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HISTORISCHES:
Sinti und Roma
im KZ-Komplex Neckarelz-Mosbach
Zuletzt AKTUALISIERT am 08.12.2024 !
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- NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
1.1 Expertise der Forensischen Sachverständigen MA Antje C. Wieck aus Kitzingen zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen und NS-Unrecht in der NS-Vergangenheitsbewältigung - Online-Artikel zur NS-Verfolgung und Deportation von Sinti- und Roma in Mosbach-Baden
Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland) Taschenbuch – 18. September 2012
Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma wird inzwischen oft mit demjenigen an den europäischen Juden auf eine Stufe gestellt. Das Für und Wider solcher Analogien ist ein Thema des neuen Heftes der "Beiträge"; ebenso wie die Besonderheit, dass Sinti und Roma nach 1945 häufig einem kaum veränderten Verfolgungsdruck durch die Behörden ausgesetzt waren und sich mit einem quasi ungebrochenen Antiziganismus auseinandersetzen mussten. Die Mehrzahl der Aufsätze widmet sich der Erforschung bislang vernachlässigter Fragen nach dem Schicksal von Sinti und Roma in einzelnen Konzentrationslagern oder bietet lokalgeschichtliche Untersuchungen des jeweiligen Verfolgungsgeschehens. Wie in allen Titeln der Reihe ist der Fokus der Beiträge auf Norddeutschland gerichtet.
1. NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
Es gibt zwei Deportationswellen aus der Mosbacher Region. 1940 werden die badischen Juden deportiert. Und 1943 die hier ansässigen und hier festgesetzten Sinti- und Roma-Familien. Ein Fahrplan dieser Deportationen von Mosbach nach Auschwitz-Birkenau ist datiert auf den 10.03.1943. Es gibt bisher keine öffentlich bekannte juristische Aufarbeitung seitens der Mosbacher Justizbehörden seit 1945 zu den direkten und beihelfenden Tatbeteiligungen an diesen Nazi-Massenmorden in Mosbach, d.h. weder am Holocaust noch am Völkermord an den Sinti und Roma. AKTUELLES: Siehe auch: Strafanzeigen vom 13.08.2022 gegen Verantwortliche der Inhaftierungen und Deportationen von Sinti und Roma aus Landkreis und Stadt Mosbach in Nazi-Konzentrationslager >>> |
Nach Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Beschluss vom 15.12.2022 - 6 S 1420/22 - unterliegt der Nationalsozialismus nicht der grundrechtlich geschützten Weltanschauungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG.
Das Amtsgericht Mosbach hat jedoch seit dem 03.06.2022 eine gemäß § 158 StPO ordnungsgemäße Eingangsbestätigung mit den Benennungen der Konkreten Eingabedaten, der Konkreten Sachverhaltsbenennungen mit einer kurzen Zusammenfassung der Angaben zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat, insbesondere zu beantragten NS- und Rechtsextremismusverfahren, bisher ausdrücklich und EXPLIZIT versagt und NICHT ausgestellt.
Auch für die beim Amtsgericht Mosbach beantragten Wiederaufnahmeverfahren und gerichtlichen Prüfungen in NS- und Rechtsextremismus-Angelegenheiten verweigert das Amtsgericht Mosbach ordnungsgemäße Eingangs- und Weiterbearbeitungsbestätigungen mit konkreten Sachverhaltsbenennungen.
Siehe dazu auch Umgang des Amtsgerichts Mosbach mit NS- und Rechtsextremismusverfahren >>>
Die Verfolgung der Sinti und Roma in München und Bayern 1933–1945: Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München vom 27. Oktober 2016 bis 29. Januar 2017 Taschenbuch – 27. Oktober 2016
1.1 Expertise der Forensischen Sachverständigen MA Antje C. Wieck aus Kitzingen zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen und NS-Unrecht in der NS-Vergangenheitsbewältigung
Die HIER fallverantwortliche Richterin beim Amtsgericht Mosbach Marina Hess verfügt HIER unter 6F 9/22 und 6F 202/21 am 17.08.2022 EXPLIZIT, dass die gerichtlich beauftragte familienpsychologische Forensische Sachverständige für Familienrecht MA Antje C. Wieck, Praxis für KINDER- UND JUGENDLICHENPSYCHOTHERAPIE, Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen, eine INHALTLICHE Sachverständigen-Auseinandersetzung mit der Dokumentations-Website "nationalsozialismus-in-mosbach.de" des Kindsvaters, Beschwerdeführers und Nazi-Jägers Bernd Michael Uhl durchführen solle (Siehe im Folgenden!), die diese Sachverständige Gutachterin HIER ABER AKTENKUNDIG NACHWEISBAR im anhängigen Verfahrenskomplex während ihren zwei gerichtlich bestellten Sachverständigengutachten von 2022 bis 2024 DANN ÜBERHAUPT NICHT durchführt.
UND DIES HIER EXPLIZIT AUCH NICHT bzgl. der DARIN KONKRET thematisierten nationalsozialistischen Verbrechen bis 1945 und deren juristischen, politischen und zivilgesellschaftlichen Aufarbeitungen in der NS-Vergangenheitsbewältigung seit 1945, insbesondere HIER auch in der lokalen-regionalen Fall- und Verfahrenszuständigkeit für Mosbach und für den Neckar-Odenwaldkreis.
Die HIER fallverantwortliche Richterin beim Amtsgericht Mosbach Marina Hess verfügt HIER unter 6F 9/22 und 6F 202/21 am 17.08.2022 EXPLIZIT bei der von ihr selbst gerichtlich beauftragten familienpsychologischen Forensischen Sachverständigen für Familienrecht MA Antje C. Wieck, Praxis für KINDER- UND JUGENDLICHENPSYCHOTHERAPIE, Moltkestr. 2, 97318 Kitzingen eine Sachverständigen-Begutachtung bezüglich "der Notwendigkeit einer psychiatrischen Begutachtung" des Kindsvaters, Beschwerdeführers und Nazi-Jägers Bernd Michael Uhl "zur Beurteilung seiner Erziehungsfähigkeit" (Siehe im Folgenden!). UND DIES NACHDEM UNMITTELBAR ZUVOR das erste gerichtlich beauftragte familienpsychologische Gutachten vom 07.04.2022 unter 6F 202/21 und 6F 9/22 sich für den perspektivischen Verbleib des damals anderthalb Jahre alten Kindes beim Kindsvater ausspricht. HIERBEI unterstellt die fallverantwortliche Mosbacher Amts-Familienrichterin Marina Hess im familienrechtlichen Zivilprozess dem Kindsvater, Beschwerdeführer und Bernd Michael Uhl eine mögliche angebliche psychische Erkrankung und eine damit einhergehende eingeschränkte Erziehungsfähigkeit auf Grund seiner konkreten Nazi-Jäger-Eingaben zu den seinerseits beim Amtsgericht Mosbach beantragten juristischen Aufarbeitungen von konkreten Tatbeteiligungen an NS-Verbrechen und NS-Unrecht 1933-1945 und deren mangelhaften juristischen Aufarbeitungen seitens der deutschen Nachkriegsjustiz seit 1945. UND DIES HIER insbesondere auch in der lokalen-regionalen Fall- und Verfahrenszuständigkeit bei NS-Verbrechen und NS-Unrecht in Mosbach und im Neckar-Odenwaldkreis sowie bezüglich dem Versagen der Mosbacher Nachkriegsjustiz seit 1945 bei deren juristischen Aufarbeitungen.
SIEHE DAZU AUCH:
- Rechtsanwaltlicher und gerichtlicher Umgang mit Sachverständigen-Gutachten in Fallbegleitungen - Verfahrensführungen - Verfahrensbearbeitungen- Verfahrensbegleitungen durch RECHTSANWALT Simon Sommer >>>
- Verfahrensinhaltliche und prozessuale Benachteiligungen des Mandanten von Rechtsanwalt Simon Sommer beim Amtsgericht Mosbach unter 6F 211/21, 6F 202/21, 6F 9/22, 6F 2/23, 6F 2/22, etc. sowie unter amtsseitigen KV-BS-Sonderbänden zu Nationalsozialismus, Rechtsextremismus, Rassismus >>>
2. Online-Artikel zur NS-Verfolgung und Deportation von Sinti- und Roma in Mosbach-Baden
EIN OPTIMIST DER DEMOKRATIE
ROMANI ROSE VERBAND IN SEINEM VORTRAG GESCHICHTE UND GEGENWART
Der Vortrag von Romani Rose, des Vorsitzenden des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, in der KZ-Gedenkstätte Neckarelz stand unter einem allgemeinen Thema: "Der lange Schatten von Auschwitz. Der Völkermord an den Sinti und Roma, die Bürgerrechtsbewegung und das Leben der Minderheit heute". Doch die über 50 Zuhörerinnen lauschten gebannt auch Roses eigener Familiengeschichte.
Teile der Familie hatten sich durch Annahme einer falschen Identität zunächst den Häschern entziehen können - letztlich fielen dreizehn Angehörige doch dem Völkermord zum Opfer. Romani Roses Vater Osker blieb indessen bis zum Schluss unentdeckt; er war unerschrocken genug, seinen über Auschwitz und Natzweiler ins KZ Neckarelz deportierten Bruder Vinzenz aufzuspüren. Er konnte ihn dort sogar kurz sehen und einen Fluchtplan mit ihm bereden, der im August 1944 gelang. Die Brüder tauchten unter und überlebten den Krieg.
Aus dieser Erfahrung erwuchs bei Vinzenz, Oskar und in zweiter Generation Romani Rose die Energie zum Kampf um die Bestrafung der Täter und für die Anerkennung als Opfer der Verfolgung - nicht nur in eigener Sache, sondern für die Minderheit insgesamt. In der jungen Bundesrepublik sahen sich die Bürgerrechtler bei den Behörden häufig den gleichen Personen gegenüber, die zuvor "rassekundlichen Erfassung" und Deportation verantwortet hatten.
