun musste sie auch die Rolle des abwesenden Mannes einnehmen und mit ihrer Rolle als Mutter kombinieren. Während des schwierigen Kriegszustandes, der ohnehin viele Opfer von ihnen verlangte, war dies kaum zu bewältigen, da sie sich darum kümmern musste, dass ihre Kinder sicher waren und genug zu essen bekamen.
Die Nationalsozialisten hatten einen Fehler gemacht, als sie in den Jahren vor dem Krieg ständig betont hatten, dass die Frau nur eine gute deutsche Mutter und Ehefrau sein sollte, die keinen Platz im Berufsleben hatte. Sicherlich war die Frau durch die Mutterschaft schon eine „Stütze“ des Dritten Reiches, aber nachdem die Männer als Soldaten in den Krieg gegangen waren, musste sie auch die Aufgaben bewältigen, die ihr vorher verboten worden waren. Trotz dieser vielen Aufgaben wurde die Frau bis zum Ende des Kriegs stets nur als Mutter geehrt, während die harten Kriegsarbeiten, die sie machte, kaum erwähnt wurden. Die Frau sollte weiterhin in der nationalsozialistischen Öffentlichkeit nur als Mutter dastehen.
Autorin: Carolin Bendel
Literatur
Bab, Bettina: Frauenleben im NS-Alltag, Bonn 1991
Bettelheim, Charles: Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, München 1974
Bock, Gisela: Gleichheit und Differenz in der nationalsozialistischen Rassenpolitik, in: Bock, Gisela (Hrsg.): Geschichte und Gesellschaft. Rassenpolitik und Geschlechterpolitik im Nationalsozialismus, 19. Jahrgang 1993 / Heft 3, S. 277 – 311
Brockhaus, Gudrun: Opfer, Täterin, Mitbeteiligte, in: Gravenhorst, Lerke (Hrsg.): Töchterfragen, Freiburg 1995
Distel, Barbara: Frauen im Holocaust, Gerlingen 2001
Gerber, Pia: Erwerbsbeteiligungen von deutschen und ausländischen Frauen 1933 – 1945, Frankfurt 1996
Kundrus, Birthe: Loyal, weil satt, in: Mittelweg 36, 6. Jahrgang, 1997, Heft 5, S. 80 – 93
Macciocchi, Maria-Antonietta: Jungfrauen, Mütter und ein Führer. Frauen im Faschismus, Berlin 1976
Schneider, Wolfgang: Frauen unterm Hakenkreuz, München 2003
Scholtz-Klink, Gertrud: Die Frau im Dritten Reich, Tübingen 1976
Weyrather, Irmgard: Mutterkreuze. Rassistische Orden des Geburtenkrieges, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 27 (1990), S. 134-142
https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/


Das Geschlechterverhältnis zu Zeiten des Nationalsozialismus

Hausarbeit, 2019
12 Seiten, Note: 3,0
A E ALEXANDER ENGEL (AUTOR:IN)
Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Das nationalsozialistische Frauen- und Mädchenbild
3. Das nationalsozialistische Männer- und Jungenbild
4. Analyse und Vergleich
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der nun folgenden Arbeit werde ich das Männer- und Frauenbild in der Zeit des Nationalsozialismus betrachten.
Ziel dieser Arbeit wird es sein, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Erziehung von jungen Frauen und jungen Männern aufzuzeigen. Dabei gehe ich auf die Sozialisation der Jugendlichen in den jeweiligen Organisationen – der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädel – ein und beleuchtet die unterschiedlichen Herangehensweisen in den Organisationen.
Dies ist notwendig, um das Frauen- und Männerbild des NS-Regimes zu verstehen. Außerdem soll aufgezeigt werden, inwiefern sich die Betrachtungsweisen auf die beiden Geschlechter in Zeiten des Krieges änderten. Dies wird genauer in Abschnitt 4. sowie Abschnitt 5 betrachtet.
Zunächst werde ich aber die Organisationsstrukturen der beiden Jugendorganisationen aufzeigen, um ein näheres Verständnis über das Erziehungsideal der damaligen Zeit zu ermöglichen. Beginnen werde ich hierbei mit dem Bund Deutscher Mädel.
2. Das nationalsozialistische Frauen- und Mädchenbild
Im nun folgenden Abschnitt möchte ich das Frauen- und Mädchenbild des NS-Staates in Deutschland herausarbeiten. Hierzu werde ich die Struktur und den Aufbau des Bund deutscher Mädel genauer untersuchen. Herauszufinden sein werden vor allem die Aufgabenbereiche der jungen Frauen und Mädchen, sowie ihre Erziehung im Staate Hitler.
Trude Mohr beschreibt 1935 die Aufgaben eines deutschen Mädels in etwa wie folgt: „ Im BDM wird eine klare und sichere Aufbauarbeit mit dem Endziel geleitet (…), den nationalsozialistischen Gedanken auch in spätere Geschlechter weiterzutragen.“ (Mohr: 1935: 4).
Eines der obersten Ziele des NS-Staates bezüglich der Mädel, war die Formung oder Ausrichtung der Mädel, mit dem Ziel dem Land eine Mädelsgeneration zu geben, was wiederum daraufhin deutet, dass Mädchen zu dieser Zeit stets objektifiziert wurden (Klaus: 1985: 42).
Auch habe das Mädel um die Lebensnotwendigkeiten und Existenzfragen des deutschen Staates zu wissen, Opfer für Volk und Land zu bringen, sowie ein politisches Mädel zu sein, was nichts weniger bedeutete, als in die nationalsozialistische Gedankenwelt einzudringen (ebd.).
Interessant aber ist, dass die Mutterschaft als solche zwar für einen späteren Zeitpunkt definitiv erwünscht und gewollt war und das eindeutige Ziel der weiblichen Erziehung die Mutterschaft war (Hitler: 1937: 459f.), allerdings hielt Reichsleiterin der Deutschen Frauenfront Lydia Gottschewski es für falsch, die Mädels immerzu zum Muttertum erziehen zu wollen, da sie sich dagegen streben würden, in eine Lebensordnung eingespannt zu werden, die sie erst in fünf bis zehn Jahren beträfe (Gottschewski: 1934: 420).
Im Bund Deutscher Mädel war viel mehr gewollt, dass es zu einem Ablegen des Individualbewusstseins kam und das „Wir“ stärker in den Vordergrund rückte. Außerdem war die richtige „Mädelhaltung“ eminenter Bestandteil des Bundes Deutscher Mädel. So war die deutsche Frau im nationalsozialistischen Verständnis der stärkere Kulturträger und wurde als Künstlerin Lebensgestaltung verstanden (Kock: 1994: 71). Unter Lebensgestaltung fielen mehr oder weniger vage alle Tätigkeiten, die schon immer in patriarchalischen Gesellschaften als Frauenarbeit gezählt wurden. Darunter fielen unter anderem Wahrung der Bräuche, aber auch Wohnraumgestaltung, Werkarbeit oder Kleiderwahl.
Hierzu versuchten die Nationalsozialisten Frauen alles, um die Frauen wieder an den Herd zu verbannen. So wurde ihnen der Zugang zu Universitäten erschwert, der Staatsdienst wurde fast ausschließlich Männern vorbehalten und in der Führungsspitze der NSDAP waren Frauen ebenso nicht willkommen (Rosenthal/Rummler/Schmidt: 1986: 57).
Allerdings sollte den jungen Frauen eine „Selbermach-Haltung“ beigebracht werden, die dazu befähigte, „Frauenarbeit“ wie Alten- und Säuglingspflege, Basteln und Werkeln und Kleiderherstellung selbst zu verantworten, was im Umkehrschluss die „mädchengemäße Ausrichtung“ des BDM vorantreiben sollte. Diese Arbeit stellte für die Nationalsozialisten „Kulturarbeit“ dar, die nicht durch Drill, sondern durch beispielhaftes Vorleben zu erreichen war (Klaus: 1985: 46).
Dies geschah durch die Führerinnen, die zumeist in kurzen Wochenendseminaren zu ihren Posten kamen (Kock: 1994: 38f.). Die Führerinnen hatten die Aufgabe, die Mädel nach dem nationalsozialistischen Weltbild zu formen. Dies sollte dadurch geschehen, dass sie das Erlernte den anderen Mädeln vorlebten, wofür es im Prinzip nur einer nationalsozialistischen Einstellung bedurfte, sowie einer angeborenen Führermentalität. Die Weitergabe der Prinzipien des BDM beruhte auf natürlichem Erleben, wie zum Beispiel Ausflügen (ebd. 41).
Die Erziehung im Bund Deutscher Mädel ist so zu bewerten, als dass das Konzept inhaltsarm war und die biologisch-rassistischen Grundsätze, die Mädchen zu Objekten degradierte. Dies ist erkennbar, an der Wichtigkeit der „Dienstbarmachung“ der Mädchen. Der BDM war somit kein Selbstzweck, sondern wichtiger Bestandteil der Volksgemeinschaft. Dabei hatte der BDM das Ziel, „arische“ und „erbgesunde“ Mädchen zu einsatz- und opferbereiten, sich den nationalsozialistischen Werten unterstellende Frauen zu entwickeln, die sich als tüchtig und selbständig vor allem in Sachen Hauswirtschaft verstanden und sich ihrer Aufgabe bewusst waren, „Mutter des Volkes“ zu sein (ebd.: 47f.).
Hierbei war Hitler allen voran wichtig, dass die Frauen sich ihrer Aufgabe bewusst waren, biologische Funktionsträgerinnen zu sein, die neue Krieger für die hitlerschen Machtansprüche produzieren sollten (Kock: 1994: 54).
Nachdem nun vor allem die Beweggründe und Ziele der nationalsozialistischen Mädchenerziehung aufgezeigt wurden, sollen nun Mittel dargelegt werden, wie ein Mädel zu einer ordentlichen deutschen Frau gemacht werden sollte. Beginnen wird hierbei die sportliche Ertüchtigung der jungen Frauen.
Festzustellen ist zunächst, dass die körperliche Betätigung keineswegs ein Selbstzweck war, sondern wie alles der Volksgemeinschaft zu dienen hatte. Den Mädel wurde die Verantwortung zu Teil, zur Gesunderhaltung des deutschen Volkes beizutragen (Zill: 1935: 27). Der Frauensport im NS-Staat war ebenso wie der männliche Sport auf Wettkampf ausgelegt, jedoch hatte dieser „frauliche Gewandtheit und Geschicklichkeit“ einzubeziehen und führte folglich dazu, dass viele dieser Sportarten auf rhythmischen Bewegungsgrundlagen stattfanden. So wurde der Tanz oftmals als Sportart auserkoren, der allerdings verallgemeinschaftet wurde. Auch die „Tanzdisziplin“ wurde eingeführt, welche die Ächtung des individualistischen Tanzes zur Folge hatte (Klaus: 1985: 49 ff.). Auch beim Sport also sollte jedwede Individualität dem Gemeinschaftssinn geopfert werden.
Auch in Sachen Mode wurde vor allem für Festlichkeiten jede Individualität beseitigt. So hatten die Mädel immerzu zu Dienstzeiten oder Festen ihre Uniform zu tragen, bei der jede peinlichst genau auf die Sauberkeit der Kleidung zu achten hatte. Schmuck war ausnahmslos verboten.
Die Sexualerziehung dagegen wurde so gut es geht ausgeklammert. Das Geschlechtsleben diente alleine dem Erhalt der Nation, auch hier wurden individuelle Bedürfnisse nicht geduldet. Sexualität wurde auf seine biologische Funktion begrenzt. Generell wurde das Begehren nach Sex dämonisiert als undurchschaubarer Vorgang, der ohne Zutun der Mädchen in ihren Körper fährt (ebd.: 55f.).
Generell wurden Frauen und Mädchen in der NS-Zeit stets als reine Objekte zur Erhaltung des Volkes betrachtet. So sah Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ vor, die Bewohner Deutschlands in drei Klassen einzuteilen. Staatsbürger, Staatsangehörige und Ausländer, wobei Frauen erst durch Heirat zu Staatsbürgern werden konnten (Westenrieder: 1984: 7).
Ein entscheidender Punkt in der Disziplinierung und Erziehung der Mädel bestand darin, dass die Führerinnen selbst sehr jung waren und sich der Bund Deutscher Mädel nicht anfühlte wie eine Organisation von Erfahrenen, die den Jungen ihre Werte vermitteln, sondern eine eigenverantwortliche Jugendorganisation, die essentiell bei der Entstehung eines neuen Staates mitwirken würde (Kock: 1994: 41). Der BDM war hier ein Club, der sich gegenüber früheren Jugendorganisationen darin unterschied, dass es nicht gleichgültig war, wie man sich kleidete oder wohnte, sondern alles festen Regeln unterlag, die dazu dienten, den Sinn des Lebens im Dienst gegenüber dem Volk zu finden, in welches man gottgegeben hineingeboren wurde (Rüdiger: 1983: 27). Dabei wurde aber nicht jede Führung abgelehnt, sondern der BDM folgte begeistert Adolf Hitler (Bohlmann: 1935: 212).
Sobald jedoch der Krieg begann, widersprach die Handlungspraxis der nationalsozialistischen Vorstellung eines Frauenlebens, denn es wurde gefordert, die männlichen Pflichten zu übernehmen, solange diese sich an der Front befanden (Rosenthal/Rummler/Schmidt: 1986: 55).
Spätestens ab 1943 wurden dann Frauen auch vermehrt im tatsächlichen Kriegsdienst wichtig. Sie waren tätig als Stabshelferinnen, Wetterdiensthelferinnen oder Sanitätshelferinnen und wurden überall in ganz Europa eingesetzt (Mühlenberg: 2010: 12). Dabei waren die Frauen planmäßig zwischen 17 und 30 Jahren alt (ebd.: 62) und waren somit zumeist selbst Mitglieder des Bund Deutscher Mädel gewesen. Die Zahl wird auf 88 % geschätzt (ebd.: 152). Gegen Ende des Krieges waren zwischen 450.000 und 500.000 Frauen bei der Wehrmacht beschäftigt, was dazu führte, dass 300.000 zusätzliche Soldaten an den Waffen gestellt werden konnten (ebd.: 13).
Diese waren zu 93 % in der Zwischenkriegszeit geboren worden und die Mehrheit der jungen Frauen war achtzehn Jahre alt und somit maßgeblich vom BDM sozialisiert worden (ebd.: 129).
3. Das nationalsozialistische Männer- und Jungenbild
Im NS-Staat gab es nicht nur ein staatlich geschaffenes Mädchenbündnis, sondern auch ein Jungenbündnis, besser bekannt als die Hitlerjugend.
Erstes Mittel und Ziel der Hitlerjugend war es, die Jugendlichen sportlich zu ertüchtigen. So kam es zu jeder Zeit zu sportlichen Wettkämpfen innerhalb der HJ, was sich in zahlreichen Leistungsabzeichen innerhalb der HJ manifestierte (Klönne: 1982: 77f.).
Die körperliche Ertüchtigung war ein wichtiger Charakterzug der Hitlerjugend für Adolf Hitler. Dies begründet sich wie so oft im rassistischen Biologismus des NS-Regimes. Jeder Junge sollte darauf getrimmt sein, der Beste sein zu wollen und seine Kameraden im Sport überflügeln zu wollen, was zu einer rassischen Auslese der Besten führen sollte. Diese Art der Ertüchtigung sollte den Jugendlichen das Selbstvertrauen beibringen, sich gegenüber anderen überlegen zu fühlen und auch fühlen zu wollen, während sie aber auch die Unterlegenheit gegen Stärkere anzuerkennen vermögen (ebd.: 78).
Auch wurde eine militärischer Drill auf die jugendlichen Männer ausgeübt. Im Gegensatz zu früheren Jugendorganisationen war die Hitlerjugend stramm durchorganisiert mit Appellen, Geländesport und Luftgewehrschießen. Zudem wurden Geländekenntnisse vermittelt und weltanschauliche Vorträge zur Indoktrination gehalten (ebd.: 57).
Besonderer Wert wurde bei der Jungenerziehung darauf gelegt, dass es für sie als heldenhaft galt, für Führer, Volk und Vaterland zu sterben. War es es dem Mann nicht möglich, in der Formation des Heeres zu kämpfen, so war sein Kampfwerkzeug der Spaten. Der Spaten war die symbolische Waffe des „Arbeitersoldaten“, welcher durch seinen Reichsarbeitsdienst seinen Teil zum Wohl des Vaterlandes beitrug (Rosenthal: 1986: 46). Da ein Soldat sich nie allein der feindlichen Armee gegenüber sah, sondern immer als Kollektiv, musste sich der Mann einer Befehlsstruktur unterwerfen und benötigte als „Herdentier“ einen Anführer, dem er sich bedingungslos unterwarf. Soldat im nationalsozialistischen Sinne hieß politischer Soldat. Dieser zeichnet sich dadurch aus, sich in jeder Lebenslage entsprechend der nationalsozialistischen Weltanschauung zu verhalten (ebd.).
Die Erziehung dieser politischen Soldaten war die oberste Maxime für die nationalsozialistischen Pädagogen. Die Erziehung sollte die angeblich im deutschen Erbgut verankerten Instinkte zum ewig begeisterten Kämpfer fördern und die Jugendlichen noch vor Eintritt in die Wehrmacht auf ihre Rolle als politischen Soldaten vorbereiten (ebd.: 47).
Hierfür essentiell war die Gleichschaltung der Unterrichtsmedien auf nationalsozialistische Propaganda unumgänglich. Großen Wert wurde auf den Geschichtsunterricht gelegt. Hier sollte nicht sachlich über die Vergangenheit informiert werden, sondern ein Appell an die Gefühle der Jugendlichen gerichtet werden. Die jungen Männer sollten motiviert werden, sich am „Daseinskampf der Deutschen“ beteiligen zu wollen und gegebenenfalls den Heldentod zu sterben. Hierfür wurden vor allem große und geschichtsträchtige Männer der deutschen Vergangenheit vorgestellt, mit denen sich die Jungen identifizieren sollten (ebd.: 47f.).
Auch wurden Tests geschrieben, in denen Jugendliche die Biographien von deutschen Helden wiedergeben mussten. So lauteten beispielsweise Fragen so:
„Wie war Adolf Hitler als Junge im Kreis seiner Kameraden ?“
Die Mindestantwort hierfür lautete:
„Adolf Hitler war schon als Junge Führer seiner Kameraden.
Er war mutig, hart und hatte einen unbeugsamen Willen.
Er war ein treuer Kamerad.“ (Der Dienst im Deutschen Jungvolk: 1940: 23)
Damit sich die Jugendlichen auch mit Vorbildern in ihrem Alter identifizieren konnten, wurde der Tod des zwölfjährigen Herbert Norkus propagandistisch genutzt, der 1932 beim Anbringen von NSDAP Plakaten getötet wurde. Die Verfilmung des Romans über sein Leben war der erste öffentliche Propagandafilm des NS-Regimes (Rosenthal: 1986: 49).
Auch wenn es diesen Geschichtsunterricht in Zeiten des NS-Regimes gab, so wurde aber gezielt keine kritische Reflexion der vorgestellten Personen der Zeitgeschichte gefordert, sondern stets nur ein Handelsbewusstsein geschaffen, sich anders zu verhalten als die Gescheiterten oder sich die „Helden“ als Vorbild zu nehmen.
[...]
Ende der Leseprobe aus 12 Seiten
Details
Titel
Das Geschlechterverhältnis zu Zeiten des Nationalsozialismus
Hochschule
Technische Universität Darmstadt
Note
3,0
Autor
Alexander Engel (Autor:in)
Jahr
2019
Seiten
12
Katalognummer
V470159
ISBN (eBook)
9783668946927
ISBN (Buch)
9783668946934
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalsozialismus
Arbeit zitieren
Alexander Engel (Autor:in), 2019, Das Geschlechterverhältnis zu Zeiten des Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag,
https://www.grin.com/document/470159


