Versagen der
Deutschen Nachkriegsjustiz
bei der Aufarbeitung von
Nazi-Kriegsverbrechen in Frankreich
Juristische Aufarbeitung
des Massakers von Oradour-sur-Glane
ausgehend vom Amtsgericht Mosbach
Seiteninhalt:
- NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
- sadasd
2.1 Online-Artikel zum Massaker von Oradour-sur-Glane, Frankreich
2.2 Online-Artikel zur Juristischen Aufarbeitung des Massaker von Oradour-sur-Glane
2.3 Online-Artikel zur Juristischen Aufarbeitung des Massaker von Ascq
2.4 Online-Artikel zur Juristischen Aufarbeitung des Massaker von Tulle
1. NS-Verfahren beim Amtsgericht Mosbach
****
Strafanzeigen gegen BRD-Richter wegen möglicher Strafvereitelung im Amt, Rechtsbeugung, Prozessverweigerung bei Ablehnung einer Anklageerhebung
kein Prozess in der BRD
Lüge von angeblichem Widerstand
Lüge vom Befehlsnotstand
Landgericht Köln Angeklagter anwesend, auch nach eigenen Aussagen, keine Befehlsverweigerung keine Widerstandsleistung
keine direkte Tötungsbeteiligung, keine Transportbeteiligung sondern lediglich Absperraufgaben
dann als Zeuge unmittelbar bzw. in der Nachkriegszeit nach der Tat weder angezeigt noch zur Aufklärung beigetragen
kein Nachweis konkreter aktiver Tatbeteiligung mehr nötig seit 2011 nach dem Demjanjuk-Urteil, Teil der NS-Mordmaschinerie Beisein ohne Befehlsverweigerung, keine Widerstandsleistung
keinen eigenen Beitrag zur Aufarbeitung
*****
Der rote Faden durch die deutsche politische Justiz
a) Vor 1933 deckt die deutsche politische Justiz rechtsextremistische Straftaten mit dem rechten blinden Auge und befördert die rechtsextremistische Putschversuche wie mit dem Beispiel des Hitler-Putsch-Prozesses aus 1924.
b) Zwischen 1933 und 1945 beteiligt sich die deutsche politische Justiz, abgesehen von einigen wenigen Widerstandsleistungen deutscher Juristen, an der Organisation, Aufrechterhaltung und Durchführung des Nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungsregimes sowohl im Justizapparat selbst, als auch mit Juristen in Regierung, Ministerien, Verwaltung und Militär und begeht zudem eigene NS-Verbrechen mit der Nazi-Terrorjustiz.
c) Nach 1945 beteiligt sich ein Großteil der deutschen politischen Justiz mit der politisch gewollten Untätigkeit bei der Aufklärung und Verfolgung von NS-Verbrechen, auch über die Kontinuität der Juristen als NS-Funktionseliten nach 1945. Politische Intentionen sind u.a. der politisch gewünschte Wiederaufbau in der Adenauer-Ära während der unmittelbaren Nachkriegszeit, u.a. als politisch gewünschtes Bollwerk gegen den Kommunismus im fortschreitenden Kalten Krieg, als politisch gewünschte deutsch-französisiche Aussöhnung.
2.1 Online-Artikel zum Massaker von Oradour-sur-Glane, Frankreich
Massaker von Oradour
Französische Wohltätigkeitsmarke anlässlich des 1. Jahrestages der Zerstörung von Oradour-sur-Glane (1945)
Das Massaker von Oradour am 10. Juni 1944 war ein durch die Waffen-SS verübtes Kriegsverbrechen an der Bevölkerung des französischen Dorfes Oradour-sur-Glane.
Nahezu alle Einwohner wurden dabei ermordet, es gab nur 36 Überlebende. Das Dorf wurde völlig zerstört. Es war mit 643[1] Opfern das zahlenmäßig verheerendste Massaker in Westeuropa.[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Oradour#Strafverfolgung
NS-VERBRECHEN
SS-Massaker in Oradour-sur-Glane: Letzter Überlebender tot
12. Februar 2023 | Quelle: dpa
Robert Hebras, einer der wenigen Überlebenden des Massakers von Oradour-sur-Glane im Jahr 1944, starb im Alter von 97 Jahren, wie seine Familie am mitteilte.
Der letzte Überlebende des SS-Massakers im französischen Ort Oradour-sur-Glane ist tot. Robert Hébras (97) sei am Samstagmorgen gestorben, teilte der Nationale Gedenkverein im Namen der Familie und des Bürgermeisters mit.
Am 10. Juni 1944 hatten Soldaten eines Waffen-SS-Panzerregiments das Dorf in Zentralfrankreich innerhalb weniger Stunden ausgelöscht. Frauen und Kinder sperrten sie in eine Kirche ein und zündeten diese an. Die Männer wurden erschossen. 643 Menschen kamen ums Leben. Nur wenige Einwohner konnten entkommen. Der Ort wurde zu einem Symbol für Nazi-Kriegsverbrechen im besetzten Frankreich.
In dem zerstörten Dorf nordwestlich von Limoges, dessen Ruinen erhalten blieben, wurde 1999 ein Gedenkzentrum eingerichtet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Hébras vor einem Jahr mit dem nationalen Verdienstorden ausgezeichnet. Hébras habe für die Freiheit gekämpft und die Werte Frankreichs verteidigt, sagte Macron. Außerdem habe er zum deutsch-französischen Frieden beigetragen. Der Überlebende hatte sich unter anderem für deutsch-französische Jugendbegegnungen eingesetzt.
dpa
https://www.wiwo.de/
NS-Verbrechen
SS-Massaker in Oradour-sur-Glane: Letzter Überlebender tot
dpa 12.02.2023 - 07:07 Uhr
Robert Hebras, einer der wenigen Überlebenden des Massakers von Oradour-sur-Glane im Jahr 1944, starb im Alter von 97 Jahren, wie seine Familie am mitteilte. Foto: Pascal Lachenaud/AFP/dpa
Der kleine Ort in Zentralfrankreich wurde zu einem Symbol für die Verbrechen des Nazi-Regimes im Zweiten Weltkrieg. Nur wenige entkamen dem grausigen Massaker. Der letzte Überlebende ist nun gestorben.
Oradour-sur-Glane - Der letzte Überlebende des SS-Massakers im französischen Ort Oradour-sur-Glane ist tot. Robert Hébras (97) sei am Samstagmorgen gestorben, teilte der Nationale Gedenkverein im Namen der Familie und des Bürgermeisters mit.
Am 10. Juni 1944 hatten Soldaten eines Waffen-SS-Panzerregiments das Dorf in Zentralfrankreich innerhalb weniger Stunden ausgelöscht. Frauen und Kinder sperrten sie in eine Kirche ein und zündeten diese an. Die Männer wurden erschossen. 643 Menschen kamen ums Leben. Nur wenige Einwohner konnten entkommen. Der Ort wurde zu einem Symbol für Nazi-Kriegsverbrechen im besetzten Frankreich.
In dem zerstörten Dorf nordwestlich von Limoges, dessen Ruinen erhalten blieben, wurde 1999 ein Gedenkzentrum eingerichtet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Hébras vor einem Jahr mit dem nationalen Verdienstorden ausgezeichnet. Hébras habe für die Freiheit gekämpft und die Werte Frankreichs verteidigt, sagte Macron. Außerdem habe er zum deutsch-französischen Frieden beigetragen. Der Überlebende hatte sich unter anderem für deutsch-französische Jugendbegegnungen eingesetzt.
https://www.schwarzwaelder-bote.de/
SS-Massaker in Oradour-sur-Glane: Letzter Überlebender tot
AKTUALISIERT AM 11.02.2023-13:27
Der letzte Überlebende des SS-Massakers im französischen Ort Oradour-sur-Glane ist tot. Robert Hébras (97) sei am Samstagmorgen gestorben, teilte der Nationale Gedenkverein im Namen der Familie und des Bürgermeisters mit.
Am 10. Juni 1944 hatten Soldaten eines Waffen-SS-Panzerregiments das Dorf in Zentralfrankreich innerhalb weniger Stunden ausgelöscht. Frauen und Kinder sperrten sie in eine Kirche ein und zündeten diese an. Die Männer wurden erschossen. 643 Menschen kamen ums Leben. Nur wenige Einwohner konnten entkommen. Der Ort wurde zu einem Symbol für Nazi-Kriegsverbrechen im besetzten Frankreich.
In dem zerstörten Dorf nordwestlich von Limoges, dessen Ruinen erhalten blieben, wurde 1999 ein Gedenkzentrum eingerichtet. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Hébras vor einem Jahr mit dem nationalen Verdienstorden ausgezeichnet. Hébras habe für die Freiheit gekämpft und die Werte Frankreichs verteidigt, sagte Macron. Außerdem habe er zum deutsch-französischen Frieden beigetragen. Der Überlebende hatte sich unter anderem für deutsch-französische Jugendbegegnungen eingesetzt.
Quelle: dpa
https://www.faz.net/
Warum wurde das Mahnmal in Oradour geschändet?
ZWEITER WELTKRIEG
SS-MASSAKER
Am 10. Juni 1944 tötete die Waffen-SS in dem mittelfranzösischen Dorf 642 Einwohner. Jetzt hat jemand das dortige Mahnmal mit dem Wort „Lügner“ beschmiert. Präsident Macron verspricht Aufklärung.
Veröffentlicht am 24.08.2020 | Lesedauer: 4 Minuten
Von Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
A visitor looks at graffiti tags seen on the lettering at the entrance to the Centre of Oradour sur Glane Memory, the village where German Waffen-SS troops massacred 642 of its inhabitants in June 1942, in Oradour-sur-Glane, west-central France, on August 22, 2020. - The tags at the entrance to the ruins of the martyred village of Oradour-sur-Glane (Haute-Vienne) have provoked indignation in recent hours, with French President Emmanuel Macron promising that 'everything will be done' to find the responsible person. The tags were discovered on August 21, during the opening of the memorial centre. (Photo by PASCAL LACHENAUD / AFP)
Das Mahnmal in Oradour-sur-Glane nach der Schändung
Quelle: AFP
Mit einer hellblauen Plastikplane ist die große Inschrift auf dem rostfarbenen Mahnmal zum Teil verdeckt. Denn das aus aufgesetzten dunkelgrauen Metallbuchstaben bestehende Wort „Martyr“ ist mit weißer Farbe durchgestrichen; daneben ist mit der gleichen Farbe das Wort „Menteur“ auf die Stahlplatte geschrieben. „Lügner“ also. Ferner steht dort: „A quand la vérité ? Reynouard a raison.“ Zu Deutsch: „Wann kommt die Wahrheit? Reynouard hat recht.“ Das ist allerdings ganz sicher unzutreffend. Vincent Reynouard nämlich ist ein mehrfach vorbestrafter französischer Rechtsextremist.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron verurteilte die Schändung und versprach, dass alles getan werde, um die Verantwortlichen zu finden. Nichts könne die Erinnerungen an die 642 Märtyrer von Oradour-sur-Glane vergessen machen. Das Gedenkzentrum in dem Dorf nordwestlich von Limoges erstattete Strafanzeige. Die Ermittler hoffen nun auf Hinweise zu dem oder den Tätern. Helfen könnten dabei die Aufnahmen der Videoüberwachung der Gedenkstätte.
French Junior Transports Minister Jean-Baptiste Djebbari wearing a face mask visits the Centre of Oradour sur Glane Memory, the village where German Waffen-SS troops massacred 642 of its inhabitants in June 1944, in Oradour-sur-Glane, west-central France, on August 22, 2020. - Tags at the entrance to the ruins of the martyred village of Oradour-sur-Glane (Haute-Vienne) provoked indignation in recent hours, with French President promising that 'everything will be done' to find the responsible person. The tags were discovered on August 21, during the opening of the memorial centre. (Photo by PASCAL LACHENAUD / AFP)
Der französische Minister Jean-Baptiste Djebbari besichtigt das Mahnmal Oradour nach der Schändung
Quelle: AFP
Die Hintergründe der Schändung in der Nacht zum vergangenen Freitag sind noch unklar. Sicher ist dagegen: Nichts von dem, woran das Mahnmal erinnert, ist eine Lüge. In Oradour-sur-Glane fand am 10. Juni 1944 eines der schlimmsten Massaker statt, das deutsche Truppen im besetzten Westeuropa im Zweiten Weltkrieg begingen.
Etwa gegen 13.30 Uhr an diesem Samstag umstellten knapp 150 Soldaten des SS-Panzergrenadierregiments „Der Führer“ mit Panzerspähwagen den kleinen Ort im westlichen Zentralfrankreich. Zu dieser Zeit dürften sich rund 650 Menschen hier aufgehalten haben; die übrigen der nominell 1574 Einwohner waren bei der Arbeit auf dem Land oder aus anderen Gründen abwesend. Kaum war die Absperrung um Oradour geschlossen, begannen Soldaten auf Befehl des 29-jährigen Bataillonskommandeurs Adolf Diekmann, alle Menschen auf dem Marktplatz zusammenzutreiben. Das dauerte etwa eine Stunde.
Oradour-sur-Glane, Dorfruinen, zerstört im Zweiten Weltkrieg, 1944, Haute Vienne, Frankreich, Europa | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Ruinen in Oradour
Quelle: picture alliance / imageBROKER
Eine weitere Stunde später trennte man Männer von Frauen und Kindern. Gruppenweise führten kleine Trupps von SS-Leuten die ausnahmslos unbewaffneten Männer in Scheunen und Garagen, wo sie mit Maschinenpistolen und MGs erschossen wurden. Dabei starben 181 Menschen.
Die Frauen und Kinder wurden gezwungen, in die Kirche von Oradour zu gehen. Der massive romanische Steinbau sollte mitsamt den darin eingesperrten Menschen gesprengt werden, doch lediglich der Turm stürzte ein und zerschlug das Dach. Daraufhin legten die Täter, unter ihnen auch eine Gruppe zur Waffen-SS dienstverpflichteter Elsässer, rund um die Kirche Feuer. 461 Frauen und Kinder kamen in den Flammen ums Leben. Insgesamt starben 642 Menschen; nur sechs direkte Augenzeugen konnten entkommen.
Oradour-sur-Glane, Dorfruinen, zerstört im Zweiten Weltkrieg, 1944, Haute Vienne, Frankreich, Europa | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Der zerstörte Ort ist seit 1944 ein Mahnmal unter freiem Himmel
Quelle: picture alliance / imageBROKER
Diese Tatsachen stehen durch zahlreiche Ermittlungen fest. Schon im Nürnberger Prozess brachte der französische Ankläger Charles Dubost das Massaker von Oradour zur Sprache; 1953 gab es in Bordeaux einen Prozess gegen 21 Beteiligte, darunter 14 Elsässer. Sie wurden zu hohen Strafen verurteilt, die dienstverpflichteten Elsässer allerdings nach Protesten der französischen Öffentlichkeit entweder amnestiert oder entlassen.
Auf westdeutscher Seite gab es zwar Ermittlungen gegen den Waffen-SS-Divisionskommandeur Heinz Lammerding, der jedoch alle Verantwortung auf seinen Untergebenen Diekmann abschob – der „praktischerweise“ 19 Tage nach dem Massaker in der Normandie gefallen war. 1975 bis 1980 gab es weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen Mittäter, die aber ergebnislos eingestellt wurden.
Der SS-Untersturmführer Heinz Barth (l) mit zwei Soldaten (Nicht identifiziert) während des Zweiten Weltkriegs. Barth wird die Beteiligung an dem Massaker im französischen Oradour-sur-Glane im Jahre 1944 und Kriegsverbrechen in der Tschechoslowakei zur Last gelegt. Barth war nach 1945 untergetaucht und im Herbst 1981 in der DDR aufgespürt und verhaftet worden. Foto: ADN Zentralbild | Verwendung weltweit
Heinz Barth (vorne) als Untersturmführer der Waffen-SS, vor Juni 1944
Quelle: picture alliance / ADN Zentralbi
In Ost-Berlin wurde 1981 der ehemalige Zugführer der Waffen-SS Heinz Barth festgenommen, der als Haupttäter des Massakers bereits 1953 in Bordeaux in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war. Die DDR machte ihm einen Schauprozess, der rechtsstaatlichen Maßstäben zwar nicht genügte, dessen Ergebnis – lebenslange Haft – aber dennoch auch nach der Wiedervereinigung Bestand hatte. 1997 wurde Barth im Alter von knapp 77 Jahren und nach 16 Jahre Haft wegen seines schlechten Gesundheitszustandes entlassen; er starb allerdings erst 2007.
Weitere Ermittlungen gegen mutmaßliche Mittäter von Oradour fanden 1993 bis 1995 durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart und 2011 bis 2015 in Dortmund statt, blieben allerdings ohne juristische Folgen, weil wegen Mangels an Beweisen gegen die Beschuldigten kein Hauptverfahren eröffnet wurde. Soweit bekannt, lebt heute niemand mehr, der auf Täterseite an dem Massaker beteiligt war.
Die Leichen der Opfer wurden zu Identifizierung in eine Reihe gelegt. Das französische Dorf Oradour-sur-Glane wurde als Vergeltung für die Entführung eines SS-Offiziers am 10. Juni 1944 von Verbänden der SS völlig zerstört, 642 Menschen wurden ermordet. |
Einige der Opfer aus Oradour-sur-Glane
Quelle: picture-alliance / dpa
Trotzdem gehört der Massenmord von Oradour-sur-Glane dank der vielfältigen Untersuchungen zu den am besten erforschten einzelnen NS-Verbrechen. Die von der Waffen-SS nach dem Massaker in Akten festgehaltenen Rechtfertigungen, etwa es sei in „fast jedem Haus“ des Ortes Munition gefunden worden und die Kirche habe „Feuer gefangen“, woraufhin dort angeblich gelagerter Sprengstoff detoniert sei, sind widerlegt. Insofern bleibt völlig rätselhaft, was der oder die Täter mit der Schmähung „Menteur“ ausdrücken wollten.
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article214155690/Oradour-Mahnmal-fuer-Opfer-der-Waffen-SS-geschaendet.html
ES GEHT UM MEHR ALS ORADOUR!
Siebzig Jahre Erinnerung an das Massaker von Oradour-sur-Glane
Oradour-sur-Glane 2009
von Melanie Huchler | 1. Juni 2014
Am 10. Juni 1944 ermordete die dritte Kompanie der zweiten SS-Panzerdivision „Das Reich“ 642 Kinder, Frauen und Männer in Oradour-sur-Glane und brannte den kleinen Ort in der Résistance-Region Limousin vollständig nieder. Die wenigen Überlebenden und die Angehörigen der Opfer hielten seither die Erinnerung an das Grauen wach, nicht zuletzt um Geschichtsrevisionisten, die das Massaker an der Zivilbevölkerung zu einer gerechtfertigten Partisanenbekämpfung uminterpretierten, zu widersprechen. Doch nicht nur die Betroffenen hatten das Bedürfnis an das weitgehend ungeahndete Verbrechen zu erinnern. Zum „Märtyrerdorf“ erhoben, wurde der Ort ein erinnerungspolitischer Topos. Dabei ging es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland schon früh um „mehr als Oradour“.[1] Besonders die Beteiligung elsässischer Zwangsrekruten am Massaker wirkt sich als Erinnerungskonflikt aus, obgleich sie bis heute in Fernsehdokumentationen und politischen Statements immer wieder zu kurz kommt.
Bereits 1948 rief die Hamburger Jugendzeitschrift Benjamin dazu auf Oradour wiederaufbauen zu helfen. Gemeinsam mit den Ruinen des Dorfes sollten „bei jungen Franzosen die geistigen Trümmer ab[ge]tragen“ werden.[2] Im Dienste der Völkerverständigung wollte man so einen „bescheidenen Teil dort wiedergutmachen, wo Deutsche schuldig wurden“.[3] Der gut gemeinte, aber angesichts der Dimension des Verbrechens naive Plan scheiterte schließlich an der Ablehnung der Opfer. Stattdessen wurden die Ruinen von der französischen Regierung als „stumme Zeugen“ konserviert und der Ort nicht weit entfernt neu aufgebaut. Das Verbrechen wurde so „unter dem Zement der Erinnerung“ präsent gehalten.[4]
Während Oradour in Deutschland lange nur einzelne, meist zivilgesellschaftliche Initiativen hervorrief, wurde der Ort in Frankreich schnell zu einem Politikum. So versuchte unter anderem Résistance-Führer Charles de Gaulle die Erinnerung an das grausame Massaker als ein Mittel der nationalen Integration zu nutzen. Schließlich war der Résistance-Mythos längst nicht für alle Franzosen anschlussfähig. „Oradour […] wird eine Art Symbol für das Opfer des Vaterlands bleiben. Lasst uns zusammen bleiben, um die Erinnerung daran zu erhalten und so etwas nie wieder zu erleben“, so der Chef der Übergangsregierung 1945.[5] In Frankreich kennt heute fast jedes Kind den village martyr, der erst seit 1999 durch ein von Historikern betreutes Gedenkzentrum ergänzt wird.