Doch die Hartnäckigkeit zeitigte schließlich Erfolge - auf die Anerkennung als Opfer in den Achtziger Jahren folgte der Status als nationale Minderheit nach europäischem Rechtsrahmen in den Neunzigern; als krönenden Höhepunkt bezeichnete Rose die Einweihung des Mahnmals in der Nähe des Bundestags im Jahr 2012.
Die heutige Situation der deutschen Sinti und Roma bewertete Rose verhalten positiv, übte aber scharfe Kritik an den osteuropäischen Ländern, welche die Minderheit wie seit alters her zu Sündenböcken für Wirtschaftskrise und soziale Verwerfungen abstempelten.
Angesichts der aktuellen politischen Herausforderungen rief er dazu auf, altes Lager- und Opferdenken zu überwinden und gemeinsam für Grundrechte und demokratische Werte in Europa einzustehen: "wenn uns das gelingt, dann braucht uns nicht bang zu sein." Romani Rose, der am Nachmittag vom Mosbacher Oberbürgermeister Jann empfangen worden war, erwies sich somit als Optimist der Demokratie.
http://www.kz-denk-neckarelz.de/
Ausführlicher Bericht der Fränkischen Nachrichten >>>
Verfolgung von Sinti und Roma in Karlsruhe im Nationalsozialismus: Die städtische und kriminalpolizeiliche Praxis (Forschungen und Quellen zur ... - Schriftenreihe des Stadtarchivs Karlsruhe) Broschiert – 14. Mai 2020
Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma aus Karlsruhe konnte aufgrund der schlechten Quellenlage bislang nur bruchstückhaft wissenschaftlich erforscht werden. Johannes Kaiser nimmt vor allem die Akteure und Handlungen in Karlsruhe für die frühe Zeit des Nationalsozialismus in den Blick. Der Autor arbeitet durch die exakte Auswertung der wenigen vorhandenen Quellen heraus, wie sich die traditionelle Diskriminierung und Stigmatisierung mithilfe von Gesetzen und Verordnungen nach 1933 unter rassistischen Kriterien verschärften. Sichtbar wird dabei, dass das Ziel der Karlsruher Stadtverwaltung, die Vertreibung „der Zigeuner“, bisweilen mit dem „Gesamtinteresse“ im Land kollidierte. Für die Umsetzung der Landesinteressen war die Polizei zuständig. Ein Schlaglicht wird auch auf die Organisation und Arbeit der durch die „Verreichlichung“ der Polizei in Karlsruhe 1937 errichteten Kriminalpolizeistelle und ihrer „Zigeunerstelle“ geworfen.
ROMANI ROSE
ENGLISH | ROMANES
MITGLIED DES BEIRATS
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
Er wurde 1946 in Heidelberg geboren. Dort war er bis 1982 selbständiger Kaufmann. Bei der Gründung des Zentralrats im Jahre 1982 wurde er von den Delegierten der Mitgliedsorganisationen – damals neun, heute 16 Landesverbände und regionale Vereine – zum Vorsitzenden gewählt und seither alle vier Jahre auf den Mitgliederversammlungen in seinem Amt bestätigt.
In dem Jahre 1991 übernahm Rose die Geschäftsführung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Er ist bei den Regierungen von Bund und Ländern und auch im Ausland seit vielen Jahren bekannt für seine Entschlossenheit und für die konsequente und unnachgiebige Arbeit.
Gemeinsam mit den Vorsitzenden der nationalen Minderheiten in Deutschland leitet Rose den am 9. September 2004 gegründeten Minderheitenrat. Das ist der Zusammenschluss der Dachorganisationen der vier nationalen, zur Nation Deutschland gehörenden und seit jeher hier ansässigen autochthonen Minderheiten: Die DOMOWINA der Sorben, der Friesenrat, die Südschleswigsche Vereinigung der dänischen Minderheit und der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.
Mit Minderheitenvertretern aus USA, Mexiko, Argentinien, Japan, Indien, Sri Lanka, Frankreich und Holland ist Rose auch Direktoriumsmitglied der im Jahre 1988 in Tokio gegründeten Internationalen Bewegung gegen Diskriminierung und Rassismus (IMADR).
Ein maßgeblicher Antrieb für Roses Engagement ist seine persönliche Betroffenheit. Dreizehn unmittelbare Verwandte von Romani Rose wurden während des Nationalsozialismus in Konzentrationslagern ermordet, darunter die Großeltern in den Konzentrationslagern Auschwitz und Ravensbrück. Sein Vater, Oskar Rose, überlebte auf der Flucht und in der Illegalität. Romani Roses Onkel, Vinzenz Rose, überlebte das Vernichtungslager Auschwitz, medizinische Experimente im Konzentrationslager Natzweiler und die Sklavenarbeit für Daimler-Benz im unterirdischen Stollen des KZ Neckarelz/Obrigheim. Vinzenz Rose gründete im Jahre 1972 die erste Selbstorganisation deutscher Sinti, das Zentral-Komitee der Sinti West-Deutschlands, in dem der damals noch nicht dreißigjährige Romani Rose schon mitarbeitete.
Seit zweieinhalb Jahrzehnten – genau seit Juni 1979 – leitet Romani Rose vor den Augen der deutschen und auch internationalen Öffentlichkeit erfolgreich die Bürgerrechtsarbeit für die Minderheitenrechte der Sinti und Roma, für ihren Schutz vor Rassismus und Diskriminierung, für Entschädigungsleistungen an die Überlebenden des Holocaust – bei gleichzeitiger Bekanntmachung des Ausmaßes und des historischen Stellenwerts des Völkermords an 500 000 Sinti und Roma im nationalsozialistisch besetzten Europa.
Im Mai 1995 erreichte Rose in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsvereinen des Zentralrats die Anerkennung und Förderung der deutschen Sinti und Roma als nationale Minderheit in Deutschland mit eigener Minderheitensprache, verbunden mit dem Ziel ihrer gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben.
Zu den ersten wichtigsten Schritten dieser Bürgerrechtsarbeit gehören:
– der von Rose an Ostern 1980 organisierte und mitgemachte einwöchige Hungerstreik von 12 Sinti im ehemaligen KZ Dachau zur internationalen Bekanntmachung des Völkermords und gegen die Weiterverwendung von „Zigeuner-Rasse“-Akten des Reichssicherheitshauptamtes in deutschen Polizei- und anderen Behörden noch Jahrzehnte nach Kriegsende;
– am 6. Februar 1982 der von Rose mitgegründete und seither von ihm geleitete Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die bis zum Jahre 2000 einzige und bis heute größte und einflussreichste Dachorganisation von Landes- und Regionalvereinen deutscher Sinti und Roma;
– die von Rose angeführte Delegation von deutschen Sinti und Roma am 17. März 1982 beim damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der dabei die völkerrechtlich und historisch bedeutsame Anerkennung der nationalsozialistischen Verbrechen an den Sinti und Roma als Völkermord aus Gründen der sogenannten „Rasse“ aussprach. Diese Anerkennung sprach auch Helmut Kohl im März 1982 als Oppositionsführer und am 7. November 1985 als Bundeskanzler im Rahmen der ersten Bundestagsdebatte über die Lage der Sinti und Roma in Deutschland aus.
In den folgenden Jahren machte der Zentralrat jeweils unter Roses Leitung mit Protestaktionen, Pressekonferenzen und Veranstaltungen immer wieder auf seine Forderungen aufmerksam. Dazu gehörten zum Beispiel:
– die von Rose organisierte Protestaktion von 220 Sinti und Roma am 28. Januar 1983 (anlässlich des 50. Jahrestags der Machtergreifung der Nazis) beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden gegen dessen rassistisch-diskriminierende Publikationen und Kripo-Schulungsmaterialien gegen Sinti und Roma mit aus der NS-Literatur übernommenen Formulierungen;
– die Aktion mit 400 KZ-Überlebenden deutscher Sinti und Roma am 20. November 1986 in Bonn in Verbindung mit Roses Erklärungen vor der Bundespressekonferenz zu den im Bundeskanzleramt übergebenen ersten 525 Fällen vorenthaltener Entschädigungsrenten nach dem Bundesentschädigungsgesetz;
– der von Rose initiierte und bislang einmalige Gedenkgottesdienst von Bischof Dr. Anton Schlembach im Dom zu Speyer am 13. März 1988, dem 45. Jahrestag der Deportation von 23 000 Sinti und Roma aus Europa nach Auschwitz, wobei auf Roses Einladung hin zu dem Gottesdienst 1500 Sinti und Roma aus ganz Deutschland und Persönlichkeiten wie der damalige Bundesratspräsident Dr. Bernhard Vogel und die damalige Bundestagspräsidentin Prof. Rita Süssmuth kamen;
– die von Rose geleitete Demonstration von 250 Holocaust-Überlebenden der deutschen Sinti und Roma am 19. Dezember 2001 beim Bundesministerium der Finanzen in Berlin für die Durchsetzung der gleichberechtigten Zahlungen der Zwangsarbeiterentschädigung danach in den Jahren 2002 bis 2006 an die vom Zentralrat dafür vertretenen ca. 1800 KZ-Überlebenden;
– öffentliche Versammlungen, Unterschriftenaktionen (mit 2124 deutschen Sinti und Roma, darunter 1520 KZ-Überlebende) und andere Aktionen und viele Pressetermine seit dem Jahre 1989 für die Forderung zur Errichtung des Holocaust- Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma auf dem dann ab dem Jahre 1994 zugesagten Standort zwischen Reichstag und Brandenburger Tor.