KURZBIOGRAFIE
GERTRUD SCHOLTZ-KLINK

von Laura Boga
Getrud Scholtz-Klink, ca. 1934/1940. Bundesarchiv Bild 146II-104. / CC BY-SA 3.0
NAME
Gertrud Scholtz-Klink geb. Treusch
ROLLEN & ÄMTER
Leiterin des Deutschen Frauenordens (DFO), Leitung der Nationalsozialistischen Frauenschaft (NSF), Leiterin des Deutschen Frauenwerks (DFW), Leiterin des Reichsfrauenbundes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Leiterin des Frauenamts der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Reichsfrauenführerin
GEBURTSTAG
09.02.1902
GEBURTSORT
Adelsheim
TODESTAG
24.03.1999
TODESORT
Tübingen-Bebenhausen
Am 9. Februar 1902 wurde Gertrud Scholtz-Klink als Tochter eines Vermessungsbeamten im badischen Adelsheim geboren. Sie besuchte zunächst die Volksschule in Eberbach und anschließend das Realgymnasium in Mosbach. Ihren eigenen Aussagen zufolge stammte sie aus einem christlich und antisemitisch geprägten Elternhaus. 1921 heiratete die 18-jährige den Lehrer Eugen Klink; aus dieser Ehe stammten vier Kinder. Eugen Klink engagierte sich bereits ab 1925 für die NSDAP und wurde Kreisleiter in Offenburg. Die genaue Amtszeit ist unklar. Bei einer Kundgebung der NSDAP in Gutach im Schwarzwald im Jahr 1930 verstarb er an einer Herzattacke. Am 20. August 1932 heiratete Gertrud den Landarzt Günther Scholtz, den Ortsgruppenleiter der NSDAP in Ellmendingen; 1937 erfolgte die Scheidung. Am 6. Dezember 1940 heiratete sie den SS-Obergruppenführer August Heißmeyer (1897–1979). Im Juni 1944 brachte sie ihr fünftes Kind auf die Welt.
Im August 1929 trat Gertrud Scholtz-Klink der NSDAP bei. Ab 1930 leitete sie den Deutschen Frauenorden (DFO) in Baden. Nachdem der DFO 1931 aufgelöst und die Nationalsozialistische Frauenschaft (NSF) gegründet wurde, übernahm Scholtz-Klink die Leitung des NSF im Gau Baden. Gleichzeitig wurde ihr wegen ihres Erfolgs in Baden der Aufbau der NSF im Gau Hessen-Nassau übertragen. Am 22. Februar 1934 wurde sie zur Reichsführerin des NSF und zur Leiterin des Deutschen Frauenwerks (DFW) ernannt. Zeitgleich wurde sie Stellvertreterin von Erich Hilgenfeldt im Amt für Frauenfragen der Parteileitung. Durch gute Kontakte zum badischen Gauleiter Robert Wagner wurde sie bereits 1933 zur Referentin für Frauenfragen im badischen Innenministerium ernannt. In dieser Funktion arbeitete sie an Plänen für den weiblichen Arbeitsdienst in Baden, Württemberg und der Pfalz mit. Ab Juni 1934 leitete sie den Reichsfrauenbund des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), ab Juli 1934 übernahm sie die Verantwortung für das Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Seit Ende 1934 trug sie den Titel „Reichsfrauenführerin“. Damit war Gertrud Scholtz-Klink zumindest auf dem Papier die ranghöchste Frau im NS-Staat. In dieser Funktion strebte sie die politische Partizipation der Frauen im Bereich Familie, Haushalt, Erziehung, Wohltätigkeit und Sozialfürsorge an. Frauen sollten nicht für ihre eigenen Belange kämpfen, sondern für die "Volksgemeinschaft", indem sie "Fragen, die unser Volk an uns stellt und die wir immer nur als Teil dieses Volkes mit unsern Männern lösen werden, jeder auf seinem Gebiet und seiner Art entsprechend, aber in unbedingter gegenseitiger Achtung und Zusammenarbeit"1 Damit propagierte sie eine Rollenverteilung, die die Frauen aus dem öffentlichen Leben und zurück ins Private drängt.
Bis 1945 machte sich die "Reichsfrauenführerin" international einen Namen. Sie unternimmt Reisen in andere Länder, unter anderem nach Italien, England und Frankreich. Ab 1942 übernimmt sie auch die Leitung der deutschen Frauen in den besetzten Gebieten. 1944 erhält sie das "Goldene Mutterkreuz". Damit war sie eine der wenigen Frauen im NS-Staat, die eine Führungsposition innehatte.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb Scholtz-Klink der nationalsozialistischen Weltvorstellung treu. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem sowjetischen Internierungslager lebten sie und ihr Mann unter den Decknamen Heinrich und Maria Stuckenbrock in Bebenhausen bei Tübingen. Im Februar 1948 flog ihre Tarnung auf. Von einem französischen Militärgericht wurde Scholtz-Klink wegen Betrugs zu 18 Monaten Haft verurteilt. 1949 verurteilt die Tübinger Spruchkammer sie als ehemalige Reichsfrauenführerin zu 18 Monaten Haft, die jedoch als bereits verbüßt galten. 1950 entschied die Politische Säuberungskommission der Bundesrepublik, dass Scholtz-Klink lebenslänglich kein politisches Amt bekleiden und bestimmte Berufe (zum Beispiel Lehrerin oder Journalistin) zehn Jahre lang nicht ausüben durfte. Ferner erhielt sie eine Geldstrafe sowie den Verlust des Wahlrechts und die Mitgliedschaft einer Partei und Gewerkschaft. Dennoch zeigte sie keine Reue: Ihr Buch Die Frau im Dritten Reich aus dem Jahr 1978 widmete sie den treuen Nationalsozialistinnen, die ihre Männer im Krieg verloren hatten und den "Opfern" der Nürnberger Prozesse. Sie starb am 24. März 1999 in Bebenhausen.
https://www.ns-akteure-in-tuebingen.de/




Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen ein angebliches Falschzitat

Pressemitteilung Nr. 79/2012 vom 27. November 2012
Beschluss vom 25. Oktober 2012
1 BvR 2720/11

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer Buchautorin und ehemaligen Tagesschau-Sprecherin nicht zur Entscheidung angenommen. Sie war gegen einen im Hamburger Abendblatt vom 7. September 2007 erschienenen Artikel vorgegangen. Der Artikel hatte sich mit Äußerungen der Beschwerdeführerin bei der Pressekonferenz zur Vorstellung ihres Buches beschäftigt. Mit der Begründung, es handle sich um ein Falschzitat, hatte sie die Axel Springer AG auf Unterlassung und Richtigstellung sowie auf Geldentschädigung in Anspruch genommen. In einem heute veröffentlichten Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats entschieden, dass das klageabweisende Urteil des Bundesgerichtshofs die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten verletzt.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Im Rahmen einer Pressekonferenz am 6. September 2007 präsentierte die Beschwerdeführerin das von ihr verfasste Buch "Das Prinzip Arche Noah - Warum wir die Familie retten müssen". Bei dieser Gelegenheit äußerte sie sich gegenüber den anwesenden Journalisten unter anderem wie folgt: "Wir müssen vor allem das Bild der Mutter in Deutschland auch wieder wertschätzen, das leider ja mit dem Nationalsozialismus und der darauf folgenden 68er Bewegung abgeschafft wurde. Mit den 68ern wurde damals praktisch alles das - alles was wir an Werten hatten - es war ´ne grausame Zeit, das war ein völlig durchgeknallter hochgefährlicher Politiker, der das deutsche Volk ins Verderben geführt hat, das wissen wir alle - aber es ist eben auch das, was gut war - das sind die Werte, das sind Kinder, das sind Mütter, das sind Familien, das ist Zusammenhalt - das wurde abgeschafft. Es durfte nichts mehr stehen bleiben."
2. Ein Artikel im Hamburger Abendblatt vom 7. September 2007 setzte sich anlässlich der Buchvorstellung mit dem Frauenbild der Beschwerdeführerin auseinander. Der im Ausgangsverfahren angegriffene Absatz des Zeitungsartikels lautet: "In diesem Zusammenhang machte die Autorin einen Schlenker zum Dritten Reich. Da sei vieles sehr schlecht gewesen, zum Beispiel Adolf Hitler, aber einiges eben auch sehr gut. Zum Beispiel die Wertschätzung der Mutter. Die hätten die 68er abgeschafft, und deshalb habe man nun den gesellschaftlichen Salat. Kurz danach war diese Buchvorstellung Gott sei Dank zu Ende."
3. Der Bundesgerichtshof hat die Klage der Beschwerdeführerin - anders als zuvor das Landgericht und das Oberlandesgericht - letztinstanzlich abgewiesen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
4. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil die angegriffene Entscheidung die Grundrechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Dass der Bundesgerichtshof den streitgegenständlichen Absatz im Artikel des Hamburger Abendblatts nicht für ein Falschzitat hält, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Passage ist in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten und stellt sich dabei als Meinungsäußerung dar. Der Artikel im Hamburger Abendblatt ist schon überschrieben mit "Eine Ansichtssache" und insgesamt in einem süffisanten Ton geschrieben. Der Leser erkennt, dass es sich um eine verkürzende und verschärfende Zusammenfassung der Buchvorstellung handelt. Vor diesem Hintergrund ist das Recht der Beschwerdeführerin am eigenen Wort gewahrt; ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht hat hinter die Meinungsfreiheit des Zeitungsherausgebers zurückzutreten. Die Beschwerdeführerin, der es nicht gelungen war, sich unmissverständlich auszudrücken, muss die streitgegenständliche Passage als zum "Meinungskampf" gehörig hinnehmen.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/

Hitlers Reich privat: Frauen unterm Hakenkreuz

Das NS-Regime hatte ganz genaue Vorstellungen, wie die "deutsche Frau" auszusehen hatte und wo ihr Platz in der Gesellschaft sein sollte: als Gattin und Mutter.
Videolänge:44 min Datum:17.10.2020
Verfügbarkeit:
Video verfügbar bis 08.12.2024, in Deutschland

Frauen in Hitlers Reich: Folgsame Hausfrauen und Mütter. So wollen die Nazis sie haben. Die Verdrängung von Ehefrauen aus der Erwerbstätigkeit ist erwünscht. Das traditionelle Bild ist eben, dass die Frau eben bestimmt ist sozusagen irgendwann Mutter, Ehefrau und Hausfrau zu sein.