Die Vermittlung nationaler und lokaler Erinnerungen war gleichwohl nicht unproblematisch. Spätestens seit dem Prozess von Bordeaux 1953 zeigte sich ein grundsätzlicher Konflikt in der französischen Vergangenheitsbewältigung, befanden sich doch unter den 21 (der geschätzt 200 SS-Soldaten) vor Gericht 14 Elsässer. Bis auf einen verstanden sich diese als Zwangsrekrutierte und beriefen sich darauf, selbst Opfer eines Kriegsverbrechens geworden zu sein. In Straßburg folgte auf die Verurteilung der Elsässer eine Welle des Protests und der Trauer: Das Gefallenendenkmal wurde mit einem schwarzen Schleier versehen, Bürgermeister protestierten, die Fahnen wehten in der ganzen Region auf Halbmast. Schließlich blieb nichts anderes übrig als die Elsässer zu amnestieren, aus Sorge vor einem Revival der elsässischen Autonomiebewegung.
Der geringe Erfolg des Prozesses bedeutete für die Opferfamilien von Oradour ein zweites Martyrium. Bis in die 1970er Jahre kam es wegen der Amnestien zu einer Isolierung der Erinnerungsgemeinschaft innerhalb Frankreichs. Staatliche Vertreter wurden von den Gedenkveranstaltungen ausgeschlossen. Das Misstrauen zwischen den Regionen Limousin und Elsass hielt sich noch länger. Elsässische Veteranenverbände zogen 2012 gegen den Überlebenden Robert Hébras vor Gericht. Dieser hatte in seinem Zeitzeugenbericht den Status der am Massaker beteiligten Elsässer als Zwangsrekrutierte infrage gestellt.
In der Bundesrepublik konnten währenddessen höhere Verantwortliche letztlich unbehelligt weiterleben und sich eine neue Existenz aufbauen. Auch in der DDR kam es erst 1983 zu einem politisch motivierten Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer Heinz Barth, obwohl die Akten bereits früher bekannt waren. Noch 2010 wurden durch wiederentdeckte Stasi-Dokumente die Ermittlungen gegen 6 weitere mittlerweile weit über 80-jährige mutmaßliche Täter wieder aufgenommen.
Als am 4. September 2013 Joachim Gauck als erstes deutsches Staatsoberhaupt in Oradour empfangen wurde, schien mit der Annahme einer offiziellen Versöhnungsgeste durch die Hinterbliebenen eine historische Zäsur erreicht. Gemeinsam sangen die Partner des couple franco-allemand ein Loblied auf ihre Freundschaft im vereinten Europa. Auch der Straßburger Bürgermeister war anwesend. Der Anspruch auf absolute Einzigartigkeit, den die „Märtyrerfamilien“ von Oradour lange vertraten, wurde nun zugunsten einer Integration ins gesamteuropäische Erinnerungsnarrativ aufgegeben. So ordnete Präsident Hollande das Massaker von Oradour in die Geschichte der beiden Weltkriege, des Holocaust und der europäischen Integration ein.
Mit geschärftem Blick erscheint der Gauck-Besuch von 2013 jedoch deutlich weniger harmonisch. Während der Besuch in beiden Ländern große Zustimmung erfuhr, regte sich im Grenzland Enttäuschung. Mit den Worten, er sei sich „auch der intensiven Debatte in Frankreich bewusst, die um die Frage der Zwangsrekrutierung von Elsässern kreist, die an dem Massaker teilgenommen hatten“, hatte Gauck die Besonderheit des Falls Oradour nur kurz angerissen. War das Problem nur ein Problem nationaler Erinnerungsnarrative in Frankreich, das für Deutschland im vereinten Europa nicht mehr bestand? Vieles spricht dafür, dass das Kapitel Oradour im Roman der deutsch-französischen Freundschaft auch 70 Jahre nach dem Verbrechen noch nicht abgeschlossen ist.[6]
[1] Echo der Woche, 07.02.1948
[2] Der Spiegel, 17.01.1948
[3] Benjamin, November 1947
[4] Le Populaire du Centre, 10.06.1947
[5] Le Populaire du Centre. 05.03.1945
[6] Dank an Anne Kwaschik für die freundliche Unterstützung und die anregenden Diskussionen zum Thema.
https://zeitgeschichte-online.de/
Vor 70 Jahren
Die Vernichtung von Oradour
Die Tat war ein Kriegsverbrechen der abscheulichsten Art. Am 10. Juni 1944 vernichtete eine SS-Kompanie den südfranzösischen Ort Oradour-sur-Glane. Die Bewohner wurden ermordet, die Häuser geplündert und in Schutt und Asche gelegt. Ein Akt der Vergeltung, vollzogen an Unschuldigen, die nicht in Feindseligkeiten gegenüber den deutschen Besatzungstruppen verstrickt waren.
Von Peter Hölzle | 10.06.2014
„Quand ils ont rassemblé tout le monde ... Als die SS alle Bewohner auf dem Kirmesplatz zusammengetrieben hatte, trennten sie die Frauen und Kinder von den Männern und brachten sie in die Kirche. Die Männer teilten sie in mehrere Gruppen und führten sie in verschiedene Scheunen und Garagen. Sie sagten den Männern, dass sie dort so lange festgehalten werden würden, bis sie ein Waffenlager gefunden hätten, das in der Kleinstadt versteckt sein sollte. Alle Männer wussten, dass sich in ihrem Ort keine Waffen befanden. Das hatte sie beruhigt. Sie glaubten, dass man sie danach wieder freilassen würde. Aber das war nur ein Vorwand. Als alle Einwohner an die für das Massaker vorgesehenen Plätze gebracht worden waren, hatte Kommandant Diekmann eine Detonation ausgelöst. Eine Granate, ein genügend lauter Knall, damit jedermann es hören konnte, das war das Signal für das Massaker ... pour le massacre.“
Was Jean Lamot aus der Opferperspektive erzählt, ergänzt der frühere SS-Untersturmführer Heinz Barth vom Panzer-Grenadier-Regiment „Der Führer“ aus Tätersicht:
„... es waren ja circa hundertfünfzig Leute da, die ganze Kompanie. Und vom Bataillonsstab unter Führung des Bataillonskommandeurs Diekmann, der selbst die ganze Aktion leitete mit dem Hauptsturmführer Kahn zusammen, wurde doch die. Angelegenheit durchgeführt . Und ich selber hatte den Befehl ja von dem verantwortlichen Kommandeur Diekmann erhalten, die Erschießung durchzuführen. Und das waren noch ungefähr zwanzig bis fünfundzwanzig Menschen, nur Männer. Und dann wurde auf einen bestimmten Befehl hin an allen Orten gleichzeitig geschossen.“
Bundespräsident Joachim Gauck umarmt den Überlebenden und Zeitzeuge Robert Hebras im Beisein von Frankreichs Präsident Francois Hollande
Die geschilderten Einzelheiten einer Massenhinrichtung von 197 Männern vom 10. Juni 1944 waren erst der Anfang vom Ende des südfranzösischen Ortes Oradour-sur-Glane unweit Limoges. Es sollte noch schlimmer kommen :
„Ils ont mis les femmes ... et les enfants dans l'église ... Sie brachten die Frauen und Kinder in die Kirche, fast fünfhundert Personen. Am Anfang wollte man sie ersticken. Nur die Rauch entwickelnde Kiste, die zwei Soldaten in die Kirche geschleppt hatten, zersplitterte beim Zünden die Fensterscheiben des Gotteshauses. Deswegen konnte der Rauch entweichen. Als die Männer merkten, dass das Ersticken nicht funktionierte, drangen sie in die Kirche ein und schossen in Salven. Danach legten sie Feuer. Es gelang einer Frau aus einem Kirchenfenster zu springen, ebenso einer Mutter mit ihrem Baby. Die Mörder entdeckten sie außerhalb der Kirche. Sie schossen ein zweites Mal und töteten die Mutter. Das Baby töteten sie, indem sie es gegen eine Mauer warfen. Die gerettete Frau wurde durch fünf Schüsse ins Bein verletzt. Die Frau fand man am nächsten Nachmittag. Sie war die einzige Zeugin, die berichten konnte, was in der Kirche passiert war ...Elle était donc la seule témoine de ce qui s'est passé dans l'église.“
Jean Lamot, der das alles erzählt, ist nur ein indirekter Zeuge der Auslöschung Oradours. Seine mit ihm hochschwangere Mutter war an jenem 10. Juni 1944 auf einer Hochzeit in einem Nachbarort und entging so mit ihm selbst dem sicheren Tod. Warum aber wurde ausgerechnet das friedliche Oradour, das bis dahin außerhalb der von den deutschen Besatzungstruppen gefürchteten Partisanenzone im Limousin lag, Schauplatz eines so barbarischen Kriegsverbrechens? Der ehemalige SS-Mann und Mittäter Heinz Barth:
„Es war eine Vergeltung für Angehörige, die von Partisanen angeblich umgebracht wurden. Nicht in Oradour ... .“
Ein Teil des Dorfes Oradour, der nach dem Massaker durch die SS nicht wieder aufgebaut wurde. (picture alliance / dpa / Lachenaud Pascal)
Eine „Vergeltung“, die, wie so oft in diesem Krieg, die Falschen, die Unschuldigen traf und fast keine Sühne fand! Bis auf einen, den hier zitierten SS-Untersturmführer Heinz Barth, der 1983 in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, entgingen alle übrigen Hauptverantwortlichen für die Vernichtung Oradours ihrer Strafe. Bataillonskommandeur Diekmann fiel kurz darauf an der Normandiefront. Kompaniechef Kahn lud nach dem Krieg alle Verantwortung auf seinen toten Vorgesetzten Diekmann ab. Und dessen Chef, den Kommandeur der SS-Division „Das Reich“, Heinz Lammerding, der nach 1945 in Düsseldorf als Bauunternehmer reüssierte, schützte die deutsche Justiz vor der Anklage, beziehungsweise der Auslieferung nach Frankreich. Damit nicht genug. Es brauchte fast siebzig Jahre, bis ein Gericht den Fall Oradour wieder aufnahm und sich ein Bundespräsident zu einem Bußgang an den Ort deutschen Grauens bereitfand. Am 4. September letzten Jahres holte Joachim Gauck das lange Versäumte endlich nach.
https://www.deutschlandfunk.de/
"Den Schrei von Oradour höre ich immer noch"
DEUTSCHLAND
Datum 05.09.2013
Autorin/Autor Kay-Alexander Scholz, Oradour-sur-Glane
Ein versöhnlicher Tag sollte es werden, ein historischer - es wurde ein tiefbewegender: Deutschlands Präsident Gauck und Frankreichs Präsident Hollande reichten einander am Ort des SS-Massakers von Oradour die Hände.
Gauck und Hollande in Oradour-sur-Glane 04.09.2013 (Foto: Reuters)
Viele Gartentore stehen noch. Die grau verblichenen Latten aber wurden viele Jahrzehnte lang nicht mehr bewegt - zuletzt damals, vor 69 Jahren.
Der 10. Juni 1944, kurz nach 14 Uhr. Gleich sollten eigentlich die Kinder aus der Schule kommen, ihren Müttern zurufen, was sie Neues gelernt haben, nach dem Essen fragen. Doch dazu kommt es nicht. Nie wieder. Die SS-Division "Das Reich" hat den Ort Oradour-sur-Glane erreicht und beschließt, hier ein Massaker zu begehen.
"Warum gerade hier?", fragt Bundespräsident Joachim Gauck auf seinem Rundgang durch Oradour mit Frankreichs Präsident François Hollande und Überlebenden am Mittwoch, dem zweiten Tag seines Frankreich-Besuchs. Es gab keinen Grund. Es ging nur darum, Macht und Terror zu demonstrieren.
Die SS verlangte Geiseln. Der Bürgermeister wollte sich opfern - vergeblich. Die Frauen und Kinder des Ortes wurden in die Kirche gebracht und dort bei lebendigem Leib verbrannt. Die Männer wurden in einer Scheune zusammengetrieben und erschossen. Danach durchkämmte die SS das ganze Dorf nach Zeugen, die sich versteckt hatten. Die meisten wurden gefunden und ermordet. Niemand sollte Zeugnis ablegen können. Die Häuser wurden niedergebrannt, das Dorf mit 642 Menschen vernichtet. "Oradour war nur noch ein Schrei, ich höre ihn noch heute", sagt Hollande.
Wichtiger Moment der Freundschaft
Video abspielen6:21 min
Das Grauen von Oradour
Der gemeinsame Gang der beiden Präsidenten durch die Ruinen von Oradour war wohl der Höhepunkt des dreitägigen Staatsbesuchs von Gauck in Frankreich. Das Ereignis wurde im französischen Fernsehen drei Stunden live übertragen, auch in Deutschland war das Medieninteresse enorm.
Selbst Gauck hatte nicht mit einer so großen Anteilnahme gerechnet. Er zeigte sich bestätigt in seiner Entscheidung, diesen Ort des Schreckens als erster führender Politiker Deutschlands als Geste der Versöhnung zu besuchen. Demütig und voller Dankbarkeit sei er nach Oradour gekommen, sagte Gauck. Er verbinde seine Reise mit vielen Gefühlen, präsidialen und persönlichen. Als ein im Jahr 1940, also mitten im Krieg Geborener habe er es nach 1945 als schwere Belastung empfunden, "dass man sich als Deutscher eigentlich hassen musste". Nun im Alter könne er ein Land repräsentieren, zu dem man "Ja sagen kann". Das sei heute ein "außerordentliches Ereignis", sagte Hollande in seiner Rede in Oradour - und lobte die Würde, mit der sich Gauck und Deutschland heute der Nazi-Barbarei stellten.
Das Erbe von Oradour
Die beiden Präsidenten verstehen einander gut. Sie reden offen über die politischen Unterschiede ihres Landes. Ihre Freundschaft halte deshalb auch Meinungsverschiedenheiten aus, sagen beide. Das betrifft die Frage des richtigen Reformweges für mehr Wirtschaftswachstum, das betrifft dieser Tage vor allem auch die Diskussion über eine Reaktion auf den Giftgasangriff in Syrien.
Gauck, Hollande und eine kleine Delegation gehen durch die Ruinen von Oradour-sur-Glane (Foto: REUTERS/Michel Euler)
"Warum gerade hier?", fragt Gauck. Eine Antwort darauf gibt es nicht
Hollande hatte den USA Frankreichs generelle Bereitschaft für einen Militärschlag gegen das Assad-Regime signalisiert. Gauck legte in Frankreich dar, dass Deutschland aus historischen und rechtlichen Gründen anders vorgehen müsse. Schon am Vortag hatte Hollande noch einmal erklärt, dass es keine Entspannung geben könne, solange Assad an der Macht ist.
Nun in Oradour, vor den Ruinen der Geschichte, erklärte Frankreichs Präsident, warum eine Reaktion so wichtig sei. Der "Schrei aus Oradour" sei nicht nur ein Symbol, sondern Ausdruck eines Versprechens. Nämlich überall dort, wo es in der Gegenwart zu Massakern komme, den Schrei nicht zu überhören. "Was nicht hinzunehmen ist, kann man nicht hinnehmen - wir schulden das den Opfern von Oradour", sagte Hollande in fester Überzeugung.
Ein anderes Deutschland
In seinem Eintrag ins Goldene Buch auf dem Friedhof von Oradour schrieb Gauck: Er lege Zeugnis dafür ab, dass es "heute ein anderes, nämlich friedliches und solidarisches Deutschland gibt". Hier in Oradour sieht man die Angst vor den damaligen deutschen Tätern noch beim Blick in die Gesichter der wenigen Überlebenden und Zeitzeugen. Sie hat sich wohl für immer in die Augen und Gedanken geätzt.
Man versteht, wie bedeutsam die Worte Gaucks sind, gerade hier an diesem Ort und für viele Menschen überall in Frankreich. Gauck kennt das dunkle Kapitel der deutschen Nazi-Zeit aus seiner eigenen Biografie, das gibt seinen Worten besondere Überzeugungskraft und eine besondere Emotionalität, die sich auf seine Zuhörer überträgt.
Bilder mit Strahlkraft
Gauck und Hollande - bewegende Umarmung
Auch Hollande hat einen persönlichen Bezug zu den damaligen Ereignissen. Er war mehrere Jahre lang Bürgermeister in Tulle, 100 Kilometer von Oradour entfernt. Hier hatte die selbe SS-Division einen Tag zuvor 99 Männer erhängt. Hollande berichtet, wie es jährlich einen Schweigemarsch in Tulle gibt und die "Frauen Girlanden an den Balkonen aufhängen, dort, wo damals die Körper der Erhängten hingen".
Das gemeinsame Händehalten und die folgende Umarmung der Präsidenten mit einem Überlebenden werden zu den Symbolbildern dieses Tages. Später umarmen sich beide Präsidenten noch einmal - viele Sekunden lang, sich aneinander festhaltend. Es wirkt nicht wie eine inszenierte Geste.
Viele Mörder ungestraft
Oradour hat viele Wunden in Frankreich hinterlassen. Es gab unter den Tätern 14 zwangsrekrutierte Elsässer. Sie wurden nach dem Krieg zunächst verurteilt, dann stimmte das Parlament auf Druck der elsässischen Abgeordneten für eine Amnestie. 20 Gemeinden rund um Oradour traten daraufhin über viele Jahre in einen Verwaltungs-Streik gegen Anordnungen aus Paris. Hollande sprach von Jahrzehnten, die die Versöhnung gedauert habe.
Und Gauck benannte die Bitterkeit, die er mit vielen Anwesenden der feierlichen Veranstaltung teile - darüber, dass die meisten deutschen Mörder nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. "Das ist meine Bitterkeit. Ich nehme sie mit nach Deutschland und ich werde in meinem Land davon sprechen", versprach Gauck.
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Gaucks schwerer Gang nach Oradour
AKTUELL EUROPA
Oradour-sur-Glane: Das steht für den Mord an 642 Franzosen durch die Waffen-SS. Bundespräsident Gauck kommt für drei Tage nach Frankreich. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt besucht er auch den Ort des Massakers.
Ruinen von Oradour-sur-Glane ,©PHOTOPQR/POPULAIRE DU CENTRE/LACHENAUD
Zum Auftakt des dreitägigen Staatsbesuchs trifft Joachim Gauck in Paris mit Präsident François Hollande zusammen. Auch ein Gespräch mit Premierminister Jean-Marc Ayrault steht auf dem Programm. Begleitet wird Gauck von seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt.
Der erste Besuch eines Bundespräsidenten seit fast 20 Jahren
Bundespräsident Joachim Gauck
Es ist der erste Staatsbesuch eines Bundespräsidenten in Frankreich seit 1996. Damals hatte Roman Herzog das Nachbarland besucht. Am Mittwoch reist Gauck zusammen mit Präsident Hollande in das mittelfranzösische Oradour-sur-Glane, wo deutsche Waffen-SS-Soldaten 1944 mehr als 600 Franzosen umgebracht hatten.
Einer der letzten Überlebenden des SS-Massakers, der heute 88-jährige Robert Hébras, würdigte im Vorfeld den Besuch Gaucks als "extrem wichtig" und betonte: "Wir müssen uns mit dem deutschen Volk versöhnen". Der Besuch sei eine "logische Folge des Aufbaus Europas" und komme zeitlich richtig: "Vor 50 oder 60 Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ein deutscher Präsident nach Oradour kommen kann", so Hébras, der bei dem Massaker seine Mutter und zwei seiner Schwestern verlor. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Vorher wäre es zu früh gewesen."
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Das Grauen von Oradour - Erinnerung an deutsch-französische Geschichte (17.01.2013)
Verneigung vor den Toten
Am 10. Juni 1944 hatten deutsche Soldaten in dem Dorf 642 Menschen getötet, darunter 452 Frauen und Kinder. Nur der damals 18 Jahre alte Hébras, vier weitere Männer und eine Frau überlebten das Massaker. Bis heute gilt das Blutbad als Symbol für die Grausamkeit der Nazi-Besatzung in Frankreich. Gauck ist der erste Bundespräsident, der den Ort aufsucht. Er wird sich vor den Toten von Oradour verneigen. Es sieht dort fast noch so aus wie bei Kriegsende 1945 (Artikelfoto). General Charles de Gaulle hatte verfügt, den Ort als Nationalmonument zu bewahren.