Das zweieinhalb Jahrzehnte dauernde unaufhörliche Eintreten von Rose für die Entschädigung der KZ-Opfer erlangte grundsätzliche Bedeutung für die Verankerung der Bürgerrechtsarbeit in der gesamten Minderheit.
Mit dem von der Bundesregierung seit August 1982 geförderten – und seit dem Jahre 2000 vom Staatsminister für Kultur und Medien geförderten – Büro in Heidelberg bewirkte der Zentralrat unter Roses entscheidender Leitung seit 1985 im Laufe von zwanzig Jahren für 3200 Holocaust-Überlebende der deutschen Sinti und Roma eine grundlegende Änderung der früheren diskriminierenden Entschädigungspraxis. Damit setzte der von den Überlebenden jeweils bevollmächtigte Rose zusammen mit seinem Mitarbeiterstab in allen Einzelfällen positive Neuentscheidungen der Entschädigungsbehörden der Länder und des Bundes durch.
Eine Besonderheit in Europa ist das von Rose geleitete Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Es wurde von Rose seit dem Hungerstreik im Jahre 1980 gefordert, ab Anfang der neunziger Jahre mit finanzieller Hilfe der Bundesregierung errichtet und dann unter Mitwirkung der damaligen Staatsführung (Bundespräsident Prof. Herzog, Bundestagspräsidentin Prof. Süssmuth und Bundesratspräsident Teufel) am 13. März 1997 in Heidelberg von Rose mit der ständigen großen Ausstellung über den nationalsozialistischen Völkermord eröffnet.
An der Eröffnung nahmen über 700 Sinti und Roma aus Deutschland und zahlreiche Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland teil, darunter die Botschafter aus 22 Ländern Europas und aus Israel. Entsprechend Roses Initiative wird seit dem Jahre 1998 die Ausstellung auch in einer transportablen Version in vielen Städten Deutschlands erfolgreich gezeigt – meistens in Verbindung mit einem vom Dokumentationszentrum mitorganisierten Begleitprogramm.
Zu den wichtigen Ergebnissen der Arbeit des Dokumentationszentrums gehört die unter ganz persönlicher Federführung von Rose entstandene internationale Ausstellung über den Völkermord an den Sinti und Roma in Europa, die seit der Eröffnung am 2. August 2001 in Block 13 des Staatlichen Museums Auschwitz dort als ständige Ausstellung zu sehen ist.
Rose entwickelte mit den Mitarbeitern des Dokumentationszentrums die englischsprachige Ausstellung über den Völkermord an den Sinti und Roma im NS- besetzten Europa und über aktuellen Rassismus gegen Angehörige der nationalen Minderheiten der Roma und Sinti im mehreren europäischen Ländern. Er eröffnete diese Ausstellung am 17. Januar 2006 im Europa-Parlament in Straßburg unter Beteiligung von Parlamentspräsident Borell Fontelles, weiteren Persönlichkeiten und Repräsentanten der Roma und Sinti aus mehreren Staaten Europas. Die Ausstellung wird seither in Großstädten Europas gezeigt wie Budapest, Prag und Warschau (ab Oktober 2006).
Rose sorgte im Laufe des Jahres 2006 dafür, dass diese englische Ausstellung am 24. Januar 2007 bei den Vereinten Nationen in New York eröffnet wurde und dann mit großer internationaler Aufmerksamkeit zu sehen war.
Als Konsequenz aus dieser internationalen Arbeit wurde Romani Rose am 29. Mai 2006 als erster Vertreter der Sinti und Roma von der Polnischen Regierung zum Mitglied des Internationalen Auschwitz-Rates ernannt.
© Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg
https://blog.romarchive.eu/deutsch-2/projektbeteiligte/romani-rose-de/
Die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma im Baden und Württemberg
Studienarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 1,7, Universität Karlsruhe (TH) (Institut für Geschichte), Veranstaltung: H.S. Den Holocaust in musealer Präsentation, Sprache: Deutsch, Abstract: Bis in die 80er Jahre war die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma ein Desiderat der Geschichtsforschung in Deutschland und im Ausland. Die Ursachen für diese fehlende Beachtung waren unter anderem das Pflichtgefühl der Forschung Themen wie die Judenverfolgung aufzuarbeiten, sowie ein von der Gesellschaft mit Vorurteilen behaftetes Bild gegenüber den Sinti und Roma. Ein weiterer Grund mag darin liegen, dass es im Vergleich zur Judenverfolgung nur wenige Dokumente über den Genozid an den Sinti und Roma gibt. Ein wesentlicher Impuls in Deutschland zur Erforschung dieser Thematik wurde von der 1979 gegründeten Bürgerrechtsbewegung deutscher Sinti und Roma gegeben.1 Seitdem ist eine Reihe von Arbeiten, teilweise auch mit regionalem und lokalem Bezug, erschienen, letztere jedoch in geringer Anzahl.2 Das Ziel dieses Referates ist die Beschreibung der Verfolgung der Sinti und Roma in Baden und Württemberg durch die Nationalsozialisten. Um die Ausgangspunkte der nationalsozialistischen „Zigeunerverfolgung“ zu bestimmen, bedarf es zunächst einer Untersuchung der „Zigeunerpolitik“ in den Jahrzehnten vor 1933. Wie sah die Lage der Sinti und Roma in Bezug auf ihre Integration in Baden und Württemberg vor 1933 aus? Gab es gewisse Kontinuitäten nach 1933? Wie präsentierte sich der Nationalsozialismus auf lokaler Ebene und wer waren die Funktionsträger in der Verfolgung der badischen und württembergischen Sinti und Roma? Dies sind die Fragen, auf die das vorliegende Referat eine Antwort zu geben versucht. Die Verfolgung der Sinti und Roma im deutschen Reich ist gut dokumentiert. 3 Leider fehlt es noch an Arbeiten mit regionalem Bezug. Über die Verfolgung der Sinti und Roma in Baden und Württemberg gibt es so gut wie keine explizite Literatur. Sowohl Literatur wie Dokumente sind außerordentlich ungünstig.
Sinti- und Roma-Aktivist Romani Rose
„Wir haben einen neuen Nationalismus in Deutschland“
Archiv
Romani Rose war 1982 einer der Gründer des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Im Dlf erklärt Rose, warum seine Eltern nach dem Holocaust in Deutschland blieben, was ihn zum Aktivisten machte und warum der Begriff „Rasse“ nicht im Grundgesetz stehen sollte.
Romani Rose im Gespräch mit Melanie Longerich | 27.08.2020
Der Ballast der NS-Diktatur wog schwer, als er den Kampf um Gleichberechtigung der deutschen Sinti und Roma begann: Romani Rose wurde im August 1946 in Heidelberg geboren. Da war der Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen gerade Mal ein Jahr vorbei. 500.000 Sinti und Roma waren als „Zigeuner“ verfolgt und umgebracht worden.
„Der lange Schatten von Auschwitz“, wie Romani Rose ihn nennt, lag auch schwer über seiner Familie – nur sein Vater und sein Onkel hatten den Holocaust überlebt. Ihre Erzählungen prägten Roses Kindheit – und auch ihr politisches Engagement. Doch Oskar und Vinzenz Rose fanden in der jungen Bundesrepublik kaum Gehör. Zu viele Täter saßen noch in der Verwaltung, in Gerichtssälen und in der Polizei. Die Aufarbeitung und Anerkennung des Völkermordes an den Sinti und Roma ließ lange Jahre auf sich warten, ebenso wie deren Entschädigung.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verleiht am 04.10.2017 im Schloss Bellevue in Berlin, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zum Tag der Deutschen Einheit. Foto: Wolfgang Kumm/dpa | Verwendung weltweit
Rose 2017 bei der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
Inspiriert von 68ern und US-Bürgerrechtlern
Es war Romani Rose, dem es – bewegt von der US-Bürgerrechts- und der 68er-Bewegung – gelang, dass Sinti und Roma ab den 1970er-Jahren in der deutschen Politik mehr und mehr gehört wurden. Grund waren auch die aufsehenerregenden Aktionen, die Rose und seine Mitstreiter dafür wählten.
Mit Erfolg: 1982 wurde der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma gegründet, dessen Vorsitzender Romani Rose bis heute ist. Im selben Jahr erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt den Völkermord an ihnen offiziell an. 1995 dann die Anerkennung als Minderheit selbst.
Den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung hat Rose nie aufgegeben und wurde dafür 2017 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Romani Rose hat sechs Kinder und lebt mit seiner Frau in Heidelberg.
Erschütterungen und frühe Prägungen – der Schmerz von Auschwitz
„Er hat in dem Stollen gehört, dass seine Eltern tot sind. Und da kam er raus und konnte nicht mehr laufen. Der Schmerz war für ihn unerträglich.“
Melanie Longerich: Herr Rose, wir treffen uns hier in der Heidelberger Altstadt, im Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma, ein bisschen unterhalb des Heidelberger Schlosses. Hier hat auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma seine Büros, dem Sie seit seiner Gründung im Jahr 1982 vorstehen. Ihre Mitarbeiter haben für uns hier den großen Saal geöffnet, wo wir uns nun coronabedingt mit reichlich Abstand unterhalten. Ihnen wird immer wieder Beharrlichkeit bescheinigt, wenn es darum geht zu beschreiben, was Sie in mehr als 40 Jahren für die Sinti und Roma in Deutschland erreicht haben. Da muss man schon kämpfen, Sie mussten auch oft unbequem sein und auch mal nerven. Das alles ist wohl Beharrlichkeit – oder wie würden Sie sich selbst charakterisieren?
Romani Rose: Ich würde die Arbeit und die Auseinandersetzung, die wir geführt haben und auch noch führen müssen, als konsequent bezeichnen. Es ging immer um die gleichberechtigte Teilhabe unserer Minderheit in der Gesellschaft, es ging also nicht um irgendwelche Sonderrechte, sondern wir haben uns an der Zielführung unserer Verfassung orientiert, ganz besonders nach Artikel 3.