https://www.zdf.de/


PÄDAGOGIK:
Erziehung für den Führer


Psychologie/HirnforschungAktuelle Seite:Pädagogik: Hitlers Einfluss auf die Kindererziehung
Hintergrund17.01.2019Lesedauer ca. 12 MinutenDruckenTeilen
Um eine Generation aus Mitläufern und Soldaten heranzuziehen, forderte das NS-Regime von Müttern, die Bedürfnisse ihrer Kleinkinder gezielt zu ignorieren. Die Folgen dieser Erziehung wirken bis heute nach, sagen Bindungsforscher.
Anne Kratzer
Mutter und Kind
Sie wolle ihre Kinder ja lieben – doch irgendwie schaffe sie es einfach nicht. Renate Flens kommt mit einer Depression in die Praxis der Psychotherapeutin Katharina Weiß. Die Expertin vermutet schon bald, dass hinter den Problemen ihrer Patientin im Grunde die Frustration steckt, Menschen nicht nah an sich heranlassen zu können.
Nach einer ausgiebigen Spurensuche in Flens' Vergangenheit glauben die beiden Frauen schließlich, eine Schuldige dafür gefunden zu haben: die Ärztin Johanna Haarer, die zur Zeit des Nationalsozialismus in Ratgebern erklärte, wie man Kinder für den Führer erzieht. Dabei ist Renate Flens, die in Wirklichkeit anders heißt, gerade einmal in den 60ern – also erst nach dem Krieg geboren worden. Doch Haarers Bücher waren Bestseller. Auch im Deutschland der Nachkriegszeit fanden sich noch in fast jedem Haushalt Exemplare ihrer Werke. Von der Therapeutin darauf angesprochen, erinnerte sich auch Flens daran, ein Buch von Haarer im Regal ihrer Eltern gesehen zu haben. Und ein besonders perfider Aspekt von Haarers Erziehungsphilosophie könnte sogar von Generation zu Generation weitergegeben worden sein: Um sie zu guten Soldaten und Mitläufern zu machen, forderte das NS-Regime Mütter dazu auf, die Bedürfnisse ihrer Babys gezielt zu ignorieren. Sie sollten emotions- und bindungsarm werden. Wenn eine ganze Generation systematisch dazu erzogen worden ist, keine Bindungen zu anderen aufzubauen, wie kann sie es dann ihren Kindern oder Enkelkindern beibringen?
AUF EINEN BLICK
FOLGENREICHER BESTSELLER
1934 veröffentlichte die Ärztin Johanna Haarer ihren Ratgeber »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«. Das Buch verkaufte sich 1,2 Millionen Mal und wurde zur NS-Zeit eine Grundlage für die Erziehung in Kindergärten und Heimen sowie für die »Reichsmütterschulungen«.
In ihrem Werk empfiehlt Haarer Müttern, ihre Kinder möglichst bindungsarm aufwachsen zu lassen. Weine das Kind, solle man es schreien lassen. Übermäßige Zärtlichkeiten seien in jedem Fall zu vermeiden.
Wissenschaftler fürchten, dass dies bei betroffenen Kindern zu einer Bindungsstörung geführt hat, die diese seitdem von Generation zu Generation weitergeben. Randomisiert-kontrollierte Studien, die den Einfluss von Haarers Erziehungsphilosophie untersuchen, gibt es jedoch nicht.
»Unter Analytikern und Bindungsforschern ist das schon lange ein Thema – in der Öffentlichkeit wird es ignoriert«, sagt Klaus Grossmann, der zuletzt an der Universität Regensburg forschte und bereits in den 1970er Jahren Studien zu Mutter-Kind-Bindungen durchführte. Dabei konnte er im Labor immer wieder Szenen wie diese beobachten: Ein Baby weinte. Die Mutter ging auf das Kleine zu, doch kurz bevor sie bei ihm war, stoppte sie. Obwohl nur wenige Meter weiter ihr Kind schrie, machte sie keine Anstalten, es hochzuheben oder zu trösten. »Wenn wir die Mütter fragten, warum sie das taten, sagten sie: Sie dürften das Kind ja nicht verwöhnen.«
Sätze wie dieser und Sprichwörter wie »Ein Indianer kennt keinen Schmerz« sind bis heute verbreitet. Selbst der Bestseller »Jedes Kind kann schlafen lernen« von Annette Kast-Zahn und Hartmut Morgenroth deutet in eine ähnliche Richtung. Das Buch rät, Kinder mit Ein- oder Durchschlafproblemen allein in ein Zimmer zu legen und in immer länger werdenden Abständen zwar nach ihnen zu sehen und mit ihnen zu sprechen, sie aber nicht hochzuheben – selbst wenn sie weinen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Gehirn&Geist Bewusstsein
Bewusstsein
»Am besten ist das Kind in einem eigenen Zimmer untergebracht, in dem es dann alleine bleibt«, schrieb auch Johanna Haarer in ihrem 1934 veröffentlichten Ratgeber »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«. Beginnt das Kind zu schreien oder zu weinen, solle man es ignorieren: »Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Das Kind begreift unglaublich rasch, dass es nur zu schreien braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als ein Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt oder gefahren wird – und der kleine, aber unerbittliche Haustyrann ist fertig!«
Das Baby als ein Quälgeist, dessen Wille es zu brechen gilt – so sah Johanna Haarer Kinder. Die Folgen dieser Sichtweise könnten auch heute noch spürbar sein. Ob es um die geringe Geburtenrate geht, die vielen Menschen, die geschieden sind oder allein leben, die starke Verbreitung von Burnout, Depressionen oder psychischen Erkrankungen im Allgemeinen – manche Forscher, Ärzte und Psychologen spekulieren darüber, dass eine ganze Reihe von Phänomenen mit der antrainierten Bindungs- und Gefühlslosigkeit in Verbindung stehen könnte.
Nüchtern betrachtet sind die Gründe für diese gesellschaftlichen Umstände allerdings sicher vielfältig. Nachverfolgen lässt sich der Einfluss Haarers höchstens am klinischen Einzelfall, wie bei der Patientin von Katharina Weiß. »Meistens stehen in solchen Therapien ganz andere Themen im Vordergrund. Aber nach einiger Zeit hört man dann Hinweise auf Haarer: Ekel vor dem eigenen Körper, strenge Essensregeln oder Beziehungsunfähigkeit«, sagt die Psychoanalytikerin. Auch der Psychiater und Psychotherapeut Hartmut Radebold erzählt von einem Patienten, der mit schweren Beziehungs- und Identitätsschwierigkeiten zu ihm kam. Eines Tages fand dieser ein dickes Buch daheim, in dem seine Mutter unzählige Informationen über sein erstes Lebensjahr notiert hatte: Gewicht, Größe oder die Häufigkeit des Stuhlgangs – aber kein einziges Wort über Gefühle.
»Das Kind wird gefüttert, gebadet und trockengelegt, im Übrigen aber vollkommen in Ruhe gelassen«, riet damals Johanna Haarer. Sie schilderte detailreich körperliche Aspekte, ignorierte aber alles Psychische – und warnte geradezu vor »äffischer« Zuneigung: »Die Überschüttung des Kindes mit Zärtlichkeiten, etwa gar von Dritten, kann verderblich sein und muss auf die Dauer verweichlichen. Eine gewisse Sparsamkeit in diesen Dingen ist der deutschen Mutter und dem deutschen Kinde sicherlich angemessen.« Gleich nach der Geburt sei es empfehlenswert, das Kind für 24 Stunden zu isolieren; statt in einer »läppisch-verballhornten Kindersprache« solle die Mutter ausschließlich in »vernünftigem Deutsch« mit ihm sprechen, und wenn es schreie, solle man es schreien lassen. Das kräftige die Lungen und härte ab.
Körperkontakt vermeiden!
Haarers Ratschläge hatten einen modernen und wissenschaftlichen Anstrich, aber sie waren – was größtenteils schon damals bekannt war – falsch und darüber hinaus sogar schädlich. Kinder brauchen Körperkontakt, doch Haarer empfahl, diesen sogar beim Tragen möglichst gering zu halten. Sie riet zu einer unnatürlichen Haltung, die auf Bildern illustriert ist: Die Mütter halten ihre Kinder so, dass sie sie möglichst wenig berühren, und sie sehen sie an, blicken ihnen jedoch nicht in die Augen.
»Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«
© AUS HAARER, J.: DIE DEUTSCHE MUTTER UND IHR ERSTES KIND. J.F. LEHMANNS VERLAG, MÜNCHEN 1939 (AUSSCHNITT)
Erziehungsratgeber | Das Buch »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« von Johanna Haarer war auch nach dem Krieg noch populär.
Solche Erfahrungen können traumatisieren. Zwischen 2009 und 2013 untersuchten die Psychologin Ilka Quindeau und ihre Kollegen von der Frankfurt University of Applied Sciences im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung die Generation der Kriegskinder. Eigentlich sollte sich ihre Studie um die Spätfolgen von Bombenangriffen und Flucht drehen. Doch nach den ersten Interviews mussten die Forscherinnen ihr Studiendesign abändern: In den Gesprächen kamen derart häufig Erfahrungen in der Familie zur Sprache, dass sie sich dazu entschieden, ein zusätzliches, mehrstündiges Interview zu diesem Thema anzuschließen. Am Ende halten die Wissenschaftlerinnen fest: »Diese Leute zeigten ein Muster auffällig starker Loyalität mit den Eltern. Dass in den Schilderungen überhaupt keine Konflikte angesprochen wurden, ist Zeichen einer Beziehungsstörung.« Zudem weist Quindeau darauf hin, dass nirgendwo sonst in Europa ein so ausführlicher Kriegskinderdiskurs stattfinde wie in Deutschland – obwohl es auch in anderen Ländern Zerstörung und Bombenangriffe gegeben habe. Die österreichisch-britische Psychoanalytikerin Anna Freud hatte 1949 entdeckt, dass Kinder, die eine gute Bindung zu ihren Eltern aufwiesen, den Krieg weniger schlimm empfanden als jene, die keine gute Bindung hatten. Nähme man diese Erkenntnisse zusammen, stecke hinter den Gesprächen der Kriegskinder über Bombenangriffe und Vertreibung eigentlich eher Trauer über die Familienerfahrungen, glaubt Quindeau. Nur seien diese Erfahrungen so verletzend, dass sie unaussprechlich geworden sind.
Unfähig zu fühlen
Diese Interpretation ist allerdings schwierig zu belegen. Randomisiert-kontrollierte Studien, die den Einfluss von Haarers Erziehungsratschlägen experimentell untersuchen, sind aus ethischen Gründen nicht durchführbar. Doch auch Forschungsarbeiten, die sich nicht expliziert mit der Erziehung im Dritten Reich befassen, lieferten wertvolle Hinweise, meint Grossmann. »Alle Daten, die wir haben, deuten auf Folgendes hin: Wenn man einem Kind in den ersten ein oder zwei Lebensjahren eine feinfühlige Ansprache vorenthalten würde – so wie Johanna Haarer es propagiert hat –, bekäme man die eingeschränkten, emotions- und reflexionsunfähigen Kinder, die wir aus der Forschung kennen.«
Der Bindungsforscher weist unter anderem auf eine Langzeitstudie hin, die ein Team um die Psychiaterin Mary Margaret Gleason von der Tulane University in New Orleans, Louisiana, 2014 in der Fachzeitschrift »Pediatrics« veröffentlichte. Gleason und ihre Kollegen hatten 136 rumänische Waisenkinder im Alter von einem halben Jahr bis zu vier Jahren in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Hälfte von ihnen blieb im Heim, die anderen wurden hingegen in Pflegefamilien gegeben. Als Kontrollgruppe fungierten Kinder aus der Region, die bei ihren leiblichen Eltern aufwuchsen. Dabei stießen sie unter anderem sowohl bei den Heim- als auch bei den Pflegekindern auf Probleme im Hinblick auf Sprache und Bindungsverhalten. Kam zum Beispiel während eines Experiments mit 89 der Probanden ein Fremder zur Tür herein und bat die Jungen und Mädchen anlasslos mitzukommen, folgten ihm von den Kindern aus der Kontrollgruppe 3,5 Prozent, bei den Kindern aus Pflegefamilien waren es 24,1 Prozent und bei den Heimkindern sogar 44,9 Prozent.
Wenn eine ganze Generation dazu erzogen worden ist, keine Bindungen aufzubauen, wie kann sie es dann ihren Kindern beibringen?
»Solche Kinder, die verführbar sind, nicht denken und nicht fühlen, sind praktisch für eine Kriegernation«, sagt Karl-Heinz Brisch, Psychiater und Psychotherapeut am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München. Auch im antiken Sparta seien die Kinder mit diesem Ziel erzogen worden. »Das Wesentliche bei Johanna Haarer ist, dass man dem Kind keine Zuwendung gibt, wenn dieses danach ruft. Doch jede Verweigerung bedeutet eine Zurückweisung«, erklärt Grossmann. Einem Neugeborenen blieben als Kommunikationsmöglichkeit nur Mimik und Gestik. Folge darauf keine Reaktion, lerne es, dass seine Äußerungen nichts wert seien. Zudem erlebten Kleinkinder Todesangst, wenn sie Hunger oder Einsamkeit verspürten und dann nicht von ihrer Bezugsperson beruhigt werden. Im schlimmsten Fall könnten solche Erfahrungen dann zu einem Bindungstrauma führen, das es den Betroffenen auch im weiteren Leben schwer macht, Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen.
Erziehungstipps von der Lungenfachärztin
Haarer, die als Lungenfachärztin weder eine pädagogische noch eine pädiatrische Ausbildung hatte, wurde von den Nationalsozialisten gezielt gefördert. Die Ratschläge aus ihrem Werk »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« wurden in den so genannten Reichsmütterschulungen gelehrt. Die Kurse sollten allen deutschen Frauen einheitliche Regeln zur Säuglingspflege vermitteln. Allein bis April 1943 nahmen mindestens drei Millionen Frauen an ihnen teil. Darüber hinaus war der Ratgeber die Grundlage für die Erziehung in Kindergärten und Heimen.
Schon bevor sie ihre »Erziehungsbibel« veröffentlichte, schrieb Johanna Haarer in Zeitungen über Säuglingspflege. Später erschienen weitere Bücher von ihr, unter anderem »Mutter, erzähl von Adolf Hitler«, eine Art Märchen, das kindgerecht Antisemitismus und Antikommunismus propagierte, sowie »Unsere kleinen Kinder«, ein weiterer Erziehungsratgeber. Nach der NS-Zeit wurde die Münchnerin anderthalb Jahre lang interniert. Begeisterte Nationalsozialistin blieb sie den Aussagen zweier ihrer Töchter zufolge bis zu ihrem Tod 1988. Und nicht nur ihre persönliche Einstellung überdauerte das Dritte Reich – auch ihr Hauptwerk »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« blieb noch lange verbreitet. Bis Kriegsende erreichte es, durch NS-Propaganda beworben, eine Auflage von 690 000 Stück. Aber auch nach dem Krieg wurde es – vom gröbsten Nazijargon bereinigt – bis 1987 noch einmal von fast genauso vielen Deutschen gekauft: am Ende insgesamt 1,2 Millionen Mal.
Mutter, Vater, Kind
© AKG IMAGES / VOLLER ERNST (AUSSCHNITT)
Bloß nicht verhätscheln! | In den 1940er Jahren warnte man Mütter davor, ihre Kinder allzu sehr mit Zärtlichkeiten zu überschütten.
Diese Zahlen zeigen, wie viel Anklang Haarers Weltanschauung auch in der Nachkriegszeit noch fand. Doch warum setzten Mütter ein solch kontraintuitives Vorgehen überhaupt um? »Das kam nicht bei allen gut an«, so Hartmut Radebold. Der Psychiater, Psychoanalytiker und Buchautor hat sich in seinen Forschungen intensiv mit der Generation der Kriegskinder auseinandergesetzt. Er geht davon aus, dass Haarers Erziehungsratgeber vor allem auf zwei Gruppen einen Einfluss hatte: auf Eltern, die sich besonders stark mit dem NS-Regime identifizierten, sowie auf junge Frauen, die – oft bedingt durch den Ersten Weltkrieg – selbst aus zerrütteten Familien kamen und deshalb gar nicht wussten, wie sich eine gute Beziehung anfühlt. Kämpften ihre Ehemänner zudem selbst an der Front und ließen sie allein, überfordert und verunsichert zurück, sei durchaus vorstellbar, dass sie besonderes anfällig für Haarers Erziehungspropaganda waren. Zudem sei eine strenge Erziehung bereits vor 1934 in Preußen gang und gäbe gewesen. Nur eine Kultur, die ohnehin eine gewisse Neigung zu solchen Ideen von Härte und Drill besaß, habe so etwas umsetzen können, glaubt Grossmann. Dazu würden auch die Befunde von Studien aus den 1970er Jahren passen, die beispielsweise darauf hindeuten, dass im norddeutschen Bielefeld damals etwa jedes zweite Kind ein unsicheres Bindungsverhalten aufwies, im süddeutschen Regensburg, das nie zum preußischen Einflussgebiet gehört hat, hingegen nicht einmal jedes dritte.
Um zu beurteilen, wie sicher die Bindung zwischen Mutter oder Vater und Kind ist, nutzen Grossmann und andere Wissenschaftler häufig den Fremde-Situations-Test von der US-amerikanischen Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth. Dabei betritt beispielsweise eine Mutter mit ihrem Kleinkind einen Raum und setzt es bei einem Spielzeug ab. Nach 30 Sekunden nimmt sie auf einem Stuhl Platz und liest eine Zeitschrift. Nach spätestens zwei Minuten erklingt ein Signal, das die Mutter daran erinnern soll, ihr Kind zum Spielen zu ermuntern, falls es dies noch nicht tut. In weiteren Abständen von ein bis drei Minuten spielen sich dann folgende Szenen ab: Eine fremde Frau erscheint in dem Raum und schweigt, die beiden Frauen sprechen miteinander, die Fremde beschäftigt sich mit dem Kind, die Mutter lässt ihre Handtasche auf dem Stuhl liegen und verlässt den Raum. Nach kurzer Zeit kehrt die Mutter wieder in den Raum zurück und die fremde Person geht. Wenig später geht auch die Mutter, das Kind bleibt allein zurück. Nach wenigen Minuten kehrt zuerst die fremde Frau in den Raum zurück und beschäftigt sich mit dem Kind, dann die Mutter.
Das könnte Sie auch interessieren:
Gehirn&Geist Digitalpaket: Gehirn&Geist Serie Familie
Digitalpaket: Gehirn&Geist Serie Familie
Bindungsforscher beobachten dabei ganz genau, wie das Kind sich verhält. Ist es in der Trennungssituation kurz irritiert und weint, beruhigt sich jedoch bald wieder, wird es als sicher gebunden betrachtet. Jungen und Mädchen, die sich nicht mehr beruhigen – oder erst gar nicht auf das Verschwinden ihrer Bezugsperson reagieren –, gelten hingegen als unsicher gebunden. Grossmann hat den Test in verschiedenen Kulturen gemacht. Dabei entdeckte der Wissenschaftler, dass in Deutschland im Gegensatz zu anderen westlichen Ländern besonders viele Erwachsene positiv beeindruckt wären, wenn Kinder vom Verschwinden der Bezugsperson unbeeindruckt seien. Die Eltern nähmen das als »unabhängig« wahr.
Wie die Eltern, so die Kinder
Zudem deuten seine Befunde darauf hin, dass Kinder, wenn sie erwachsen werden und selbst Nachwuchs bekommen, ihr Bindungsverhalten an die nächste Generation weitergeben. Im Rahmen einer ihrer Untersuchungen erfassten Grossmann und seine Kollegen vier bis fünf Jahre nach dem Fremde-Situations-Test mit Hilfe von Interviews auch den Bindungsstil der Eltern ihrer kleinen Probanden in deren Kindheit. In ihre Auswertung bezogen die Wissenschaftler nicht nur den Inhalt der Antworten mit ein, sondern auch die Emotionen der Erwachsenen während der Befragung. So betrachteten die Forscher zum Beispiel, ob die Versuchspersonen häufig das Thema wechselten, nur einsilbige Antworten gaben oder übergeneralisierte Lobreden auf ihre eigenen Eltern hielten, ohne konkrete Situationen zu schildern. Das Ergebnis der Veröffentlichung aus dem Jahr 1988: Bei den 65 untersuchten Eltern und Kindern entsprach das Bindungsverhalten der Kinder in 80 Prozent der Fälle dem der Eltern. Eine 2016 veröffentlichte Metaanalyse von Forschern um Marije Verhage von der Universität Amsterdam, die die Daten von 4819 Personen auswerteten, konnte den Effekt der Weitergabe von Bindungsverhalten über Generationen hinweg bestätigen.
Wie genau Eltern negative Erfahrungen, die sie in ihrer Kindheit gemacht haben, an ihre eigenen Kinder weitergeben, ist bislang noch Gegenstand verschiedener Theorien. Mittlerweile mehren sich allerdings die Hinweise darauf, dass dabei auch biologische Faktoren eine Rolle spielen könnten. Dahlia Ben-Dat Fisher von der Concordia University in Montreal und ihre Kollegen entdeckten 2007 zum Beispiel, dass der Nachwuchs von Müttern, die in ihrer Kindheit vernachlässigt worden waren, morgens regelmäßig einen niedrigeren Spiegel des Stresshormons Kortisol aufwies. Die Forscher werteten das als ein Zeichen für eine unnormale Stressverarbeitung.
Ein Team um Tobias Hecker von der Universität Zürich verglich 2016 in Tansania Kinder, die nach eigenen Angaben viel körperliche und seelische Gewalt erlebt hatten, mit solchen, die nur von wenig Misshandlungen berichteten. Dabei stießen sie bei der ersten Gruppe nicht nur vermehrt auf medizinische Probleme, sondern auch auf eine abweichende Methylierung des Gens, das für das Protein Proopiomelanocortin codiert. Dieses ist der Vorläufer für eine ganze Reihe von Hormonen, unter anderem für das Stresshormon Adrenocorticotropin, das in der Hirnanhangsdrüse gebildet wird. Veränderte DNA-Methylierungsmuster können die Aktivität eines Gens beeinflussen – und aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls von Generation zu Generation weitergegeben werden. In Tierversuchen konnten Wissenschaftler dieses Phänomen bereits ausführlich beobachten, beim Menschen ist das Bild bislang noch weniger klar.
Auf der Verhaltensebene könne man nur das weitergeben, was man selbst an Erfahrungen kennt, erklärt Grossmann. Zwar können Eltern sich bewusst mit ihrer eigenen Bindungserfahrung auseinandersetzen und versuchen, ihre eigenen Kinder anders zu erziehen. »In stressigen Momenten verfällt man jedoch oft wieder in die gelernten, unbewussten Muster«, meint Grossmann. Vielleicht wollte Gertrud Haarer, die jüngste von Johanna Haarers Töchtern, deshalb nie selbst Kinder haben. Sie hat sich öffentlich kritisch mit ihrer Mutter auseinandergesetzt und nach einer schweren Depression ein Buch über deren Leben und Vorstellungen verfasst. Lange sei sie selbst unnahbar gewesen, sagt sie, und an ihre Kindheit habe sie keine Erinnerung. »Offenbar hat mich das so traumatisiert, dass ich dachte, ich könnte nie Kinder erziehen«, erklärte sie in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Spektrum Kompakt – 42/2020 – Nähe und Distanz – Abstand im sozialen Miteinander
Dieser Artikel ist enthalten in Spektrum Kompakt, Nähe und Distanz – Abstand im sozialen Miteinander
Ausgabe als PDF-Download (EUR 4,99) 
Spektrum Kompakt-Archiv
Diesen Artikel empfehlen:
Anne Kratzer
Anne Kratzer arbeitet als Psychologin und Journalistin in Heidelberg. Als sie ihrer Mutter von der Recherche erzählte, stieg diese auf den Dachboden und präsentierte ihr einen von Haarers Ratgebern – von denen sie allerdings nie viel gehalten hatte.
https://www.spektrum.de/news/