50 Jahre Élysée-Vertrag
Zum Abschluss seines Frankreich-Besuches fliegt Gauck am Donnerstag nach Marseille, die europäische Kulturhauptstadt 2013. Dem dreitägigen Staatsbesuch wird große Bedeutung zugewiesen, auch, weil Deutschland und Frankreich in diesem Jahr das 50. Jubiläum des Élysée-Vertrages begehen. Mit diesem Vertrag hatten die beiden europäischen Länder, die sich in zwei Weltkriegen gegenüberstanden, 1963 ihre Freundschaft besiegelt.
haz/sc (dpa, afp)
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Das Massaker von Oradour: Die deutsche Rezeption des Prozesses in Bordeaux 1953
Examensarbeit, 2012
54 Seiten, Note: 2,0
L E LARS ELLIGER (AUTOR:IN)
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Vernichtung Oradours - Akteure und Erklärungsansätze
2.1 Das Massaker
2.2 Die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ in Frankreich
2.3 „Warum hat Oradour stattgefunden?“
2.4 Wer gab den Befehl?
3. Der Prozess in Bordeaux
3.1 Verzögerungen vor Prozessbeginn - „lex Oradour“ und die elsässische Frage
3.2 Prozessbeginn und die Intervention aus Paris
3.3 Urteilsverkündung und Amnestie
4. Die Rezeption des Oradour-Prozesses in der bundesdeutschen Presse
4.1 „Oradour wird erneut die Gemüter erregen“ - Erwartungen und Befürchtungen an den Prozess
4.2 Der Prozess wird politisch
4.3 Breite Zustimmung für die Urteile
4.4 Skandalöse Sonderamnestie
4.5 Zusammenfassung
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Funktion eines Gerichtsverfahrens besteht aus juristischer Sicht primär in der „Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung“.1 Das beinhaltet im Anschluss an die Feststellung des individuellen Straftatbestandes eine gerechte also rechtmäßige Bestrafung des Täters. Somit hat ein Gerichtsverfahren neben der juristischen Funktion ebenso eine gesellschaftliche Funktion: Es stellt die Sühne des Verbrechens durch den Täter sicher.
Der Oradour-Prozess 1953 in Bordeaux, bei dem Angehörige eines SS-Verbandes wegen Mordes an 642 Bewohnern eines kleinen französischen Dorfes - dem Massaker von Oradour - angeklagt waren, hatte große Schwierigkeiten diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die Tatsache, dass in diesem SS-Verband Franzosen aus dem Elsass am Massenmord beteiligt waren, machte es dem Gericht, durch den sich daraus entwickelnden innerfranzösischen Eklat, beinahe unmöglich, ein von äußeren Umständen unabhängiges und vor allem rechtmäßiges Urteil zu fällen. Juristisch fußte der Prozess nämlich auf einem äußerst umstrittenen Fundament: der nach dem Oradour-Massaker benannten „lex Oradour“-Verordnung, die das Prinzip der Kollektivschuld ermöglichte. Die Elsässer sind zum Großteil in die SS zwangsrekrutiert worden, weshalb der Prozess in Bordeaux von Protesten von elsässischer Seite gegen die Gleichbehandlung mit den Deutschen begleitet war.
Die Frage, die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, lautet: Wie reagierte die deutsche Öffentlichkeit angesichts dieser widrigen Begleitumstände auf das Gerichtsverfahren in Frankreich, bei dem die Hinterbliebenen der Opfer einhellig die Todesstrafe für alle deutschen und französischen Angeklagten forderten? Um diese Frage zu beantworten, wurden die Berichterstattung und die Kommentare in der bundesdeutschen2 Presse zum Oradour-Prozess untersucht. Lag der Fokus der deutschen Rezeption auf dem Schicksal der deutschen Angeklagten oder auf der Rechtmäßigkeit des gesamten Verfahrens? Zeigte man sich beschämt ob des von Nazideutschland zu verantwortenden Verbrechens? Wie wurde in Deutschland auf die elsässischen Proteste reagiert? Welcher Stellenwert wurde dem Prozess im Hinblick auf die zukünftigen deutsch-französischen Beziehungen beigemessen?
Die Forschung hat sich mit dem Massaker von Oradour erst in den letzten beiden Jahrzehnten intensiv beschäftigt. Hier sind im Besonderen die Monographien von Sarah Farmer und Jean-Jacques Fouché zu erwähnen, die das Verbrechen umfassend untersucht haben. In der deutschen Forschung gibt es auffallend wenige Arbeiten zu dieser Thematik. Lediglich Ahlrich Meyer und Peter Lieb sind hier zu nennen, die im Gegensatz zu Farmer und Fouché vor allem das Deutsche Militärarchiv in Freiburg auswerteten. Beide konzentrieren sich eher auf die Vorgänge innerhalb des beteiligten SS-Verbands, der das Massaker verübte. Aufschlussreich ist auch die Prozessdokumentation von Przybylksi/Busse, die den Prozess gegen einen der Hauptverantwortlichen des Massakers, Heinz Barth, 1983 vor dem Berliner Stadtgericht in der DDR ausführlich beschreibt. Erwähnenswert ist noch die Dissertation Henning Meyers, die sich jedoch in der Hauptsache mit der Erinnerungskultur von Oradour beschäftigt.
Der Oradour-Prozess in Bordeaux selbst ist dagegen weitgehend unerforscht, da die französischen Militärgerichtsakten einer Sperrfrist von 100 Jahren3 unterliegen. Jegliche Untersuchungen des Prozessgeschehens stützen sich daher auf die Aussagen von Prozessbeobachtern. Im deutschsprachigen Raum hat sich Claudia Moisel, im Zuge ihrer Arbeit „Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher“ - als bisher einzige mit dem Oradour-Prozess und dessen Rahmenbedingungen intensiver beschäftigt. Es bleibt also festzuhalten, dass insbesondere die nicht-französische Forschung in der Sache Oradour im Rückstand ist.
Die vorliegende Arbeit ist in drei Bereiche unterteilt:
Der erste beschäftigt sich mit dem Ablauf und den Hintergründen des Blutbades in Oradour. Hier wird zunächst durch eine Schilderung der bekannten Ereignisse am 10. Juni 1944 in Oradour das Ausmaß des Verbrechens verdeutlicht. Darauf folgt eine Skizzierung der 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ in Frankreich, zu der die Einheit gehörte, die für die Vernichtung Oradours verantwortlich war. Der „Charakter“ dieser Kampftruppe wird dort ebenso abgebildet wie die Befehlslage zur Partisanenbekämpfung in Frankreich, denn das stellte zunächst die Hauptaufgabe dieser Division dar. Die beiden letzten Kapitel des ersten Bereichs beschäftigen sich mit den eigentlichen Hintergründen des Verbrechens, die aber bis heute nicht endgültig aufgeklärt sind: Warum mussten in Oradour 642 Menschen sterben und wer gab den eigentlichen Befehl. Da in den anderen beiden Bereichen der vorliegenden Untersuchung ständig auf die Ereignisse und Hintergründe von Oradour Bezug genommen wird, sind die hier behandelten Punkte essentiell.
Im Zentrum des zweiten Teils stehen die Hintergründe zum Prozess in Bordeaux 1953. Auf eine detaillierte Schilderung des eigentlichen Verhandlungsablaufs wurde verzichtet, da dieser für die deutsche Rezeption eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Stattdessen werden zunächst die schwierigen Ermittlungen der französischen Justiz vor dem Prozess und die Gesetzesgrundlage „ die lex Oradour“, auf der die Verhandlung anfänglich basieren sollte, dargestellt. Eine kurze Erläuterung der historischen Besonderheit des Elsass als Teil Frankreichs schließt diesen ersten Abschnitt ab. Im Weiteren findet sich neben einer Beschreibung des Eingriffs durch das französische Parlament in den laufenden Prozess aufgrund der Änderung der „lex Oradour“ die entsprechenden Reaktionen im Bordelaiser Militärgericht. Der letzte Teil widmet sich der in Frankreich, und insbesondere im Elsass, äußerst umstrittenen Urteilsverkündung und skizziert abschließend die Reaktionen der Hinterbliebenen Oradours auf das Amnestiegesetz.
Der dritte Bereich befasst sich mit der eigentlichen Untersuchung von Reaktionen in der Presse4 der Bundesrepublik Deutschland auf den Prozess. Um die prozessbegleitenden Umstände besser nachvollziehen zu können und aus Gründen der Übersichtlichkeit, wurde dieser Bereich gesondert betrachtet. Alternativ hätte die Analyse der deutschen Rezeption auch direkt im zweiten Bereich erfolgen können. Die Struktur dieses Hauptteils der vorliegenden Arbeit ist grundsätzlich chronologisch, versucht aber durchgängig problemorientiert, die Äußerungen zu einzelnen Sachverhalten zu bündeln. Abschließend wird in einer Zusammenfassung des dritten Bereichs der Verlauf der deutschen Rezeption aufgezeigt.
2. Die Vernichtung Oradours - Akteure und Erklärungsansätze
2.1 Das Massaker
Das Dorf Oradour-sur-Glane befindet sich im westlichen Zentralfrankreich, 22 Kilometer nordwestlich von Limoges, der Hauptstadt der Region Limousin und des Départements Haute-Vienne. 1944 zählte die Gemeine Oradour-sur-Glane ungefähr 16505 Einwohner, von denen etwa 800 im Dorf wohnten. Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, erreichte eine Einheit der 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ gegen 14 Uhr den südöstlichen Eingang von Oradour. Die Soldaten umstellten das Dorf, riegelten alle Zufahrtsstraßen ab und begannen, die Einwohner auf dem Marktplatz zusammenzutreiben, indem sie systematisch jedes Haus durchsuchten und die auf umliegenden Höfen und Feldern arbeitenden, mit Panzerwagen einsammelten. Die Dorfbewohner kooperierten, in der Annahme, es handele sich nur um eine Routineüberprüfung. Nachdem alle Bewohner auf dem Marktplatz versammelt waren, wurden die Frauen und Kinder von den Männern getrennt, in die Kirche gebracht und dort eingesperrt. Mittels eines Dolmetschers wurden die verbleibenden 200 bis 250 Männer nach sich angeblich im Dorf befindlichen Waffen und Munition befragt. Als die Männer dies verneinten, wurde eine Durchsuchung des Dorfes verkündet. Auf ein Signal hin, fingen die SS-Soldaten an, die Männer zügig in kleinen Gruppen in umliegende Scheunen und Garagen zu bringen. Ein Maschinengewehr wurde auf dem Marktplatz in Stellung gebracht, und als von außerhalb eine Detonation zu vernehmen war, gab jemand den Befehl zu schießen. Die Soldaten der SS eröffneten das Feuer auf die eingeschlossenen Männer. Verwundeten wurde der „Gnadenschuss“ gegeben. Nachdem die Soldaten die Leichen mit Brennmaterialien und Phosphor bedeckt hatten, zündeten sie die Scheunen an.6
Etwa um 17 Uhr, stellten zwei SS-Männer eine große Kiste auf den Altar der Kirche, während ein Teil der SS-Soldaten die Männer von Oradour hinrichtete. Sie verlegten eine lange Zündschnur zum Eingang der Kirche, zündeten diese an und verriegelten von außen die Tür.7 Die Kiste explodierte, brachte alle Fenster zum Bersten und setzte erstickenden Rauch frei. Die circa 350 eingeschlossenen Frauen und Kinder versuchten in Panik, aus der Kirche zu fliehen. Als die SS- Soldaten merkten, dass der Sprengsatz nicht die erwartete Durchschlagskraft hatte, schossen sie mit automatischen Waffen in die offenen Fenster und warfen Handgranaten in das Kirchengebäude. Als der Rauch verzogen war und die Schreie aus der Kirche verstummten, schafften sie Holz und Stroh in die Kirche und legten Feuer. Es gab in der Kirche nur eine einzige Überlebende: Marguerite Rouffanche8. Sie konnte durch ein Fenster zunächst aus der Kirche fliehen, wurde dann von fünf Kugeln getroffen und überlebte schwer verletzt, indem sie sich im Garten hinter der Kirche versteckte. Von den Männern in Oradour überlebten lediglich fünf. Sie befanden sich alle in derselben Scheune und konnten, geschützt durch den aufsteigenden Rauch der brennenden Gebäude Oradours, über die Felder flüchten.9
Zwischen 21 Uhr und 22:30 Uhr postierte die SS-Kompanie Wachen im brennenden Oradour und verließ dann den Ort Richtung Nieul. An den beiden folgenden Tagen kamen Teile der Kompanie ins Dorf zurück, um die sterblichen Überreste der Dorfbewohner in Gruben zu verscharren.10 Nach Jean-Jacques Fouché handelte es sich hierbei für die SS nicht um eine „hygienische“ Maßnahme. Vielmehr ging es ihr um das Verwischen von Spuren: Niemand sollte die verbrannten Toten identifizieren können.11 An diesem Tag kamen in Oradour offiziell 64212 Menschen ums Leben.
Hauptquelle dieses Ereignisses sind Schilderungen von Augenzeugen: sowohl von den Überlebenden als auch von Personen, die nach dem Abmarsch der SS den Ort wieder betraten. Aufgrund der Tatsache, dass es für dieses Ereignis kaum andere Belege gibt, unterscheiden sich die verschiedenen Darstellungen der Geschehnisse vom 10. Juni 1944 in Oradour in der Fachliteratur nur geringfügig, da sie überwiegend auf diesen Augenzeugenberichten basieren.13
1946 billigte das französische Parlament in einer besonderen Gesetzgebung14 die Neuerrichtung von Oradour neben den zerstörten Ruinen des alten Dorfes. Gleichzeitig stellte es die Überreste der Siedlung unter Denkmalschutz. Die Association Nationale des Familles des Martyrs d ´ Oradour-sur-Glane (ANFM), in der sich die Überlebenden des Massakers zusammengeschlossen hatten, unterstützten das von der Regierung de Gaulle forcierte Projekt.15 Dieser erklärte kurz nach seinem ersten Besuch der Ruinen im März 1945 Oradour als Symbol für das, was Frankreich im 2. Weltkrieg erleiden musste.16 Das Massaker von Oradour löste in Frankreich ein nationales Trauma aus. Bis in die 70er Jahre hinein war für die französische Zeitgeschichtsforschung Oradour der Inbegriff für die Abgründe des Nationalsozialismus, nicht Auschwitz.17 Seit 1945 findet jedes Jahr am 10. Juni in Oradour-Sur-Glane eine große Zusammenkunft in Gedenken der Opfer statt. Bisher nahm noch kein deutscher Politiker daran teil; dies scheiterte stets am Widerstand der ANFM.18 Am 6. Juni 2004, bei der Gedenkveranstaltung für die Landung der Alliierten in der Normandie, entschuldigte sich mit Gerhard Schröder erstmals ein deutscher Bundeskanzler für die Untat von Oradour.19
2.2 Die 2. SS-Panzer-Division „Das Reich“ in Frankreich
Unter Befehl des SS-Brigadeführers Heinz Lammerding wurde die 2. SS-Panzer- Division „Das Reich“ im April 1944 nach Montauban, 50 Kilometer nördlich von Toulouse, verlegt. Ihre Aufgabe sollte darin bestehen, die Kommunikation zwischen den Armeegruppen G und B bei zunehmenden Maquisaktivitäten in der Region zu gewährleisten, sowie bei einer eventuellen Landung der Alliierten an der Nord- oder Südküste Frankreichs zu intervenieren.20 Die Division war vorher an der Ostfront eingesetzt und verfügte daher über umfangreiche Kampferfahrung, insbesondere in der Partisanenbekämpfung. Der Divisionskommandeur Lammerding war zu dieser Zeit Stabschef beim „Chef der Bandenkampfverbände“21, Erich von dem Bach-Zelewski. Für Peter Lieb steht es außer Frage, dass sich weiterhin unter den Offizieren dieser Division viele überzeugte Nationalsozialisten befanden und es nicht überraschend war, dass diese Division kurz nach der Verlegung nach Südfrankreich bei Kampfhandlungen mit dem Maquis mit für damalige Verhältnisse in Westeuropa sehr harten Methoden vorging.22
Die SS-Division „Das Reich“ war über einen Zeitraum von etwa zwei Monaten in Frankreich in Kampfhandlungen mit dem Maquis verwickelt. Aufgrund ihrer massiven militärischen Überlegenheit gegenüber den nur unzureichend ausgerüsteten Partisanen, waren die Gefechte meist sehr einseitig23, sofern es überhaupt zu offenen Konfrontationen kam.
Im Gegensatz zu anderen SS-Panzer-Divisionen, die an der Ostfront beträchtliche Schäden erlitten oder fast vollständig aufgerieben wurden, war die Division „Das Reich“ auch nach ihrer Verlegung nach Frankreich noch funktionsfähig. Dennoch mussten ihre Verluste an Truppen ausgeglichen werden. Hierzu wurden in der Nähe von Bordeaux im März 1944 circa 9000 Rekruten notdürftig ausgebildet. Diese zum Großteil zwangsrekrutierten und auf den Militär- bzw. Kriegsdienst bis dato völlig unvorbereiteten Männer waren zumeist Volksdeutsche aus Rumänien, Ungarn oder dem Elsass24. Die meisten von ihnen waren nicht älter als 18. Im April 1944 ergänzten sie die Division „Das Reich“ in Mountauban.25
Waren die Divisionen der Waffen-SS zu Kriegsbeginn noch ein militärisch weitgehend homogener Eliteverband, dessen freiwillige Mitglieder sich in einem stark ritualisierten und langwierigem Aufnahmeverfahren26 beweisen mussten, so sind diese Rekrutierungsmaßnahmen für „Das Reich“ beispielhaft für die Entwicklung der Waffen-SS hin zu einem Massenheer. Da der steigende Truppenbedarf mit zunehmender Kriegsdauer nicht mehr durch Freiwillige gedeckt werden konnte, führten unter anderem die daraus resultierenden Zwangsrekrutierungen zu einer „bedingte[n] Erosion der SS als ideologischer Ordensgemeinschaft“27 und zu großen Divergenzen hinsichtlich militärischer Ausbildung und Fronterfahrung innerhalb der Truppe.28 Anfang 1944 zählte die Waffen-SS insgesamt knapp 600 000 Mann, unter denen sich circa 300 000 Volksdeutsche und „germanische“ Freiwillige befanden.29
Die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 war der Startschuss für eine Vielzahl von Maquisaktivitäten in Zentralfrankreich. So gelang es der bewaffneten Widerstandsbewegung unter anderem, die Hauptstadt des Départements Corrèze, Tulle, sowie die Städte Guéret, La Souterraine, Bellac und Saint-Junien zu besetzen. Bei der Erstürmung der Garnison Tulles kamen 120 Deutsche ums Leben. Die Maquisards verschonten zwar die gefangenen Deutschen, verstümmelten jedoch die Leichen der Gefallenen. Die 2. SS-Panzer- Division „Das Reich“, die am 8. Juni ihren Marsch in Richtung Normandie begonnen hatte, erhielt überdies den Befehl, die erstarkende französische Widerstandsbewegung im Limousin einzudämmen. Noch am selben Tag konnte sie die Stadt Tulle wieder besetzen. Zu Kampfhandlungen kam es dabei nicht. Am 9. Juni nahm sie Rache an der Zivilbevölkerung Tulles für die 2 Tage vorher getöteten Deutschen und deren Misshandlungen, wobei sie 99 scheinbar wahllos ausgesuchte Männer zwischen 18 und 45 Jahren30 auf den Straßen der Stadt erhängte.31
Divisionskommandeur Lammerding selbst hatte vier Tage vorher den ihm zu diesem Zeitpunkt vorgesetzten Wehrmachtsstellen vorgeschlagen, zur Abschreckung die an der Ostfront in der Partisanenbekämpfung verwendete Methode der öffentlichen Massenerhängung in Frankreich anzuwenden: Der Divisionsbefehl zu den Massenerhängungen in Tulle trägt seine Unterschrift.32 Einen Tag vorher, am 8. Juni, gab der Oberbefehlshaber West, Gerd von Rundstedt, die Erwartungen des Wehrmachtsführungsstabes weiter und ordnete in einem Tagesbefehl verschärfte Maßnahmen im Umgang mit den Maquisards an:
„[...] Der dauernde Unruheherd in diesem Gebiet muß endgültig ausgelöscht werden. Ausgang des Unternehmens hat größte Bedeutung für die weitere Entwicklung im Westen. Halbe Erfolge solcher Aktionen nützen nichts. Die Widerstandskräfte sind in schnellem und umfassendem Zupacken zu zerschlagen. Zur Wiederherstellung von Ruhe und Sicherheit sind schärfste Maßnahmen zu ergreifen, zur Abschreckung der Bewohner dieser dauernd verseuchten Gebiete, denen endlich die Lust vergehen muß, die Widerstandsgruppen aufzunehmen und sich von ihnen regieren zu lassen, und zum warnenden Beispiel für die gesamte Bevölkerung. Rücksichtslose Härte in diesem kritischen Augenblick ist unerlässlich, um die Gefahr im Rücken der kämpfenden Truppe zu beseitigen und größere Blutopfer der Truppe und in der Zivilbevölkerung für die Zukunft zu verhüten.“33
Dieser Grundsatzbefehl zur Partisanenbekämpfung - somit Devise für alle Truppen der Wehrmacht in Südfrankreich - war unmissverständlich. Nun wurde der von der Ostfront berüchtigte und gnadenlose Umgang mit Partisanen auch in Westeuropa von oberster Stelle formell gebilligt und erwartet.