Longerich: Der die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert und Diskriminierung verbieten soll.
Rose: Der über viele Jahrzehnte für die Behörden der Bundesrepublik und auch für die Sicherheitsbehörden oftmals nicht bewusst war, dass der Anspruch für alle Menschen gilt.
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, im Dezember 2014.
„Es geht um Verantwortung für Demokratie und Rechtsstaat“
Romani Rose hat der AfD vorgeworfen, ein verzerrtes Geschichtsbild in die Gesellschaft zu tragen. Äußerungen wie die des thüringischen Fraktionsvorsitzenden Höcke seien Nationalismus, kein Patriotismus. Dem müsse man klar entgegentreten.
10 bis 12 Millionen Sinti und Roma in Europa
Longerich: Sie wurden in Heidelberg geboren, am 20. August 1946, und Ihr Vater Oskar und Ihr Onkel Vinzenz, die Sie beide sehr geprägt haben, so liest man, waren Sinti. Sie sind Sinto. Sinti und Roma, das wird heute schnell als eine Bezeichnung heruntergerattert, dabei sind Sie äußerst heterogen, mit den unterschiedlichsten Wurzeln und einer extremen gesellschaftlichen Schichtung auch. Es gibt extreme Armut, aber es gibt eben auch eine breite Mittelschicht. Können Sie zu Beginn einmal kurz erklären, wer die Sinti und Roma in Deutschland überhaupt sind?
Rose: Die Armut ist nicht ein Merkmal unserer Minderheit. Man muss unterscheiden zwischen West- und Osteuropa. In Osteuropa gibt es eine Armut, aber das ist eine grundsätzliche Armut, die viele Menschen trifft, ohne Angehörige dieser Minderheit zu sein. Die Zahl der Minderheit ist gerade eben in Osteuropa sehr groß – die EU spricht von 10 bis 12 Millionen Menschen in Europa –, davon dürfte der überwiegende Teil in Osteuropa leben. In Deutschland ist nach unserer Einschätzung die Zahl nicht sehr groß, sie wird von uns selbst auf 50- bis 60-, 70.000 geschätzt – der deutschen Sinti und Roma.
Longerich: Aber es gibt ja die Sinti, die seit 600 Jahren hier sind, dann kamen noch mal Roma im 19. Jahrhundert. Dann ging es weiter mit Einwanderungsfamilien in den 70er-Jahren und dann noch mal aus dem Kosovo 1989.
Rose: Ich muss dem hinzufügen, dass natürlich unsere Minderheit seit über 600 Jahren ihre Wurzeln hier in Deutschland hat und dass bereits im 19. Jahrhundert, im frühen 19. Jahrhundert, Roma aus Osteuropa nach Deutschland in den deutschsprachigen Raum eingewandert sind. Auch nach dem Krieg in der Ära des Kommunismus, des Stalinismus in Osteuropa, gab es Zuwanderung, die zwischenzeitlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Man muss natürlich auch die Situation von daher zur Kenntnis nehmen, dass mit der Zielführung der Europäischen Union und der Freizügigkeit auch sehr viele Roma aus den osteuropäischen Ländern nach Westeuropa eingewandert sind beziehungsweise hier Jobs haben, hier arbeiten gehen in der unterschiedlichsten Form.
Rose und das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg haben immer wieder auch mit Ausstellungen auf den Völkermord an Sinti und Roma hingewiesen
Rose und das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg haben immer wieder auch mit Ausstellungen auf den Völkermord an Sinti und Roma hingewiesen (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
13 Familienmitglieder in KZs ermordet
Longerich: Im Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma als „Zigeuner“ verfolgt und ausgegrenzt, legitimiert durch den sogenannten Auschwitz-Erlass von 1942 vom SS-Chef Heinrich Himmler. Ihr Vater Oskar und Ihr Onkel Vinzenz überlebten, auch weil Ihr Vater sehr mutig war.
Rose: Zunächst muss man sagen, dass die Ausgrenzung natürlich durch Diskriminierung und Rassismus schon immer Gegenstand gegenüber unserer Minderheit war, durch die Gesellschaft und vor allen Dingen eben durch die Bürokratie, dass sich das natürlich alles verschärft hat mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Die Nürnberger Rassegesetze haben uns die Stadtbürgerschaft genommen, genauso wie den Juden auch. Sie haben uns die Rechte als deutsche Staatsbürger genommen. Sinti und Roma wurden diffamiert, kriminalisiert, ausgegrenzt und wie die Juden später in die Vernichtungslager und in die Gettos des Ostens deportiert.
Longerich: Auch Ihre Großeltern wurden deportiert.
Rose: Die Situation meiner Familie stellte sich so dar, dass 13 Personen meiner Familie in den verschiedenen Konzentrationslagern ermordet worden sind, darunter meine Großeltern. Mein Großvater ist in Auschwitz ermordet worden, meine Großmutter ist nochmals auf einen Transport gekommen. Sie kam in Ravensbrück ums Leben, eine Tante von mir in Bergen-Belsen, also insgesamt 13 Personen. Diese Erfahrung hat natürlich sehr geprägt. Wenn man 600 Jahre in einem Land lebt, dieses Land als seine Heimat wahrnimmt und dann plötzlich rechtlos gemacht wird, deportiert und der Vernichtung preisgegeben wird, dann ist das eine Erfahrung. Mein Vater, aber ebenso mein Onkel haben überlebt. Mein Vater war in keinem Konzentrationslager, er musste sich überall verstecken, auch außerhalb Deutschlands. Er verfügte über Papiere wie KdF, Kraft durch Freude, gab sich als eine Schauspieltruppe aus, die die Wehrmacht an der Ostfront betreut.
Sinti und Roma osteuropäischer Herkunft in Duisburg | imago stock&people
Sinti und Roma in Deutschland – Zwischen Integration und Abschiebung
Roma und Sinti sind seit Jahrhunderten in Deutschland beheimatet, dennoch werden sie von vielen Mitbürgern abgelehnt. Verschärft wird ihre Situation durch die neue Zuwanderung und den Status ihrer Herkunftsstaaten als „sicher“. Dies spotte jeder Beschreibung, kritisieren Interessenvertreter.
Waghalsige Befreiung des Onkels aus dem KZ
Longerich: KdF, Kraft durch Freude, das ist eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront, kurz DAF, und die waren für die Freizeitgestaltung zuständig, alles im Sinne natürlich des NS-Regimes.
Rose: Die machten auch dann Heimaturlaub, also in Anführungszeichen, mieteten dort einen Saal an und sagten, sie machen in drei Wochen eine Aufführung auch hier an der Heimatfront. Es war ihnen dabei wichtig, Bezugsscheine und Lebensmittelscheine zu bekommen, um damit eben auch die Angehörigen, die bereits im Konzentrations- oder in Vernichtungslager waren, mit Paketen zu versorgen. Das war eine sehr gefährliche Angelegenheit in der damaligen Zeit, eben auf die Behörden zu gehen, aber er konnte das eben mit einem sehr sicheren Auftreten machen.
Longerich: Genau mit diesem Auftreten hat dann Ihr Vater auch seinen Bruder oder Ihren Onkel Vinzenz gerettet.
Rose: Mein Onkel war in Auschwitz gewesen, kam dann in das Konzentrationslager Natzweiler in Frankreich, von dort aus ist er danach nach Neckarelz gekommen – Neckarelz ist nicht sehr weit weg von Heidelberg. Dort mussten Häftlinge in einem tiefen Stollen Teile bauen für die Flugzeugindustrie, und mein Vater hat darüber erfahren, dass mein Onkel ganz in der Nähe war. Es war für ihn ein großes Anliegen, meinem Onkel zur Flucht zu verhelfen. Das geschah dadurch, dass er mit einer Frau zusammen dieses Konzentrationslager über einen längeren Zeitraum beobachtete, dort Fahrzeuge einfahren sah und Fahrzeuge rausfahren sah, also Lastwagen, und dabei ist ihm ein Fahrer aufgefallen, der auch in einem Lokal dort in der Umgebung zum Essen ging. An diesen Mann, das war ein Pole gewesen, an den machte man sich heran, gab ihm Bezugsscheine – das war in der damaligen Zeit sehr, sehr wichtig, Lebensmittelkarten und Geld – unter der Voraussetzung, dass er behilflich sei, den Vinzenz Rose dort aus diesem Lager zur Flucht zu verhelfen. Dieser Mann erklärte sich bereit, und man bereitete dann die Flucht vor. Dazu musste mein Vater in das Lager selbst gehen, also nach Neckarelz. Er sprach dort mit dem Kommandanten, und zwar dahingehend, dass er dem Kommandanten sagte, dass er einem Kameraden an der Front versprochen hat, den Vinzenz Rose zu besuchen und er ihm persönliche Grüße ausrichten wolle. Der Kommandant wollte ihm das verweigern, darauf hat mein Vater ihm deutlich gemacht, dass er demnächst ein Gespräch mit Goebbels in Berlin habe und er sich eben da direkt dann in Berlin beschwere.
Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, spricht ein Grußwort am 17.02.2016 im Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Baden-Württemberg) bei der Eröffnung des Symposiums zur weiteren Aufarbeitung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts. Foto: Christoph Schmidt/dpa |
Roses Eltern wollten nach dem Krieg auswandern – entschieden sich aber trotz der erlebten Schrecken fürs Bleiben in der Heimat (picture alliance / dpa / Christoph Schmidt)
„Man sagt, Glaube kann Berge versetzen, bei ihm war es der Fall“
Longerich: In dieser Situation muss er doch eine unglaubliche Angst gehabt haben, mit dieser Geschichte aufzufliegen.