3. YouTube-Videos zur nationalsozialistischen Geschlechterordnung


Frauen im Nationalsozialismus | Geschichte

MrWissen2go Geschichte

Frauen im Dritten Reich – das ist ein Thema, das oft vernachlässigt wird. Beim Thema Nationalsozialismus wird häufig nur über die führenden Männer des NS-Regimes gesprochen. Dabei sind auch die Rolle der Frau und Biographien bestimmter Frauen im Dritten Reich sehr interessant. Die NSDAP beschließt schon 1921, dass Frauen in der Partei keine Führungspositionen haben dürfen. Dieses Frauenbild spiegelt sich auch in der Ideologie der Nazis und ihres Anführers Adolf Hitler. Für Hitler ist Emanzipation, also die Gleichstellung von Mann und Frau eine verachtenswerte Erfindung der Juden. Selbst inszeniert sich Hitler als frauen- und familienloser Führer, der sich nur für sein Vaterland aufopfert. Trotz seiner frauenfeindlichen Einstellung ist Hitler auch bei vielen Frauen beliebt. Besonders nach seiner Wahl schwärmen viele Frauen im Dritten Reich von Hitler, jubeln ihm zu und schreiben ihm Briefe. Millionen Frauen haben Hitler auch selbst gewählt. Gleichzeitig gibt es aber auch Millionen Frauen, die mit Hitlers Ideologie nicht einverstanden sind und hitlerfeindliche Parteien wählen. Denn dass Hitler Frauen will, die in erster Linie Hausfrauen und Mütter sind und hinter den Männern zurückstecken, ist kein Geheimnis. Hitler fordert sogar, dass Frauen im Dritten Reich jeweils mindestens vier Kinder bekommen. Für Frauen im Dritten Reich die viele Kinder bekommen gibt es eine Auszeichnung: Das Ehrenkreuz für Mütter. Je mehr Kinder, desto besser. Paare, die keine Kinder bekommen werden dagegen bestraft. Sie müssen eine zusätzliche Steuer zahlen. Unfruchtbarkeit oder die „Verweigerung der Fortpflanzung“ von Frauen im Dritten Reich sind Scheidungsgründe. Mit Untreue haben die Nazis hingegen kein Problem. Sie befürworten es sogar, dass Männer in ihren Reihen auch Kinder mit anderen Frauen zu zeugen. Eine überzeugte Nationalsozialistin, Gerda Bormann schlägt sogar die sogenannte „Volksnotehe“ vor. Demnach soll ein „arischer“ Mann mehrere Frauen heiraten und mit ihnen regelmäßig Kinder zeugen. Um möglichst viel Nachwuchs zu bekommen, gründen die Nationalsozialisten auch den Verein „Lebensborn“. In dessen Einrichtungen können Frauen ihre Kinder anonym zur Welt bringen und zur Adoption durch treue Nazi-Familien freigeben. Viele Frauen im Dritten Reich, die Kinder von SS-Männern erwarten kommen hierher. Durch all diese Maßnahmen will Hitler möglichst viel Nachwuchs und somit neue Soldaten schaffen. Aber die Rechnung geht nicht auf. Wenn alle Männer in den Krieg ziehen, fehlen sie in den Fabriken. Obwohl die Nazis die Frauen im Dritten Reich nur als Mütter und Hausfrauen sehen, sind sie im Zweiten Weltkrieg auf arbeitende Frauen angewiesen. Sie organisieren das Land und halten es am Laufen. Aber Frauen im Dritten Reich sind auch Täterinnen. Frauen beteiligen sich aktiv am Holocaust und unterstützen den Vernichtungskrieg im Osten, Ärztinnen machen Menschenversuche oder ermorden Kranke, KZ-Aufseherinnen prügeln und töten Insassen. Aber einige Frauen im Dritten Reich schließen sich auch dem Widerstand an. Frauen wie Sophie Scholl, Margaretha Rothe, Hannelore Willbrandt und Traute Lafrenz organisieren sich in der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Scholl und Rothe bezahlen dafür mit ihrem Leben. Auch in anderen Widerstandsgruppen engagieren sich Frauen. Widerstand gibt es auch von Künstlerinnen. Die Schauspielerin Marlene Dietrich verlässt 1933 Deutschland und unterstützt den Kampf gegen Hitler aus den USA. Sie sammelt Geld zur Finanzierung des Krieges gegen Hitler und tritt für US-Soldaten auf. Auch wenn wir selten über Frauen im Dritten Reich sprechen, waren sie ebenso wie Männer sowohl am Widerstand als auch an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt.

Bund Deutscher Mädel (BDM) einfach erklärt I Jugend im Nationalsozialismus und Hitlerjugend
In diesem Video erhaltet ihr einen Überblick über den Bund Deutscher Mädel (BDM), die nationalsozialistische Jugendorganisation für die Mädchen. In dieser Untergruppe der Hitlerjugend wurden die Mädchen mithilfe von gemeinsamen Tätigkeiten und verschiedenen Freizeitangeboten an den Nationalsozialismus gebunden und ihnen wurde die nationalsozialistische Ideologie vermittelt.


Das Frauenbild im Nationalsozialismus - ft Präsentationsprüfungen Geschichte
FT-Abi-Plattform
3770 Abonnenten
Videofilme von Präsentationsprüfungen zur Vorbereitung des mündlichen Abiturs 2010 in Baden-Württemberg
Financial T('a)ime
(www.schuelerzeitung-tbb.de)
Das Frauenbild im Nationalsozialismus
und seine Auswirkung
auf die Rolle der Frau in der Nachkriegszeit
Lena Bartholme
Präsentationsprüfung 2009
Fach: Geschichte und Gemeinschaftskunde
Lehrer: Frau Mühleck


14.07.2020 - ORF2 Universum History 10.7.2020: Mutterkreuz und Rassenwahn. Frauen im Dritten Reich
Intro Collector
Welche Rolle die Frauen im Dritten Reich hatten und wie sie selbst zur Nazi-Schreckensherrschaft beitrugen.
© Österreichischer Rundfunk 2020


07.02.2013 - Nazi Germany - Tomorrow's Wives and Warriors - Youth in Hitler's Germany N04d

timelinesTV
The Nazis defined clear gender roles. For the girls: Kinder, Kirche, Kuche (children, church, kitchen). The boys, meanwhile, were being trained for war.
View the full "Nazi Germany" resource, with 30 free-to-view videos on an interactive timeline, at www.timelines.tv/mobile/nazi-germany/
https://www.youtube.com/watch?v=wFkb7vYZp8U


21.07.2017 - Womanhood in Nazi Germany

The Agenda with Steve Paikin
Beverley Chalmers, author of "Birth, Sex and Abuse: Women's Voices Under Nazi Rule" visits The Agenda in the Summer to discuss women, reproduction manipulation, abuse and physician participation, during the Nazi regime.
https://www.youtube.com/watch?v=ccpXCrMRok4




4. Nationalsozialistische Geschlechterrollen-Idee von Väterbildern und Väterfunktionen sowie Nazi-Männersozialisation


Väterbilder und Väterfunktionen in der Erziehung

21.04.2004
Hausarbeit im Magister-Teilstudiengang
"Erziehungswissenschaften"
Wintersemester 2003/2004
an der Universität Kassel
Autor: Bernd Michael Uhl
Magisterstudium
Hauptfach: Soziologie,
Nebenfächer:
Erziehungswissenschaft,
Politikwissenschaft
zur Lehrveranstaltung
"Prinzipien erfolgreicher Erziehung"
bei Prof. Dr. Olaf-Axel Burow

Väterbilder und Väterfunktionen in der Erziehung
21.04.2004: Hausarbeit im Magister-Teilstudiengang "Erziehungswissenschaften" Wintersemester 2003/2004 an der Universität Kassel zur Lehrveranstaltung "Prinzipien erfolgreicher Erziehung" | Autor: Bernd Michael Uhl
UHL_Vaeterbilder_und_Vaeterfunktionen.pdf (405.46KB)
Väterbilder und Väterfunktionen in der Erziehung
21.04.2004: Hausarbeit im Magister-Teilstudiengang "Erziehungswissenschaften" Wintersemester 2003/2004 an der Universität Kassel zur Lehrveranstaltung "Prinzipien erfolgreicher Erziehung" | Autor: Bernd Michael Uhl
UHL_Vaeterbilder_und_Vaeterfunktionen.pdf (405.46KB)


Kapitel 4.2 Macht, Herrschaft und Gewalt im Vaterkonzept vordemokratischer Gesellschaften

Seite 21 bis 25 

SCHATZMAN (1978) beschreibt in seinem Buch "Die Angst vor dem Vater - Langzeitwirkungen einer Erziehungsmethode/Eine Analyse am Fall Schreber" das Erziehungskonzept des Arztes und Pädagogen Daniel Gottlob Moritz Schreber. Dieses Erziehungskonzept basiert einzig und allein auf dem Prinzip der Machtautorität und der Überlegenheit des Erwachsenen gegenüber dem Kind. Der Erzieher will und soll mit aller Macht beherrschen und dies mit Gewalt und Bestrafung durchsetzen. Der individuelle Charakter soll ausgemerzt und Eigenständigkeit unterdrückt werden.

Daniel Paul Schreber (1842-1911), ein tüchtiger deutscher Richter, wurde mit zweiundvierzig Jahren verrückt, gesundete wieder und wurde achteinhalb Jahre später abermals verrückt. Es ist ungewiß, ob er jemals wieder - im geläufigen sozialen Sinn - völlig gesund wurde. Unter Psychiatern und Psychoanalytikern gilt er als klassischer Fall von Paranoia und Schizophrenie. Sein Vater, Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808-1861), in dessen Händen seine Erziehung lag, war ein führender deutscher Arzt und Pädagoge, der zu seiner Zeit wie auch noch nach seinem Tod erheblichen Einfluß hatte. Er hielt seine Epoche für moralisch «schlaff» und «kraftlos», vor allem wegen der nachlässigen Erziehung und Disziplin der Kinder zu Hause und in der Schule. Er wollte die «Schwäche» seiner Zeit durch ein kompliziertes Erziehungssystem «bekämpfen», das darauf abzielte, die Kinder den Erwachsenen gehorsam und Untertan zu machen. Er glaubte, daß seine Lehren, wenn befolgt, zu einer Verbesserung der Gesellschaft und «Rasse» führen würden. Dabei stützte er sich auf dieselben Grundprinzipien der «Abrichtung» von Kindern, wie sie unter religiösen und weltlichen totalitären Regimen gelten. Wie diese, hielt auch er Gehorsam und Disziplin beim Kind für wichtiger als alles andere. Er zeugte zwei Söhne. Der ältere, Daniel Gustav, wurde ebenfalls verrückt und beging Selbstmord (SCHATZMAN 1978: 7).

Im ideologischen Überbau eines solchen Erziehungskonzeptes ist der Ausgangspunkt des Menschenbildverständnisses "der Mensch mit schlechten und bösen Anlagen", der mit kontinuierlicher strenger Führung abgehalten werden muss, die negativen Eigenschaften und Tendenzen zu entwickeln. Diese Vorstellungen werden als Leitmotiv auf das pädagogische Konzept übertragen. Die Ängste des Erziehers werden zu einer zwanghaften rigiden Haltung gegen sich selbst sowie gegen die Umwelt und die untergeordnete Erziehungssubjekte angewendet. Mit den Mitteln von Zwang und Druck werden massiv Grenzen und Einschränkungen gesetzt, um eine Gleichschaltung des Individuums und auf breiter gesellschaftlicher Basis zu erzielen.
Dass es sich bei Schrebers Erziehungskonzept eher um ein Prinzip der Kinderverfolgung statt der Kindererziehung handelt, wird besonders deutlich an den von Schreber erfundenen Folterinstrumenten sowie an den Titeln seiner pädagogischen Schriften.
Um die Körperhaltung von Kindern gemäß seiner Vorstellungen mit Gewalt zu erzwingen erfand Schreber eine Reihe von Instrumenten mit den Bezeichnungen wie: Schulterband, Gradhalter, Gürtel für das schlafende Kind, Kopfhalter, Kinnband. Mit den Illustrationen 3 der von Schreber entwickelten Gerätschaften und der Erläuterung der dazugehörigen Prozeduren liegt die Assoziation von Folterinstrumenten nicht fern. Vor diesem Hintergrund lesen sich die Titel seiner pädagogischen Schriften wie Anleitungen zum Ausleben von sadistischen Tendenzen und zur pervertierten Formung des Menschen:

"Kaltwasser-Heilmethode in ihren Grenzen und ihrem wahren Werthe (1842)"; "Das Turnen vom ärztlichen Standpunkte aus; zugleich als eine Staatsangelegenheit (1843)"; "Die schädlichen Körperhaltungen und Gewohnheiten der Kinder nebst Angabe der Mittel dagegen (1853)"; Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit durch naturgetreue und gleichmäßige Förderung normaler Körperbildung, lebenstüchtiger Gesundheit und geistiger Veredelung und insbesondere durch möglichste Benutzung spezieller Erziehungsmittel: Für Eltern, Erzieher und Lehrer (1858)"; "Die planmäßige Schärfung der Sinnesorgane (1859)"; etc.