Am 10. Juni machte sich gegen Mittag unter dem Kommando des Bataillonskommandeurs, SS-Sturmbannführer Adolf Diekmann, die 3. Kompanie des I. Bataillons des Regiments „Der Führer“ auf den Weg nach Oradour.34 Der Division „Das Reich“ unterstellt, sollte diese Kompanie wenige Stunden später das größte Massaker des 2. Weltkriegs in Westeuropa verüben.35
2.3 „Warum hat Oradour stattgefunden?“
Waren die Erhängungen von fast 100 willkürlich ausgesuchten Zivilisten in Tulle grausam und barbarisch, so hatte das Verbrechen der Waffen-SS in Oradour einen Tag später, eine ganz andere Qualität. Die Ereignisse in Tulle ließen sich als militärische Repressalie deuten, als Racheakt für die Verstümmelung von Leichen. Sie erfüllten zudem die Erwartungen des Wehrmachtführungsstabes, in denen „zur Abschreckung“ zu „schärfsten Maßnahmen“ aufgerufen wurde. Das bedeutet selbstredend nicht, dass diese Vorgehensweise gerecht oder angemessen gewesen wäre. Für die Katastrophe von Oradour fehlt solch ein direkter Kausalzusammenhang beinahe völlig. So ist es für Peter Lieb eine „ewige Streitfrage“36, wer den Befehl für dieses Blutbad gab, und Ahlrich Meyer bemerkt, dass es „keine zureichende Antwort auf […] die Frage nach dem Grund für die Auswahl des Ortes“37 gibt.
Die Geschehnisse von Oradour boten von Anfang an einen guten Nährboden für eine Vielzahl von „Legenden“38, Theorien und Spekulationen. Maßgeblichen Anteil daran haben die beteiligten SS-Soldaten, insbesondere der Bataillonskommandeur Adolf Diekmann. In direktem Anschluss an das Blutbad verbreitete dieser in Anwesenheit des Kompaniechefs Kahn und der Zugführer noch in Oradour die falsche Version des Tathergangs, dass man in Oradour auf Widerstand gestoßen wäre.39 Dies vermelden auch die ersten Dokumente von deutscher Seite. So heißt es im Kriegstagebuch des deutschen Hauptverbindungsstabes in Clermont-Ferrand in einem Eintrag vom 14. Juni 1944:
„Über Oradour, 30 km südw. Limoges, liegt eine frzs. Meldung vor: 600 Menschen sollen umgekommen sein. Unter-Sturmf. Der SS. Pz.-Div. „Das Reich“ war in Nieul (8 km n.w. Limoges) gefangen worden u. wurde nach Oradour verschleppt. Er konnte entkommen. Man fand die Leiche eines Oberzahlmeisters, die Spuren von Misshandlungen aufwies. Gesamte männliche Bevölkerung von Oradour wurde erschossen. Frauen u. Kinder waren in die Kirche geflüchtet. Kirche fing Feuer. In Kirche lagerte Sprengstoff. Auch Frauen u. Kinder kamen ums Leben.“40
Bemerkenswert ist hier zunächst die falsche geographische Angabe des Ortes. Oradour-sur-Glane liegt etwa 22 Kilometer nordwestlich von Limoges. Da es in diesem Gebiet mehrere Orte mit dem Namen „Oradour“ gibt, könnte es sich hier um eine Verwechselung mit „Oradour-sur-Vayres“ handeln, das 39 Kilometer südwestlich von Limoges liegt und ein bekannter Standort der Widerstandsgruppe
„Francs-tireurs et partisans“ war. Auf wen dieser Fehler zurückgeht, lässt sich nicht nachvollziehen. Er trug aber wesentlich dazu bei, dass sich auf lange Zeit hartnäckig das Gerücht hielt, die SS hätte sich schlichtweg geirrt und das falsche Oradour dem Erdboden gleichgemacht.41
Ebenso fehlerhaft erscheint, dass dieser Kriegstagebucheintrag vom 14. Juni auf eine französische Meldung zurück geht. Die erste französische Meldung42 zum Blutvergießen in Oradour stammt erst vom 15. Juni 1944. Eines ist jedoch sicher: es gab in Oradour-sur-Glane keine misshandelten (deutschen) Leichen und keinen Sprengstoff. Alle diesbezüglich eingeleiteten Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass es in Oradour während des 2. Weltkriegs keine Widerstandsaktivitäten gegeben hatte.43 Die Frauen und Kinder starben in der Kirche, weil sie von SS-Soldaten dort eingesperrt und aufs Grauenhafteste liquidiert wurden und nicht, weil dort gelagerter Sprengstoff Feuer fing. Hier wurde offenkundig der Versuch gemacht, die Schuld an den 642 Toten der französischen Widerstandsbewegung zuzuschieben. An dieser Version hielten Revisionisten44 zeitlebens fest.
Erschwerend für die Untersuchungen kam hinzu, dass der Großteil der Soldaten, die am Massaker in Oradour beteiligt waren, in den folgenden Wochen an der Normandiefront fiel. In der allgemeinen Aufregung des nahenden Kriegsendes gab es zunächst andere Prioritäten als die Strafverfolgung dieses Verbrechens.
[...]
1 Vgl. Sachs, Bärbel, Die Ex-officio-Prüfung durch die Gemeinschaftsgerichte, Tübingen, 2008, S. 204.
2 Eine Analyse der deutschen Reaktionen in der Deutschen Demokratischen Republik auf den Oradour-Prozess ist in einer eigenen Untersuchung mit einem klaren Augenmerk auf die Besonderheiten der DDR besser aufgehoben. Zur speziellen Situation der Presse in der DDR siehe z.B.: Zahlmann, Stefan(Hg.), Wie im Westen, nur anders, Medien in der DDR, Berlin, 2010.
3 Vgl. Moisel, Claudia, Résistance und Repressalien, Die Kriegsverbrecherprozesse in der französischen Zone und in Frankreich, in: Frei, Norbert(Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik, Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen, 2006, S. 247-282, hier 248.
4 Grundlage hierfür bildeten die damals größten bundesweiten Tageszeitungen und ausgewählte Regionalzeitungen im Untersuchungszeitraum: Januar 1953 bis einschließlich März 1953; Siehe Literaturverzeichnis.
5 1936 lebten einer Volkszählung zufolge 1547 Einwohner in der Gemeinde. Obwohl im Zuge der Mobilmachung zu Kriegsbeginn 168 Männer die Gemeinde verließen, wuchs die Einwohnerzahl bis zum Jahr 1944 durch die Aufnahme von französischen Flüchtlingen aus Lothringen und dem Elsass sowie spanischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Vgl. Fouché, Jean- Jacques, Massacre at Oradour, France 1944: Coming to Grips with Terror, DeKalb, 2005, S. 100-101.
6 Vgl. Farmer, Sarah, Martyred Village: Commemorating the 1944 Massacre at Oradour-sur- Glane, Berkeley, 1999, S. 20-23.
7 Vgl. Ebd., S. 23-24.
8 Sie war somit auf Opferseite die einzige Augenzeugin für die Ereignisse in der Kirche. Daher waren ihre Aussagen für den Prozess in Bordeaux achteinhalb Jahre später, von großer Bedeutung.
9 Vgl. Fouché, Massacre at Oradour, S. 127-133.
10 Vgl. Meyer, Henning, Der Wandel der französischen „Erinnerungskultur“ des Zweiten Weltkriegs am Beispiel dreier „Erinnerungsorte“: Bordeaux, Caen und Oradour-sur-Glane, Dissertation, Universität Michel de Montaigne Bordeaux 3, 2006, S. 314.
11 Fouché verweist auf die Praxis der Nazis in Osteuropa, Leichen anzuzünden und in Massengräbern zu begraben. Vgl. Fouché, Massacre at Oradour, S. 144-145.
12 In Oradour konnten später lediglich 52 Leichen identifiziert werden. Allein das Ermitteln der genauen Zahl der Opfer dauerte mehr als zwei Jahre. 1946 erging ein Urteil des Zivilgerichts in Rochechouart, das die Zahl der Opfer auf 642 festlegte. Vgl. Ebd., S. 145.
13 Vgl. dazu: Meyer, H., Erinnerungskultur, S. 312-316.
14 Vgl. Farmer, Martyred Village, S. 59-66.
15 Vgl. Moisel, Claudia, Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher, Göttingen, 2004, S. 154-155.
16 Farmer, Martyred Village, S. 83.
17 Vgl. Gisinger, Arno, Vel’d’Hiv’ und Oradour sur Glane oder: La compétition des mémoires, in: Steininger, Rolf (Hg.), Der Umgang mit dem Holocaust, Europa - USA - Israel, Wien, 1994, S. 329-346, hier 331.
18 Vgl. Meyer, H., Erinnerungskultur, S. 425-445.
19 Die Tageszeitung, 10.6.2004: „Oradour - das ungesühnte Verbrechen“ von Christian Semler; http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2004/06/10/a0061 (abgerufen am 01.12.2011).
20 Vgl. Hastings, Max, Das Reich, The March of the 2nd SS Panzer Division through France, June 1944, London, 1983, S. 1-3.
21 Lieb, Peter, Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg?, Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/1944, München, 2007, S. 360-366.
22 Vgl. Ebd.
23 Vgl. Ebd.
24 Insgesamt dienten bis Kriegsende circa 100.000 Elsässer (10% der Gesamtbevölkerung) in der Wehrmacht oder der Waffen-SS. Vgl. Poloni, Bernhard, Frankreich und das Problem deutschsprachiger Minderheiten am Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Kittel, Manfred/Möller, Horst/Pešek, Jiři/Tůma, Oldřich (Hg.), Deutschsprachige Minderheiten 1945, Ein europäischer Vergleich, München, 2007, S. 523-570, hier 541.
25 Vgl. Hastings, Das Reich, S.2-4; Vgl. Fouché, Oradour, S. 33-38.
26 Vgl. Wegner, Bernd, Hitlers Politische Soldaten: Die Waffen-SS 1933-1945, Paderborn, 1997, S. 135-147.
27 Ebd., S. 294.
28 Vgl. Ebd., S. 263-295.
29 Vgl. Dülffer, Jost, Deutsche Geschichte 1933 - 1945, Führerglaube und Vernichtungskrieg, Stuttgart, 1991, S. 160-162; Die Unterscheidung zwischen „echten“ Freiwilligen und Zwangsrekrutierten gestaltet sich hier als äußerst schwierig, da es kaum aussagekräftige Zahlen gibt. Der aus Zwangsaushebungen stammende Anteil an Volksdeutschen aus Südosteuropa war jedoch „beträchtlich“. Vgl. Wegner, Waffen-SS, S. 292.
30 Kartheuser, Bruno, Die Erhängungen von Tulle - Ein ungesühntes Verbrechen, Vortrag auf der EU-Tagung „Europäische Perspektiven der Gedenkstättenpädagogik zur NS- Zeit“ vom 3. bis 5. November 2008 in der Gedenkstätte KZ Osthofen, http://www.eu-tagung- osthofen.eu/index.php/kartheuser.html (abgerufen am 01.11.11).
31 Vgl. Lieb, Konventioneller Krieg, S. 363-368; Vgl. dazu Fouché, Oradour, S. 43-66.
32 Vgl. Meyer, Ahlrich, Die deutsche Besatzung in Frankreich, 1940-1944, Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt, 2000, S. 155-156.
33 Befehl Ob. West an röm. 66. Res. Korps vom 08.06.1944 BA-MA, RH 19/IV/133, Fotokopie abgedruckt in: Taege, Herbert, Wo ist Abel?, Weitere Enthüllungen und Dokumente zum Komplex Tulle + Oradour, Lindhorst, 1985, S. 42; Findet sich wortwörtlich u.a. in: Meyer, Die deutsche Besatzung, S. 153-154.
34 Vgl. Meyer, Ahlrich, Oradour 1944, in: Ueberschär, Gerd R. (Hg), Orte des Grauens, Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt, 2003, S. 179.
35 Diese Frage richtete der Überlebende Robert Hebras, der durch das Massaker seine Mutter und zwei Schwestern verloren hatte, am 31. Mai 1983 an den Angeklagten Heinz Barth vor dem Berliner Stadtgericht. Barth wurde in der DDR fast 40 Jahre nach den Ereignissen in Oradour wegen seiner Mittäterschaft am Massaker angeklagt und im Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Vgl. Przybylski, Peter/Busse, Horst, Mörder von Oradour, Berlin, 1984, S.133-135;Vgl. Ebd., S. 79.
36 Lieb, Konventioneller Krieg, S. 368.
37 Meyer, A., Oradour, S. 183.
38 Meyer, A., Die deutsche Besatzung in Frankreich, S. 156.
39 Heinz Barth sagte am 30. Mai 1983 in der Hauptverhandlung in Berlin aus: „Diekmann befahl uns, über das Geschehen der letzten Stunden Stillschweigen zu bewahren. Falls es doch zur Sprache käme, sollten wir sagen, es habe Widerstand gegeben, im Zuge der Abwehr sei alles in Flammen aufgegangen und die Menschen getötet worden.“ Zit. nach: Przybylski/Busse, Mörder von Oradour, S. 96.
40 Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. November 1945- 1. Oktober 1946, Bd. XXXVII, Urkunden und anderes Beweismaterial, Nürnberg, 1949, S. 18; Bei dem „Unter-Sturmf[ührer].“ handelt es sich vermutlich um Gerlach, siehe Gerlach-Affäre, S. 15.
41 Vgl. Meyer, A., Die deutsche Besatzung in Frankreich, S. 156-158. Beim Prozess in Bordeaux 1953 stellte sich heraus, dass die SS sehr wohl zwischen den beiden Oradours unterscheiden konnte. Auf einer Wandkarte, die Regierungsbeamte in den fluchtartig verlassenen Räumen der SS- und Gestapokommandos fanden, war Oradour-sur-Glane nicht als Maquinest gekennzeichnet, wohl aber Oradour-sur-Vayres. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.1953.
42 Farmer, Martyred Village, S. 31; Der Regionalpräfekt der Limousin, Marc-Paul Freund- Valade, berichtete der Regierung in Vichy ausführlich, was sich in Oradour-Sur-Glane fünf Tage vorher ereignet hatte. Er begann bereits am 11. Juni damit, die aufkommenden Gerüchte über ein Massaker der Deutschen in Oradour-sur-Glane zu untersuchen, bekam jedoch von den deutschen Besatzern keinen Passierschein ausgestellt und erreichte daher das Dorf erst am 13. Juni; Vgl. Ebd.: S. 29-32.
43 Vgl dazu z.B.: Meyer, A., Oradour, S. 178-181.
44 Siehe z.B. Herbert Taege mit seinen Veröffentlichungen „Wo ist Kain?“ und „Wo ist Abel?“ oder der spätere Kommandeur des 4. Panzergrenadierregiments „Der Führer“, Otto Weidinger mit: „Division Das Reich“ und „Tulle und Oradour“.
Ende der Leseprobe aus 54 Seiten
Details
Titel
Das Massaker von Oradour: Die deutsche Rezeption des Prozesses in Bordeaux 1953
Hochschule
Universität Kassel
Note
2,0
Autor
Lars Elliger (Autor:in)
Jahr
2012
Seiten
54
Katalognummer
V196897
ISBN (eBook)
9783656228967
ISBN (Buch)
9783656229124
Dateigröße
658 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Oradour, Bordeaux, Rezeption, 1953, deutsche Öffentlichkeit, Tageszeitungen im Nachkriegsdeutschland, "Das Reich", Massaker
Arbeit zitieren
Lars Elliger (Autor:in), 2012, Das Massaker von Oradour: Die deutsche Rezeption des Prozesses in Bordeaux 1953, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/
2.2 Online-Artikel zur Juristischen Aufarbeitung des Massaker von Oradour-sur-Glane
Vor 75 Jahren: Das Massaker von Oradour-sur-Glane
07.06.2019 / 4 Minuten zu lesen
Am 10. Juni 1944 töteten Angehörige der SS-Division "Das Reich" im französischen Dorf Oradour-sur-Glane 642 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Die Mehrzahl der Täter wurde nie zur Verantwortung gezogen.
Das Bild zeigt die Ruinen in Oradour-Sur-Glane in Frankreich. Im Vordergrund steht ein verrostetes Auto.
Der französische Ort Oradour-sur-Glane wurde nach dem Massaker an der Zivilbevölkerung weitgehend zerstört. Die Ruinen sind heute eine Mahn- und Gedenkstätte. (© picture-alliance, All Canada Photos)
In Deutschland ist das zentralfranzösische Dorf Oradour-sur-Glane vielen Menschen kein Begriff. In Frankreich dagegen kennt den Ort fast jeder: Hier verübten Soldaten der Waffen-SS am 10. Juni 1944 ein Massaker an der unbewaffneten Zivilbevölkerung. 642 Dorfbewohner wurden ermordet, unter ihnen 245 Frauen und 207 Kinder. Es war ein durch die Nationalsozialisten als "Vergeltungsaktion" bezeichneter Massenmord als Reaktion auf den wachsenden französischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung.
Massaker in Tulle und Oradour-sur-Glane
Am 6. Juni 1944 waren alliierte Streitkräfte in der Normandie gelandet (Interner Link:D-Day). Die in Südwestfrankreich stationierte 2. SS-Panzer-Division "Das Reich" wurde deshalb nach Norden verlegt. Auf ihrem Weg zur Front begingen die SS-Männer mehrere Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung.
In der Stadt Tulle erhängten Mitglieder der Einheit am 9. Juni 1944 99 Zivilisten. Dort hatten sich in den Tagen zuvor Partisanen gegen die deutschen Besatzer zur Wehr gesetzt. Sowohl deutsche Soldaten als auch französische Widerstandskämpfer fielen in den Kämpfen. Der französische Widerstand erhoffte sich nach dem D-Day eine landesweite Signalwirkung von den Guerilla-Aktionen gegen die Deutschen. Die deutschen Besatzer antworteten mit brutaler Gewalt.
Einen Tag später erreichte die SS-Division den Ort Oradour-sur-Glane. Der Offizier Adolf Diekmann ließ die Bewohner auf dem Marktplatz zusammentreiben. Die Männer wurden in fünf Gruppen unterteilt und in Scheunen eingesperrt. Dort eröffneten SS-Angehörige das Feuer auf sie, danach wurden die Scheunen in Brand gesetzt. Frauen und Kinder wurden in die Dorfkirche gesperrt. Die Soldaten zündeten eine Rauchbombe am Altar. Als einige der Eingeschlossenen versuchten, sich vor dem beißenden Qualm in Sicherheit zu bringen, wurden sie erschossen. Anschließend wurde das Kirchengebäude in Brand gesteckt.
Nur wenige Einwohner von Oradour überlebten. Nach dem Massaker plünderten die SS-Soldaten die Wohnhäuser und steckten das Dorf in Brand. Die Überreste des alten Dorfes wurden nach dem Krieg als Mahnmal erhalten. Der Ort wurde in den 1950er-Jahren in direkter Nähe neu aufgebaut.
Unzureichende juristische Aufarbeitung
Kaum ein Verantwortlicher wurde für das Massaker in Oradour juristisch zur Verantwortung gezogen. Zu einem größeren Prozess kam es lediglich 1953 vor einem Militärgericht in Bordeaux, als 21 SS-Angehörige – sieben aus Deutschland und 14 aus dem Elsass – zu langjährigen Haftstrafen beziehungsweise zum Tode verurteilt wurden. Im Elsass sorgte das Urteil für einen Eklat, weil die SS dort junge Männer zwangsrekrutiert hatte. Deshalb wurden die elsässischen Täter von der französischen Nationalversammlung amnestiert. Auch die deutschen Täter wurden bis 1959 aus französischer Haft entlassen.