Rose: Meine Mutter hat immer erzählt, dass mein Vater sehr überzeugend auf der Grundlage der Kraft seines Glaubens – er war dem christlichen Glauben, der Kirche sehr verbunden. Man sagt ja, Glaube kann Berge versetzen, bei ihm war es wirklich der Fall. Also wenn jemand zum Kommandanten geht und gegenüber dem Kommandanten eines Konzentrationslagers so auftritt, dass er es zugelassen hat, dass er runterging in den Stollen und dort mit seinem Bruder sprechen konnte. Der hat in dem Stollen gehört, dass seine Eltern tot sind. Und da kam er raus und konnte nicht mehr laufen. Das hat meine Mutter erzählt, sie hat gesagt, der hat sich die Haare rausgerissen. Der Schmerz war für ihn unerträglich. Mein Onkel hat mir das sehr eindringlich erzählt: Er ist also unter diesem Sitz reingesprungen, der Sitz wurde zugeklappt, der Fahrer wollte das Auto anlassen, und wie es immer so dann passiert, das Auto ist nicht gleich angesprungen, er musste ein paar Mal starten. Der Mann fuhr diese Bogen hoch, und mein Onkel hat gesagt, der war sehr, sehr schwer, und er war ja sehr abgemagert, und das hat ihm alles große Schmerzen bereitet, aber er kam an den Schlagbaum. Und da hat die SS hinten in das Fahrzeug reingeguckt, und dann haben sie ihn durchgewunken. Da hat er gewusst, jetzt ist er in Sicherheit.
Longerich: Ihr Vater hatte da in Heidelberg schon ein Versteck organisiert, und zwar bei einer Frau ein Zimmer angemietet, und hatte ihr erzählt, dass er in Heidelberg Wehrmachtstheater mit Musik macht.
Rose: Zunächst war er erst mal ganz alleine da gewesen, weil es musste erst mal abgesichert werden, die Person musste natürlich auch ein Stückchen weit menschlich überprüft werden. Als sich das dann auch so herausstellte, ist mein Onkel dort dann untergetaucht.
Longerich: Diese Person, die Ihr Vater menschlich überprüfen wollte, wurde später Ihre Mutter.
Rose: Es hat sich mit der Zeit eine Beziehung entwickelt, Ende 43.
Ablehnung und Anpassung – Kindheit in der frühen Bundesrepublik
„Und er ist vom Fahrrad so runtergesprungen, auf mich drauf, und hat gesagt: Ihr Zigeuner, was erlaubt ihr euch.“
Longerich: Wie kann man mit diesen ganzen Erfahrungen, die man da gemacht hat, nach dem Krieg hier eine Familie gründen? Da muss doch jeder Nachbar verdächtig sein, ein Täter zu sein, ein Mitläufer.
Rose: Wissen Sie, auch meine Eltern haben daran gedacht, auszuwandern nach dem Krieg, wir haben Vorbereitungen getroffen – aber Heimat ist immer das, wo man die Sprache spricht, das hat mein Vater immer gesagt. Die Bundesrepublik war nach 1945 nicht gleich ein Rechtsstaat. Sie haben sich eine rechtsstaatliche Verfassung gegeben, aber die Täter waren die Nachbarn, möchte ich mal so sagen, und sie waren vor allen Dingen eben auch mit Billigung der Alliierten wieder in der Bürokratie. Man wusste das, und ich meine, es gab und gibt – und das ist symbolisch für die Nachkriegszeit – das Verhalten von dem damaligen Bundeskanzler Adenauer, nämlich mit seinem Staatssekretär Globke, der mit zuständig war für die Nürnberger Rassegesetze.
Longerich: Hans Globke, zum Verständnis, Hans Globke war Chef des Bundeskanzleramts.
Rose: Deutlicher kann man die damalige Situation nicht beschreiben, aber die Bundesrepublik musste alles tun, damit sie wieder nach diesen barbarischen Verbrechen wieder in die internationale Staatengemeinschaft aufgenommen wird. Das war ihr Bemühen. Und die Shoah, die Ermordung der sechs Millionen Juden, ist sehr schnell anerkannt worden, bereits 1949 mit der Gründung der Bundesrepublik. Der Holocaust an den 500.000 Sinti und Roma war nie Gegenstand von irgendwelchen politischen Notwendigkeiten.
Zur Erinnerung an die mehr als 500.000 Sinti unter den Opfern des Nationalsozialismus legten Abgesandte von Organisationen der Sinti, die zum Teil in KZ-Kleidung erschienen waren, am Karfreitag, den 04.04.1980, im ehemaligen Konzentrationslager Dachau Kränze
Gejagt, entwurzelt, rassistisch erfasst – Sinti und Roma in Deutschland
Erst 1982 erkannte die Bundesrepublik offiziell den nationalsozialistischen Massenmord an den Sinti und Roma an. Dieser Schritt musste erkämpft werden von einer kleinen, politisch aktiven Gruppe: Der Sinti und Roma-Bürgerrechtsbewegung.
„Meine Eltern wollten uns nicht mit ihrer Erfahrung belasten“
Longerich: Genau dafür stand ja dann Ihr Vater Oskar und Ihr Onkel Vinzenz ein. Die sind schon sehr früh politisch aktiv geworden. Wie war das für Sie als Kind, wie war die Stimmung bei Ihnen zu Hause?
Rose: Wissen Sie, meine Eltern waren, nachdem die Entscheidung getroffen worden ist, dass wir hier unsere Existenz und unsere Zukunft und die Zukunft von Kindern, also wie ich und mein Bruder, wieder aufbauen wollten, wollten meine Eltern uns nicht mit ihrer Erfahrung belasten, das heißt, die Gespräche wurden bewusst vermieden. Natürlich war das nicht immer so möglich. Man hat das eine oder das andere aufgeschnappt, und ich war sehr daran interessiert, weil ich das Ganze in meinem Kindesalter natürlich als ein Abenteuer aufgefasst hatte und mir eigentlich die Schrecken, die unserer Familie zugefügt worden sind, eigentlich im Kindesalter gar nicht so begriffen habe.
Longerich: Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Ihr Vater sehr damit gehadert hat, seine Eltern nicht gerettet zu haben. Wie haben Sie das erlebt, diese Stimmung?
Rose: Das war für mich sehr prägend. Mein Vater war für mich immer eine starke Persönlichkeit.
Longerich: Ihr Opa war schon Kinobesitzer, Ihr Vater dann auch. Ihre Familie hat ja alle gängigen Klischees, die es damals ja schon so wie heute über Sinti gibt, über Roma gibt, gebrochen. Sie waren praktizierende Katholiken, Sie waren Mittelschicht, Sie waren in der Schule. Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie Sinto sind?
Rose: Ja, eigentlich schon mit dem Beginn in der Schule, wo die Eltern uns darauf hingewiesen haben, dass wir das nicht sagen sollten. Natürlich waren wir als Kinder stolz, zwei Sprachen auch zu sprechen. Ich spreche ja auch Romanes. Und das war für mich als Kind natürlich nicht verständlich. Sie müssen das unter diesem Aspekt sehen, dass ich in der damaligen Zeit, in meiner Kindheit, zum Beispiel in Neureuth, als meine Eltern das Kino hatten und ich das Privileg hatte, auch andere Freunde von mir einladen zu können, dass ich das nicht nachvollziehen konnte und das natürlich auch gesagt habe dann. Das war die Zeit so um 1953/54, es war doch eine schöne Kindheit. Wir spielten mit anderen Jungs – es gab mal einen Vorfall, der erschreckend war…
Rev. Jesse Jackson, right, and the head of Germany's Central Council of Sinti and Roma, Romani Rose visit the former Nazi death camp of Auschwitz-Birkenau in Oswiecim, Poland on Friday, Aug. 2, 2019. Rev. Jesse Jackson gathered Friday {var DanaWithTmpArray = new Array();(DanaWithTmpArray[0] = ith }survivors at the former Nazi death camp of Auschwitz-Birkenau to commemorate an often forgotten genocide ? that of the Roma people. In addition to the 6 million Jews killed in camps such as Auschwitz, the Nazis killed other minorities during World War II, including between 250,000 and 500,000 Roma and Sinti. (AP Photo/Czarek Sokolowski) |
Romani Rose mit Jesse Jackson. Deutsche Sinti- und Roma-Aktivisten fanden Inspiration in der US-Bürgerrechtsbewegung. (picture alliance / AP / Czarek Sokolowski)
Erschreckendes Urteil des Bundesgerichtshofs 1956
Longerich: Was war da genau?
Rose: Das war auch die Zeit, als die Flüchtlinge gekommen sind, die Deutschstämmigen aus dem Ex-Jugoslawien oder aus Rumänien – Rumäniendeutsche, Ungarndeutsche. Da gab es einen Jungen, der hieß Franz. Mutter war eine arme Frau, die musste Wäsche waschen, und dafür hat sie dann irgendwelche Lebensmittel und so weiter bekommen. Der Junge ist oft gehänselt worden, und einmal haben ihn zwei andere Freunde geschlagen, und ich hab das nicht zugelassen und hab dem einen davon auf die Nase oder auf die Lippe geboxt. Dann kam sein Vater auf einem Fahrrad, und er ist vom Fahrrad – das war für mich so etwas Erschreckendes –, vom Fahrrad so runtergesprungen, auf mich drauf. Ich bin zu Fall gekommen und lag dann – ich meine, ich war acht Jahre alt –, und hat gesagt: Ihr Zigeuner, was erlaubt ihr euch. Das war für mich erschreckend. Ich hab das nicht meinem Vater gesagt. Verstehen Sie, ich war in diesen Fragen schon damals sehr sensibel gewesen.