Schreber ist es nicht nur ein Anliegen die Kinder physiologisch sondern auch psychologisch mit Gewaltanwendung zu formen. Neben der Abhärtung mit kalten
3 vgl. Abbildungen S. 44f
Waschungen und Bädern empfiehlt Schreber eine Rügentafel als Erziehungsmittel mit moralischer Kraft im Kinderzimmer, die als eine Art Sündenregister dient, auf dem "jedes vorgekommene Vergehen, auch alle kleinen Vergeßlichkeiten, Ordnungswidrigkeiten usw. durch einen Strich oder ein Notizwort bemerkt werden." Am Monatsende soll dann Abrechnung gehalten werden und besonders auf die "dem einen oder anderen Kinde anhaftenden Gewohnheitsfehler oder Schwächen nachdrücklich hingewiesen" werden. Ziel seines Erziehungskonzeptes ist es, dass der Erwachsene "Herr des Kindes" wird und das Kind an den unbedingten Gehorsam gewöhnt wird. Die Beeinflussung findet ausgehend vom Erzieher nur in einer Richtung statt. Mit "einem Blick, einem Wort, einer einzigen drohenden Gebärde" muss das Kind zu regiert werden. Vollendung dieses Erziehungsstils ist das Kind "in eine Art Trance zu versetzen, in der es schon den Blick eines der Eltern als Befehl auffaßt".
Schreber praktiziert sein theoretisches Erziehungskonzept in der Erziehung seiner eigenen Kinder, was dazu führt, dass der eine seiner Söhne psychisch krank wird und der andere Selbstmord begeht. Schatzman führt an, wie Schreber die Geschlechterrollen und Machtverhältnisse in der Familie definiert. Die Mutter hat sich dem Vater unterzuordnen, der die führende Rolle in der Kindererziehung übernimmt.

Soweit als der Mann seine Ansicht durch Gründe von nachweisbarer Richtigkeit unterstützen kann, wird keine vernünftige wohlwollende Frau in diesem Falle dem Manne die entscheidende Stimme absprechen wollen (SCHREBER 1858: 31)
Wo also eine planmäßige auf Grundsätzen beruhende Erziehung gedeihen soll, da muß vor allem der Vater die Zügel fest in der Hand haben... Man [muß] die Hauptverantwortlichkeit für das gesamte Erziehungsresultat stets dem Vater zuerkennen (SCHREBER 1858: 32)

Die Rolle des Vaters basiert auf den Säulen von Bestrafen, Reglementieren, Disziplinieren. Mit Angst und Schmerz einerseits und Brutalität und Züchtigung andererseits wird das Kind gedrillt. Wesentliche Bestandteile und Mittel dieses Erziehungsansatzes sind Druck und Gewalt, um die uneingeschränkte Gehorsamkeit zu erzwingen. Das Kind soll dabei in einem kontinuierlichen Ohnmachtszustand gefangen gehalten und seine Entwicklung zu einer eigenständigen autonomen Persönlichkeit nicht nur behindert sondern verhindert werden. In diesem Zusammenhang ist sicherlich die Vorstellung zu sehen, dass der Mensch dem Staat und seinen Staatszielen zu dienen hat und damit antrainierte Unterwürfigkeit und Unterordnung als Notwendigkeit für das Überleben und das Wachstum der Gemeinschaft erscheint. Das Kind hat in der Familie dem Vater zu gehorchen und als Erwachsener dem Staat zu gehorchen und zu dienen. Die Bestimmung der Geschlechterrollen für Staatsziele definiert sich als Zuweisung der reproduktiven häuslichen Aufgaben an die Frau und als Zuweisung des Dienens als pflichtbewußter und gehorsamer Arbeiter und Soldat an den Mann.
SCHATZMAN (1978) wie BUROW (2003) weisen auf Untersuchungen hin, die der Fragestellung nachgehen, inwieweit autoritäre Erziehungsstile dazu beitragen, zur Unmenschlichkeit zu erziehen wie sie bei Nazis vorzufinden ist. Burow führt die Erzählung "Vater eines Mörders" des Dichters Alfred Andersch von 1986 an 4. Darin werden die autoritären Erziehungsmaßnahmen des Gymnasialdirektors Himmlers, dem Vater des SS-Führers Heinrich Himmler vorgestellt. Burow wirft die Frage auf:

4 vgl. S. 69, S. 82 Seite 24 von 55
ob eine "autoritäre, die individuelle Persönlichkeit übergehende, an der Vermittlung von Inhalten und äußerlichen Primärtugenden (Ordnung, Sauberkeit, Gehorsam, etc.) orientierte Pädagogik zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen?" Schatzman beschreibt wie die von Schreber propagierten Erziehungsvorstellungen einen Nährboden für Führerkult und Diktatur bereiten. Diese Art der Rollenverteilung und Beziehung zwischen Erzieher und zu Erziehendem ist gleichzusetzen mit der Interaktion zwischen Unterdrücker und Gefangenem. Erziehung wird dabei als Prozess der Willensbrechung und des Gefügigmachens mittels Drill zu blinden Gehorsam verstanden. Die Macht über Menschen auf der Mikroebene findet ihre Fortsetzung in der Macht über Völker, über die Welt und die Zukunft auf der Makroebene. Schatzman spricht die Vermutung an, dass "eine mögliche Verbindung zwischen der mikro-sozialen Despotie in der Familie Schreber und der makrosozialen Despotie des Nazi-Deutschlands" bestehen kann. Der Haustyrann pflanzt sich in den gesellschaftlichen Strukturen fort bis zum Tyrannen an der Führungsspitze des Staates und umgekehrt wird die Tyrannenherrschaft und ihre moralische Legitimation von der Staatsspitze bis hinunter auf Ebene der Familie gesichert.

Hitler und seinesgleichen wuchsen in einer Zeit auf, als Dr. Schrebers den Familientotalitarismus predigende Bücher populär waren (SCHATZMAN 1978 : 141). Jeder, der die deutsche «Charakterstruktur» in der Nazizeit verstehen möchte, wird Dr. Schrebers Bücher mit Profit lesen. In Hitlers Mein Kampf gibt es viele Stellen, die den Ansichten Dr. Schrebers gleichen. Wie Dr. Schreber verabscheut Hitler das, was er als Schwäche, Faulheit, Weichlichkeit und Trägheit bezeichnet. Wie Dr. Schreber spricht er vom sittlichen und körperlichen Verfall seiner Zeit. Wie Dr. Schreber verlangt Hitler Willfährigkeit gegenüber Teilen seiner Psyche, die er als göttlichen Willen und als Natur bezeichnet; für Hitler ist die Natur die erbarmungslose Königin der Weisheit. Hitler verurteilt die vor-nazistische Gesellschaft, weil sie gegen das «Bild Gottes» gesündigt habe. Hitler und Dr. Schreber verlangen beide Gehorsam gegenüber dem, was für sie überwältigende Mächte sind: Gott, Schicksal, Notwendigkeit und Geschichte. Diese unbestimmten Abstraktionen sind in Wirklichkeit Namen für Programme, die ihre eigene Psyche beherrschen. Indem Hitler wie Dr. Schreber vorgeben, aus ihnen Autorität über andere abzuleiten, unterwerfen sie sich ihnen auch selbst. Die Kontrolle, der sie andere unterwerfen, ist die Kontrolle, die sie selbst kontrolliert. (SCHATZMAN 1978 : 142)

Das Unterwerfen unter die selbst-konstruierte Weltordnung bedingt die absolute breite gesellschaftliche Unterwerfung, damit keine Zweifel und Abweichungen den totalitären Herrschaftsanspruch gefährden können. Aus Angst, Minderwertigkeitsgefühl und Unsicherheit können in der Konsequenz Terror, Gewalt, Machtmissbrauch und Unmenschlichkeit erwachsen. Zur weiterführenden
Erläuterung hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen totalitärer Führungsstruktur auf familialer Ebene und totalitärer Führungsstruktur auf staatlicher Ebene führt Schatzman unter anderem Wilhelm Reich und sein Werk "Massenpsychologie des
Faschismus" von 1971 an. 

Zunächst spiegelt sich die staatliche und ökonomische Stellung des Vaters in seinem patriarchalischen Verhältnis zur übrigen Familie wider. Der autoritäre Staat hat als seinen Vertreter in jeder Familie den Vater, wodurch sie sein wertvollstes Machtinstrument wird. Die autoritäre Stellung des Vaters gibt seine politische Rolle wieder und enthüllt die Beziehung der Familie zum autoritären Staat. Die gleiche Stellung, die der Vorgesetzte dem Vater gegenüber im Produktionsprozeß einnimmt, hält dieser innerhalb der Familie fest. Und seine Untertanenstellung zur Obrigkeit erzeugt er neu in seinen Kindern, besonders seinen Söhnen. Aus diesen Verhältnissen strömt die passive, hörige Haltung der kleinbürgerlichen Menschen zu Führergestalten. Hitler baute, ohne es in der Tiefe zu ahnen, auf diese Haltungen der kleinbürgerlichen Massen, wenn er schrieb: <Das Volk ist in seiner überwiegenden Mehrheit so feminin veranlagt und eingestellt, daß weniger nüchterne Überlegung, vielmehr gefühlsmäßige Empfindungen sein Denken und Handeln bestimmt. . . > (Mein Kampf) Es handelt sich nicht um eine <Veranlagung>, sondern um ein typisches Beispiel der
Reproduktion eines autoritären gesellschaftlichen Systems in den Strukturen seiner Mitglieder. (REICH 1971: 76)

Dies beschreibt wie Despotie alle gesellschaftlichen Ebenen sowie die hierarchischen Strukturen durchdringt und sich dabei selbst gegenseitig bedingt. Schatzman wird noch deutlicher und vergleicht Schrebers Erziehungskonzept und Ausschnitte aus Adolf Hitlers "Mein Kampf" von 1934 direkt miteinander. 

Dr. Schrebers Übungen in Gehorsam und strammer Haltung waren die Grundausbildung manches preußischen Soldaten von Kindesbeinen an gewesen. Hitler spricht davon, wie Kindern eine aufrechte Haltung eingeübt werden müsse: «Im völkischen Staat soll also das Heer nicht mehr dem einzelnen Gehen und Stehen beibringen . . .» Die Familie und besonders die Schule werden ihm diese Arbeit abgenommen haben, und das Heer muß «den körperlich bereits tadellos vorgebildeten jungen Menschen nur mehr in den Soldaten verwandeln». 

Mit dem Überwinden von totalitären Herrschaftssystemen und der Transformation hin zu freiheitlich-demokratischen Gesellschaften ändern sich die Menschenbilder, was wiederum Niederschlag in den Erziehungsvorstellungen findet, die auf die nachfolgenden Generationen angewendet werden. Der neuen Generation sollen die Wertvorstellungen zum Erhalt und der Weiterentwicklung der angestrebten Gesellschaftsform weitergegeben werden.

Väterbilder und Väterfunktionen in der Erziehung
21.04.2004: Hausarbeit im Magister-Teilstudiengang "Erziehungswissenschaften" Wintersemester 2003/2004 an der Universität Kassel zur Lehrveranstaltung "Prinzipien erfolgreicher Erziehung" | Autor: Bernd Michael Uhl
UHL_Vaeterbilder_und_Vaeterfunktionen.pdf (405.46KB)
Väterbilder und Väterfunktionen in der Erziehung
21.04.2004: Hausarbeit im Magister-Teilstudiengang "Erziehungswissenschaften" Wintersemester 2003/2004 an der Universität Kassel zur Lehrveranstaltung "Prinzipien erfolgreicher Erziehung" | Autor: Bernd Michael Uhl
UHL_Vaeterbilder_und_Vaeterfunktionen.pdf (405.46KB)