Adolf Diekmann, der die Mordaktion als Sturmbannführer befahl, starb am 29. Juni 1944 bei Kämpfen in der Normandie. Heinz Lammerding, der als Generalleutnant hauptverantwortlich für die Massaker der SS-Division "Das Reich" war und in dessen Verantwortungsbereich die Massaker in Tulle und Oradour fielen, tauchte nach dem Krieg bis 1958 unter. In Abwesenheit wurde er von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt. Anschließend lieferte ihn Deutschland aber nicht an Frankreich aus. In Deutschland kam es zu keinem gerichtlichen Verfahren gegen Heinz Lammerding. Denn der zwischen Deutschland und den Westmächten geschlossene Überleitungsvertrag sah vor, dass Kriegsverbrecher, die bereits von den Alliierten verurteilt wurden, nicht mehr von einem deutschen Gericht belangt werden konnten. Heinz Lammerding arbeitete als Bauunternehmer in Düsseldorf und starb 1971.
Erst 1975 wurde ein Zusatzabkommen zum Überleitungsvertrag zwischen Deutschland und Frankreich ratifiziert, das Ermittlungen der westdeutschen Justiz im Falle bereits bestehender französischer Urteile möglich machte. Die Vereinbarung wurde in den Medien als "Lex Klarsfeld" bezeichnet: Das deutsch-französische Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld hatte in den Jahren zuvor unermüdlich darauf hingewiesen, dass viele Kriegsverbrecher in Westdeutschland unbehelligt blieben. Tatsächlich machte das Zusatzabkommen neue Prozesse möglich, zum Beispiel gegen den Gestapo-Juristen Kurt Lischka. Für die Haupttäter von Oradour kam es jedoch zu spät.
Verurteilung in der DDR
In der DDR wurde ein Täter vor Gericht gestellt: SS-Obersturmführer Heinz Barth war am Massaker in Oradour beteiligt und wurde 1983 zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde 1997 wegen seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Gefängnis entlassen und starb 2007.
Zuletzt hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund im Jahr 2014 Anklage gegen einen Mann erhoben, der an dem Massaker in Oradour beteiligt gewesen sein soll. Zu einen Prozess kam es nicht. Das Landgericht Köln hatte die Eröffnung eines Verfahrens mangels Beweismitteln abgelehnt.
Erinnerung in Frankreich und Deutschland
Im Jahr 1999 eröffnete der französische Staatspräsident Jacques Chirac eine neu gestaltete Mahn- und Gedenkstätte in Oradour. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt besuchte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck im Jahr 2013 die Mahn- und Gedenkstätte in Oradour. In seiner Rede sagte er: "Wenn ich heute in die Augen derer blicke, die von diesem Verbrechen gezeichnet sind, kann ich hier in Oradour sagen: Ich teile die Bitterkeit darüber, dass Mörder nicht zur Verantwortung gezogen wurden, dass schwerste Verbrechen ungesühnt blieben. Sie ist meine Bitterkeit."
https://www.bpb.de/
Historikerin über das Massaker in Oradour-sur-Glane
"Wir haben bis heute eine Leerstelle"
Vor 75 Jahren ermordeten Angehörige einer SS-Panzer-Division fast alle Bewohner der Gemeinde Oradour-sur-Glane. Die Aufarbeitung des Massakers ist von Widersprüchen gesprägt. Wie gehen Deutschland und Frankreich damit um?
10.06.2019
Vor 75 Jahren, am 10. Juni 1944, ermordeten Angehörige der SS-Panzer-Division "Das Reich" 642 Bewohner von Oradour-sur-Glane, unter ihnen 245 Frauen und 207 Kinder. Anschließend legten sie das französische Dorf in Schutt und Asche.
Die Karlsruher Historikerin Andrea Erkenbrecher beschäftigt sich seit Jahren mit dem Massaker und berät unter anderem die nordrhein-westfälische Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei ihren nach wie vor laufenden Ermittlungen.
KNA: Frau Erkenbrecher, am 10. Juni 1944 metzelten Angehörige der SS-Panzerdivision "Das Reich" in Oradour-sur-Glane die männlichen Einwohner nieder und trieben die Frauen und Kinder in die Kirche des Dorfes, um sie dort umzubringen. Wie kam es zu diesem Gewalt-Exzess?
Andrea Erkenbrecher (Historikerin): Wir wissen zwar sehr genau, was vor Ort geschah, haben aber bei dieser Frage bis heute eine Leerstelle: Wir wissen schlicht nicht, wer das Massaker befohlen hat.
KNA: Aber der Kontext ist bekannt.
Erkenbrecher: Ja, das Massaker lässt sich im Umfeld der seit Frühjahr 1944 laufenden Partisanenbekämpfung verorten. Diese zielte auch darauf, über den Terror gegen die Zivilbevölkerung den bewaffneten Widerstand, den Maquis, zu treffen. In dem Sinne ist Oradour nichts Neues. Neu allerdings ist das Ausmaß der Gewalt.
KNA: Welche Erklärungen gibt es dafür?
Erkenbrecher: Im Wesentlichen sind es zwei Lesarten. Die eine besagt, dass sich mit der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 der Kampf gegen den Maquis, der inzwischen ganze Landstriche kontrollierte, massiv verschärfte. Die SS-Panzerdivision "Das Reich" war damit beauftragt worden, den Widerstand im Raum Limoges zu brechen, und wollte – so die erste These – mit dem Massaker ein Exempel zu statuieren. Ähnlich war man bereits an der Ostfront vorgegangen, und viele SS-Männer auf der Kommando-Ebene waren dort eingesetzt gewesen.
KNA: Die zweite Lesart?
Erkenbrecher: Geht von einem Alleingang des Bataillonschefs, Sturmbannführer Adolf Diekmann, aus. Das ist bis heute ein Streitpunkt, auch wenn das Gros der Historiker zur ersten Erklärung tendiert. Aber: Diekmann ist kurz nach dem Massaker gefallen. Alles, was wir über ihn wissen, wissen wir aus zweiter Hand.
KNA: Haben die überlebenden Täter diesen Umstand für sich genutzt?
Erkenbrecher: Die Ebene über ihm, also die Kommandeure in Regiment und in der Division, waren alle nicht vor Ort, behaupteten aber sehr bald schon unisono: "Das hat der Diekmann selber und befehlswidrig entschieden." Diekmann hingegen soll sich gegenüber dem Kompanieführer auf einen Regimentsbefehl bezogen haben.
KNA: Wozu dieses Schwarze-Peter-Spiel?
Erkenbrecher: Um sich selbst und die Waffen-SS zu exkulpieren. Schon kurz nach dem Massaker war Oradour international bekannt und wurde spätestens beim Nürnberger Prozess ein Symbol für die Kriegsverbrechen der Waffen-SS. Den Offizieren ging es um das Bild der Einheit und die drohende strafrechtliche Verfolgung.
KNA: Wie ging es nach dem Krieg weiter?
Erkenbrecher: Auf deutscher Seite stellt man schon sehr früh, noch in den 40er-Jahren, fest: "Das ist ein Schandmal, das uns begleiten wird." Immer wieder schiebt sich in den Folgejahren das Thema an die Oberfläche der Tagespolitik. Zum Beispiel fragen Abgeordnete im französischen Parlament regelmäßig: "Was ist eigentlich mit Lammerding, warum wird der in Deutschland nicht verfolgt, können wir ihn ausliefern lassen?"
KNA: Heinz Lammerding war der Divisions-Kommandeur...
Erkenbrecher: ...der in Frankreich wegen des Massakers in Tulle in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde. Das Grundgesetz der Bundesrepublik verbot seine Auslieferung, Lammerding machte Karriere als Bauunternehmer in Düsseldorf. In der Bundesrepublik wurde wegen Oradour gegen ihn ermittelt, das Verfahren aber mangels Beweisen eingestellt. Er starb 1971, kurz bevor die deutsche Justiz auch wegen Tulle hätte ein Verfahren eröffnen können.
KNA: Mit Joachim Gauck besuchte 2013 erst sehr spät ein deutscher Bundespräsident Oradour-sur-Glane – warum?
Erkenbrecher: Das erscheint nur im ersten Moment seltsam. Die deutsch-französische Versöhnungspolitik knüpfte zunächst vor allem an Orte und Ereignisse aus dem Ersten Weltkrieg an, zum Beispiel Verdun und Reims. Der Zweiten Weltkrieg schien den Politikern dagegen lange als emotional zu aufgeladen. Oradour bildet keine Ausnahme, auch Drancy, von wo aus die in Frankreich lebenden Juden deportiert wurden, oder Tulle, wo die SS einen Tag vor Oradour mordete, gehören dazu. Das änderte sich spätestens 2004 mit dem Gedenken an die Invasion der Alliierten in der Normandie, zu dem auch der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeladen wurde.
KNA: Was bedeutete das für die Erinnerung an Oradour?
Erkenbrecher: Das Auswärtige Amt begann jetzt darüber nachzudenken, dass man auch ein Zeichen in Oradour setzen könnte. Dazu nahm man die Position der Überlebenden verstärkt in den Blick, und merkte, dass es gegen einen hochrangigen Besuch aus Deutschland immer noch Widerstände gab. Außerdem spielte die innerfranzösische Oradour-Problematik eine wichtige Rolle.
KNA: Wie meinen Sie das?
Erkenbrecher: Als einigen Tätern 1953 in Bordeaux der Prozess gemacht wurde, saßen auch 14 französische Männer auf der Anklagebank. Es handelte sich um Elsässer, die zuallermeist zur Waffen-SS zwangsrekrutiert worden waren. Am Ende stand ein Urteil auch gegen diese französischen Angeklagten. Und das wiederum löste eine veritable Staatskrise aus, weil im Elsass daraufhin ein großer Proteststurm losbrach. Schließlich amnestierte man die französischen Zwangseingezogenen im Sinne der Staatsräson. Ein über Jahrzehnte wirksames Zerwürfnis zwischen Oradour und dem französischen Staat war die Folge.
KNA: Für die deutschen Besuchspläne hieß das?
Erkenbrecher: Dass ein Versöhnungsbesuch solange unmöglich schien, bis sich der Ort nicht mit dem französischen Staat ausgesöhnt hatte. Auch deswegen dauerte es so lange, bis ein Bundespräsident dorthin reiste.
KNA: Wie gehen die Einwohner des neuen Oradour-sur-Glane heute mit den zerstörten Resten des alten Dorfes um?
Erkenbrecher: Von den rund 2.500 Bewohnern sind nur noch die wenigsten familiär mit dem Massaker verbunden. Aber es gibt einen sehr aktiven Hinterbliebenen-Verband. Eine große Herausforderung ist der Erhalt der Ruinen. Im kommenden Jahr soll die Kirche restauriert werden, in der SS-Männer seinerzeit die Frauen und Kinder des Ortes zusammentrieben, um sie zu töten.
Das Interview führte Joachim Heinz.
https://www.domradio.de/
SS-Massaker von Oradour
Kein Verfahren gegen 90-Jährigen
Weil er 1944 an der Ermordung Hunderter Menschen in Frankreich beteiligt gewesen sein soll, wollte die Staatsanwaltschaft einem 90-Jährigen den Prozess machen. Doch das OLG Köln entschied jetzt: Dazu wird es nicht kommen.
17.06.2015, 14.57 Uhr
Mehr als 70 Jahre nach dem SS-Massaker im französischen Oradour-sur-Glane ist die Staatsanwaltschaft Dortmund endgültig mit dem Versuch gescheitert, einen heute 90-jährigen Kölner wegen des Kriegsverbrechens vor Gericht zu stellen. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln wies eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens am Kölner Landgericht ab. Das teilte eine OLG-Sprecherin mit.
Wie zuvor das Landgericht befand auch der OLG-Senat, dem Rentner sei eine konkrete Beteiligung an einzelnen Tötungsdelikten oder Beihilfe zu den Taten nach Aktenlage wahrscheinlich nicht nachzuweisen. Damit ist die Entscheidung des Landgerichts vom vergangenen Dezember rechtskräftig, das Verfahren gegen den Rentner nicht zu eröffnen.
Die für die Verfolgung von NS-Verbrechen zuständige Staatsanwaltschaft Dortmund hatte dem Mann vorgeworfen, bei dem Massaker in Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944 gemeinsam mit anderen Mitgliedern seiner Kompanie 25 Menschen erschossen zu haben. Zudem wurde ihm Beihilfe zum Mord an Hunderten weiteren Menschen zur Last gelegt.
Der Angeklagte gab laut Gericht unter anderem an, er sei bei dem Massaker an Zivilisten in Oradour-sur-Glane zwar anwesend gewesen, er habe selbst aber weder geschossen noch Bewachungs- oder Transportaufgaben übernommen. Diese Darstellung sei "mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln voraussichtlich nicht zu widerlegen", befand das OLG.
SS-Soldaten hatten bei dem Massaker in dem französischen Ort insgesamt 642 Zivilisten ermordet, darunter 452 Frauen und Kinder. Nur wenige Einwohner überlebten. An den SS-Morden waren mindestens 120 Soldaten der 3. Kompanie des SS-Panzergrenadierregiments "Der Führer" beteiligt, die zur 2. SS-Panzerdivision "Das Reich" gehörten. Die Division war nach schweren Verlusten an der Ostfront nach Südwestfrankreich verlegt worden.
https://www.spiegel.de/
NS-Verbrechen in Frankreich
Gericht lehnt Prozess wegen Massakers von Oradour ab
Ein 89-Jähriger soll laut Staatsanwaltschaft 1944 an der Ermordung Hunderter Menschen in Oradour-sur-Glane beteiligt gewesen sein. Einen Prozess gegen den Mann wird es nicht geben, entschied nun das Kölner Landgericht.
09.12.2014, 12.09 Uhr
Köln - In Oradour-sur-Glane hatten SS-Männer 1944 mehr als 600 Menschen ermordet, 70 Jahre nach dem Massaker hat das Landgericht Köln die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen einen angeklagten 89-Jährigen abgelehnt. Es sei unwahrscheinlich, dem Mann aus Köln nachweisen zu können, dass er sich an den SS-Morden in dem zentralfranzösischen Ort beteiligt habe, befand das Gericht in einem am Dienstag veröffentlichten Beschluss.
Der Angeklagte hatte dem Gericht zufolge angegeben, er sei bei dem Massaker an Zivilisten in Oradour-sur-Glane zwar anwesend gewesen. Er selbst habe aber weder geschossen noch Bewachungs- oder Transportaufgaben übernommen . Diese Darstellung des Rentners werde "mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln voraussichtlich nicht zu widerlegen sein", befand das Gericht. So habe keiner der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen den Angeschuldigten mit den Geschehnissen in Oradour-sur-Glane in Verbindung gebracht. Zudem sei sein Name in keiner Vernehmung erwähnt worden.
Gegen die Entscheidung kann die Staatsanwaltschaft Beschwerde einlegen. Die für die Verfolgung von NS-Verbrechen zuständige Staatsanwaltschaft Dortmund wirft dem Mann vor, gemeinsam mit anderen Mitgliedern seiner Kompanie 25 Menschen getötet zu haben. Zudem wird ihm Beihilfe zum Mord an Hunderten weiteren Menschen zur Last gelegt.
Gericht: "Kompanieliste" kein belastbares Beweismittel
Bei dem Massaker in Oradour-sur-Glane waren am 10. Juni 1944 insgesamt 642 Zivilisten von SS-Schergen ermordet worden, darunter 452 Frauen und Kinder. Die Menschen wurden zunächst auf dem Marktplatz im Zentrum des Ortes zusammengetrieben. Dann schlossen die Soldaten Frauen und Kinder in der Kirche ein, die Männer wurden in mehreren Scheunen zusammengepfercht.
Die SS-Schergen brannten schließlich sämtliche Gebäude der Ortschaft nieder. Einige der Opfer wurden erschossen, die meisten verbrannten. Nur sechs Menschen konnten dem Inferno entkommen, an dem mindestens 120 Soldaten der 3. Kompanie des SS-Panzergrenadierregiments "Der Führer" beteiligt waren.
Auch die von der Staatsanwaltschaft zum Tatnachweis angeführte Kompanieliste, die den Angeschuldigten als Maschinengewehrschützen einer beteiligten Gruppe aufführe, stellt laut Kölner Landgericht kein belastbares Beweismittel dar. Die Begründung: Die Liste sei unvollständig und liege nicht im Original vor. Zudem sei sie mit den Angaben einer Vielzahl von Zeugen zur damaligen Gruppenzusammensetzung teilweise nicht vereinbar.
wit/AFP
https://www.spiegel.de/
Kein Prozess wegen SS-Massaker in Oradour
AKTUELL EUROPA
Das Massaker der SS im französischen Oradour liegt 70 Jahre zurück. Die Staatsanwaltschaft wollte jetzt einen 89-Jährigen wegen der Mittäterschaft bei dem Kriegsverbrechen vor Gericht stellen - und scheiterte.
Datum 09.12.2014
Im Juni 1944 massakriert die Waffen-SS im französischen Dorf Oradour-sur-Glane 642 Menschen. Die Staatsanwaltschaft Dortmund, zuständig für die Verfolgung von Verbrechen der deutschen Nationalsozialisten, versucht immer noch, Täter zur Verantwortung zu ziehen. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich einmal mehr gezeigt hat. Das Landgericht Köln lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Rentner ab, weil ihm eine aktive Beteiligung an den Morden wahrscheinlich nicht mehr nachzuweisen sei.
Dürftige Beweislage
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hatte den 89-jährigen Kölner im Januar angeklagt. Sie wirft dem Mann vor, gemeinsam mit anderen Mitgliedern seiner Kompanie 25 Menschen in einem Weinkeller erschossen zu haben. Zudem wird ihm Beihilfe zum Mord an hunderten weiteren Menschen zur Last gelegt. Der zur Tatzeit 19-Jährige gab laut Kölner Landgericht an, er sei bei dem Massaker in Oradour zwar anwesend gewesen, habe aber weder geschossen noch Bewachungs- oder Transportaufgaben übernommen. Diese Darstellung des Mannes werde "mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln voraussichtlich nicht zu widerlegen sein", befand das Gericht.
Die Strafkammer verwies in ihrer Begründung darauf, dass keiner der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen den Beschuldigten mit den Geschehnissen in Verbindung gebracht habe und dass sein Name in keiner Vernehmung Erwähnung finde. Die bloße Anwesenheit des Mannes bei den Gräueltaten könne aber rechtlich nicht als Beihilfe zum Mord gewertet werden.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund ließ zunächst offen, ob sie gegen die Gerichtsentscheidung Beschwerde einlegt. Laut Oberstaatsanwalt Andreas Brendel wird wegen des Massakers unverändert gegen mehrere weitere Beschuldigte ermittelt. Die Beweislage sei aber "äußerst dürftig", räumte er ein.
Enttäuschung in Oradour
Überlebende und Politiker in Oradour-sur-Glane zeigten sich enttäuscht von der Entscheidung. Der langjährige Bürgermeister des Ortes, Raymond Frugier, der sich nach eigener Aussage mehrfach mit den Dortmunder Ermittlern getroffen hatte, äußerte sich "überrascht". "Niemand hätte gedacht, dass die deutsche Justiz einen alten Mann hinter Gitter bringt. Aber es wäre richtig gewesen, die Sache juristisch bis zum Ende zu verfolgen."
Bei dem Massaker in dem zentralfranzösischen Ort waren am 10. Juni 1944 insgesamt 642 Franzosen von der deutschen Waffen-SS ermordet worden, darunter 452 Frauen und Kinder. Nur wenige Einwohner überlebten das Massaker, an dem mindestens 120 Soldaten eines SS-Panzergrenadierregimentes beteiligt waren. Bis heute gilt das Blutbad als Symbol für die Grausamkeit der Nazi-Besatzung in Frankreich.
Der zerstörte Ortskern von Oradour (Artikelbild) wurde nicht wieder aufgebaut und ist heute Mahn- und Gedenkstätte. Im vergangenen Jahr besuchte Bundespräsident Joachim Gauck zusammen mit Frankreichs Präsident François Hollande als erstes deutsches Staatsoberhaupt Oradour.
qu/det (afp, dpa, rtre, APE)
Datum 09.12.2014
https://www.dw.com/
SS-Massaker von Oradour
Kein Prozess gegen 89-jährigen Kölner
Stand: 09.12.2014, 12:27 Uhr
SS-Männer töteten 1944 über 600 Menschen in Oradour-sur-Glane - ein heute 89 Jahre alter Kölner soll als 19-Jähriger an dem Massaker beteiligt gewesen sein. Das Kölner Landgericht will jedoch kein Verfahren eröffnen. Denn eine Verurteilung sei unwahrscheinlich.