Longerich: Zwei Jahre später, Sie haben gerade erzählt von der Zeit, wo Sie acht Jahre alt waren, aber mit zehn, da fällte der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil, das sogenannte Zigeuner-Urteil. Es ging darum, dass begründet werden sollte, warum verfolgte Sinti und Roma nicht entschädigt werden sollten, und das Zitat heißt: „Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.“
Rose: Ja. Ich weiß nicht, ob der Wortlaut jetzt im Einzelnen so bekannt war, aber die Praxis war die Erfahrung, dass Entschädigungsansprüche von Angehörigen der Minderheit abgelehnt worden sind mit der Begründung, dass sie nicht aus rassischen Gründen, sondern aus kriminalpräventiven Gründen in die Konzentrationslager eingewiesen worden sind. Meine Eltern haben schon sehr früh Entschädigungen erhalten, nämlich, weil sie wollten ja – das war der ursprüngliche Vorsatz – Deutschland nach diesen Erfahrungen verlassen. Sie haben ihre Entschädigung Anfang der 50er-Jahre bereits erhalten, weil sie eben mit diesem Wissen, mit dieser Erfahrung auch gegenüber den Behörden aufgetreten sind, und die Behörden wussten, hier stoßen sie auf gewaltigen Widerstand, der ihre doppelte Moral und ihren nazistischen Geist in die Öffentlichkeit tragen könnte.
Der Holocaust-Überlebende Zoni Weisz steht neben einer Flagge der UNO
Das Leben des Sinto Zoni Weisz – „Ich bin ein Blumenkind“
Als siebenjähriger Junge entkam der niederländische Sinto Zoni Weisz der Deportation. Seine Eltern und Geschwister wurden in Konzentrationslagern ermordet. In unserer Reportage erinnert er sich an die „Zigeuner-Razzia“, den Verlust der Familie und seinen persönlichen Kampf gegen das Vergessen.
„Sinti und Roma hatten keine Lobby“
Longerich: Aber es gab auch unterschiedliche Behördenleiter – die einen waren härter, die anderen haben…
Rose: Nein – ja, gut, Sie müssen wissen, nach 1945 gab's noch kein richtiges Recht. Da hatten Sie Glück – wenn Sie natürlich als Vertreter einer jüdischen Organisation aufgetreten sind, hatten Sie bessere Voraussetzungen, als wenn Sie angetreten sind als ein Angehöriger dieser Minderheit. Das Unrecht war nicht anerkannt…
Longerich: Also Sie hatten keine Lobby.
Rose: Sinti und Roma hatten keine Lobby. Der Holocaust wurde erst 1982 anerkannt, und das war ja eine wesentliche Voraussetzung. Mit der Bürgerrechtsarbeit hat sich natürlich die Denkungsweise und das Verhalten der Bürokratie geändert. Die Behörden der Landesentschädigungsbehörden haben hinterher auch andere Urteile gefällt und andere Entscheidungen getroffen und damalige Fehl- und rassistische, diskriminierende Entscheidungen widerrufen und positiv entschieden, aber in der damaligen Zeit, in den 50er- bis Anfang der 60er-, 70er-Jahre war das für viele Angehörige gewissermaßen nicht möglich, da Recht zu erlangen.
Identität und Aktion – der Kampf um Bürgerrechte
„Einer kam dann auf die Idee und sagte, warum gehen wir nicht dahin, wo der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte war, nämlich in ein Konzentrationslager.“
Longerich: 1968 starb Ihr Vater Oskar, da waren Sie 22 Jahre alt, in einer Zeit also, wo junge Menschen gegen ihre autoritären Eltern aufbegehrten und wo sich auch gesellschaftliche Werte veränderten. War da für Sie klar, dass Sie in seine Fußstapfen treten wollen? Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt waren Sie ja Antiquitätenhändler.
Rose: Ich hab das nie zielbewusst gemacht, und ich hab auch nie die Vorstellung gehabt, eines Tages eine Funktion für die Minderheit hier in Deutschland zu übernehmen. Ich war ein politischer Mensch, ich hab mich sehr für die Entwicklung in der Bundesrepublik interessiert. Die 68er waren für mich oder für unsere Gesellschaft insgesamt eine wichtige Voraussetzung zur Demokratisierung, zur historischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen gewesen. Wissen Sie, ich war als junger Mensch immer auf der Suche auch nach einer Identität. Der Nationalsozialismus hat die Identität auch der Nachkriegsgeneration beschädigt. Das ging ja nicht nur den Überlebenden des Holocaust so, sondern das ging vielen so, die nach Frankreich oder in andere Länder West- oder Osteuropas gegangen sind – sie haben sich geschämt, weil sie mit dieser Geschichte konfrontiert worden sind. Auf der Suche nach Identität war für mich wichtig die Auseinandersetzung mit der Entwicklung unseres Staates und vor allen Dingen mit der Bewusstseinsbildung, den demokratischen Rechtsstaat zu stärken und die Verfassung zu verteidigen beziehungsweise die Verfassung als Identitätsmerkmal für eine neue Wahrnehmung meiner Situation in Deutschland zu entwickeln. Die Würde des Menschen ist unantastbar, Artikel 1. Artikel 3: Niemand darf wegen seiner Religion, seiner Hautfarbe, seiner Sprache und so weiter, und so weiter…
Longerich: Die möchten Sie auch gerade gerne verändern. Es gibt eine politische Diskussion um den Rassenbegriff…
Rose: Ja, ich habe mich auch dafür engagiert, weil der Begriff Rasse kein Begriff ist, den man in einer demokratischen Verfassung verwenden sollte. Es gibt keine Menschenrassen. Es gibt die verschiedenen Ethnien, es gibt die verschiedenen Nationalitäten und Volksgruppen, aber es gibt keine Rassen, und deswegen wende ich mich gegen diesen Begriff. Aber damit stehe ich ja nicht alleine.
Der Gesetzestext des Artikels 3 des Grundgesetzes mit dem Wort "Rasse" befindet sich auf einer Glasscheibe am Jakob-Kaiser-Haus in Berlin-Mitte, aufgenommen am 20.01.2016. Bei den insgesamt 19 gravierten Glasplatten am Parlamentsgebäude an der Spreepromenade handelt es sich um das Werk "Grundgesetz 49" des Künstlers Dani Karavan. Foto: S. Steinach - ACHTUNG! KEINE BILDFUNKVERWENDUNG - | Verwendung weltweit
Der Begriff Rasse „ist kontraproduktiv“
Das Wort „Rasse“ gehöre nicht ins Grundgesetz, sagt Susan Arndt. „Ich kann nicht sagen, es gibt Rassen, und gleichzeitig sagen, es soll keinen Rassismus geben“, meint die Mitherausgeberin des Buchs „Wie Rassismus aus Wörtern spricht“.
Gründung des Verbands Deutscher Sinti
Longerich: 1972 gründeten Sie mit Ihrem Onkel Vinzenz den Verband Deutscher Sinti, und ein Jahr später gilt als eine Art Initialzündung für den Kampf um Gleichberechtigung. Da wurde nämlich in Heidelberg bei einer Polizeirazzia der Sinto Anton Lehmann erschossen. Sie waren da 27 Jahre alt und initiierten daraufhin einen ersten Schweigemarsch. Mit Ihnen wurde der Protest auf einmal sichtbar, nämlich auf einem Campingplatz bei Aschaffenburg besprühten Sie ein Landfahrer-Verbotsschild mit schwarzer Farbe. Können Sie mal erklären, was da alles für Sie zusammenkam?
Rose: Diese Vorkommnisse gab es ja auch an anderen Orten, und wir sahen die Grundlage eben in der fortgesetzten Kriminalisierung unserer Minderheit in den Organen selbst, in den Schulungen der Polizei. Die Behörden gingen so weit, dass sie sogar die alten Stammbäume weiterverwendet hatten, die die Nazis angelegt hatten, oder die Dateien der Nazis aus dem Reichssicherheitshauptamt wurden ergänzt auf der Grundlage der Nachkriegsgeneration.
Longerich: In Bayern gab es da diese sogenannte Landfahrerzentrale.
Rose: Es gab in München zum Beispiel eine Behörde, die bis 1951 sogar unter der alten NS-Bezeichnung tätig war – „Zigeunerpolizei“, bis 1951 –, dann zur Tarnung in Landfahrerzentrale umbenannt worden ist. Es gab eine sogenannte Landfahrerverordnung, die eine Grundlage war für den einzelnen Beamten gewissermaßen vor Ort, wie er diesen Begriff zu verstehen hat. Das heißt also, wenn Angehörige der Minderheit auf einen Campingplatz wollten und Sie als Angehöriger der Minderheit erkennbar waren, dann sollten Sie erfasst werden, und dies bezog sich natürlich dann auf die gesamte Familie. Das heißt, die Beamten gingen so weit, dass sie damals auch bei den älteren Leuten sich den Arm zeigen ließen, auf dem die eintätowierte Auschwitz-Nummer registriert war, und das glichen sie dann mit den Unterlagen des Reichssicherheitshauptamtes in den 50er-, 60er- bis in die 70er-Jahre ab. Also das ist wirklich unfassbar und ein beschämender Vorgang, der die Unsensibilität und die nicht vorhandene Bewusstseinsbildung hatte, dass hier ein Verbrechen geschehen ist, für das es eine Verantwortung gibt.
Demonstration vor dem Bundeskriminalamt im Januar 1983.
Sinti- und Roma-Bürgerrechtsbewegung – Langer Kampf gegen Verfolgung
Erst 1982 erkannte die Bundesrepublik offiziell den nationalsozialistischen Massenmord an den Sinti und Roma an. Dieser Schritt musste erkämpft werden von einer kleinen, politisch aktiven Gruppe: der Sinti und Roma-Bürgerrechtsbewegung.
Hungerstreik 1980 gegen „fortgesetzte Kriminalisierung“
Longerich: Deshalb organisierten Sie mit anderen jungen Bürgerrechtlern und auch Überlebenden der Konzentrationslager Ostern 1980 einen Hungerstreik.