Erziehung im "Dritten Reich"
Ein Pimpf in Berlin

Als Neunjähriger schlug er schon Scheiben jüdischer Geschäfte ein: Karl Burkhof gehört zu der Generation, die als Kinder nichts anderes kannten als antisemitische NS-Propaganda und die Verherrlichung von Krieg. Selbst seine Eltern wagten es nicht, dem fanatischen Hitler-Jungen zu widersprechen - erst ein Onkel brachte ihn zum Nachdenken.
17.02.2008, 12.16 Uhr
Als neunjähriger Berliner Junge wurde ich freiwillig in das "Jungvolk" aufgenommen. Meine Mutter kaufte mir im "Braunen Laden" die Uniform. Das waren die Geschäfte, in denen Uniformen und Zubehör für alle NS-Organisationen verkauft wurden, ebenso Orden und Ehrenzeichen, Zelte, Tornister und Kochgeschirre, aber auch Fanfaren und Schalmeien und das Buch "Mein Kampf", vom "Führer" verfasst.
Zu meiner Sommerausstattung gehörte ein braunes Hemd mit rechter Schulterklappe und schwarzem Halstuch mit einem braunen Lederknoten, dazu eine kurze schwarze Kordhose mit einem schwarzen Lederkoppel, dem Schulterriemen und dem ersehnten Fahrtenmesser, mit der eingravierten Inschrift "Blut und Ehre". Auf dem linken Ärmel nähte mir meine Mutter ein kleines Stoff-Dreieck, mit dem Namen Berlin. Auf der linken Hemdentasche steckte ich das rautenförmige HJ- Abzeichen.
Wenn ich durch die Straßen schritt, war ich stolz, einen Offizier mit erhobenem Arm zu grüßen, und oft wurde mein Hitlergruß lässig erwidert. Wir wurden zu Film-Premieren eingeladen, bei denen die Darsteller sich nach Ende des Films auf der Bühne persönlich vor dem Publikum verbeugten und von uns, dem Jungvolk und der Hitler-Jugend, minutenlang umjubelt wurden. Dann erlebten wir im Kino Stefan Mario (der später Selbstmord beging), Heinrich George und Werner Kraus in "Jud Süß" und lernten, dass uns die Juden, "Plutokraten" genannt, seit Jahrhunderten ausraubten.
Beweisen, wozu ein Hitler-Junge fähig ist
So entstand in unseren Kinderherzen der Hass auf die Juden und die "bolschewistischen Untermenschen", die uns in einer Ausstellung "Der Untermensch" im Berliner Schloss erschauern ließen. Ich war erst neun, als ich eines Nachts, es war die Nacht vom 9. zum 10. November 1938, die später als "Reichskristallnacht" in die Geschichte eingehen sollte, zusammen mit SA-Gruppen durch die Straßen Berlins zog und die Fenster der jüdischen Geschäfte einschlug. Natürlich hatte ich meine Pimpfen-Uniform an und konnte zum ersten Mal beweisen, wozu ein kleiner Hitler-Junge fähig war.
Wenn die Schaufenster in Scherben zerbarsten, freute sich mein Herz. Ein anderes Mal erlebte ich mit meiner Mutter, wie ein Lastwagen mit Männern, Frauen und Kindern beladen wurde, die man aus ihren Wohnungen herausgeholt hatte. Ich blieb stehen, um zuzusehen. Meine Mutter zog mich mit sich fort. "Das sind Juden", sagte sie leise und ich antwortete laut, "Na und, die haben es doch verdient!" Dass sie alle einmal vergast würden, wusste ich damals noch nicht.
Zu ihrem 70. Geburtstag wurde meine Oma mit dem Mutterkreuz ausgezeichnet. Für ihre fünf Kinder erhielt sie das Ehrenkeuz der Mutter in Bronze, das ihr im Rahmen unserer häuslichen Geburtstagsfeier von einem "Parteibonzen", wie die anderen heimlich sagten, um den Hals gelegt wurde. Ich war sehr stolz auf meine Großmutter. Sobald der Mann in brauner Uniform wieder aus der Tür war, legte sie das Ehrenkreuz in ein Schubfach und legte es auch nie wieder um.
"Hat dieser gemeine Verbrecher es endlich geschafft!"
Am 1. September 1939 schalteten wir früh am Morgen unseren "Volksempfänger" ein und hörten unseren "Führer": "Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen." Ich schrie vor lauter Freude: "Hurra, wir haben Krieg! Jetzt werden wir es den Juden und Polacken zeigen, wer in der Welt bestimmt." Meine Mutter begann zu weinen, und schluchzend hörte ich sie sagen "Hat es dieser gemeine Verbrecher endlich geschafft!". Dass sie mit dem "gemeinen Verbrecher" unseren geliebten Führer gemeint hatte, wäre mir im Traum nicht in den Sinn gekommen.
Dieser Ausruf blieb bis zum Ende des Krieges auch die einzige Bemerkung meiner Mutter dieser Art, und auch mein Vater sprach mit mir nicht über Krieg und Vaterland. Was hätte er auch sagen sollen. Ich wusste es besser! Er tat so, als hörte er mir zu, wenn ich vom Führer schwärmte, und ihm das erzählte, was ich in der Schule oder während des letzten Heimabends über Weltanschauung gelernt hatte. Er nickte nur mit dem Kopf, und ich glaubte, er würde mir selbstverständlich zustimmen. Zweifel kamen mir nicht in den Sinn. Etwa, dass er schon damals mit seinem Schweigen nur daran dachte, seine Familie nicht in Gefahr zu bringen.
ANZEIGE
Fotostrecke
Als Kind im NS-Staat: Propaganda und Fanatismus
4 Bilder
Foto: Karl Burkhof
Eines Tages marschierte ich mit unserem Jungstamm bis zum Wilhelmplatz, gegenüber der Neuen Reichskanzlei. Hier versammelten sich alle Pimpfe, die älteren Hitler-Jungen und die BDM-Mädchen. Eine Million Jungen und Mädchen aus der Reichshauptstadt. Aus den Lautsprechern ertönte die Stimme des Gebietsleiters: "Reichsjugendführer Baldur von Schirach, ich melde das Gebiet Berlin angetreten!" Heil! jubelten die Berliner Kinder. Wie glücklich ich war, als zehnjähriger Pimpf, mit dabei zu sein. Ein Freudentaumel hatte alle erfasst. Wir schrien uns die Kehlen heiser. Dann kam der große Augenblick, in mehreren offenen Mercedes-Karrossen trafen Korvettenkapitän Günther Prien und seine bärtige U-Boot-Mannschaft ein.
Angst, den Krieg zu verpassen
Um Mitternacht war ich wieder zuhause. Meine Eltern fragten mich, was denn los gewesen sei. Ich wusste es nicht so genau, um es meiner Mutter zu erklären, aber ich war glücklich. Um mit dem Ritterkeuz mit Eichenlaub, Brillanten und Schwertern oder sogar dem Goldenen Eichenlaub dekoriert zu werden, war es mein größter Wunsch, zehn Jahre älter zu sein, um ebenso wie die Jagdflieger Mölders und Galland, der U-Boot-Kapitän Prien und der Stuka-Flieger und Panzerknacker Rudel als Held der Nation gefeiert zu werden.
Meine größte Angst war, dass der Krieg ohne mein Mitwirken zu Ende gehen würde. Täglich lauschten wir an unserem Volksempfänger und warteten darauf, dass das Programm mit der markanten Prelude von Franz Liszt und einer Sondermeldung unterbrochen würde. Mit meinen Eltern spazierte ich zu Pfingsten 1940 vom Berliner Stadtschloss über die Linden bis zum Brandenburger Tor. Abertausende von Menschen sahen neugierig auf kleine Schäden an den Wänden, wo in der Nacht zuvor die Engländer Brandbomben abgeworfen hatten.
Später warfen die Amis Minen ab und zerstörten mit einer Mine ganze Häuserblocks mit den Menschen, die darin lebten. Mit elf Jahren wurde ich Melder beim Luftschutz. Zu meiner Uniform als Hitlerjunge erhielt ich eine blaue Armbinde mit einem weißen "M" darauf, das Melder heißen sollte. Jede Nacht freuten wir uns, wenn die Sirenen zu heulen begannen. "Britisch-amerikanische Bomberverbände im Anflug auf die Reichshauptstadt", klang es aus dem Radio. Dann rannten wir in den Luftschutzbunker hinunter, unseren mit Sandsäcken verkleideten Kartoffelkeller. Ich spielte mit meinen Freunden "66", und wir waren traurig, wenn die Sirenen mit einem langgezogenen Ton zur Entwarnung aufheulten, und wir wieder ins Bett mussten.
Eine Büchse mit Flaksplittern
Wäre eine Bombe eingeschlagen, hätte ich durch den Flakgranatenhagel laufen müssen, um es zu melden. Es kam nicht dazu. Leider wie ich fand. Tagsüber sammelte ich mit meinen Freunden auf der Straße Flaksplitter. Ich hatte meine gesammelten Splitter in einer Blechbüchse aufbewahrt, und ich war äußerst zornig, als ich eines Abends nachhause kam und die Büchse mit den Splittern nicht mehr fand. Meine Mutter hatte sie einfach fortgeworfen.
Mein Onkel Heinz wurde Kriegsberichterstatter, flog über hundert Feindeinsätze, erhielt die Goldene Feindflugspange und neben dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse auch noch das Deutsche Kreuz in Gold. Auf seinem rechten Jacken- und Mantelärmel war ein breites Band angenäht mit der Aufschrift: "Kriegsberichterstatter der Luftwaffe." So war ich stolz, mit Onkel Heinz in Berlin auszugehen, er in seiner blaugrauen Offiziersuniform mit den verliehenen Orden auf der Jacke und ich als Pimpf daneben.
Die Sitzungen des Reichstages fanden, wenn überhaupt, nach dem Brand von Februar 1933 in der gegenüberliegenden Kroll-Oper statt. Hier erklärte Hitler in einer Reichstagssitzung am 11. Dezember 1941 den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg. Die "Kettenhunde" hatten Onkel Heinz und mich einfach passieren lassen, als wären wir Abgeordnete. Nach der Kriegserklärung an die USA schrie ich zwar wie alle anderen Menschen im Saal "Sieg Heil!" Doch Onkel Heinz zwickte mich in den Arm und zeigte mir heimlich den Vogel. Ich wollte aufbegehren, doch mein Onkel gab mir flüsternd zu verstehen, ich solle warten, bis wir draußen wären.
"Ja, ja und noch mal ja!"
Die Kroll-Oper die gegen Ende des Krieges noch zerstört wurde, befand sich in der Nähe des Brandenburger Tors. Von dort brauchten wir eine knappe halbe Stunde, um zu Fuß nachhause zu gehen. Als wir außer Hörweite anderer Menschen waren, fragte mich Onkel Heinz, ob ich mir mal die Landkarte angesehen hätte und wüsste, wie groß die USA seien, dass sie über zweihundertzwanzig Millionen Einwohner hätten, mit einer unermesslichen Kriegsstärke und Wirtschaftskraft. "Der ist wahnsinnig" sagte Onkel Heinz und damit meinte er unseren Führer, "und alle anderen, die dort, gejubelt haben, sind es ebenso."
Verwandte Artikel
Schulzeit im Nationalsozialismus: Beethoven gegen Hitler >>>
Jugend im Nationalsozialismus: Angsttraum Kinderheim >>>
Lebensbornkinder: Heim im Reich >>>
Ich sagte kein Wort darauf. Es war das erste Mal, dass jemand mit mir so gesprochen hatte. "Warte ab, es dauert nicht mehr lange." Doch es dauerte noch vier bittere Jahre. Ich ging zum letzten Mal in den Sportpalast, wo normalerweise die Sechs-Tage-Rennen stattfanden. Rund fünfzehntausend ältere SA-Männer, die an der Front nicht mehr taugten, kriegsverletzte Soldaten, Hitlerjungen, Flakhelfer, BDM-Mädchen mit dem Namen "Glaube und Schönheit", tobten vor Begeisterung, als unter den Klängen des Hohenfriedberger Marsches der Reichsminister für Volksaufklarung und Propaganda, Dr. Josef Goebbels in den Saal humpelte. Er rief: "Wollt Ihr den totalen Krieg?" Und wie aus einer einzigen Kehle kreischten wir alle zurück: "Ja!" Ja und noch mal - Ja!
Im Sommer 1943 verstärkten die Amis und Tommys ihre Bombenangriffe auf deutsche Städte. Da unter diesen Umständen an einen geregelten Unterricht nicht mehr zu denken war, sammelte ich für das "NS-Winterhilfswerk". Die Leute auf der Straße spendeten gerne, und meine Sammelbüchse war stets voll. Im November '43 wurden wir in "sichere Gegenden" verschickt. "Wir danken unserem Führer", riefen wir aus den Fenstern des langen Zuges, der sich langsam schnaufend in Bewegung setzte, das Heer der weinenden Mütter auf dem Bahnsteig zurücklassend. Es war das letzte Mal, dass ich den Anhalter Bahnhof unzerstört sah.
https://www.spiegel.de/

Jugend im Nationalsozialismus
Angsttraum Kinderheim

Ernst Woll hatte es kaum erwarten können, als Zehnjähriger ins Deutsche Jungvolk aufgenommen zu werden - doch dann drohte sein Traum zu platzen: Beim Stromern im Wald traf er einen Mann, den er gut kannte: NSDAP-Mitglied und nackt.
26.01.2011, 17.03 Uhr
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war ich acht Jahre alt. Meine Eltern und Großeltern versuchten damals, mir die Schrecken des Krieges klarzumachen, hatten sie ein solches Inferno doch schon einmal miterlebt. Meine Oma sagte: "Der Hitler lässt schon die Kinder auf das Soldatentum vorbereiten, nur damit sie für unbegreifliche Eroberungen totgeschossen werden."
Ich verstand das damals nicht und widersprach. Überhaupt glaubte ich den Erwachsenen in der Familie vieles nicht und fühlte mich ständig belehrt. Dass mein Vater und auch mein Opa nie den Arm zum Hitlergruß erhoben - das war ihr geheimer Widerstand - war mir unangenehm und ich schämte mich.
Vorsichtige Warnungen, mich nicht allzu sehr politisch beeinflussen zu lassen, empfand ich als Bevormundung. Erst bei der Erziehung meiner eigenen Kinder stellte ich später fest, dass gut gemeinte elterliche Ratschläge weniger fruchten als die der gesellschaftlich geprägten Umwelt oder die eigenen Erfahrungen.
Auf ins Jungvolk!
So war die häusliche Einflussnahme meist wirkungslos gegenüber den Darlegungen der geschickt agierenden Lehrer in der Schule, denn der Schulunterricht war, wie das gesamte öffentliche Leben meiner ersten Schuljahre ab 1938, sehr stark von der NS-Propaganda beeinflusst.
Vom Titelbild unserer Lesefibel für die ersten beiden Schuljahre etwa grüßten uns zwei Kinder mit zum Hitlergruß erhobenen Händen und auf der Seite über den Buchstaben J konnten wir lesen, wie gern Jochen Jungvolkpimpf werden wollte und was er dafür brauchte.
Deshalb konnte ich es damals kaum erwarten, zehn Jahre alt zu werden, denn so alt musste man sein, um in das Deutsche Jungvolk eintreten zu können. Zwei Erlebnisse aber hätten das in jener Zeit fast verhindert - sie sind mir deshalb bis heute in heilsamer Erinnerung.
Die nackte Wahrheit
Als Neunjähriger nutzte ich jede Gelegenheit, den Nachbarshund Senta, eine französische Dogge, auszuführen. In der Regel hielt ich mich daran, das Tier immer an der Leine zu führen. Warum ich bei diesem Spaziergang im Hochsommer Senta freiließ, weiß ich nicht mehr. Kaum hatte ich den Hund losgemacht, sauste er auch schon davon. Er missachtete mein Rufen und war schnell im Gebüsch am Waldrand verschwunden. Ich hörte Senta bald aggressiv bellen und wusste sofort: Sie hatte etwas entdeckt und gestellt.
Bei Senta angekommen sah ich etwas für mich als Kind sehr Schreckliches: Auf einer kleinen Lichtung standen zwei nackte Menschen, ein Mann und eine Frau, vor sich den Hund, der auf dem Sprung war, zuzubeißen. Ich hatte noch nie in meinem Leben nackte Erwachsene gesehen, sexuelle Aufklärung kannten wir nicht. In meiner Naivität verstand ich gar nicht, was die beiden ausgezogen im Wald wollten. Hinzu kam, dass es sich hier um einen mir wohlbekannten Mann handelte, der ein einflussreiches NSDAP-Mitglied war. Die junge Frau neben ihm kannte ich auch: Sie war aus unserem Ort - und beide im Adamskostüm!
Der Herr brüllte: "Was streichst du in meinem Pachtwald herum und scheuchst das Wild auf! Nimm sofort den Köter an die Leine und verschwinde, wir werden uns noch sprechen!" Um seinen Befehl auszuführen musste ich näher heran und sah erstmals ganz deutlich den Unterschied zwischen Mann und Frau.
Du kommst ins Erziehungsheim!
Ich bekam den Hund an die Leine und konnte ihn fortziehen. Während ich den beiden den Rücken zukehrte, musste ich eine Schimpftirade über mich ergehen lassen. Der Mann drohte mir die härtesten Strafen an, wenn ich von dieser Begegnung etwas erzählen würde und warnte mich: "Wenn ich erfahre, dass du nicht dicht gehalten hast, dann darfst du auch kein Pimpf werden und kommst ins Erziehungsheim."
Nicht ins Deutsche Jungvolk zu dürfen wäre für mich wohl das Allerschlimmste gewesen. Ein Erziehungsheim, "Heinrichstift" oder "Rettung" genannt, kannte ich auch. Es befand sich in unmittelbarer Nähe unseres Ortes und war von uns Kindern sehr gefürchtet, denn es musste als Drohkulisse für alle Unfolgsamkeiten herhalten. Ich hatte schon mehrfach beobachtet, dass die Insassen schwer auf den Feldern arbeiten mussten und nur sonntags unter Aufsicht außerhalb des Heimgeländes spazieren gehen durften.
Ich habe Zeit meines Lebens über dieses Erlebnis geschwiegen. Vielleicht hat mir das Ganze damals so große Angst eingeflößt, dass ich selbst nach dem Krieg, als der NS-Mann mir nichts mehr anhaben konnte, nicht wagte, darüber zu reden.
Gut gemeint, doch am Baum gefrevelt
Den spöttischen Spruch "Tue nichts Gutes, widerfährt dir nichts Böses" kannte ich als Kind noch nicht. Als ich ihn als Erwachsener hörte, fand ich, dass er gut das folgende Erlebnis aus meiner Kindheit charakterisiert:
Im Krieg war Brennholz knapp und ich wollte mir durch Holzsammeln ein Lob verdienen. Im Übrigen hatte ich gehört, dass Birkenholz sehr gut brennt und wollte meinen Großeltern das Anzünden des Feuers im Ofen erleichtern. Kurzum, ich begeisterte zwei Schulkameraden zum Mitmachen und wir sägten im nahen Wald zwei mittelgroße Birken ab.
Über Feldwege schleiften wir die Bäume weg, als plötzlich der Ortspolizist vor uns stand und uns zur Rede stellte. Wir waren sicher, er hatte schon auf der Lauer gelegen, um uns zu erwischen. Er schrieb unsere Namen auf und sagte streng: "Ich werde euch mit euren Eltern auf die Wache bestellen. Was ihr getan habt, war Baumfrevel mit großem volkswirtschaftlichem Schaden. Euch erwartet eine hohe Strafe."
Statt Jungvolk die "Rettung"
Er fragte uns, wo wir die Bäume abgesägt hatten. Wir behaupteten, wir hätten sie gefunden. Er entdeckte jedoch die Säge, die ich unter meiner Jacke zu verbergen suchte und sagte, dass er die Baumstümpfe bestimmt noch finden würde. Unsere Mütter waren nach unserer Beichte zuhause sehr bestürzt.
Schon am nächsten Tag kam die Vorladung zum Polizeirevier. Unsere Beteuerungen, wir hätten die abgesägten Bäume gefunden, halfen nichts, denn der Gendarm hatte die Stelle mit den Baumstümpfen inzwischen ausgemacht und wusste auch, welchem Bauern der Wald gehörte.
Er drohte, dass wir in die "Rettung" kämen, wenn der Waldbesitzer unsere Tat anzeigen würde. Außerdem kündigte er an, unsere Verfehlung an die Hitlerjugend zu melden. Er wusste, dass wir zehn Jahre alt geworden waren und wollte uns einen Denkzettel verpassen. Er meinte, dass es mit unserer Aufnahme ins Deutsche Jungvolk zu Führers Geburtstag am 20. April - der kurz bevorstand - nichts würde.
Endlich ein Pimpf!
Im Anschluss an das Verhör zogen wir mit den Birkenbäumen unter Polizeibewachung durch die Stadt zum Bauern, bei dem wir das Holz abliefern sollten. Begleitet wurden wir von einer großen Schar Kinder, die jubelten und frohlockten, nun seien wir verhaftet und würden eingesperrt. Die Bauersfrau empfing uns im Hof und schimpfte uns in Anwesenheit des Polizisten tüchtig aus. Schließlich sagte sie zu ihm, die Sache habe sich erledigt und sie würde keine Anzeige erstatten.
Als der Gendarm weg war, sagte sie: "Schert euch mit den Bäumen nach Hause und tut so etwas nie wieder." Wieder zogen wir durch die Stadt, jetzt begleitet von enttäuschten Kindern, weil wir nun doch nicht verhaftet worden waren. In späteren Jahren erfuhr ich von meiner Mutter, dass sie und die anderen Frauen sich vor dem Polizeiverhör mit dem Waldbesitzer geeinigt und die Bäume bezahlt hatten.
Ins Jungvolk kam ich trotz allem doch. Ich erinnere mich an ein besonderes Privileg, das mit unserer DJ-Mitgliedschaft verbunden war: Pimpfe durften kurze Hosen und Kniestrümpfe tragen. Selbst schlechte Witterung, Sturm und Kälte konnten daran nichts ändern. Zu Hause gab es deswegen immer einen harten Kampf mit der Mutter, die fürchtete, wir könnten uns erkälten. Sie konnte sich aber nie durchsetzen!
https://www.spiegel.de/geschichte/