Das Landgericht in Köln geht davon aus, dass dem Rentner eine aktive Beteiligung nicht mehr nachweisbar ist, wie es am Dienstag (09.12.2014) mitteilte. Der Mann habe zwar nie bestritten, als Mitglied des SS-Panzergrenadier-Regiments 4 "Der Führer" beim Massaker im französischen Dorf Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944 vor Ort gewesen zu sein. Stichhaltige Beweise dafür, dass er selbst Menschen getötet oder aktiv bei der Ermordung der 624 Dorfbewohner geholfen habe, sieht das Gericht aber nicht. Deshalb wurde nach Auskunft des Gerichtes die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen den Mann abgelehnt.
Die für die Aufarbeitung von NS-Verbrechen zuständige Staatsanwaltschaft in Dortmund hatte den Kölner im Januar vor der Kölner Jugendkammer angeklagt - weil er zur Tatzeit 19 Jahre alt war. "Wir haben nun eine Woche Zeit für eine sogenannte sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Gerichts", sagte der zuständige Oberstaatsanwalt Andreas Brendel am Dienstag zu WDR.de. Ihm sei der Beschluss allerdings noch nicht zugegangen, erst von diesem Zeitpunkt an laufe die Frist. Ob die Staatsanwaltschaft dagegen vorgehe, könne er erst sagen, wenn er die Begründung im Detail kenne.
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Männer, Frauen, Kinder
Dem Kölner Rentner wirft die Staatsanwaltschaft vor, gemeinsam mit anderen Kompaniemitgliedern den Tod von 25 Männern verursacht zu haben. So sollen er und ein weiterer Maschinengewehrschütze die Männer in einem Weinlager niedergeschossen haben, bevor die Überlebenden von anderen Soldaten durch Pistolenschüsse und das Inbrandsetzen der Scheune getötet worden seien.
Danach soll der Angeklagte zur Kirche gegangen sein. Darin waren mehrere hundert Frauen und Kinder des Ortes eingesperrt. Angehörige der 3. Kompanie sollen einige von ihnen zunächst mit Sprengstoff, automatischen Waffen und Handgranaten getötet haben. Anschließend wurde die Kirche angezündet. Dadurch sei der Tod der übrigen Frauen und Kinder verursacht worden. Der Angeklagte soll bei ihrer Ermordung geholfen haben, "indem er entweder in Sichtweite der Kirche Absperr- und Bewachungsaufgaben übernahm oder Brennmaterial in die Kirche trug", so die Staatanwaltschaft.
Angeklagter bestreitet Beteiligung
In einer Vernehmung habe der Angeschuldigte eingeräumt, in Oradour gewesen zu sein, sagte der Dortmunder Oberstaatsanwalt Brendel. Er habe aber bestritten, an den Tötungshandlungen aktiv beteiligt gewesen zu sein. Laut Anklage wurden am Tattag insgesamt 642 Einwohner von Oradour-sur-Glane getötet, darunter 254 Frauen und 207 Kinder.
https://www1.wdr.de/
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Oradour-Massaker: Erste Anklage gegen möglichen NS-Verbrecher
Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen einen 89-jährigen Kölner, der vor 70 Jahren am NS-Massaker von Oradour beteiligt gewesen sein soll. Ob es zum Prozess kommt, ist unklar - denn es gilt das Jugendstrafrecht.
Datum 10.06.2014
Autorin/Autor Christian Ignatzi
10. Juni 1944 im nationalsozialistisch besetzten Frankreich. Vier Tage zuvor sind die Alliierten in der Normandie gelandet. Von Südwesten marschiert ihnen das SS-Regiment "Der Führer" entgegen. An diesem Frühlingssamstag erreichen die Deutschen das Dörfchen Oradour-sur-Glane in der Nähe von Limoges. Dort begehen sie ein Verbrechen, das als das größte Massaker Westeuropas in die Geschichte eingehen wird.
Gegen 14 Uhr erscheinen die 120 Soldaten im Dorf und treiben die Bewohner unter dem Vorwand, Waffen zu suchen, auf dem Marktplatz zusammen. Nachdem sie Frauen und Kinder in die Kirche geschickt haben, treiben sie die Männer in Scheunen und erschießen sie. Danach zünden sie die Kirche an und beschießen sie mit Gewehren und Granaten. Warum, ist bis heute ungeklärt. Sie ermorden 642 Menschen. Nur wenige überleben.
Staatsanwaltschaft: Schuldig des Mordes in 25 Fällen
Am Dienstag (10.06.2014) jährt sich das Massaker zum 70. Mal. Nun steht ein Verfahren gegen ein ehemaliges Mitglied des SS-Regiments vor der Eröffnung. "Wir haben Anklage erhoben, weil wir Zeugenaussagen und Archivmaterial ausgewertet haben", so Oberstaatsanwalt Andreas Brendel der DW. Er leitet die Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen. Der Angeklagte Werner C., mittlerweile 89 Jahre alt, soll in Oradour als 19-jähriger SS-Mann 25 Menschen ermordet und in weiteren 617 Fällen Beihilfe zum Mord geleistet haben.
Gauck und Hollande in Oradour-sur-Glane 04.09.2013
Bundespräsident Gauck (rechts) und Frankreichs Präsident Hollande (links) mit dem Überlebenden Robert Hébras in Oradour
In einer Mitteilung des Landgerichts Köln heißt es, der Angeklagte habe gemeinsam mit einem weiteren Maschinengewehrschützen die Männer in einem Weinlager niedergeschossen. Danach habe er bei der Ermordung der Frauen und Kinder geholfen, indem er in Sichtweite der Kirche Absperr- und Bewachungsaufgaben übernahm oder Brennmaterial in die Kirche trug. Sein Anwalt Rainer Pohlen glaubt einer anderen Version. Sein Mandat sei zu Überwachungen eingeteilt gewesen, habe aber nicht geschossen: "Die Beweiswürdigung ist nur 49 Zeilen lang, was bei mehr als 40.000 Seiten Akten nicht viel ist", betont er. "In den Aufzeichnungen kommt der Name meines Mandanten aber nur einmal vor."
Verteidigung: Werner C. war kein Schütze
Zudem habe ein Augenzeuge, der elsässische SS-Mann August Lohner, schon bei einem Tribunal in Bordeaux 1953 sehr präzise Angaben über die Todesschützen gemacht. Der Tatverdächtige sei nicht dabei gewesen. "Tatsächlich wurde er von keinem Augenzeugen erwähnt", sagt Staatsanwalt Brendel. "Aber wir haben Listen ausgewertet und Schlussfolgerungen daraus gezogen." Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass sich keiner der SS-Leute den Befehlen entziehen konnte. Die Gruppe, der Werner C. angehörte, hatte den Auftrag, zu schießen und Feuer zu legen. Anklage und Verteidigung warten nun auf eine Entscheidung des Landgerichts Köln, ob das Verfahren eröffnet wird oder nicht.
Ruinen von Oradour-sur-Glane
Heute ein Geisterdorf: Oradour-sur-Glane dient als Mahnmal
Anwalt Pohlen, der Ende März dem Gericht Argumente gegen eine Verurteilung vorgelegt hat, ist ohnehin der Meinung, dass ein Verfahren 70 Jahre nach den Tatvorwürfen nicht zwingend erforderlich ist: "Ich halte es für historisch nicht geboten, dass man so viele Jahre danach noch tätig wird." Staatsanwalt Brendel widerspricht: "Mord verjährt nicht. Das Strafgesetzbuch sieht keine Altersgrenze für Straftäter vor." Zudem sei es aus moralischen Gründen selbstverständlich, Verfahren gegen mögliche Beteiligte an Kriegsverbrechen einzuleiten.
Jede Verurteilung kann Wogen glätten
Daran hat es lange gehapert. Die Bundesrepublik Deutschland hat bisher niemanden wegen des Massakers zur Verantwortung gezogen. Ein Täter wurde 1983 in der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt und 1997 im wiedervereinigten Deutschland aus der Haft entlassen. Um so bedeutender ist die Anklage gegen Werner C.
Kein Wunder, dass die Angehörigen der Opfer von Oradour Deutschen lange Zeit verboten haben, ihr zerstörtes Dorf zu betreten. Mittlerweile bietet ein Überlebender Führungen durch die Ruinen an. Im vergangenen Jahr besuchte Bundespräsident Joachim Gauck Oradour gemeinsam mit seinem französischen Kollegen François Hollande. Der sichtlich bewegte Gauck bat, Hand in Hand mit Hollande, die Angehörigen um Verzeihung.
SS-Untersturmführer Heinz Barth
In der DDR 1983 zu lebenslanger Haft verurteilt, 1997 entlassen: SS-Mann Heinz Barth (links)
Jede Verurteilung eines NS-Kriegsverbrechers sorgt dafür, die Wogen ein wenig zu glätten, glaubt Staatsanwalt Brendel: "Es kommt eben nicht nur darauf an, Täter zu bestrafen, sondern auch, dass durch uns verschuldete Leid ins Bewusstsein zu rücken." Acht mutmaßliche Täter des Massakers von Oradour stünden derzeit noch auf der Liste, sagt Brendel. "Aktuell laufen außerdem zehn oder elf weitere Verfahren gegen NS-Kriegsverbrecher in Deutschland."
Entscheidung im Sommer erwartet
Dass es noch heute Prozesse gibt, hat mehrere Gründe. Viele Akten sind erst spät freigegeben worden und nach dem Fall der Mauer brachten Stasi-Akten neue Erkenntnisse. Das Schengen-Abkommen erleichtert die grenzübergreifende Arbeit mit Frankreich. In den späten 1970er Jahren gab es schon einmal Ermittlungen gegen Werner C., die mangels Beweisen fallengelassen wurden. "Außerdem", sagt Rechtsanwalt Pohlen, "ist es eine Tatsache, dass die deutsche Justiz viele Jahrzehnte nichts von Oradour wissen wollte. Ich habe den Eindruck, man versucht jetzt, ins Verfahren zu bekommen, was noch geht."
Ob das Hauptverfahren gegen Werner C. eröffnet wird, entscheidet die Jugendkammer am Kölner Landgericht - da der Angeklagte 1944 erst 19 Jahre alt war, gilt das Jugendstrafrecht. "Mit solch einem Fall hat dort noch niemand zu tun gehabt", sagt Rechtsanwalt Pohlen. "Da musste man sich erst einmal einlesen." Pohlen geht davon aus, dass bis Juli oder August Klarheit herrschen wird. "Für meinen Mandanten bedeutet diese Wartezeit natürlich Stress." Sollte das Gericht ihn dann für unschuldig erklären, hätte die Staatsanwaltschaft dennoch etwas erreicht, ist sich Andreas Brendel sicher: "Für die heutige Jugend ist so etwas immer auch ein mahnendes Beispiel im Kampf gegen Neonazis."
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Das Massaker von Oradour :Der Hass verlor sich
Vor 69 Jahren töten Männer der Waffen-SS über 600 Menschen in dem französischen Dorf Oradour-sur-Glane. Erst 2013 besuchten deutsche Ermittler den Ort.
10. 6. 2013, 14:44 Uhr
ORADOUR-SUR-GLANE taz | Die Gassen von Oradour wirken wie die Kulissen eines Kriegsfilms. Nur die Grundmauern der Häuser stehen noch, manche haben verrostete Fensterläden, im Innern wuchern Pflanzen. Einige Alltagsgegenstände haben die Zeit überdauert: eine Singer-Nähmaschine, ein verschnörkeltes Bettgestell, Autos mit imposanten Kühlergrills und geschwungenen Schutzblechen.
„Hier habe ich mit meiner Familie gewohnt“, sagt Robert Hébras und zeigt auf ein Haus. An den halb eingefallenen Mauern sind noch schwarze Brandspuren zu erkennen. „Als die Nazis kamen und uns befahlen, uns auf dem Dorfplatz zu sammeln, spülte meine Mutter gerade Geschirr. Sie war so überrascht, dass sie mit dem Trockentuch in der Hand rausging.“
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Der 87-Jährige Franzose führt bis heute regelmäßig Besucher durch das Ruinendorf, das als Mahnmal des schlimmsten Kriegsverbrechens der Nazis in Frankreich erhalten blieb. Unzählige Male hat er seine Geschichte erzählt – wie die Waffen-SS an jenem heißen Junitag in sein Dorf kam, die Männer in Scheunen sperrte, Frauen und Kinder in die Kirche, und wie er selber in letzter Minute dem Massaker entkam.
„Die Führungen sind keine Routine für mich, es berührt mich immer noch“, sagt er. „Ich tue es um der Opfer willen.“ Hébras schildert die Ereignisse von damals mit ruhiger Stimme, präzise, ohne Pathos. Immer wieder macht er Pausen, damit die Besucher den eigentümlichen Ort auf sich wirken lassen können.
Willkürliche Strafaktion
In dem südwestfranzösischen Dorf im Departement Haute-Vienne töteten Soldaten der Waffen-SS im Juni 1944 fast sämtliche Einwohner und setzten ihre Häuser in Brand. 642 Menschen kamen ums Leben. Die Gründe für den Massenmord wurden nie ganz geklärt, vermutlich war es eine willkürliche Strafaktion, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Kurz zuvor waren die Alliierten in der Normandie gelandet, der Widerstand gegen die deutschen Besatzer wuchs.
Die bundesrepublikanische Justiz ließ die für das Massaker Verantwortlichen weitgehend unbehelligt. Erst in jüngster Zeit hat ein Dortmunder Staatsanwalt Ermittlungen gegen eine Handvoll Verdächtiger aufgenommen.
Hébras geht langsam die Stufen zur ehemaligen Kirche hinauf, in der er als Junge Messdiener war. Die Rundbögen aus hellem Sandstein sind intakt, doch das Dach fehlt. Vor dem Altar liegen verrostete Überreste eines Kinderwagens. „Hier kamen vermutlich meine Mutter und meine Schwester Denise ums Leben“, sagt er.
80 Centimeter hoch lag die Asche
Etwa 450 Frauen und Kinder hatten die deutschen Soldaten in der Kirche eingesperrt. Sie ließen einen Sprengsatz detonieren und schossen mit Maschinengewehren in die Menge. Anschließend verteilten sie Stroh und Reisig auf den Toten und Verletzten und setzten die Kirche in Brand. „80 Zentimeter hoch lag hier die Asche der Opfer“, berichtet der alte Mann und zeigt auf eine Seitenkapelle. „Die meisten von ihnen konnte man nicht mehr identifizieren.“
Der damals 20-Jährige schloss sich bald nach dem Massaker der französischen Résistance an, erfüllt vom Hass auf die Mörder seiner Familie. Als der Krieg vorbei war, kehrte er in seine Heimat zurück. Ein neues Oradour entstand, in Sichtweite der abgebrannten Ruinen. Wie konnte Hébras es aushalten, in der Nähe dieses Ortes zu bleiben? „Ich habe mir nie die Frage gestellt. Ich hatte Arbeit hier in einer Autowerkstatt, später habe ich mich selbstständig gemacht. Es hat sich so ergeben.“
Sein Hass auf die Täter schwand mit der Zeit, irgendwann überwog das Pflichtgefühl. Die Pflicht, Zeugnis abzulegen. Zu berichten, was sich an jenem 10. Juni in Oradour zugetragen hat. Immer und immer wieder. Besuchern die Relikte des zerstörten Dorfes zu zeigen, in dem die Zeit stehen geblieben scheint. „Heute sind wir nur noch zwei Überlebende“, sagt er.
Ein neues Leben in Paris
Marcel Darthout ist 89 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen, aber im Kopf hellwach. Anders als Hébras hat er nach dem Massaker seine Heimat verlassen und sich in Paris ein neues Leben aufgebaut. Erst im Ruhestand zog es ihn wieder in die Nähe von Oradour. Er wohnt eine Viertelstunde von dem Ruinendorf entfernt, in einer idyllischen Hügellandschaft voller Obstbäume.
Auch sein Umgang mit der Erinnerung unterscheidet ihn von Hébras. Darthout fällt es nicht leicht, von damals zu berichten. Mit kleinen Trippelschritten bewegt er sich durch sein Wohnzimmer, um eine dicke Aktenmappe aus dem Schrank zu holen. „Sehen Sie sich diesen Brief an“, sagt er und zieht ein vergilbtes Papier hervor. Der Falz in der Mitte ist bräunlich verfärbt.
„Das ist das Blut meines Freundes Joseph. Er lag auf mir, als er starb. Sein Körper hat mich geschützt“, sagt der alte Mann unvermittelt. Die grausame Erfahrung, die Tat ist plötzlich ganz nah, fühlbar geworden. Nach und nach berichtet Darthout, wie er den Tag erlebt hat, an dem die Waffen-SS willkürlich eine ganze Dorfgemeinschaft ausrottete.
Angst hatte er zunächst nicht
Kurz vor zwei Uhr nachmittags war es, als die Deutschen kamen. Das weiß er noch genau, denn er wartete darauf, dass sein Freund Joseph den Friseurladen wieder öffnen würde. Beide spielten in derselben Fußballmannschaft, und am nächsten Tag stand ein wichtiges Spiel an. Auf einmal war Autolärm zu hören. Mehrere Fahrzeuge der Waffen-SS fuhren ins Dorf hinein.
Der junge Mann lief nach Hause zu seiner Frau Angèle. Zwei SS-Soldaten befahlen ihnen, das Haus zu verlassen. „Sie waren jung, vielleicht so alt wie ich“, erinnert sich Darthout. „Raus, raus!“, brüllten die Deutschen. Der alte Mann wiederholt die Worte mehrfach, die sich ihm tief ins Gedächtnis eingegraben haben. „Raus, raus!“
Angst hatte er nicht. Die Deutschen erklärten, dass sie in Oradour lediglich nach Waffen suchen wollten. Sie verteilten die Männer gruppenweise auf mehrere Scheunen. „Die Stimmung war entspannt. Wir hockten auf den Strohballen und redeten weiter über Fußball“, erinnert sich Marcel Darthout.
Der Körper des Freundes über ihm
Da zerriss eine Explosion die Stille des lauen Sommernachmittags. Es war das Signal für die Soldaten, mit ihren Maschinengewehren auf die eingesperrten Menschen zu feuern. Panik brach aus. Tote und Verletzte taumelten zu Boden. „Zwei Kugeln trafen mich am Bein, überall war Blut, die Verletzten röchelten“, erinnert sich Darthout. Seine Stimme stockt, er hält inne.
„Ich lag unter Joseph und spürte, wie ein letztes Zittern durch seinen Körper ging, dann war er tot“, berichtet er weiter. Nach wenigen Minuten war die Schießerei vorbei, die Soldaten gingen fort und kamen nach einer Weile wieder, um Stroh und Reisig auf den Opfern zu verteilen. Darthout erinnert sich an das Geräusch, wie sie Streichhölzer anrissen. Die Flammen breiteten sich schnell aus.
Fünf Männern gelang es, aus der brennenden Scheune zu fliehen und sich vor den deutschen Soldaten zu verstecken, unter ihnen Hébras und Darthout. Beide erfuhren erst in den nächsten Tagen vom Ausmaß des Massakers.
„Natürlich machte ich mir Sorgen um meine Frau, aber ich hatte keinen Moment gedacht, dass die Soldaten auch unsere Frauen und Kinder töten würden“, sagt Darthout und schüttelt den Kopf, als sei ihm die Grausamkeit noch immer unbegreiflich.
Deutsche Ermittler
Der damals 20-Jährige schrieb sich seine Erlebnisse einige Monate später in einem ausführlichen Bericht von der Seele. Die DEUTSCHEN tippte er immer in Großbuchstaben, oder er nannte sie boches, mit dem französischen Schimpfwort für Deutsche. „Meine Wunden sind inzwischen geheilt, bis auf eine, die im Herzen. Dort siedet ein Hass auf den boche, den ich in die ganze Welt hinausrufen möchte“, endete sein Bericht, den er zwei Tage vor Weihnachten 1944 verfasste.
Heute blättert der alte Mann gedankenverloren in vergilbten und brüchig gewordenen Kopien seiner Aufzeichnungen. „Ja, das habe ich damals so empfunden“, sagt er, und es klingt beinahe entschuldigend. Später sei der Hass auf die Deutschen verloschen.
So unterschiedlich die Lebensgeschichten und Charaktere der beiden letzten Überlebenden von Oradour sind – in diesem Punkt ähneln sie sich sehr: Hass und Rachegefühle sind längst vergangen. Was zählt, ist die Versöhnung zwischen den Völkern.
Keine großen Hoffnungen auf einen Prozess
Als Anfang des Jahres erstmals deutsche Ermittler nach Oradour kamen, haben Hébras und Darthout bereitwillig ausgesagt. „Ob es tatsächlich zu einem Prozess kommt, ist fraglich. Ich setze keine großen Hoffnungen darauf“, meint Darthout.