Rose: In Dachau, an dem zwölf Personen teilgenommen haben, fünf davon waren Überlebende der Konzentrationslager. Da war jemand dabei, der war in Auschwitz, jemand war selbst in Dachau, in Buchenwald, und sieben Nachkriegsgeborene. Die Forderungen waren ganz klar: Der Völkermord war noch nicht anerkannt. Wir wollten mit diesem Hungerstreik auf das Nachkriegsunrecht hinweisen. Wir wollten hinweisen auf die Sondererfassung durch Polizeibehörden auf der Grundlage der Abstammung und auf die fortgesetzte Kriminalisierung, auf die Polizeikontrollen, die in einem Ausmaß durchgeführt worden sind, das bei Kindern vor allen Dingen. Wenn schwer bewaffnete Polizeibeamte damals Menschen umstellt hatten, die mit einem Wohnwagen unterwegs waren, mit Maschinenpistolen und Schäferhunden, dann war das ein Vorgang, den man nicht mehr vergisst. Das waren die Nachkriegsspuren, wie wir in der Nachkriegszeit großgeworden sind.
Longerich: Sie haben dann da Ihre Pritschen in der Kirche aufgebaut, und zunächst einmal – das war ja 1980 – war Franz Josef Strauß bayerischer Ministerpräsident, und die bayrische Verwaltung lehnte ja Ihre Aktionen erst mal und berief sich auf ihr Hausrecht.
Rose: Ja, wir hatten den Hungerstreik natürlich vorbereitet, und die Überlegungen waren, in eine Kirche zu gehen. Einer aus der Minderheit kam dann auf die Idee und sagte, warum gehen wir nicht dahin, wo der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte war, nämlich in ein Konzentrationslager. Da war naheliegend natürlich Dachau. Das haben wir der zuständigen Behörde mitgeteilt, das war in dem Fall die Schlösser- und Seenverwaltung in Bayern, die auch gleichzeitig die Konzentrationslager in ihrer Verwaltung hatten. Als ich ihnen mitgeteilt habe, dass wir dort einen Hungerstreik machen wollten, wurde mir mitgeteilt, dass sie das untersagen. Daraufhin habe ich einen Brief hingeschrieben, dass für die Konzentrationslager das Hausrecht bei den Überlebenden des Holocaust liegt, und genau das werden wir jetzt in Anspruch nehmen. Wir sind nach Dachau gegangen, die evangelische Kirche hat die Räumlichkeiten geöffnet, und die damalige Leiterin der Gedenkstätte Dachau hat uns damals sehr unterstützt.
1980 machten Rose und Mitstreiter Schlagzeilen durch einen einwöchigen Hungerstreik auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau
1980 machten Rose und Mitstreiter Schlagzeilen durch einen einwöchigen Hungerstreik auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau (picture alliance / dpa / Frank Leonhardt)
Longerich: Es dauerte ja sieben Tage.
Rose: Ja, ich kann mich daran erinnern. Was mich auch sehr beeindruckt hat, waren die Überlebenden, diese Leute erzählten dann. Zum Beispiel ein Herr Bamberger war dabei, der war selbst in Dachau gewesen, und mit dem wurden medizinische Versuche – der musste über einen längeren Zeitraum Meerwasser trinken. Das war im Interesse der Luftwaffe, dass wenn jemand abstürzt, wie lange er überleben kann. Was mich bestärkt hat, war das Bewusstsein gerade dieser Generation, die gesagt hat, wir haben das alles mitgemacht, und wir haben uns entschieden, in diesem Land zu bleiben, und wir wollten, dass unsere Kinder und unsere Enkelkinder die Sicherheit haben, und deswegen wollen wir uns an der Demokratisierung und an der historischen Aufarbeitung beteiligen. Wir wollen das nicht zulassen, dass dieses Kapitel des Verbrechens in der deutschen Öffentlichkeit überhaupt nicht bewusst ist.
Longerich: Sie haben ja ein internationales Medienecho bekommen, wahnsinnig viel Solidarität auch.
Rose: Selbst die „New York Times“ hat darüber damals berichtet. Es gab auch die Rückmeldungen aus der Bevölkerung heraus, was ja ganz besonders erfreulich war, von vielen jungen, aber auch bekannten Persönlichkeiten, die sich hier solidarisch an die Seite unserer Minderheit gestellt haben. Hans-Jochen Vogel ist nach Dachau als Justizminister gekommen, um das als Beispiel anzuführen. Wir haben ja dann auch die Verhandlungen geführt, und in unseren Forderungen an die bayrische Staatsregierung ging es ja eben auch darum, wir wollten den Verbleib der NS-Akten, wir wollten das Wissen über die Nachkriegs-angelegten Akten erfahren, und wir wollten die Versicherung, dass damit dieses Kapitel der Sondererfassung, der Kriminalisierung, der Hetze gegenüber unserer Minderheit innerhalb der Bürokratie ein Ende findet, aber darüber hinaus – Hans-Jochen Vogel kam ja als Bundesjustizminister –, darüber hinaus eben die Anerkennung des Holocaust.
Späte Würdigung von NS-Opfern
2012 wurde nach 20 Jahren Diskussion und Planung das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin eingeweiht. Zuvor hatte es lange Debatten um die Notwendigkeit eines Mahnmals für Sinti und Roma, den Standort und sogar um die Inschrift gegeben.
Überdauernde Vorurteilen und neues Selbstbewusstsein – der Kampf geht weiter
„Große Hoffnung hab ich gerade in die jüngere Generation, die nicht mehr Diskriminierung als schicksalsgegeben akzeptiert.“
Longerich: Aber doch ganz scheint das ja bis heute nicht gelungen zu sein, wenn man daran denkt, dass Sie vor einiger Zeit noch die Berliner Polizei kritisiert haben, dass in der Kriminalstatistik von 2017 immer noch Sinti und Roma ausgewiesen werden. Jetzt ist die Diskussion über Racial Profiling und dass Bundesinnenminister Horst Seehofer dazu keine Studie möchte. Wie denken Sie darüber?
Rose: Wissen Sie, Sie sprechen ja damit ein wichtiges Kapitel an, nämlich auch dahingehend, wo Briefe versandt worden sind, mit größter Wahrscheinlichkeit aus dem Polizeibereich…
Longerich: Sie meinen die rechtsextremistischen Drohschreiben an Politikerinnen und Politiker und andere Prominente, deren persönliche Daten vorher von einem hessischen Polizeicomputer abgerufen wurden.
Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende Die Linke im Bundestag
Rechte Strukturen – „Es ist dringend notwendig, ohne Scheu aufzudecken“
Die Ko-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Amira Mohamed Ali, hat sich für eine schärfere Untersuchung rechter Strukturen in Sicherheitsbehörden ausgesprochen. Im Falle der Drohschreiben des sogenannten „NSU 2.0“ seien Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nötig, sagte Mohamed Ali im Dlf.
Rose: Wissen Sie, diese Vorkommnisse, die erschrecken einen. Wenn man dann weiß, dass zum Beispiel dieses Versagen in den Ermittlungen von NSU, also wirklich augenscheinliche Fehler gemacht worden sind, dann fragt man sich wirklich, wie weit können wir uns auf unsere Sicherheitsbehörden der Polizei, des Verfassungsschutzes verlassen.
Longerich: Sie kämpfen jetzt schon seit so vielen Jahren genau dagegen an. Wird man dann irgendwann mutlos, dass man denkt, hab ich schon in den 80er-Jahren für gehungert.
Rose: Wir haben einen neuen Nationalismus in Deutschland, und den haben wir auch in anderen Ländern Europas. Ich halte diese Entwicklung für sehr gefährlich. Ich glaube, dass diese Dinge, die jetzt so ein Stückchen weit sichtbarer bewusst werden, die immer schon da gewesen sind, gefährlich für die Demokratie sind, also diese Netzwerke, dieses Agieren innerhalb der Behörden, und dass die Gesellschaft mehr begreifen muss, was auf dem Spiel steht. Ob wir das erhalten wollen, was uns über 70 Jahre inneren und äußeren Frieden gebracht hat und dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht in Granit fest verankert ist, sondern dass wir es verteidigen müssen gegen die anderen Kräfte. Es geht in der heutigen Diskussion nicht nur darum, uns an das Schicksal von Juden und Sinti und Roma zu erinnern, sondern an unsere gemeinsame Zukunft.
Polizisten kontrollieren in einem Park einen Schwarzen Mann.
Rechtsextremismus in der Polizei – Bei selbstkritischer Debatte noch „Luft nach oben“, sagt Kriminologe
Bei der Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus sieht der Kriminologe Tobias Singelnstein vor allem die Polizei selbst in der Pflicht. Eine Art Korpsgeist verhindere oft eine offene Debatte, sagte er im Dlf. Doch die sei nötig, um das Vertrauen der Bürger zu gewinnen.
Rechten Netzwerken stärker nachgehen
Longerich: Gleichzeitig muss es doch aber auch für Sie Lichtblicke geben, zum Beispiel, dass die Bundesregierung eine Expertenkommission eingerichtet hat, die bis nächstes Jahr Handlungsempfehlungen erarbeiten soll, wie man Diskriminierung von Sinti und Roma bundesweit bekämpfen kann, oder wie jetzt das neue Antidiskriminierungsgesetz in Berlin.
Rose: Das sind richtige Antworten, aber wenn wir jetzt wieder schnell dabei sind zu versuchen, über diese Erkenntnisse drüber hinwegzugehen, ich glaube, wir müssen diesen Dingen parlamentarisch und eben durch Sonderermittler stärker nachgehen, sonst werden wir in diese Netzwerke, die es gibt, nicht hineinkommen.