5. Vaterlosigkeit und Kriegssozialisation

Kinder des Zweiten Weltkrieges

Bislang standen in der Forschung die Söhne im Vordergrund. Die Historikerin Barbara Stambolis hat nun in einer Studie untersucht, welche Folgen der Verlust des Vaters im Zweiten Weltkrieg für die Töchter hatte.
Von Isabel Fannrich | 15.09.2011
„Ich war knapp neun Jahre, als er fiel. Ich habe eine sehr genaue Erinnerung, wie wir aus dem Unterricht abgeholt wurden und wie dann die Familie sich bei meiner Mutter versammelt hatte. Und dass die beiden kleineren Geschwister noch nicht da waren. Sie waren spazieren mit irgend jemandem, und wie ich sie dann geholt hab. Und dann vielleicht das Wichtigste wirklich, dass ich beschlossen hab, ich müsste jetzt erwachsen sein. Das war mir ganz deutlich, dass jetzt ein Teil der Kindheit vorbei ist.“
„Ich wollte gerade, dass er mir mein Spielzeug wieder zusammen flickt. Weil er auch Schreiner war. Und dann kamen wir nach Hause, hatten einen Ausflug gemacht, wahrscheinlich waren wir auf diesen Ausflug geschickt worden. Und dann kam die Todesnachricht.“
Uta Pauli und Roland Eckert sind Geschwister. Als sie die Nachricht hörten, waren sie acht und vier Jahre alt. Ihr Vater war im Januar 1942 in Russland an der Front gefallen – ein drei Viertel Jahr nachdem er sich freiwillig gemeldet hatte.
„Er wäre vielleicht später dann, als die Zeiten im Krieg dann doch schlechter wurden, sowieso noch eingezogen worden. Aber zuerst einmal ist er freiwillig gegangen, und er war in Russland doch an der vordersten Front dabei. Das ist dann auch immer noch ein Gegenstand des Nachdenkens, warum das so sein muss.“
Uta Pauli, Jahrgang 1933. Sie, ihr Bruder, eine ältere und eine jüngere Schwester gehören der Kriegskindergeneration an, die zwischen 1930 und 45 geboren wurde. Im Unterschied zu jenen, die erst während des Krieges auf die Welt kamen, können sie sich deutlich an ihren Vater erinnern, einen etablierten Münchner Rechtsanwalt:
„Gut gelaunt und sehr zärtlich. Er hat uns, wenn er abends schon da war, vorgesungen, auch heitere Sachen. ‚Zu Regensburg auf der Kirchturmspitz, da kamen die Schneider zusammen zu unserem großen Vergnügen.‘ Und andererseits aber auch streng, dass man sich nicht nachgeben durfte. Er hat mich mal veranlasst, ordentlich Flöte zu üben.“
„Wie er mich auf seinen Schultern ins Krankenhaus getragen hat, einen kilometerlangen Weg, im Gebirge und dann verschwimmt natürlich das Bild auch immer mit den Fotos, so dass man nicht mehr weiß, was die originäre Erinnerung ist und was die Erinnerung mit Hilfe von Fotos oder Erzählungen ist.“
Mit den Erinnerungen befasst sich die Historikerin Barbara Stambolis:
„Und es gibt dann eine ganze Gruppe, die ihren Vater kaum gesehen hat, vielleicht zwei-, dreimal wenn der Vater von einem Fronturlaub nach Hause kam. Es kann eine bewusste Erinnerung sein. Es sind manchmal dann bei diesen Kindern – gerade bei den jüngeren, die zwischen 1939 und 1945 geboren wurden, auch Erinnerungen an dramatische Szenen auf Bahnhöfen, also Abschiedsszenen und Trennungen. Und es gibt die Gruppe, die ihre Väter gar nicht mehr gekannt haben, weil sie eben auf dem Weg waren, nachdem der Vater wieder an die Front zurück gekehrt ist.“
Die Paderborner Professorin hat 120 Frauen befragt, die mehrheitlich zwischen 1939 und ‚43 geboren wurden. Sie wollte wissen, wie der kriegsbedingte Vaterverlust ihr Leben geprägt hat und wie sie bis heute damit umgehen. Es ist die erste größere Studie, die vaterlose Töchter in den Mittelpunkt rückt.
In den vergangenen zehn, 15 Jahren hatten sich hauptsächlich die Männer zu Wort gemeldet – zumeist als Forscher und Betroffene zugleich. So interviewte der Psychoanalytiker und Altersforscher Hartmut Radebold in seinem Buch „Söhne ohne Väter“ aus dem Jahr 2004 rund 40 Männer, deren Väter im Krieg gefallen waren.
Dass sich Traumata in den nachfolgenden Generationen niederschlagen, ist als „transgenerationale Übertragung“ zunehmend in den Fokus von Wissenschaft und Öffentlichkeit geraten. Immer mehr vaterlose Kinder, aber auch Enkel der Trümmerfrauen lassen sich therapieren. Und auch die Kinder anderer Krisenzeiten wie dem Deutschen Herbst oder der politischen Verfolgung in der DDR melden sich zu Wort.
Der deutsche Liedermacher Hannes Wader thematisierte schon 1980, wie sehr ihm sein Vater durch den Krieg entrückt war:
„Wenn ich des nachts die Lok im Arm auf meinem Kissen schlief...“
In Deutschland sind im Zweiten Weltkrieg schätzungsweise 2,5 Millionen Väter als Soldaten umgekommen. Sie erlagen ihren Verletzungen, kamen in Gefangenschaft um – oder gelten heute noch als verschollen.
Ein Viertel der Kriegskinder ist nach dem Krieg dauerhaft ohne Vater aufgewachsen, sagt Stambolis. Weitere kommen hinzu, denen er jahrelang – etwa infolge von Gefangenschaft – gefehlt hat. Viele Mädchen und Jungen haben darüber hinaus die Bombenangriffe erlebt. Sie mussten fliehen und in Lagern unterkommen, manche wurden evakuiert und zeitweilig von ihrer Restfamilie getrennt.
Warum haben sich die Betroffenen mit diesen Erfahrungen so spät erst zu Wort gemeldet?
„Ich hatte gar keine Zeit viel nachzudenken. Man hat sehr viel weniger so seine persönlichen Befindlichkeiten reflektiert, weil die Anforderungen viel größer waren. Deswegen habe ich zuerst immer gestaunt, als das so üblich wurde zu sagen: Ach mir geht's nicht gut. Und ich gesagt habe: Na wo fehlt es denn? Ist es wieder dein Knie oder deine Schulter oder irgend so etwas? Naja, und dann war es was ganz anderes. Dann fühlten die sich psychisch in Unordnung geraten. Darüber hätten wir so nicht nachgedacht.“
„Zum einen haben diese Kinder sehr lange einfach sehr gut funktioniert. Sie waren angepasst, sie waren nicht weiter auffällig. Sie sind in Zeiten aufgewachsen, in denen es ums Überleben ging, um alltagspraktische Fragen, und nach ihren Befindlichkeiten hat zunächst mal keiner gefragt. Sie haben dann auch als Erwachsene sehr selbstverständlich Dinge angepackt, ihr Leben gemeistert und wenig auf sich selber geachtet. Und haben dann erst spät festgestellt, dass sich in ihnen ganz unerwartet zum Teil und auch beunruhigend das Kind von damals zu Wort meldet.“
Geweckt hat die Erinnerungen das Jahr 2005, das Gedenken an 60 Jahre Kriegsende. Aber auch die Bilder anderer Kriege wie die vom Balkan hätten viele Kriegskinder aufgerüttelt, sagt die Entwicklungspsychologin Insa Fooken von der Universität Siegen. Die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit sei zudem eine Altersfrage:
„Es gibt durchaus am Ende des mittleren Erwachsenenalters die Aufgabe, nochmal zu sortieren, ein bisschen Bilanz zu ziehen: Was habe ich von dem Teil des Lebens, den ich selber aktiv bestimmen kann, gemacht? Das ist noch nicht so dieser Lebensrückblick, der im hohen Lebensalter gemacht wird. Aber bei dieser Sortierarbeit – man muss ja dran denken, es gab oft noch die alten Mütter. Und wenn die starben auf einmal und da in diesem Kontext steht auch entwicklungspsychologisch an, dass man sich mit der Endlichkeit auseinandersetzt – überhaupt auch mit der Endlichkeit der eigenen Eltern, definitiv bestimmte Kindheitsillusionen aufzugeben und sich mit vielen Realitäten eigentlich zu konfrontieren.“
Heute weckt der Blick zurück bei vielen Frauen eine „unerwartet intensive Sehnsucht“ nach ihrem kaum oder gar nicht bekannten Vater, erzählt Barbara Stambolis. Nachdem sie in ihrer Kindheit die Traurigkeit verdrängt haben, begeben sich die Töchter nun auf Spurensuche. Oft haben sie nur ein Foto oder einen Brief oder kennen die Geschichten, die ihre Mütter erzählt haben.
Sie fragen sich, wie der Vater ausgesehen hat, wie er gesprochen und gelacht hat. Wie wäre es gewesen, mit ihm aufzuwachsen? Die Frage, ob der Vater sich in der NS-Zeit mitschuldig an den Verbrechen gemacht hat, stehe bei vielen heute im Hintergrund.
„Zentral ist eher das Bedürfnis, sich diesem Vater, den sie nicht kannten, noch mal nahe zu fühlen und vielleicht einen Weg zu finden, auch sein Grab zu besuchen, es ausfindig zu machen überhaupt, sich von ihm zu verabschieden irgendwie und zu trauern. Denn für die Trauer hatten sie in ihrer Kindheit keine Zeit, ihre Mütter oft auch nicht.“
Der Tod des Vaters hat „alles“ verändert. Nach dem Krieg mussten die Witwen ran. Sie, die oft keine Ausbildung hatten, meisterten beides: arbeiten und Kinder erziehen. Die Gesellschaft sah ihnen kritisch dabei zu und bedachte sie mit Worten wie „Rabenmutter“ oder „zerstörte Familie ohne bessere Hälfte“. Dies bestätigte die Mütter und Töchter in ihrem selbst erlebten Defizit. Obendrein stiegen sie in den meisten Fällen sozial eindeutig ab.
„Die Mütter waren vor diesem tiefen biografischen Einschnitt mehrheitlich lebenszugewandte, unkomplizierte junge Frauen gewesen, die hoffnungsvolle Pläne für ihre private Zukunft gehabt hatten und diese an der Seite eines Mannes verwirklichen wollten. Sie hatten sich kaum vorstellen können, dass das Leben einer Frau anders als im Rahmen einer Ehe „glücklich“ verlaufen konnte. Als für sie die Welt zusammenbrach, zogen sie schwarze Kleider an, ihre unbeschwerten Mädchenjahre verblassten schnell, wurden perspektivisch unbedeutend. Lediglich die Erinnerung an ein zumeist kurzes Eheglück gab den Witwen die Kraft, sich auf ihr Überleben und das ihrer Kinder zu konzentrieren. Fortan lebten die meisten ausschließlich für ihre Kinder.“
Die enge Mutter-Kind-Beziehung wirkte sich bei den Söhnen anders aus als bei den Töchtern. Meist mussten die älteren Mädchen im Haushalt helfen und auf die jüngeren Geschwister aufpassen. Sie fühlten sich aber auch für die Mutter verantwortlich. Daraus entstand eine symbiotische, oft konfliktreiche Beziehung. Barbara Stambolis:
„Das heißt sie hatten weniger Freiräume als die vaterlosen Söhne, die sich vielfach in Jugendgruppen engagieren konnten und ihren Müttern entkamen, die zum Teil durchaus auch fast übergriffig schon waren, also ihre Kinder sehr genau im Blick hatten, um genau diesen Erscheinungen vorzubeugen wie Verwahrlosung. Die Ausbildung der Söhne hatte sicherlich auch noch eine andere Priorität als die der Mädchen zur damaligen Zeit. Die Söhne konnten häufig die Rolle der Väter einnehmen, und das konnten die Töchter nicht, das heißt sie konnten sich zwar bewähren immer wieder indem sie genauso zupackten wie das vielleicht die Söhne getan haben, aber dieses Gefühl: Du ersetzt hier den Vater und du bist jetzt ganz wichtig, hatten die Töchter weniger.“
Ganz anders bei Uta Pauli. Ihre Mutter, eine gebildete Frau, war in der Nachkriegszeit das große Vorbild. Sie ließ den vier Kindern große Freiräume und ermöglichte ihnen trotz finanzieller Engpässe eine freie Berufswahl – Pauli wurde Lehrerin, ihr Bruder Wissenschaftler.
Innerhalb der Großfamilie, in der männliche Familienmitglieder sowie Freunde aushalfen, verteilten sich die Rollen auf ungewöhnliche Weise. Pauli:
„Ich hab einfach versucht, die Konsequenzen zu ziehen und habe mir zum Beispiel von meiner Großmutter eine Säge geben lassen. Sie hatte einen schönen Garten, aber sie war zu alt, um Bäume zu sägen, und dann habe ich gesagt: Gib mir mal die Säge, wir brauchen Brennholz. Und dann war ich die Verwalterin der Säge und meine Onkel – sofern sie noch da waren – mussten also die dann bei mir ausleihen. Das hat mir irgendwo ein gewisses Selbstwertgefühl gegeben. Ich mein, ganz abgesehen von dem Holz, das ich da produziert habe.“
Eckert:
„Das war schon sehr schmerzhaft. Und hat so auch einfach Weltvertrauen zerstört, das sich eben auch sehr stark an meinen Vater richtete. Und dann war natürlich so die männliche Geschlechterrolle für mich schwieriger zu erwerben oder auszubilden oder zu profilieren. Und das hat dann auch ähnlich wie bei einigen, die auch in der Literatur vorkommen dann auch zum Anschluss an männliche Gruppenbildung so à la Pfadfinder geführt, wo das dann eher geleistet war. Man war auch eigentlich immer auf der Suche nach Älteren, die einem dies oder jenes sagen können. "
Stambolis beschreibt die Mehrzahl der von ihr befragten Frauen als selbstbewusst und tatkräftig, lebenszugewandt und interessiert. Die Mütter haben sich sehr für ihre Ausbildung eingesetzt. Dennoch unterscheide sie ein Grundgefühl von anderen Frauen ihres Alters:
„Sie haben alle ein ganz grundlegendes Gefühl, dass sie auf unsicherem Grund stehen, obwohl sie nach außen betrachtet ein erfolgreiches Leben gelebt haben, ganz viel gemeistert und bewältigt haben. Und trotzdem bleibt dieses Grundgefühl da und diese Sehnsucht natürlich nach dem Vater, den sie nicht gekannt haben.“
Mehrheitlich teilen vaterlose Töchter das in ihrer Lebenserzählung zentrale Gefühl, es habe sie „niemand ins Leben geführt“, das heißt, es habe ihnen niemand, das heißt kein Vater „die Sterne und die Welt erklärt“, weshalb sie sich trotz aller Stärken immer wieder als nur wenig selbstsicher erleben.
Für viele Frauen bleibt die Vaterlosigkeit bestimmend, hat Stambolis beobachtet. Ihre Untersuchung zeige, dass sie hohe Ansprüche an eine Partnerschaft stellen, für die sie von elterlicher Seite keinerlei Vorbild haben. Sie fragen sich, ob sie ihren Kindern und Enkeln gegenüber mehr Gefühle hätten zeigen sollen – statt sich auf den materiellen Schutz zu konzentrieren oder ihnen zu vermitteln: „Sei doch nicht so zimperlich!“
Stambolis spricht von den „Erziehungserbschaften“, die bis weit ins 20. Jahrhundert zurückreichen. Die Vaterlosigkeit kann sich sogar über mehrere Generationen ziehen: Die Witwen des Zweiten Weltkriegs hatten ihrerseits Mütter, die im Ersten Weltkrieg den Mann verloren. Manche ihrer Kinder haben später die Scheidung eingereicht – und wieder fehlte den Nachkommen der Vater.
Offen bleibt die Frage, welchen Lebensweg jene „Kriegstöchter“ eingeschlagen haben, die an einer wissenschaftlichen Befragung nicht teilnehmen wollen oder können. Sind auch sie erfolgreich geworden? Oder anders erfolgreich? Welche Rolle spielt bei ihnen der Vater?
Uta Pauli, die pensionierte Lehrerin, hat ihre schlechten Träume überwinden können. Ihr Bruder Roland Eckert forscht als Professor für Soziologie über Gewalt. Für ihn bleibt der Nationalsozialismus mitsamt dem erlittenen Verlust ein „Lebensthema“:
„Nee, also die Melancholie ist eigentlich geblieben, die ich mein Lebtag lang hatte und die Frage ist halt, wie kann ein so lieber Mensch (lacht) einer solchen menschenverachtenden Ideologie zum Opfer fallen, dass er sich dann in diesem wahnwitzigen Krieg meldet.“
Pauli:
„Dass ich irgendwie traumatisiert bin durch den Tod oder zu frühen Tod. Das schon. Aber das habe ich eben einfach festgestellt: Das ist so und das wird so bleiben. Vor allen Dingen der zu frühe Tod, mein Vater war ja so jung noch. Nicht der Tod an sich ist das Schreckliche, sondern eben wenn so etwas zu früh passiert: Warum das sein muss. Das ist etwas, woran ich immer knabbere sozusagen und eigentlich keine Antwort weiß, aber es kommt dann immer wieder.“
Fooken:
„Es gab aber auch viele Träume und die Träume haben einen Teil der Frauen eigentlich zum Teil bis heute begleitet. Also Wiederholungsträume, die immer nach dem gleichen Muster ablaufen, dass an bestimmten Stellen an der Straße oder die Tür aufgeht und der Vater kommt rein. Es ist dann oft schwierig, ob es im Traum aufgelöst wird, ob es zu einer Umarmung kommt, das ist oft nicht. Oft wird dann aufgewacht.“
https://www.deutschlandfunk.de/