Im kommenden Jahr wird Oradour zum 70. Jahrestag an das Massaker erinnern. Bislang hat noch nie ein hochrangiger Vertreter der Bundesregierung an den Gedenkfeiern teilgenommen. „Das wäre doch eine gute Gelegenheit, dass mal jemand käme“, sagt der alte Mann und legt mit alterssteifen Fingern seine Dokumente sorgfältig zusammen.
Dabei gleitet ein Schwarz-Weiß-Foto mit Büttenrand aus dem Stapel. Eine Fußballmannschaft ist darauf zu sehen, elf junge Männer in kurzen Hosen und Kniestrümpfen. „Der Große mit den abstehenden Ohren, das bin ich“, sagt Darthout und lächelt. „Und der Kleine daneben: Das war mein Freund Joseph.“
DAS VERSAGEN DER JUSTIZ
Am 10. Juni 1944 töteten Mitglieder der SS-Division „Das Reich“ im Dorf Oradour-sur-Glane 642 Zivilisten, unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder. Sowohl die französische als auch die deutsche Justiz versagten bei der Aufarbeitung des Verbrechens.
1953 verurteilte ein Gericht in Bordeaux 21 mutmaßliche Täter, unter ihnen auch 14 Elsässer, von denen alle bis auf einen von der Wehrmacht zwangsverpflichtet worden waren. Eine Woche später erließ man den Elsässern um der nationalen Versöhnung willen ihre Strafen - eine zusätzliche Schmach für die Hinterbliebenen der Opfer.
Einer der Hauptverantwortlichen für das Massaker, SS-Gruppenführer Heinz Lammerding, war in Bordeaux in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Trotzdem konnte er sich in Düsseldorf eine neue Existenz als erfolgreicher Bauunternehmer aufbauen, der auch mit der Landesregierung Geschäfte machte. Er musste sich bis zu seinem Tod 1971 nicht für seine Taten verantworten.
1983 wurde der ehemalige Obersturmführer Heinz Barth in Ostberlin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Er kam nach 14 Jahren aus gesundheitlichen Gründen frei und bezog zeitweise noch eine Kriegsversehrtenrente, die ihm erst nach heftigen Protesten aberkannt wurde.
Seit 2011 ermittelt die Dortmunder Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen gegen sechs mutmaßliche Täter, die alle weit über 80 sind. Drei von ihnen seien nicht mehr vernehmungsfähig, sagt der Dortmunder Staatsanwalt Andreas Brendel. Bei den übrigen sei die Beweislage dürftig.
https://taz.de/
642 ToteMassaker von Oradour am 10. Juni: Jedem SS-Mann war klar, worum es ging
Dienstag, 11.06.2019, 08:30
Am 10. Juni 1944 töteten Mitglieder der SS-Division „Der Führer“ in der kleinen französischen Ortschaft Oradour-sur-Glane auf äußerst brutale Art 642 Menschen – Kinder, Frauen und Männer. Die Tat steht auch 75 Jahre später für die Unmenschlichkeit der deutschen Besatzer.
Es war ziemlich genau 14 Uhr, als die Bewohner von Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944 zuerst den Motorenlärm hörten und dann am Ortsrand die Deutschen sahen. Seit vier Tagen tobte an der Atlantikküste der Normandie die Schlacht um die Invasion der alliierten Truppen. Darüber unterhielten sich die Gäste im Restaurant Milord an diesem Samstag gerade, und sie waren guter Hoffnung, dass die Deutschen bald schon in die Flucht geschlagen würden.
Dass ihnen selbst Gefahr drohen könnte, daran dachten sie nicht im Entferntesten. Selbst als die SS-Männer, unter denen neben Deutschen auch französisch sprechende Elsässer waren, durch die Fenster guckten und den Bewohnern befahlen, herauszukommen, blieben die meisten noch einigermaßen ruhig.
„Wir sind dort hingegangen, zuerst ganz ohne Angst“
Später erinnerte sich Robert Hébras, einer der Einwohner von Oradour, der gerade mit einem Freund vor seinem Haus stand, an den Moment, als die Deutschen kamen: „Sie haben alle Bewohner des Ortes aus den Häusern geholt. Man hat uns den Befehl gegeben, uns auf dem Marktplatz zu versammeln. Sie haben uns angeschrien, damit wir möglichst schnell aus unseren Wohnungen herauskommen“.
Dann seien die Deutschen noch einmal in die Häuser hineingegangen, um auch wirklich alle aus den Häusern zu holen. Die Menschen gingen zum Marktplatz. „Wir sind dort hingegangen, zuerst ganz ohne Angst. Wir haben gedacht, es wird eine Kontrolle der Personalpapiere gemacht“, so Robert Hébras. Er sollte zu den wenigen Einwohnern zählen, die die folgenden Stunden überlebten.
Jedem SS-Mann war klar, worum es in Oradour ging
Hébras und die anderen irrten sich. Die Aktionen waren als Vergeltung für die erfolgreichen Aktionen des französischen Marquis gedacht, der Widerstandsgruppen. Diese fassten durch die Erfolge der Alliierten 500 Kilometer weiter nordwestlich Mut und griffen die deutschen Besatzer immer wieder an. Das aber wollten die Deutschen auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. Sie schickten etwa 150 Männer des SS-Panzergrenadier-Regiments 4 „Der Führer“, die zur SS-Panzerdivision „Das Reich“ gehörte, in den kleinen Ort an dem Fluss Glane.
Den Befehl gegeben hatte SS-General Heinz Lammerding, vor Ort lag das Kommando in den Händen von SS-Hauptsturmführer Otto Kahn. Den Männern von der SS war von Anfang klar, worum es bei diesem Einsatz gehen würde: Ausnahmslos alle Einwohner von Ouradour sollten ermordet und der Ort anschließend komplett niedergebrannt werden.
Keiner widersetzte sich dem Befehl, wehrlose Menschen brutal zu ermorden
Keiner widersetzte sich dem Befehl, wehrlose Menschen, die sich absolut nichts hatten zuschulden kommen lassen, brutal zu ermorden – Befehl war eben Befehl. Als Untersturmbannführer Heinz Barth, der an der Aktion in Oradour beteiligt war, Jahrzehnte später in einem Gerichtsprozess vom Richter gefragt wurde, ob es denn für seine Vorstellung von Befehlsausführung überhaupt keine Barriere gegeben habe, antwortete er: „Ich war der Meinung, wenn diese große Abschreckung bekannt wird, dass dann Ruhe herrscht und dass dann keine Untaten mehr an Deutschen durchgeführt werden, die da in Frankreich stationiert waren“. Seinen Männern kündigte er an diesem Tag an: „Heute wird Blut fließen“.
Nachdem sich die Einwohner auf dem Marktplatz versammelt hatten, trennten die SS-Männer die etwa 400 Frauen und Kinder von den rund 260 Männern und älteren Jungen. Während diese sich mit dem Rücken zur Wand stellen mussten, wurden die Frauen und Kinder in die Kirche geführt, die von außen verbarrikadiert wurde. Die Männer wurden anschließend auf verschiedene Scheunen und Garagen verteilt.
Nur eine Frau in der Kirche überlebte
Etwa gegen 16.30 Uhr entzündeten einige SS-Männer in der Kirche eine Rauchbombe in einer Kiste, die vor dem Altar stand, mit Stickgasen. Als sich starker Rauch entwickelte und die Menschen in der Kirche in Panik verfielen, wurden sie mit Maschinengewehren und Handgranaten beschossen. Dann legten die Deutschen Feuer, der hölzerne Dachstuhl brannte in Windeseile lichterloh. Schließlich stürzte das brennende Holz auf die Menschen herunter.
Sie erstickten und verbrannten, von all den Frauen und Kindern überlebte das Massaker nur die 47-Jährige Bäuerin Marguerite Rouffanche. Ihr gelang der Sprung aus einem Fenster. Schwer verletzt verharrte sie bis zum Nachmittag des nächsten Tages in einem Erbsenbeet, bevor sie von Einwohnern eines Nachbardorfes gefunden wurde.
Den Männern erging es nicht besser. Sie wurden in mehrere Scheunen geführt, vor denen die Deutschen zuvor Maschinengewehre aufgebaut hatten. Heinz Barth gab später an: „Kompaniechef Kahn gab mir den Befehl, mit meiner Gruppe die französischen Bürger in der Scheune zu erschießen. Die Torflügel der Scheune standen weit offen. Die Männer darin waren sehr erregt, sehr aufgeregt“.
Als der Befehl kam, schoss Barth als erster auf die wehrlosen Männer. „Darauf schossen alle, die in der Gruppe waren, auf diese französischen Bürger.“ Überrascht über den Befehl seien die SS-Leute nicht gewesen, betonte Heinz Barth nochmals ausdrücklich.
642 Menschen starben - darunter 207 Kinder und 254 Frauen.
Nur einige wenige der Opfer überlebten. Sie waren zwar getroffen worden, aber so schnell umgefallen, dass andere auf sie fielen und sie mit ihren Körpern bedeckten. Als die SS-Leute umhergingen, um Überlebende zu erschießen, stellten sie sich tot – und konnten später fliehen. Zu diesen Glücklichen gehörte auch Clement Broussaudier. „Das war wie ein Wunder. Als sich niemand mehr rührte, wurde die Schießerei eingestellt. Die Deutschen stiegen mit ihren Stiefeln auf unsere Körper und erledigten diejenigen, die noch atmeten, aus nächster Nähe. Mir stiegen sie auf die Füße. Ich habe nicht reagiert“.
Kriminalität - Ermittlungen gegen SS-Soldaten wegen Oradour-Massaker vor Abschluss
Anschließend wurden die Erschossenen mit Stroh bedeckt und angezündet. Einige, mit denen Broussaudier noch geflüstert hatte, waren so schwer an den Beinen getroffen, dass sie nicht fliehen konnten. Sie verbrannten bei lebendigem Leibe. Zu den wenigen Überlebenden gehörte auch der siebenjährige Roger Godfrin. Er war der einzige Schüler des Ortes, der den Mördern entkommen konnte – als einziges Mitglied seiner Familie. Insgesamt kamen an diesem 10. Juni 642 Menschen ums Leben - darunter 207 Kinder und 254 Frauen.
In den Nachbardörfern machte die Nachricht von dem brutalen Massaker schnell die Runde. Manche Einwohner aus Oradour, die sich gerade woanders aufgehalten hatten, schlichen sich zurück und versuchten, ihre Angehörigen zu finden. Doch das war fast unmöglich, da die allermeisten der verkohlten Leichen nicht identifiziert werden konnten.
Es gab keinen Widerstand in Oradour
Offiziell begründeten die Deutschen das Massaker und das Niederbrennen Oradours damit, dass sich dort Waffenlager des französischen Widerstandes befunden hätten. Das war allerdings eine Lüge, wie auch Heinz Barth zugab: „Es wurde ja keine Munition gefunden. Es waren auch keine Partisanen da. Es wurden ja auch keine Häuser in die Luft gesprengt, weil sie voll Munition waren“. Auch während der Fahrt nach Oradour habe er keine getöteten deutschen Soldaten und keine umgeworfenen oder zerschossenen deutschen Kraftfahrzeuge gesehen. Barth betonte: „Ich habe auch keinerlei Anzeichen von der Widerstandsbewegung gesehen. Wer kann es besser wissen als ich? Ich war ja selbst dabei“.
Vor Gericht wurden nur wenige der Täter zur Verantwortung gezogen. In Frankreich wurden neun Jahre später 65 Täter angeklagt. 21 wurden verurteilt, zwei zu Todesstrafen, die allerdings in Haftstrafen umgewandelt wurden. Schon 1959 waren alle Verurteilten wieder auf freiem Fuß. In der Bundesrepublik kam es nie zu einem Prozess. In der DDR wurde 1983 Heinz Barth zu lebenslanger Haft verurteilt. 1997 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Er starb 2007.
Das ursprüngliche Oradour wurde nicht wiederaufgebaut, es existiert bis heute als Ruinendorf. Erst im September 2013 besuchte mit Joachim Gauck erstmals ein deutscher Bundespräsident Oradour. An diesem Tag war auch der Überlebende Robert Hébras zur Stelle und führte den deutschen Besucher durch die Ruinen. Am Ende seines Besuches schrieb Gauck ins Buch der Erinnerung: „Mit Entsetzen, Erschütterung und Abscheu stand ich vor dem, was hier unter deutschem Kommando geschehen ist. Demütig und dankbar habe ich die Einladung angenommen. Ich darf heute Zeugnis ablegen, dass es ein anderes, friedliches und solidarisches Deutschland gibt. So soll es bleiben“.
https://www.focus.de/
Strafverfolgung
Auch wenn in revisionistischen Darstellungen, wie u. a. der Erinnerungsliteratur von ehemaligen SS-Angehörigen, gelegentlich versucht wurde, das Massaker von Oradour-sur-Glane als Kriegsrepressalie juristisch und moralisch zu rechtfertigen, handelte es sich laut Peter Lieb um ein eindeutiges Verbrechen.
Auf Seiten der deutschen Besatzer und des Vichy-Regimes wurde das Vorgehen der SS-Division vereinzelt kritisiert, es wurde allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine gerichtliche Verfolgung der an dem Massaker Beteiligten eingeleitet. 1953 konnten nur noch 65 Täter angeklagt werden, der Rest war entweder im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkrieges gefallen oder konnte nicht mehr festgestellt werden. Am 13. Februar 1953 verurteilte ein Militärtribunal in Bordeaux 21 im Prozess anwesende SS-Soldaten, darunter 14 elsässische Zwangsrekrutierte. Da das französische Parlament ein Gesetz verabschiedet hatte, das die gemeinsame Anklage von Franzosen und Deutschen verbot, wurden die Urteile für die beiden Gruppen getrennt verkündet. Ein Deutscher und ein Elsässer, der freiwillig in die Waffen-SS eingetreten war, wurden zum Tode, 18 Angeklagte zu Strafen zwischen acht und zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ein Angeklagter wurde freigesprochen.[14] Das Urteil sorgte im Elsass für Unruhen, sodass das französische Parlament ein Amnestiegesetz erließ. Die Urteile gegen die Elsässer wurden dadurch aufgehoben. Die Urteile gegen die Deutschen wurden in Haftstrafen umgewandelt und die Verurteilten kurz darauf entlassen. Die beiden Todesstrafen wurden nach einiger Zeit in lebenslange Haftstrafen umgewandelt; 1959 wurden auch diese Täter aus der Haft entlassen.
Die Bundesrepublik Deutschland zog niemanden wegen des Massakers strafrechtlich zur Verantwortung. Weder wurden Beschuldigte zum Prozess nach Frankreich überstellt, da nach Art. 16 des Grundgesetzes kein Deutscher an das Ausland ausgeliefert werden darf, noch kam es in der Bundesrepublik zu einer Verurteilung. Es gab zwar eine Reihe von Ermittlungsverfahren, die aber sämtlich nicht zur Anklageerhebung führten. Die Begründung zur Einstellung der Verfahren stützte sich auf die umfänglichen Ermittlungsergebnisse der zuständigen Staatsanwaltschaft in Dortmund, wonach der damalige Bataillonskommandeur, SS-Sturmbannführer Adolf Diekmann, die alleinige Verantwortung trage.
Mitte der 1970er Jahre spürte der Staatssicherheitsdienst – in der DDR verantwortlich für die Ermittlung von NS-Verbrechen – Heinz Barth auf. Zunächst wurde gegen ihn nur wegen seiner Beteiligung an Erschießungen in der Tschechoslowakei ermittelt; nach einigen Jahren stießen Ermittler auf seine Beteiligung am Massaker in Oradour. Barth war als SS-Obersturmführer der Führer des 1. Zuges der 3. Kompanie des Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ gewesen. 45 Soldaten waren ihm unterstellt, denen er u. a. den Befehl gab, 20 Männer zu erschießen, die in einer Garage eingesperrt waren. Ihm wurde 1983 vor dem Ersten Strafsenat des Stadtgerichts Berlin der Prozess gemacht. Barth wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Damit blieb er der einzige Täter, der von einem deutschen Gericht verurteilt wurde.[15] 1997 wurde er im wiedervereinten Deutschland aus dem Gefängnis entlassen. Aufgrund seiner schweren Kriegsverletzungen (er hatte ein Bein verloren) erhielt er zeitweise eine Kriegsopferrente, die ihm aber nach Protesten und der Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) entzogen wurde. Barth starb im August 2007.
2011 begannen die Staatsanwaltschaft Dortmund und das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen Ermittlungen wegen Mordverdachts gegen sechs ehemalige Angehörige der 3. Kompanie des Panzer-Grenadier-Regiments „Der Führer“.[16] Anfang Dezember 2011 wurde auf Veranlassung der Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Nordrhein-Westfalen eine Hausdurchsuchung in den Wohnungen von sechs mutmaßlich am Massaker von Oradour-sur-Glane Beteiligten in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg durchgeführt.[17]
Im Januar 2014 wurde von der Dortmunder Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen mutmaßlich beteiligten, 88-jährigen Kölner erhoben.[18] Das Landgericht Köln lehnte im Dezember 2014 jedoch die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den nunmehr 89-jährigen Rentner ab, weil ihm eine aktive Beteiligung an den Morden wahrscheinlich nicht mehr nachzuweisen sei.[19] Das Oberlandesgericht Köln hat mit Beschluss vom 12. Juni 2015 die Entscheidung des Landgerichts Köln bestätigt. Damit ist die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens rechtskräftig geworden.[20]
2002 wurde in einer Studie Helmut Schreiber als Mitverantwortlicher genannt.[21]
https://de.wikipedia.org/
Willi Helmut Schreiber
Willi Helmut Schreiber (* 1917 in Gießen; † 2008 in München) war ein deutsches Mitglied der SS-Verfügungstruppe, später Waffen-SS, und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Schreiber war Funktionär der Hitlerjugend im Rang eines Jungbannführers. 1938 meldete er sich zur SS-Verfügungstruppe. Von 1941 bis 1944 gehörte er der SS-Division Das Reich an, zuletzt als Bataillonskommandeur im SS-Dienstgrad eines Sturmbannführers.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er in Frankreich wegen der mutmaßlichen Beteiligung am Massaker von Oradour gesucht.[1] Daher lebte Schreiber unter dem falschen Namen Helmut Kraus. Im Sommer 1957 wurde er von Wolfgang Otto für den BND geworben, dessen Stellvertreter er wurde. Sein Deckname im BND war ebenfalls Helmut Kraus.
Im BND vermutete man eine Beteiligung Schreibers an Gewaltakten in Polen sowie Verbrechen der Einsatzgruppe B. Daher wurde er nicht in ein Beamtenverhältnis übernommen. 1980 ging er als leitender Angestellter in Rente.[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Willi_Helmut_Schreiber
Lammerding, Heinz (1905 Dortmund – 1971 Bad Tölz)
Heinz Lammerding, General der Waffen-SS, 1940 bis 1943 an der Ostfront, im „Partisanenkampf“ für Repressalien, Erschießungen und Anzünden von Dörfern in Serbien und der Sowjetunion verantwortlich; 1944 als Kommandeur der SS-Panzerdivision „Das Reich“ in Frankreich. Ab Mai mörderische Einsätze gegen die Zivilbevölkerung unter dem Deckmantel 'Kampf gegen die Résistance'. Die SS-Division hinterließ eine Blutspur aus – immer nach dem gleichen, dem Vernichtungskrieg im Osten entlehnten Muster begangenen - hundertfachen Morden, Gräueltaten, Anzünden von Dörfern, Deportationen und willkürlichen Erschießungen. Die schlimmsten waren die Massaker in Tulle und Oradour-sur-Glane am 9. bzw. 10. Juni 1944; sie folgten seinen von der Wehrmacht gebilligten Vorschlägen vom 5. Juni (s.u), die noch über die bisherige Befehlslage hinausgingen (vgl. Sperrle-Erlass).
Deswegen wurde er 1951 und 1953 vom Militärgericht in Bordeaux in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Lammerding, erfolgreicher Bauunternehmer in Düsseldorf, offenbar geschützt von deutschen und US-Stellen, blieb von der deutschen Justiz unbehelligt: Ermittlungen wurden eingestellt. Das führte in Frankreich zu heftigen Debatten, Demonstrationen und der Forderung nach einem Zusatzabkommen, um Strafverfahren trotz der französischen Urteile zu ermöglichen (vgl. 'Strafverfolgung deutscher NS-Verbrecher'), das aber erst nach seinem Tod abgeschlossen wurde. Er scheiterte mit dem Versuch, sich in einem Prozess gegen die Zeitung Die Tat von dem Vorwurf reinwaschen zu lassen, für viele Geiselmorde in Frankreich verantwortlich zu sein. Er starb eines natürlichen Todes.