Longerich: Wenn wir jetzt noch mal zurückgehen: Danach folgten mehrere wichtige Erfolge, nämlich im Februar 1982 gründete sich Ihr Zentralrat, knapp einen Monat später, am 17. März, erkannte dann auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die Verbrechen des Völkermords an den Sinti und Roma an, 1995 dann die Anerkennung offiziell als Minderheit, und dann, 2012, das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor ganz prominent platziert. Ein langer Wunsch von Ihnen, aber es hat 20 Jahre gedauert, bis dieses Denkmal überhaupt eingeweiht wurde, und es gab viel Streit. Wenn wir jetzt noch mal darauf zurückblicken könnten, weil es ja ein sichtbares Zeichen auch des Gedenkens ist: Es gab Streit um den Ort, um die Inschrift, mit dem Zentralrat der Juden darum, ob die Shoah nun einmalig ist, und nun gibt es wieder Aufregung, und diesmal ist ein S-Bahn-Tunnel schuld.
Rose: Es gab bereits 2017/2018 Gespräche der Deutschen Bahn mit dem Berliner Senat und mit der Stiftung Denkmal, über die wir nicht informiert worden sind. Wir haben wohl mal von der Stiftung Denkmal die Information bekommen, dass es da Planungen gibt der S21, also vom Hauptbahnhof zum Bundestag. Aber wir haben das nicht ernst genommen, weil die Gespräche nie auch in unsere Richtung geführt worden sind oder aufgenommen worden sind, bis man uns im März etwas konkreter informiert hat und ich dann das Gespräch mit dem Vorsitzenden dieser Kommission der Deutschen Bahn geführt habe, wo man mir gesagt hat, dass man, wenn man diese Linie so führt, auch das Denkmal miteinbeziehen müsste. Daraufhin hab ich gesagt, weil das für mich ein vollkommen unfassbarer Gedanke gewesen ist, dass man da Planungen macht und mit dem Zentralrat keine Gespräche führt. Zwischenzeitlich ist klar, man hat nie die Absicht gehabt, das Denkmal ernsthaft infrage zu stellen, aber diese Baugrube, dieser Lärm hätte das Denkmal in seiner Funktion unmöglich gemacht. Das Denkmal soll erinnern, und es soll die Opfer würdigen. Der Zentralrat will sich einer Lösung natürlich nicht versperren, aber dazu muss man ins Gespräch treten und man muss erst mal sagen, wie die Planung ist und inwieweit diese Planung das Denkmal tangieren würde.
Kundgebung der Neonazi-Partei "Die Rechte" für die verurteilte und inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck am Jahrestag der Nazi-Reichpogromnacht am 9. November in Bielefeld.
Rechte Gewalt als Konstante deutscher Geschichte
Rassistisch oder nationalistisch motivierte Gewalt ist als Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte noch kaum erforscht. Auch die Geschichte von Solidarität und Gegenwehr der Opfer ist erst lückenhaft dokumentiert. Der „Zeithistorische Arbeitskreis Extreme Rechte“ versucht eine Bestandsaufnahme.
„Wir haben eine Armut in Europa“
Longerich: Was könnten Sie sich denn vorstellen, einen Kompromiss?
Rose: Wissen Sie, wir versperren uns einer Lösung nicht, wir sind Teil dieser Gesellschaft, aber wir erwarten den Respekt vor diesem Ort, und der muss berücksichtigt werden und muss eingehalten werden, und da waren die vorangegangenen Gespräche in diese Richtung überhaupt nicht erkennbar.
Longerich: Mit der politischen Wende 1989 kamen auf einmal ganz neue Herausforderungen auf Sie zu. Es galt, die wenigen sich noch bekennenden Sinti der ehemaligen DDR zu integrieren, aber vor allem auch die Roma aus dem Kosovo und Polen, die Schutz in Deutschland suchten, und mit der EU-Osterweiterung und Arbeitnehmerfreizügigkeit kamen dann viele Roma aus Bulgarien und Rumänien. Wo ist der gemeinsame Nenner von all diesen Menschen, die ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, die aus vielen verschiedenen Ländern kommen oder seit Jahrhunderten hier schon leben?
Rose: Einen gemeinsamen Nenner gibt es so nicht. Diese Leute, die kommen ja nicht her und sagen, sie sind Angehörige der Minderheit. Wenn Sie da ins Ruhrgebiet gehen, Duisburg und so weiter, da weiß ich, dass da Leute leben, die gewissermaßen tagsüber an einem Punkt stehen, und dann kommen Autos, holen sie ab und fahren zum Bau, und dann kriegen sie vier, fünf Euro Stundenlohn, den kriegen sie dann im Endeffekt noch nicht mal ausbezahlt. Damit wollen sie ihre Familien in ihren Heimatländern unterstützen. Die verbringen ihren Tag auf einer Matratze, für die sie dann noch 200 oder 300 Euro an den Vermieter bezahlen müssen, also die paar Quadratmeter, die ihnen da zur Verfügung stehen. Dies aber nur abzuhandeln unter dem Aspekt Minderheitenmigration, das halte ich für diese Situation nicht gerechtfertigt. Wir haben eine Armut in Europa. Wir ignorieren das. Der Zentralrat ist nur dann in Erscheinung getreten, wenn es darum ging, dass diese Leute dann in der Öffentlichkeit stigmatisiert worden sind und man das Ganze zu einem Minderheitenproblem hochstilisiert hat, was ein Problem Osteuropas ist.
Ein rumänisches Romakind, drei Jahre alt, zwischen Müll, dass neben einem Hund steht und versucht, seine Kekse vor ihm zu verstecken.
Antiziganismus in Rumänien
In Rumänien leben Millionen Roma. Den meisten fehlt Zugang zu Wohnung, Gesundheitssystem, Bildung oder dem regulären Arbeitsmarkt. Viele sind Tagelöhner und leben in Slums am Rand der Dörfer und Städte.
Probleme angehen, nicht Minderheiten stigmatisieren
Longerich: Sie meinen, dass die Sinti und Roma Müll verbreiten, Sozialbetrug begehen, all diese Sache, auf die es oftmals heruntergebrochen wird. Wird zu wenig über die Hintergründe diskutiert?
Rose: Bei uns begehen viele Leute Steuerbetrug, aber das sind Steuersünder. Die anderen kriminalisiert man mit einem kriminalisierenden Begriff.
Longerich: Aber mir geht es gerade um die Differenzierung. Was würden Sie sich wünschen, wie darüber geredet wird?
Rose: Dass man das Problem angeht und dieses Problem nicht an einer Minderheit festmacht, um sie damit zu stigmatisieren.
Longerich: Ist das auch einer der Gründe, warum viele Sinti und Roma in Deutschland anonym leben?
Rose: Die Vorurteile gegenüber unserer Minderheit reichen weit in die deutsche und in die europäischen Geschichte zurück, und sie sind die Grundlage für die Ausgrenzung und für die Stigmatisierung, wie sie oftmals die Angehörigen unserer Minderheit in ihrem alltäglichen Leben verspüren – bei der Arbeitssuche, bei der Wohnungssuche, in Lokalen, in Diskotheken, im allgemeinen Leben. Um dem zu entgehen, mit ihren Nachbarn leben zu können, ist es für sie wichtig, sich nicht mit ihrer Zugehörigkeit zu erkennen zu geben.
Das Bild "Back To The Future! Safe European Home" von Damian Le Bas zeigt eine Europakarte vn 1938, die der Künstler übermalt hat.
RomArchive – Sinti und Roma als Storyteller in eigener Sache
Hunderte Jahre Kulturgeschichte der Sinti und Roma mit wenigen Klicks erfahrbar machen – das digitale RomArchive bündelt Beiträge internationaler Kunst aller Gattungen – und zeigt damit auch die Sicht der Sinti und Roma auf sich selbst.
„Große Hoffnung setze ich auf die jüngere Generation“
Longerich: Gleichzeitig findet man aber gerade bei der jüngeren Generation auch ein großes Selbstbewusstsein. Da werden auch selbstbewusst T-Shirts getragen, es gibt das RomArchive, das ausgezeichnet wurde jetzt mit dem Grimme Online Award, also es scheint ja auch ein neues Selbstbewusstsein heranzuwachsen.
Rose: Große Hoffnung setze ich gerade auf die jüngere Generation, die nicht mehr Diskriminierung als schicksalsgegeben akzeptiert, sondern die sich zur Wehr setzen, die sich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen und die sich gesellschaftlich am Demokratisierungsprozess beteiligen wollen und die sich eben auch gleichzeitig mit ihrer eigenen Geschichte identifizieren und Diskriminierung und Rassismus nicht mehr akzeptieren wollen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Das Zigeunerlager Ravensburg Ummenwinkel: Die Verfolgung der oberschwäbischen Sinti Taschenbuch – 25. August 2016
Im November 1937 errichtete die Stadt Ravensburg in kommunaler Eigeninitiative ohne Rechtsgrundlage ein Zigeunerlager. Dies markierte den vorläufigen Höhepunkt einer Politik der Abschreckung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend verschärft hatte und auf die Vertreibung der Ravensburger Sinti zielte. Etwa 100 Sinti, darunter rund 60 Kinder und Jugendliche, waren im Zwangslager Ravensburg Ummenwinkel interniert. Sie waren vor dem Bau des Lagers „rassenbiologisch“ erfasst worden. Die „Gutachten“ dienten als Grundlage für die Selektion der zwangsinternierten Sinti, von denen im März 1943 rund drei Dutzend nach Auschwitz deportiert wurden. Die im Zigeunerlager verbliebenen Sinti lebten weiter unter elenden Bedingungen, mussten Zwangsarbeit leisten oder wurden in anderen Lagern interniert. Die wenigen Überlebenden kehrten 1945 in ihren Heimatort zurück. Für sie begann ein langjähriger Kampf um Anerkennung und Entschädigung.
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