Wenn der Zweite Weltkrieg wieder lebendig wird

Rund 14 Millionen Frauen und Männer haben im Zweiten Weltkrieg als Kinder Elend und Hunger erlebt und mussten ihr Erlebtes selber verarbeiten. Begleitet haben sie die vielfach traumatischen Erlebnisse ein Leben lang. Die Universität Greifswald hat nun gemeinsam mit dem Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer eine internetbasierte Schreibtherapie entwickelt.
Von Barbara Leitner | 30.04.2009
„Im Prinzip kommt das nicht gerade täglich. Aber drei, vier, fünfmal in der Woche kommt das bestimmt immer hoch. Es ist das Erlebnis des Bombardements von Dresden, vielleicht mein allererstes Erlebnis, was ich behalten habe. Das war für mich so eindrucksvoll Böse, dass man das einfach immer wieder durchleben muss.“
Klaus Fischer war dreieinhalb Jahre alt, als Dresden am 13. und 14. Februar 1945 bombardiert wurde.
„Ich wachte als kleiner Junge nachts um zwei war das, ich habe das hinterher nachgeprüft, auf. Und das Haus brannte am Eingang und da mussten wir raus aus dem brennenden Hausflur und die Tante hatte mich auf dem Arm und ich höre noch die Frage. Jetzt müssen wir springen. Da war ein brennender Bombentrichter vor der Haustür. Wenn ich nicht springe, verbrennen wir, wenn ich reinfalle verbrennen wir auch und wenn wir es schaffen, dann leben wir noch. Und dann springe ich mit der Tante und das passiert nun eigentlich sehr oft in Gedanken.“
Die Schilderungen des 67 Jahre alten Mannes sind typisch für eine posttraumatische Belastungsstörung: Die Betroffenen müssen sich immer wieder unfreiwillig an ein Ereignis erinnern. Sie versuchen Situationen zu vermeiden, die sie zu dem Erlebten zurückbringen, stehen unter Druck, dass bei ihnen selbst im Blut Stress nachweisbar ist und schotten sich emotional ab, um das Trauma nicht noch einmal erleben zu müssen. Schätzungen sprechen davon, dass etwa jedes 20. Kind, das in Deutschland den zweiten Weltkrieg miterlebte, Symptome solch einer posttraumatischen Belastungsstörung kennt.
„Der entscheidende Punkt bei diesen Wieder-Erinnerungen ist, dass ihnen die Färbung der Vergangenheit fehlt. Das heißt es ist für die Betroffenen, obwohl das Kriegsende 60 Jahre her ist, so, als ob sie das Trauma erneut wieder erleben müssen.“
Philipp Kuwert, Psychologe und Arzt von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald. Er gehört der Forschergruppe Lebenstagebuch.de an. Sie bietet Kriegskindern einen geschützten therapeutischen Rahmen, sich an Erfahrungen im zweiten Weltkrieg zu erinnern.
„Es gibt keine nachgewiesen wirksame Behandlung traumatisierter Älterer. Das war der Impuls, überhaupt etwas in diesem Bereich zu machen und dann eine Behandlung zu entwickeln auf Grund von klinischen Erfahrungen und vorheriger Forschungsergebnissen zur Behandlung psychischer Traumata im Alter.“
Christine Knaevelsrud vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer. Zwar ist vor allem durch die Holocaustforschung bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt, wie auch kleine Kinder durch lebensbedrohliche Ereignissen lebenslang traumatisiert sein können und die Folgen davon an die nächsten Generationen weitergeben werden. Doch dieses Wissen führte sowohl in der Wissenschaft als auch in der Therapie 60 Jahre lang nicht dazu, auch die Kinder aus dem Land der Verursacher des Krieges als Opfer anzuerkennen. Ihr Schicksal blieb tabuisiert.
„Das sieht man bei den Patienten selber, die große Schwierigkeiten haben zu sagen, ich habe damals gelitten, ich wurde als Kind vergewaltigt oder misshandelt, weil sie das immer wieder relativieren. Ich weiß, was wir Deutschen anderen angetan haben. Und trotzdem lebe ich 60, 70 Jahre mit dem Trauma. Das ist eine spezifisch deutsche Geschichte der kollektiven Schuld sozusagen, dass das auch für die Einzelnen schwierig ist anzuerkennen: Auch wenn es diese Schuld gab. Es ist trotzdem wichtig das Leid und die Geschichten der Einzelnen anzuerkennen.“
Mit der Schreibtherapie „Lebenstagebuch.de“ erhalten die Kriegskinder von einst die Möglichkeit, das Geschehene aufzuschreiben, zu bearbeiten und dadurch in ihr Leben zu integrieren. Die Wissenschaftler und Therapeuten nutzen für ihr Angebot Ansätze von gut evaluierten Schreibtherapien und kombinieren diese mit einem neuen Medium, dem Internet. Mit Onlinetherapien begleitet das Zentrum für Folteropfer seit zehn Jahren weltweit Patienten. Neu ist es, diesen Ansatz nun gezielt mit Patienten im Rentenalter zu erproben. Ein Fragebogen zu Beginn des Kontaktes erlaubt, die Traumatisierung der Patienten einzuschätzen und zu überprüfen, ob der Onlinekontakt und das Schreiben für sie und ihre Lebenssituation angemessen erscheinen. Anschließend werden die Studienteilnehmer mit individuellen Emails aufgefordert, ihr Leben in sieben Lebensphasen zu rekonstruieren. Oft zum ersten Mal schildern sie ausführlich das traumatische Erlebnis, um es noch einmal emotional zu durchleben und nicht nur sachlich zu erklären oder zu verdrängen.
„Ich wusste als Kind und später, wenn ich einen Rappel gekriegt habe, da kriegte ich von Mutter die Entschuldigung, lasst den Kleinen mal in Ruhe, der hatte seine Erfahrungen in Dresden. Und in meinen Beziehungen, musste ich mit mir selber klar kommen. Da gab es dann niemanden mehr, der mir da irgendwie geholfen hätte. Es war auch nicht ableitbar, dass das solche Auswirkungen hat aus solchen Ereignissen.“
Das Problem ist, das die Betroffenen sehr häufig in dem Moment stoppen in der Erzählung, wenn die entscheidenden Details kommen sollten, weil sie es niemand zumuten möchten. Das führt aber dazu, dass sie niemals die Erfahrung machen können, dass die erneute Erzählung des Traumatas in dem gleichen Maße wie in der damaligen belastenden Situation wie damals von Gefühlen überschwemmt werden, die sie nicht kontrollieren können. Dadurch bleibt vor der Therapie, wie wir das nennen, das Trauma abgespalten.
Philipp Kuwert zeigt in einer anderen Studie, dass es die von einem Trauma Betroffenen entlastet, in ihrem sozialen Umfeld oder in der Gesellschaft als Opfer anerkannt zu sein. Darauf mussten traumatisierte Kriegskinder mehr als 60 Jahre warten. Schuld und Scham und die Erziehung als Kriegskinder, „hart wie Kruppstahl“ sein zu müssen, ließen die heute 70 und 80 jährigen ihrerseits jahrzehntelang schweigen. Dieses Verstummen hat für Patienten aus den neuen Bundesländern häufig noch eine besondere Färbung. Da in der DDR die Sowjetarmee ungebrochen als Befreier geehrt wurde, verbot es sich beispielsweise, über die erlittene sexuelle Gewalt zu sprechen.
Kuwert: „Nehmen sie eine Patientin, die eine Kriegsvergewaltigung als Kind übrigens erlitten hat mit 7 Jahren, die da erstmal nüchtern drüber schreibt. Erst durch die Reaktion der Therapeutin, die da noch mal nachfragte, widmen sie noch einmal den entscheidenden Momenten der Traumatisierung zu, wie ging ihnen da in dem Moment, was war das Schlimmste./ Und beispielsweise bei dieser Patientin war das keinesfalls die Vergewaltigung, die Penetration, sondern das sie danach als siebenjährige ins Bett eingenässt hat, und dadurch eine enorme Scham vor den Eltern hatte. /Und erst als die Studientherapeutin diese Scham mit der Patientin durchgearbeitet hat, kam es zu einer deutlichen Besserung der posttraumatischen Symptome.“
Knaevelsrud: „Ich glaube auch da hilft es, erstmal eine visuelle Anonymität zu haben. Das heißt nicht von Anfang an jemand zu haben und ins Gesicht zu blicken und zu sagen, das und das und das ist mir passiert damals, sondern das erstmal schreiben zu können und auch ein stückweit dieses Schutzschild dieser visuellen Anonymität zu haben.“
Dabei sind Therapien für Ältere noch immer unüblich. Nur ein Prozent der von den Kassen bezahlten Behandlungen richten sich an Menschen über 60 Jahren. Gerade denen scheint der Ansatz einer internetgestützten Schreibtherapie entgegen zu kommen. Patient und Therapeut müssen nicht zur gleichen Zeit am selben Ort sein und auch weniger mobile Senioren können einbezogen werden, bemerkt Christine Knaevelsrud.
„Gleichzeitig muss man sagen: Es ist ein anderes Setting und es ist häufig weniger breit in den Effekten, die es auslöst. Das heißt im Endeffekt wird ganz viel aus einem selber aufgefüllt an Informationen, die man von dem anderen nicht hat. Ich glaube, dass das was Positives ist, was einem erlaubt, sehr stark störungsorientiert zu arbeiten. Das heißt es geht gar nicht darum, was noch außen passiert, sondern sich wirklich sehr fokussiert darauf zu konzentrieren, worum es in der Therapie geht. Das heißt in dem Fall wirklich die Behandlung von traumatischen Erinnerungen. Und das ist auch etwas, was viele Patienten beschreiben oder in den Kommentaren danach uns rückmelden. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe. Das heißt dieses Bewusstsein, ich hatte eine Begleiterin, Unterstützerin, aber ich habe das geschafft. Ohne meinen Text wäre das nicht möglich gewesen.“
Bisher 60 Frauen und Männer um die 70 Jahre folgten der Einladung, ihre Erinnerungen als ein Lebenstagebuch aufzuschreiben. Manche Patienten schildern, dass sie 60 Jahre lang mit den peinigenden Erinnerungen leben. Andere verdrängten das Geschehen und kümmerten sich um Beruf und Familie. Dies aber funktioniert oft nicht länger, wenn ein Partner stirbt oder durch den Umzug in ein Altersheim die Bilder von Krieg und Vertreibung wieder aufleben. Für alle ehemaligen Kriegskinder aber spielt eine Rolle, im dritten oder gar vierten Lebensalter so etwas wie eine Lebensbilanz ziehen zu wollen.
Klaus Fischer fand mit dem Eintritt in das Rentenalter endlich die Zeit und auch den emotionalen Freiraum, sich seiner Vergangenheit zuzuwenden und auch die darin verborgenen Ressourcen zu sehen.
„Ich konnte diese Ergebnisse für mich noch mal zusammenfassen, als erstes, es ist passiert. Du musst damit leben und du kannst dich auch damit nicht immer entschuldigen, wo du einen Freibrief hast für gewisse Reaktionen des Lautwerdens. Und dann konnte ich mich von einem gewissen Selbstmitleid trennen. Und dann muss ich auch sagen, es war für mich eine wunderbare Fügung, dass ich jemand hatte, der sich um mich gekümmert hat. Das war meine Tante. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich verbrannt und das sitzt ganz tief drin.“
Eine neue Haltung gewann Klaus Fischer zu seinem Leben, eine neue Bereitschaft auch, sich auf seine Beziehungen einzulassen. Von den 60 Teilnehmern, die sich bisher für die etwa ein viertel Jahr dauernde Therapie anmeldeten, brachen nur vier Patienten die Behandlung ab – sehr wenig, im Vergleich zu sonst bei Therapien üblichen Abbruchsraten von 30 Prozent.
Drei Monate nach Abschluss der Therapie weisen die Wissenschaftler nach, dass die Patienten weniger unter Angst, Schlaflosigkeit, Panikattacken und Hoffnungslosigkeit leiden. Sie erobern sich das Gefühl zurück, ihr Leben in der Hand zu haben und sind nicht länger von tief sitzenden, unbeherrschbaren Affekten getrieben. Von dieser Heilung für die Kriegskinder profitieren oft auch die Kriegsenkel und deren Kinder, betont die Psychologin Christine Knavelsrud:
„Selbstverständlich spielt das in der Therapie eine Rolle, dass Patienten denken in der Therapie darüber nach, inwiefern ihre Kinder etwas davon mitbekommen haben und auch in der Therapie Momente des Bereuens haben und Momente des Innehaltens, weil sie sehen, ich konnte in dem Moment nicht weicher sein zu meinen Kindern. Ich konnte diese Härte, die ich mir selbst gegenüber hatte, meinen Kindern gegenüber nicht aufheben/ dass hat zur Folge, dass die Kinder sich an die Eltern auch nicht so nah gebunden haben. Aber das ist häufig auch etwas, was erst so explizit angesprochen wird in der Therapie/und das ist auch schon ein wichtiger Aspekt, dass sie es für sich selber erkennen und in der Folge mit ihren Kindern erstmalig darüber reden können, warum diese Härte in einer bestimmten Lebensphase für sie lebenswichtig war.“
https://www.deutschlandfunk.de/


Siehe auch:



Besuchen Sie unsere Internet-Präsenz bald wieder. Vielen Dank für ihr Interesse!