Maßnahmen gegen den Widerstand
Note Lammerdings vom 5. Juni 1944 an die Wehrmacht (Generalkdo. 58. Panzerkorps)
1. Schlagartig einsetzende Gegenpropaganda und Diskriminierung der Terroristen als kommunistische Unruhestifter mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung gegen die Terroristen aufzubringen …
2. Belegung der Orte Cahors, Figeac und Brive durch schnell bewegliche Verbände, die ...mit den … SD-Außenstellen die aktive Bandenbekämpfung durchführen …
3. Aufbringung von 5000 verdächtigen Männern aus dem Raum Cahors-Aurillac-Brive bis zum 15.6.44 und deren Abschub ins Reich (=Deportation) …
4. Sicherstellung von mindestens 200 Lkw. und 400 Pkw. aus dem Raum Cahors-Aurillac- Brive bis zum 15.6.44 (damit „der Feind“ sie nicht beschlagnahmen kann) ..
5. Freilassung eines kriegsgefangenen Familienangehörigen …. als Gegenleistung für Angaben …
6. Ankündigung und Durchführung, daß für jeden verwundeten Deutschen 3, für jeden Gefallenen 10 Terroristen aufgehängt (nicht erschossen) werden. Strafvollzug durch Erhängen ist in der franz. Justiz nicht üblich. Durch Anwendung auf die Terroristen werden diese diskriminiert und außerhalb der franz. Volksgemeinschaft gestellt. (...)
Befehl des Oberkommandierenden West vom 8. Juni 1944
„WFSt (Wehrmachtsführungsstab) hat die Erwartung ausgesprochen, daß bei dem Großunternehmen gegen die Banden in Südfrankreich mit äußerster Schärfe und ohne Nachsicht vorgegangen wird. Ausgang des Unternehmens hat größte Bedeutung für die weitere Entwicklung im Westen. Halbe Erfolge solcher Aktionen nützen nichts. Die Widerstandskräfte sind in schnellem und umfassendem Zupacken zu zerschlagen. Zur Wiederherstellung von Ruhe und Sicherheit sind schärfste Maßnahmen zu ergreifen, zur Abschreckung der Bewohner dieser dauerhaft verseuchten Gebiete, denen endlich die Lust vergehen muß, die Widerstandsgruppen aufzunehmen und sich von ihnen regieren zu lassen, und zum warnenden Beispiel für die gesamte Bevölkerung. Rücksichtslose Härte in diesen kritischen Augenblicken ist unerläßlich“.
Literatur/Medien
Hervé, Florence/Graf, Martin: Oradour. Geschichte eines Massakers / Histoire d'un massacre, Köln 2014
Kartheuser, Bruno: Walter, SD in Tulle. Band 4: Die Erhängungen von Tulle. Ein ungesühntes Verbrechen, Neundorf 2008, bes. S. 298ff.
Lieb, Peter: Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007, S. 113ff., 361ff.
Meyer, Ahlrich: Oradour 1944, in: Gerd R. Ueberschär: Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 176ff.
Moisel, Claudia: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Politik und Praxis der Strafverfolgung nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2004
http://fr.wikipedia.org/wiki/Heinz_Lammerding
https://www.gedenkorte-europa.eu/
Massaker von Oradour: Bevölkerung gibt Hinweise zu SS-Verbrechen in Frankreich
Archiv
Bei einem Massaker im französischen Oradour-sur-Glane tötete eine SS-Panzerdivision im Jahr 1944 mehr als 600 Menschen. Der Staatsanwalt Andreas Brendel hat Ermittlungen gegen Beteiligte auf den Weg gebracht und erläutert Schwierigkeiten bei der Wahrheitsfindung nach fast 70 Jahren.
Andreas Brendel im Gespräch mit Martin Zagatta | 03.09.2013
Martin Zagatta: Bundespräsident Joachim Gauck trifft in diesen Minuten in Paris ein zu einem Staatsbesuch, der auch für die französischen Gastgeber eine besondere Bedeutung hat. Stichwort Oradour: Fast 70 Jahre nach dem Massaker, bei dem die Deutschen mehr als 600 Menschen umgebracht haben, laufen jetzt noch oder wieder Ermittlungen, seit zwei Jahren etwa – Ermittlungen, die der Dortmunder Staatsanwalt Andreas Brendel auf den Weg gebracht hat. Guten Tag, Herr Brendel!
Andreas Brendel: Schönen guten Tag!
Zagatta: Herr Brendel, das können ja eigentlich nur noch Menschen sein, gegen die jetzt ermittelt wird, die so um die 90 sind oder noch älter. Gegen wen lassen Sie da jetzt ermitteln?
Brendel: Es sind noch fünf Beschuldigte in Deutschland, die Jahrgänge 1925 und ‚26 sind, und ein Beschuldigter lebt in Österreich.
Zagatta: Können Sie uns denn etwas dazu sagen, wie weit diese Ermittlungen gediehen sind? Rechnen Sie da noch mit einer Anklage?
Brendel: Wir haben, nachdem die Ermittlungen eingeleitet worden sind, zunächst Archivakten in der ehemaligen DDR ausgewertet, die jetzt beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen liegen, dann Unterlagen, die wir in Frankreich im Zusammenhang mit dem Bordeaux-Prozess gefunden haben, haben dann im Rahmen von Rechtshilfeersuchen Zeugenvernehmungen in Frankreich durchführen können. Diese Unterlagen und Zeugenvernehmungen werden im Augenblick von mir und Mitarbeitern des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen ausgewertet und erst nach dieser Auswertung kann abschließend über die Frage entschieden werden, ob Anklage erhoben werden kann oder nicht.
Zagatta: Wie weit helfen da die Stasi-Unterlagen?
Brendel: Die Unterlagen des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen helfen insofern schon weiter, dass dort zum Beispiel eine komplette oder fast komplette Liste der Soldaten, die in Oradour eingesetzt gewesen sind, vorhanden war, die wir natürlich im Rahmen unserer Ermittlungen gut verwerten konnten.
Zagatta: Da fragt man sich: Die DDR hat dem Westen immer vorgeworfen, Kriegsverbrecher laufen zu lassen. Warum wurde in der DDR nie etwas unternommen, oder wissen wir das vielleicht auch nicht?
Brendel: Na ja, es hat in der DDR ja einen Prozess gegeben im Zusammenhang mit dem Massaker von Oradour. Dieser Prozess ist in den 80er-Jahren in der ehemaligen DDR geführt worden. Von daher ist schon im Hinblick auf dieses Massaker von Oradour was getan worden.
Zagatta: Herr Brendel, die Frage stellt sich ja auch grundsätzlich. Wenn wir von solchen Verfahren jetzt hören, dann meist mit dem Zusatz „einer der wohl letzten NS-Prozesse“ oder „die letzten Ermittlungen wahrscheinlich“, weil die Leute so alt sind. Wie viele solche NS-Verfahren gibt es denn Ihrer Meinung nach überhaupt noch, denn bald geht es ja um fast 100-Jährige oder um 100-Jährige, die man noch anklagen müsste?
Brendel: Bei der Staatsanwaltschaft in Dortmund, speziell hier bei der Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Verfahren, sind noch zehn Verfahren anhängig, die zu bearbeiten sind. Von daher kann man eigentlich zumindest in der augenblicklichen Situation nicht davon ausgehen, dass es der letzte Prozess ist, und wieweit das noch zu Anklagen führt, das kann ich im Augenblick natürlich nicht sagen.
Zagatta: Können Sie uns denn sagen, warum das jetzt alles noch in Gang gekommen ist? Warum hat man das nicht vor 10, 20, 30 Jahren, auch Oradour beispielsweise, schon auf den Weg gebracht?
Brendel: Ja, es ist so, dass natürlich einmal eine, ich sage mal, Veränderung in der Rechtsprechung erfolgt ist. Mordmerkmale sind genauer ausgelegt worden. Natürlich ist es auch so, dass im Laufe der Zeit viele Hinweise auch durch Medienberichterstattung und aus der Bevölkerung sowie von Historikern an uns herangetragen worden sind, sodass wir auch heute noch in der Lage sind, Ermittlungsverfahren einzuleiten beziehungsweise zu führen. Diese Informationen sind möglicherweise in der Vergangenheit den Ermittlungsbehörden gar nicht zur Verfügung gestellt worden beziehungsweise gar nicht vorhanden gewesen. Dann hat es die Öffnung von Archiven gegeben in den 90er-Jahren. Im gesamten osteuropäischen Bereich sind Archive geöffnet worden, die Zugänge möglich gemacht haben. Es gibt eine Menge an Beispielen, die dazu führen, dass es jetzt immer noch Ermittlungsverfahren gibt.
Zagatta: An diesem Verbrechen in Oradour sollen ja auch Elsässer beteiligt gewesen sein, die dann vom französischen Staat anschließend amnestiert worden sind. Können Sie gegen die, sofern die noch leben, auch noch ermitteln, oder ist das ausgeschlossen?
Brendel: Sofern es französische Staatsbürger sind, ist das von der deutschen Justiz nicht möglich. Diese Personen können von uns nur als Zeugen gehört werden.
Zagatta: Waren Sie selbst eigentlich einmal in Oradour? Haben Sie erlebt, welche Bedeutung dieses Massaker für die Franzosen auch heute immer noch hat?
Brendel: Ich war selbst in Oradour im März dieses Jahres. Ich bin auch mit einem Überlebenden des Massakers von Oradour durch diesen Ort gegangen, wobei ich noch mal eindrucksvoll geschildert bekommen habe, was dort in Oradour geschehen ist, und mir selbst auch noch mal vor Ort ein Bild des Massakers, sofern das überhaupt in dem Umfang heute noch möglich ist, machen konnte.
Zagatta: Der Dortmunder Oberstaatsanwalt Andreas Brendel. Herr Brendel, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Brendel: Ja bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Oradour – das ungesühnte Verbrechen
Heute vor 60 Jahren ermordeten SS-Männer in der französischen Ortschaft Oradour 642 Zivilisten – vom Baby bis zum Greis. Die bundesdeutsche Justiz hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht einen einzigen der Täter vor Gericht gestellt und verurteilt
taz. die tageszeitung
vom 10. 6. 2004
BERLIN taz ■ Schließlich hat doch noch ein Bundeskanzler Worte der Entschuldigung gefunden. Anlässlich seiner Reise in die Normandie hat sich Gerhard Schröder als erster deutscher Kanzler an die Einwohner Oradour-sur-Glane gewandt und um Verzeihung für das Massaker gebeten, das heute vor 60 Jahren die SS-Division „Das Reich“ dort angerichtet hat. Keine leere Geste für die Menschen in Oradour, auch wenn sie spät, allzu spät kommt.
642 Menschen, Männer, Frauen, Greise, Kinder, Neugeborene, fielen der nazistischen Mordlust zum Opfer. Keine vereinzelte Untat: Auch im nahen Tulle mordete die Waffen-SS auf dem Weg zur Front in der Normandie wehrlose Zivilisten, um Angst und Schrecken unter der Bevölkerung zu verbreiten.
Schröders Entschuldigung bezog sich auf die Mordtat selbst. Doch eine Entschuldigung wäre auch fällig zum Verhalten der deutschen Nachkriegsjustiz. Die hat nichts unversucht gelassen, um Kriegsverbrecher vor Verfolgung zu schützen. Die zunächst in Dortmund angesiedelte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für die Verfolgung von NS-Verbrechen wurde von Nazi-Juristen der ersten Stunde geleitet. Was deutsche Kriegsverbrechen anbelangt, wussten sich diese Juristen einig mit dem Kurs Adenauers, Deutschland wieder zu bewaffnen. Der Aufbau der Bundeswehr sollte nicht durch eine konsequente Abrechnung mit den Verbrechen von SS und Wehrmacht in Europa gestört werden.
Sowenig die Morde an Zivilisten in Süd- und Südosteuropa von deutschen Gerichten geahndet wurden, so wenig geschah dies mit den Massakern der SS-Division „Das Reich“ in Frankreich. Im Januar 1953 fand im französischen Bordeaux ein Prozess gegen eine Reihe von Tätern und Helfern des Massakers von Oradour statt, darunter – in Abwesenheit – auch gegen die verantwortlichen Kommandeure mit dem SS-Gruppenführer Heinz Lammerding an der Spitze. Über sie ergingen – in absentia – Todesurteile. Die verurteilten Elsässer, die zur SS-Division zwangseingezogen worden waren, wurden danach rasch amnestiert.
Wenn auch die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an ausländische Gerichte nicht möglich war, hätten doch die während des Prozesses von Bordeaux ermittelten Sachverhalte Grund genug für die deutschen Staatsanwälte sein müssen, jetzt ihrerseits zügig zu ermitteln. Tatsächlich gab es eine Reihe von Ermittlungsverfahren, die jedoch sämtlich nicht zur Anklageerhebung führten. Vielmehr schenkten die Staatsanwälte einer Schutzbehauptung Glauben: SS-Sturmbannführer und Bataillonskommandeur Otto Diekmann trage die alleinige Schuld. Praktischerweise war Diekmann wenige Wochen nach dem Massaker an der Front gefallen.
Zu einem Skandal besonderen Kalibers geriet der Versuch, den SS-Brigadeführer Heinz Lammerding, den Kommandeur der SS-Division „Das Reich“, vor Gericht zu bringen. Lammerding tauchte zunächst unter falschem Namen in der britischen Besatzungszone unter und ging dann, angesichts der französischen Fahndung, nach München, wo die Amerikaner ihre schützende Hand über ihn hielten.
Lammerding war durch persönliche Intervention Heinrich Himmlers zum Divisionskommandeur ernannt worden, nachdem er seine Eignung als „Partisanenbekämpfer“ an der Ostfront reichlich unter Beweis gestellt hatte. Dokumente, die heute im Centre de la Memoire in Oradour zu sehen sind, beweisen Lammerdings persönliche Verantwortung für Massenrepressalien gegen die französische Zivilbevölkerung. Er ist 1971 friedlich in Bad Tölz verstorben, verehrt von den Veteranen von „Das Reich“, die noch im Jahre 1971 erklärten, „dass wir gegenüber allen Anfeindungen und Diffamierungen nicht müde werden, darzulegen, dass der gute Name unserer Division ohne Makel ist“.
Der Hauptsturmführer Otto Kahn, Kommandeur der SS-Kompanie, die den Massenmord ausführte, konnte sich absetzen. Auch er gehörte zu den Hauptangeklagten des Bordeaux-Prozesses. Und auch er scheint vor Jahren friedlich gestorben zu sein.
Der Einzige, der wegen des Massenmords je vor einem deutschen Gericht stand, war Obersturmführer und SS-Mann Heinz Barth. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er sich nach dem Krieg in der DDR niederließ, wo ihn die Verfolgungsbehörden zu Beginn der 80er-Jahre aufspürten. Bahrt erhielt „lebenslänglich“, wurde nach der Vereinigung entlassen, bezog eine Zeit lang Kriegsopferrente, die ihm dann, nach Protesten, aberkannt wurde. Die in der Zwischenzeit erfolgten Zahlungen musste er allerdings nicht zurückerstatten.
Keiner der Verantwortlichen des Massakers von Oradour und Tulle hat je vor einem bundesdeutschen Gericht gestanden. Dies ist nach der verspäteten Entschuldigung der zweite Grund für die Verbitterung der Opfer und ihrer Nachkommen. Auch um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist gründliche Aufklärungsarbeit über die deutsche Nachkriegsjustiz geboten. CHRISTIAN SEMLER
brennpunkt SEITE 3
https://taz.de/
2.3 Online-Artikel zur Juristischen Aufarbeitung des Massaker von Ascq
Das ungesühnte SS-Massaker von Ascq
Erstellt: 24.11.2017Aktualisiert: 06.01.2019, 00:59 Uhr
Im April 1944 hat eine SS-Division in der nordfranzösischen Gemeinde Ascq zahlreiche Menschen ermordet. Mehr als 73 Jahre nach der Tat hoffen Hinterbliebene der Opfer auf einen Prozess gegen Verantwortliche in Deutschland.
Die Kirchenglocken blieben stumm an jenem Sonntag im April 1944. Der Pfarrer der nordfranzösischen Gemeinde Ascq bei Lille war tot, ebenso wie 85 andere Bewohner des Ortes. Brutal ermordet von einer SS-Division, als Vergeltung für einen Sabotageakt von Widerstandskämpfern. Mehr als 73 Jahre nach der Tat hoffen die Hinterbliebenen der Opfer auf einen Prozess gegen Verantwortliche in Deutschland.
„Die Vorstellung, dass die Mörder ein ruhiges Leben führen, kommt hier überhaupt nicht gut an“, sagt Alexandre Delezenne. Der 51-jährige Anwalt hat sich bereits vor vier Jahren an die Staatsanwaltschaft Dortmund gewandt, die für NS-Verbrechen zuständig ist. Sie hat das Dossier kürzlich an die Ermittler im niedersächsischen Celle weitergereicht. In der Region lebt einer der letzten überlebenden SS-Männer, er ist inzwischen 94 Jahre alt.
Delezennes Mutter Béatrice war zum Zeitpunkt des Massakers sieben Jahre alt. Sie erinnert sich noch an den Tag des Grauens für den 3000-Einwohner-Ort Ascq. Als eine Kompanie der SS-Division „Hitlerjugend“ am Abend des 1. April 1944 das Dorf überfiel, versteckten sich Béatrice, ihre Mutter und ihre kleine Schwester im Dachstuhl. Dort mussten sie bis in die Nacht mit anhören, wie die SS die Männer des Ortes erschoss.
Rache für einen Sabotageakt
Das älteste Opfern war der 75 Jahre alte Großvater von Béatrice Delezenne. „Die Deutschen haben ihn aus dem Bett gezerrt“, erzählt seine Enkelin. Die SS-Kommandos erschossen die Männer gruppenweise, das Morden dauerte bis ein Uhr morgens. Das jüngste Opfer war ein 15-jähriger Junge. An die Toten erinnert ein Mahnmal in dem Ort, der heute Villeneuve-d‘Ascq heißt.
Mit dem Massaker rächte sich die SS für einen Sabotageakt französischer Widerstandskämpfer: Sie hatten es eigentlich auf einen Güterzug abgesehen. Stattdessen entgleiste nahe Ascq ein Zug mit bis zu 400 SS-Männern, Verletzte gab es nicht.
Bis heute ist das Massaker ungesühnt - und das, obwohl 16 SS-Verantwortliche wenige Jahre nach Kriegsende im nordfranzösischen Lille zur Todesstrafe verurteilt wurden - sieben von ihnen in Abwesenheit. Die Urteile wurden jedoch nie vollstreckt. Im Namen der „deutsch-französischen Aussöhnung“ begnadigte der französische Präsident René Coty die Deutschen 1955.
Der Fall wurde zu den Akten gelegt. Bis Alexandre Delezenne die Initiative ergriff und an die Dortmunder Staatsanwaltschaft schrieb. „Ohne mich wäre die Geschichte von Ascq in den Justizakten verstaubt“, sagt der Anwalt.
In Villeneuve-d‘Ascq herrscht Verbitterung
Wird einem der letzten überlebenden SS-Männer nun in Celle der Prozess gemacht? Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft verweist auf eine juristische Hürde: Nach europäischer Rechtsprechung kann niemand zweimal für dieselbe Tat verurteilt werden. Die Verantwortlichen in Celle haben deshalb ein Rechtshilfeersuchen an Frankreich gestellt.
Ob ein Verfahren eröffnet wird, ist unklar. Erst vor zwei Jahren war die Dortmunder Staatsanwaltschaft mit dem Versuch gescheitert, einen 90-jährigen Kölner vor Gericht zu stellen. Er sollte sich wegen des Massakers im südwestfranzösischen Oradour-sur-Glane vom Juni 1944 verantworten. Die Waffen-SS ermordete dort 642 Menschen, bis heute erinnern die Ruinen des Dorfes an die Tat. Das Kölner Landgericht entschied jedoch, dem Mann könne eine Beteiligung wahrscheinlich nicht nachgewiesen werden.
In Villeneuve-d‘Ascq herrscht auch deshalb Verbitterung, weil das dortige Massaker im Schatten von Oradour steht. Während der frühere Bundespräsident Joachim Gauck Oradour-sur-Glane 2013 medienwirksam besuchte, setzte bisher kein deutscher Politiker seinen Fuß in das „Oradour des Nordens“.
Sylvain Calonne leitet den Geschichtsverein von Villeneuve-d‘Ascq. Er hat 15 Familien kontaktiert, damit sie als Privatkläger in einem möglichen Prozess auftreten. Er sagt, er setze ganz auf „die Beharrlichkeit der deutschen Justiz“. (afp)
https://www.fr.de/
2.4 Online-Artikel zur Juristischen Aufarbeitung des Massaker von Tulle
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Siehe auch: